1 Einleitung

We run and transform Mercedes-Benz with Code, not Slides“ (Creator Workflows Rocks 2023). Aussagen wie diese zeigen die heutige Bedeutung von Software. Die Entwicklung und Implementierung digitaler Lösungen ist längst keine Option mehr, sondern eine zwingende Notwendigkeit. Diese Realität konfrontiert zahlreiche IT-Abteilungen jedoch mit einem Dilemma: Trotz der stetig wachsenden Nachfrage nach digitaler Innovation und modernen Softwarelösungen kämpfen sie mit einem Mangel an qualifizierten IT-Fachkräften (Breaux und Moritz 2021).Footnote 1 Dieser Fachkräftemangel begrenzt die Fähigkeit der IT-Abteilungen, den Anforderungen an eine digitale Geschäftswelt gerecht zu werden und fördert aufgrund langer Wartezeiten und großer Backlogs oft das Aufkommen von Schatten-IT (Kopper 2017). Zusätzlich verschärft das traditionelle Verständnis vieler IT-Abteilungen als alleiniger Ort der IT-Hoheit (insb. Entwicklung und Verwaltung von IT-Lösungen) das Problem, da es langwierige Abstimmungsprozesse zwischen IT und Fachbereichen erfordert (Davenport et al. 2023).

Um die genannten Herausforderungen zu bewältigen, sind Unternehmen gezwungen, ihre IT-Strategien grundlegend zu überdenken und neue, agilere Arbeitsmethoden zu erforschen. Eine solche Neuausrichtung erscheint essenziell, um die digitale Transformation effektiv zu gestalten und erfolgreich zu realisieren. Citizen Development bietet in diesem Kontext einen neuartigen und innovativen Ansatz, der zunehmend von führenden Unternehmen wie Shell (Kappeyne 2021), Volvo (Novales und Mancha 2023) und anderen Vorreitern adaptiert wird. Mit der Einführung von Citizen Development-Initiativen können Unternehmen einen Beitrag dazu leisten, die Lücke zwischen IT-Anforderungen und IT-Kapazitäten zu verringern. Im Kern dieses Ansatzes steht die Idee, dass MitarbeiterFootnote 2 in allen Unternehmensbereichen, die sogenannten Citizen Developer, durch die Bereitstellung geeigneter WerkzeugeFootnote 3 und einer angemessenen Governance-Struktur in die Lage versetzt werden, eigenständig digitale Lösungen zu entwickeln (Binzer und Winkler 2022).

Citizen Development zielt darauf ab, die Abhängigkeit von IT-Abteilungen zu reduzieren und die Entwicklung digitaler Lösungen, die besser auf die Bedürfnisse der Fachbereiche zugeschnitten sind, zu beschleunigen (Carroll und Maher 2023). Neben Vorteilen birgt der Ansatz aber auch Risiken wie Bedenken zum Datenschutz oder der Sicherstellung der Qualität der entwickelten Lösungen (Käss et al. 2022; Elshan et al. 2023). Insbesondere im Kontext einer Workforce Transformation (Eden et al. 2019) zeigen erste Studien aber wie Citizen Development als Teil der Unternehmensstrategie erfolgreich etabliert werden kann (Carroll und Maher 2023; Novales und Mancha 2023). Bisherige Studien gewähren jedoch nur Einblicke in eine limitierte Anzahl an Umsetzungsmöglichkeiten von Citizen Development. Ein tieferes Verständnis der zugrunde liegenden Mechanismen erfordert eine umfassendere Untersuchung der Konzeption, Implementierung und Praxis von Citizen Development-Initiativen in verschiedenen Unternehmen.

Unsere Forschung setzt hier an, insbesondere um zwei bestehende Forschungslücken zu adressieren: Erstens zeigt sich, dass die Mehrheit der vorhandenen wissenschaftlichen Arbeiten sich hauptsächlich auf die Einführungsphase von Citizen Development-Initiativen auf Organisationsebene konzentriert (Hoogsteen und Borgman 2022; Käss et al. 2023). Darüber hinaus besteht eine Unklarheit darüber, wie Citizen Development seinen Weg in Unternehmen findet. Während bspw. das Project Management Institute (PMI) einen Bottom-Up-Ansatz annimmt (PMI 2021), bei dem Initiativen vorwiegend von einzelnen Fachabteilungen ausgehen, zeigen andere Studien, dass auch IT-Abteilungen erfolgreich Citizen Development-Initiativen starten können (Carroll und Maher 2023; Novales und Mancha 2023). In diesem Kontext weisen Prinz et al. (2023) darauf hin, dass Citizen Development womöglich in Fachabteilungen beginnt, jedoch später oft unternehmensweit von oben nach unten gesteuert wird. Dies deutet auf die Notwendigkeit hin, ein tieferes und breiteres Verständnis von Citizen Development zu entwickeln, welches über die aktuellen begrenzten Forschungsperspektiven hinausgeht. Zweitens, obwohl erste Vorgehensmodelle zur Skalierung von Citizen Development existieren, sind diese jedoch oft entweder zu abstrakt (PMI 2021) oder beziehen sich übermäßig auf vorhandene Literatur (Viljoen et al. 2023), was ihre Anwendbarkeit in der Praxis einschränkt.

Die vorliegende Studie beabsichtigt, durch die Analyse realer Fälle von Unternehmen, die Citizen Development-Initiativen aktiv implementieren, praxisnahe Empfehlungen zu erarbeiten. Unser Ziel besteht darin, die Treiber und die unterschiedlichen Phasen einer Citizen Development-Initiative näher zu analysieren und spezifische Herausforderungen in jeder Phase zu beleuchten. Dies führt zu den zwei Forschungsfragen: 1) Welche Faktoren begründen die Einführung einer Citizen Development-Initiative, und 2) Wie können die unterschiedlichen Phasen einer Citizen Development-Initiative charakterisiert und voneinander differenziert werden?

Zur Beantwortung dieser Fragen wurden 21 leitfadengestützte Interviews mit Citizen Development-Verantwortlichen aus 16 Unternehmen durchgeführt, die frühzeitig in Low-Code/No-Code (LC/NC) investiert haben. Unsere Ergebnisse zeigen auf, dass viele Unternehmen einen kulturellen Wandel anstreben, bei dem der Umgang mit LC/NC-Plattformen zur Selbstverständlichkeit wird. Um diesen Wandel zu realisieren, navigieren Unternehmen durch vier Phasen, die jeweils spezifische Herausforderungen mit sich bringen. Basierend auf unseren Erkenntnissen präsentieren wir sechs Handlungsempfehlungen, die Unternehmen dabei unterstützen sollen, die Einführung und das Management von Citizen Development effektiver zu gestalten.

Der folgende Abschnitt (Abschn. 2) liefert Hintergrundinformationen zu den Konzepten LC/NC sowie Citizen Development. In Abschn. 3 werden die Methoden der qualitativen Datensammlung und -analyse beschrieben. Die Ergebnisse unserer Analyse präsentieren wir in Abschn. 4, bevor in Abschn. 5 die Ergebnisse diskutiert und Handlungsempfehlungen abgeleitet werden. Darüber hinaus werden zukünftige Forschungsmöglichkeiten aufgezeigt und die Limitationen der Studie erläutert. Abschließend wird in Abschn. 6 das Fazit formuliert.

