Fragestellung

Die hausärztliche Konsultation wird üblicherweise als Begegnung von und Interaktion zwischen zwei Personen verstanden. Studien aus anderen Ländern zeigen, dass ein Großteil der Patient:innen aber begleitet zur hausärztlichen Sprechstunde erscheint [1,2,3,4]. Zudem sind Unterschiede in der Nutzung medizinischer Angebote durch Patient:innen unterschiedlicher kultureller Herkunft nachgewiesen [5,6,7,8]. Weder Häufigkeit der Mitnahme noch Zusammenhang zwischen Migrationshintergrund (MH) und Mitnahme einer Begleitperson wurden bisher für den deutschsprachigen Raum untersucht. Die vorliegende Studie fokussiert auf Patient:innen mit türkischem MH, da sie die größte Bevölkerungsgruppe mit Migrationshintergrund in Deutschland darstellt und in der Praxis häufiger in Begleitung erscheinen als Patient:innen ohne MH.

Die für die hausärztliche Tätigkeit zentralen Forschungsfragen sind Folgende:

  • Wie häufig erscheinen Patient:innen begleitet in der hausärztlichen Sprechstunde?

  • Gibt es einen Zusammenhang zwischen türkischem MH und der Mitnahme einer Begleitperson?

  • Welches soziodemografische Profil haben Patient:innen und ihre Begleitpersonen?

  • Welche Motive haben Patient:innen zur Mitnahme einer Begleitperson?

  • Wie schätzen Patient:innen die Begleitung bei der hausärztlichen Sprechstunde ein?

Methoden

Es wurde eine explorative Studie in städtischen Hausarztpraxen in Nordrhein-Westfalen durchgeführt, die aus einer konsekutiven numerischen Erfassung von Patient:innen mit/ohne Begleitung in der Sprechstunde sowie einer leitfadengestützten Befragung der begleiteten Patient:innen nach ihrer Konsultation bestand. Die Erhebung fand – nach einer je eintägigen Pilottestung in zwei Praxen – in hausärztlichen Praxen für je eine Woche statt, wobei ein ausgeglichenes Verhältnis zwischen Hausärzt:innen mit/ohne türkischem MH angestrebt war. Eine Fallzahlberechnung war für eine explorative Studie nicht erforderlich.

Die konsekutive Zählung aller Patient:innen mit/ohne Begleitung wurde jeweils durch eine medizinische Fachangestellte der beteiligten Praxen während der Sprechstundenzeit durchgeführt. Dabei wurde auch der Migrationsstatus durch die medizinische Fachangestellte erfragt. Der Definition des Statistischen Bundesamtes folgend liegt dieser bei einer Person vor, „wenn sie selbst oder mindestens ein Elternteil die deutsche Staatsangehörigkeit nicht durch Geburt besitzt“ [9]. Für die Häufigkeit der Begleitung von Patient:innen wurden 95%-Konfidenzintervalle (95%-KI) berechnet. Der Zusammenhang zwischen dem Vorliegen eines MH und der Mitnahme einer Begleitperson wurde mit Chi-Quadrat-Test untersucht.

