1 Hasses Werk

Vor einhundert Jahren bewies Helmut Hasse in seiner Marburger Dissertation [10] ein sogenanntes Lokal-Global–Prinzip für quadratische Formen. Seine daraus entspringenden Arbeiten (zunächst [1114]) hatten einen großen Einfluss auf die weitere Entwicklung der Zahlentheorie bis heute. Beispielsweise lässt sich die Vermutung von Birch und Swinnerton-Dyer [2] zu elliptischen Kurven — eines der sechs ungelösten Millenniumsprobleme — als der Wunsch nach einer Erweiterung des Lokal-Global–Prinzips auf gewisse kubische Polynome bzw. Kurven interpretieren.

Das vielleicht einfachste zahlentheoretische Lokal-Global–Prinzip behandelt Quadratzahlen: Eine ganze Zahl \(z\) ist genau dann das Quadrat einer ganzen Zahl, wenn \(z\) das Quadrat einer reellen Zahl ist und modulo jeder Primzahl \(p\) kongruent zu einem Quadrat. So ist etwa −4 kein Quadrat, auch nicht 2022 (denn dies ist \(\equiv 2\bmod \,5\), aber die Quadrate modulo 5 sind \(0,1,4\)), wohl aber 2025 (denn dies ist \(=45^{2}\)). Der Beweis dieser Charakterisierung basiert auf dem quadratischen Reziprozitätsgesetz. Die eigentliche Fragestellung (ein Quadrat in ℤ zu sein) erweist sich somit als äquivalent zu verwandten Eigenschaften modulo der Primzahlen und dem Reellen. Insofern wird eine globale Aussage (eine Aussage zur Arithmetik in ℤ oder dessen Quotientenkörper ℚ) auf deren lokale Entsprechungen zurückgeführt. Die topologisch nicht-äquivalenten Vervollständigungen der rationalen Zahlen sind, wie Alexander Ostrowski [32] 1916 zeigte, neben dem Körper der reellen Zahlen die \(p\)-adischen Körper \(\mathbb{Q}_{p}\) (einer zu jeder Primzahl \(p\)). Diese Vervollständigungen fasst man insofern als die lokalen Stellen des globalen Körpers ℚ auf. Die \(p\)-adischen Zahlen ihrerseits sind ein seltsames Konstrukt, eingeführt von Kurt Hensel in den 1890er Jahren (zunächst in [20] und später in seinen Lehrbüchern [21, 22]). Tatsächlich zeigte Hasses Dissertation erstmals die Relevanz dieser neuen Zahlen auf.

Abb. 1
figure 1

Helmut Hasse (1898-1979) in jungen Jahren (links) und sein Lehrer Kurt Hensel (1861-1941)

2 Hensels Beitrag

Sei \(p\) eine Primzahl. Hensel führte die \(p\)-adischen Zahlen als Potenzreihen der Gestalt

$$ \sum _{n\geq m}a_{n}p^{n}\qquad \text{mit}\quad a_{n}\in \{0,1,\ldots , p-1\} $$

und einem beliebigen ganzzahligen \(m\) ein. Diese \(p\)-adischen Zahlen lassen sich in naheliegender und sinnvoller Weise addieren und multiplizieren; sie bilden den Körper \(\mathbb{Q}_{p}\) der \(p\)-adischen Zahlen. József Kürschák [24] versah diese Körper mit einer nicht-archimedischen Bewertung, bzgl. deren diese Potenzreihen konvergieren. Grundlegende Motivation für Hensel war, den mächtigen Kalkül der Potenzreihen in der sich damals rasant entwickelnden komplexen Analysis für zahlentheoretische Zwecke nutzbar zu machen. Im Hintergrund steht hier Hensels Berliner Studienzeit mit Lehrern wie Karl Weierstraß und (seinem Doktorvater) Leopold Kronecker (cf. [15], S. 7). Alternativ konstruiert man heute \(p\)-adische Zahlen mittels eines projektiven Limes der Restklassenringe \(\mathbb{Z}/p^{n}\mathbb{Z}\) mit primem \(p\) und natürlichen \(n\); so entsteht der Ring der ganzen \(p\)-adischen Zahlen, welche genau den obigen Potenzreihen mit \(m\geq 0\) entsprechen (siehe [30, 42]).

Zunächst fehlte Hensels Konstrukt die Sinnhaftigkeit und wohl auch die Akzeptanz in der zeitgenössischen Mathematik. Rückblickend attestierte Hasse [15] ihnen ein „geringes Ansehen“.

Dennoch setzte Hensel kühn die formalen \(p\)-adischen Entwicklungen der algebraischen Zahlen an, indem er einfach lehrte, wie man mit diesen neuartigen Gebilden aus einem bisher unbekannten Reservoir mathematischer Objekte rechnen und vergleichen konnte. Es handelt sich demnach hier um eine echte, von Inutition und Phantasie eingegebene Neuschöpfung, die zunächst, wie jede revolutionierende Idee, lapidar und unbehauen hingeworfen wurde, und die ähnlich wie der Leibnizsche Differentialkalkül zunächst des soliden logischen Fundaments entbehrte.

schrieb Hasse [15], S. 7. Mit der Entwicklung der Bewertungstheorie wurde das Fundament für eine eigenständige Theorie geschaffen, was jedoch fehlte, war zunächst ein Nachweis ihrer Relevanz.

