1 Aktuelle Entwicklungen im Gesundheitswesen

Im internationalen Digitalisierungsvergleich der Gesundheitssysteme von 17 EU und OECD Ländern im Jahr 2018 erreichte Deutschland den Rang 16 von 17 (Thiel et al. 2018). Der dadurch bedingte Nachholbedarf wurde während der 19. Legislaturperiode in Deutschland mithilfe der Verabschiedung einer Vielzahl an Gesetzen wie z. B. Terminservice- und Versorgungsgesetz, Digitale-Versorgung-Gesetz, usw. adressiert, durch die eine weitreichende Digitalisierung im Gesundheitswesen ermöglicht wurde (Bundesministerium für Gesundheit 2019, 2020, 2021; Bundesgesetzblatt 2019). Diese Gesetze treiben die Digitalisierungslandschaft im Gesundheitswesen an, setzen Fristen z. B. zur Einführung einer elektronischen Patientenakte und bringen digitale Gesundheitsanwendungen in die Patientenversorgung (Bundesministerium für Gesundheit 2019; Bundesgesetzblatt 2019). Diesen Vorhaben steht jedoch ein Umstellungsaufwand gegenüber, der zu einem unausgeglichenen Kosten-Nutzen-Verhältnis führt und als großes Hemmnis der Digitalisierung wahrgenommen wird. Eine aktuelle Befragung von insgesamt 2200 Arztpraxen und Psychotherapeuten aus dem Jahr 2020 hat ergeben, dass die Kommunikation mit Patienten lediglich zu circa zehn Prozent mehrheitlich digitalisiert ist und überwiegend analog bzw. in Papierform kommuniziert wird (Albrecht et al. 2020). Generell wird die Abstimmung zwischen Gesundheitsakteuren und zum Patienten größtenteils mithilfe des Telefons und Faxes umgesetzt, was lediglich eine synchrone Kommunikation unterstützt und Missverständnisse sowie Fehleraufkommen fördert. Sektorübergreifende Versorgungskonzepte mithilfe zentraler Vernetzungsplattformen bieten viel Potenzial, den Herausforderungen im Gesundheitswesen – wie z. B. dem organisatorischen Aufwand, Lücken und Missverständnissen im Informationsaustausch sowie dem steigenden Bedarf an gesundheitlicher Versorgung – entgegenzuwirken (Behne und Teuteberg 2021).

Fachkräftemangel, steigende Zahlen an älteren, multimorbiden und chronisch erkrankten Menschen sowie ein hoher Verwaltungsaufwand führen dazu, dass Gesundheitsversorger immer weniger Zeit für ihre Patienten haben (Elmer 2015). Weiterhin werden Patienten in der Regel von mehreren Ärzten verschiedener Fachrichtungen und Kliniken, Apotheken, stationären oder ambulanten Pflegediensten und weiteren Gesundheitsakteuren behandelt, die auf keine einheitliche Datenbasis zugreifen (Geiger und Wolf 2011). Daraus resultieren ein großer organisatorischer Aufwand, Lücken im Informationsaustausch, Medienbrüche und Informationsasymmetrien, welche die Qualität der Gesundheitsversorgung verringern und zu Doppeluntersuchungen sowie unerwünschten Medikamenteninteraktionen (Kontraindikationen bzw. lebensbedrohlichen Wechselwirkungen) führen können (Elmer 2015; Fitte et al. 2019; Amelung et al. 2016).

Sektorübergreifende, zentrale Vernetzungsplattformen zwischen den einzelnen Akteuren (multisided platform) (Boudreau und Lakhani 2009) bieten viel Potenzial, die genannten Probleme effizient zu lösen (Fitte et al. 2019). Eine zentrale Vernetzung entlang des Behandlungspfades des Patienten ermöglicht die einheitliche Speicherung von Diagnosen, Medikamenten- und Therapieplänen und die Integration der Gesundheitsdaten (Amelung et al. 2016; Beinke et al. 2019). Aktuell werden primär nur Teilfunktionen von zentralen Vernetzungsplattformen angeboten, die beispielsweise Aufgaben wie Online-Terminvereinbarungen (Doctolib o.J.), Videosprechstunden (Teleclinic o.J.) oder Bewertungsmöglichkeiten (Sanego o.J.) anbieten. Als ein Treiber für die Telemedizin kann die Corona Pandemie angesehen werden. Im zweiten Quartal 2020 stieg die Anzahl der Ärzte und Psychotherapeuten, die Videosprechstunden angeboten haben, auf 31.397 und verdoppelte somit die Anzahl im Vergleich zum ersten Quartal 2020. Anzumerken ist, dass im vierten Quartal 2019 die Anzahl bei 168 Ärzten und Psychotherapeuten bundesweit lag. Die Anzahl an Videosprechstunden lag im ersten Quartal 2020 bei ca. 203.000 und stieg im zweiten Quartal 2020 auf ca. 1,2 Mio. in Deutschland an. Im Vergleich dazu wurden 2019 ca. 3000 Videosprechstunden bundesweit durchgeführt (KBV 2021).

