Regelmäßige Bewegung ist wirksam in der Primär- und Sekundärprävention nicht übertragbarer Krankheiten. In fast allen Behandlungsleitlinien wird daher empfohlen, betroffene Patient:innen zu Bewegung zu beraten und zu motivieren. Doch was beinhaltet wirksame hausärztliche Beratung zu Bewegung, wie kann sie in der Praxis optimal umgesetzt werden und welche Hürden bestehen? Die vorliegende Arbeit gibt einen Überblick über die vorhandene Evidenz und Leitlinienempfehlungen zu diesen Fragen und zeigt für die hausärztliche Versorgung relevante Lehr- und Forschungsbedarfe auf.

Bewegung und ihre Bedeutung in der Krankheitsprävention

Regelmäßige Bewegung bzw. körperliche Aktivität (hier synonym verwendet) reduziert wirksam das Risiko für die Entstehung nicht übertragbarer Krankheiten wie Herz-Kreislauf-Krankheiten (z. B. Bluthochdruck oder koronare Herzerkrankung, KHK), Diabetes mellitus (DM), bestimmte Krebserkrankungen, psychische und neurologische Erkrankungen (z. B. Depression, Angststörungen, multiple Sklerose) sowie muskuloskelettale Erkrankungen (z. B. Osteoporose, Arthrose, Rückenschmerz) und wirkt im Rahmen der Sekundärprävention einer Verschlechterung bestehender Krankheiten entgegen [1, 2]. Dabei bezeichnet körperliche Aktivität nach Definition der Weltgesundheitsorganisation (WHO) „jede durch Skelettmuskeln erzeugte Körperbewegung, die einen Energieaufwand erfordert“. Training stellt dagegen eine Unterkategorie körperlicher Aktivität dar, die geplant, strukturiert und repetitiv ist sowie darauf abzielt, eine oder mehrere Komponenten der körperlichen Fitness zu verbessern oder zu erhalten [2].

Die sekundärpräventive Wirksamkeit regelmäßiger Bewegung für chronisch erkrankte Menschen wurde in einer Vielzahl systematischer Cochrane-Übersichten randomisierter kontrollierter Studien (RCT) evaluiert. Die zusammengefassten Ergebnisse zeigen [1], dass Bewegung die Mortalitätsrate senkt und die Lebensqualität verbessert. Für Personen mit KHK zeigt eine aktuelle systematische Übersichtsarbeit [3] beispielsweise, dass regelmäßige Bewegung das mittel- bis langfristige Herzinfarktrisiko, die kardiovaskuläre Mortalitätsrate und Krankenhausaufenthalte reduziert sowie zu einer verbesserten Lebensqualität beiträgt. In allen verfügbaren Leitlinien zur Behandlung chronischer Krankheiten wie z. B. KHK [4], Typ-2-DM ([5]; in der Aktualisierung 2023 steht das Kapitel zu Bewegung noch aus), unipolare Depression, [6] und COPD [7] wird Bewegung daher als „integraler Bestandteil der Therapie“ betrachtet und soll (stärkster Empfehlungsgrad) den Betroffenen empfohlen werden.

In Deutschland erreicht weniger als die Hälfte der Erwachsenen die von der WHO empfohlenen Aktivitätslevel zur aeroben körperlichen Aktivität (s. Folgekapitel) [8]. Dies gilt in noch stärkerem Maße für chronisch Erkrankte [9]. Eine verbesserte Integration und Umsetzung bewegungsfördernder Maßnahmen in die hausärztliche Versorgung bietet daher großes Potenzial zur Reduktion der Krankheitslast in Deutschland.

Hausärztliche Beratung zu Bewegung

Die hausärztliche Praxis bietet ein optimales Setting zur Initiierung individueller Maßnahmen zur Bewegungsförderung. Die Mehrheit der Bevölkerung sucht mindestens einmal im Jahr eine Hausarztpraxis auf; Menschen mit chronischen Erkrankungen meist häufiger. Hausärzt:innen können so einen Großteil der Bevölkerung erreichen, insbesondere vulnerable Bevölkerungsgruppen wie ältere, alleinlebende oder sozioökonomisch benachteiligte Menschen.