Ein großes Thema der klassischen Mathematik waren quadratische Formen und zugehörige Darstellbarkeitsfragen. Beispielsweise äußerte Pierre de Fermat, dass jede Primzahl \(p\equiv 1\bmod \,4\) als Summe von zwei Quadratzahlen darstellbar sei, allerdings ohne einen Beweis zu hinterlassen, was jedoch von Leonhard Euler mithilfe der Fermatschen Abstiegsmethode nachgeliefert wurde (siehe [43]). Da Quadrate modulo 4 entweder den Rest 0 oder den Rest 1 lassen, ist für ungerade \(p\) die Kongruenzbedingung notwendig (und also weder 3 noch 7 eine Summe von zwei Quadraten). Hier zeigt sich bereits durch die modulare Arithmetik, wie die ursprüngliche Frage der Lösbarkeit bzw. Unlösbarkeit einer Gleichung wie etwa

$$ 13=X^{2}+Y^{2}\qquad \text{bzw.}\qquad 19=X^{2}+Y^{2} $$

in ganzen Zahlen durch lokale Betrachtungen (modulo \(2^{2}\)) eingeschränkt werden. Weitaus schwieriger ist zu entscheiden, welche ganzen (oder allgemeiner rationalen) Zahlen \(m\) sich durch die quadratische Form \(3X^{2}-5Y^{2}-7Z^{2}\) darstellen lassen, ob es also rationale (oder gar ganze) Zahlen \(x,y,z\) gibt mit beispielsweise

$$ 3x^{2}-5y^{2}-7z^{2}=2022\quad ? $$

Quadratische Formen wurden systematisch von Joseph-Louis Lagrange, Adrien-Marie Legendre und natürlich Carl Friedrich Gauß untersucht. Letztgenannter hat in seinen 1801 veröffentlichten Disquisitiones Arithmeticae [7] mit seiner Genustheorie und dem Begriff des Charakters wesentliche Beiträge für nachfolgende Arbeiten geleistet.

Betrachten wir allgemeiner eine diophantische Gleichung, gegeben durch

$$ f(X_{1},\ldots ,X_{n})=0 $$

mit einem über ℤ definierten Polynom \(f\). Mit dem chinesischen Restsatz wird man direkt auf die Kongruenzen

$$ f(X_{1},\ldots ,X_{n})\equiv 0\bmod \, p^{k} $$

für alle Primzahlen \(p\) und natürlichen Zahlen \(k\) geführt. Tatsächlich ist letztere Kongruenz mit beliebigem \(k\) genau dann lösbar, wenn die vorangegangene Gleichung in ganzen \(p\)-adischen Zahlen lösbar ist. Dieser Zusammenhang findet sich bereits implizit in Hensels Untersuchungen (siehe [22], Kapitel 12, S. 294) und wird auch in dessen Gutachten der Hasseschen Dissertation erwähnt, welche wir im folgenden Abschnitt im Original wiedergeben.

3 Der Inhalt der Hasseschen Dissertation

Nachstehend Hensels Gutachten zu der Dissertation [10] von Hasse (in der nachstehenden grau unterlegten Box; siehe auch Abb. 2 und 3). Man beachte bei der Lektüre, dass Hensels Notation \(K(1)\) den rationalen Zahlenkörper ℚ meint und \(R(1)\) dessen Ganzheitsring ℤ.Footnote 1

Abb. 2
figure 2

Die erste Seite des fünfseitigen Henselschen Gutachtens der Hasseschen Dissertation

Abb. 3
figure 3

Die fünfte und letzte Seite des Gutachtens. Neumann ist „Voll u. ganz einverstanden“

 Bei der Frage nach der Darstellbarkeit einer gegebenen Zahl \(m\) durch eine gegebene quadratische Form \(f(x_{1},\ldots x_{n})\) ist historisch zuerst der Fall der ganzzahligen Darstellung ganzer Zahlen \(m\) durch ganzzahlige (speziell binäre) Formen \(f(x_{i})\) in den Vordergund gestellt worden. Erst nach der noch immer sehr unvollständigen Erledigung dieser Probleme wurde das Problem der rationalzahligen Darstellung der rationalen Zahlen \(m\) durch rationalzahlige Formen \(f(x_{i})\) in Angriff genommen. Auf der ersten Fragestellung beruhte die Einteilung der \(f(x_{i})\) in Klassen, die zweite führte auf die Einteilung derselben in Genera oder Geschlechter.

 Bei der Lösung dieser beiden Aufgaben ist nun der umgekehrte Gang gedanklich sehr viel einfacher, denn die vollständigen Bedingungen für die rationalzahlige Darstellung von \(m\) durch \(f(x_{i})\) sind ja notwendige Bedingungen für ihre ganzzahlige Darstellung. Ausserdem ist die Auflösung einer Gleichung \(m=f(x_{i})\) in rationalen Zahlen, d.h. im Zahlkörper \(K(1)\), wesentlich einfacher als in ganzen Zahlen, deren Gesamtheit eben nur einen Ring \(R(1)\) bildet.

 Dieses einfache Problem lässt nun eine vollständige und einfache Lösung zu, deren Darstellung die vorliegende sehr wertvolle Arbeit gewidmet ist. Sie beruht wesentlich auf der folgenden Ueberlegung, welche ich zuerst in meiner Zahlentheorie (Berlin 1913) angegeben habe: Damit eine Gleichung \(m=f(x_{i})\) im Körper \(K(1)\) möglich ist, ist sicher notwendig, dass dieselbe Gleichung in jedem grösseren, \(K(1)\) enthaltenden Körper \(K(p)\) aller \(p\)-adischen Zahlen eine Lösung besitzt, wenn \(p=2,3,5,\ldots, p_{\infty}\) alle den einzelnen Primzahlen zugeordneten Stellen durchläuft und ausserdem noch \(K(p_{\infty})\) den Körper aller reellen Zahlen bedeutet.

