1 Markteintritt von Software-Startups über eine Community

Vor allem im US-amerikanischen Raum lässt sich großes Interesse am Ansatz Community-Led Growth beobachten. Umfragedaten des Community-Led Growth Reports 2022 zeigen, dass immer mehr Unternehmen Community-Teams aufbauen. Dabei war der Zuwachs in der Kategorie der frühphasigen Unternehmen am größten: Hatten im Jahr 2020 nur 41 % aller Unternehmen eine Community, waren es im Jahr 2022 bereits 79 % (Angel und Buick 2022). Besonders attraktiv machen den Ansatz direkte positive Effekte auf die Gewinn- und Verlustrechnung, indem Werbeaktionen und Marketingausgaben durch organisches Wachstum, z. B. nutzergenerierte Inhalte, substituiert werden. Zudem können durch eine agile und interdisziplinäre Zusammenarbeit von Abteilungen Marketing- und Personalkosten verringert werden. Weiterhin kann es gelingen, sogenannte Hero Products in Communities stark zu promoten und dadurch Umsatzwachstum und Wettbewerbsvorteile zu generieren (Ahuja et al. 2022).

B2B-Software-as-a-Service-Unternehmen, auch als B2B-SaaS bezeichnet, sind ein stark wachsender Markt innerhalb der Softwarebranche. Die hohe Relevanz dieses Marktes zeigt sich in seinem Wachstum: In Europa wurde im Jahr 2021 durch den Börsengang von 27 B2B-Software-Startups eine Marktkapitalisierung von mehr als 225 Mrd. € erreicht (Ohr 2022). Für einen erfolgreichen Markteintritt müssen Startups jedoch unterschiedliche Herausforderungen meistern. Laut dem deutschen Gründungsmonitor 2022 ist die Kundenakquise auch im dritten Jahr in Folge die größte Herausforderung für 66 % aller Gründungen in Deutschland (Kollmann et al. 2022). Hauptgrund hierfür ist, dass Startups beim Markteintritt Kunden für ein noch unausgereiftes Produkt gewinnen müssen. Oftmals fokussieren sich Startups zu Beginn jedoch stark auf die Produktentwicklung und Vertriebsaktivitäten finden nebenher und ohne relevante Vertriebserfahrung statt. Die Entrepreneurship-Forschung bestätigt, dass schnelles und nachhaltiges Wachstum für Startups von entscheidender Bedeutung ist: Hohe Wachstumsraten sind für Investoren die wichtigste Messgröße, um zu entscheiden, ob sich eine (weitere) Investition in das Startup lohnt (Giardino et al. 2015). Dieser Druck ist bei Software- und Technologiestartups besonders hoch, da Investoren hohe Renditen durch schnell skalierbare und kosteneffiziente Geschäftsmodelle erwarten (Poon und Joseph 2000; Bajwa et al. 2017).

Das Software-Unternehmen Alteryx hat eine Community gelauncht, die es Anwendern ermöglicht, sich in den Bereichen Analytics und Data Science weiterzubilden, Anwendungsfälle und Ergebnisse mit Gleichgesinnten auszutauschen und eine umfangreiche Wissensbasis aufzubauen. Mit Einführung dieser Community ist es Alteryx im Pandemiejahr 2020 gelungen, die Anzahl registrierter Nutzer um 62 % und das Nutzerengagement um 50 % zu steigern. Zusätzlich konnten durch die Integration von kontinuierlichem Kundenfeedback aus der Community 130 Produktideen umgesetzt werden (Alteryx 2021). Das Beispiel macht deutlich, dass die Einführung einer Community für Unternehmen in vielen Bereichen wie z. B. erfolgreiche Innovationen, neue Geschäftsmöglichkeiten, Kostensenkungen und einen erweiterten Kundenstamm Vorteile bringen kann (Fisher, 2019; Ind et al. 2013; Park et al. 2019). Für Startups kann insbesondere eine Senkung der Markteintrittsbarrieren durch regelmäßige Test- und Feedbackphasen einer eigenen Community zu neuen, erklärungsbedürftigen (Software‑) Produkten spannend sein. Weiterhin können vor allem Startups in einem frühen Stadium durch Thought Leadership ihrer Gründern Vertrauen und Glaubwürdigkeit innerhalb der Branchen-Community aufbauen. Dadurch wird der Bekanntheitsgrad gesteigert und Zugang zu potenziellen Kunden, Investoren, Mitarbeitenden oder sonstigen Förderern der neuen Geschäftsidee innerhalb der Zielgruppe geschaffen (Neuhaus et al. 2022).

Dies zeigt, dass der Aufbau einer eigenen Community auch im B2B-Umfeld viele Vorteile für Software-Startups mit sich bringt. Bislang wenig diskutiert ist jedoch die Frage, wie und in welchem Ausmaß Software-Startups mithilfe eines Community-basierten Ansatzes die oben genannten Herausforderungen erfolgreich adressieren können. Wie kann es Software-Startups gelingen, während des Markteintritts ungenutzte Potenziale einer Community zu entfalten und mit möglichst geringem Ressourceneinsatz schnelles und nachhaltiges Wachstum von der Umsatzsteigerung bis hin zur Profitabilität zu generieren? Der nachfolgende Artikel ordnet den Ansatz Community-Led Growth zunächst in aktuellen Forschungsstand ein. Ferner wird aufgezeigt, warum der Ansatz zunehmend an Relevanz im Kontext der Entrepreneurship- und Marketingforschung gewinnt und insbesondere für Software-Startups und deren Markteintritt erfolgsversprechend sein kann. Ein Vergleich von aktuellen Community-Modellen aus der Praxis ermöglicht eine erste Formulierung von Handlungsempfehlungen für den Aufbau einer Community für Software-Startups. Die Beantwortung der Forschungsfrage gelingt durch ein konzeptioniertes Pyramidenmodell. Final wird weiterer Forschungsbedarf abgeleitet.