In verwandten Arbeiten wurden bislang Kosten-Nutzen-Analysen bei speziellen Anwendungsfällen von Vernetzungsplattformen durchgeführt wie z. B. für Diabetespatienten oder für die Überwachung von Vitalparametern (Van den Heuvel et al. 2021; Motamarri et al. 2008). Van den Heuvel et al. (2021) betrachteten primär Teilfunktionen einer Vernetzungsplattform wie z. B. die stetige Überwachung der Vitalparameter von Schwangeren mithilfe von Monitoring-Geräten die mit einer Gesundheitsplattform verbunden sind. Motamarri et al. (2008) überwachten kardiovaskulär Erkrankte bzw. Diabetespatienten per Smartphone. Kusch et al. (2019) haben zehn Plattformen im Hinblick auf Funktionalität, Kosten, Kundenorientierung und Service untersucht und anschließend eine Patientenbefragung bzgl. Arztbesuche und Wartezeit durchgeführt. Ihre Ergebnisse zeigen unter anderem, dass Patienten mehr als einen Versuch für die telefonische Terminvereinbarung benötigen und persönliche Arztempfehlungen gegenüber den online Bewertungen bevorzugen (Kusch et al. 2019).

Der vorliegende Beitrag hebt sich von verwandten Arbeiten ab, indem nicht nur bestimmte Teilfunktionen einer Vernetzungsplattform im Gesundheitswesen untersucht werden, sondern eine ganzheitliche Kosten-Nutzen-Betrachtung von Vernetzungsplattformen in Deutschland vorgenommen wird. Diese Arbeit untersucht daher die folgende Forschungsfrage: Welche Kosten- und Nutzenaspekte ergeben sich für ausgewählte Akteure durch die Anwendung einer zentralen Vernetzungsplattform entlang des Behandlungspfades des Patienten im Gesundheitswesen? Als Akteure wurden stellvertretend Apotheken, Arztpraxen und Kliniken sowie Pflegedienste ausgewählt, da diese direkt mit der Prävention, Gesundheitsförderung, gesundheitlichen und pflegerischen Versorgung in Verbindung stehen sowie die Patienten selbst. Durch den multimethodischen Ansatz dieser Arbeit, bestehend aus Literaturrecherche, Marktrecherche und Experteninterviews, können Erkenntnisse aus der Forschung und Praxis miteinander verknüpft werden, indem der Nutzen und die Kosten, die mit dem Einsatz einer solchen Plattform verbundenen sind, gegenübergestellt werden. Nachdem im ersten Abschnitt die aktuellen Entwicklungen im deutschen Gesundheitswesen sowie der aktuelle Stand der Forschung der Wirtschaftlichkeitsbetrachtung von Vernetzungsplattformen beschrieben wurden, wird im zweiten Abschnitt eine dreistufige Forschungsmethodik vorgestellt. Die erarbeitete Kosten-Nutzen-Analyse kann dem dritten Abschnitt entnommen werden. Im vierten Abschnitt behandelt die Diskussion die Ergebnisse und geht auf Limitationen der Studie ein. Zum Schluss folgt ein Fazit mit einem Ausblick.

