1 Einführung und Forschungsfragen

Hochschulen für angewandte Wissenschaften (HAW) und Universitäten (gemeinsam nachfolgend als Hochschulen bezeichnet) werden vor vielfältige Herausforderungen in ihrer Digitalen Transformation gestellt. Für Forschung, Lehre und Verwaltung sind unterschiedliche Anforderungen, Stakeholder und Rahmenbedingungen zu beachten. Zum Beispiel verpflichtet das Onlinezugangsgesetz (OZG) Bund, Länder und Kommunen, ihre Verwaltungsleistungen bis Ende 2022 auch elektronisch über Verwaltungsportale bereitzustellen. Den diesbezüglich erreichten Stand und die bestehenden Herausforderungen fassen Ruschmeier et al. (2020) zusammen, formulieren Gelingensbedingungen auf Ebene der Politik sowie der Hochschulen und verweisen auf den zur Realisierung notwendigen Dialog aller Akteur:innen zur Umsetzung der „Lebenslage Studium“.

In der Lehre werden, insbesondere beschleunigt durch die COVID-Pandemie seit 2020, die Lehr‑, Lern- und Prüfmethoden im Rahmen der Digitalen Transformation angepasst (Gilch et al. 2021b). Auch in der Forschung ist die Digitale Transformation in allen Disziplinen, aber auch fachübergreifend spürbar. Hochschulen als Ganzes befinden sich in unterschiedlichen Entwicklungsstadien der Digitalen Transformation, aber was ist Digitale Transformation?

Hierfür orientieren wir uns an der Definition von EDUCAUSE (Reinitz 2020), welche die drei Ebenen der Digitalisierung – Wandlung in digitales Format/Digitization, Digitalisierung/Digitalization und Digitale Transformation/Digital Transformation (Dx) – wie folgt umschreibt:

  • Wandlung in digitales Format/Digitization: Hier ist der Übergang von analogen zu digitalen Informationen gemeint, deren Bereitstellung und Nutzung organisatorisch berücksichtigt wird.

  • Digitalisierung/Digitalization: Hierunter wird die Abbildung, Automatisierung und Optimierung von einzelnen Prozessen durch klassische Informationstechnologien (IT) verstanden.

  • Digitale Transformation/Digital Transformation (Dx): Hier ist eine Entwicklung der strategischen Ausrichtung oder Werte der gesamten Einrichtung gemeint. Dies umfasst eine tiefgreifende und koordinierte Veränderung der Dimensionen Kultur, Personal und Technologie. Für den Erfolg der digitalen Transformation sind umfassende Maßnahmen in beiden Ebenen Digitization und Digitalisierung notwendig.

Der Unterschied zwischen Digitalisierung und Digitaler Transformation ist die Wirkung der Digitalen Transformation auf die gesamte Einrichtung. Nur eine in der Hochschulleitung verankerte Vorgehensweise erlaubt die übergreifende Vernetzung aller Akteure, Daten und Prozesse.

In der Unternehmenswelt wird diese Funktion von einem Chief Digital Officer (CDO), in Abgrenzung zu der bestehenden Funktion des Chief Information Officers (CIO), erfüllt (Haffke et al. 2016; Velinov et al. 2020). Als alternative Begrifflichkeit für das D in CDO wird auch Data (Earley 2017) verwendet. Zur CDO-Funktion gehören hierbei u. a. die Entwicklung einer unternehmensweiten Digitalisierungsstrategie, die Koordination von Stakeholdern und die Steuerung der Digitalen Transformation als Veränderungsprozess, welcher die Kultur, das Personal und die Technologie für die gesamte Organisation umfasst. Der CDO berichtet hierbei der Unternehmensleitung, insbesondere dem CEO, und ist fester Bestandteil der Führungsebene. Eine Übersicht zur Charakterisierung, den Gründen zur Einrichtung und die Wirksamkeit von CDOs in Firmen wurde durch Hiller (2021) zusammengestellt. Gerade in Bezug auf die Wirksamkeit konnte das Literatur-Review keine Berichte zur Steigerung essentiellen Geschäftserfolgs nachweisen, außer in Fällen, wo andere Leitungsfunktionen (CEO usw.) eine essentielle Unterstützung im Umfeld des CDOs bieten.

Basierend auf den Entwicklungen in der Unternehmenswelt stellt sich die Frage, wie die Digitale Transformation an Hochschulen gesteuert werden kann. In welcher organisatorischen Form lassen sich die Aufgaben und Verantwortlichkeiten im Hochschulkontext realisieren?