2 Status Quo in Forschung und Praxis

2.1 Low-Code/No-Code als moderne Technologiegrundlage

Der Begriff Low-Code wurde 2014 von Forrester Research eingeführt (Richardson und Rymer 2014) und spielt seitdem eine entscheidende Rolle im Kontext von Citizen Development. Low-Code-Plattformen werden häufig als Cloud-basierte Umgebungen definiert, die Funktionen wie intuitive grafische Benutzeroberflächen, visuelle Darstellungen, Drag-and-Drop-Funktionalitäten, wiederverwendbare Komponenten und ein modellgetriebenes deklaratives Programmierparadigma bieten (Tisi et al. 2019; Sahay et al. 2020).

Die Grundidee hinter Low-Code ist es, die Komplexität der Programmierung durch ein hohes Maß an Abstraktion zu verbergen und gleichzeitig die volle Funktionalität des Codes zu gewährleisten (Sahay et al. 2020; Carroll et al. 2021). Dies führt zu einer erhöhten Benutzerfreundlichkeit, die es auch Personen mit minimalen Programmierkenntnissen ermöglicht, eigene, leichtgewichtige digitale Lösungen und Automatisierungen zu entwerfen. In diesem Zusammenhang hat sich kürzlich auch der Begriff No-Code etabliert, um hervorzuheben, dass keinerlei Programmierkenntnisse erforderlich sind und damit die Idee, auch Personen ohne jegliche IT-Kenntnisse zu befähigen. Low- und No-Code sind konzeptionell jedoch eng verwandt und werden daher oft austauschbar verwendet oder unter der Bezeichnung LC/NC zusammengefasst.

Die Neuartigkeit von LC/NC-Plattformen wird in Forschung und Praxis kontrovers diskutiert (Bock und Frank 2021b; Frank et al. 2021; Di Ruscio et al. 2022), insbesondere aufgrund ihrer Ähnlichkeit zu Softwareentwicklungskonzepten, die bereits seit den 1980er-Jahren bekannt sind. Hierbei werden oft die vierte Generation von Programmiersprachen sowie verwandte Konzepte wie Rapid Application Development (RAD) und Model-Driven Development (MDD) hervorgehoben. Skepsis entsteht insbesondere dadurch, dass die in Aussicht gestellten Vorteile dieser Konzepte, ähnlich den Versprechungen von LC/NC, größtenteils unerfüllt blieben (Heijmans 2016). Diese Skepsis wird verstärkt durch die Erkenntnis, dass viele heutige LC/NC-Plattformen bereits als RAD- oder MDD-Lösungen vermarktet wurden, lange vor der Prägung des Begriffs „Low-Code“ (Bock und Frank 2021b). Trotz dieser kritischen Betrachtung wird auch das aufkommende Potenzial von LC/NC-Plattformen anerkannt, das sich durch Fortschritte in Technologien wie Cloud-Computing, künstlicher Intelligenz oder maschinellem Lernen begründet (Carroll und Maher 2023; Sundberg und Holmström 2023; Davenport 2023). Ein weiterer Vorteil von LC/NC-Plattformen ist die Integration verschiedener klassischer Softwareentwicklungswerkzeuge in einer einzigen Umgebung, wodurch der Bedarf an separaten Tools reduziert wird, was wiederum den Wartungs- und Integrationsaufwand verringert (Bock und Frank 2021a).

2.2 Von End-User Development zu Citizen Development

Während LC/NC-Plattformen die technologischen Werkzeuge bieten, kann das Konzept des Citizen Development als übergeordnete Strategie angesehen werden. Diese zielt darauf ab, die Entwicklung digitaler Lösungen durch eine weitreichende Nutzung von LC/NC-Plattformen zu demokratisieren (Binzer und Winkler 2022). Dieser Ansatz markiert häufig einen Paradigmenwechsel in der unternehmerischen Bereitstellung von IT, der die Rolle der IT-Abteilung von einem Gatekeeper zu einem Ermöglicher wandelt und somit eine schnellere und effektivere Reaktion auf dynamische Geschäftsanforderungen ermöglicht. Citizen Development trägt zur Innovationskultur bei, indem es die Kreativität und das Fachwissen der gesamten Belegschaft einbindet (Krejci et al. 2021). Gleichzeitig ist es wichtig, dass die IT-Abteilung ein klares Regelwerk implementiert, um den Unternehmensstandards sowie Sicherheits- und Compliance-Anforderungen gerecht zu werden (Hoogsteen und Borgman 2022). Ohne angemessene Governance besteht nicht nur das Risiko der Schatten-IT, sondern auch die Gefahr, dass Citizen Developer unkoordinierte oder ineffiziente Lösungen erstellen, die zu erhöhten Kosten und einer Beeinträchtigung der IT-Infrastruktur führen können (Davenport et al. 2023). Gleichermaßen problematisch ist die spätere Bedrohung durch unzureichend verwaltete Citizen Development-Lösungen.

Mit der zunehmenden Bedeutung von Citizen Development in der Praxis hat auch die zugehörige Forschung zu diesem Phänomen an Dynamik gewonnen. Binzer und Winkler (2022) sowie Viljoen et al. (2023) stellen Literaturanalysen zur Verfügung, die die Kernthemen in Forschung und Praxis identifizieren und zukünftige Forschungsrichtungen aufzeigen. Weitere Studien untersuchen Citizen Development im Bildungsbereich (McHugh et al. 2023; Matook et al. 2024), die Charakteristika von Citizen Developern (Binzer und Winkler 2023; Bernsteiner et al. 2022) und Faktoren für die Implementierung von Citizen Development (Hoogsteen und Borgman 2022). Eine kleine Anzahl von Fallstudien hebt das Potenzial von Citizen Development in speziellen Bereichen hervor und liefert zugleich praxisnahe Handlungsempfehlungen für die strategische Umsetzung (Carroll und Maher 2023; Novales und Mancha 2023; Prinz et al. 2023). Die bisherige Forschung vernachlässigt jedoch weitgehend die Betrachtung der verschiedenen Phasen einer Citizen Development-Initiative und stützt sich oftmals lediglich auf eine sehr begrenzte Anzahl von Interviews oder Fallstudien.

Ähnlich wie bei LC/NC und dessen Parallelen zu früheren Konzepten existiert die Grundidee von Citizen Development ebenfalls länger, wie das bereits 1981 veröffentlichte Werk „Application Development Without Programmers“ von James Martin nahelegt (Martin 1981). Schon seit den 1980er-Jahren wurden unter Begriffen wie End-User Development oder End-User Computing Möglichkeiten erforscht, wie Endnutzer eigene Softwarelösungen entwickeln können (Barricelli et al. 2019; Lieberman et al. 2006). Dennoch gibt es wichtige Unterscheidungsmerkmale. Während Citizen Development auf die Nutzung moderner Cloud-basierter LC/NC-Umgebungen setzt und durch eine geeignete Governance-Struktur gesteuert wird, zeichnen sich die älteren Konzepte durch den Einsatz von lokalen Werkzeugen wie Excel-Makros aus, die weniger formal durch IT-Abteilungen reguliert werden können (Benson 1983).