2 Methodik

Das multimethodische Vorgehen ist in Abb. 1 dargestellt. Der Einsatz einer Vernetzungsplattform im Gesundheitswesen kann basierend auf einer Kosten-Nutzen-Analyse nach Sassone und Schaffer (1978) sowie Oesterreich und Teuteberg (2018) evaluiert werden, die in mehrere Schritte aufgegliedert ist (siehe Abb. 1). Die Problemdefinition ist der Initialschritt, in dem die Forschungslücke mithilfe einer systematischen Literaturrecherche nach vom Brocke et al. (2009) identifiziert wird. Im nächsten Schritt wird das Design der Analyse formal erstellt. Die Kosten-Nutzen-Analyse stellt das Ergebnisartefakt dieser Arbeit dar. Es werden identifizierte Kosten und Nutzen aus der Literatur und Praxis zusammengeführt und in tabellarischer Form zu Akteuren und Anwendungsfällen zugeordnet. Im Rahmen der Datenerhebung werden die Ergebnisse aus der durchgeführten Literaturrecherche genutzt, sowie eine Marktrecherche und semistrukturierte Experteninterviews mit relevanten Akteuren durchgeführt. Die Interviews umfassen prozess- und anwendungsorientierte Fragen, um relevante Kosten und Nutzen zu identifizieren. In der nächsten Phase folgt die Quantifizierung. Diese Phase ist in Abb. 1 hellgrau dargestellt, da aufgrund des Umfangs dieser Studie eine Untersuchung der Kosten und Nutzen auf Quantifizierbarkeit nicht erfolgt ist. Zuletzt findet die Ergebnisanalyse statt, in der eine Ergebnistriangulation und eine Visualisierung der Ergebnisse in tabellarischer Form durchgeführt wird.

Abb. 1
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Methodisches Vorgehen in Anlehnung an Sassone und Schaffer (1978) und Oesterreich und Teuteberg (2018)

Zur Identifikation geeigneter Literatur wurde folgender Suchterm verwendet: (vernetzung OR network) AND (gesundheitswesen OR „health care“ OR healthcare) AND (kosten OR cost) AND (nutzen OR benefit) AND (arzttermin OR appointment OR videosprechstunde OR „video call“). Mit diesem Suchterm wurden die Datenbanken AIS eLibrary (104 Treffer), EBSCOhost (25 Treffer), Scopus (1044 Treffer) und Google Scholar (17.400 Treffer) durchsucht. Hierbei wurden Artikel ab dem Jahr 2011 berücksichtigt, um einen Zeitraum von zehn Jahren abzudecken. In der Datenbank AIS eLibarary wurde zudem nach peer-reviewed Literatur gefiltert, um die Qualität der Literatur sicherzustellen. Da die Datenbanken Scopus und Google Scholar eine große Anzahl an Suchtreffern aufwiesen, wurden nur so viele Artikel mit in den Review-Prozess eingeschlossen, bis auf zehn aufeinanderfolgenden Seiten keine relevante Literatur mehr gefunden wurde. Sofern der Artikel nach dem Lesen des Titels, Abstracts und Fazits als relevant eingestuft wurde, folgte eine Volltextanalyse sowie eine Vorwärts- und Rückwärtssuche (vom Brocke et al. 2009). Die Literatur gilt als relevant, wenn diese Funktionen von Vernetzungsplattformen im Gesundheitswesen und im Kern Gesundheitsakteure und -empfänger betreffen, darunter vor allem Apotheken, Arztpraxen und Kliniken, Pflegedienste sowie Patienten (Gesundheitsregion EUREGIO 2021). Des Weiteren wurde Literatur eingeschlossen, in der eine Kosten-Nutzen-Betrachtung von Telemedizin (Van den Heuvel et al. 2021) oder einzelner Funktionen einer Vernetzungsplattform wie z. B. Monitoring von Vitalparametern betrachtet wurde (Aguillard und Garson 2020).