 Jede dieser unendlich vielen Forderungen liefert so eine leicht angebbare notwendige Bedingung für die rationale Darstellbarkeit von \(m\) durch \(f(x_{i})\) innerhalb \(K(1)\), welche ich a.a.O. im XII. Kapitel für binäre Formen \(f(x_{1},x_{2})\) vollständig angegeben habe, und die in dieser Arbeit nun auch für ternäre und höhere quadratische Formen vollständig und höchst einfach dargestellt wurden. Von ihnen sind stets nur eine endliche Zahl nicht von selbst erfüllt; nur sie brauchen also weiter betrachtet zu werden.

 Sehr wesentlich ist es nun, dass die so gefundenen notwendigen Bedingungen auch hinreichend für die rationale Darstellbarkeit von \(m\) durch \(f(x_{i})\) sind. Durch Anwendung einer Lagrangeschen Reduktionsmethode beweist nämlich der Verfasser dieser Arbeit, zuerst für binäre, dann aber auch für ternäre und allgemeine quadratische Formen \(f(x_{1}, \ldots x_{n})\), dass \(m\) stets und nur dann für den Bereich \(K(p)\) einer jeden Stelle \(p=2,3,5, \ldots, p_{\infty}\), d.h. überall im Kleinen, durch \(f(x_{i})\) darstellbar ist, wenn auch innerhalb \(K(1)\), d.h. im Grossen, die Gleichung \(m=f(x_{i})\) eine Lösung besitzt. Hiernach bilden also die endlich vielen Bedingungen für die Auflösbarkeit der obigen Gleichung in den \(p\)-adischen Körpern \(K(p)\) die notwendige und hinreichende Bedingung für ihre Lösbarkeit im Körper der rationalen Zahlen.

 Nur für die binären und ternären Formen wird durch diese Bedingungen die Natur derselben überhaupt wesentlich beschränkt. Für quaternäre und höhere Formen \(f(x_{1},\ldots x_{n})\) ergibt sich nämlich in dieser Arbeit der einfache Satz, dass sie alle rationalen Zahlen \(m\) rational darstellen, wenn sie indefinit sind, und dass sie alle rationalen Zahlen eines und desselben Zeichens darstellen, wenn sie definit sind. Es ist hiernach jetzt nur noch weiter zu untersuchen, welche Zahlen \(m\) durch eine beliebige binäre oder ternäre Form rationalzahlig darstellbar sind.

 Zu diesem Zweck habe ich im Kapitel XII meiner Zahlentheorie für binäre Formen \(f(x_{1}, x_{2})\) aus dem obigen Principe heraus ein vollständiges System \((C_{p}, C_{p'}, \ldots)\) von s.g. Charakteren hergeleitet, welche zusammengenommen diese Frage vollständig entscheiden; und es gelingt hier dem Verfasser auch für die ternären Formen \(f(x_{1},x_{2},x_{0})\) ein sehr ähnliches Charakterystem \(C_{p}=(f(x_{1},x_{2},x_{0})/p)\) aufzustellen, dessen Elemente \(C_{p}\) gleich \(+1\) oder −1 sind, gemäß dem durch die Form \(f\) für den Bereich von \(p\) die Null darstellbar oder nicht darstellbar ist. In beiden Fällen ergiebt sich, dass eine Zahl \(m\) stets und nur dann durch \(f\) rational darstellbar ist, wenn ihr quadratfreier Kern \(m_{0}\) gewissen arithmetischen Reihen angehört, die durch den Diskriminantenkern von \(f\) und durch jene Charaktere \(C_{p}, C_{p'},\ldots \) eindeutig bestimmt sind.

 Die hier gefundenen Ergebnisse stehen nun in ganz nahem Zusammenhang mit der Einteilung der \(n\)-ären Formen \(f(x_{1},\ldots x_{n})\) in Genera oder Geschlechter. Wenn wir nämlich im Anschluss an die letzten grundlegenden Arbeiten von Minkowski alle rationalzahlig umkehrbar in einander transformirbaren Formen in dasselbe Formengeschlecht rechnen, so ergiebt sich nun aus den soeben dargelegten Ergebnissen für die binären und ternären Formen das folgende wichtige Resultat:

Alle und nur die binären und ternären Formen, welche dieselben Zahlen rational darstellen, gehören demselben Geschlechte an. Alle Formen desselben Diskriminantenkernes \(d\) zerfallen in genau so viele Formengeschlechter, als es verschiedene mögliche Charaktersysteme \((C_{p},C_{p'},C_{p''},\ldots )\) giebt.

 Von grossem Interesse sind endlich die Ausführungen des fünften Abschnittes dieser Arbeit, in welchem Herr Hasse die Verwandschaft und die wesentlichen Unterschiede seiner Untersuchungen und den allgemeinen Problemstellungen von Minkowski sowie den weniger tief gehenden von Stephen Smith giebt.