3 Methodik

3.1 Datensammlung

Zur Beantwortung unserer zwei Forschungsfragen (1) nach den Treibern sowie (2) den Phasen einer Citizen Development-Initiative führten wir eine qualitativ-empirische Interviewstudie durch, die in diesem Kapitel beschrieben wird. Insgesamt wurden 21 Interviews (I1 bis I21) mit Verantwortlichen im Bereich Citizen Development und LC/NC aus insgesamt 16 Unternehmen durchgeführt (Tab. 1). Der Einsatz dieser Experten erscheint als geeignete Wahl, da sie über detailliertes Wissen und Einblicke verfügen, die über das hinausgehen, was von anderen Quellen erwartet werden kann. Die Interviews fanden zwischen Juni 2023 und Januar 2024 als Videokonferenzen über Microsoft Teams statt. Bis auf eine Ausnahme gaben alle Teilnehmer ihr Einverständnis, die Videokonferenzen für Forschungszwecke aufzuzeichnen. Aufgrund der internationalen Standorte (u. a. Deutschland, Großbritannien, USA) wurden die Gespräche je nach Bedarf entweder auf Deutsch oder Englisch geführt.

Tab. 1 Übersicht der Experteninterviews

Zur Strukturierung des Interviews wurde ein semi-strukturierter Leitfaden entwickelt, der Anpassungen während des Interviews ermöglicht (Döring und Bortz 2016). Um sicherzustellen, dass alle Gespräche auf einer einheitlichen Grundlage geführt wurden, etablierten wir zu Beginn der Interviews ein gemeinsames Verständnis. Dabei legten wir klar unsere Forschungsziele dar und erläuterten, was wir unter Citizen Development und LC/NC verstehen. Angesichts des explorativen Charakters unserer Studie deckten die Interviews ein breites Spektrum an Themen ab. Dazu gehörten die Einführung und Implementierung von LC/NC-Plattformen und die Entwicklung von Citizen Development, potenzielle Anpassungen in der Organisationsstruktur, die Gestaltung der Schnittstelle zwischen Fachbereichen und IT-Abteilungen (z. B. Service-Definition, Training und Governance) und die Bedeutung kontextueller Faktoren. Diese breite Auswahl an Themen reflektiert unser Ziel, ein umfassendes Verständnis der vielfältigen Aspekte zu entwickeln, die Citizen Development-Initiativen beeinflussen können. Die Relevanz dieser Themen ergibt sich aus ihrer Rolle bei der Gestaltung der Rahmenbedingungen, unter denen Citizen Development effektiv gestaltet und nachhaltig in die Organisationsstrukturen integriert werden kann. Der Interviewleitfaden (siehe Online-Material) wurde im Verlauf der Studie durch vertiefende Fragen ergänzt.

3.2 Datenanalyse

Parallel zur Datensammlung fand unsere Datenanalyse statt. Diese umfasste wiederholte Durchsichten der Interviews, um ein vertieftes Verständnis jedes Unternehmens sowie seines Kontexts und seiner Strategie zu erlangen (Yin 2009). Die Anfangsphase der Datenanalyse beinhaltete das offene Kodieren und das Verfassen von Memos zu den transkribierten Interviewinhalten durch den Erstautor (Saldaña 2021). In der zweiten Phase leiteten wir mithilfe des axialen Kodierens Kategorien aus den Codes ab (Saldaña 2021). Dieser Prozess der Kategorienerstellung orientierte sich an den Themenbereichen der Interviews. Anschließend analysierten wir die spezifischen Kategorien, um Muster zu identifizieren und diese dann auf ihre übergeordnete Relevanz hin zu untersuchen. Diesen Prozess setzten wir fort, bis wir einen zufriedenstellenden Grad an theoretischer Sättigung erreichten, also einen Punkt, an dem keine neuen Kategorien und Muster mehr aus den Daten hervorgingen. Regelmäßige Diskussionen der Ergebnisse unter den Autoren förderten ein gemeinsames Verständnis der Daten.

4 Ergebnisse

Unsere Ergebnisse sind in zwei Hauptbereiche unterteilt: Zunächst erörtern wir die Treiber für Citizen Development (Abschn. 4.1), gefolgt von den vier unterschiedlichen Phasen von Citizen Development-Initiativen (Abschn. 4.2). Die Zusammenhänge dieser Abschnitte werden grafisch in Abb. 1 dargestellt.

Abb. 1
figure 1

Grafische Darstellung der Ergebnisse

4.1 Treiber für die Einführung von Citizen Development-Initiativen

Die Entscheidung, Citizen Development-Initiativen in Unternehmen zu starten, ist vielfältig und basiert auf verschiedenen Faktoren. Durch die Analyse der Interviews konnten wir fünf Treiber für die Einführung von Citizen Development-Initiativen identifizieren, die in diesem Abschnitt kurz erörtert werden:Footnote 4

  1. 1.

    Förderung der digitalen Kompetenzen der Mitarbeiter. Mit der Einführung von Citizen Development wird häufig angestrebt, die digitalen Fähigkeiten und Kompetenzen der Mitarbeiter zu stärken. Ziel ist es, Mitarbeiter nicht nur zu befähigen, ihre Kreativität und Ideen eigenständig umzusetzen, sondern auch dazu anzuregen, bestehende Prozesse kritisch zu hinterfragen. Dies soll dazu beitragen, die digitale Transformation effizienter und wirkungsvoller zu gestalten. [I5, I6, I7, I8, I9, I19, I20, I21]

  2. 2.

    Nutzung bereits vorhandener IT-Tools und Lizenzen. Oft sind in Unternehmen bereits die notwendigen LC/NC-Plattformen und Lizenzen vorhanden. Prominente LC/NC-Plattformen wie Microsoft Power Plattform sind z. B. Teil von Microsoft 365 Lizenzpaketen. Daher ermöglicht Citizen Development die sinnvolle Ergänzung des bestehenden Portfolios durch deren effektive Nutzung. [I3, I6, I8, I9, I10, I11, I13]

  3. 3.

    Schaffung eines sicheren Raums für Fachbereiche. Unternehmen streben mit Citizen Development danach einen „Safe Space“ (I7) für Fachbereiche zu schaffen. Dadurch, dass LC/NC-Plattformen Cloud-basiert sind, bietet Citizen Development eine bessere Kontrollierbarkeit und ein effektives Mittel zur Minimierung bzw. Eliminierung von Schatten-IT. In diesem Zusammenhang wird oft ein Vergleich mit Excel-Makros gezogen, um zu verdeutlichen, dass LC/NC-Plattformen eine verbesserte Wartbarkeit, Kontrolle sowie höhere Sicherheits- und Compliance-Standards bieten. [I3, I6, I7, I8, I10, I13, I18, I19, I20, I21]

  4. 4.

    Bereitstellung einer modernen Arbeitsumgebung. Die Einführung von Citizen Development dient dazu, eine moderne und zukunftsfähige Arbeitsumgebung zu schaffen, was insbesondere zur Mitarbeiterzufriedenheit und Talentgewinnung beiträgt, sowie den steigenden Anforderungen der Mitarbeiter aus ihrem privaten Bereich an die Digitalisierung entspricht. [I1, I5, I7, I13, I14, I17, I19]

  5. 5.

