1 Von ressourcenschonender IT zu nachhaltigen Geschäftsprozessen

Nachhaltiges Wirtschaften und umweltfreundliche Produktion sind entscheidende Herausforderungen für unsere global vernetzte Gesellschaft. Dabei gewinnen Managementansätze sowie der Einsatz von IT zur Steuerung und nachhaltigen Ausrichtung von Unternehmen an Relevanz. Die IT-Praxis strebt nach Fortschritten bei Umweltverträglichkeit und ist insbesondere an Vorteilen wie Kosteneinsparungen durch die Reduktion des Energieverbrauchs interessiert (Brooks et al. 2012). Darüber hinaus werden Anstrengungen für die Restrukturierung von Unternehmensprozessen hin zur ökologischen Nachhaltigkeit unternommen (Klassen und Vachon 2003; Brooks et al. 2012). Insgesamt ist jedoch noch deutliches Ausbaupotenzial vorhanden.

In der Wirtschaftsinformatik haben sich verschiedene Forschungsbereiche ausdifferenziert, die eine nachhaltige Organisationsgestaltung im ökologischen Sinne adressieren. Green IT ist das Studium und die Praxis von Entwurf, Herstellung, Nutzung und Entsorgung von Computern, Servern sowie zugehörigen Systemen mit dem Ziel, minimale oder keine Auswirkungen auf die Umwelt zu haben (Murugesan 2008). Beispielhaft sei hier auf die nachhaltige Ausgestaltung von Blockchain-Algorithmen verwiesen (vgl. Eigelshoven et al. 2020). Dementsprechend fokussiert Green IT die nachhaltige Entwicklung und Nutzung von IT-Ressourcen. Komplementär dazu gibt es Ansätze, die Informationssysteme (IS) als Mittel zur Unterstützung und Durchsetzung von ökologischen Nachhaltigkeitszielen und entsprechenden Managementmaßnahmen in Organisationen nutzen, z. B. im Rahmen von Business Process Management (BPM).Footnote 1 Diese Ansätze sind im Wesentlichen Green IS und Green BPM. Green IS wird durch all jene organisatorischen Praktiken und Prozesse definiert, welche unter Zuhilfenahme von IT die ökologische Leistung einer Organisation verbessern (Melville 2010). Während Green IS über die Prozessperspektive hinausblickt, beschäftigt sich Green BPM insbesondere mit den Auswirkungen von Geschäftsprozessen auf die Umwelt. Daher wird Green BPM als das Verstehen, Dokumentieren, Modellieren, Analysieren, Simulieren, Ausführen und kontinuierliche Verändern von Geschäftsprozessen unter Berücksichtigung der Umweltfolgen verstanden (Seidel et al. 2012).Footnote 2 Ein großer Teil der Green-BPM-Forschung wendet sich methodischen Fragen zu, während die Bereiche Governance, strategische Ausrichtung sowie praktische Umsetzung weniger Beachtung finden (Maciel 2017). Existierende Frameworks schlagen Automatisierungsansätze vor, ohne Best Practices im Umweltmanagement zu konsultieren (vgl. Hoesch-Klohe und Ghose 2010a) oder beziehen bestehende Umweltstandards (z. B. EMAS, ISO 14001) nicht mit ein (vgl. Nowak 2014). Eine solche konzeptionelle Struktur, die Umweltstandards einschließt, ist jedoch notwendig, um die Wirkmöglichkeiten von Prozessmanagement auf Umweltaspekte zu verorten. Dies ist umso dringlicher, da die Wirtschaftsinformatik nicht selbst Inhalte zur umweltorientierten Transformation von Unternehmen bereithält, sondern hierbei zwangsläufig interdisziplinär sein muss, indem sie bspw. auf die Umweltwissenschaften sowie das betriebliche Nachhaltigkeitsmanagement zurückgreift.

In diesem Beitrag wird ein Ansatz zur Integration bestehender Standards für das Umweltmanagement (EMAS, ISO 14001) und die Nachhaltigkeitsberichterstattung, d. h. Global Reporting Initiative (GRI) Standards und Deutscher Nachhaltigkeitskodex (DNK), in eine Prozessmodellarchitektur bereitgestellt. Der Ansatz bietet einen Mehrwert für die Praxis, indem er eine Reihe an Referenzmodellen bereithält, die direkt in ein Business Process Management System (BPMS) importiert werden können. Dies erlaubt die systematische Steuerung des Umweltmanagements, wovon Unternehmen profitieren können, die ihr Umweltmanagementsystem (UMS) aufbauen oder effizienter ausgestalten sowie ihr BPMS für eine nachhaltige Entwicklung nutzen wollen.

