1 Einleitung

Bei der Gestaltung intelligenter, bürgernaher Städte und Gemeinden bieten kollaborative Innovationstrategien einen guten Ansatz für Inklusion und Partizipation (Torfing 2019). Sie versprechen, relevante Akteure mit unterschiedlichstem Hintergrund in Entscheidungs- und Entwicklungsprozesse einzubeziehen, um auf nutzerorientierte Weise Antworten auf komplexe Herausforderungen der öffentlichen Hand zu finden und mögliche Lösungsansätze frühzeitig zu legitimieren. Nicht zuletzt bieten die Formate eine Antwort auf die knappen Ressourcen in öffentlichen Verwaltungen (z. B. wegen schlechter Haushaltslagen, auf Grund von Nachwuchskräftemangel, wegen des demografischen Wandels) sowie die Möglichkeit, die Performanz und Transparenz der Dienstleistungen (Services) vor Ort zu erhöhen. Doch wie genau kann eine kollaborative Innovationsstrategie in Kommunen umgesetzt werden?

Der Ansatz des Design Thinking ist ein Werkzeug zur Gestaltung von innovativen Lösungen und dem Umgang mit komplexen Problemen (Brown 2008; Brown und Katz 2011), der zur Entwicklung neuer Ideen führen soll. Ziel sind Lösungen, die aus Anwendersicht (z. B. Perspektive der BürgerInnen) überzeugend sind. Seine Wurzeln hat das Design Thinking in der Produktentwicklung und Architektur. Heute wird es bei der Entwicklung von Produkten, Geschäftsmodellen, Strategien und – wie im vorliegenden Fall – Dienstleistungen angewendet (Brown 2008). Es ist eine vielschichtige Methode. Die leitenden Prinzipien, die die Haltung und Handlungen der Design Thinker formen, sind radikale Kollaboration, am Menschen orientiertes Handeln, sofortiges Demonstrieren, spielerisches Experimentieren, direkte Umsetzung, Klarheit und stetige Prozessorientierung. Diese Leitlinien helfen, schnell neue Perspektiven einzunehmen und nutzerorientierte Innovationen zu gestalten (Schmiedgen et al. 2016). Wie aber sieht Design Thinking konkret im öffentlichen Sektor aus?

In unserem Erfahrungsbericht möchten wir Ihnen Einblicke in unser Projekt „Open Government Lab: Designing Future – Kurorte der Zukunft“ (Bundesministeriums des Innern, für Bau und Heimat 2021) geben und darauf eingehen, wie die digitale Transformation gerade in ländlich geprägten Regionen gestaltet werden kann. In dem vom Bundesministerium des Inneren, für Bau und Heimat (BMI) geförderten Projekt nutzen wir die Ansätze des Design Thinking und das Prinzip eines Open Government in einem Verbund aus sieben Kurorten, diversen Klinikbetreibern und weiteren Partnern. Im Rahmen der Projektarbeit möchten wir die Potenziale des Design Thinking als Kollaborationsformat der Smart City von morgen verstehen. Dies tun wir im vorliegenden konzeptionellen Beitrag, indem wir fünf Thesen zum Thema Design Thinking als innovatives Kollaborationsformat der Smart City illustrieren:

  1. 1.

    Design Thinking ist inklusiv: Wie mit Design Thinking ein Partizipationsformat für Kommunen entsteht

  2. 2.

    Design Thinking ist kollaborativ: Warum viele Perspektiven helfen, man dabei aber einiges beachten muss

  3. 3.

    Design Thinking verhilft agilem Arbeiten: Warum Design Thinking auf agilen Prinzipien beruht und wie man den spezifischen Anwenderkontext berücksichtigen kann

  4. 4.

    Design Thinking ist nicht nur Mittel zum Zweck: Warum Design Thinking auch ein gutes Change-Management-Werkzeug ist

  5. 5.

    Design Thinking kombiniert Planung und Freiheit: Warum Design Thinking zwar Offenheit für Überraschungen bieten muss, es aber keine ungewollten Überraschungen geben sollte

In dem folgenden Kapitel gehen wir näher auf das Konzept der innovativen Kollaboration ein und beschreiben das Open Government Lab „Designing Future – Kurorte der Zukunft“. In Kapitel drei teilen wir die „Lessons Learned“ und schließen in Kap. 4 mit einer Diskussion und einem Ausblick.

