Dynamisches Planungsmodell
Dreh- und Angelpunkt für die Planung der AOK Hessen, eine Krankenkasse mit über 1,5 Mio. Versicherten und rund 90.000 Firmenkunden, ist ein dynamisches Planungsmodell, welches die Wirkungen der Kreisläufe über die Zeit nicht unterbricht und Bestands- und Bedarfsdynamik mit einer ganzheitlichen Sichtweise erfasst (vgl. Wegerich 2015). Hiermit lassen sich die Ziele, welche die AOK mit der strategischen Personalplanung verfolgt, erreichen. Die strategische Personalplanung
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unterstützt demnach eine mittel- und langfristige, quantitative und qualitative Personalprognose und schafft somit ein hohes Maß an Planungssicherheit,
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berücksichtigt die prognostizierte Marktentwicklung und bezieht, soweit absehbar, veränderte Rahmenbedingungen, beispielsweise durch den Gesetzgeber beeinflusst oder auch durch technologische Entwicklung wie u. a. Digitalisierung, in Form von Szenarien ein,
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untermauert einerseits notwendige Veränderungsentscheidungen angesichts eines bestimmten, vorgegebenen Haushaltsvolumens und zeigt andererseits die durch die Veränderung einzelner Parameter verursachten Personalkostenwirkungen auf,
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ermöglicht das ressourcenschonende Simulieren unterschiedlicher Szenarien unter Einbindung regionaler Besonderheiten.
Wichtiger Ausgangspunkt für die Simulation bilden die Daten und deren Qualität. Die einzelnen Planstellen werden dabei im Fall der AOK Hessen zu 60 Clustern zusammengefasst (siehe auch Abschn. 3.3). Neben der Initialisierung des Mitarbeiterbestands zum Startpunkt der Simulation helfen historische Daten bei der Bildung von Annahmen sowie möglichen Entscheidungen. Unter Annahmen werden aus systemtheoretischer Sicht Modellgrößen verstanden, welche außerhalb des eigenen Einflussbereichs liegen (externe Variablen) und nicht bzw. nicht direkt durch das Unternehmen beeinflusst werden können. Beispiele sind hierfür neben dem gesetzlichen Renteneintrittsalter auch Größen aus dem Marktumfeld wie bei der AOK Hessen z. B. die Versichertenentwicklung hinsichtlich Menge und Struktur. Direkt beeinflussbare Größen, in dem Modell als Entscheidungsvariablen bezeichnet, sind beispielsweise die Anzahl der jährlichen Auszubildenden oder auch externe Einstellungen. Idee hinter der Szenariosimulation ist es nun, verschiedene Werteausprägungen zu einem schlüssigen Zukunftsbild zu bündeln. Die externen Größen bestimmen dabei die Unsicherheit in den Entwicklungen und führen letztlich zu einem Ergebniskorridor (bekannt auch unter dem Stichwort Bandbreitenplanung). Modellstruktur, Daten, Annahmen sowie zukünftige Entscheidungen bestimmen zusammen das Ergebnis einer Szenariosimulation (siehe Abb. 3).
Besonderheiten im Planungsmodell
Die Komplexität eines Planungsmodells hängt zum einem vom Detaillierungsgrad der Informationen ab, welcher sich in der Anzahl der einbezogenen Faktoren widerspiegelt. Neben dieser sogenannten Varietät eines Systems treiben jedoch vor allem die Konnektivität und die Funktionalität eines Systems dessen Komplexität (Milling 2002). Die Konnektivität beschreibt wie stark das System durch Wechselbeziehungen zwischen den Faktoren geprägt ist und beeinflusst die Dynamik des Systems. Gerade diese Eigenschaft darf bei der Modellierung nicht unberücksichtigt bleiben. So werden beispielsweise Entwicklungspfade zwischen verschiedenen Qualifikationsleveln im Rahmen der Modellerarbeitung gemeinsam mit den Fachbereichen der AOK Hessen herausgearbeitet und im Modell abgebildet. Die Vielzahl der Treiber und deren Zusammenhänge stellen eine große Herausforderung bei der Modellerstellung dar. Ohne grafische Visualisierung gehen schnell Beziehungen verloren bzw. bleiben am Ende unberücksichtigt. Wichtig ist es daher neben der Datensicht (Tabellen) auch eine Sicht auf die Zusammenhänge zu erhalten (Treiberbäume und Wirkungsdiagramme). In der Abb. 4 wird die interne Weiterentwicklung von Mitarbeitern im Vergleich zu den anderen Zu- und Abgangsgrößen über ein kreisförmiges Flusssymbol dargestellt. Im Falle z. B. von einer Unterdeckung, wendet das Simulationsmodell die Entwicklungslogik an und füllt die Lücke auf. Unter Umständen führt diese Nachführung wiederum zu einer neuen Lücke in der Quellfunktion. Die Unterdeckung verschiebt sich demnach in andere Jobcluster und zeigt somit ein differenziertes Bild im Vergleich zu einer Lückenbetrachtung ohne Berücksichtigung von internen Entwicklungen wie beispielsweise in linearen Modellen abgebildet in Tabellenkalkulationsprogrammen. Für die Parametrisierung und die Analyse steht den Anwendern der AOK Hessen ein Simulationscockpit zur Verfügung (vgl. Abb. 5). Hier können schnell neue Parameterkombinationen eingegeben, über die Zeit exploriert und untereinander verglichen werden.