2 Theoretischer Kontext von Community-Led Growth

2.1 Definition und Typisierung einer Community

Erste Definitionsversuche einer Community unterscheiden zwischen dem geografischen Begriff Gemeinschaft im Sinne gemeinschaftlicher Solidarität des vorindustriellen Dorflebens und dem relationalen Begriff Gesellschaft im Sinne instrumenteller Beziehungen zur Verfolgung individueller Ziele (Gusfield 1975; Townley et al. 2011). Davon ausgehend beziehen sich McMillan und Chavis (1986) auf den psychologischen Sinn der Gemeinschaft, die ein Gefühl der Zugehörigkeit vermittelt, in der sich Mitglieder füreinander einsetzen und dadurch Bedürfnisse erfüllen. Darüber hinaus beschreiben die synonym verwendbaren Konzepte Community Building und Community Development die Auffassung, dass eine Gemeinschaft entwickelt wird, mit der es gelingt, soziale Gerechtigkeit und das Wohlbefinden aller Menschen herzustellen (Lazarus et al. 2016; Nowell und Boyd 2010; Townley et al. 2011; Weil 1996; Yuanzhu 2008). Oben dargelegte Konzepte zeigen, dass eine Community per se kein neues Phänomen, sondern auf das menschliche Bedürfnis zu einer Gruppe zu gehören und sich mit dieser austauschen zu wollen, zurückzuführen ist (Block 2008). Jedes Individuum kann somit gleichzeitig Mitglied in mehreren Communities sein wie z. B. Sportverein, Facebook-Gruppe, Startup Gründungspool usw. Dabei ist irrelevant, woher die Mitglieder einer Community kommen, solange sie sich mit einem gemeinsamen Ziel oder Interesse identifizieren (Sunderbrink 2023). Es existieren verschiede Ansätze, Communities zu kategorisieren. Vorliegend werden basierend auf dem SPACES-Modell sechs verschiedene Community-Typen (s. Tab. 1) mit Messgrößen und Beispielen gegenübergestellt:

Tab. 1 Übersicht von Community-Typen (Quelle: Spinks 2021)
Tab. 2 Fragenkatalog zum Aufbau einer Minium Viable Community (Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Pfortmüller et al. 2017)

2.2 Value Co-Creation zwischen Startup und Community

Eine Antwort auf die Frage, welchen Wert eine Community für Unternehmen generieren kann, liefert zum einen das soziologische Konzept Soziales Kapital (engl. social capital). Hierbei wird in erster Linie davon ausgegangen, dass der Wert aus Verbindungen innerhalb und zwischen sozialen Netzwerken geschaffen wird (Jacobs 1961; Loury 1976). Coleman (1988) sieht den Wert in Ressourcen, die durch menschliche Beziehungen gewonnen werden können. Lee et al. (2014) erkennen durch den Austausch von Informationen einen sozialen, Erfahrungs‑, Informations-, und Transaktionswert. Dabei spielen die Übernahme von Verantwortung (ownership) für Projekte und das proaktive Mitwirken als community buy-in eine essenzielle Rolle für den Erfolg von community-gesteuerten Projekten. Poulsen et al. (2014) beschreiben eine konzeptionelle Dichotomie zwischen community participation und community acceptance. Bei Ersterer erwarten Mitglieder einer Community durch ihre Partizipation einer kollaborativen Anstrengung einen Nutzen für ihren Einsatz und sehen die Projektverantwortung extern vorgegeben. Zweitere impliziert eine eher passive Zustimmungshaltung.

Zum anderen kann die Wertschöpfung aus der Kollaboration zwischen Unternehmen und Community in den theoretischen Kontext der Value Co-Creation eingeordnet werden. Fortfolgend wird hierzu im nächsten Abschnitt eine Definition des Begriffs Value Co-Creation unternommen. Indem Verbraucher durch vernetzte Interaktionen zwischen Unternehmen und Verbrauchern in die Entwicklungsprozesse eingebunden werden, ist das kooperative Phänomen des Co-Creation-Prozess entstanden, das eine Verlagerung des Denkens vom Unternehmen als Wertschöpfer zum partizipativen Kunden widerspiegelt (Frasquet-Deltoro et al. 2019; Ind und Coates 2013). Weiterhin werden unterschiedliche Sichtweisen aufgezeigt, um ein umfassenderes Verständnis der Value Co-Creation aufzuzeigen. Erstmals wird das Konzept innerhalb der Managementliteratur von Prahalad und Ramaswamy (59,60,a, b) erwähnt. Wissenschaftler nähern sich der Co-Creation aus einer dienstleistungs-wissenschaftlichen Perspektive im Rahmen der Dienstleistungstheorie, der Innovationsforschung (Galvagno und Dalli 2014; Saarijärvi et al. 2013), des Many-to-Many-Marketings, des postmodernen Marketings (Saarijärvi et al. 2013) und der Theorie der Konsumkultur. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Co-Creation als Motor für (1) Unternehmensinnovationen, (2) die Entwicklung neuer Produkte und Dienstleistungen, (3) die Erfahrungen von Verbrauchern in Co-Creation-Prozessen und (4) die Erfahrungen von Verbrauchern mit Marken besonders hervorgehoben werden und damit als Grundstein für Marktbeziehungen dient (Alves et al. 2016). Za et al. (2020) greifen in ihrer Literaturanalyse den Aspekt der Value Co-Creation in Verbindung mit Online-Communities auf und identifizieren sowohl Determinanten der Teilnahme und des Beitrags zu Communities und Netzwerken als auch Prozesse der gemeinsamen Wertschöpfung durch Netzwerkinteraktion und Ressourcenaustausch als Hauptströme innerhalb des neuen Forschungsgebiets auf. Dennoch ist nach wie vor unklar, wie die verschiedenen Akteure zur Wertschöpfung beitragen (Bugshan 2015; Faraj et al. 2016; Ind et al. 2013; Singaraju et al. 2016), da sich bisherige Studien in der Literatur entweder auf die Perspektive des Unternehmens oder des Individuums konzentrieren und andere Faktoren vernachlässigen (Monteiro 2018; Suseno et al. 2018). Genau an dieser Stelle setzt der vorliegende Artikel an und konzeptioniert, wie und in welchem Ausmaß ein Community-basierter Ansatz zur Value Co-Creation während des Markteintritts in Software-Startups beitragen kann.