    Steigerung der Agilität und Flexibilität für Fachbereiche. Häufig besteht in den Fachabteilungen schon seit geraumer Zeit der Wunsch, digitale Lösungen zügiger und effizienter zu implementieren. Citizen Development bietet hier einen alternativen Weg zur klassischen Softwareentwicklung, indem es als „Selbsthilfe zur Digitalisierung“ (I5, I20) fungiert und Agilität sowie Flexibilität in die Prozesse bringt. Zudem wird häufig der Mangel an IT-Ressourcen und die damit verbundene Abhängigkeit von der IT-Abteilung als wesentlicher Faktor hervorgehoben. [I1, I3, I5, I6, I7, I8, I10, I13, I17, I18, I20, I21]

4.2 Vier Phasen einer Citizen Development-Initiative

Bei dem überwiegendem Teil der von uns interviewten Unternehmen wurde Citizen Development mit einem Top-down Ansatz über die Unternehmens-IT eingeführt. Lediglich in zwei Fällen wurde die Einführung einer LC/NC-Plattform (teilweise) Bottom-up von den Fachbereichen initiiert (I1, I11). Aus der Analyse unserer Interviewdaten haben wir ein Phasenmodell für unternehmensweite Citizen Development-Initiativen abgeleitet, das in Abb. 2 beschrieben wird.

Abb. 2
figure 2

Vier-Phasen-Modell von Citizen Development-Initiativen

Zusätzlich zu den vier Phasen einer Citizen Development-Initiative stellt Abb. 3 die zentralen Herausforderungen dar, die entlang der Phasen veranschaulicht sind.

Abb. 3
figure 3

Herausforderungen von Citizen Development-Initiativen

Die Analyse der Unternehmen ermöglichte die Identifizierung von drei zentralen Themenbereichen, die zu Beginn einer Citizen Development-Initiative etabliert wurden. Es ist dabei zu beachten, dass die konkrete Ausgestaltung dieser Themen zwischen den Unternehmen variierte. Alle drei Themenbereiche sind nachfolgend detailliert aufgeführt und bilden durchgängig einen Fokus über alle vier Phasen einer Citizen Development-Initiative:

  • Marketing und Community Management. Hier geht es um das Wecken von Interesse und die Einbindung interessierter Mitarbeiter, um das Bewusstsein für Citizen Development zu schärfen. Das Marketing zielt darauf ab, anfängliches Interesse zu wecken, während das Community Management eine dauerhafte und engagierte Gemeinschaft von Citizen Developern fördern soll.

  • Onboarding und Training. Um Citizen Developern den Einstieg zu erleichtern und ihnen die notwendigen Kompetenzen zu vermitteln, sind geeignete Onboarding- und Trainingsprogramme erforderlich.

  • Governance-Rahmen: Die Implementierung effektiver Governance-Strukturen, die Standards und Richtlinien für den Einsatz von LC/NC-Plattformen definieren, ist kritisch für die Gewährleistung der Einhaltung von Sicherheits- und Compliance-Vorschriften. Ein Product Owner (I15) betont die Notwendigkeit eines Paradigmenwechsels weg von den „dümmsten anzunehmenden Usern“ hin zu den „schlausten anzunehmenden Usern“, da eine zu freizügige Governance-Struktur von informierten Nutzern leicht umgangen werden kann.

Darüber hinaus zeigte sich, dass in zahlreichen Unternehmen LC/NC-Plattformen bereits existierten, bevor eine Citizen Development-Initiative eingeführt wurde. Das bedeutet, dass etablierte Technologien, wie z. B. Microsoft PowerBI, welche in vielen Unternehmen schon länger im Einsatz sind, im Rahmen von Citizen Development-Initiativen zunehmend als LC/NC-Plattformen reklassifiziert und genutzt werden. In der Konsequenz haben sich Citizen Development-Initiativen teilweise aus existierenden Teams heraus entwickelt, die ursprünglich andere Aufgabenbereiche betreuten. Diese Teams haben entweder ihren Fokus auf die Nutzung neuer Plattformen erweitert oder es wurden, parallel dazu, neue spezialisierte Teams ins Leben gerufen (I6, I8, I9, I11).

4.2.1 Erste Phase: Konzeption und Planung

In der ersten Phase einer Citizen Development-Initiative erkennt ein Unternehmen das Potenzial des Konzepts und beginnt mit der Planung einer eigenen Strategie. Der Fokus liegt auf dem anfänglichen Aufbau der Initiative. Oft bildet sich hierfür ein zentrales Team, wie etwa ein Center of Excellence, das für die Ausarbeitung und Gestaltung der Initiative verantwortlich ist. Es ist nicht zwangsläufig das Team, das auch für die technische Bereitstellung der LC/NC-Plattformen zuständig ist. Abhängig von verschiedenen Faktoren entscheiden sich Unternehmen entweder für eine zentrale Monoplattform- oder eine Plattform-Portfolio-Strategie. Ein wesentlicher Faktor dabei ist, ob neue LC/NC-Plattformen erst beschafft oder vorhandene Plattformfunktionalitäten genutzt werden können. Während 5 der befragten Unternehmen sich für einen Monoplattform-Ansatz entschieden, wählten 11 Unternehmen einen Multi-Plattform-Portfolio-Ansatz.

Zur Initiierung des Community Managements und zur Schaffung eines Bewusstseins für Citizen Development wurden in fast allen untersuchten Unternehmen Communities of Practice (Wenger und Snyder 2000) eingeführt. Zusätzlich berichteten einige Unternehmen von der gezielten Rekrutierung von Freiwilligen mit Ideen für Digitalisierungsprojekte, die an deren Umsetzung interessiert waren und als Teil der ersten Kohorte im Rahmen von Pilotprojekten mitwirken wollten (I3, I4, I5, I10). In dieser Anfangsphase wurden des Weiteren Onboarding- und Trainingsprogramme entwickelt und durch erste Workshops und Trainings pilotiert.

Unternehmen pflanzen in dieser Phase den „Samen“ (I6) des Citizen Development. Der Schwerpunkt liegt auf dem Gewinnen von Erkenntnissen und dem praktischen Erproben innerhalb des eigenen Unternehmens. Eine wichtige Herausforderung besteht insbesondere darin, ein ausgewogenes Governance-Regelwerk zu etablieren, das individuelle Flexibilität und unternehmerische Sicherheit in Einklang bringt. Einige Unternehmen starteten mit einer wenig restriktiven Governance, was zu einem schnellen Anstieg an von Citizen Developern erstellten digitalen Lösungen führte. In den Unternehmen MANU1 und SERV1 resultierte dies sogar in einem Zustand, der als „Chaos“ beschrieben wurde, gekennzeichnet durch die rasche Erstellung von tausenden Applikationen in sehr kurzer Zeit (I14, I19). Im Gegensatz dazu wählten andere Unternehmen wie bspw. FIN1 oder EDUC1 von Anfang an einen sehr strikten Ansatz. Eine weitere Herausforderung dieser Phase besteht darin, Bedenken und Ängste der Mitarbeiter, insbesondere der professionellen Entwickler, zu adressieren (I9) und gleichzeitig die Unterstützung des Managements zu sichern (I12, I19).

4.2.2 Zweite Phase: Standardisierung

Nachdem in der vorherigen Phase durch Prototypen und Pilotprojekte positive Erfahrungen gesammelt wurden, konzentriert sich diese Phase hauptsächlich auf die Ausweitung und Festigung von Citizen Development-Praktiken auf unternehmensweiter Ebene. Zentrales Element hierbei ist das interne Marketing, das verstärkt in den Fokus rückt. Dies beginnt teilweise mit der Einführung von Newslettern (I9, I21) und wird durch den Ausbau des Community-Managements ergänzt. Regelmäßige Veranstaltungen wie Hackathons, „Rockstar Sessions“ oder „Café Sessions“ beleben die Community und fördern die Vernetzung, indem sie Teilnehmern ermöglichen, ihre Erfolge zu teilen und direkt von realen Citizen Developern zu lernen (I5, I9, I14). Andere Unternehmen setzen mehr auf Gamification und Wettbewerbe wie die „App of the Month“ (I7) oder den „Creator of the Month“ (I21), um die Citizen Developer Community weiter zu motivieren und zu belohnen.