2 Bisherige Arbeiten und der Case

2.1 Innovative Kollaboration

Die digitale Transformation unserer Städte ist eine der wichtigsten Herausforderungen unserer Zeit (Portmann und Finger 2015; Gil et al. 2019). Auf der einen Seite stehen Themen wie Landflucht oder Urbanisierung. Auf der anderen Seite bieten der technologische Fortschritt und aufstrebende Innovationen neue Möglichkeiten diesen Herausforderungen zu begegnen. Während der digitale Transformationsprozess in großen Städten und Metropolen bereits seit Jahren auf der Agenda von Verwaltung und Stadtgesellschaft steht, besteht gerade in ländlichen Regionen noch Handlungsbedarf (Ruhlandt 2018). Das lässt sich unter anderem durch kontextuelle Faktoren, wie unterschiedliche Autonomiegrade der Verwaltungsebenen oder die Verfügbarkeit von Wissen bei z. B. BürgernInnen (Ruhlandt 2018) erklären. Diese Faktoren sind bei Kommunen im ländlichen Raum geringer ausgeprägt als in großen Städten und Metropolen.

Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) sind der technologische Baustein von intelligenten Städten und Gemeinden (Smart Cities) (Andrushevich et al. 2015). Durch sie können sowohl die Qualität als auch Effizienz von städtischen Dienstleistungen verbessert werden. Gleichzeitig besteht bei zweckorientiertem Einsatz von IKT und bei einer gründlichen Risiko-Analyse die Möglichkeit, dass Kosten reduziert und Ungleichheit aufgehoben werden können (Yigitcanlar et al. 2018). Über die technologischen Neuerungen hinaus ist es wichtig, dass in Kommunen Formate für die kollaborative Zusammenarbeit zwischen Verwaltung, Bürgerschaft und Wirtschaft entstehen, um strategische Leitbilder zu erarbeiten und als greifbare Maßnahmen der Stadtentwicklung umzusetzen (Alawadhi et al. 2012).

Die Öffnung des Verwaltungshandeln spielt bei der Kollaboration von Smart Cities eine wichtige Rolle (Bickmann et al. 2020; Hennen et al. 2020). Governance-Formate rahmen die Zusammenarbeit unterschiedlicher Interessengruppen (engl. Stakeholder), die gemeinsam Verantwortung für die digitalen Angebote der öffentlichen Hand übernehmen. Diese haben bereits seit den 1980er-Jahren Bestand und stehen für Transparenz, Effizienz und Legitimität (World Bank 1992). Mit den fortschreitenden technologischen Möglichkeiten, wie dem Internet und der Präsenz der sozialen Medien, hat sich dann das Konzept des e‑Government entwickelt. Dabei werden neue Services für die BürgerInnen möglich und gleichzeitig gibt es neue, teils digitale Austauschformate zwischen der Verwaltung und den BürgerInnen. Durch Letzteres konnten neue Arten der Partizipation umgesetzt werden (e-Participation) (Guenduez et al. 2017). Allerdings zeigen sich nur geringe Beteiligungsquoten (Zepic et al. 2017). Eine persönliche Ansprache oder ansprechende Themen fördern jedoch die Beteiligungsquoten (Zepic et al. 2017).

Der nächste logische Schritt in der Öffnung des Verwaltungshandelns ist es, über bisherige Formen der Partizipation hinauszugehen und noch direktere Formen der Kollaboration zu ermöglichen (Crosby et al. 2016; Torfing 2019). Das bedeutet, dass BürgerInnen nicht nur beteiligt werden, sondern diverse Stakeholder gemeinsam an komplexen kommunalen Fragstellungen arbeiten. Auf dieser radikalen Einbeziehung fußt die Idee des Open Government, welche aus den drei Bausteinen Transparenz, Beteiligung und Zusammenarbeit besteht (Lathrop und Ruma 2010). Der Baustein Transparenz kann beispielsweise mit der voranschreitenden Digitalisierung beschrieben werden. Dabei spielt die langfristige Stärkung ländlicher Regionen vor dem Hintergrund demografischer Herausforderungen, schlechter Erreichbarkeiten sowie der Wertschätzung dieser Regionen eine zentrolle Rolle. Der Baustein Beteiligung kann z. B. durch die Einbindung von unterschiedlichen Akteuren gestärkt werden. Durch den gemeinsamen Austausch und Diskussionen zwischen Lokalpolitik, Verwaltung und Zivilgesellschaft können die Vorteile und Möglichkeiten von Open Government genutzt werden, um dialogorientiertes Handeln im ländlichen Raum zu verankern. Der Baustein Zusammenarbeit kann z. B. durch den Aufbau eines gemeinsamen Netzwerks mit unterschiedlichen Akteuren, den Einsatz von Arbeitsgruppen, Barcamps, Digital Cafés gestaltet werden und soll mit Co-Kreation ein gemeinsames Verständnis schaffen (Schaper-Thoma 2021). Gerade der Baustein der Zusammenarbeit bietet großes Potenzial für die Stadtentwicklung, da es um die Gestaltung der zukünftigen Lebensrealitäten der BürgerInnen vor Ort geht (Poocharoen und Ting 2015; Lembcke et al. 2019). Oftmals müssen vielschichtige Probleme gelöst werden, bei denen es nicht nur die eine richtige Lösung gibt. Der traditionelle Führungsansatz (Top-Down) gerät an seine Grenzen, da diese Herausforderungen ohne Graswurzelbewegungen (Bottom-Up) nicht angemessen bearbeitet werden können.