In dieser Arbeit werden wir folgende Forschungsfragen (FF) betrachten:

  • FF1: Welche Treiber sind hochschul-spezifisch für die Weiterentwicklung des Selbstverständnisses der klassischen Leitung von (wissenschaftlichen) Rechenzentren (CTO) über CIOs zu CDOs?

  • FF2: Welchen Zusammenhang gibt es zwischen der lokalen und übergreifenden IT-Governance und wie wirkt sich dieser auf das Verständnis der CIO/CDO-Funktion aus?

  • FF3: Sind die drei Ebenen der Digitalisierung (Wandlung in digitale Formate, Digitalisierung von Prozessen, Digitale Transformation der Organisation) in Zusammenhang zu den drei Funktionen (CTO, CIO, CDO) zu sehen und welche Anhaltspunkte gibt es dafür?

Diese Forschungsfragen werden beispielhaft anhand der Entwicklung der IT-Governance an Hochschulen in Bayern untersucht. Dazu wird die Entwicklung der CIO-Funktion in Bayern ab der breiten Einführung beginnend in 2010 mit der hochschultyp-spezifischen Zusammenarbeit hin zur hochschultyp-übergreifenden Zusammenarbeit der CIOs und RZ-Leitungen in einem Digitalverbund nachvollzogen.

Die Arbeit fasst in Abschnitt 2.1 zunächst die Ausgangslage der Leitungsfunktionen in der IT an öffentlichen Hochschulen in Bayern zusammen. Im Abschnitt 2.2 wird die Entwicklung der IT-Governance an bayerischen Hochschulen quantitativ analysiert und dann im Blickwinkel der politischen Anforderungen der Hochschulen dargestellt. Die Weiterentwicklung zu einer hochschulübergreifenden IT-Governance in Form des Digitalverbunds auf Landesebene wird in Abschnitt 2.3 vorgestellt und das sich verändernde Rollenverständnis des CTO/CIO/CDO in Abschnitt 2.4 im Kontext von Interviews zu den COBIT Controls der Governance betrachtet. Abschnitt 2.5 fasst die Entwicklung als Grundlage für das folgende Kapitel zusammen.

In der dort folgenden Analyse werden die zuvor geschilderten spezifischen Entwicklungen in Bayern entlang der FF im Kontext der Literatur beleuchtet (Abschnitte 3.1 bis 3.3). Die Bedeutung der Entwicklung fasst Abschnitt 3.4 zusammen. Die Arbeit schließt mit einer Zusammenfassung der Ergebnisse und gibt einen Ausblick auf die künftige Entwicklung.

Der chronologisch orientierte Aufbau der Arbeit ermöglicht eine weitgehend kohärente Nachvollziehbarkeit der komplexen Entwicklung. Die Anteile der eigenen quantitativen Analyse (Abschnitt 2.2) der CIO/CDO-Formen werden verzahnt mit der Tiefenanalyse der Interviews (Abschnitt 2.4) sowie weiteren unterstützenden Quellen der Literaturanalyse dargestellt. Es wird zugunsten eines kompakten Formats und des nachvollziehbaren zeitlichen Ablaufs auf ein formales Review verzichtet. Die jeweiligen Analyseschritte dieser Arbeit werden im Text klar als solche benannt.

2 Entwicklung der IT-Governance in Bayern

2.1 Ausgangslage

Ausgehend von ersten Beispielen von CIOs an Hochschulen schrieb die DFG Empfehlungen der Jahre 2001–05 fort und urteilte: „Ohne CIO-Funktionalität und IT-Controlling ist diese Entwicklung nicht beherrschbar.“ Auch in den Folgejahren waren konkrete DFG Empfehlungen (Deutsche Forschungsgemeinschaft 2010) Grundlage zur „Verankerung der IT-Strategie auf der Leitungsebene der Hochschule; Stichwort Chief Information Officer (CIO)“ und damit der Einführung der CIO-Funktion.

Die IT-Strategie der CIOs der bayerischen Universitäten (2010) forderte eine Weiterentwicklung der IT-Governance-Strukturen, wobei insbesondere empfohlen wurde, den IT-Bereich als Ressort in den Hochschulleitungen zu verankern. Darüber hinaus sollten die hochschulübergreifenden Kooperationen weitergeführt und ausgebaut werden.