Für den Bereich der Primärprävention trat 2015 das Gesetz zur „Stärkung der Gesundheitsförderungen und der Prävention (Präventionsgesetz)“ in Kraft. Mit diesem wurde ermöglicht, schriftliche Präventionsempfehlungen zur Bewegungsförderung – wie das „Rezept für Bewegung“ [10] (eine Initiative des Deutschen Olympischen Sportbundes, der Bundesärztekammer und der Deutschen Gesellschaft für Sportmedizin und Prävention) – als Verordnung herauszugeben und auf Präventionsangebote der gesetzlichen Krankenkassen zu verweisen.

Für den Bereich der Sekundärprävention empfehlen die o. g. nationalen Behandlungsleitlinien, dass entsprechende Bewegungsberatung in der Behandlung chronisch erkrankter Menschen umgesetzt werden soll. So gab es 2021 beispielsweise im DMP KHK eine Aktualisierung [11], in der die „hohe Bedeutung von körperlicher Aktivität“ in der Behandlung von Menschen mit KHK hervorgehoben und empfohlen wird, alle Patient:innen zu regelmäßiger Bewegung zu motivieren.

Beratung zu Bewegung – ist das wirksam?

Frühere Metaanalysen und systematische Übersichten von RCT zeigten, dass ärztliche Beratung wirksam sein kann, um Patient:innen zu mehr Bewegung zu motivieren [12, 13], und zwar mit einer „number needed to treat“ von 12 für das Erreichen selbstberichteter längerfristiger Verhaltensänderung (12 Monate Nachbeobachtung) [13].

Eine neuere systematische Übersicht über RCT zum Thema konnte jedoch keinen klaren Effekt hausärztlicher Beratung auf das Bewegungsverhalten der Patient:innen nachweisen [14]. Möglicherweise, weil dort Studien mit heterogenen Beratungsansätzen eingeschlossen wurden, deren Fokus auf motivierender Gesprächsführung lag, die jedoch unterschiedlich umgesetzt wurde (telefonisches bzw. persönliches Gespräch, unterschiedliche Dauer und Anzahl an Folgekontakten) [14]. Unklar bleibt hier auch, ob das Bewegungsverhalten in den eingeschlossenen Studien selbstberichtet oder gemessen wurde. Eine aktuelle Übersicht über RCT [15], die auf Studien mit Kurzberatungsansätzen fokussierte (z. B. nach Definition vom britischen National Institute for Health and Care Excellence, NICE, s. Folgekapitel), konnte dagegen zeigen, dass ärztliche Kurzberatung mittelfristig (d. h. 6 Monate nach Beratung) die selbstberichtete und gemessene Bewegungszeit von Patient:innen steigert; und zwar im Mittel um etwa 35 min pro Woche. Weitere Übersichtsarbeiten zu Kurzberatungsansätzen kommen zu vergleichbaren Ergebnissen [16]. Internationale Leitlinien empfehlen daher, Bewegungsberatung in der hausärztlichen Routineversorgung zu vermitteln, vorzugsweise in Form von Kurzberatung [17, 18].

Beratung zu Bewegung – welche Umsetzungsmöglichkeiten gibt es?

In den Behandlungsleitlinien – z. B. zur KHK [4] – wird Beratung zur Förderung von Verhaltensänderung recht breit definiert. Relevante Schritte beinhalten „die Entwicklung eines tragfähigen therapeutischen Bündnisses […], die Sicherstellung, dass der Patient den Zusammenhang zwischen seinem Verhalten und seiner gesundheitlichen Verfassung verstanden hat, die Unterstützung bei der Wahrnehmung von Barrieren, das Hinwirken auf eine verbindliche Zustimmung des Patienten zur Verhaltensänderung, der Kombination professionell angeleiteter Maßnahmen mit Maßnahmen, die der Patient selbst anwenden kann […], das gemeinsame Entwerfen eines Plans […] sowie langfristige, regelmäßige Verlaufskontakte.“ Für die Umsetzung wird auf die Anwendung motivierender Gesprächsführung verwiesen.