Im folgenden Abschnitt werden der Zusammenhang von umweltorientiertem Prozessmanagement und Referenzarchitekturen sowie die darin begründeten Potenziale für das betriebliche Umweltmanagement vorgestellt. Im Abschn. 3 wird der eigentliche Ansatz für die Integration von Umweltstandards und Prozessmanagement dargestellt. In Abschn. 4 werden Anwendungskontexte für den Ansatz und grundsätzliche Herausforderungen erläutert.

2 Umweltorientiertes Prozessmanagement und eine standardbasierte Referenzarchitektur

Green BPM zielt primär auf die nachhaltige Transformation von Geschäftsprozessen unter Zuhilfenahme von IT-Anwendungen. Im Gegensatz dazu, bemüht sich der vorliegende Ansatz die Potenziale und Herausforderungen zu beleuchten, die durch Synergieeffekte aus bestehenden Standards und dem Prozessmanagement erwachsen können, insbesondere, wenn eine Prozessarchitektur zur Integration genutzt werden.

2.1 Referenzmodelle und Prozessarchitekturen

Referenzmodelle sind abstrakte Modelle, die die Generierung konkreter Modelle innerhalb spezifischer organisatorischer Domänen unterstützen, wobei wesentliche Merkmale in der Bereitstellung von Best Practices, der universellen Anwendbarkeit und der Wiederverwendbarkeit liegen (Fettke und Loos 2007, Kap. 1). Eine Prozessarchitektur, die aus Anforderungen bestehender Standards abgeleitet wird, kann somit als Referenzmodell für die Integration von Umweltstandards in das Prozessmanagement verstanden werden. Dabei ist eine Prozessarchitektur eine Sammlung von miteinander verknüpften Prozessen, die einen Großteil der Aufgaben abdecken, die eine Organisation zur Erreichung der eigenen Ziele leistet (Dumas et al. 2018), was auch Umweltziele einschließen kann. Dabei können die Umweltmanagementprozesse, die hier Beachtung finden, in der betrieblichen Wertschöpfungskette unter Unterstützungsfunktionen nach Porter (2011) subsumiert werden. Eine Prozessarchitektur dient als dokumentierte Struktur der Verwaltung bestehender Prozesse. Dies ist besonders wichtig in großen Organisationen, die sich auf hunderte oder tausende Geschäftsprozessmodelle stützen (Weske 2019). In einem solchen Kontext ist ein Repositorium erforderlich, das Ablage und Abruf von Modellen ermöglicht. Hinsichtlich Modellierung und Stellung im Unternehmenskontext werden Prozesse innerhalb einer Architektur unterschieden in (1) organisatorische Prozesse, die keine festen Prozessstrukturen vorweisen, aber konkrete Ziele spezifizieren können und denen Owner zuordenbar sind, (2) operative Prozesse, deren Ablauf definiert ist, und (3) implementierte Prozesse, die in einem IS ausführbar sind (Weske 2019).

2.2 Standards des Umweltmanagements und der Nachhaltigkeitsberichterstattung

Bestehende Nachhaltigkeitsstandards haben unterschiedliche Inhalte, Anforderungen und Ziele. Neben prozess- oder managementorientierten Standards im Umweltbereich existieren produkt- und verhaltensorientierte Ansätze (Müller et al. 2013) sowie Standards für die Nachhaltigkeitsberichterstattung (Pape und Weihofen 2019). Für den vorliegenden Ansatz werden insbesondere EMAS und ISO 14001 als Umweltmanagementstandards berücksichtigt, wobei EMAS die ISO 14001 aufnimmt und erweitert. GRI und DNK sind Berichterstattungsstandards, deren Schwerpunkt auf der strukturierten Bereitstellung von Informationen, auch zu Umweltleistung, liegt. Diese Auswahl der vorgestellten Standards ist nicht vollständig, aber repräsentativ. ISO 14001 und, in geringerem Maße, die von der GRI publizierten Dokumente sind zwei international häufig verwendete Standards für Umweltmanagement und -berichterstattung (Müller et al. 2013; Baumast 2019). EMAS wird oft als eines der strengeren Instrumente im Umweltmanagement angesehen (Günther 2008). Der DNK hingegen ist eine niedrigschwellige Lösung für die Berichterstattung zur Nachhaltigkeit in Deutschland.