Die DFG Empfehlungen wurden bundesweit in unterschiedlichen Formen umgesetzt (von der Heyde und Breiter 2016), z. B. durch die Etablierung von Vizepräsident:innen (VP) für IT oder die Etablierung eines CIOs oder CIO-Gremiums. Von außen z. B. über die Webseiten waren bis 2009 an sechs bayerischen Hochschulen CIO-Strukturen erkennbar. In den Jahren 2010 bis 2018 kamen CIO-Strukturen an weiteren 11 Hochschulen in Bayern hinzu bzw. wurden in diesem Zeitraum nach außen sichtbar gemacht. Zusätzlich begannen die Hochschulen in den Präsidien neben den klassischen Kernaufgaben Forschung und Lehre auch die Digitalisierung als einen Schwerpunkt organisatorisch zu verankern und nach außen zu kommunizieren (von der Heyde 2018).

Mit der Etablierung der CIO-Funktion entwickelte sich ungeachtet der Ausprägung und der Stellung zur Hochschulleitung ein Bedarf für den Erfahrungsaustausch der CIOs zwischen den Hochschulen. Der bundesweit aufgestellte Hochschul-CIO Verein wurde 2016 gegründet. In verschiedenen Bundesländern wurden zusätzlich zu den bestehenden Gremien der Leitungen der Rechenzentren (RZ) informelle hochschultyp-spezifische CIO-Runden gegründet. Durch gegenseitiges Vertrauen und Kooperation konnten unter anderem in Bayern durch CIO- und RZ-Leitungs-Runden erste Projekte initiiert und erfolgreich umgesetzt werden, auf denen die spätere Gesamtstrategie aufbauen konnte.

2.2 Entwicklung der letzten drei Jahre

Die Ende 2018 durchgeführte Studie über die Verbreitung von Digital-Strategien an öffentlichen Hochschulen in Deutschland (Knutzen et al. 2019) hat an den 40 untersuchten Bayerischen Hochschulen 14 (33 %) mit einer öffentlichen Hochschul-Strategie oftmals im Sinne eines Hochschul-Entwicklungs-Plans (HEP) gefunden. An acht (20 %) der Einrichtungen waren strategische Konzepte zum IT-Einsatz sichtbar. Die Situation in Bayern lag in der Studie demnach knapp über dem bundesweiten Durchschnitt, so dass von einer typischen Situation gesprochen werden kann.

Die im Rahmen dieser Arbeit vorgenommene Analyse identifizierte über die Webseiten bzw. über die Sprecher:innen von landesweiten Gremien an 30 der untersuchten 46 bayerischen Hochschulen (kirchlich, privat und öffentlich finanziert) einen CIO oder einen VP für IT bzw. Digitalisierung. Davon entfallen 27 (von 34) auf die öffentlich finanzierten und drei (von 12) auf kirchlich bzw. privat finanzierte Institutionen. Die Verteilung war entlang der Hochschulform ebenfalls deutlich unterschiedlich: 10 von 11 Universitäten haben eine übergreifende CIO-Funktion etabliert; an 19 (von 27) HAWs ist die CIO- bzw. VP-Funktion vorhanden. Bei den acht untersuchten Hochschulen der Künste wurde eine mit übergreifender CIO-Funktion gefunden. Im Folgenden betrachten wir daher im Schwerpunkt die öffentlich finanzierten HAWs und Universitäten, um daraus Folgerungen abzuleiten.

Die übergreifenden Entscheidungen werden im Sinne der IT-Governance in den Präsidien getroffen. Wenn ein entsprechender VP für IT oder Digitalisierung bzw. eine Kanzler:in gleichzeitig mit dem Selbstverständnis eines CIOs diese Entscheidungen vorbereitet und mit trägt, kann von einer organisatorisch verankerten IT-Governance gesprochen werden. Diese ist bei fast allen öffentlich finanzierten Hochschulen (bei 9 von 10 Universitäten und 17 der 18 HAWs) sichtbar und liegt damit weit über dem bundesweiten Durchschnitt. Bei gut 1/3 dieser Fälle (9 von 28) ist die Verankerung über VPs in der Hochschulleitung erfolgt. In drei Fällen ist der Vorsitz des zentralen IT-Gremiums direkt an die Funktion der Kanzler:in gebunden und damit ebenfalls eine direkte Repräsentanz in der Hochschulleitung etabliert. Ein weiteres Drittel der Fälle (9 von 28) hat Stabsstellen (bis auf eine Ausnahme professoral) ausgeprägt. Bei sieben Hochschulen wird die CIO-Funktion von der operativen Leitung des zentralen IT-Service-Zentrums übernommen. In dieser Doppelfunktion ist primär von einer beratenden Gestaltung der operativen CIO-Funktion auszugehen. Bei fünf Hochschulen sind CIO und VP mit unterschiedlichen Personen gleichzeitig besetzt, so dass hier von einer engen Abstimmung ausgegangen wird, die aber direkten Zugang mit Stimmrecht ins Präsidium hat.