Durchgängiger Datenfluss auf Basis von SAP und Dynaplan
Eine konsolidierte Datenbasis ist das zentrale Element für ein gültiges Simulationsergebnis. Wichtig im Umgang mit den Daten ist daher ein durchgängiger transparenter Datenfluss. Die Daten aus dem HR-Basissystem werden dabei in einem ersten Schritt im Fall der AOK Hessen in dem SAP BW mittels Datenextraktion zur Verfügung gestellt. Auf dieser Basis können bereits erste analytische Aufgaben abgebildet werden (z. B. Reporting mit Hilfe von Kennzahlen mit Zeitbezug auf die Vergangenheit im Rahmen einer Zeitreihenanalyse sowie dem aktuellen Zeitpunkt). Im nächsten Schritt werden die Daten aggregiert über eine Query mit Hilfe eines zertifizierten Webservices in das Simulationsmodell übernommen. Die Aggregation erfolgt dabei über zwei Sichtweisen. Auf der einen Seite erfolgt eine Zusammenführung aus der Sicht einer Funktionsbetrachtung (wie z. B. Mitarbeiter in den Funktionen „Leistungsbringer managen“ oder „Kundenbetreuung“). Die zweite Sicht bildet die Zusammenführung nach Qualifikationslevel (wie z. B. „Sachbearbeiter“ oder „Spezialist“). Im Rahmen der strategischen Personalplanung wird das Ergebnis auch als Jobcluster bezeichnet. Für die Bildung haben sich in der Praxis mehrere Gestaltungsprinzipien bewährt (vgl. Berendes et al. 2011).
Der Prozess der strategischen Szenarioplanung endet in der Regel mit einem robusten Planszenario. Die notwendigen Initiativen sind abgeleitet. Für das operative Management erfolgt in Form von Eckwerten eine Vorsteuerung der steuerungsrelevanten Kennzahlen. Für einen besseren Abgleich können diese Werte in das Analyticssystem (hier SAP BW) zurückgespielt werden. Damit entsteht eine sinnvolle Ergänzung des bestehenden Reportings um eine vorwärtsgerichtete Sichtweise. Wenn auch nur auf einer aggregierten Ebene (Ebene Jobcluster) können die eingeleiteten Maßnahmen auf der operativen Ebene abgeglichen werden. Bei der AOK wird das im Aufbau befindliche HR-Kennzahlensystem konkret in den folgenden Kennzahlenfeldern ergänzt:
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A.
Mitarbeiterstruktur und Vielfalt,
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1.
Altersprofil (Durchschnittsalter; MA über 50 Jahre; Verhältnis <45/>45),
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2.
Versichertenstruktur im Verhältnis zur Mitarbeiterstruktur,
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3.
Gender,
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4.
Entwicklung von Bedarf und Bestand mit Standardmaßnahmen gemessen in Kapazitätseinheiten (Vollbeschäftigungseinheiten),
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5.
Personalbewegungen,
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6.
Renteneintritte und Pensionierungen.
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B.
Ausbildung & Entwicklung,
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1.
Anzahl der Auszubildenden und Studienteilnehmer,
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2.
Externe Einstellungen,
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3.
Interne Entwicklungen.
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C.
Kosten,
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1.
Personalkostenentwicklung.
Nicht alle Kennzahlenfelder können aus der Sicht der vorliegenden strategischen Personalplanung ergänzt werden. Offen bleibt beispielsweise das Feld Mitarbeiterengagement oder Mitarbeiterattraktivität. Hier könnte allenfalls eine gewünschte höhere Mitarbeiterbindung sich in den Annahmen der Simulation über die freiwilligen Abgänge darstellen. Die Aufstellung der Felder ist daher nur ein Auszug aus dem Gesamtsystem.
Die Abb. 6 zeigt einen idealtypischen Datenfluss zwischen den einzelnen HR-Funktionen als ein integriertes System. Dabei darf jedoch nicht unerwähnt bleiben, dass gerade aufgrund der Abbildung der Mitarbeiterbedarfe auch Daten aus den Geschäftsbereichen und damit außerhalb der Personalsysteme für die Simulation benötigt werden. Die Integration hat damit auch Grenzen.