2.3 Potenziale einer standardbasierten Prozessarchitektur für das umweltorientierte Prozessmanagement

Ein Vorteil einer Prozessarchitektur zur Umsetzung von Umweltstandards besteht darin, dass damit standardisierte Dokumentationswerkzeuge für ein kollaboratives Prozessmanagement genutzt werden. Eine Prozessarchitektur für die standardkonforme Umsetzung ökologischer Nachhaltigkeit dient in erster Linie der Dokumentation von Unterstützungsprozessen des Umweltmanagements und von Primärprozessen mit Auswirkungen auf die Umwelt. Die Tatsache, dass die Architektur von einem spezifischen organisatorischen Kontext abstrahiert, steht dabei im Einklang mit dem Bedarf nach Referenzprozessmodellen im Green BPM Bereich (Watson 2012; Houy et al. 2012).

Umweltmanagementstandards und Prozessmanagement haben in Bezug auf Flexibilität eine gemeinsame Zielorientierung, da sie die Integration und Steuerung verschiedener Organisationsbereiche anstreben. So kann für einen Prozessmodellierungsansatz im Umweltmanagement plädiert werden, da dieser nicht notwendigerweise eine Spezialisierung, sondern vielmehr eine flexible Anpassung an sich ändernde Normen und Standards erfordert sowie zukünftige Anpassungen ermöglicht. Das Bedürfnis nach Flexibilität spricht für einen prozessorientierten Managementansatz und gegen gekapselte Geschäftsfunktionen, die vom Fachdenken einzelner Bereiche dominiert sind.

Umweltmanagement und -berichterstattung benötigen häufig strukturierte Informationen über die organisatorischen Grenzen hinaus, sowohl im Up- und im Downstream der Lieferkette als auch im Produktlebenszyklus (Morana et al. 2013). Im Gegensatz zu einer rein intra-organisatorischen Berichtsstruktur für das Umweltmanagement einer Organisation ermöglicht die Anwendung von Prozessmanagement-Techniken die effektive Spezifikation, Dokumentation und Abwicklung interorganisatorischer Prozesse (vgl. Weske 2019, Kap. 6).

Eine Prozessarchitektur ist sowohl Werkzeug zur Dokumentation von Abläufen als auch zur Analyse von Anforderungen und Planung für zukünftige Automatisierungsprojekte (Dumas et al., 2018). Durch die Nutzung implementierter Workflows, kann sie weiterhin der Integration von Automatisierungsschritten dienen. Dabei ist sowohl die Integration bestehender Unternehmensanwendungen als auch der Einsatz von Process-Mining-Techniken zum Aufspüren von Ausreißern in der Umweltleistung vielversprechend, wenn eine ausreichende Datenmenge zur Verfügung steht.

3 Integrierte Prozessmodellierung für das betriebliche Umweltmanagement

INTPECOM zielt darauf ab, eine konzeptionelle Struktur bereitzustellen, die das Umweltmanagement durch IT für die Prozessabbildung unterstützt. Der wesentliche Integrationsschritt liegt dabei in der Abbildung von Umweltstandards auf die Prozessarchitektur von Organisationen. Durch diese Integration und Dokumentation von Prozessen soll letztlich auch deren Ausführung und Überwachung unterstützt werden. Weiterhin erlaubt die konzeptionelle Struktur eine Sicht auf das Umweltmanagement im Sinne der IT-Governance.

Zur Formulierung des Ansatzes wurden die oben genannten Umweltstandards in Hinblick auf Anforderungen analysiert, die sie an organisatorische Prozesse stellen. Eine Übersicht zu Prozessanforderungen und Referenzprozessen und deren Quelle im jeweiligen normativen Textabschnitt ist in Tab. 1 wiedergegeben. Dabei lassen sich aus dem EMAS Gesetzestext Prozessmodelle ableiten, die als Referenzmodelle auf operativer Ebene gelten können. Besonders die GRI stellt demgegenüber Anforderungen an Managementprozesse für die Nachhaltigkeitsberichterstattung, ohne dass diese Prozessanforderungen unmittelbar in konkrete Referenzprozesse abbildbar wären. Diese Hürde der Ableitung von Referenzmodellen ist darin begründet, dass einzelne Prozessschritte in den Standards nicht ausgeführt werden, was aufgrund der Diversität der Organisationsbereiche und Branchen in welchen der Standard genutzt werden kann, auch erklärbar ist. Daher kann eine summarische Auflistung, wie sie hier geschieht, letztlich nur bei der schnelleren Identifikation möglicher Prozessanforderungen beitragen, die es im konkreten organisatorischen Kontext ggf. umzusetzen gilt.