Dieser Artikel fokussiert sich dazu im Folgenden auf den Zusammenhang zwischen einer Community und den Bereich Marketing und Vertrieb in einer Organisation. Thaichon et al. (2018) identifizieren den Wert von Beziehungen zwischen Käufern, Vertrieb und Organisation als gemeinsames Kernelement fünf theoretischer Vertriebskonzepte, die maßgeblich für den Wandel der Vertriebsstrukturen über die letzten Jahrzehnte sind. Thaichon et al. (2018) erstellen ein hybrides Vertriebsmodell, das den Kunden ins Zentrum aller Vertriebsaktivitäten stellt und insbesondere Online-Kanäle und technologischen Fortschritt in die gemeinsame Wertschöpfung miteinbezieht. Sie integrieren den Verlauf der Wertschöpfung und des Informationsaustausches und machen deutlich, dass auch innerhalb des Vertriebes ein soziales Netzwerk entsteht und Ressourcen im Rahmen der übergreifenden Zusammenarbeit gemeinsam genutzt werden können. Hervorzuheben sind in diesem Kontext die Social Exchange und Social-Network-Theorie. Die Social Exchange Theorie konzentriert sich auf den Aufbau einer starken Kundenbeziehung und stellt dabei den aktiven Austausch zwischen Kunden und Unternehmen ins Zentrum (Czepiel 1990), wodurch die Entscheidungsunsicherheit gegenüber dem Kauf reduziert werden kann (Hakansson und Ostberg 1975). Innerhalb der Social-Network-Theorie wird die Entwicklung eines integrierten Vertriebsansatzes mit z. B. E‑Business-Aktivitäten forciert, um die Kundenbeziehung zu stärken (Bolander et al. 2015; Chang und Wang 2008). Zudem verlangt ein verändertes Kundenverhalten nach einer flexibleren Interaktion zwischen Unternehmen und Kunden (Johnson 2015) und neue Technologien erlauben unabhängig von Zeit und Ort Zugriff auf Anwendungen und Tools (Lee et al. 2014). Die Folge sind ein produkt- und serviceorientierter Verkauf (Parasuraman und Grewal 2000; Ravald und Gronroos 1996) und eine interdisziplinäre Zusammenarbeit, um den Kundennutzen zu erhöhen (Workman et al. 2003).

2.3 Einordnung von Community-Led Growth in den aktuellen Forschungsstand

Bei Betrachtung der wissenschaftlichen Diskussion um Community-Led Growth ist auffallend, dass Community-Led hauptsächlich in den biomedizinischen und sozialen Forschungsdisziplinen thematisiert wird, um z. B. gemeinschaftlich gesteuerte Fortschritte während der Corona-Pandemie (Carstensen et al. 2021) oder innerhalb der Entwicklungshilfe (Goodman et al. 2022) zu erzielen. Innerhalb der Entrepreneurship- und Innovationslehre sowie des Forschungskontextes von digitalem Marketing und Vertrieb sind bislang nur vereinzelte Forschungsbeiträge vorhanden (Cornwall 1998; Peredo und Chrisman 2006). Zum Begriff Community-Led Growth gibt es bislang keine eigenständige wissenschaftliche Definition.

Dennoch gibt es aus der jüngsten Entrepreneurship-Forschung erste wertvolle Beiträge, die die Forschungsströme Communitiy of Inquiry sowie Opportunity Development (Shepherd und Gruber 2021; Shepherd et al. 2022; Schou und Adarkwah 2023) verfolgen. Eine Community of Inquiry agiert dabei im Kontext des Lean Startup Frameworks als informelle Interessensgruppe, die an der Bewertung und Weiterentwicklung eines Startups beteiligt ist und den Gründungsprozess erleichtern kann (Shepherd und Gruber 2021). Schou und Adarkwah (2023) weisen in ihrer Studie nach, dass Online-Communities die Entwicklung von unternehmerischen Chancen unterstützen, indem Gründer die bestehende Unsicherheit durch Feedback, emotionale Unterstützung und fachliche Modelle aus der Community reduzieren können. Darüber hinaus konnten Shepherd et al. (2022) nachweisen, dass offenes Engagement in einer Community, also die Suche nach diversen Informationen, das Sammeln verschiedener Alternativen erlaubt. Fokussiertes Engagement hingegen, hemmt die Entwicklung von unternehmerischen Chancen sogar durch zu spezifische Informationen.

Einen ersten Definitionsversuch für Community-Led Growth haben Angel und Buick (2022, S. 27) unternommen: „A member-focused growth model that puts community at the core of a business to drive company-wide impact through trust, customer acquisition, retention, and expansion“. Diese Definition ist sehr stark praxisgetrieben, wird zunächst hauptsächlich als Vertriebsansatz deklariert und stellt die Community mit dem Schwerpunkt Menschen miteinander zu verbinden in den Mittelpunkt des Unternehmens, um so auf eine symbiotische Weise Wert für Community und Unternehmen zu schaffen. Dieses Ziel deckt sich mit der Strategie von community-based marketing (Fink et al. 2020), die sich auf den Aufbau von Beziehungen und Netzwerken spezialisiert. So unterstützt der unternehmerische Marketingansatz wie bereits erwähnt z. B. durch die Entwicklung von produktbezogenen Communities (Boyle 2004) die Bildung eines starken Produkt- oder Markenimages, das der Kunde durch seine Beteiligung selbst mitgestalten kann, indem er z. B. in sozialen Netzwerken aktiv ist (Chae und Ko 2016). Hierdurch wird der Kundennutzen gesteigert, indem sich ein Kunde durch Interaktion und Kommunikation mit einer Gemeinschaft identifiziert (McAlexander et al. 2002; Muniz und O’Guinn 2001; Schau et al. 2009) und dadurch stärker an ein Produkt oder eine Marke bindet (Roessl et al. 2009). Die Interaktion der Nutzer bedeutet, dass sie sich unterhalten fühlen (Zagila 2013), befähigt werden (Labrecque et al. 2013) und Marken mitgestalten können (Hajli et al. 2017). Es konnten bereits signifikant positive Auswirkungen auf Markenrankings (Capatina et al. 2017), starke elektronische Mundpropaganda-Effekte (Mishra et al. 2017; Park et al. 2017) und die Nutzung von anderen Ressourcen als Benefits von community-basiertem Marketing nachgewiesen werden (Fink et al. 2020). Im Folgenden soll konkret aufgezeigt werden, warum und in welchem Ausmaß ein Community-Led Growth Ansatz für Software-Startups spannend sein kann.