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    Eine Alternative zu der eher zeitintensiven Methode der motivierenden Gesprächsführung bieten die erwähnten Kurzberatungsansätze. Auch diese beinhalten – wie z. B. die 5‑A-Methode [19] – kurze Komponenten motivierender Gesprächsführung. Die Umsetzung der 5 As beginnt mit

    • dem Abfragen des aktuellen Verhaltens („ask“), dem Anraten zur Verhaltensänderung („advise“),

    • dem Explorieren der Änderungsmotivation („assess“),

    • der gemeinsamen Aktionsplanung bzw. der Unterstützung und Zielsetzung dabei („assist“),

    • und dem Arrangieren von Folgekontakten, z. B. zur Verlaufsbeobachtung („arrange“) [19].

Bei Personen, die keine ausreichende Änderungsmotivation mitbringen, folgt nach dem Schritt „assess“ die Anwendung der 5 Rs als Kurzintervention zur Motivationsförderung:

  • Darstellung der individuellen Relevanz („relevance“) von Bewegungssteigerung und

  • der individuellen Risiken („risks“) von Bewegungsmangel,

  • die gemeinsame Erarbeitung positiver Folgen einer Bewegungssteigerung („rewards“) sowie

  • individueller Barrieren („roadblocks“) und

  • Wiederholung der Kurzberatung bei Folgekontakten („repetition“) [19].

Kurzberatung entsprechend der Definition der britischen NICE-Leitlinie [18] soll folgende Aspekte beinhalten: die Erhebung des Aktivitätslevels, konkrete Empfehlungen zur Aktivitätssteigerung (sofern nötig), Verhandlung/Ermutigung mit oder ohne schriftlicher Dokumentation sowie die Vereinbarung von Folgekontakten. Kurzberatung soll anlassunabhängig im Rahmen gemeinsamer Entscheidungsfindung und Patientenzentriertheit durchgeführt werden [18].

In der Routineversorgung erhalten dennoch nur wenige Patient:innen die Beratungselemente, welche die Wahrscheinlichkeit einer Verhaltensänderung erhöhen, wie z. B. eine konkrete Empfehlung dazu, wie sie ihre Alltagsaktivität steigern könnten, wie viele Minuten Bewegung pro Woche gesundheitsförderlich sind, eine Überweisung zu externen Bewegungsangeboten (s. dazu das Kapitel „Was sind konkrete Empfehlungen“) sowie eine Einschätzung ihres Bewegungslevels und fokussierte Folgekontakte zur Verlaufsbeobachtung [20]. Eine aktuellere Übersichtsarbeit zeigt, dass viele Kurzberatungsansätze mit einer Dauer von teilweise über 30 min für die routinemäßige Umsetzung in der Hausarztpraxis zu lang sind [16]. Es wird daher empfohlen, sich vermehrt auf die sehr kurzen Kurzberatungsansätze zu fokussieren, die einer Struktur des „assess, advise, assist“ folgen und nur wenige Minuten dauern [16]. Solche sehr kurzen Interventionen sollen die zeitaufwendigen und für beide Seiten manchmal frustrierenden Diskussionen zur fehlenden Veränderungsmotivation reduzieren. Stattdessen fokussieren sie auf das wirksame Angebot konkreter Unterstützung. Studien zum Tabakrauchen haben z. B. gezeigt, dass Motivation zur Verhaltensänderung fluktuiert und bereits kleinere externale „Anstöße“ eine Motivationssteigerung herbeiführen können [21]. Ein ärztliches Unterstützungsangebot kann einen solchen Anstoß zur Verhaltensänderung darstellen und sollte daher unabhängig von der aktuellen Motivationslage der Patient:innen angeboten werden [21]. Es ist anzunehmen, dass diese sehr kurzen Beratungsansätze niedrigschwelliger in der hausärztlichen Versorgung umgesetzt werden und so mehr Patient:innen erreichen können [16].