In dieser Phase wird ein wachsendes Interesse seitens der Fachbereiche deutlich, was sich oft in positivem Feedback manifestiert (I8). Häufig wird dabei auch das intrinsische Interesse vieler Fachbereiche hervorgehoben (I3, I10). Das Training wird oft eigenverantwortlich durch Self-Service Angebote organisiert und konzentriert sich auf spezifische Aspekte rund um die jeweiligen Technologien und Plattformen. Viele Unternehmen werden sich zudem des Dilemmas zwischen Innovation und Kontrolle bewusster. Es wird nach Wegen gesucht, die Governance zu vereinfachen (I7, I9, I19). Diese Phase ist gekennzeichnet durch das Bestreben, ein Gleichgewicht zwischen der Förderung von Innovationen und der Aufrechterhaltung einer effektiven Governance zu finden, um eine nachhaltige und erfolgreiche Integration von Citizen Development in das Unternehmen zu gewährleisten. Es ist wichtig anzumerken, dass Aspekte rund um „Citizen Maintenance“ in diesem Kontext von besonderer Bedeutung waren. In fast allen untersuchten Fällen wurde beschrieben, dass Citizen Developer eigenverantwortlich für die Instandhaltung und Weiterentwicklung ihrer Lösungen sind. Dabei haben die Unternehmen besonders das benötigte Bewusstsein für die Eigenverantwortung der Citizen Developer betont. So benötigt bspw. jede durch einen Citizen Developer erstellte Applikation bei TRANS1 eine spezielle Transparenzerklärung, die bestimmte Informationen wie den Kontakt des Erstellers, eine Beschreibung des Verwendungszwecks und eine Klassifizierung der verwendeten Datentypen beinhalten muss (I21).

Erste Kennzahlen, wie die Anzahl der ausgebildeten Citizen Developer, werden zunehmend für das Management relevant. Herausfordernd erscheint in dieser Phase besonders die Etablierung und Verbesserung der internen Services und Prozesse, die von den Verantwortlichen der Citizen Development-Initiative angeboten werden. Während einige Teams lediglich technischen Support bereitstellen (z. B. AUTO2, MANU3), setzen andere verstärkt auf interne Beratungsdienstleistungen (z. B. ENERGY1, ENERGY4, TELE1) und manche sogar auf die professionelle Entwicklung digitaler Lösungen nach der Spezifizierung der Anforderungen durch den anfragenden Fachbereich (z. B. MANU1). Zusätzlich stellen Unternehmen erste Überlegungen zur Erweiterung des LC/NC-Plattformportfolios an, um bspw. eine breitere Palette von Anwendungsfällen abzudecken (I9, I18) oder um spezifische Anforderungen unterschiedlicher Fachbereiche zu erfüllen (I7, I11).

4.2.3 Dritte Phase: Digitale Durchdringung

Das Citizen Developer Programm ist Teil der Digitalisierungsstrategie und auf der Agenda des Top-Management. Es ist intern etabliert und wird durch einen strukturierten Rahmen geregelt. Insbesondere die Teilnahme an strukturierten Onboardings und dem Trainingscurriculum ist empfohlen oder sogar verpflichtend. Zudem wird in dieser Phase die Bedeutung von plattformunabhängigen Schulungen und Weiterbildungen hervorgehoben, um sicherzustellen, dass alle Mitarbeiter über die notwendigen Fähigkeiten und Kenntnisse verfügen, um als Citizen Developer erfolgreich zu sein. Dies beinhaltet weit mehr als nur technische Fähigkeiten und ein „Grundverständnis von IT“ (I11), einschließlich agiler Praktiken und Prinzipien (I9), sondern erstreckt sich auch auf das Wissen über Datenstrukturen, kreatives Denken und unternehmerisches Handeln (I6, I7, I8, I18), sowie auf ausgeprägte Problemlösungskompetenzen (I5).

Um die Zusammenarbeit zwischen der zentralen IT und den Citizen Developern zu verbessern, werden außerdem neue Strukturen und Prozesse erprobt. Hierzu gehören bspw. intermediäre Business-IT Strukturen wie „Digital Enablers“ (I7) und „Digital Ambassadors“ (I11) sowie kollaborative Entwicklungsansätze (I5, I7), teilweise auch als „Fusion Development“ (I6, I10) bezeichnet. Der kontinuierliche Austausch und das Feedback der Fachbereiche helfen außerdem den Verantwortlichen der Citizen Development-Initiative zu lernen und ihre strategische Ausrichtung zu verbessern. Um dem Innovation-Kontrolle-Dilemma entgegenzuwirken, werden in dieser Phase außerdem oft die bestehenden Governance-Konzepte überarbeitet und weiterentwickelt. So berichtet ein Unternehmen gar von einer Lockerung, da die Citizen Developer zunehmend versierter und erfahrener werden (I11): „Natürlich entwickelt sich so eine Citizen Development-Strategie weiter. (…) Gerade, weil das Wissen im Business auch gestiegen ist. Also da ist definitiv eine Veränderung über die Zeit und dann halt auch eine, ich würde mal sagen, Professionalisierung der Quality und Data Privacy Standards (…)“.

Herausfordernd für viele Verantwortliche in dieser Phase sind die Managementfragen nach erweiterten Kennzahlen und dem Return on Investment (ROI). Zudem werden die Überlegungen zur Erweiterung des LC/NC-Plattformportfolios intensiviert. Besonders in größeren Unternehmen beginnen in dieser Phase die einzelnen Fachbereiche, eigene Strukturen, Verantwortlichkeiten und Richtlinien zu entwickeln, die auf den zentralen Vorgaben aufbauen. Ziel ist es, Citizen Developer gezielter anzusprechen und sie besser auf die spezifischen Anforderungen ihres jeweiligen Fachbereichs vorzubereiten. Beispielsweise verfolgen in MANU1 einige Fachbereiche selbstständig ihre individuelle und bereichsspezifische Implementierung von Citizen Development, während andere Fachbereiche sich auf die zentrale Strategie der IT-Abteilung stützen. Ein Citizen Development Verantwortlicher eines Fachbereichs (I16) beschreibt die Erfolgsfaktoren der eigenen Initiative folgendermaßen: „Was uns wirklich erfolgreich gemacht hat, war es einen Single Point of Entry zu haben. Eine Startseite, wo du alles rund um Citizen Development findest. Viele haben immer darüber gesprochen, aber wie das tatsächlich ist, wie die Prozesse sind, was für Plattformen das beinhaltet und wer eigentlich für was verantwortlich ist, wurde nie irgendwo kommuniziert. (…) Was ist überhaupt Citizen Development? Was sind die Vor- und Nachteile, wenn ich als Citizen Developer beginnen möchte? Wie ist der Prozess? Wen muss ich involvieren? Wie ist das kostentechnisch? Wer kann mich beraten?“. Der Fachbereich stellt dafür eigene Ansprechpartner bereit, um in erster Instanz konzeptionell-technisch beraten zu können. In ähnlicher Weise illustriert ein Product Owner für Citizen Development (I8) ein „Playbook“, das von den Fachbereichen genutzt werden kann. Dabei handelt es sich um einen Leitfaden mit Good Practices, Lehrinhalten und Vorlagen, entwickelt zur Unterstützung des globalen Rollouts von Citizen Development. Es ermöglicht lokalen Teams, eigenständig und flexibel zu agieren, während sie sich an zentrale Standards halten, um das Programm weltweit zu skalieren.