Tab. 1 Abbildung von Anforderungen und Prozessen aus Umwelt- und Berichterstattungsstandards auf die Ebenen einer Prozessarchitektur

In Bezug auf verschiedene Typen von Prozessmodellen umfasst INTPECOM drei hierarchische Ebenen (organisatorisch, operativ und implementiert) sowie vier Dimensionen (Modelle, Prozesse, Standards, Infrastruktur). Die Abb. 1 zeigt die vier Dimensionen, die Abstraktionsebenen und deren Kontext in der IT-Landschaft einer Organisation. Die Elemente im Inhaltsbereich stellen dabei die eigentlich untersuchten Aspekte dar. Damit ist eine konzeptionelle Struktur für die Abbildung von Normen auf die Unternehmensprozesse gegeben. Konkrete Referenzmodelle sind für die Umweltmanagement- und Audit-Prozesse dargestellt (diese sind als Kernbereich zu verstehen), wie sie in EMAS spezifiziert werden.Footnote 3 Wurden für die organisatorische und operative Prozessebene Anforderungen identifiziert, so lassen sich IT-Prozesse nur aus den zuvor genannten ableiten und entsprechend den spezifischen, organisatorischen Möglichkeiten und Erfordernissen umsetzen. Dies liegt daran, dass die Standards in Belangen der IT-Spezifikation naturgemäß unbestimmt sind.

Abb. 1
figure 1

Gesamtübersicht zum Ansatz INTPECOM

3.1 Einordnung der Umweltstandards in eine Prozessarchitektur

Der ISO 14001 Standard setzt zwar grobe Anforderungen an das Verfahren zur Implementierung eines UMS, für die Konzeption einer Prozessarchitektur für das Umweltmanagement ist der Standard selbst allerding ungeeignet, im Gegensatz zu EMAS.Footnote 4

Eine Prozesslandschaft, die zur Modellierung der organisatorischen Architekturebene des Umweltmanagements auf EMAS zurückgreift, muss im Bereich der organisatorischen Unterstützungsfunktionen (Porter 2011) Prozesse mit entsprechenden Zielen und Ownern definieren: (1) zur Definition der Umweltpolitik und des Umweltprogramms, (2) zur Implementierung eines UMS, (3) zum Management von wesentlichen Änderungen (Abb. 2), (4) zum Internen Audit, (5) zur Umweltberichterstattung und – wobei hier externe Stakeholder involviert sind – (6) zur Begutachtung und Validierung sowie (7) zur Registrierung bei einer zuständigen Stelle. Zu beachten ist dabei, dass einige dieser Managementprozesse weiter auf operativer Ebene spezifiziert werden können (siehe Tab. 1) und Primärprozesse und deren Stakeholder mit diesen Managementprozessen wechselseitig interagieren können. Dabei ist es auch ein Vorteil der Nutzung von EMAS, dass sich aus dem Gesetzestext selbst operative Prozesse ableiten lassen, die Teil der administrativen Umsetzung des Umweltmanagements sein sollten. Abb. 2 illustriert ein operatives Referenzmodell zu sogenannten wesentlichen Änderungen. Bei dem Management wesentlicher Änderungen handelt sich um einen Kernprozess für das Umweltmanagement nach EMAS. Dieser Prozess wird von Veränderungen in Primärprozessen getriggert und dessen explizite Modellierung kann zur Durchsetzung der EMAS-Konformität hilfreich sein. Zum Management der wesentlichen Änderungen müssen dabei nicht nur verschiedene interne Tätigkeiten ausgeführt, sondern auch Externe involviert werden.