In einem Prüfbericht des bayerischen Obersten Rechnungshofs (ORH) wurde, neben der Verbesserung der IT-Sicherheit und RZ-Flächenmanagements, eine hochschulübergreifende Steuerung durch das Bayerische Staatsministerium für Wissenschaft und Kunst (StMWK) eingefordert. Dies initiierte u. a. eine Aufforderung des StMWKs an die CIO- und RZ-Leitungs-Runden, eine hochschultyp-übergreifende Arbeitsgruppe zur Fortschreibung und damit Erneuerung der IT-Strategie einzusetzen.

Im Gutachten der Expertenkommission für Forschung und Innovation (EFI) (2019) wurde in Abschnitt B 4.1 (S. 94) positiv hervorgehoben, dass viele Hochschulen sich der Erarbeitung einer Digitalisierungsstrategie widmen. Die Ursachen für hochschul-spezifische Herausforderungen werden mit Hinweis auf die Imboden-Kommission in der mangelnden Effizienz-Orientierung der Governance gesehen. In einer Neuauswertung der EFI-Gutachten wurde durch Gilch et al. (2021a) eine hohe positive Kovarianz zwischen der Bereitschaft von Hochschulen zur Kooperation bei der Digitalisierung, der Existenz von IT-Governance-Strukturen und der Verschriftlichung von Digitalisierungsstrategien belegt.

2.3 Digitalverbund als Ausdruck der hochschulübergreifenden IT-Governance

Im November 2019 wurden die bayerischen CIOs und RZ-Leitungen, organisiert in den jeweiligen hochschultyp-spezifischen Runden, vom StMWK aufgefordert, die IT-Strategie der bayerischen Hochschulen fortzuschreiben. Die neu erarbeitete IT-Strategie umfasst 12 Strategie- und Entwicklungsfelder und die Weiterentwicklung der IT-Governance zu einem hochschultyp-übergreifenden Digitalverbund der bayerischen Hochschulen, welcher auf den bestehenden CIO- und RZ-Leitungs-Runden basiert.

Durch die Digitalisierung der Hochschullandschaft ändert und erweitert sich das Rollenverständnis und die Aufgabenfelder der CIOs. Zusätzlich zur Steuerung der IT-Versorgung an den Hochschulen, z. B. Verbesserung der Informationssicherheit, bekommt durch die Digitalisierung die Kooperation und Koordination mit den Verantwortlichen aus Forschung, Lehre und Verwaltung mehr Bedeutung. Damit erhält die Zusammenarbeit insbesondere mit den VPs und Kanzler:innen einen neuen Stellenwert.

Die sich verändernden Anforderungen an die CIO-Funktion spiegeln sich im Prozess der Fortschreibung der IT-Strategie und den Ergebnissen wider. Die 12 Strategie- und Entwicklungsfelder der IT-Strategie widmen sich IT- und Digitalisierungsthemen. Zur ressourcenschonenden und effektiven Umsetzung dieser 12 Handlungsfelder werden Hochschulübergreifende IT-Services (HITS) eingesetzt, welche für alle bayerischen Hochschulen bereitstehen. Zur Koordination und strategischen Ausrichtung wird der Digitalverbund aufgebaut, welcher IT- und Digitalisierungsanforderungen sammelt und priorisiert und Handlungsempfehlungen ausspricht. Hierbei werden auch Vertreter der Hochschulverbünde, Kanzler und VPs für Lehre bzw. Forschung integriert. Der Digitalverbund (siehe Abb. 1) wird von den bayerischen Hochschulverbünden und dem StMWK legitimiert.