Um neben der wissenschaftlichen Literatur das Themenfeld auch aus Praxissicht zu betrachten, wurde eine Marktrecherche durchgeführt. Dabei wurden mehrere Plattformen im Gesundheitswesen identifiziert, die Funktionen wie z. B. Terminvermittlung, Videosprechstunde und Medikamentenmanagement anbieten. Insgesamt wurden 13 Anbieter (arzttermine.de, Clickdoc, CredoWeb, DocMorris, Doctolib, GoSpring, Jameda, Linda, MediMan, nooa, Samedi, sanego, TeleClinic, Zavamed) betrachtet, die mindestens eine Teilfunktion einer Vernetzungsplattform anbieten. Beispielsweise werden Funktionen wie Terminbuchung, digitaler Dokumentenaustausch oder asynchrone Kommunikation im Bereich des Medikations‑, Informations- und Kommunikationsmanagement abgedeckt, um den Patienten entlang des Behandlungspfades zu begleiten. Ein Großteil der Anbieter konnte über die Suchbegriffe „Arzttermin online“, „Arzttermin bewerten“ und „Arztrezept online einlösen“ gefunden werden, da diese Anbieter vom Suchalgorithmus zuerst vorgeschlagen wurden. Nach der Identifizierung folgte ein Screening des Angebots und der abgebildeten Online-Funktionen, die dem passenden Akteur in der Kosten-Nutzen-Analyse zugeteilt wurden. Für weitere Erkenntnisse aus der Praxis, wurden zehn semistrukturierte Experteninterviews durchgeführt, transkribiert und nach Mayring (2010) qualitativ ausgewertet. Bei der Auswahl der Experten wurde beachtet, dass mindestens zwei Experten je Akteur interviewt wurden: drei Apotheker, zwei Pfleger, zwei Ärzte und drei IT-Experten, von denen einer eine eigene Vernetzungsplattform entwickelt. Eine Übersicht über die Experten, dessen Position im Unternehmen und Berufserfahrung sowie weitere Interview-Details befindet sich im Anhang. Als Vorbereitung auf das Interview wurden jedem Experten mögliche Anwendungsfälle einer Vernetzungsplattform im Gesundheitswesen bereitgestellt, um sich mit den Inhalten vertraut zu machen (Bogner et al. 2014).

3 Kosten-Nutzen-Analyse

Abb. 2 stellt aus den Experteninterviews abgeleitete Anwendungsszenarien für den Einsatz von Vernetzungsplattformen dar, die den Umfang dieser Kosten-Nutzen-Analyse zeigen. In diesem Anwendungsszenario werden die verschiedenen Akteure dargestellt, die über eine Vernetzungsplattform im Gesundheitswesen auf die gleiche Datenbasis zugreifen sollten, damit eine qualitativ hochwertige und effiziente Versorgung gewährleistet werden kann. Laut den Experteninterviews ist es vor allem notwendig, die primären Akteure, Apotheken, Arztpraxen und Kliniken, Pflegedienste und Patienten, über eine Plattform zu vernetzen, da hier der größte Abstimmungsbedarf vorliegt. Zusätzlich ist es sinnvoll, die Kommunikation auch zu sekundären Akteuren, also nicht direkt am Behandlungspfad beteiligten Akteuren, wie Angehörige und Softwareentwickler herzustellen (Oesterreich et al. 2020). Generell besteht ein großer Bedarf an einem intersektoralen Medikationsmanagement, das in der Abb. 2 innerhalb der Ebene „Daten & Funktionen“ dargestellt ist (Behne und Teuteberg 2021) und mehrere Funktionen umfasst: Medikationsplan, -änderungen, -bestellungen, -historie und -betreuung der Patienten. Ein plattform- und geräteunabhängiger Zugriff auf die Daten bietet sich an, da nicht nur der Patient, sondern auch der Pflegedienst oder die Apotheke auf ihren auswärtigen Touren zu den Patienten von den Plattform-Funktionen auf mobilen Geräten profitieren. Durch einen Chat könnten die Akteure asynchron miteinander kommunizieren. Das ermöglicht die Bearbeitung eines Auftrags z. B. zwischen zwei Kundengesprächen sowie die patientenzentrierte Einsicht aller relevanten Daten und dokumentiert automatisch die Bearbeitung. Aufgrund der hohen Sensibilität von Gesundheitsdaten sollten diese Daten auf Servern in Deutschland gespeichert werden. Dabei würde die Bereitstellung der Daten über zentrale Server in Deutschland viele Vorteile wie den einfachen Datenaustausch und die -verarbeitung mit sich bringen, wobei Plattformentwickler genau definieren und betrachten sollten, wie sicher die Daten gespeichert werden (Priyanka und Ramakrishna 2020).

Abb. 2
figure 2

Daten, Funktionen und Systemanbindung von Vernetzungsplattformen je Akteur

Generell lassen sich die Kosten in Anlehnung an Oesterreich und Teuteberg (2018) sowie Irani und Love (2013) in direkte und indirekte Kosten unterteilen. Die Kosten wurden im Rahmen der Literaturrecherche, Experteninterviews und Marktrecherche trianguliert. Tab. 1 präsentiert unter Betrachtung dieser Aufteilung alle ermittelten Kosten für die Akteure Apotheken, Arztpraxen, Pflegedienste und Patienten. Dabei wurden die dazugehörigen Quellen nach Literaturquellen, Interviews und Marktrecherche aufgeschlüsselt.