 Auch die Geschlechter der allgemeinen \(n\)-ären Formen vermag nämlich Minkowski durch ein System von Invarianten vollständig zu charakterisieren, nämlich durch ihren Grad \(n\), ihren Diskriminantenkern \(d\) und durch die Charaktere einer gewissen ternären Restform von \(f\), welche zwar von den Hasseschen Charakteren im Allgemeinen verschieden sind, die aber natürlich auch durch diese sehr viel einfacheren Charaktere ersetzt werden können. Die organische Einführung dieser neuen Charaktersysteme ohne Benutzung der Minkowskischen sehr schwierigen und tief liegenden Deduktionen würde das Thema einer weiteren Arbeit sein, auf die der Verfasser am Schluss nur hinweist, deren Vollendung hier durch die durchgeführten Untersuchungen wesentlich erleichtert werden würde.

 Die vorliegende Arbeit besitzt einen hohen wissenschaftlichen Wert und lässt für die Zukunft Bedeutendes von ihrem Verfasser erhoffen. Die in ihr behandelten Probleme sind in ihrer vollen Allgemeinheit erfasst und in grösster Anschaulichkeit und Einfachheit dargestellt. Der Aufbau der ganzen Theorie ist von vorbildlicher Klarheit, der Stil ist kurz und deutlich.

 Ich beantrage, diese Arbeit mit dem Prädikate Vorzüglich als Dissertation anzunehmen und den Kandidaten zum Rigorosum zuzulassen.

Marburg, d. 30. März   K. Hensel

1921

Neben Hensel unterzeichneten weitere Ordinarien der philosophischen Fakultät das Gutachten. Der unterzeichnende Ernst Richard Neumann war Inhaber des ersten Lehrstuhls für Mathematik in Marburg und forschte u.a. zur Potentialtheorie und erweiterte Ergebnisse seines Onkels Carl Friedrich Neumann. Eine weiterere Unterschrift des Gutachtens stammt von dem Chemiker und damaligen Rektor der Marburger Universität Johannes Gadamer; sein bekannter Sohn Hans-Georg Gadamer war ein bedeutender Philosoph des zwanzigsten Jahrhunderts. Die letzte Unterschrift auf dem Gutachten gehört dem Geodät Friedrich von Dalwigk, der Hasse im späteren Rigorosum zur angewandten Mathematik prüfte.

Die Sprechweise im Kleinen bzw. im Großen, die wir in Hensels Gutachten finden, war übrigens nicht ungewöhnlich zu dieser Zeit, insbesondere in der Funktionentheorie im Kontext der lokalen Darstellung einer analytisch fortgesetzten Funktion. Das Lokal-Global–Prinzip für quadratische Formen und Verallgemeinerungen hiervon werden in der zahlentheoretischen Literatur auch Hasse-Prinzip genannt. Tatsächlich treten derartige Kategorisierungen ab der Jahrhundertwende vermehrt und in unterschiedlichen Formen und Disziplinen auf; für weiterführende Literatur verweisen wir auf [5].

4 Ein Brief und eine Postkarte — die Vorgeschichte

Die bereits angesprochene Arbeit [29] von Minkowski aus dem Jahr 1890 enthält folgende von Adolf Hurwitz verfasste Fußnote:

Bei der Untersuchung der ternären diophantischen Gleichungen vom Geschlechte Null wurden Herr Hilbert und ich auf diese Frage geführt. Wenn zwei diophantische Gleichungen durch rationale eindeutig umkehrbare Transformationen ineinander überführt werden können, so lassen sich offenbar die Lösungen einer jeden dieser Gleichungen aus den Lösungen der anderen ableiten; beide Gleichungen repräsentiren also im Wesentlichen dieselbe Aufgabe. Wir rechnen deshalb alle diophantischen Gleichungen, welche aus einer durch die genannten Transformationen hervorgehen, in eine Klasse. Unsere Untersuchung, welche demnächst in den Acta mathematica erscheinen wird, ergab nun, dass in jeder Klasse ternärer diophantischer Gleichungen vom Geschlecht Null auch quadratische Gleichungen enthalten sind. Die sich anknüpfende Frage nach den Invarianten einer solchen Klasse findet daher durch die allgemeinen Sätze, welche Herr Minkowski aufstellt und beweist, ihre Erledigung.

Diese Fußnote ([29], S. 5) rührt von eimem leider verloren gegangenen Briefwechsel her;Footnote 2 die von Hurwitz angesprochene gemeinsame Arbeit [23] mit David Hilbert erschien mit einer kleinen Verzögerung. Auf Gauß’ Vorarbeiten aufbauend gelang Hermann Minkowski in seiner bemerkenswerten Untersuchung tatsächlich — bereits drei Jahrzehnte vor Hasses Dissertation — die Charakterisierung der Äquivalenz quadratischer Formen (gemäß der im obigen Zitat genannten Klasseneinteilung). Weiterhin beschrieb Minkowski die durch ebensolche dargestellten rationalen Zahlen, jeweils abhängig von verschiedenen Invarianten. Das liefert im konkreten Fall die Erledigung der gestellten Aufgabe, insgesamt allerdings ein recht technisches Resultat. Es sind die zwischenzeitlich eingeführten \(p\)-adischen Zahlen (und auch das Hilbertsche Restsymbol aus dessen Zahlbericht anstelle der Minkowskischen Einheiten \(C_{p}\), welches bereits Hensel in seinem Buches [22] in diesem Kontext eingeführt hatte), die ein klares Bild erlauben. Heutzutage wird das Ergebnis, dass eine über ℚ definierte quadratische Form \(f\) eine rationale Zahl \(m\) genau dann darstellt, wenn dies in allen \(p\)-adischen Körpern \(\mathbb{Q}_{p}\) sowie in ℝ der Fall ist, als Satz von Hasse–Minkowski bezeichnet.