Abb. 1
figure 1

Erwartete Weiterentwicklung der bayerischen IT-Governance Struktur anhand der 2021 verabschiedeten IT-Strategie. (Durchgehender Rahmen bestehende Strukturen, gestrichelter Rahmen entstehende Strukturen, dünnen Pfeile geplante Delegationen in Gremien, dicke Pfeile thematische Interaktionen zwischen den Organisationsstrukturen)

2.4 Interview-Studie basierend auf COBIT zum CTO-/CIO-/CDO-Rollenverständnis

Durch die Nutzung von COBIT 2019 wurden die verschiedenen fachlich relevanten Perspektiven durch insgesamt 85 verschiedene Aufgaben in einem strukturierten Interview integriert (Gerl et al. 2020). Die Aufgaben des Themas Governance mit den Praktiken „Evaluieren, Vorgeben und Überwachen“ (Evaluate, Direct and Monitor EDM01 bis EDM05) wurden dabei als Grundlage genutzt. Das Interview wurde mit sechs (n = 6) ausgewählten Vertretern der CIO- und RZ-Leiter-Runden (2 CIOs Universität, 1 RZ-Leitung Universität, 2 CIOs HAW, 1 CIO und RZ-Leitung in Doppelfunktion) durchgeführt.

Die Interviews von Anfang 2020 zeigten ein gemeinsames Verständnis der Rollenverteilung zwischen RZ-Leitung (CTO) und CIO. Der CIO macht gegenüber der Hochschulleitung Vorschläge, über welche entschieden wird. Sollte der CIO auch die Position eines VP innehaben, ist er/sie im Präsidium an der Entscheidung beteiligt und trägt damit mehr Verantwortung. Die Umsetzung der beschlossenen Themen unterliegt der Verantwortung des CTO mit dem Rechenzentrum. Durch die fortschreitende Digitalisierung in Bayern liegen auch Digitalisierungsprojekte in der (Teil‑)Verantwortung von CIOs zusammen mit z. B. dem Kanzler oder VP.

Durch die politische Gewichtung der Digitalisierung, weitergegeben durch die Ministerien und Hochschulverbünde, erfährt auch die IT eine verstärkte Aufmerksamkeit. Jedoch existiert eine formalisierte Kooperation mit anderen Ressorts, z. B. mit der Runde der VPs für Lehre, nicht.

Aus den Interviews kann abgeleitet werden, dass die Rolle der CTOs als Umsetzer oder Bereitsteller von IT-Dienstleistungen gefestigt ist, auch im Hinblick auf die Digitalisierung. Die Rolle des CIOs befindet sich jedoch im Wandel bzw. wird durch Aufgaben zur Digitalisierung der Hochschule ergänzt. Dies unterscheidet sich je nach interner Governance-Struktur der Hochschulen, wobei der Bedarf zur Verankerung der Verantwortung von Digitalisierungsvorhaben deutlich wird. Dies wird durch eine hochschulübergreifende Sichtweise verstärkt, wenn insbesondere die CIO-Runden zu Empfehlungen zu Digitalisierungsvorhaben angefragt werden.

2.5 Zusammenfassung

Die Hochschulen in Bayern haben durch einen kooperativ gestalteten, konstruktiven Dialog gemeinsam angestrebte Ziele und Aufgaben in der Versorgung mit IT-Services formuliert. Die Basis dafür war nicht nur die Erkenntnis, dass Kooperation hilfreich wäre und möglich ist, sondern auch die Legitimation der handelnden Personen, welche letztendlich Autonomie der einzelnen Institution zugunsten einer gemeinschaftlichen Versorgung aufgeben.

Eine Veränderung der Sichtbarkeit der am Prozess beteiligten Personen innerhalb der Hochschulen ist schwer von außen zu beurteilen. Im hochschulpolitischen Dialog zwischen den Institutionen und dem StMWK wurden die VP für Digitalisierung bzw. die CIOs der bayerischen Hochschulen parallel zum Diskussionsprozess in der Gemeinschaft sichtbarer. Die gestiegene Häufigkeit der Rollen ist nicht nur in absoluten Zahlen unserer Analyse erkennbar, sondern wird auch durch die offizielle Legitimation zur Außenvertretung auf den Webseiten als Verantwortliche zur gemeinsamen Steuerung deutlich. Der Anteil der Hochschulen, die eine IT-Governance-Struktur nach außen dokumentieren, liegt an HAWs und Universitäten in Bayern deutlich über dem Bundesdurchschnitt. Offenbar wurde an den HAWs und Universitäten in den vergangenen Jahren wesentlich konsequenter die CIO-Funktion bzw. eine steuernde Funktion auf Ebene der Präsidien eingerichtet.