Kollaborative Innovation ist ein strategischer Ansatz, der Antworten liefern kann und verspricht, den Baustein der Zusammenarbeit vor Ort mit Leben zu füllen. Pragmatisch und mit wenig Ressourcenaufwand entsteht die Chance, Themen zu bearbeiten, die ansonsten nicht hätten bearbeitet werden können (Torfing 2019). Austausch und Wissenstransfer werden erleichtert, wenn Lösungen für die Probleme vor Ort generiert werden und die Beteiligten gewillt sind, ihre Perspektiven und ihr Wissen zu teilen (Torfing 2019). Zusätzlich kann es gelingen, Empathie für unterschiedliche Stakeholder, Nutzergruppen oder BürgerInnen aufzubauen. Gerade in Zeiten, die von Wandel und Unsicherheiten geprägt sind, ist das ein großer Vorteil für eine nachhaltig befähigte Stadtgesellschaft, die aus ihrer Mitte heraus innovativ ist (Crosby et al. 2016).

2.2 Design Thinking im Open Government Labor

Design Thinking ist ein einschlägiges Instrument zur kundenorientierten Entwicklung von Lösungen (Cross 2001; Uebernickel et al. 2015; Liedtka et al. 2017; Lembcke et al. 2019). Lösungen sollen stärker an den Kundenproblemen orientiert sein als an der technischen Machbarkeit (Brown 2008). Es umfasst einen mehrschrittigen Prozess, der von der Problemdefinition, über die Zielgruppenanalyse, Lösungsentwicklung und Prototypengestaltungen hin zum Testen der Ideen reicht (Schmiedgen et al. 2016). Die elementaren Dimensionen des Ansatzes sind die involvierten Personen, der genutzte Raum und eben jener mehrstufige Prozess (Uebernickel et al. 2015). Aufgrund ihrer hohen Relevanz möchten wir auf diese Dimensionen nun genauer eingehen.

Personen:

Design Thinker: Der Design Thinker übernimmt die inhaltliche Verantwortung eines Projekts und ist inhaltlich mit den Problemstellungen des Projektes vertraut (Kimbell 2009). Er oder sie übernimmt die Projektkoordination sowie die Workshop- und Projektadministration. Außerdem kennt er oder sie die wichtigsten Stakeholder und räumlich-sozialen Gegebenheiten und ist folglich HauptansprechpartnerIn für die Teilnehmenden.

Design Thinking-Coach: Der Design Thinking-Coach übernimmt die methodische Verantwortung eines Workshops und ist dafür ausgebildet, mit komplexen und vielschichtigen Problemstellungen umzugehen. Er oder sie übernimmt inhaltlich objektiv die Gruppenbetreuung sowie Vorbereitung und Moderation in den Workshops. Da das Design Thinking bestimmte Werte, Haltungen und Werkzeuge transportiert, ist er oder sie für die Methodik exzellent ausgebildet.

Workshop-Teilnehmende: Die Workshop-Teilnehmenden arbeiten gemeinsam unter Anleitung des Coaches an definierten Problemstellungen. Die Auswahl eines Themas kann je nach inhaltlicher Ausrichtung des Workshops gestaltet werden. Eine ausgewogene Mischung der Gruppen ist förderlich, da jede neue Perspektive ein großes Potenzial mit sich bringt.

Raum:

Kreativraum: Da Räumlichkeiten einen großen Einfluss auf die Art und Weise haben, wie wir zusammenarbeiten, sollte der Design Thinking-Raum idealerweise die kreativen Potenziale der Gruppe fördern. Er kann zur Abwicklung von Workshops dienen und sollte mit den notwendigen Möbeln ausgestatten sein (Uebernickel et al. 2015). Darüber hinaus ist es sinnvoll, dass dieser Raum an einem neutralen Ort ist, da es für die Workshops wichtig ist, alte Sachzwänge hinter sich zu lassen. So gelingt es einfacher, eine inspirierende Umgebung umzusetzen, die neue Ideen fördert.

Verstehensorte in Kommunen: Die Räume vor Ort sind von entscheidender Bedeutung. Das gilt insbesondere für die Phasen Verstehen und Beobachten (siehe Abb. 1), in denen ethnographische Methoden und Interviews durchgeführt werden. Die Verstehensorte helfen, die darauffolgenden Phasen auf ein gutes Fundament zu stellen. Die Design Thinker müssen das Leben vor Ort schließlich verstehen und ein Gefühl für die jeweilige Kommune bekommen, um Fragestellungen nutzerorientiert bearbeiten zu können.