In die Interviewstudie eingeschlossen wurden alle Patient:innen ab einem Alter von 16 Jahren, die im Erhebungszeitraum mit einer Begleitperson die hausärztliche Sprechstunde aufsuchten und zur Studienteilnahme bereit waren. Ausgeschlossen wurden Patient:innen mit demenziellen Erkrankungen, Minderjährige ohne Begleitung eines/einer Erziehungsberechtigten, und ohne für die Befragung ausreichende Deutschkenntnisse (Selbsteinschätzung der Patient:innen). Mangelnde Sprachkenntnisse sind unabhängig vom kulturellen Hintergrund ein häufiger Grund für die Mitnahme einer Begleitperson. Die Besonderheiten von Konsultationen mit Sprachmittlung und wie diesen in der Praxis begegnet werden kann, sind gut untersucht [10,11,12]. Das Anliegen der vorliegenden Studie war, etwaige kulturelle Unterschiede in Häufigkeit und Motivation für die Mitnahme einer Begleitperson zwischen Menschen ohne und Menschen mit türkischem MH zu untersuchen. Sprachschwierigkeiten gehören hier per se nicht dazu und hätten die Ergebnisse hinsichtlich Häufigkeit und Motivation verzerrt. Wie Schinkel et al. darlegen, kann das Fehlen einer gemeinsamen Sprache das Gefühl von Diskriminierung verstärken und damit auch die Bedeutung unterschiedlicher kultureller Werte zwischen Ärzt:innen und Patient:innen [13]. Uns ist bewusst, dass wir damit eine Teilgruppe der Patient:innen mit türkischem MH nicht erfasst haben.

Mit allen dazu bereiten Patient:innen, die die Einschlusskriterien erfüllten, wurde von der Studiendurchführenden, der in Interviewtechnik trainierten Franziska Randerath eine im Mittel fünfminütige retrospektive leitfadengestützte Befragung [14, 15] durchgeführt (ohne Anwesenheit der Begleitperson). Neben soziodemografischen Daten (auch des MH) von Patient:in und Begleitperson (anamnestisch von Patient:in) sowie einer Kurzanamnese zum Beratungsanlass und etwaigen chronischen Erkrankungen wurde nach den Gründen für die und dem Erleben der Mitnahme einer Begleitperson in die hausärztliche Sprechstunde gefragt. Die Antworten wurden direkt auf dem Dokumentationsbogen schriftlich festgehalten [16]. Der aus der Literatur und aus hausärztlichen Erfahrungen entwickelte, pilotierte Leitfaden beinhaltete folgende Fragen:

  • Sie kamen heute in Begleitung zu Ihrer Hausärztin/Ihrem Hausarzt. Würden Sie mir die Gründe dafür nennen?

  • Gibt es noch weitere Gründe?

  • Wie war es für Sie, eine Begleitperson dabei zu haben?

Bereits auf dem Dokumentationsbogen zum Ankreuzen aufgenommen waren folgende Kategorien:

  • Organisation:( ) Hilfe beim Transport, ( ) Koordination der Medikation, ( ) Koordination des Arztbesuchs

  • Kommunikation:( ) Übersetzung, ( ) Unterstützung beim Ausdrücken von Bedenken, ( ) Verstehen von Informationen, ( ) Bewertung von Informationen, ( ) Erinnerung an Informationen, ( ) Entscheidungshilfe

  • Sozialer Beistand:( ) emotionaler Beistand, ( ) Gefühl der Sicherheit beim Arztbesuch, ( ) Einbeziehung der Familie bei der Bewältigung von Krankheiten, ( ) Begleitung wurde durch Begleitperson initiiert, ( ) Begleitung wurde durch Patient:in initiiert, ( ) Gewohnheit zum gemeinsamen Besuch von Arztterminen.

Um sprachliche Missverständnisse zu vermeiden, wurden die Studieninformationen/Einwilligungs- und Datenschutzerklärung auch auf Türkisch vorgehalten.

Die Auswertung der Befragung erfolgte in Anlehnung an die qualitative Inhaltsanalyse nach Mayring [17] und orientierte sich an zwei Hauptfragen: Motive der Patient:innen für die Mitnahme einer Begleitperson und Bewertung der Patient:innen der Begleitung bei der hausärztlichen Sprechstunde. Dazu wurde in der interdisziplinären Arbeitsgruppe stufenweise ein Kategoriensystem entwickelt. Die Ergebnisse werden deskriptiv dargestellt.

Ergebnisse

Im Frühjahr 2018 fand eine je einwöchige Erhebung in sechs städtischen hausärztlichen Praxen statt. Das Verhältnis von Ärzt:innen ohne (n = 3, davon 2 männlich) und Ärzt:innen mit türkischem MH (n = 3, davon 2 männlich) war ausgeglichen.