Eine alternative Formulierung und wesentliche technische Vereinfachung erlaubt der Begriff der Isotropie, der auch in Hensels Gutachten anklingt: Eine Form \(f\) heißt isotrop, wenn sie nicht-trivial die Null darstellt, d.h.

$$ f(x_{1},\ldots ,x_{n})=0\qquad \text{mit}\quad (x_{1},\ldots ,x_{n}) \neq (0,\ldots ,0). $$

Tatsächlich ist der Rückzug auf die Darstellbarkeit der Null eine sinnvolle Vereinfachung, die sich für o.B.d.A. \(x_{1}\neq 0\) leicht aus der Substitution

$$ y_{1}=x_{1}(1+t)\qquad \text{und}\qquad y_{j}=x_{j}(1-t)\quad \text{f\"{u}r}\quad j=2,\ldots ,n $$

ergibt: Gilt nämlich

$$ \sum _{1\leq j\leq n}a_{j}x_{j}^{2}=0, $$

dann auch

$$ \sum _{1\leq j\leq n}a_{j}y_{j}^{2}=a_{1}y_{1}^{2}-a_{1}x_{1}^{2}(1-t)^{2}+ \sum _{1\leq j\leq n}a_{j}x_{j}^{2}(1-t)^{2}=4a_{1}x_{1}^{2}t, $$

und mit Variation des Parameters \(t\) lässt sich jedes rationale \(m\) darstellen. Insofern ist eine Form also genau dann global isotrop, wenn sie lokal isotrop ist.

Für die bereits angesprochene Form \(3X^{2}-5Y^{2}-7Z^{2}\) zeigt sich, dass die Gleichung

$$ 3X^{2}-5Y^{2}-7Z^{2}=0 $$

nicht-trivial in rationalen Zahlen ist, denn sie ist mit der Indefinitheit der quadratischen Form (auf der linken Seite) sicherlich reell lösbar und auch lösbar in allen \(p\)-adischen Körpern. Dabei ist nur Lösbarkeit in \(\mathbb{Q}_{p}\) für die Primteiler \(p\) der Koeffizienten \(3,-5,-7\) nicht leicht einsichtig; in diesen verbleibenden Fällen \(p=3,5,7\) gilt für die Quotienten jedoch, dass die jeweiligen Potenzreihenentwicklungen mit einem Quadrat als konstantem Term beginnen:

$$\begin{aligned} -{\frac{7}{5}}=1^{2}+\sum _{n\geq 1}a_{n}3^{n} \text{in} & \mathbb{Q}_{3}^{2}, \\ {\frac{7}{3}}=2^{2}+\sum _{n\geq 1}b_{n}5^{n} \text{in} & \mathbb{Q}_{5}^{2}, \\ {\frac{5}{3}}=2^{2}+\sum _{n\geq 1}c_{n}7^{n} \text{in} & \mathbb{Q}_{7}^{2}. \end{aligned}$$

Hier steht \(\mathbb{Q}_{p}^{2}\) für die Menge der Quadrate in \(\mathbb{Q}_{p}\).

Tatsächlich ließe sich die oben gestellte Frage der nicht-trivialen Lösbarkeit der ternären quadratischen Gleichung bereits mit einem klassischen Satz von Adrien-Marie Legendre [25] von 1830 zu ternären Formen beantworten: Die Gleichung

$$ aX^{2}+bY^{2}+cZ^{2}=0 $$

mit paarweise teilerfremden, quadratfreien Koeffizienten \(a,b,c\in \mathbb{Z}\), \(abc\neq 0\) und nicht alle gleichen Vorzeichens, ist genau dann ganzzahlig lösbar, wenn die Kongruenzen

$$ X^{2}\equiv -bc\bmod \,\vert a\vert ,\quad Y^{2}\equiv -ca\bmod \, \vert b\vert ,\quad Z^{2}\equiv -ab\bmod \,\vert c\vert $$

lösbar sind. Hier sind die lokalen Quadrate des obigen Beispiels in den quadratischen Resten der Koeffizienten versteckt; mit dem chinesischen Restsatz ergeben sich stets quadratische Kongruenzen zu Primzahlmoduln. Dieser ternäre Fall ist im Satz von Hasse-Minkowski enthalten, ebenso wie ein Ergebnis von Arnold Meyer [28] aus dem Jahr 1884 zum Fall von mehr als vier Variablen. Hierfür sowie zu der von Hensel in seinem Gutachten angedeuteten Reduktionsmethode von Joseph-Louis Lagrange (eine Art iterierte quadratische Ergänzung), zur Rolle des Henry John Stephen Smith, wie auch zu weiteren Konsequenzen (so etwa die Charakterisierung der Summen von drei Quadraten von Carl-Friedrich Gauß und der Vierquadratesatz von Lagrange) verweisen wir der Kürze halber auf [30, 42, 43]. Unser Interesse liegt hier mehr auf dem Aspekt des \(p\)-adischen Blickwinkels.

Den „entscheidende[n] Anstoß “ zu seiner Dissertation, wie Hasse in [17] selbst schreibt, gab ihm Hensel 1920 in einer Postkarte mit folgenden Worten (cf. [17], S. 4):

Ich habe immer die Idee, daß da eine ganz bestimmte Frage zu Grunde liegt. Wenn ich immer von einer analytischen Funktion weiß, daß sie an allen Stellen rationalen Charaker hat, so ist sie rational. Wenn ich bei einer Zahl dasselbe weiß, daß sie für den Bereich jeder Primzahl \(p\) und für \(p_{\infty}\) \(p\)-adisch ist, so weiß ich noch nicht, ob sie eine rationale Zahl ist. Wie ist das zu ergänzen?