Beratung zu Bewegung – wie kann man Bewegung messen?

Zielgruppenangepasste Beratung zu Bewegung setzt eine valide Erfassung des Aktivitätslevels bei Patient:innen voraus. Es existieren einige Instrumente, die für die Erhebung selbstberichteter körperlicher Aktivität im deutschen Sprachraum validiert wurden (z. B. IPAQ bzw. IPAQ-SF, Kurzversion, [22], GPAQ [23]). Allerdings sind diese Instrumente noch zu zeitaufwendig für die Umsetzung in der Praxis, erfassen teilweise unterschiedliche Aktivitätsbereiche (Arbeit, Haushalt, Freizeit) und weisen häufig eine geringe Validität verglichen mit objektiveren Messmethoden auf [24].

Anders als die nationalen Behandlungslinien bietet die NICE-Leitlinie zu Bewegungsberatung [18] konkrete Empfehlungen, wie Ärzt:innen das Bewegungsverhalten ihrer Patient:innen vor Durchführung einer Kurzberatung erheben können: Immer, wenn sich eine Gelegenheit während eines Gesprächs oder während Wartezeiten ergibt, sowie unter Berücksichtigung der individuellen Lebensumstände der Person und der Überlegung, ob eine entsprechende Erhebung aktuell inhaltlich angebracht ist. Bei der Entscheidung, wer beraten wird, sollte man sich nicht auf visuelle Anhaltspunkte wie das Körpergewicht verlassen. Stattdessen empfiehlt das NICE [18] einen für die hausärztliche Routineversorgung validierten Kurzfragebogen für Personen im Alter von 16 bis 74 Jahren – den General Practice Physical Activity Questionnaire (GPPAQ). Mit diesem kann über ein einfaches Auswertungsschema ein Aktivitätsindex ermittelt werden. Bislang existiert allerdings kein vergleichbares Instrument, welches für den Einsatz in der hausärztlichen Versorgung Deutschlands entwickelt und validiert wurde. Allgemeine praktische Empfehlungen zur Einschätzung des Bewegungsverhaltens von Patient:innen sind daher: Bei der Frage nach Bewegung sollte neben „Sport“ explizit auch „Alltagsaktivität“ abgefragt werden. Darüber hinaus sollte die ungefähre Dauer (Minuten pro Woche oder Tag) sowie die Intensität (moderat, intensiv) der Aktivität in einer durchschnittlichen Woche erfragt werden, entsprechend den nachfolgend zusammengefassten Empfehlungen der WHO.

Beratung zu Bewegung – was sind konkrete Empfehlungen?

Die WHO [17] empfiehlt für gesunde Erwachsene sowie für Ältere und chronisch erkrankte Personen mindestens 150 min Bewegung pro Woche bei moderater Intensität oder alternativ 75 min pro Woche bei intensiver Intensität. Als Faustregel gilt: Bei moderater Intensität kann man reden, aber nicht singen, und die Atmung ist etwas schneller als normal. Bei höherer Intensität ist Sprechen kaum möglich. Zusätzlich werden an zwei Tagen pro Woche kräftigende Übungen für alle größeren Muskelgruppen empfohlen [17].

Für Personen, die bislang kaum oder nie körperlich aktiv waren oder chronisch erkrankt sind, kann es schwierig sein, diese Empfehlungen umzusetzen. Zudem ist bislang nicht final geklärt, welche exakte Art, Dauer und Intensität an Bewegung mit welcher präventiven Wirkung einhergeht. In aktuellen Übersichten großer prospektiver Kohortenstudien wurde gezeigt, dass bereits geringere Umfänge moderater körperlicher Aktivität von 75 min pro Woche oder weniger positive Effekte auf die Gesamtmortalität oder Inzidenz kardiovaskulärer und onkologischer Erkrankungen haben können (z. B. [25]).