Von allen im Erhebungszeitraum erfassten Patient:innen in den sechs Praxen (n = 1155) wurden 27 % (n = 309, 95%-KI = 24,31–29,41) begleitet. Von diesen 1155 Patient:innen hatten n = 313 einen türkischen MH und n = 44 einen anderen MH.

Der Anteil der Patient:innen mit türkischem MH (n = 313) fiel in den Praxen, die von Ärzt:innen mit türkischem MH geführt wurden, mit 40 % (n = 257) deutlich höher aus als in den Praxen von Ärzt:innen ohne MH (n = 56; 11 %). Patient:innen mit türkischem MH integrierten mit 47 % (95%-KI = 41,64–52,98) häufiger eine Begleitperson als Patient:innen ohne MH (n = 798), die in 19 % (95%-KI = 16,38–21,95) der Fälle begleitet wurden. Zwischen türkischem MH und der Mitnahme einer Begleitperson besteht ein signifikanter Zusammenhang (χ2 (2) = 92,37; p < 0,01).

Aufgrund des höheren Anteils von Patient:innen mit türkischem MH in Praxen von Ärzt:innen mit türkischem MH tritt das Phänomen begleiteter Patient:innen dort mit 31 % (n = 195) häufiger auf als in Praxen von Ärzt:innen ohne MH (22 %; n = 114).

Von den 309 begleiteten Patient:innen im Erhebungszeitraum konnte mit 124 Patient:innen ein Kurzinterview geführt werden (bei n = 185 war dies aufgrund organisatorischer Aspekte, Ablehnung des Interviews seitens der Patient:innen oder anderer Ausschlusskriterien [s. oben] nicht möglich). Es wurden 17 Interviews von der Auswertung ausgeschlossen, als sich herausstellte, dass die Einschlusskriterien nicht erfüllt waren (z. B. Vorliegen einer demenziellen Erkrankung oder Erscheinen zum Interview vor der ärztlichen Konsultation). Alle folgenden Daten beziehen sich damit auf 107 interviewte Personen.

Welche Patient:innen erschienen in Begleitung in der hausärztlichen Sprechstunde? Und von wem wurden sie begleitet?

Soziodemografische Charakteristika der interviewten begleiteten Patient:innen

Das Durchschnittsalter aller interviewten begleiteten Patient:innen lag bei 50 Jahren. Das Durchschnittsalter der Patient:innen ohne MH lag mit knapp 59 Jahren deutlich über dem der Patient:innen mit türkischem MH, das nur 31 Jahre betrug. Zwei Altersgruppen der begleiteten Patient:innen waren am stärksten vertreten: die 18- bis 29-Jährigen (n = 30; 28 %) und die 70- bis 79-Jährigen (n = 17; 16 %). Die Altersverteilung unterscheidet sich zwischen den Patient:innen ohne und mit türkischem MH. Bei den Patient:innen ohne MH waren die 70- bis 79-Jährigen sowie die 80- bis 89-Jährigen am häufigsten vertreten. Bei den Patient:innen mit türkischem MH lag die Altersgruppe von 18- bis 29-Jährigen mit 44 % deutlich höher als bei der Gruppe ohne MH (19 %) (Tab. 1).

Tab. 1 Alter der begleiteten Patient:innena

Auffällig ist, dass in der Gruppe der begleiteten Patient:innen mit türkischem MH keine Person über 70 Jahre alt war, in der Gruppe der Patient:innen ohne MH dies jedoch die am häufigsten vertretene Altersgruppe war. Die Gründe zur Ablehnung der Teilnahme wurden nicht erfasst, bleiben also unbekannt. Es liegt jedoch die Vermutung nahe, dass dies an den geringeren Deutschkenntnissen und dem geringeren Zutrauen der älteren Patient:innen mit türkischem MH für ein solches Interview liegt.