Hierbei bezeichnet \(p_{\infty}\) die reelle Bewertung von ℚ. In seinem rückblickenden Artikel [17], S. 4, fährt Hasse fort:

Es war die Frage am Schluß dieser Mitteilung, die mir die Augen geöffnet hat: Die Bedingung des Lagrangeschen Satzes ließen sich ja dahingehend formulieren, daß die ternäre Form für jede Primstelle \(p\) eine nicht-triviale \(p\)-adische Nulldarstellung zuläßt. Und der Satz selbst besagt, daß sie dann auch eine nicht-triviale rationale Nulldarstellung zuläßt.

Insofern ist neben dem Briefwechsel zwischen Hurwitz und Minkowski ein zweites Mal der Postverkehr der auf der Schwelle zur modernen Mathematik stehenden Protagonisten, diesmal Hensel und Hasse, von maßgeblicher Bedeutung.

5 Wie Hasse nach Marburg kam

Zum Zeitpunkt seiner Disputation war Hasse 22 Jahre jung. Nachstehend sein zum Zwecke der Promotion eingereichter Lebenslauf (siehe Abb. 4):

Abb. 4
figure 4

Der von Hasse verfasste Lebenslauf

 Ich, Helmut Hasse, evangelisch-lutherischer Konfession, Sohn des Amtsgerichtsrates Paul Hasse und seiner Frau Margarete, geb. Quentin, wurde am 25. August 1898 zu Cassel (Preußen) geboren.

 Im Juni 1915 legte ich die Notreifeprüfung am Fichte-Gymnasium zu Berlin-Wilmersdorf ab und trat als Anwärter für das höhere Marinebaufach bei der Kaiserlichen Marine ein. Bis zur Beendigung des Krieges stand ich im Marinedienst, wo ich im Herbst 1917 zum Leutnant zur See der Reserve befördert wurde.

 Nach Beendigung des Krieges wandte ich mich in Göttingen dem Studium der Mathematik und Physik zu, nachdem ich schon während des Krieges in Kiel im W.S. 1917/1918 mathematische Vorlesungen gehört hatte.

 Seit S.S. 1920 habe ich meine Studien in Marburg fortgesetzt und hier am 11.III.1921 einen Teil der Prüfung für das höhere Lehramt (Mathematik und Angewandte Mathematik) bestanden. Dem Rest dieser Prüfung gedenke ich mich im Mai 1921 zu unterziehen.

 Meine Lehrer waren in Kiel: Herr Toeplitz, in Göttingen: die Herren Courant, Debye, Hecke, Hertz, Hilbert, Landau, Runge, Voigt, Wiechert, in Marburg: die Herren: v. Dalwigk, Heimsoeth, Natorp, Neumann, F.A. Schulze, Take.

 Allen den genannten Herren bin ich für Belehrung und Anregung, insbesondere aber Herrn Geh. Reg. Rat Professor Dr. Hensel für das wohlwollende Interesse, das er mir zuwandte, zu dauerndem Dank verpflichtet

 Helmut Hasse

Unter den in Göttingen genannten Lehrern findet sich mit Peter Debye, Professor für Mathematik, Theoretische Physik und Experimentalphysik, übrigens ein späterer Nobelpreisträger (1936 für Chemie).

Interessant ist u.a. wie Hasse nach Marburg kam. Hierzu schrieb er in [17], S. 3:

Als im Frühjahr 1920 mein hauptsächlicher Göttinger Lehrer Erich Hecke einem Ruf an die neugegründete Hamburger Universität gefolgt war, hatte ich mich entschlossen, mein Studium in Marburg unter Kurt Hensel fortzusetzen und durch Examina zum Abschluß zu bringen; denn dessen 1913 erschienenes Zahlentheoriebuch, das ich in einem Göttinger Antiquariat entdeckt und sofort erworben hatte, war mir vom ersten Augenblick an wegen seiner völlig neuartigen Methoden besonders reizvoll und eines gründlichen Studiums wert erschienen. Obwohl erst im siebten Studiensemester stehend, erhielt ich von Hensel schon nach kurzer Zeit ein Thema für eine Staatsexamensarbeit, das meinem Wunsche entsprechend gleich im Hinblick auf den eventuellen späteren Ausbau zu einer Doktordissertation gestellt war.

6 Die Doktorprüfung

Das Rigorosum fand am Nachmittag des 11. Mai 1921 statt (siehe Abb. 7). Zunächst wurde Hasse von Professor Clemens Schaefer in der Physik zu u.a. „Maxwellsche Gleichungen“ geprüft. Anschließend folgte die angewandte Mathematik, worin u.a. die Themen „Praxis des Rechenschiebers. Methoden zur Auflösung von numerischen Gleichungen. Graphische Integration“ behandelt wurden, aber auch Nautik, was wohl Hasses Erfahrung bei der Marine geschuldet war; seine Leistung wurde mit sehr gut bewertet (siehe Abb. 5, 6).