Abb. 2
figure 2

Prozessmodell zum Management von wesentlichen Änderungen mit entsprechenden Rollen und externen Stakeholdern gemäß EMAS Artikel 8

Da GRI kein Managementstandard, sondern ein auf Transparenz zielender Berichtsstandard ist, der der Definition von Indikatoren dient, können keine Prozesse abgeleitet werden, die sich auf eine Prozessarchitektur abbilden lassen. Dennoch begünstigt ein Teil der im Standard spezifizierten Anforderungen, insbesondere diejenigen innerhalb der sogenannten universellen Standards (GRI 101-103), die Dokumentation von Prozessen auf organisatorischer und betrieblicher Ebene. Zur Beschreibung der prozessbezogenen Anforderungen aus dem GRI-Standard ist auch eine Übersicht des auf Umweltbelange fokussierten Teils (GRI-Standardset 300) in Tab. 1 bereitgestellt. Die Umweltanforderungen berühren dabei sowohl Primär- als auch Managementprozesse.

Der DNK verlangt keine Spezifikation von Managementprozessen für die Umweltberichterstattung, sondern stützt sich vielmehr auf die Bereitstellung von Indikatoren, die größtenteils von der GRI übernommen sind. Das bedeutet, dass von dieser Norm explizite Prozesssichten nicht gefordert werden. Daher erscheint die Einführung einer Prozessarchitektur nur um die Berichtsanforderungen des DNK zu verwirklichen als unnötiger Mehraufwand.

3.2 Rollen und Ablaufskizze zum Ansatz

Zu den Nutzergruppen für den Einsatz von INTPECOM gehören (1) Beteiligte, die unbedingt erforderlich sind (Prozessarchitekten und Umweltbeauftragte), (2) spezifische Prozess-Owner und (3) Personen für die Konfiguration oder Implementierung der IT, die für den Betrieb der Prozessarchitektur innerhalb eines BPMS erforderlich ist. Wesentliche Prozessverantwortliche für die Umsetzung von Managementprozessen nach EMAS sollten Umweltmanagementbeauftragte im Sinne des Gesetzestextes sein, wobei zum Teil eine Zusammenarbeit mit einem Mitglied der obersten Unternehmensführung nötig ist (z. B. bei der Definition von Umweltpolitik und -programm).

In einem ersten Schritt der Identifikation kann das zuständige Umweltmanagement in Absprache mit den verantwortlichen für die Prozessarchitektur des Unternehmens diejenigen Prozesse ausfindig machen, die für das UMS notwendigerweise zu pflegen sind. Für die Identifikation können die von GRI 101‑1.3 definierten Anforderungen der Wesentlichkeit herangezogen werden. Bei der Erhebung und Identifikation wesentlicher Prozesse müssen als Stakeholder möglicherweise auch Experten und Personal aus Organisationsbereichen wie Produktion, Logistik und Einkauf miteinbezogen werden.

Außerdem kann die bereitgestellte und auf EMAS zugeschnittene Prozessarchitektur für das Umweltmanagement als strukturierendes Element dienen. Dies kann auch dann zweckmäßig sein, wenn keine EMAS Zertifizierung angestrebt wird. Die organisationale Prozessgliederung bildet nämlich eine Struktur zur Aufgabengliederung des Umweltmanagements.

Anschließend können die erfassten Prozesse mit den Standardanforderungen (vgl. Tab. 1) abgeglichen werden. Dabei sollten administrative und Managementprozesse im Umweltmanagement von den eigentlich zu erfassenden primären Produktions- und Dienstleistungsprozessen abgegrenzt werden. Während Unterstützungsprozesse durch die EMAS-konforme Architektur dargestellt sind, müssen die Anforderungen aus den Standards auf die hinsichtlich ihrer Umweltleistung zu kontrollierenden Primärprozesse im spezifischen Unternehmenskontext abgebildet werden. Auch die Zuordnung von Domänenexperten zu dokumentierten Prozessen im BPMS kann bei der Realisierung des UMS behilflich sein. Auf diese Weise können Verantwortlichkeiten mit Hilfe eines Dokumentationsstandards für Prozesse abgebildet und potenzielle Änderungen bei Prozessabläufen in einem Tool nachverfolgt werden.

4 Herausforderungen und Anwendungskontexte

Da ein Ablaufbeispiel zu INTPECOM grob gezeichnet wurde, gilt es in Folgendem zu beschreiben, unter welchen Bedingungen die Anwendung des Ansatzes sinnvoll erscheint sowie allgemeine Herausforderungen aufzuzeigen, die für die Integration von Umweltstandards in eine Prozessarchitektur existieren.