4.2.4 Vierte Phase: Citizen Development als integraler BestandteilFootnote 5

In der idealen Ausprägung dieser Phase wird jeder Mitarbeiter zu einem potenziellen Citizen Developer. Citizen Development ist nicht nur eine Praxis oder ein Werkzeug, sondern ein wesentlicher Bestandteil der Art und Weise, wie das Unternehmen digitale Innovationen vorantreibt. Es ist tief in der digitalen DNA und der Kultur des Unternehmens verankert. Die Nutzung von LC/NC-Plattformen wird zunehmend zu einer Grundkompetenz, vergleichbar damit, wie heute von vielen Mitarbeitern erwartet wird, dass sie versiert im Umgang mit Microsoft Excel sind. Ein LC/NC-Verantwortlicher (I9) beschreibt es so: „Unser Ansatz ist, dass LC/NC-Technologien so selbstverständlich wie Word, PowerPoint und Excel wahrgenommen werden. Wir möchten, dass sie zur Gewohnheit werden, anstatt Teams einzusetzen, die diese Plattformen den Leuten aufzwingen. Wir möchten uns nicht mit dieser Art von Change-Management auseinandersetzen, sondern streben einen echten kulturellen Wandel an.“

Zusätzlich wird die Governance über Citizen Development selbst zunehmend automatisiert. So berichten einige Unternehmen von Ansätzen für (teil-)automatisierte Compliance Checks (I8, I20). Während Plattformanbieter einerseits selbst zunehmend umfangreichere Governance-Funktionen anbieten, erarbeiten Unternehmen auf der anderen Seiten auch selbst eigene Ansätze zur Automation der Governance (Davenport et al. 2023). Ein Experte (I8) beschreibt bspw. einen integrierten Ansatz, der die beiden LC/NC-Plattformen UiPath und Microsoft Power Plattform kombiniert. Dabei werden die von Citizen Developern erstellten Anwendungen automatisch geöffnet, geprüft und basierend auf festgelegten Kriterien validiert. Darüber hinaus wird vermehrt der positive Einfluss von Generativer KI beschrieben (I7, I8, I9, I14, I19, I21).

Die Qualifizierung von Citizen Developern stellt eine zentrale Herausforderung in dieser Phase dar. Es ist von entscheidender Bedeutung, dass alle Mitarbeitenden die erforderlichen Fähigkeiten und Kenntnisse besitzen, um Citizen Development-Projekte erfolgreich umzusetzen. An dieser Stelle wird die Rolle einer angepassten HR-Strategie besonders wichtig: Sie sollte nicht nur auf die Förderung der Qualifikationen abzielen, sondern auch darauf, attraktive Karrierewege und Entwicklungsperspektiven für Citizen Developer zu schaffen.

Citizen Developer erhöhen kontinuierlich ihr IT-Wissen und positionieren sich damit optimal auf dem Arbeitsmarkt, was die Frage aufwirft, wie Unternehmen neue Karrierewege eröffnen können (I2, I7, I10). Ein Befragter (I10) betont die Wichtigkeit eines Umdenkens in der Personalpolitik angesichts von Citizen Development und merkt an: „Wie sehen eigentlich Karrierepfade aus? Da habe ich jemanden im Fachbereich sitzen, der auf einmal krasses IT-Wissen hat und für den die Fachkarriere eigentlich nicht mehr im Fachbereich weitergehen müsste, sondern in der heutigen IT-Abteilung. Derjenige sagt aber vielleicht: Nein, mein Zuhause ist im Fachbereich. Also was bedeutet es [Citizen Development] eigentlich für HR, Karrierepfade und Weiterentwicklungsmöglichkeiten? Das wirkt sich auch auf das Thema IT-Strategie und Roadmap aus.

5 Diskussion und Handlungsempfehlungen

Obwohl der Begriff „Citizen Development“ schon 2009 von Gartner geprägt wurde (Davenport 2023), nahm das Konzept erst mit der zunehmenden Verbreitung moderner LC/NC-Plattformen in den letzten Jahren deutlich an Fahrt auf (Binzer und Winkler 2022). Der vorliegende Beitrag erweitert die Forschung zu Citizen Development durch die Identifizierung von fünf Haupttreibern, die auch in der LC/NC-Literatur häufig ähnlich diskutiert werden (Käss et al. 2022, 2023; Elshan et al. 2023): (1) Förderung der digitalen Kompetenzen der Mitarbeiter, (2) Nutzung bereits vorhandener IT-Tools und Lizenzen, (3) Schaffung eines sicheren Raums für Fachbereiche, (4) Bereitstellung einer modernen Arbeitsumgebung, und (5) Steigerung der Agilität und Flexibilität der Fachbereiche.

Unsere Ergebnisse zeigen außerdem, dass Citizen Development-Programme in der Regel vier Phasen durchlaufen, in denen Unternehmen spezifische Herausforderungen bewältigen müssen. Die alleinige technische Bereitstellung von LC/NC-Plattformen ist dabei nicht ausreichend. Vielmehr ist es entscheidend, dass Unternehmen die zentralen Elemente des Citizen Development einbeziehen: Marketing und Community Management, Onboarding und Training, und eine passende Governance. Verantwortliche müssen diese Kernaspekte kontinuierlich in allen vier Phasen einer Citizen Development-Initiative berücksichtigen: (1) Konzeption und Planung, (2) Standardisierung, (3) digitale Durchdringung, sowie (4) Verankerung als integraler Unternehmensbestandteil. Darüber hinaus offenbart unsere Studie, dass das Potenzial von Citizen Development teilweise bereits in Unternehmen vorhanden ist, die vermeintlichen Risiken und Herausforderungen einige Verantwortliche jedoch zögern lassen. Insbesondere den „richtigen“ Governance-Ansatz auszuwählen, gestaltet sich als herausfordernd. Sowohl eine zu restriktive ebenso wie eine Laissez-faire Governance-Strategie erscheinen ungeeignet (Elliott und Paul 2024; Hoogsteen und Borgman 2022). Stattdessen sollten Unternehmen einen ausgewogenen Mittelweg finden, der einerseits Innovationen fördert und andererseits die Einhaltung von Vorschriften sowie Compliance sicherstellt.