Tab. 1 Kosten von Vernetzungsplattformen für die Akteure

Die indirekten Kosten lassen sich einordnen als Kosten, die bei der Integration einer Vernetzungsplattform, beim Management, bei der Planung und Organisation einer neuen Systemeinführung zu einem erhöhten Arbeitsaufkommen führen. Insbesondere sind hierbei Kosten gemeint, die der Gewährleistung der Interoperabilitätsstandards, wie zum Beispiel bei der Anbindung an die Telematikinfrastruktur (TI), dienen (Irani und Love 2013).

Die direkten Kosten können in initiale und laufende, monatliche Kosten aufgeteilt werden. Es gibt z. B. Vernetzungsplattformen, bei denen der Apotheker die Rolle als Gesundheitsmanager einnimmt und dieser Initialkosten für die Einrichtung einer Plattform und zusätzlich monatliche Lizenzgebühren und zubuchbare Zusatzmodule, die je nach Anbieter variieren, trägt (MediMan o.J.). Für Ärzte wird meist ein Abonnement in Form von Lizenzgebühren angeboten. Der Preis für ein Abonnement variiert je nach Plattformanbieter und Gesundheitsakteur. Ebenso können nach Bedarf digitale Anwendungen, wie z. B. Videosprechstunden dazugebucht werden. Für Patienten fallen in der Regel keine Infrastrukturkosten oder Lizenzgebühren an, vielmehr werden die Kostenaspekte der Plattform von den Gesundheitsakteuren übernommen.

Die Ausnahme können anfallende Individualkosten bilden z. B. für eine Foto-Diagnose oder ähnliche Zusatzleistungen (Zavamed o.J.). Weitere Kosten, die im Rahmen einer Anreise oder bei Terminausfall entstehen, können durch den Einsatz von Telemedizin gesenkt bzw. kosteneffizienter gestaltet werden (Uscher-Pines und Mehrotra 2014; Buvik et al. 2019; Isetta et al. 2015). Durch Einbindung von Videosprechstunden auf einer Vernetzungsplattform, wird dieser Kostenvorteil ebenfalls genutzt (CGM o.J.; Samedi o.J.; Jameda o.J.). Kosten für beispielsweise Wartung und Instandhaltung werden in Tab. 1 nicht berücksichtigt, da diese Kosten von den Betreibern der Vernetzungsplattform übernommen werden und durch die monatlichen Lizenzgebühren abgedeckt sind (MediMan o.J.; DocMorris o.J.; Clickdoc o.J.).

Mithilfe einer Literaturrecherche, Marktrecherche und Experteninterviews konnten viele Nutzen von Vernetzungsplattformen identifiziert und über die Datentriangulation zusammengetragen werden. Nach der Datentriangulation wurden die Nutzen zusammengefasst und in übergeordnete Anwendungsgebiete geclustert. Generell lassen sich die Nutzen auf drei Anwendungsgebiete aufteilen: Kommunikations‑, Informations- und Medikationsmanagement. Tab. 2 zeigt einen Überblick über die einzelnen Nutzen in den verschiedenen Anwendungsgebieten und die begünstigten Akteuren. Im Folgenden werden die unterschiedlichen Anwendungsgebiete anhand des Beispiels der Apotheken präsentiert: Im Anwendungsgebiet Kommunikationsmanagement steht die Erweiterung des digitalen Angebots im Vordergrund (Grandhi und Osatuyi 2018). Dazu können z. B. digitale Anwendungen zur Kontaktaufnahme und ein Online-Apothekenshop genutzt werden. Die Nutzung eines Apothekenshops ermöglicht außerdem die effizientere Nutzung von Personalressourcen (AP1; AP2; MediMan o.J.; DocMorris o.J.).