Frauen wurden insgesamt mit 67 % (n = 72) deutlich häufiger begleitet als Männer (n = 35). Hier unterscheiden sich beide Patient:innengruppen (ohne/mit türkischem MH) kaum. Über die Hälfte der interviewten begleiteten Patient:innen insgesamt (und mit nur graduellen Unterschieden zwischen beiden Gruppen) war verheiratet (n = 57; 53 %) und hatte eigene Kinder (n = 65; 61 %). Das Verhältnis von Patient:innen mit Haupt‑/Volksschulabschluss (n = 37; 35 %) zu Patient:innen mit Realschulabschluss (n = 28; 26 %) oder Abitur/Fachhochschulreife (n = 36; 34 %) war in etwa ausgewogen (n = 6 mit keinem/anderem Schulabschluss).

54 (50 %) der Patient:innen gaben an, unter einer Krankheit oder mehreren chronischen Krankheiten zu leiden. 53 (50 %) wiesen keine chronische Erkrankung auf. Unter den genannten chronischen Krankheiten waren zweimal (3 %) die Nennung Neubildungen, einmal (2 %) die Angabe Krankheiten des Blutes/der blutbildenden Organe vertreten, und 19 (32 %) aller Patient:innen führten endokrine Erkrankungen, Ernährungs- und Stoffwechselkrankheiten an. Einmal (2 %) wurden psychische Störungen und Verhaltensstörungen genannt. Krankheiten des Nervensystems fanden viermal (7 %) Erwähnung, Krankheiten des Kreislaufsystems zehnmal (17 %), und zwölf (2 %) der Patient:innen gaben Krankheiten des Atmungssystems an. Krankheiten des Verdauungssystems wurden dreimal (5 %) angegeben, einmal (2 %) Krankheiten der Haut und der Unterhaut. Beschwerden des Muskel-Skelett-Systems begleiten vier (7 %) aller Befragten als chronische Erkrankung, Krankheiten des Urogenitalsystems wurden einmal (2 %) genannt. Chronische Erkrankungen, die unter 38 Allgemeinsymptome zu fassen sind, waren einmal (2 %) präsent.

67 % der interviewten Patient:innen (n = 72) gaben an, meist von derselben Person in die hausärztliche Sprechstunde begleitet zu werden. 13 % der ausgewerteten Interviews ließen einen Rückschluss auf eine gegenseitige Begleitung zu. Ein großer Teil der Patient:innen (70 %) gab an, sich aus Gewohnheit zur hausärztlichen Sprechstunde begleiten zu lassen (Tab. 2).

Tab. 2 Wer begleitet wen?a

Soziodemografische Charakteristika der Begleitpersonen

Die Angaben zu den Begleitpersonen wurden anamnestisch von den Patient:innen erhoben. Zwei Altersgruppen der Begleitpersonen (Durchschnittsalter: 50 Jahre) der interviewten Patient:innen (n = 113, 6 Patient:innen wurden von zwei Personen begleitet) waren am häufigsten vertreten: die 18- bis 29-Jährigen (n = 26; 23 %) und die 50- bis 59-Jährigen (n = 20; 18 %). Die Unterschiede zwischen Begleitpersonen ohne und Begleitpersonen mit türkischem MH waren marginal. 62 % der Begleitpersonen insgesamt waren Frauen, ihr Anteil lag in der Gruppe der Begleitpersonen mit türkischem MH noch höher (n = 27 von 39; 69 %; Tab. 3). Das Verhältnis von allen Begleitpersonen mit Haupt‑/Volksschulabschluss (n = 39; 35 %) zu Begleitpersonen mit Abitur/Fachhochschulreife (n = 35; 31 %) war insgesamt in etwa ausgewogen. Ein Realschulabschluss (n = 15; 13 %) lag bei Begleitpersonen weniger häufig vor (n = 24 ohne Angabe oder mit anderen Schulabschlüssen).