Abb. 1
figure 1

Design Thinking-Prozess in Anlehnung an den Ansatz der Dark Horse Innovation GmbH (Große-Dunker 2019)

Prozess:

Die Workshop-Struktur sieht sechs Phasen vor (siehe Abb. 1). Es handelt sich um einen dynamischen Zyklus mit teils iterativen Schleifen. Schwerpunkte werden je nach Bedarf gesetzt. Der Prozess lässt sich in zwei Hauptphasen unterteilen, die Problemphase und die Lösungsphase. Diese bestehen wiederum jeweils aus je drei Schritten. Die Problemphase umfasst das Verstehen, Beobachten und Synthetisieren. Die Lösungsphase beinhaltet die Ideengenerierung, das Prototyping und schließlich das Testen der Ergebnisse oder Lösungen.

In allen Dimensionen spielen die bereits erwähnten Design Thinking-Prinzipien eine wichtige Rolle (Carlgren et al. 2016; Redlich et al. 2019). Die Art und Weise der Zusammenarbeit, während eines Design Thinking Workshops ist für viele, wenn auch nicht alle, MitarbeiterInnen in Verwaltungen neu und entspricht nicht dem, was die meisten VerwaltungsmitarbeiterInnen aus ihrem Alltag gewohnt sind.

3 Die fünf Thesen und unsere Erfahrungen im Use-Case

3.1 Open Government Lab „Designing Future – Kurorte der Zukunft“

Mit dem Projekt „Designing Future – Kurorte der Zukunft“ (Bundesministeriums des Innern, für Bau und Heimat 2021) entstehen deutschlandweit Open Government Labore, die die Öffnung der kommunalen Verwaltungen pilotieren. Dort will man gemeinsam an den Herausforderungen des digitalen Zeitalters und der Zukunftsfähigkeit der ländlich geprägten Kommunen arbeiten. Bürgernahe Anwendungen sollen erarbeitet werden und Co-Produktion und Co-Design in den Mittelpunkt rücken. Speziell in unserem Labor geht es um den „Kurort der Zukunft“. Der präventive Gesundheitstourismus bedient zum einen demografische Veränderungen und stellt zum anderen eine vielversprechende wirtschaftliche Erweiterung des kommunalen Portfolios dar. Neue Dienstleistungen und Angebote sollen die Lebens- und Arbeitsumgebung für BürgerInnen und BesucherInnen in Qualität und Quantität bedarfsgerecht und nachhaltig verbessern (siehe auch Geiger et al. 2020). In den Umgestaltungsprozess der Kurorte werden diverse Stakeholder einbezogen, etwa BürgerInnen, die Klinikbetreiber und deren Kooperationspartner, die heimischen ÄrztInnen, EinzelhändlerInnen, TourismuskoordinatorInnen und der Verwaltungsvorstand. Bisher haben wir zwei von sechs Workshops durchgeführt. Dabei diente uns der theoretische Rahmen (Personen, Raum und Prozess) immer wieder als Hilfe, um das Projekt in all seiner Komplexität und Offenheit zu strukturieren und unsere Erfahrungen zu reflektieren.

Es geht um die Frage, wie der Kurort der Zukunft konkret aussehen kann und der thematische Schwerpunkt ist die Gestaltung von neuen digitalen Services und individualisierten Dienstleistungsangeboten für Kurgäste auf Basis von mobil erhobenen Gesundheitsdaten. Dazu arbeiten VertreterInnen aus Forschung und Praxis gemeinsam an unterschiedlichen Leitfragen und nutzen die Design Thinking Methode. Sieben Kommunen und acht Organisationen aus dem Bereich der Gesundheitsversorgung und Tourismusbranche sind an dem Projekt beteiligt. Das Projekt wird dabei durchgehend von einer Universität begleitet. Darüber hinaus sind weitere Forschungseinrichtungen in einzelnen Workshops dabei.