Tab. 2 Nutzen von Vernetzungsplattformen für die Akteure

Im Bereich Informationsmanagement steht unter anderem die Verbesserung des Informationsaustausches und des Images im Fokus. Durch die Digitalisierung der Datenerfassung und Dokumentation lässt sich die Dokumentation vereinheitlichen, was zu erhöhter Transparenz und einem geringeren Büromaterialverbrauch führt (AP1; IT1; Grandhi und Osatuyi 2018). Weiterhin lassen sich dadurch auch Zuständigkeiten besser verteilen, was zu höherer Effizienz und Arzneimitteltherapiesicherheit führt. Die bessere Datenverwaltung kann sich auch positiv auf die Vorbereitung auf Beratungsgespräche auswirken, „da […] eben eine erhöhte Therapiesicherheit gegeben [ist], weil der Patient alle Gesundheitsinformationen an einer Stelle gebündelt hat und alle Leistungserbringer […] auf einheitliche Informationen zugreifen. So können Wechselwirkungen vermieden werden. Die Informationslage ist viel schneller, viel tagesaktueller“ (IT2). „Wir haben nicht nur das Medikament für ihn bereitliegen, sondern […] wir können ihm schon Dinge zu Wechselwirkungen […] sagen […]. Ich gehe davon aus, dass man wieder mehr Fokus auf die Beratung legen kann“ (AP2). Für das dritte Anwendungsgebiet – das Medikationsmanagement – wird erwartet, dass vor allem die Einführung und Verwendung des E‑Rezepts einen großen Nutzen für die Apotheken schafft. Durch das digitale Vorliegen der Rezepte können physische Bearbeitungsschritte entfallen und der Büromittelverbrauch reduziert werden (AP2).

Zusammen mit der schnelleren Rezeptübermittlung führt dies auch zu einer Beschleunigung der Bestellabwicklung bei gleicher oder verbesserter Qualität (z. B. im Hinblick auf die Kommunikationsfehler) der Prozesse (AP1; AP2; IT1; IT3; MediMan o.J.; LINDA o.J.; DocMorris o.J.). Die Verfügbarkeit der Rezeptbestellung per E‑Rezept kann zusätzlich zu einem besseren Image führen. Eine weitere mögliche Funktion ist die digitale Medikationshistorie, die eine frühzeitige Erkennung möglicher Wechselwirkungen von Medikamenten und eine höhere Arzneimitteltherapiesicherheit unterstützt (AP1; AP2; IT1; IT3; LINDA o.J.; DocMorris o.J.; Sanego o.J.; Teleclinic o.J.), so kann „anhand der nachhaltig und schlüssig ausgefüllten Medikationsunterlagen [eine] Arzneimittelsicherheitsprüfung [vorgenommen werden], sodass […] Risiken [vermieden werden]“ (AP1).

Viele der ermittelten Nutzen gelten im gleichen oder ähnlichen Maße für mehrere oder alle Akteure. Darunter fällt die generelle Kommunikation, z. B. für das Festlegen von Terminen. Durch asynchrone Kommunikation mit Chat-Tools oder Online-Terminvereinbarungen kann die Anzahl an Telefonaten reduziert werden (AP1; AP2; IT1; Samedi o.J.; DocMorris o.J.; Doctolib o.J.; Vassilakopoulou et al. 2016; Bonet et al. 2018). Der Patient profitiert implizit vom effizienteren Informationsaustausch der Gesundheitsakteure, denn hierdurch können Fehler in der Behandlung gesenkt, die Arzneimitteltherapiesicherheit erhöht und Wechselwirkungen rechtzeitig erkannt werden (AP2; IT2; Sanego o.J.; CredoWeb o.J.).