Im Weiteren präsentieren wir zusätzliche Beobachtungen, die über die Kernergebnisse unserer Studie hinausgehen und weitere Perspektiven eröffnen. Erstens, während Low-Code-Plattformen häufig von professionellen Entwicklern eingesetzt werden (Novales und Mancha 2023), zielt der Citizen Developer-Ansatz speziell auf Endnutzer in den verschiedenen Fachbereichen ab. Die Annahme, dass moderne LC/NC-Umgebungen automatisch für Citizen Developer geeignet sind, erweist sich bei genauerer Betrachtung als fragwürdig (Sorrentino 2024; Novales und Mancha 2023). Vielmehr ist eine differenzierte Betrachtung von Professional LC/NC (Nutzung durch IT-Profis) und Amateur LC/NC (Nutzung durch Nutzer von Fachabteilungen) wichtig, um den jeweiligen Anforderungen und Kenntnisständen gerecht zu werden. In diesem Kontext wichtig anzumerken sind auch die unterschiedlichen Auffassungen von Low-Code, No-Code und Citizen Development, die ebenfalls in früheren Studien berichtet wurden (Prinz et al. 2023). Zudem fiel vermehrt die Verbindung zu Robotic Process Automation (RPA) auf, ein Aspekt, der bisher nur wenig Beachtung in der Forschung zu LC/NC und Citizen Development fand (Lebens et al. 2021; Binzer und Winkler 2023). Dies unterstreicht die Notwendigkeit einer präziseren Abgrenzung der Konzepte, die in zukünftigen Forschungen untersucht werden könnten. In diesem Kontext bietet es sich auch an, das Thema Hyperautomation zu beleuchten, das die Integration und Orchestrierung verschiedener Technologien wie RPA, Künstliche Intelligenz und Maschinelles Lernen in einem ganzheitlichen Automatisierungsansatz hervorhebt (Herrmann et al. 2021).

Zweitens, besonders im Kontext von Multi-Plattform-Strategien sind steigende Lizenzkosten ein wichtiges Thema (I6, I13, I20). Diese Entwicklung hat bei einigen Verantwortlichen zu einem Umdenken geführt. Die ursprüngliche Idee eines „Zugriffs für alle“ weicht zunehmend der Überlegung, Zugriffe zu beschränken, und tendiert eher zu einem Modell des „Zugriffs nach Freischaltung“. Zukünftige Forschung sollte daher die Entwicklung von Citizen Development im Zeitverlauf untersuchen, um die Faktoren zu verstehen, die eine derartige Strategie über die Zeit beeinflussen. In diesem Kontext gewinnt auch der Aspekt der Personalpolitik an Bedeutung, insbesondere wie Unternehmen es bewerkstelligen, Citizen Developer auszubilden und langfristig an sich zu binden. Bislang ist unklar, ob und wie Karrierepfade für Citizen Developer aussehen können. Unsere Interviews (I7, I9, I10) und die bisherige Forschung (Novales und Mancha 2023) deuten allerdings darauf hin, dass viele Citizen Developer im weiteren Verlauf ihrer Karriere in IT-Funktionen wechseln.

Drittens, Citizen Development-Initiativen sollten über plattformspezifisches Training hinausgehen. Viele der befragten Unternehmen sehen in Citizen Development ein Mittel zur Erreichung einer digital-affinen Unternehmenskultur, bei dem alle Mitarbeiter in digitalen Kompetenzen geschult werden und die Anwendung von LC/NC zur Selbstverständlichkeit wird. Der massive Trend der Nutzung von generativer KI wird die Entwicklung von Software mithilfe von LC/NC-Plattformen verändern und voraussichtlich weiter beschleunigen (McKendrick 2024; Bruhin et al. 2024). Es könnte daher interessant sein, zu untersuchen, inwieweit Citizen Developer durch die Integration generativer KI profitieren können, sowie ob und in welchem Ausmaß tatsächliche Nutzen, wie bspw. Effizienzsteigerungen, besser realisiert werden können.

Unsere Studie ist nicht frei von Einschränkungen. Deshalb möchten wir auf drei wesentliche Limitationen unserer Studie hinweisen. Erstens, als Interviewstudie unterliegt sie gewissen Beschränkungen, darunter die subjektiven Sichtweisen der interviewten Personen. Zweitens, die Entwicklung und Charakterisierung der vier Phasen sind explorativer Natur und wurden primär vom Erstautor erstellt. Drittens, bei den befragten Unternehmen handelt es sich überwiegend um große multinationale Konzerne, deren IT-Abteilungen entweder zentralisiert oder in Form von Shared Services organisiert sind (Winkler und Brown 2014). Zukünftige Studien könnten sich daher den geografischen und kulturellen Nuancen im Kontext von Citizen Development widmen oder branchenspezifische Unterschiede in der Umsetzung und Wahrnehmung von Citizen Development-Initiativen beleuchten.

Abschließend präsentieren wir sechs Handlungsempfehlungen, die den unterschiedlichen Phasen zugeordnet sind. Es ist jedoch wichtig zu beachten, dass die Empfehlungen ggf. auch in anderen Phasen relevant sein können.

5.1 Phase 1: Vorhandene IT-Landschaft überprüfen

„Mehr ist nicht immer besser“ – diese Weisheit gilt auch für die Auswahl und Nutzung von LC/NC-Plattformen. Unternehmen sollten zunächst sorgfältig überprüfen, ob in ihrer bestehenden IT-Landschaft bereits Technologien mit LC/NC-Funktionen vorhanden sind. Oft verbirgt sich in bestehenden Systemen ein ungenutztes Potenzial, das für Citizen Development genutzt werden kann. Gleichzeitig ist es jedoch ebenso entscheidend, den Markt zu beobachten und offen für neue Plattformen zu sein. Der technologische Fortschritt schreitet schnell voran, und bietet womöglich Plattformen, die besser auf die spezifischen Bedürfnisse des Unternehmens zugeschnitten sind oder fortschrittlichere Funktionen beinhaltet (z. B. branchenspezifische Spezialisierungen oder Anwendungsfälle).

Empfehlung 1: Unternehmen sollten ein möglicherweise verborgenes Potenzial für Citizen Development in ihrer vorhandenen IT-Landschaft erkunden und nutzen.

Auf der anderen Seite sind einige LC/NC-Plattformen in ihren Funktionen sehr ähnlich. Verfügen Unternehmen bereits über mehrere ähnliche Plattformen, empfiehlt sich eine Analyse, um die am besten geeigneten Plattformen auszuwählen (z. B. hinsichtlich Benutzerfreundlichkeit oder Kompatibilität mit bestehenden Systemen). Ein Beispiel hierfür ist ENERGY4, wo die IT-Abteilung ursprünglich, neben einer zentralen IT für wichtige unternehmensweite Systeme, dezentral organisiert war. Die dezentrale Organisation der IT-Entscheidungsrechte führte zur Einführung einer Vielzahl ähnlicher LC/NC-Plattformen. Mit der Umstellung auf ein Shared-Services-Modell (Winkler und Brown 2014) und der Einführung von Citizen Development zur Steigerung der Akzeptanz bei den Stakeholdern ging eine Konsolidierung der vorhandenen IT-Architektur einher. Dieser Schritt ermöglichte eine effizientere und zielgerichtetere Nutzung von LC/NC-Plattformen im Unternehmen.

Empfehlung 2: Angesichts der Ähnlichkeit vieler LC/NC-Plattformen sollte eine Multi-Plattform-Strategie wohl überlegt sein. Es kann ratsam sein, ähnliche Technologien innerhalb der bestehenden IT-Landschaft zu konsolidieren.