4.1 Herausforderungen

Generell lassen sich die Herausforderungen bei der Anwendung eines modellorientierten Ansatzes für das Umweltmanagement nach technischen-organisatorischen und finanziellen Hürden innerhalb einer Organisation unterscheiden. Aber auch die Integrationsfähigkeit der Modellnotationen und ggf. der Datenbasis ist dabei zu berücksichtigen.

Bestimmte technisch-organisatorische Anforderungen müssen zur Einführung von Modellierungstechniken für das umweltorientierte Prozessmanagement erfüllt werden. Um zur Effektivität beizusteuern, sollte in der Organisation eine Prozessarchitektur gepflegt werden, die wertschöpfenden Prozesse enthält. Nur wenn eine solche Prozessarchitektur in einer Organisation bereits eingeführt und von den Mitarbeitern akzeptiert ist, können die dokumentierten Modelle für das Umweltmanagement und die Umweltberichterstattung genutzt werden. In diesem Sinn ist eine bestehende Prozessorientierung eine Voraussetzung zur Anwendung eines modellorientierten Prozessmanagements für die Umweltaspekte einer Organisation. Allerdings kann sich besonders für kleine Organisationen der Einsatz von Modellierungstechniken und BPMS als ineffektive Praxis erweisen, da diese keinen unmittelbaren Mehrwert für die Optimierung der Umweltleistung haben.

Die Anwendung und Implementierung von IT erfordert Finanzinvestitionen in Form von Software-Lizenzen, Mitarbeiterschulungen und ggf. Hardware-Käufen. Insbesondere für KMUs kann eine Kostenschätzung für die Einführung eines modellorientierten BPM-Ansatzes zur Förderung des Umweltmanagements hilfreich sein.Footnote 5 Im hiesigen Kontext, kann jedoch die Lizenzierung und Mitarbeiterschulung weitgehend vernachlässigt werden, da ein umweltorientiertes Prozessmanagement nur dann angewendet werden sollte, wenn diese organisatorischen und technischen Voraussetzungen bereits erfüllt sind. Als Faustregel lässt sich daher festhalten: Solange die zusätzlichen Kosten für die Mitarbeiterschulung im Umweltmanagement in Bezug auf Prozessarchitektur und BPM durch Einsparungen bei der Berichterstattung und der Umsetzung von UMS kompensiert werden, ist ein solcher Ansatz wirtschaftlich. Da die Abschätzung der Kosten in BPM-Projekten jedoch chronisch schwierig ist (Mutschler und Reichert 2013), gilt es den Aufwand auf ein Minimum zu reduzieren und iterativ vorzugehen. Die Mitarbeiterschulung sollte daher zunächst auf einzelne Personen (z. B. den Umweltmanager) reduziert und nur dann ausgeweitet werden, wenn dies als vorteilhaft für das UMS erachtet wird. Somit könnte insbesondere für kleine Organisationen eine Low-Tech-Strategie (Höfner und Frick 2019) mit niedrigen Kosten für Software und Mitarbeiterschulung der auch finanziell nachhaltigere Ansatz sei.

Eine weitere Hürde liegt im Unterschied zwischen BPMN und Darstellungstechniken wie dem Sankey-Diagramm, das bspw. für das Life Cycle Assessment (LCA) verwendet wird. Insbesondere bei den Aspekten der Dokumentation, die für die abfallbezogenen GRI 306-01- und GRI 306-02-Anforderungen relevant sind, wird die Notwendigkeit deutlich, BPMN auf eine mit der LCA-Dokumentation kompatible Notation auszuweiten. Nichtsdestotrotz impliziert eine solche Anforderung Erweiterungen, die über die Annotation von Emissionen innerhalb von Prozessen hinausgehen (vgl. Recker et al. 2010; Hoesch-Klohe und Ghose 2010b). Prozessorientierte Modellierungssprachen sind allerdings nicht für das Management von Stoffströmen konzipiert, sondern für die Optimierung von zeitlogischen Abläufen, d. h. in der Praxis für die Unterstützung von Informations-Services (Dumas et al. 2018, S. 7). Darüber hinaus ist es unwahrscheinlich, dass ad-hoc Erweiterungen der BPMN-Sprache dazu beitragen, das Umweltmanagement effizienter zu gestalten. Daher ist es fraglich, ob das Problem der Integration von Modellierungstypen in der Praxis angegangen werden kann. Stattdessen sind Überlegungen aus der Forschung und möglicherweise weitere Standardisierungsansätze erforderlich. In diesem Zusammenhang mangelt es auch an semantischen Standards zwischen den Bereichen BPM und Umweltmanagement und -berichterstattung.