Im Rahmen des Forschungsprojekts haben wir uns für eine gestaltungsorientierte Herangehensweise und Methode entschieden. Entsprechend der in der Wirtschaftsinformatik etablierten Methode Design Science Research (DSR) (Hevner et al. 2004) haben wir unser Vorgehen gestaltet, um die Zusammenarbeit vor Ort (als soziales Artefakt) (Lee et al. 2014) bestmöglich zu gestalten. Dabei haben wir uns an der Vorgehensweise nach Sonnenberg und vom Brocke (2012) orientiert, die eine wiederholte Evaluation nach jeder Entwurfsaktivität vorschlagen. Die Entwurfsaktivitäten erfolgten in vier Schritten: 1) Problemidentifikation, 2) Design, 3) Konstruktion und 4) Nutzung. Jede der Aktivitäten wurde durch eine Evaluation beendet. Die Problemidentifikation (die Fragestellung nach dem Kurort der Zukunft – Evaluation I) haben wir mittels Literaturrecherche evaluiert. Den ersten Entwurf für unsere Zusammenarbeit haben wir in Zusammenarbeit mit einem erfahrenen Design Thinking-Coach evaluiert (Experten-Interview – Evaluation II). Den konkreten Entwurf für die Zusammenarbeit (Projektmanagement und Workshop-design – Evaluation III) haben wir in einem gemeinsamen Workshop mit dem erfahrenen Design Thinking-Coach reflektiert. Die letzte Evaluation (Evaluation IV) haben wir durchgeführt, indem wir unsere Planung in dem Open Government Lab umgesetzt haben. Die folgenden Lessons Learned sind nach den vier Evaluationsstufen und auf Grundlage der gesammelten Daten in unserem Projektkonsortium entstanden.

3.2 Design Thinking ist inklusiv: Wie mit Design Thinking ein Partizipationsformat für Kommunen entsteht

Bürgerbeteiligung ist ein wichtiger Baustein bei der Öffnung unserer Verwaltungen im digitalen Transformationsprozess. Grundsätzlich kann das auf unterschiedliche Weise geschehen. Erstrebenswert sind die Zusammenarbeit und das gemeinsame kreative Problemlösen im Sinne von Co-Produktion und Co-Design. Der Design Thinking-Ansatz bietet hier einen guten Rahmen. Allerdings sind wir während der Vorbereitungen des ersten Workshops auf Herausforderungen gestoßen: In unserem Projekt geht es an einer Stelle konkret darum, neue digitale Services für Besucher in einem Kurort zu entwickeln. Eine potenzielle Nutzergruppe sind Kurgäste. An diesem Punkt wurde deutlich, wie schwierig die Beteiligung einiger Nutzergruppen ist, denn die Personen, die oft nach schweren Krankheitsverläufen psychischer oder physischer Natur zur Genesung in einem Kurort weilen, sind oft sehr belastet oder befangen. Während die aktive Mitarbeit dieser Nutzergruppe somit also herausfordernd ist, bietet der Design Thinking-Ansatz aber gleichzeitig eine große Chance, diese Personengruppe besser zu verstehen. Um ihre Bedürfnisse besser nachvollziehen zu können, haben wir explorative Interviews durchgeführt, die nicht direkt nach aktuellen Bedarfen fragen, sondern diese vielmehr durch empathisches, personenzentriertes Nachfragen aufdecken (Steller 2021). Im Anschluss hat es uns geholfen, die Interviews aufzuarbeiten, indem wir sowohl die Bedürfnisse der NutzerInnen, als auch die vorliegenden Hindernisse identifiziert haben, die der Erfüllung des Bedürfnisses bisher im Wege stehen.

Lessons Learned 1 (LL1):

Eine direkte Beteiligung von betroffenen Gruppen kann zu Einschränkungen im Lösungsraum führen. Deshalb lohnt sich die eingehende Untersuchung der Bedarfe potenzieller NutzerInnen bereits vor den Partizipationsworkshops.

3.3 Design Thinking ist kollaborativ: Warum viele Perspektiven helfen, man dabei aber einiges beachten muss

Offenheit und Transparenz sind notwendige Bedingungen der Open Government Labore und auf den ersten Blick scheint es, dass man daraus schlussfolgern sollte, möglichst viele und diverse Gruppen zusammenzustellen (Carlgren et al. 2016). Im Design Thinking lebt die Gruppe von der Dynamik und Diversität der Personen, die an einem Problem arbeiten. Allerdings lässt sich diese Annahme nicht ohne weiteres auf Kommunen übertragen. Die verschiedenen Stakeholder haben oft eine starke, normative Haltung und spezifisches, teils exklusives Wissen in Bezug auf ein zu lösendes Problem. In unserem Beispiel wird das anhand zweier Stakeholdergruppen deutlich. Zum einen gibt es die VerwaltungsmitarbeiterInnen, die einen Fachbereich vertreten. Mit ihrer Funktion sind Verantwortungen und eine gewissermaßen politische Perspektive verbunden. Zum anderen gibt es gesundheitswirtschaftliche Experten auf dem Gebiet. Wasserkuren und therapeutische Behandlungsverfahren in Kurorten fußen auf das Wissen ausgewiesener Experten, was dazu führen kann, dass mögliche Lösungsräume außer Acht gelassen werden. Deshalb schlagen wir vor, eine Differenzierung der potenziellen Stakeholder vorzunehmen. So wird ermöglicht, die Potenziale der Einbindung aller Stakeholder dezidiert zu nutzen. Dies ist uns gelungen, indem wir in den Workshops Inputs unterschiedlicher Stakeholder einplanen. Zum Beispiel haben beteiligte ProfessorInnen (als thematische Experten) aus den Fachrichtungen Informatik, Medizinische Informatik und Mikrosystementwurf sowie Tourismusmanagement und Marketing während der Workshops inhaltliche Impulse geliefert. Die fünf unterschiedlichen Klassen haben wir in einem Workshop (Evaluation 3) gemeinsam mit einem Design Thinking-Coach identifiziert.