Tab. 3 Begleitperson selbst Patient:in in der Praxisa

Mit nur graduellen Unterschieden zwischen der Gruppe ohne und der Gruppe mit türkischem MH stammten die Begleitpersonen fast ausschließlich aus dem Kreis der Familie (n = 107 von 113; 95 %). Nur wenige kamen aus dem nahen Bekanntenkreis (n = 6; 5 %). In der Gruppe der Patient:innen ohne MH (n = 62) waren die Begleitpersonen zumeist die Ehepartner:innen. Patient:innen mit türkischem MH waren am häufigsten Töchter in Begleitung ihrer Mutter (n = 15; 37 %), gefolgt von Frauen in Begleitung meist ihrer Tochter (n = 8; 20 %). Väter und Söhne spielen als Begleitperson in beiden Gruppen eine marginale Rolle.

Der überwiegende Teil der Begleitpersonen war selbst Patient:in in dieser Hausarztpraxis (n = 97; 86 %) und wies zu 60 % (n = 68) – in der Untergruppe mit türkischem MH sogar zu 69 % – einen eigenen Behandlungsanlass in dieser hausärztlichen Sprechstunde auf (Tab. 3).

Motive zur Mitnahme von Begleitpersonen in die hausärztliche Sprechstunde

Die Auswertung der Befragung der 107 interviewten Patient:innen ergab die drei Hauptkategorien Organisation, Kommunikation und soziale Unterstützung als Motive zur Mitnahme einer Begleitperson, die in weitere Unterkategorien aufgeschlüsselt wurden (Tab. 4). Für eine ausführliche Beschreibung der einzelnen Unterkategorien s. Randerath (2022) [16].

Tab. 4 Aufgaben der Begleitpersonen (BP) aus Sicht der Patient:innen

Die Mitnahme einer Begleitperson in die hausärztliche Konsultation war überwiegend dadurch motiviert, die Familie in das Krankheitsgeschehen einzubeziehen, emotionalen Beistand in der Konsultation sowie Unterstützung in der Kommunikation mit der Ärztin/dem Arzt zu haben. Bei einem Drittel der Befragten war Unterstützung bei Verständnis, Bewertung, Erinnerung und Diskussion von Informationen ausschlaggebend. Außerdem gehörten dazu aus der Kategorie Kommunikation Hilfe beim Formulieren, Hilfe bei der Entscheidungsfindung sowie gemeinsame Reflexion nach der Sprechstunde. Weitere häufig genannte Motive waren zudem organisatorische Gründe wie Hilfe beim Transport und beim Krankheitsmanagement. Zwischen der Gruppe der Patient:innen ohne und der Gruppe der Patient:innen mit türkischem MH liegen bezüglich der Motivation zur Mitnahme einer Begleitperson nur graduelle Unterschiede vor.

Auswirkung der Begleitung auf die Konsultation aus Sicht der Patient:innen

Die Auswirkungen der Mitnahme einer Begleitperson in die hausärztliche Sprechstunde wurden überwiegend als positiv (n = 94 von 107; 88 %) beschrieben. Etwa 15 % empfanden ihre Begleitperson in der hausärztlichen Sprechstunde als unverzichtbar. Die Unterschiede in der Einschätzung der Auswirkung der Begleitperson auf die Konsultation zwischen den Gruppen ohne und mit türkischem MH waren marginal (Tab. 5).