3 Nachhaltiges Wachstum für Software-Startups durch Community-Led Growth

3.1 Wertschöpfung entlang der Customer Journey in einer Community

Für Software-Startups ist schnelles und vor allem nachhaltiges Wachstum überlebenswichtig, um (Folge‑) Investitionen zu erhalten und weiterhin am Markt bestehen zu können. Sehr hoch ist dieser Skalierungsdruck bspw. im B2B-Umfeld, in dem die meisten Software- und Technologiestartups aktiv sind (Giardino et al. 2015; Poon und Joseph 2000; Bajwa et al. 2017). Grund hierfür ist eine komplexe und langwierige Kundenakquise im B2B-Umfeld. So kann die durchschnittliche Zeit bis zum Kaufabschluss 84 Tage in Anspruch nehmen, da mehrere Entscheidungsträger (z. B. Fachabteilung und Einkauf) an der Kaufentscheidung beteiligt sind (Prater 2021). Darüber hinaus sind Startups mit einem Mangel an Reputation konfrontiert und müssen häufig Anforderungen von Lieferanten wie im Softwaredomain z. B. ISO-Normen, Softwarelizenzen usw. erfüllen. Die größte Herausforderung für Startups in der Frühphase besteht darin, Kunden für ein noch unausgereiftes Produkt zu gewinnen. Der Vertrieb muss etwas verkaufen, das zunächst nur als Prototyp existiert. Dafür benötigt er umfassendes Branchenwissen sowie gute Verkaufsargumente, um Vertrauen aufzubauen und potenzielle Kunden von der angebotenen Lösung zu überzeugen. Innovative Geschäftsideen im B2B-Software-Umfeld scheitern daher häufig an einer fehlenden Vertriebs- und Markteintrittsstrategie. Der Community-Led-Growth Ansatz geht sogar so weit, dass eine Community als most valuable asset eines Unternehmens gesehen werden kann und nicht nur die Kundenakquise positiv beeinflusst, sondern vorab die Kundenbindung stärkt und wichtige Erkenntnisse über das Produkt liefert (Angel und Buick 2022). Wie genau Kunden innerhalb einer Community akquiriert und an ein Produkt gebunden werden können, veranschaulicht die Abb. 1 unten.

Abb. 1
figure 1

Beispiel für die Wertschöpfung entlang der Customer Journey in einer Community (Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Oblinger 2023)

Der erste Berührungspunkt mit einem potenziellen Nutzer für ein Produkt findet meistens während der proaktiven Suche des Nutzers nach Produktinformationen statt. Dies ist z. B. der Fall, wenn Bedarf für eine neue Software besteht. Gesucht werden vorwiegend Informationen zu Produkteigenschaften und Kosten. Decken sich die Anforderungen an das Produkt mit den Erwartungen des Kunden, werden z. B. Newsletter abonniert und weitere Informationen zum Produkt regelmäßig konsumiert. Dadurch hat das Unternehmen weitere Touchpoints mit dem Kunden und kann z. B. bei Problemen unterstützen oder weitere Inhalte anbieten, um mehr Wissen über das Produkt bereitzustellen. Dies geschieht häufig mittels einer virtuellen Community, in der bereits Anwender des Produkts Mitglied sind und eigenständig ihre Erfahrungen zu dem Produkt teilen. Gelingt ein Austausch mit neuen Kunden, können diese durch weitere Interaktionen in bspw. Nutzergruppen selbst zum Kernnutzer des Produkts werden und ihre Zufriedenheit bereitwillig in der Community teilen. Letztendlich wird der Nutzer zum Promoter des Produkts, empfiehlt dieses durch intrinsische Motivation weiter, gibt Tipps zur Nutzung und sein Feedback in die Community zurück. Damit wird nicht erst Wert und letztendlich Wachstum geschaffen, sobald ein Nutzer die Customer Journey komplett durchlaufen hat, sondern sukzessive bei jedem einzelnen Touchpoint mit dem Kunden. Dadurch kann ein Unternehmen bei jedem Schritt mit Kunden interagieren, Nutzen schaffen und neue Netzwerkeffekte bilden.

3.2 Übersicht und Vergleich aktueller Community-Modelle

Um zu beleuchten, welche Community-Modelle bereits existieren, werden fortfolgend aktuelle Modelle vorgestellt, die sehr praxisorientiert sind und bereits für den Aufbau von Communities herangezogen werden.

Ein Community-Modell bezieht sich auf eine strukturierte Herangehensweise oder einen Rahmen, der zur Entwicklung und Verwaltung von Gemeinschaften oder Communitys verwendet wird. Es definiert die Organisationsstruktur, die Rollen und Verantwortlichkeiten der Mitglieder, die Kommunikations- und Interaktionsmechanismen sowie die Regeln und Normen, die die Gemeinschaft regieren. Ein Community-Modell kann in verschiedenen Kontexten angewendet werden, wie z. B. in Online-Plattformen, sozialen Netzwerken, Open-Source-Projekten oder Unternehmensgemeinschaften, um das Engagement, die Zusammenarbeit und den Mehrwert für die Mitglieder zu fördern. Es sei darauf verwiesen, dass es aufgrund dessen hinsichtlich der Modelle an empirischer Fundierung mangelt und eine Analyse und Validierung bestehender Modelle für eine spätere empirische Generalisierbarkeit durch qualitative oder quantitative Forschungsbeiträge unverzichtbar ist. Dies stellt eine Limitation des Artikels dar, verweist aber gleichzeitig auf Vorschläge für zukünftige Forschungsarbeiten.

Bevor mit dem Aufbau einer Community begonnen werden kann, stellt sich die Frage, wer alles Teil der Community werden soll. Welche Personen sind essenziell für den Kern der Community, damit diese frühzeitig Glaubwürdigkeit ausstrahlt und ausreichend Interaktionen stimuliert ohne gleichzeitig inflationär Follower und Likes ohne nachhaltige Wertschöpfung zu kreieren? Dieser Frage kann mithilfe des Orbit Models von Insight Partners (Rothe 2022) und dem Community Grid (Angel und Buick 2022) auf den Grund gegangen werden. Beide Modelle nehmen zunächst eine Segmentierung der Mitglieder einer Community vor, um deren Engagement zu maximieren. Abb. 2 zeigt die unterschiedliche Einteilung von Community-Mitgliedern entsprechend ihrer Aktivität und Einflussnahme innerhalb der Community auf:

Abb. 2
figure 2

Zwei Möglichkeiten der Segmentierung von Community-Mitgliedern (Quelle: Rothe 2022; Commsor 2022)