LL 2:

Eine differenzierte Unterscheidung der beteiligten Stakeholder hilft die unterschiedlichen Perspektiven beteiligter AkteurInnen zu verstehen, wertzuschätzen und die Stakeholder entsprechend ihrer Hintergründe einzubinden. Wir unterscheiden zwischen Projektteam, inhaltlichen Stakeholdern, thematischen ExpertInnen, NutzerInnen/BürgerInnen und rahmengebenden Stakeholdern. (Abb. 2).

Abb. 2
figure 2

Unterscheidung der Stakeholder

3.4 Design Thinking verhilft agilem Arbeiten: Warum Design Thinking auf agilen Prinzipien beruht, man den Kontext aber immer berücksichtigen muss und wie man den spezifischen Anwenderkontext berücksichtigen kann

Kreative Problemlösungsstrategien erfordern es, in bestimmten Phasen verschiedene Denkmuster abzurufen (Steller 2017) und unterschiedliche Kreativitäts-Werkzeuge anzuwenden. Kreative Problemlösungsstrategien mit den dazugehörigen Arbeitsweisen gehören nicht zu dem grundlegenden Repertoire der meisten Berufsgruppen. Die ungeübte Auseinandersetzung und Anwendung von Design Thinking-Werkzeugen kann die Teilnehmenden eines Workshops überfordern. Idealerweise beginnt man zunächst mit Befähigungsworkshops. Da dies aufgrund zeitlicher und personeller Ressourcen häufig nicht als einzelner Termin möglich ist, planen wir in unseren Workshops keine klassischen Design Thinking-Dramaturgie bei der klassisch alle sechs Schritte auftauchen. Stattdessen können die inhaltlichen Phasen 1–3 im Vorfeld durch eine kleine Gruppe (z. B. Projektteam) bearbeitet werden. Der größere Beteiligungsworkshop aller Stakeholder ist dann als ein Ideation-Workshop konzipiert, bei dem es darum geht, eine möglichst große Zahl an Ideen und Lösungen zu generieren. Die Phasen 5 und 6 werden dann wieder durch eine kleinere Gruppe (z. B. Projektteam in Verbindung mit thematischen ExpertInnen und inhaltlichen Stakeholdern) abgebildet. Jede Phase wird durch Erklärungen und Ausprobierzeiten eingeleitet (Abb. 3).

Abb. 3
figure 3

Gliederung der Phasen für die Durchführung eines kommunalen Befähigungsworkshops

LL 3:

Design Thinking kann ungeübte Stakeholder überfordern und den zeitlichen Rahmen für einen Workshop sprengen. Es lohnt sich deshalb, bestimmte Phasen des Design Thinking im Vorfeld oder im Nachgang in kleineren Gruppen durchzuführen.