4 Diskussion

Dieser Beitrag liefert zahlreiche Implikationen für Forschung und Praxis. Die Ergebnisse dieser Forschungsarbeit können von den verschiedenen Akteuren im Gesundheitswesen genutzt werden, um ex-ante Bewertungen durchzuführen und Wirtschaftlichkeitsanalysen zu treffen. Die Kosten-Nutzen-Analyse kann als Momentaufnahme angesehen werden, die regelmäßig zu aktualisieren und anzupassen ist, um Analysen und Wirtschaftlichkeitsanalysen zu ermöglichen (Visconti und Morea 2020; Schumann und Linß 1993). Den größten Nutzen bildet hierbei der vereinfachte Informationsaustausch unter den Gesundheitsakteuren und zu dem Patienten. Eine Implementierung einer Vernetzungsplattform in den Apothekenalltag kann befürwortet werden, da hierdurch höhere Absatzpotentiale sowohl durch Neukundengewinnung als auch Stammkundenbindung realisiert werden könnten (praktische Implikation für Apotheker). Eine Kostenminimierung kann z. B. durch eine Logistikvereinfachung, die durch die Anbindung eines Online-Apothekenshops an das Warenwirtschaftssystem realisiert wird, ermöglicht werden. Zusätzlich kann durch eine Vernetzungsplattform eine stärkere Online-Präsenz erreicht und mehr Reichweite generiert werden, wodurch das Image der Apotheke im Bereich der Digitalisierung verbessert wird. Bei Arztpraxen bewirkt die Vernetzungsplattform, dass durch eine Online-Terminvereinbarung Terminausfälle verringert und der Aufwand zur Terminfindung reduziert werden kann. Daraus folgt, dass das medizinische Personal entlastet wird und sich mehr auf die Patientenversorgung fokussieren kann. Der aktuelle Trend zeigt außerdem, dass Videosprechstunden eine hohe Nachfrage haben und es von Vorteil ist, diese im Leistungsportfolio einer Arztpraxis zu berücksichtigen (praktische Implikation für Ärzte). Durch die Einbindung einer Vernetzungsplattform profitieren die Arztpraxen somit nicht nur durch die monetären Nutzen, sondern auch durch die Steigerung der Qualität in der Patientenversorgung. Durch den weiteren Ausbau digitaler Anwendungen können die identifizierten Nutzen erweitert werden. Der Wunsch für solchen Ausbau z. B. durch digitale Verordnung oder Überweisungen, kann mit einer Befragung von Arztpraxen bestätigt werden (Albrecht et al. 2020). Auch für die Pflege kann eine Vernetzungsplattform empfohlen werden (praktische Implikation für Pflegedienste). Sie profitieren insbesondere durch eine verbesserte Koordination der internen Abläufe und schnelleren Zugang zu Patienteninformationen. Außerdem können Aufgaben wie z. B. Botendienste zur Apotheke effizienter gesteuert und in den Alltag integriert werden. Kürzere Kommunikationswege zu Ärzten und Apotheken erleichtern zudem den Arbeitsalltag des Pflegepersonals. Es bietet sich an, Patienten die Nutzung von Vernetzungsplattformen kostenlos zur Verfügung zu stellen, damit das Angebot eine höhere Reichweite erzielen kann (praktische Implikation für Vernetzungsplattformbetreiber). Sie profitieren vor allem durch eine Reduzierung des Zeitaufwands sowie durch eine erhöhte Arzneimitteltherapiesicherheit. Sie können durch eine Online-Terminvereinbarung einfacher und schneller an ihren Wunschtermin gelangen oder können sich Anfahrtswege zum Arzt sparen, indem sie eine Videosprechstunde nutzen. Durch neue eingebundene Technologien wie das E‑Rezept können sich die Verfügbarkeit von ihren Medikamenten prüfen und schneller in Kontakt mit ihrer Wunschapotheke treten.

Eine Implikation für die Forschung ist, dass wenig bis kaum Kosten in der wissenschaftlichen Literatur thematisiert werden. Die Literaturrecherche ergab wenige Ergebnisse und auch die Interviewpartner konnten nur schwer konkrete Kosten zur Nutzung von Vernetzungsplattformen benennen. Um mehr Quantifizierbarkeit und Validität zu den semi-strukturierten Interviews zu erhalten, sollte der Leitfaden ausgebaut und die Interviewanzahl bei den verschiedenen Gesundheitsakteuren erhöht werden. Bei den zehn durchgeführten Interviews kann ein Bias nicht endgültig ausgeschlossen werden. Daher sollten die Aussagen aus den Interviews durch einen quantifizierbaren Fragebogen bestätigt oder widerlegt werden.

Der Beitrag dieser Arbeit ist eine Übersicht über identifizierte Kosten und Nutzen, die eine Grundlage für zukünftige Wirtschaftlichkeitsbetrachtungen wie bspw. Total Cost of Ownership von Vernetzungsplattformen liefern (wissenschaftliche Implikation). Die Nutzentabelle (siehe Tab. 2) bildet die Sicht von Akteuren, einer aktuellen Marktrecherche und einer Literaturrecherche ab und fasst die Nutzen in drei Anwendungsgebiete zusammen. Diese kann ebenfalls in zukünftige Forschungen eingebunden und bei Bedarf erweitert werden. Da es bislang keine vollumfänglichen Vernetzungsplattformen im Gesundheitswesen gibt, ist eine Entwicklung einer solchen Plattform für die Gesundheitsakteure empfehlenswert, da die (monetarisierten) Nutzen die Kosten in vielen Anwendungsfällen überwiegen. Da in der vorliegenden Arbeit keine Quantifizierung der Nutzen erfolgt, kann auf dieser Basis der Effizienzsteigerung kein konkreter Wert beigelegt werden.