Das Orbit Model unternimmt hier eine zweiseitige Betrachtung von Community-Mitgliedern: Einerseits wird ihre Aktivität und andererseits ihr Einfluss gemessen. Innerhalb der Dimension Aktivität wird z. B. gemessen, wie viele Beiträge es zu einem White Paper gab oder wie häufig ein Blog-Artikel gelesen wurde. Im Bereich Einfluss ist von Interesse, wer z. B. über 5k+ Follower auf Social Media Plattformen hat, Keynote Speaker auf einer Konferenz war usw. Daraus ergibt sich ein Affinitätswert, der wiedergibt, wie stark Aktivität und Einfluss des jeweiligen Mitglieds in der Community sind. Ein Beispiel wäre die Anzahl von besuchten Konferenzen im Kontext der zeitlichen Dimension. So hätte eine Konferenz, die vor einem Monat besucht wurde, eine höhere Affinität als eine Konferenz, die bereits vor drei Monaten besucht wurde. Die genaue Berechnung des Affinitätswertes hängt von der gewählten Gewichtung der KPIs der jeweiligen Community ab. Je nach Punktestand werden vier Stufen von Community-Mitgliedern kategorisiert: Stufe 1: Befürworter (Affinitätswert: 25+), Stufe 2: Mitwirkende (Affinitätswert: 15–25), Stufe 3: Teilnehmer (Affinitätswert: 5–15) und Stufe 4: Beobachter (Affinitätswert > 5). So kann je nach Affinitätswert ein entsprechendes Engagement-Programm innerhalb der Community angeboten werden, das sich mit den Interessen der jeweiligen Community-Mitgliedern deckt. Dadurch erhält die Organisation Einblick in den Wert jedes einzelnen Mitglieds und kann überdies gezieltere und effektivere Taktiken entwickeln, um das Wachstum je Touchpoint voranzutreiben (Rothe 2022). Das Community Grid teilt die Mitglieder noch granularer in die sieben Kategorien Beobachter, Stammkunden, neutrale, inaktive und potenzielle Kunden sowie Mitwirkende und Kernnutzer ein. Dabei wird die Regelmäßigkeit, Häufigkeit und die Auswirkung beobachtet, mit der ein Mitglied in der Community aktiv ist. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass Communities zwischen ihren Mitgliedern differenzieren sollten, um entsprechend wirksame Engagement-Programme anzubieten, die zur jeweiligen Aktivität und den Ansprüchen ihrer Mitglieder passen. Andernfalls kann das Management von Communities überhandnehmen und mehr Aufwand erfordern als Wert schaffen (Commsor 2022).

Für den Aufbau einer Community existieren drei verschiedene Modelle, die in diesem Abschnitt näher beleuchtet und gegenübergestellt, um später Handlungsempfehlungen für Software-Startups ableiten zu können. Abb. 3 zeigt die Frameworks in ihrer unterschiedlichen Darstellung:

Abb. 3
figure 3

Drei Modelle aus der Praxis für den Aufbau einer eigenen Community (Quelle: Eigene Darstellung, in Anlehnung an Quelle: Pfortmüller et al. 2017; Commsor 2022; Oblinger 2023)

Das Community Canvas existiert bereits seit 2017 und wurde von drei Community-Buildern entwickelt. Das Framework dient als Template für den Aufbau einer Community, ist in die drei Bereiche Identity, Experience und Structure unterteilt. Dazu wird ein Fragenkatalog mit insgesamt 17 Fragen zu den drei Kernbereichen bereitgestellt. Dieser hilft dabei, die Strategie und Ziele der Community festzulegen und ein Rahmenwerk für die zukünftigen Mitglieder der Community zu schaffen. Den Anfang macht die Antwort auf die Frage, wer die Mitglieder sind und woran diese glauben. Diese Antwort zieht sich wie eine Vision durch das Canvas und beeinflusst auch die anderen Bereiche. Der Teil Identität befasst sich mit Fragen zu Zweck, Identität der Mitglieder, Wert, Definition von Erfolg und Marke. Im Anschluss wird der Bereich Erfahrung definiert. Dabei geht es um die Erkundung der Community aus der Perspektive der Mitglieder, also um die Frage was in der Gemeinschaft passiert und wie sie Werte für ihre Mitglieder schafft. Hierzu werden Anhaltspunkte zu Auswahl und Ausscheiden von Mitgliedern bestimmt, gemeinsame Erfahrungen, Rituale und Traditionen sowie Inhalte, Regeln und Rollen definiert. Fokus auf den organisatorischen Part legt der dritte Bereich Struktur. Dabei ist wichtig festzulegen, was der Community langfristig Stabilität verleiht. Dies geschieht durch Auseinandersetzung mit den Themen Organisation, Governance, Finanzierung, Kanäle und Plattform sowie Datenmanagement. Dieses Framework ist bereits sehr detailliert, weshalb die Anforderungen innerhalb einer Minimum Viable Community Canvas reduziert wurden und sich auf 9 von 17 Kernfragen fokussieren, die in Tab. 2 visualisiert werden:

Das Community-Led Growth Model zielt bereits konkret auf die Kundenakquise und -bindung durch eine Community ab und wurde 2022 von Commsor veröffentlicht. Das Modell besteht aus einem inneren und einem äußeren Ring, welche die Community umschließen. Der innere Ring fokussiert sich auf die Kernelemente, die ein Unternehmen einer Community gegenüber zunächst investieren und aufbauen sollte, damit es diese später von der Community zurückerhält und ein Wechselspiel bestehen kann: Vertrauen, Beziehung, Engagement und Inhalt. Vertrauen bildet die Kernkompetenz der Community ab und kann erreicht werden, indem Beziehungen mit Kunden und internen Mitarbeitern gepflegt werden, indem die Interaktion zwischen Kunde und Unternehmen gestärkt wird und nutzenstiftende Inhalte bereitgestellt werden. Es gilt einen sicheren Raum zu schaffen, in dem sich die Community entfalten kann. Der äußere Ring beinhaltet die unternehmensinternen Abteilungen Produkt, Vertrieb, Support und Marketing. Innerhalb der Produktentwicklung ist es essenziell, eine kundenzentrierte Produktentwicklung zu etablieren, indem z. B. Feedback aus der Community zu Produkteigenschaften iterativ rückgekoppelt wird. Der Vertrieb kann von einer Zusammenarbeit mit der Community profitieren, wenn Austausch zwischen Mitgliedern stattfindet und z. B. neue Leads induziert werden können. Eine Community arbeitet idealerweise mit der Marketingabteilung im Tandem zusammen und stellt sicher, dass eine kohärente Botschaft über alle externen Kanäle kommuniziert wird. Dadurch kann z. B. über den verstärkten Einsatz von kundenzentriertem Content oder Thought Leadership Aktivitäten die Kundenbindung gestärkt werden. Unterstützend wirkt das Supportteam mit, wenn z. B. Schulungen zum Produkt für Kunden angeboten, Best Practices geteilt oder Supportanfragen in der Community gelöst werden können. Diese vier Bereiche müssen übergreifend zusammenarbeiten und ein agiles Umfeld schaffen, damit der fünfte Bestandteil Erfolg des äußeren Rings erzielt werden kann. Erfolg wird laut dem Modell dann erreicht, wenn über alle Abteilungen hinweg Ressourcen gemeinsam genutzt werden können und ein besseres Verständnis für die Bedürfnisse der Kunden und deren Customer Journey geschaffen wird, dass sich letztendlich positiv auf die Kundenbindung und damit auf das Wachstum der Kundenbasis auswirkt. Damit kann das Modell als Hilfestellung für eine Community-Strategie verstanden werden, indem Ziele und teamübergreifende Funktionen unternehmensintern definiert werden. Das Modell hebt hervor, dass eine Community nicht in einem Vakuum und ohne Anfangsinvestition aus dem Unternehmen heraus existieren kann (Commsor 2022; Angel und Buick 2022).