An den Hochschulen werden CIO-Gremien, die sich oftmals nicht von IT-Beratungsgremien unterscheiden, als Kommunikations-Ebene genutzt, um den partizipativen Prozess für die Entscheidungsfindung zu unterstützen. Bei insgesamt 11 Ausprägungen der IT-Governance ist zusätzlich zu den klassischen Kernprozessen im Präsidium das Thema Digitalisierung als Schwerpunkt definiert. Zusätzlich konzentrieren sich drei Modelle, bei denen der/die Kanzler:in die CIO-Funktion übernimmt, auf die Digitalisierung der Verwaltungsprozesse.

Die Interviews anhand von COBIT zeigen deutliche Hinweise, dass das Rollenverständnis des CTO in Bayern klar ist. Die CIO-Funktion wird hochschulintern durch vielfältige Digitalisierungsvorhaben erweitert. Außerdem kommen Beratung und die Übernahme von Verantwortung für hochschulübergreifende Vorhaben hinzu. Damit lässt sich ein Bedarf für einen dedizierten Ansprechpartner für Digitalisierung bzw. Digitale Transformation ableiten, welcher aktuell auch von den VPs für Digitalisierung oder CIOs mit übernommen wird.

3 Reflexion der Forschungsfragen im Kontext der Literatur

Die bis zu diesem Punkt erläuterte komplexe Entwicklung in Bayern über den Zeitraum von etwa 20 Jahren erlaubt keine experimentelle, systematische Untersuchung, in der Alternativen hätten durchgeführt oder testweise umgesetzt werden können. Die Veränderungen haben sich schrittweise vollzogen und wurden argumentativ durch die jeweils handelnden Personen im Netzwerk der Gemeinschaft aller Hochschulen unter unkontrollierten, externen Einflüssen durchlebt. Die Rückbetrachtung stellt also primär eine Deutung und Interpretation im Kontext der Literatur dar. Diese Analyse wird im letzten Abschnitt wieder in den Kontext in Bayern gestellt, um damit die FF konkret zu beantworten.

3.1 Hochschul-spezifische Treiber der Entwicklung

Die wissenschaftlichen Rechenzentren waren im Jahr 2000 in der Regel nicht für die Verwaltungssysteme der Institutionen verantwortlich, wie die thematische Ausrichtung der ZKI-Arbeitskreise (Abschnitt 4.4 in Held 2009) zeigt. Die Rechenzentren wurden oft professoral geführt oder geeignete Leitungspersonen aus dem Mittelbau übernahmen die technische Bündelung der entstandenen zentralen Infrastrukturen (S. 11, Held 2009). In der Industrie herrschte für eine vergleichbare Leitungsfunktion die Bezeichnung Chief Technology Officer (CTO) vor.

Das Ziel, zu einem integrierten Informationsmanagement zu gelangen, förderte die Einführung der CIO-Funktion (Bode 2002). Die Vereinigung von wissenschaftlichen Rechenzentren und den Verwaltungs-IT-Abteilungen versprach Synergien für den Betrieb der IT. Großprojekte wie die Einführung von Campus-Management-Systemen führten zu weiteren organisatorischen Veränderungen, welche zwar eine Digitalisierung innerhalb des Ressorts Studium und Lehre förderten, aber an den Übergängen zwischen Verwaltung und Lehre bzw. Wissenschaft ebenfalls die Kulturunterschiede als Barrieren erfuhren.

Die übergreifende Digitalisierung zur Transformation der Kernprozesse in einem Szenario, wo digitale Services erst durch die Vernetzung von Daten quer zu allen Kernprozessen und der Verwaltung ins Leben kommen, hat – auch in Resonanz zum gesellschaftlichen Trend – die Einführung von CDOs bzw. VPs für Digitalisierung angestoßen. Die Formulierung der Digitalen Strategie könnte dabei im Gegensatz zur Rolle der untergeordneten IT-Strategie zu einer gleichberechtigten Sicht führen. Bharadwaj et al. (2013) erwarten, dass die digitalen Aspekte, sobald diese normal sind, einfach ein Bestandteil der Business-Strategie respektive Hochschul-Strategie werden.

3.2 Zusammenhänge zwischen der IT-Governance der lokalen Institutionen und der Interaktion in der Gemeinschaft

In der Gemeinschaft der Hochschulen sind die Vertreter:innen in Landesgremien oftmals delegiert, um die Interessen der eigenen Institution wahrzunehmen. In der spezifischen Konstellation der Kooperation von vielen Hochschulen in der Digitalisierung hat dies zu unterschiedlichen Zusammensetzungen von Gremien in den Bundesländern geführt (von der Heyde et al. 2022). Die Zusammenarbeit hat rückwirkend auch zu Veränderungen in den Hochschulen geführt. Dies ist u. a. darauf zurückzuführen, dass die delegierten Vertreter:innen in den Gremien eine Sprachfähigkeit und Entscheidungsvollmacht für die gemeinschaftlichen Handlungen benötigten. Die Gründung von aktiven Kooperationsmodellen, die über unverbindliche Gremien und den Austausch von Informationen bzw. Konzepten hinausgehen und wirtschaftlich handeln können, in dem z. B. ein Austausch von IT-Service-Leistungen organisiert wird, erfordert eine andere Ebene der Verbindlichkeit.