5.2 Phase 2: Citizen Development als Brücke für eine bessere Partnerschaft zwischen IT-Abteilung und Fachbereichen

Unsere Daten zeigen, dass Fachbereiche oft nur auf die Möglichkeit warten, mehr Freiheit und Flexibilität in ihren IT-Prozessen zu haben. Citizen Development bietet eine Gelegenheit, die oft bestehende Kluft zwischen IT-Abteilung und Fachbereichen zu überbrücken. Anstatt die IT-Abteilung als den alleinigen Entwickler und Verwalter von digitalen Lösungen zu sehen, ermöglicht Citizen Development den Fachbereichen, aktiv an der digitalen Transformation teilzunehmen. Heutige LC/NC-Plattformen bieten Werkzeuge, um diesen Wunsch zu erfüllen. Dies wurde in unserer Studie mehrfach betont und durch das hohe Engagement und Interesse potenzieller Citizen Developer in den befragten Unternehmen untermauert. Die Einführung von Citizen Development führte häufig zu einem positiveren Image der IT und einer verbesserten Zusammenarbeit.

Empfehlung 3: Unternehmen sollten das hohe Interesse der Fachbereiche nicht unterschätzen und Citizen Development gezielt durch proaktive, offene Kommunikation und effektives Erwartungsmanagement fördern.

Eine zentrale Herausforderung in vielen Unternehmen ist das Ausbalancieren von Innovation und Kontrolle. Ziel ist es, eine möglichst unauffällige und einfache Governance zu etablieren, was jedoch nur wenige erreichten. Idealerweise sollen Citizen Developer kaum merken, dass sie innerhalb eines bestimmten Rahmens agieren. Governance-Richtlinien fungieren dabei als „Leitplanken“, die die von Citizen Developern entwickelten Lösungen kategorisieren und dabei sowohl die Dokumentation als auch den fortlaufenden Support gewährleisten sollen. Zur Umsetzung dieser Richtlinien wurden oft Kritikalitätsstufen definiert, wie sie bspw. auch Shell umgesetzt hat (Carroll und Maher 2023). Bei wenig komplexen Lösungen, die hauptsächlich für den persönlichen Gebrauch bestimmt sind, wurde meist ein Self-Service-Ansatz verfolgt. Komplexere Projekte, die für mehrere Nutzer gedacht waren, mussten hingegen einer Überprüfung durch die IT-Abteilung (Review-Ansatz) unterzogen werden.

Empfehlung 4: Unternehmen sollten verschiedene Governance-Ansätze kombinieren, um Innovation zu fördern und gleichzeitig die Qualität und Sicherheit von Citizen Developer-Projekten zu gewährleisten.

Gleichzeitig zeigen unsere Daten, dass LC/NC-Plattformen nicht notwendigerweise einen geringen Aufwand bedeuten. Daher ist es wichtig, ausreichende Schulungsangebote bereitzustellen, sowie neue Wege zu erkunden, um die Zusammenarbeit zu verbessern. Ein möglicher Ansatz im Kontext von Citizen Development könnte das kollaborative Entwickeln von digitalen Lösungen sein, bei dem Citizen Developer beispielsweise das User-Interface gestalten, während komplexere technische Aspekte wie Datenbankanbindungen oder Schnittstellenverbindungen von professionellen Entwicklern übernommen werden. Ähnliche Ansätze wurden in einigen Unternehmen beobachtet, wobei in einem Fall sogar konkret von einer 70-30- bzw. 80-20-RegelungFootnote 6 berichtet wurde (I8).

Empfehlung 5: Unternehmen sollten prüfen, wie eine Zusammenarbeit zwischen IT und Fachbereichen bei der Entwicklung digitaler Lösungen mittels LC/NC-Plattformen effektiv gestaltet und umgesetzt werden kann.

5.3 Phase 3: Daten als Grundlage für effektives Citizen Development

Im Rahmen von Citizen Development spielt das Verständnis sowie die Verfügbarkeit und Qualität von Daten eine entscheidende Rolle. Grundlage jeder digitalen Lösung sind solide Datenkonzepte, die die Strukturierung, Speicherung und den Abruf von Daten umfassen. Unternehmen sollten daher zunehmend Wert auf spezielle Schulungen zu Datenkonzepten legen, die sowohl technische Fähigkeiten als auch das Bewusstsein für Datenschutz und ethische Richtlinien vermitteln (I6, I7, I8, I9, I11, I18, I19, I21). Eine Product Ownerin (I6) berichtet in diesem Zusammenhang: „[Wichtig ist], dass wir eben Datenkonzepte erklären. (…) [Vieles] könnte man nachhaltiger bauen. (…) Und bitte nicht Excel missbrauchen. Die Fachbereiche sollen sich darin [Datenkonzepte] wohlfühlen und auskennen. (…) Auch die Hackathons hatten wir speziell auf Daten ausgelegt: Tabellen und [Microsoft] Dataverse. (…) Man durfte keine App mit SharePoint bauen. Da haben wir auch das Feedback bekommen, dass sie [Citizen Developer] gar nicht wussten, dass Datenbanken so cool und so leicht sind. Die [Citizen Developer] haben sich das immer viel komplexer vorgestellt.

Datenqualität (Genauigkeit, Aktualität und Vollständigkeit) ist in diesem Kontext ebenfalls ein kritischer Faktor. Regelmäßige Datenüberprüfungen und -aktualisierungen sowie Prozesse zur Datenpflege und -bereinigung sind unerlässlich, um Citizen Developern zuverlässigen und relevanten Datenzugriff zu ermöglichen. Ebenso entscheidend ist der unkomplizierte und sichere Zugang zu den benötigten Daten, der ein durchdachtes Zugriffs- und Berechtigungskonzept erfordert.

Empfehlung 6: Unternehmen sollten die Bedeutung von Daten für Citizen Development erkennen und neben plattformspezifischen Trainings auch Schulungen zu Datenkonzepten anbieten, um Citizen Development erfolgreich in ihre Digitalstrategie zu integrieren.

6 Fazit

Fortschrittliche LC/NC-Plattformen bieten Unternehmen aller Branchen die Möglichkeit, die IT-Demokratisierung voranzutreiben. Die Vision der IT für Jedermann (Gregory et al. 2018) wird zunehmend greifbarer, und Citizen Development ist ein wesentlicher Bestandteil dieser Entwicklung. Ziel unserer Studie war es, die Praxis von Citizen Development besser zu verstehen. Zu diesem Zweck haben wir 21 Interviews mit Vertretern aus 16 Unternehmen durchgeführt, die eine Citizen Development-Initiative implementiert haben, um die Beweggründe und die verschiedenen Phasen der Umsetzung zu erforschen. Als Ergebnis präsentieren und erläutern wir fünf Treiber, die die Einführung von Citizen Development vorantreiben, sowie vier zentrale Phasen, die eine Citizen Development-Initiative durchläuft: (1) Konzeption und Planung, (2) Standardisierung, (3) digitale Durchdringung, und (4) die Verankerung als integraler Unternehmensbestandteil. Zusätzlich beleuchten wir die zentralen Herausforderungen, die Unternehmen in den jeweiligen Phasen bewältigen müssen, um erfolgreich zu sein. Mit unserer Arbeit bereichern wir den wissenschaftlichen Diskurs, der bislang nur eine begrenzte Anzahl von Studien zu unternehmensweiten Einblicken in Citizen Development aufweist. Unsere sechs Handlungsempfehlungen bieten Praktikern zusätzlich Einblicke in Ansätze, mit denen sie ihre eigenen Strategien wirkungsvoller gestalten und die nutzenstiftenden Potenziale, die die Demokratisierung der Softwareentwicklung mit sich bringt, voll ausschöpfen können.