3.5 Design Thinking ist nicht nur Mittel zum Zweck: Warum Design Thinking auch ein gutes Change-Management-Werkzeug ist

Design Thinking erscheint gegensätzlich zu gewohnten linearen Prozessen und den an Effektivität, Effizienz und Null-Fehler-Kultur orientierten Arbeitsweisen in Verwaltungen ohne Experimente und kreatives Problemlösen. So können wir gerade dort nicht einfach neue Arbeitsweisen etablieren und die alten Strukturen über Bord werfen. Trotzdem können die erlernten agilen Fähigkeiten und Denkweisen vorteilhaft sein. Aus unserer Sicht macht es deshalb Sinn, mit Bedacht Räume zur Befähigung und zum Experimentieren mit diesen neuen Arbeitsweisen in Kommunen zu schaffen. Neben dem Projekt der Open Government Labore selbst kann das Projekt „Experimentierräume in der agilen Verwaltung (AgilKom)“ dienen. Es zielt darauf ab, Veränderungsprozesse von öffentlichen Institutionen, die sich im Rahmen des digitalen Wandels der Arbeitswelt vollziehen, mit sozialen Innovationen zu verbinden. Es werden Labore eingerichtet, um innovative Lösungen im Handlungsfeld „Lernen und Arbeiten“ zu erproben. Für die öffentliche Verwaltung werden Methoden der agilen Organisation genutzt, adaptiert und ausgeweitet. Die Ergebnisse der Erprobung sollen Impulse und Best-Practice-Beispiele für Kommunen sowie für Bundes- und Landesbehörden liefern. Zuletzt werden jedoch nicht nur Projekte ins Leben gerufen, sondern auch anwendungsorientierte Räume geschaffen, so etwa der Dataport Experimentierraum in Hamburg. Er ist ein weiterer Ort zum Ausprobieren für die öffentliche Verwaltung und bietet eine Seminarfläche für Workshops, Vorträge oder andere Veranstaltungen. Der Experimentierraum entstand durch eine Kooperation mit dem Forschungs- und Transferzentrum Digital Reality der HAW Hamburg. Auch in anderen Anwendungsfeldern wurde Design Thinking neu eingeführt und die Bedeutung des entsprechenden Mindsets hervorgehoben. Auch in dem speziellen Fall von industrienahen Dienstleistungen für kleine und mittlere Unternehmen konnte der Design Thinking-Ansatz erfolgreich angepasst und genutzt werden, jedoch wurde das Mindset als wichtiger Aspekt identifiziert (Redlich et al. 2019). In unserem Projekt konnten wir feststellen, dass die Teilnehmenden in unseren Workshops sehr positiv auf neue Werte und Haltungen reagiert haben. Sie fördern die Offenheit für Veränderungen und begleiten den teilweise drastisch einschneidenden Prozess der Digitalisierung in öffentlichen Verwaltungen. Das bestätigen auch aktuelle Entwicklungen und Angebote führender Ausbildungsanbieter (siehe z. B. Hasso-Plattner-Institut Academy GmbH 2021). Die Arbeit mit Design Thinking kann tiefgreifende Effekte für eine Organisation haben und ihre Entwicklung positiv beeinflussen. Design Thinking kann beispielsweise neues Interesse an komplexen Herausforderungen wecken (Selbstwirksamkeit), die kreativen und sozialen Kompetenzen der Mitarbeitenden schulen (Empathie), die Arbeitskultur der mitwirkenden Teams verbessern (Wir-Gefühl) und einen Raum für menschliche Faktoren und Bedürfnisse schaffen (Vertrauen). Durch ein tiefes Verständnis der bevorstehenden Herausforderung und ein starkes Wir-Gefühl beim Lösen der damit einhergehenden Probleme, wird die Freude bei der Arbeit hochgehalten. Darüber hinaus bietet Design Thinking viele Ansätze und Methoden an, um gemeinsam Entscheidungen zu treffen, Verantwortung für Herausforderungen zu übernehmen und damit in eine moderne Führungsrolle zu wachsen.

LL 4:

Neben der inhaltlichen Arbeit an komplexen und vielschichtigen Problemen ist Design Thinking ein vielversprechendes Change-Management-Werkzeug.

3.6 Design Thinking kombiniert Planung und Freiheit: Warum Design Thinking zwar Offenheit für Überraschung bieten muss, es aber keine ungewollten Überraschungen geben sollte

Offenheit ist ein Muss, um die bestmöglichen Lösungen für neue Services im Kurort der Zukunft zu erarbeiten. Freiheit heißt hier allerdings nicht, dass wir keine Struktur verfolgen, an dem wir das Projekt ausrichten. Wir haben deshalb die Frage nach dem Kurort der Zukunft auf weitere Unterfragen hinunter gebrochen und arbeiten mit einem kontrollierten, wenn auch agilen Projektplan. Im Laufe des Projekts führen wir sechs Workshops durch. In jedem der Workshops wird eine Frage bearbeitet, die sich von der übergeordneten Frage nach dem Kurort der Zukunft ableitet. So zum Beispiel die Frage: „Wie können sich Akteure aus dem Gesundheits- und Tourismusbereich bei der Gestaltung des Kurorts der Zukunft gegenseitig unterstützen?“ Die Erkenntnisse des Workshops werden anschließend von dem Projektteam in Bezug auf die Frage nach dem Kurort der Zukunft reflektiert. So erhalten wir uns zu jedem Zeitpunkt die Übersicht bei gleichzeitiger Entscheidungsfreiheit über folgende Themen. Wir bleiben offen gegenüber neuen Themen und Impulsen, haben aber gleichzeitig alle Fäden in der Hand, das Projekt zu organisieren und zu monitoren. Jede neue Unterfragestellung wird in einem einzelnen Workshop bearbeitet, womit wir gute Erfahrungen in Bezug auf unser Projekt gemacht haben. Dabei startet man bereits vor dem Workshop mit Interviews, tätigt Beobachtungen oder sichtet Dokumente. Im Anschluss an jeden Workshop folgt die Reflektionsphase in der die Ergebnisse hinsichtlich der übergeordneten Frage aufbereitet werden (Abb. 4).