Dieser Beitrag unterliegt Limitationen. Im Rahmen der Interviews kann es aufgrund sozialer Erwünschtheit bei den Akteuren zu Argumentationszwängen und somit zu Verzerrungen in den Aussagen des Experten kommen (Pickel und Pickel 2009). Dem wurde entgegengewirkt, indem nicht nur Akteure und ein Entwickler einer Vernetzungsplattform interviewt wurden, sondern auch zwei unabhängige Branchen-Experten aus der Forschung und dem IT-Consulting. Hinzuzufügen ist, dass selbst die Experten nach mehrfachen Nachfragen keine Aussagen bezüglich der Quantifizierbarkeit bestehender Arbeitsprozesse und der Ressourcenverwendung/-nutzung treffen konnten. Weiterhin ist anzumerken, dass nicht alle potenziellen Akteure einer Vernetzungsplattform im Gesundheitswesen bei der Betrachtung berücksichtigt wurden. So wurden z. B. keine Vertreter von Krankenkassen, Blisterzentren, der Physiotherapie oder von Sanitätshäusern interviewt. Daher ist die Informationsgewinnung für die Kosten- und Nutzenanalyse eingeschränkt. Innerhalb dieser Arbeit beschränkt sich die Forschung auf eine ausschließlich positive Entwicklung, die durch die Effizienzsteigerung, Kostensenkung und anderen Nutzen erreicht wird und vernachlässigt somit vollständig die Betrachtung etwaiger Rebound-Effekte, die im Rahmen der Nutzung einer Vernetzungsplattform durch Ressourceneinsparungen ebenfalls entstehen können (Semmling et al. 2016). Bedingt durch die Auswahl bestimmter Suchdatenbanken und Suchterme sowie der Anwendung bestimmter Exklusions- und Inklusionskriterien kann ein Selektionsbias bei der Literaturrecherche vorliegen, die trotz der sorgfältigen Durchführung Dokumentation nicht gänzlich ausgeschlossen werden kann.

5 Ausblick und Fazit

Für die Beantwortung der Forschungsfrage wurden die Ergebnisse der Literatur- und Marktrecherche mit Experteninterviews trianguliert und zu einem Kosten-Nutzen-Framework zusammengestellt. Diese Arbeit leistet einen Beitrag, indem es die Kosten- und Nutzenaspekte im Zusammenhang mit der Nutzung einer Vernetzungsplattform detailliert aufzeigt und somit eine ganzheitliche Betrachtung in künftiger Forschung und Praxis ermöglicht. Ressourcen können effizienter genutzt werden, wodurch Kostensenkungen entstehen. Weiterhin führt die effiziente Ressourcennutzung gleichwohl zu einer verbesserten Patientenversorgung. Die Integration von Telemedizin in die Patientenversorgung trägt zur Kosteneffizienz bei.

Es wird empfohlen, aus Sicht der Gesundheitsakteure zunächst ex ante zu analysieren, welche der hier besprochenen Kosten und Nutzen für sie von besonderer Relevanz sind. Insbesondere dieser empirische Abgleich kann zu einer Evaluation und Verbesserung des Kosten-Nutzen-Rahmenwerkes beitragen. Die Praxis sollte sich somit aktiv am weiteren Forschungsprozess beteiligen und mithilfe von Rückmeldungen und Diskursen einen Beitrag leisten.

In Zukunft könnten weitere Interviews mit Gesundheitsakteuren und Plattformanbieter sowie Patienten durchgeführt werden, um weitere Erkenntnisse zu erlangen. Ein repräsentativeres Meinungsbild könnte durch quantitative Umfragen sowie weitere Experteninterviews eingeholt werden. Beispielsweise können Nutzeffektketten hergeleitet werden, um weitere Wirkungszusammenhänge zu identifizieren. Entlang der Effektketten können dann Prozessmodelle erstellt werden, um die Veränderungen vor und nach einer Einführung einer Vernetzungsplattform zu visualisieren, um somit den Akteuren z. B. die Effizienzsteigerung aufzeigen zu können. Anhand der Prozessmodelle können in Kooperation mit den Gesundheitsakteuren weitere Prozessanalysen vorgenommen werden, indem prozessgetriebene Schwachstellenanalysen durchgeführt werden. Des Weiteren ist es möglich die identifizierten Nutzen zu quantifizieren und in ein Simulationsmodell mit darauf aufbauender Sensitivitätsanalyse zu vertiefen, die zu einer Make or Buy Handlungsempfehlung führen können.