Tab. 5 Auswirkung der Begleitung auf die Konsultation aus Sicht der Patient:innena

Diskussion

Die vorliegende explorative Studie ist nicht repräsentativ und ihr Ergebnis deshalb nur eingeschränkt aussagefähig bezüglich der Mitnahme von Begleitpersonen in die hausärztliche Sprechstunde in Deutschland insgesamt. Die hier festgestellte Häufigkeit einer begleiteten Konsultation von 27 % aller Patient:innen könnte sich deutschlandweit als niedriger herausstellen. Denn der Anteil von Patient:innen mit türkischem MH, die deutlich häufiger begleitet wurden als Patient:innen ohne MH, lag in der vorliegenden Studie höher als im bundesdeutschen Gesamtkollektiv. Aber auch 19 % der Patient:innen ohne MH wurden in unserer Studie begleitet.

Studien aus anderen Ländern zu Patient:innen im primärmedizinischen Bereich beobachteten eine Begleitung von 16 bis 30 % der Patient:innen [1, 3, 18]. Eine Studie mit Fokus auf die Primärversorgung chronisch kranker Patient:innen in den USA stellte sogar eine Begleitungsrate von 48 % fest [4]. Sprachmittlung wurde in diesen Studien nicht als Grund zur Mitnahme einer Begleitperson benannt. Wenngleich bis dato keine repräsentativen Daten für Deutschland oder andere Länder vorliegen, deuten die Ergebnisse der vorliegenden Studie sowie der anderen Studien zum Thema auf ein häufig in hausärztlichen Praxen anzutreffendes Phänomen hin.

In der Diskussion der Motive zur Mitnahme einer Begleitperson beschränken wir uns auf die meist genannten und verzichten auf den Vergleich zwischen beiden Patient:innengruppen, da – wie bereits dargelegt – die Motive sich zwischen beiden Gruppen kaum unterscheiden [16]. Das meist genannte Motiv zur Mitnahme einer Begleitperson, die Familie in das Krankheitsgeschehen mit einzubeziehen, wird durch Studien aus anderen Ländern [19] und anderen medizinischen Settings [20] bestätigt. Auch der in dieser Studie zweithäufigste Grund zur Mitnahme einer Begleitperson in die hausärztliche Sprechstunde, die emotionale Unterstützung, wird in anderen Studien aufgeführt [1, 21, 22], ebenso wie Hilfe beim Transport [1, 21]. Das Phänomen gegenseitiger Begleitung, das heißt einer gemeinsamen Konsultation mit Behandlungsanlässen von sowohl Patient:in als auch Begleitperson, wird ebenfalls in anderen Studien diskutiert [23, 24]. Dies lässt den Schluss zu, dass Begleitperson und Patient:in manchmal (in unserer Studie bei 13 %) keine starre Rollenverteilung haben, sondern diese selbst während der Konsultation dynamisch wechseln kann.

Begleitete Patient:innen ohne und mit türkischem MH (mit guten Deutschkenntnissen) unterscheiden sich zwar hinsichtlich der Häufigkeit der Mitnahme einer Begleitperson, ihres Alters, ihres Bildungsstands und der familiären Beziehung zu ihrer Begleitperson, jedoch kaum in Bezug auf die genannten Motive und die positive Bewertung der Begleitung in der hausärztlichen Sprechstunde.

Limitationen

Limitationen dieser Studie ergaben sich durch die begrenzte Interviewbereitschaft der Patient:innen und eine dadurch mögliche Verzerrung eines Teils der erhobenen Daten. Insbesondere die hohe Zahl an jüngeren begleiteten Patient:innen in der Gruppe mit türkischem MH könnte darin begründet liegen. Viele ältere Patient:innen mit türkischem MH nahmen aufgrund objektiv eingeschränkter (Ausschlusskriterium) oder nach Selbsteinschätzung ungenügenden Deutschkenntnissen nicht an der Interviewstudie teil, sodass bezogen auf die Grundgesamtheit die Verteilung der Altersgruppen wie auch die Gewichtung der Motive zur Mitnahme eine Begleitperson abweichen können. Es besteht die Möglichkeit, dass sich in der Gruppe der Patient:innen mit Sprachmittlungsbedarf Motive finden lassen könnten, die von der untersuchten Gruppe abweichen, insbesondere wenn sie noch aus der ersten Einwanderergeneration stammen [25, 26]. Wir schätzen dies jedoch als wenig wahrscheinlich ein.

