Nicht nur im vorangegangenen Kapitel vorgestellten spezifischen Projekt Stadtquartier 2050, sondern allgemein in aktuellen Quartiersprojekten wie beispielsweise EnStadt:Pfaff (Pfaff Reallabor 2021) werden mobile Apps entwickelt und betrieben, um dem Klimawandel durch technisch unterstütztes klimabewusstes Verhalten entgegenwirken zu können. Die möglichen Ziele für den Einsatz einer MQA sind vielfältig. Sie reichen von der Analyse und dem Benchmarking des Energiekonsumverhaltens der Bewohner:innen oder deren Information und Schulung zu klimabewussterem Leben über die Unterstützung innovativer Mobilitätskonzepte für das Quartier bis hin zur Bereitstellung digitaler Verwaltungsservices für die Bewohner:innen oder eine Förderung der Interaktion zwischen Bewohner:innen und damit des sozialen Lebens im Quartier, wie zum Beispiel bei der App Animus (Animus 2021).
Aus den Erfahrungen im Projekt Stadtquartier 2050 wurden die drei Dimensionen Benutzerzentriertheit, Datenschutz und Wirtschaftlichkeit identifiziert, die für die Entwicklung einer MQA und die daraus abgeleiteten Handlungsempfehlungen zentral sind. Unterstützung für die Bedeutung der Dimensionen findet sich auch in der Literatur. Sepasgozar et al. (2019) beschreiben die Wichtigkeit der Benutzerzentriertheit zur Erreichung von Technologieakzeptanz im urbanen Kontext, Vandercruysse et al. (2020) betonen die Bedeutung von Datenschutz für Services in smarten Städten und Bastidas et al. (2018) und Weiß und Strahringer (2021) greifen das Thema Wirtschaftlichkeit bei der Entwicklung von digitalen Artefakten und Services im städtischen Umfeld auf.
Alle der oben genannten Dimensionen dienen einer Verbesserung der Situation der Bewohner:innen eines Quartiers, welche zugleich die Benutzer:innen einer MQA sind. Die erste Dimension der Handlungsempfehlungen für die Konzeption und Entwicklung erfolgreicher MQAs in diesem Beitrag ist daher ein benutzerzentriertes Vorgehen. Abb. 2 fasst mögliche Ziele einer MQA sowie das Zusammenspiel zwischen Bewohner:innen, der MQA, dem Quartier sowie den drei Dimensionen der Handlungsempfehlungen grafisch zusammen. Die fett gedruckten Aspekte finden sich in der MQA aus dem Projekt Stadtquartier 2050 wieder. Diese wird als Fallbeispiel in Kapitel 4 näher vorgestellt.
Benutzerzentriertheit
Alle vorgestellten Ziele von MQAs sind nur erreichbar, wenn die Bewohner:innen die zur Verfügung gestellten Konzepte und Services auch in Anspruch nehmen. Nachhaltigkeitsziele können insbesondere durch die Veränderung des individuellen Verhaltens erreicht werden. Konzeption und Entwicklung einer MQA sollten daher benutzerzentriert erfolgen, um durch eine hohe Benutzerakzeptanz Verhaltensänderungen herbeiführen zu können. Für die benutzerzentrierte Softwareentwicklung ist eine Analyse relevanter Personengruppen erforderlich. Neben einer Ausrichtung der Ziele und Anforderungen einer MQA auf eine oder mehrere dieser Zielgruppen ist eine direkte Einbindung der Benutzer:innen in das Anforderungsmanagement sinnvoll. Diese kann beispielsweise durch Befragungen mithilfe von Fragebögen oder auch im Dialog erfolgen, beispielsweise durch Fokusgruppen, also moderierte Gruppendiskussionen mit den Quartiersbewohner:innen. Evaluationen durch Benutzer:innen sollten zu mehreren Zeitpunkten stattfinden. Zum einen vor der Entwicklung, beispielsweise in initialen Anforderungsworkshops, zum anderen nach der Anforderungserhebung auf Basis bereits entwickelter Konzepte. Durch die Implementierung von Anreizmechanismen aus den vier definierten Kategorien Bequemlichkeit/Salienz, Informationsvermittlung, Monitoring/Feedback und sozialer Einfluss (Abrahamse und Schuitema 2020; Heiskanen et al. 2020) kann die Benutzerzentriertheit einer MQA weiter gestärkt werden.