Das Framework Community Experience wurde von Brian Oblinger, einem Community-Experten aus den USA mit über 20 Jahren Erfahrung im Community-Aufbau, insbesondere für Konzerne, erstellt. Das Modell fokussiert sich stark auf die Erfahrung innerhalb der Community und beleuchtet dafür die Bereiche Menschen, Inhalt, Programme, Technik und Design direkt aus der operativen Perspektive. Somit definiert er weniger konzeptionell, aber sehr umsetzungsstark jeweils vier Leitlinien, die eine gute Community-Erfahrung ausmachen. Diese sind in Tab. 3 übersichtlich dargestellt:

Tab. 3 Leitlinien für den Aufbau einer Community Experience (Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Oblinger 2023)

Weiterhin zeigt Oblinger (2023) eine Community Roadmap über 10 Monate hinweg auf, die alle notwendigen Schritte für den Aufbau einer Community auf. Zudem plädiert er dafür, Messgrößen einzuführen, um zu überprüfen, ob die durchgeführten Community-Aktivitäten auch die gewünschten Erfolge herbeiführen. Ist das festgelegte Ziel bspw. die Steigerung von qualitativen Leads, dann bedarf es einer Strategie, die auf ein durchdachtes Content-Programm baut, das potenzielle Kunden gut informiert. So kann auf Basis der Konvertierungsrate von Leads, die in der Community aktiv sind, gemessen werden, wie viele Inhaltsaufrufe, Lead-Scoring-Daten oder Community-Nutzerdaten vorhanden sind.

Eine Gegenüberstellung der Modelle ermöglicht einen Vergleich entlang von fünf Kriterien, der in Tab. 4 visualisiert wird. Dieser Vergleich ermöglicht zunächst die Ableitung von ersten Handlungsempfehlungen für den Aufbau einer Community für Software-Startups. Somit dient er als Fundament für spätere Hypothesen und eine empirische Generalisierbarkeit durch qualitative oder quantitative Forschungsbeiträge.

Tab. 4 Vergleich der Modelle zum Community-Aufbau (Quelle: Eigene Darstellung)

Auffällig ist, dass alle Modelle relativ jung sind und von Experten aus der Praxis erstellt wurden, die ihre Erfahrung und ihre gewonnen Erkenntnisse mit dem Aufbau von Communities weitergeben möchten. Die beiden Modelle Community Canvas und Community-Led Growth Model setzen zunächst auf der strategischen Ebene an und geben Anwendern eine Struktur für die Definition einer Community-Strategie vor. Oblinger (2023) fokussiert sich hingegen stärker auf die Umsetzung und konkrete Aktivitäten, die für einen Community-Aufbau notwendig sind. Beim Vergleich der Fokusbereiche fällt auf, dass alle drei Modelle die Menschen, sowohl auf Mitglieder- als auch auf Unternehmensseite, einer Community ins Zentrum stellen. Dieses Phänomen ist aus der Managementforschung bekannt (Donaldson 1996; Johnson und Gill 2010; Bryman 1993; Hammersley 1992) und macht das Themenfeld von Communities mit individuellen Bedürfnissen und Verhaltensweisen der einzelnen Mitglieder und der jeweiligen Organisationen ethnographisch so komplex. Ferner heben die Modelle den Aufbau von Vertrauen, die Identifizierung mit der Community und den direkten Austausch mit Mitgliedern hervor. Weiterhin beinhalten alle Modelle die Komponente Inhalt. Daraus geht hervor, dass der richtige Inhalt, den ein Unternehmen über sein Produkt und die Marke an potenzielle Kunden verbreitet, entscheidend für einen späteren Verbleib als Mitglied und zahlender Kunde sein kann. Die Community Canvas schließt zudem noch den Aufbau von Prozessen für eine gute Steuerung und Kommunikation innerhalb der Community ein. Das Community Experience Modell geht hier noch einen Schritt weiter und bedenkt bereits die Wahl einer Plattform für die Community. Der letzte Themenblock, den alle Modelle berücksichtigen, ist Erfolg sowie dessen Messung, um zu eruieren, ob die durchgeführten Programme innerhalb der Community auch nachhaltig sind. Dieser Punkt greift erneut den Gedanken der Wertschöpfung durch eine Community auf. Unternehmen, die in den Aufbau einer Community investieren, erwarten auch eine gewisse Rendite, einen sogenannten ROI der Community. Somit ist es von zentraler Bedeutung, die richtigen Rahmenbedingungen zu schaffen und interne Rollen und Funktionen sowie eine interdisziplinäre Zusammenarbeit vorab Community tauglich zu gestalten. Dieser Punkt wird besonders stark innerhalb des Community-Led Growth Modells berücksichtigt. Eine Anleitung, wie das jeweilige Modell korrekt angewendet wird, findet sich nur bei der Community Canvas. Sehr detailliert wird ein Fragenkatalog, eine Minimum Viable Community Canvas und eine ausführlichere Canvas ausgefüllt. Kritisch zu betrachten bleibt, dass alle Modelle sehr statisch aufgebaut sind und weder Iterationen noch Retros enthalten, die eine Weiterentwicklung oder Anpassung der Ausgangssituation erlauben. Eine mögliche Ergänzung könnte hier ein Steuerungsmodell in Anlehnung an die Methode Objectives and Key Results (OKRs) sein, die klare Ziele auf strategischer Ebene definiert, diese aber auf Bereichsebenen runterbricht und messbare Ergebnisse für die jeweilige Zielerreichung definiert. Basierend auf dieser Modellübersicht, können nachfolgend Handlungsempfehlungen für Software-Startups im B2B-Umfeld abgeleitet werden.