Die vorliegende Studie erfasste die Perspektive begleiteter Patient:innen und kann deshalb keine Aussagen über die hausärztliche Perspektive auf die Anwesenheit von Begleitpersonen in der Sprechstunde machen, ebenso wenig wie über die tatsächlich durch die Begleitpersonen während der Konsultation wahrgenommenen Aufgaben und ihre Auswirkungen auf die Konsultation. Auch sind keine Rückschlüsse der Begleitung auf Länge der Konsultation, interaktive Dynamik oder prozentuale Gesprächsanteile der Beteiligten möglich. Diese Aspekte, ebenso wie die Untersuchung des Phänomens in Hausarztpraxen im ländlichen Raum, sollten Gegenstand weiterer Forschung sein.

Ausblick

Einen integralen Bestandteil der allgemeinmedizinischen Primärversorgung stellt die Familienmedizin dar, in der Patient:innen im Kontext der Familie und unter Berücksichtigung des familiären Umfelds betrachtet und behandelt werden [27]. Eine repräsentative Bevölkerungsbefragung im Jahr 2020 zeigte, dass sich 46 % der Bevölkerung in Deutschland die Behandlung vieler oder aller Familienmitglieder in ein und derselben Hausarztpraxis wünschen [28]. Dieser Wunsch scheint sich bei der Mehrheit der hier befragten begleiteten Patient:innen darin zu zeigen, die Familie in die eigene Behandlung und Konsultation einbinden zu wollen, und dass die Begleitpersonen primär aus dem Kreis der Familie stammten. Hervorzuheben ist die gleiche Motivation zur Mitnahme einer Begleitung unabhängig von einem türkischen MH, sobald kein Sprachmittlungsbedarf durch die Begleitung notwendig ist. Die Familie spielt also in Krankheitsbewältigung und -management eine große Rolle. Sie ist zudem öfters in der hausärztlichen Sprechstunde mit anwesend. Da die Begleitpersonen in beiden Gruppen fast immer aus dem familiären Umfeld stammten, ergibt sich durch die Begleitung eine Chance für die Umsetzung des familienmedizinischen Ansatzes in der hausärztlichen Praxis. Die Mitnahme einer Begleitperson meist aus der Familie erleichtert den behandelnden Hausärzt:innen die Umsetzung einer familienmedizinischen Arbeitsweise durch die physische Anwesenheit eines Familienmitglieds und ist hilfreich für eine kontextgerechte Behandlung. Das Phänomen einer Sprechstunde „zu dritt“ ist so häufig, dass hausärztliche Praxen sich auf die kommunikativen Besonderheiten und das Potenzial zur Nutzung der Anwesenheit einer Begleitperson gezielt vorbereiten sollten.

Fazit für die Praxis

  • Ein erheblicher Teil von Patient:innen erscheint in Begleitung in der hausärztlichen Sprechstunde – sowohl ohne als auch mit türkischem Migrationshintergrund (MH).

  • Begleitpersonen sind fast immer Familienmitglieder, davon mehr als die Hälfte mit eigenem Behandlungsanlass.

  • Die Motive zur Mitnahme einer Begleitperson in die hausärztliche Sprechstunde unterscheiden sich nicht zwischen Patient:innen ohne und Patient:innen mit türkischem MH (mit guten Deutschkenntnissen).

  • Hausärzt:innen sollten bei begleiteten Patient:innen, vor allem bei gegenseitiger Begleitung, ein besonderes Augenmerk auf die Kommunikation in der Sprechstunde haben.

  • Patient:innen in Begleitung in der Sprechstunde bergen ein großes Potenzial für einen familienmedizinischen Ansatz in der hausärztlichen Versorgung.