Abb. 5
figure 5

Der Bericht zum physikalischen Teil der Doktorprüfung; die letzten Zeilen gehören bereits zur Prüfung über angewandte Mathematik

Abb. 6
figure 6

Der weitere Bericht zum mathematischen Teil der Doktorprüfung

Abb. 7
figure 7

„Gesuch des cand. math. Helmut Hasse zur Zulassung zur Promotion“, datiert vom 22. März 1921

Im Examen zur reinen Mathematik wurden „Gauss Entdeckungen im Gebiete der Mathematik und Algebra“ behandelt, insbesondere das zentrale „Reziprocitätsgesetz“, aber auch die Theorie der quadratischen Formen, Kreisteilung und mit der „Primzahltheorie“ auch ein analytisches Thema. Ferner wurden behandelt „Riemanns Entdeckungen und die sich anschließenden neueren Untersuchungen“ sowie „Integralgleichungen im Anschluss an das Beispiel der schwingenden Saite“. Hierfür erhielt Hasse eine Auszeichnung (siehe Abb. 6).

7 Was dann geschah

Man kann natürlich bereits Minkowskis Resultat als ein Lokal-Global–Prinzip werten; es ist allerdings Hasses Umformulierung, die ohne irgendwelche Invarianten auskommt und insofern einfacher zu lesen ist und letztlich weiterführende Konsequenzen erlaubt. Diese liess plötzlich die bis dato künstlich in Szene gesetzten \(p\)-adischen Zahlen in einem neuen Licht erscheinen. Hensel selbst hat in seinem Schaffen nach einer relevanten Anwendung derselben gesucht. Nach einem missglückten Beweisversuch der Transzendenz von \(e\) und \(\pi \) mit \(p\)-adischen Methoden (siehe hierzu [33, 34]), tritt in seinem (von Hasse oben erwähnten) Lehrbuch [22] von 1913 das Thema der quadratischen Formen mit ersten Ergebnissen (den im Gutachten angesprochenen notwendigen Bedingungen) auf; im fünf Jahre älteren Werk [21] finden sich diese noch nicht. Und tatsächlich liefert, wie von Hasse bewiesen, die Anwendung der \(p\)-adischen Zahlen auf quadratische Formen und verwandte Themen bemerkenswerte Entwicklungsmöglichkeiten, wie wir hier auch kurz skizzieren wollen.

Hasse veröffentlichte die Inhalte seiner Dissertation erst 1923 als [11]; die im Gutachten erwähnte organische Einführung, die in der Dissertation nur angedeutet wurde, beschäftigte ihn wohl bis ins Jahr 1922 hinein und führte zu dem weiteren Artikel [12]. Minkowski und seine Vorarbeit [29] werden nicht in Hasses Arbeit [11] zur Darstellbarkeit erwähnt, wohl aber in der zur Äquivalenz [12]. In den anschließenden Arbeiten [13, 14], die aus Hasses Habilitationsschrift aus dem Jahr 1922 hervorgegangen sind, lieferte er dann die Verallgemeinerungen seiner Theorie auf endliche algebraische Erweiterungen von ℚ (Zahlkörper). Damit löste er das elfte von Hilbert in seinem berühmten Pariser Vortrag für das zwanzigste Jahrhundert vorgeschlagene Problem. Eine geometrische Erweiterung der Hasseschen Untersuchungen unternahm Hasses Assistent Ernst Witt in seiner Habilitationsschrift [44]. Dass diese und viele weitere Artikel aus diesem Kontext im Crelle-Journal erschienen sind, erklärt sich daraus, dass Hensel in der Zeit 1903-1936 und Hasse 1929-1980 (mit einem kurzen Intermezzo durch zusätzlich Ludwig Schlesinger (1929-1933) und einem längeren durch zusätzlich Hans Rohrbach (1952-1977)) die geschäftsführende Herausgeberschaft innehatten. Eine analytische Theorie der quadratischen Formen lieferte Carl Ludwig Siegel in einer Reihe von Abhandlungen und Lehrbüchern [41]. Zwischen Siegel und Hasse bestand über Jahrzehnte hinweg ein unschöner Zwist, der bestenfalls mit deren mathematischen Rivalität, unterschiedlichen mathematischen Methoden und Ansichten sowie divergierenden politischen Überzeugungen zu erklären ist; für Details verweisen wir hier auf die lesenswerten Quellen [4, 36].

In der Folgezeit beschäftigte sich Hasse zunehmend mit der Klassenkörpertheorie, und mit einer Erweiterung seines Lokal-Global–Prinzips gelang ihm eine wichtige Umformulierung derselben. Mit dem darauf aufbauenden Brauer-Hasse-Noether–Theorem [3] fanden schließlich Richard Brauer, Hasse und Emmy Noether 1932 ein Lokal-Global–Prinzip für Algebren. Hasse hat sich in dieser Zeit auch um eine Unterstützung von Emmy Noether im Zuge ihrer Suspendierung 1933 bemüht; siehe hierzu [19, 26, 38].

Was Formen höheren Grades anbelangt, so zeigte Ernst Selmer [40], dass das Lokal-Global–Prinzip sich nicht ohne weiteres verallgemeinern lässt. Beispielsweise ist die Gleichung

$$ 3X^{3}+4Y^{3}-5Z^{3}=0 $$

überall lokal lösbar, aber nicht global. Selbiges gilt zum Beispiel für die Gleichung