4 Handlungsempfehlungen für den Aufbau einer eigenen Community für Software-Startups im B2B-Umfeld

Macht man sich die Ausgangslage von Startups nun noch einmal bewusst, wird schnell ersichtlich, dass Startups wenig Ressourcen zur Verfügung haben. Dies betrifft insbesondere personelle sowie finanzielle und zeitliche Ressourcen. Vor allem im Software- und Technologieumfeld ist der bereits angesprochene Skalierungsdruck aber sehr hoch. In diesem Spannungsfeld kann eine Community ein Katalysator sein und Wachstum ressourcenschonend beschleunigen. Die zu Beginn angesprochenen Herausforderungen von Startups (hohe Markteintrittsbarrieren, mangelnde Reputation und Kredibilität sowie erschwerte Kundenakquise) können mithilfe des Community-Led Growth Ansatzes sinnvoll adressiert werden. Wie genau, zeigt nachfolgender Abschnitt auf.

In erster Linie ist es auch für Startups wichtig, kundenzentriert vorzugehen. Auch, wenn das Produkt noch nicht fertig ausgereift ist und erst im Prototypenstatus existiert, ist der direkte Kontakt mit potenziellen Kunden zu einem frühen Zeitpunkt entscheidend für die Sicherstellung des Product-Market-Fit. Dies kann zunächst durch sogenannte Early Adopter passieren, die neuen, technischen Produkten gegenüber sehr offen sind oder via Family & Friends, die ehrliches Feedback zur Nutzung des Produkts und damit Input zur Verbesserung geben. Diese ersten Nutzer können gleichzeitig der Kern der zukünftigen Community sein, die das Startup von Anfang an mit aufbaut. Somit bedarf es keinem separaten Community Manager, der die Mitglieder aktiv steuert, sondern z. B. einem einfachen E‑Mail-Newsletter oder Chat-Tool, über das man regelmäßig mit Produktinteressenten in Kontakt treten kann. Dieser kann z. B. direkt von den Gründern selbst oder dem Mitgründerteam bearbeitet werden. Ein großer Vorteil von Startups ist, dass diese noch keinen breiten Kundenstamm haben, der viele verschiedene Kundensegmente und somit einzelne Individuen umfasst und eine Community-Bildung erschwert. Ganz im Gegenteil: Die Community eines Startups besteht aus einer kleinen Gruppe von Nutzern und potenziellen Kunden, die ein gemeinsames Interesse an einem innovativen Produkt haben. Auf diesem Fundament aus Know-how über Kunden und Produkt kann das Startup agil und iterativ aufbauen, Aktivitäten und Programme innerhalb der Community können getestet und laufend angepasst werden. Das Startup kann zu kleinen Events z. B. im Co-Working Space einladen, (neue) Produktideen testen lassen und regelmäßig Feedback z. B. zur Usability der Software einsammeln. Es entsteht ein Push-and-Pull-Prinzip. Davon ausgehend können erste Personas als Zielgruppe entwickelt und weitere User Research betrieben werden. Community-Led Growth kann somit eine geeignete Markteintrittsstrategie für Startups darstellen.

Bezüglich der diskutierten Community-Modelle ist es für Startups zunächst sinnvoll, mit der vorher erwähnten Minimum Viable Community Canvas zu starten und initial festzulegen, wozu eine Community gebraucht wird, wer Mitglied in dieser Community sein soll und welche Prinzipien für die Community gelten. Geht es darum, den Erfolg einer Community zu definieren, ist in der Canvas kein Feld für konkrete Ziele der Community vorhanden. Diese Lücke kann mit Einzug einer strategischen Ebene gefüllt werden, die eine klare Strategie für den Community-Aufbau vorgibt und die Gesamtziele für die Community übergreifend festlegt. Diese Gesamtziele können in einer dritten Ebene, der taktischen Ebene, in Teilziele z. B. für das nächste Quartal definiert werden. Von diesen Teilzielen können letztendlich Initiativen und To-Dos für die einzelnen Mitarbeiter abgeleitet werden. Dies geschieht auf der vierten, operativen Ebene. So entsteht eine Community-Pyramide aus vier Ebenen, die in Abb. 4 dargestellt ist. Die vier Ebenen bauen jeweils aufeinander auf und lassen Iterationen zwischen den einzelnen Ebenen zu. Zusätzlich ermöglicht die Pyramide eine Kommunikation in beide Richtungen: Von Vision zu Initiativen und andersherum. So kann jeder einzelne Mitarbeiter im Startup durch Initiativen zur Ergebniserreichung seinen Beitrag zur übergeordneten Zielerreichung der Teil- und Gesamtziele leisten. Ein weiterer Vorteil ist, dass der Status der Zielerreichung sehr transparent ist. Ist es bspw. nicht möglich, ein Ziel wie geplant umzusetzen, kann durch iteratives Vorgehen z. B. in vierwöchigen Retromeetings frühzeitig erkannt werden, wo Anpassungen notwendig sind, um das Ziel noch erreichen zu können oder eine entsprechende Anpassung vorzunehmen. Die Pyramide kann als eine Erweiterung der Minimum Viable Community Canvas gesehen werden und ergänzt das statische Modell um übergeordnete Gesamtziele, Iterationen zwischen den einzelnen Ebenen und um eine ergebnisorientierte Vorgehensweise während des Community-Aufbaus.