Datenschutz
Datenschutz ist die zweite zentrale Dimension der Handlungsempfehlungen für Konzeption und Entwicklung erfolgreicher MQAs. Bei der Kommunikation mit Bewohner:innen smarter Stadtquartiere werden Kontaktdaten erfasst. Möglicherweise werden Energieverbräuche oder Raumklimadaten der Bewohner:innen auf Haushaltsebene erfasst. Für die Bereitstellung bestimmter Services im Quartier oder Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten wie beispielsweise Befragungen oder Workshops kann die Erfassung soziodemografischer Daten erforderlich sein. Mit diesen Daten könnten Profile gebildet werden, die Rückschlüsse auf die Gewohnheiten und Lebensumstände der Bewohner:innen zulassen. Viele Unternehmen nutzen die Unachtsamkeit von Konsument:innen aus, die zwar angeben, auf Datenschutz Wert zu legen, jedoch keine Maßnahmen dazu ergreifen. Dabei handelt es sich um das sogenannte Privatsphäre-Paradoxon (Lasarov und Hoffmann 2021). Nicht nur aufgrund des gesetzlichen Einhaltungszwangs, sondern auch zur Sicherstellung der Akzeptanz der Benutzer:innen sollten daher über die gesamte Laufzeit des Entwicklungsprojekts beziehungsweise die Lebensdauer einer MQA Datenschutzmaßnahmen ergriffen werden. Bei Vernachlässigung drohen neben hohen Bußgeldern auch das Scheitern des Projekts oder Teilen davon durch fehlende Akzeptanz der Bewohner:innen.
Um im Bereich Datenschutz möglichst sorgfältig zu arbeiten und eine hohe Qualität der Ergebnisse sicherzustellen, empfiehlt sich die Einbindung externen Know-hows im Bereich Datenschutzrecht, wenn im Entwicklungsteam einer MQA beziehungsweise im Forschungsprojekt keine Expert:innen dieser Domäne vertreten sind. Vor allem bei der Erstellung und kritischen Prüfung von Datenschutzdokumenten wie Datenschutzkonzept, Informationsschriften oder Einwilligungserklärungen im Hinblick auf Konsistenz sowie einer rechtlich sicheren Implementierung von Prozessen rund um eine MQA kann die Einbindung externen Know-hows den langfristigen Projekterfolg sichern.
Bei jeder Verarbeitung personenbezogener Daten bewegt man sich nach EU-Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) grundsätzlich im Ausnahmebereich (Europäische Union 2019). Für jede Verarbeitung muss daher mindestens eine der in Art. 6 DSGVO genannten Rechtsgrundlagen vorliegen, wie beispielsweise die Einwilligung in die Verarbeitung oder eine Wahrung berechtigter Interessen des Verantwortlichen. Unabhängig von der Wahl der Rechtsgrundlage für die Datenverarbeitung ist die Erstellung eines Datenschutzkonzepts ratsam. Dieses beschreibt neben den Entscheidungen zur Einhaltung der einschlägigen Rechtsvorschriften auch technisch-organisatorische Schutzmaßnahmen zur Aufrechterhaltung des Datenschutzes und der Informationssicherheit bei der Entwicklung einer MQA.
Um den Datenschutz von Projektbeginn an zentral zu managen und Vorschläge und Entscheidungen rechtzeitig und regelmäßig an alle Interessensgruppen des Projekts zu kommunizieren, ist die Einrichtung einer zentralen Datenschutzkoordinationsstelle für den laufenden Projektbetrieb zu Beginn des Projekts ratsam. Aufgabe der Datenschutzkoordinationsstelle ist die zentrale Kommunikation von Anliegen der Bewohner:innen, beispielsweise bei Geltendmachung der Betroffenenrechte nach Art. 15–18 DSGVO. Selbst wenn sich Bewohner:innen bei gemeinsam Verantwortlichen zum Datenschutz nach Art. 26 DSGVO mit einem Auskunftsersuchen an einen beliebigen Projektpartner wenden, kann dieser das Anliegen unaufwändig an die Datenschutzkoordinationsstelle kommunizieren, welche es wiederum an die verantwortlichen Partner weiterleitet.