$$ (X^{2}-2)(X^{2}-3)(X^{2}-6)=0, $$

wobei hier jedoch einfach mit der Theorie der quadratischen Reste argumentiert werden kann. Die bereits erwähnten elliptischen Kurven stehen zwischen den quadratischen Formen mit dem gültigen Lokal-Global–Prinzip und den Formen höheren Grades, bei denen ein solches nicht oder nur eingeschränkt besteht (siehe [42]); insofern ist die zu Beginn erwähnte, offene Millenniumsvermutung von Bryan Birch und Peter Swinnerton-Dyer [2] trotz erheblicher Fortschritte in den letzten Jahren weiterhin offen. Mit zunehmender Anzahl der Variablen wird die Darstellbarkeit einer gegebenen ganzen Zahl \(m\) durch eine entsprechende quadratische Form jedoch zunehmend wahrscheinlicher (was sich auch bereits in dem erwähnten Satz von Meyer [28] andeutet); quantitative Resultate hierzu gelangen zuerst Donald J. Lewis [27] und (unabhängig) Birch [1] 1957. In diesem Zusammenhang ist die etwa zeitgleich zu Hasses Promotion von Godfrey H. Hardy, Srinivasa Ramanujan [8] und John E. Littlewood u.a. in [9] entwickelte sogenannte Kreismethode von Interesse. Deren analytischer Ansatz zeigt oft genug nicht nur die Lösbarkeit einer diophantischen Gleichung an, sondern erlaubt auch Aussagen über die Anzahl der Lösungen; dabei enthält die singuläre Reihe (der bestimmende Koeffizient in der Asymptotik) lokale Informationen (siehe [6, 42]).

Die \(p\)-adischen Zahlen und insbesondere Lokal-Global–Prinzipien spielen mittlerweile in nahezu allen Teilgebiete der Zahlentheorie und verwandter Disziplinen eine wichtige Rolle; ein aktuelles Beispiel sind hier die Arbeiten von Peter Scholze (z.B. [37] zur lokalen Langlands-Vermutung). Für weitere Konsequenzen und Erweiterungen des Lokal-Global–Prinzips verweisen wir auf [31, 38]. Eine aktuelle Darstellung der oben angerissenen Theorie findet sich in dem Lehrbuch [30]. Wir beschließen die mathematische Diskussion mit einer Lösung einer oben aufgeworfenen Frage:

$$ 3\left ({\frac{345}{4}}\right )^{2}-5\left ({\frac{329}{8}}\right )^{2}-7 \left ({\frac{329}{8}}\right )^{2}=2022. $$

8 Was dann geschah – jenseits der Mathematik

Wir schließen mit einem kurzen biographischen Abriss der Lebensläufe von Hensel und Hasse. Der ältere Erstgenannte hatte den zweiten Lehrstuhl für Mathematik in Marburg von 1902 bis zu seiner Emeritierung 1929 inne. Während des Naziregimes verlor der getaufte Jude Hensel im Rahmen des Reichsbürgergesetzes vom 16. September 1935 seine venia legendi. Hasses Karriere hingegen florierte. Nach kurzen Gastspielen in Kiel, wo er den wichtigen Kontakt mit Emil Artin aufbaute, und Halle wurde Hasse 1930 Hensels Nachfolger in Marburg, stand mit diesem aber auch nach seinem Wechsel 1934 nach Göttingen in engem Kontakt; tatsächlich waren sie beide über die Musiker_innenfamilie Mendelssohn entfernt verwandt, woran vermutlich Hasses Versuch des Beitritts in die NSDAP scheiterte. Der rechtsnationale Hasse muss mindestens als Mitläufer des Naziregimes eingestuft werden. In seine erfolgreiche Göttinger Periode fällt übrigens auch Hasses wichtiger Beweis des Analogons der Riemannschen Vermutung für elliptische Kurven (1936) mit seinen unmittelbaren Konsequenzen für die Formulierung der Birch & Swinnerton-Dyer–Vermutung.

In dieser Zeit wird Hensel auch gezwungen, seine Herausgeberschaft des Crelle-Journals zu beenden. In einem Brief an seinen ehemaligen Schüler und Mitherausgeber Hasse vom 11. Juni 1936 schrieb Hensel wehmütig:

Das Beste und Liebste, was mir diese lange Arbeit gegeben hat, war aber in den langen letzten Jahren die Zusammenarbeit mit Ihnen, der Sie so manche Wünsche und Hoffnungen, die ich in meinem langen Leben hegte, so schön erfüllt haben.

(siehe [18], S. 198). Hensel verstarb 1941. In seinem nach dem Krieg veröffentlichten Nachruf [15] auf seinen verehrten Lehrer erwähnt Hasse weder diesen Ausschluss noch das frühere Unrecht der Aberkennung der Lehrbefugnis.

Im Zuge der Entnazifizierung wurde Hasse 1945 entlassen, weil fälschlich angenommen wurde, er sei Mitglied der NSDAP gewesen. Ab 1946 war Hasse an der neugegründeten (Ost-) Berliner Akademie tätig, wo er bis 1949 wirkte und u.a. sein Lehrbuch [16] mit \(p\)-adischen Inhalten verfasste; die zweite Auflage war Kurt Hensel zum einhundertsten Geburtstag 1961 gewidmet, erschien aber zwei Jahre verzögert. In der Zwischenzeit, genauer 1948, wurde Hasse als „nicht betroffen“ entnazifiziert, was ihm dann 1949 ermöglichte, Ordinarius an der Humboldt-Universität in (Ost-) Berlin zu werden. Bereits 1950 wechselte er an die Universität in Hamburg, wo er bis zu seiner Emeritierung 1966 arbeitete und 1979 verstarb. Für weitere Informationen zum Leben der beiden Protagonisten während des Nationalsozialismus verweisen wir hier auf die lesenswerten Quellen [4, 26, 3436, 39]. Tatsächlich wären diese Biographien einen eigenen Artikel wert; wir haben uns hier bewusst auf das Lokal-Global–Prinzip beschränkt.