Abb. 4
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Entwurf einer Community-Pyramide für Software-Startups (Quelle: Eigene Darstellung)

Zu Beginn sollte das Hauptaugenmerk auf dem Produkt des Software-Startups liegen, d. h., dass zu Beginn der Gründung eine Community of Product aufgebaut wird. Es geht in erster Linie um den Austausch von Informationen zum Produkt, was dieses kann und wie dieses sich vom Wettbewerbsprodukten abhebt. Positives sowie negatives Feedback der Community zu den Produkten oder Features wird genutzt, um weiter am Product-Market-Fit zu arbeiten. Dabei kann gleichzeitig Bekanntheit für die Marke aufgebaut werden. Davon ausgehend, kann sich eine Community of Practice entwickeln. Dies war bei Alteryx, dem Software-Unternehmen aus der Einleitung der Fall, das seine Community über alle Analysten und Datenwissenschaftler hinweg aufgebaut hat. Eine Community ist also nicht als statisches Gebilde von Mitgliedern zu sehen, sondern entwickelt sich mit einem Startup mit. Eine Empfehlung entlang der operativen Ebene ist, die Governance der Community von Beginn an schlank zu halten, mit einfachen Tools zu arbeiten und weniger, aber dafür interessante Aktivitäten für die ersten Mitglieder anzubieten. Je nach Stand der Produktentwicklung wird der Aufwand auch innerhalb der Community steigen, wenn z. B. Produkttests gelauncht werden, Feedback angefragt wird usw. Deshalb ist es auch innerhalb des Gründerteams zu Beginn wichtig, Marketing‑, Vertriebs- und Community-Ziele strategisch zu verankern und gleichzeitig regelmäßig zu überprüfen, ob die geplanten und durchgeführten Aktivitäten innerhalb der Bereiche auch zur Zielerreichung beitragen. So kann jederzeit interagiert werden und Ressourcen können innerhalb des kleinen Teams bestmöglich allokiert werden. Durch die starke Vernetzung mit (potenziellen) Kunden läuft das Startup auch keine Gefahr, ein Produkt am Kunden vorbeizuentwickeln, sondern erfährt frühzeitig, wo z. B. Wettbewerbsvorteile gegenüber der Konkurrenz geschaffen werden können und mit welcher Lösung die Probleme der Kunden adressiert werden und wofür Kunden bereit sind zu zahlen. Innerhalb einer Community kann ein Software-Startup so schnell Vertrauen und Beliebtheit bei Kunden aufbauen und ausgehend von den Kernmitgliedern neue Mitglieder gewinnen, die wie in Abb. 1 aufgezeigt, selbst eine Produktempfehlung aussprechen und dadurch Netzwerkeffekte generieren können. Wird diese Minimum Viable Community entsprechend dem Input, der von innen und außen kommt, aufgebaut, kann sich eine größere Community, die neue Kunden akquiriert und dadurch potenzielle neue Umsatzquellen für das Startup schafft, entwickeln. So kann aus wenigen Produktinteressenten am Anfang ein effektives Netzwerk für den Markteintritt eines Startups werden.

5 Fazit und Ausblick

Der vorliegende Artikel hat gezeigt, wie Community-Led Growth als Katalysator für den Markteintritt von Software-Startups im B2B-Umfeld wirken kann. Hierfür wurde der Ansatz zunächst in den aktuellen Stand der Forschung eingeordnet. Hieraus ging hervor, dass eine Community kein neues Phänomen ist, innerhalb der Sozialwissenschaften seinen Ursprung hat und durch den aktiven Austausch von Informationen Wert entlang der Customer Journey schaffen kann. Community-Led Growth ist in der Wissenschaft bislang noch wenig diskutiert, was auf den starken Praxisfokus zurückzuführen ist. Dieser untermauert, aber gleichzeitig die hohe Relevanz des Themas, weshalb weiterer Forschungsbedarf besteht, um Rigor hinzuzufügen und allgemeingültige Modelle zu entwickeln, die diese ersten Beobachtungen validieren. Eine theoretische Einordnung konnte zunächst innerhalb des Entrepreneurial Marketing, genauer Community-based Marketing erfolgen.

Ferner wurde mithilfe des Orbit Modells und des Community Grids verdeutlicht, wie Mitglieder zu Beginn sinnvoll segmentiert werden können, um eine Community ressourcenschonend, aber effektiv aufzubauen. Darüber hinaus wurden die drei Frameworks Community Canvas, Community-Led Growth Model und Community Experience für den Aufbau einer Community gegenübergestellt. Es konnte gezeigt werden, dass alle Modelle gemeinsame Komponenten (Menschen, Inhalt und Erfolg), aber auch klare Unterschiede (Interne Rahmenbedingungen, Anleitung zur Anwendung) beinhalten. Als Limitation aller Modelle hat sich die statische Betrachtungsweise herausgestellt, die entgegen der unternehmerischen Grundhaltung keine agile und iterative Anwendung der Modelle zulässt. Für B2B-Software-Startups kann jedoch die vereinfachte Variante Minimum Viable Community Canvas, ein guter Startpunkt für den Aufbau einer Community sein. Davon ausgehend kann zunächst eine Community of Product gegründet werden, die auf Basis des Inputs aus der Community weiterentwickelt (z. B. zu einer Community of Practice). Wichtig anzumerken ist, dass die Prozesse für den Aufbau der Community sehr einfach gehalten werden sollten und z. B. (Mit‑)Gründer selbst die ersten Aktivitäten steuern und simple Tools für die Kommunikation mit der Community gewählt werden. Besteht nach kurzer Zeit eine kleine Kern-Community, kann auf dieser Basis schnell aufgebaut werden und von Anfang Multiplikatoren, Feedback-Kanäle usw. für einen späterer Markteintritt gelegt werden.

Der Artikel schlägt durch die Synthese verschiedener Community-Ansätze aus der Praxis eine wertvolle Brücke zur Diskussion des Konzepts Community-Led Growth innerhalb der Marketingforschung. Zudem bietet der Beitrag einen einzigartigen Mehrwert, indem er den aktuellen wissenschaftlichen Diskurs innerhalb der Disziplinen Value Co-Creation und Community-based Marketing im B2B-Umfeld an um die Schnittstelle zur Entrepreneurship Forschung (Entrepreneurial Marketing) mit dem Fokus auf Software-Startups bereichert. Trotz der großen Zahl von Beiträgen zum Bereich der gemeinsamen Wertschöpfung, gibt es nur wenige Untersuchungen zu den strategischen Auswirkungen der verschiedenen Mechanismen der gemeinsamen Wertschöpfung, die für die Definition einer Theorie der gemeinsamen Wertschöpfung nützlich und wichtig sein könnten. Es scheint, dass die Co-Creation-Theorie insbesondere den Bereich Business-to-Business-Marketing (Cova und Salle 2008; Liu 2006; Vargo und Lusch 2011), sowie die Beziehungs‑, Interaktions- und Netzwerkansätze (Möller et al. 2008) noch nicht ausreichend durchdringt. Weiterhin ist es sinnvoll, auf Basis dieses konzeptionellen Beitrags, Hypothesen zu analysieren und zu validieren, um ein Community-Modell mit empirischer Generalisierbarkeit durch weitere Forschungsbeiträge erstellen zu können.