In Folge der Gründung des Digitalverbunds sind die dort steuernden Delegierten zukünftig in den Heimateinrichtungen für die jeweilige Umsetzung verantwortlich. Die gemeinschaftlichen Beschlüsse wirken, trotz Aufgabe der individuellen Freiheit, für die Umsetzung der Digitalisierung förderlich an den Institutionen. Diese Hypothese wird durch neueste Ergebnisse gestützt (Gilch et al. 2021a) und bestätigt die von von der Heyde (2016) diskutierte Skalierung der institutionellen, internen Governance und Governance zwischen den Einrichtungen in der Kooperation.

3.3 Zusammenhänge der Begriffsebenen der Digitalisierung und der Entwicklung der Führungsfunktion

Aus dem abstrakten Blickwinkel scheinen die drei Ebenen der Digitalisierungsbegriffe (Digitization/Digitalization/Digital Transformation) insgesamt der Entwicklung der IT-Governance als Wandlung vom CTO über den CIO zum CDO zu entsprechen. Basierend auf der vorgestellten Interview-Studie scheint sich mindestens an Hochschulen das Grundverständnis der IT-Governance mit diesen Funktionen zu verändern und jeweils eine weitere Ebene der erforderlichen Koordination zu erreichen.

3.3.1 CTO und Wandlung in digitales Format/Digitization

Die Mainframes wurden als Forschungsgegenstand aus den Fachbereichen der Hochschulen herausgelöst und in zentralen Organisationseinheiten – den sog. Rechenzentren – durch moderne Client-Server-Architekturen abgelöst. Der breite Einsatz in allen Bereichen der Institution, die Vernetzung vieler Systeme und die fortschreitende Nutzung des Internets für normale Lebensbereiche erforderte die Verwaltung (professionelle Administration) von kostspieligen, zentralen Technologien. Informationen aus allen Prozessfeldern wurden von analogen in digitale Formate gewandelt, so dass diese mit geeigneten Technologien für isolierte Prozesse (z. B. Reisekostenabrechnung, Inventarverwaltung) zur Verfügung gestellt werden konnten. Kapitel 1 und andere Abschnitte in Held (2009) zeichnen diese Geschichte aus dem Blickwinkel des ZKI nach, wobei früh erkannt wurde, dass die Nutzung der Information in Prozessen einen fundamentalen Wandel gestartet hatte.

3.3.2 CIO und Digitalisierung/Digitalization

Die vorhandenen digitalen Informationen bekommen eine Relevanz, indem eine Verknüpfung entlang einzelner Arbeitsschritte digitale Prozessketten etabliert. Die Koordination dieser Prozesse entlang der klassischen Arbeitsorganisation erforderte die Einführung einer CIO-Funktion (Bode 2002). In den Hochschulen blieben die Prozesse und abbildenden IT-Systeme bislang weitgehend nach den Bereichen Lehre (Student-Life-Cycle) und Forschung (Scientific-Life-Cycle) getrennt. Der CIO unterstützte die Prozessdigitalisierung primär innerhalb dieser Kernprozesse (Degkwitz und Schirmbacher 2015).

3.3.3 CDO und Digitale Transformation/Digital Transformation

In der Verknüpfung von Informationen quer zu den traditionellen organisatorischen Silos entstehen zusätzliche Mehrwerte durch Multi-Sided Plattformen und neue Wertschöpfungsketten, die bisher nicht erreichbar waren, da die Prozesse meist in der analogen Welt verblieben (von der Heyde et al. 2018, 2019). Durch die Digitalisierung laufen sie nun in großen Mengen standardisiert ab und hinterlassen zusätzliche Nutzungsspuren. Die produktive Nutzung der zusätzlich verknüpfbaren Daten führt zu einer Quervernetzung zwischen Geschäftsprozessen, verändert diese und bringt neue hervor, so dass diese Vernetzung bis in die Leitungsebene durch den CDO gesteuert werden sollte (Hiller 2021).