4.2 Anwendungskontexte

Ob INTPECOM Anwendung finden kann ist grundsätzlich von der Umsetzbarkeit von Umweltstandards in einem organisatorischen Kontext und von der Verfügbarkeit und Durchsetzung einer Kultur und vorhandener IT für das Prozessmanagement in eben jenem Kontext abhängig. Zu einer schnellen Übersicht, ob eine Organisation einen geeigneten Anwendungskontext für die Integration von Umweltstandards in eine Prozessarchitektur bietet, kann ein Flussdiagramm zum Evaluationsvorgehen dienen (Abb. 3), wobei hier der Fokus erneut auf EMAS als zentralem Umweltmanagementinstrument liegt.

Abb. 3
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Flussdiagramm zur Evaluation eines geeigneten Anwendungskontextes für die Integration von Umweltmanagement- und Berichtstandards in eine betriebliche Prozessarchitektur

Die Art der Nutzung von EMAS ist abhängig von der Größe einer Organisation. So können Kleinstorganisationen mit weniger als zehn MitarbeiterInnen auf das sogenannte EMASeasy-Verfahren zurückgreifen (Europäische Union 2007), für welches der Einsatz spezifischer Prozessmanagementsoftware überzogen wäre. Unter Umständen kann EMASeasy aber auch für KMUs, bspw. mit weniger als 250 Mitarbeitern in Frage kommen. Hier sind besonders Erwägungen zu Kosten- und Nutzen entscheidend (vgl. Europäisches Parlament und Rat der Europäischen Union 2017, S. 41 f.).

In technischer Hinsicht wird ein BPMS für das umweltorientierte Prozessmanagement verlangt. Ein Modellierungswerkzeug und ein Modell-Repositorium sind als Komponenten Mindestanforderungen, die einen Einsatz von INTPECOM zweckmäßig erscheinen lassen. Darüber hinaus können ggf. Unternehmensanwendungen mit entsprechenden Modulen für das Umweltmanagement in die Prozessstrategie einbezogen werden, sowohl zur Ausführung, als auch zur Analyse relevanter Prozesse. Dieser Schritt bedarf aber einer Integration der Datenbestände, die über den hier vorgestellten Ansatz des umweltorientierten Prozessmanagements im Sinne der IT-Governance hinausgeht.

Abschließend kann zur Einschätzung geeigneter Anwendungskontexte von INTPECOM bemerkt werden: Unternehmen, die UMSs eingeführt haben und ggf. auch über eine prozessorientierte Unternehmenskultur verfügen, diese jedoch noch nicht auf produktive Weise für das eigene Umweltmanagement einsetzen, können von integrierter Prozessmodellierung profitieren.

5 Fazit

INTPECOM bildet einen konzeptionellen Ansatz für das Prozessmanagement unter Berücksichtigung bestehender Umweltmanagement- und Berichterstattungsstandards. Nicht jede Organisation kann von einem solchen Ansatz profitieren: Für die Integration von Standards des Umweltmanagements und der Umweltberichterstattung in eine Prozessarchitektur sollte eine Organisation bereits über eine adäquate IT-Infrastruktur und eine gelebte Kultur des Prozessmanagements verfügen. Sind die groben Anforderungen für ein umweltorientiertes Prozessmanagement gegeben, sollten Modellierungsmethoden für die Umsetzung von Umweltstandards zunächst vor allem für Managementprozesse sowie deren Dokumentation, Steuerung und Gestaltung eingesetzt werden. Dabei kann Prozessmodellierung die Integration der IT zur Überwachung und Berichterstattung von Umweltbelangen erleichtern. Automatisierungsmaßnahmen, wie sie etwa durch Process-Mining oder IT-gestützte Workflows erfolgen können, sind für ein umweltorientiertes Prozessmanagement nicht zwingend erforderlich. Stattdessen sind Modellierungswerkzeuge und ein Prozessmodell-Repositorium notwendig, die eine Zusammenarbeit zwischen mehreren Organisationseinheiten ermöglichen und damit als IT-Komponenten nützlich sind, um die Umsetzung von Standards des Umweltmanagements und der Nachhaltigkeitsberichterstattung zu fördern.