Abb. 4
figure 4

Übergeordnete und untergeordnete Fragestellungen zur Orientierung der Projektstruktur

LL 5:

Eine offene und agile Arbeitsweise benötigt eine kontrollierte Struktur, die ein geordnetes Projektmanagement ermöglicht.

4 Diskussion und Ausblick

Neue kollaborative Innovationsstrategien ermöglichen die Öffnung des Verwaltungshandelns eines Open Government. Sie unterstützen es auf der einen Seite, die geringen Ressourcen der öffentlichen Verwaltung bestmöglich einzusetzen, um inklusiv an den Fragen des digitalen Zeitalters zu arbeiten und gleichzeitig neuartige Partizipationsformate zu etablieren, um den konkreten Herausforderungen vor Ort zu begegnen.

Doch wie diese innovative Kollaborationsstrategien tatsächlich umzusetzen sind, um unsere Städte und Gemeinden in zukunftsfähige, intelligente Lebens- und Arbeitsorte zu verwandeln, blieb bislang im Dunkeln. Gerade klassische Beteiligungsformate stoßen schließlich an ihre Grenzen, wenn es darum geht, nutzerzentriert neue Dienstleitungen oder Angebote zu entwickeln. Komplexe und vielschichtige Fragestellungen lassen sich mit bekannten Beteiligungsformaten nur schwer lösen.

Design Thinking bietet hier einen vielversprechenden Ansatz. Gleichzeitig wirft er viele Fragen auf, auf die wir Antworten bieten möchten und teils auch neue Fragen identifizieren. In einem laufenden Forschungsprojekt konnten wir lernen, was es etwa bei der Übertragung von dem Privaten auf den öffentlichen Sektor zu beachten gilt und haben in diesem Beitrag folglich einen Versuch unternommen, unsere Lessons Learned praxisorientiert vorzustellen. Grundsätzlich haben wir die Erfahrung gemacht, dass es schwierig ist, das Konzept Design Thinking, wie es heute vermarktet und im privaten Sektor angewendet wird, eins zu eins auf den öffentlichen Sektor zu übertragen. Dabei können wir empfehlen, den Versuch zu starten, auf Grundlage der Design Thinking Prinzipien seinen eigenen Weg mit der Methode zu gestalten. Mit Design Thinking gibt es nicht den einen richtigen Weg zu innovativer Kollaboration. Für jede Organisation wird dieser anders aussehen.

Bisher konnten wir zwei von sechs Workshops durchführen. Während wir einige Iterationsschleifen bei der Gestaltung dieser beiden Workshops durchlaufen haben, gilt es in den verbleibenden Workshops die Erkenntnisse auf einer weiteren Ebene zu hinterfragen und iterieren. Außerdem stellen wir uns die Frage, inwiefern ein klassischer Design Thinking Workshop unterteilt werden und durch unterschiedliche Stakeholder bearbeitet werden kann, ohne, dass die Mehrwerte von Design Thinking noch erhalten bleiben. Das theoretische Rahmengerüst (Personen, Raum und Prozess) hat sich für uns als gutes Werkzeug erwiesen, unsere Arbeiten und Gestaltungsprinzipien zu erarbeiten und reflektieren. Diese Struktur kann bei weiteren Versuchen, Design Thinking in Verwaltung zu etablieren hilfreich sein. Aber auch diese Struktur gilt es in der weiteren Arbeit zu hinterfragen und eventuell weiterzuentwickeln.

Design Thinking hat sich in unserem Projekt als gutes Werkzeug erwiesen, um innovativ und kollaborativ an kommunalen Fragestellungen im Sinne von Open Government und mit Bezug auf die Gestaltung digitaler Services (individualisierte Dienstleistungsangebote für Kurgäste auf Basis von mobil erhobenen Gesundheitsdaten) zu arbeiten. Wir konnten einige theoretische Annahmen, die sich aus bisherigen Arbeiten und der Literatur ergeben hatten, überarbeiten, differenzieren oder erweitern. Gleichzeitig bestätigte sich unsere Erwartung, dass sich Design Thinking für die Umsetzung innovativer Kollaborationsstrategien in Kommunen eignet, sofern die Begebenheit des öffentlichen Sektors und die projektspezifischen Voraussetzungen einzelner Fragestellungen berücksichtigt werden. Allen Voran geht die Befähigung der Mitarbeitenden, die Offenheit gegenüber Fehlern und agilen Denkweisen und die kompetente Begleitung durch ausgewiesene Design Thinking Coaches. Diese Fertigkeiten und Fähigkeiten müssen, können und werden in den Verwaltungen der Zukunft etabliert werden. Und wie genau – das geschieht nutzerorientiert.