Der CDO übernimmt an Hochschulen die Verantwortung für die Digitalisierung, wenn mehrere Geschäftsfelder vernetzt werden müssen (Auth und von der Heyde 2022). Die Verankerung der übergreifenden digitalen Aspekte aller Hochschulziele erfolgt durch die CDOs in den Digitalisierungsstrategien.

3.4 Konkrete Einordnung der Situation in Bayern

Die Kooperation der Akteure in Bayern folgt den oben beschriebenen Stadien von den Gremien der Leitungen der Rechenzentren über die Gremien der CIOs bis zum Digitalverbund, der von den Delegierten einen direkten Kontakt zu den Präsidien erfordert. Die letztliche Benennung der Person – CIOs oder VPs bzw. CDOs – ist dabei weniger relevant als die Verankerung direkt an den Beschlüssen der Institution, damit diese mit dem gemeinschaftlichen Vorgehen eng abgestimmt werden können.

Damit in den HITS letztlich die Unterstützungsprozesse übergreifend so gestaltet werden können, dass diese eine transformierende Wirkung in den beteiligten Einrichtungen erhalten, ist die Koordination zwischen Nachfrage und Angebot erforderlich. Die Kopplung, welche bereits in (von der Heyde 2016) als Grundlage der Kooperation formuliert wurde, ist auf der Ebene der Steuerungsprozesse notwendig. Die Formulierung der Bedarfe der Hochschulen rückt in den Fokus und löst eine angebotsorientierte Versorgung der klassischen Rechenzentren ab. Die dazu notwendigen internen Gremien sind eine Unterstützung im Wechselspiel der Abstimmung zwischen Nachfrage und Angebot, denn die lokalen Service-Einrichtungen bleiben letztlich verantwortlich für die erbrachten Leistungen, auch wenn diese ggf. an anderen Einrichtungen erbracht und nur als Broker vermittelt werden.

Die Delegation der Steuerungsverantwortung von den Präsidien an die fachlich verantwortlichen VPs bzw. CDOs erscheint als eine notwendige Voraussetzung, damit die Koordination der Kooperation zwischen Einrichtungen zusätzlich zur Vernetzung der internen Geschäftsprozesse zwischen den Geschäftsfeldern Forschung und Lehre realisiert werden kann.

4 Zusammenfassung der Ergebnisse und Ausblick

Die dargestellte Entwicklung zeichnet die Veränderungen der Steuerung der IT-Versorgung über die Umsetzung von digitalen Prozessen hin zu einem übergreifendem Digitalverbund der bayerischen Hochschulen nach. Die beteiligten Akteure erfahren zeitgleich zur Veränderung der Koordinations-Ebene eine Veränderung des Aufgabenspektrums von der Technologie als CTO, über die Prozesse als CIO zu der Digitalen Transformation als CDO. Die neuen Aufgaben zur übergreifenden Koordination der Digitalisierung im Sinne einer Veränderung der Gesamtorganisation werden in der Praxis entweder von einem dedizierten CDO oder von einem CIO mit CDO-Charakter übernommen. Es muss in der Praxis die Digitale Transformation als Querschnittsaufgabe in der Leitung verankert sein, um effektiv gestaltet werden zu können, z. B. durch einen VP für Digitale Transformation.

Die CDO-Funktion wird aktuell an einigen bayerischen Hochschulen durch fachlich zuständige VPs wahrgenommen, unabhängig von der Benennung der Funktion. Die Bildung des Digitalverbunds erscheint sowohl als Konsequenz der Kooperation als auch als Grundlage der erweiterten Übernahme von Verantwortung innerhalb der Einrichtungen. Eine enge Kooperation wurde bereits in den Jahren 2010 bis 2020 auf technischer Ebene erreicht. Die gemeinsame Entwicklung auf Ebene der übergreifenden Prozesse im Digitalverbund, wie diese in großen Forschungsverbünden oder zur vollständig flexiblen Mobilität von Studierenden zwischen den Einrichtungen benötigt wird, erfordert aber die gleichermaßen übergreifende Koordination dieses Bedarfs. Dies kann mit einer gemeinsamen Vision und Mission in Kooperation aller Hochschulen geleistet werden (von der Heyde et al. 2021). Daher erwarten wir, dass der Digitalverbund in den kommenden Jahren weiterhin sowohl die internen IT-Governance-Strukturen der Hochschulen beeinflussen wird als auch zu einer engen Zusammenarbeit aller Hochschulen für eine gemeinsame Digitalisierung beitragen kann.