Wirtschaftlichkeit
Um MQAs auch außerhalb von Konsortial- oder Forschungsprojekten entwickeln und betreiben zu können, sollten einige wirtschaftliche Aspekte berücksichtigt werden. Einer der zu berücksichtigenden Aspekte ist der Funktionsumfang einer MQA. Der Funktionsumfang sollte auf Grundlage der festgelegten Ziele der MQA definiert werden. Die Bereitstellung innovativer und nachhaltigkeitsunterstützender Funktionalitäten soll beispielsweise das Quartier aufwerten und dadurch die Attraktivität für Kauf oder Miete von Immobilien im Quartier erhöhen. Wenn dies in einem Demonstrationsumfeld, beispielsweise im Rahmen eines Forschungsprojekts, gelingt, ist eine vergütete Überlassung der Nutzungsrechte einer MQA von einem öffentlich geförderten Geldgeber zu einem privaten Quartiersbetreiber denkbar. In diesem Fall profitieren beide Parteien von der Entwicklung der App. Eine allgemeine Funktionalität zur Sicherstellung der Rentabilität einer MQA ist das Einbinden lokaler Zielgruppenwerbung. Beispielsweise könnten Läden oder Handwerksbetriebe im oder nahe des Quartiers potenzielle Kund:innen so direkt auf sich aufmerksam machen.
Neben der Definition eines sinnvollen Funktionsumfangs sollten dringend mögliche Redundanzen zu bereits existierenden Lösungen wie anderen Apps oder Online-Diensten vermieden werden. Solche Redundanzen können ein K.-o.-Kriterium für die Profitabilität einer MQA sein. Funktionalitäten zur sozialen Verbindung von Bewohner:innen untereinander können beispielsweise oftmals durch bereits bestehende Softwarelösungen wie soziale Netzwerke deutlich kostengünstiger umgesetzt werden. Eine Integration solcher Features kann zwar eine Erleichterung für die Bewohner:innen darstellen, die jedoch den Mehraufwand bei der App-Entwicklung nicht aufwiegt. Insgesamt sollten in einer MQA also nur Features realisiert werden, die nicht über Standardsoftware abgedeckt werden können. Im Kontext von smarten Quartieren sind dies vor allem die Integration und Visualisierung von Smart-Meter-Daten, da es hierzu aufgrund der geringen Verbreitung von MQAs und der hohen Individualität und Heterogenität der Messinfrastrukturen in einzelnen Quartieren keine geeignete Standardsoftware gibt.
Ein weiterer Aspekt in Punkto Wirtschaftlichkeit ist eine hohe Skalierbarkeit. Da MQAs als Softwareprodukte grundsätzlich sehr niedrige Grenzkosten haben, können die hohen Entwicklungskosten vor allem durch Mehrfachanwendung kompensiert werden. Im besten Fall wird eine MQA in vielen verschiedenen Quartieren eingesetzt. Um solche Mehrfachanwendungen zu ermöglichen, sollte das im letzten Absatz beschriebene Problem der Individualität und Heterogenität der Informationstechnologie-Infrastrukturen in den Quartieren bewältigt werden. Dies kann über die generische Definition und Realisierung von Funktionalitäten und Schnittstellen erfolgen. Das betrifft vor allem die Schnittstellen zur Sensortechnik in den Quartieren, falls die MQA zur Energieverbrauchsanalyse eingesetzt wird. Auch die Ziele der MQA sollten für einen skalierbaren Einsatz der MQA quartiersunabhängig sein. Insgesamt soll ein Kompromiss zwischen einer möglichst hohen Erfüllung der Bedürfnisse der Bewohner:innen und einer möglichst hohen Rentabilität bei Entwicklung und Betrieb einer MQA geschaffen werden.
Zusammenspiel als Leitfaden
Die vorgestellten, aus Projekterfahrungen abgeleiteten Handlungsempfehlungen aus den Dimensionen Benutzerzentriertheit, Datenschutz und Wirtschaftlichkeit bilden zusammen einen Leitfaden zur Entwicklung erfolgreicher MQAs. Jedoch lassen sie auch im Zusammenspiel viel Spielraum für die App-Entwicklung, nicht jeder Einzelfall ist abgedeckt. Für bestimmte Anwendungsfälle soll der Leitfaden jeweils um fallspezifische Aspekte ergänzt werden. Durch das Befolgen der Handlungsempfehlungen bei der Entwicklung von MQAs kann der Erfolg und dadurch die Benutzerzahl der App erhöht werden. Hieraus resultiert bei Apps mit Klima- und Nachhaltigkeitszielen ein positiver transitiver Effekt für das Gelingen der Energie- und Wärmewende. Tab. 1 fasst die vorgestellten Handlungsempfehlungen auf einen Blick zusammen.
Tab. 1 Handlungsempfehlungen für Konzeption und Entwicklung erfolgreicher MQAs in den Dimensionen Benutzerzentriertheit, Datenschutz und Wirtschaftlichkeit