Studien unterschiedlichster methodischer Designs zeigen, dass Kurzberatung offenbar insbesondere wirksam ist, wenn die Empfehlungen auf den individuellen Lebensstil, Vorlieben und körperliche Limitationen (z. B. Schmerzen oder stark ausgeprägte Bewegungseinschränkungen) der Patient:innen zugeschnitten und für diese realistisch umsetzbar sind [26]. Das heißt, je konkreter und individueller die kurze Beratung, desto größer die Wahrscheinlichkeit für eine Verhaltensänderung.

Im Rahmen der Primärprävention ist es möglich, Präventionsempfehlungen zur Bewegungsförderung z. B. als Verordnung herauszugeben, mit denen Menschen Präventionsangebote ihrer Krankenkassen nutzen können. Hierfür bietet sich das „Muster 36 – Empfehlung zur verhaltensbezogenen Primärprävention“ [27] sowie das o. g. „Rezept für Bewegung“ an. Mit dem Rezept können Ärzt:innen ein Training mit einem bestimmten Schwerpunkt, also zum Beispiel Herz-Kreislauf oder Muskel-Skelett-System empfehlen. Patient:innen finden Angebote in den Vereinen der Landessportbünde [28], und die Krankenkasse beteiligt sich in der Regel mit bis zu 80 % an den Kurskosten (wenn mindestens 80 % der Termine wahrgenommen werden). Im Rahmen der Sekundär- bzw. Tertiärprävention beschränkt sich das Angebot auf das „Muster 56 – ärztliche Verordnung für Rehabilitationssport/Funktionstraining“ [29]. Doch ist die Verfügbarkeit entsprechender Kursangebote regional sehr unterschiedlich sowie oftmals mit langen Wartezeiten und im ländlichen Raum mit teilweise langen Wegezeiten verbunden [30].

Hinsichtlich des Umfangs und der Intensität der zu empfehlenden Bewegung bei bestehender Krankheit geben die nationalen Behandlungsleitlinien konkrete Empfehlungen. So empfiehlt z. B. die Nationale VersorgungsLeitlinie (NVL) „chronische KHK“, dass den Patient:innen mit stabiler KHK und niedrigem Risiko für Komplikationen bei größerer körperlicher Belastung ein aerobes Training für insgesamt mindestens 2 h in der Woche empfohlen werden und die Intensität des Trainings bei 55–70 % der maximalen Leistungsfähigkeit liegen soll [4]. Die NVL „chronische Herzinsuffizienz“ gibt darüber hinaus einen Beispieltrainingsplan sowie konkrete Beispiele zur Trainingsintensität [31].

Auch in der Gestaltung der Hausarztpraxis bieten sich Chancen, das Bewegungsverhalten der Patient:innen zu unterstützen bzw. für das Thema Bewegung zu sensibilisieren, beispielsweise durch ein Park-Angebot für Fahrräder, Motivations-Hinweise zur Benutzung der Treppe oder entsprechende Flyer im Wartezimmer.

Wie wird (haus)ärztliche Beratung zu Bewegung derzeit umgesetzt?

Studien zur Umsetzung (haus)ärztlicher Bewegungsberatung in Deutschland liegen nur vereinzelt vor. So zeigt eine Trendanalyse von Daten zweier repräsentativer Gesundheitsbefragungen des Robert Koch-Instituts zwischen 1997–1999 und 2008–2011 offenbar einen Rückgang ärztlicher Bewegungsberatung von 10,1 % auf 8,6 % nach Selbstberichten der Allgemeinbevölkerung [32]. In einer Studie aus dem Jahr 2017 [33] berichteten 28,6 % der Allgemeinbevölkerung ab 18 Jahren, die im Vorjahr eine Arztpraxis oder Ambulanz aufgesucht hatten, vom Erhalt einer ärztlichen Bewegungsberatung. In einer Befragung im hausärztlichen Setting im Jahr 2008 gaben etwa 33 % der Patient:innen ab dem 65. Lebensjahr an, eine hausärztliche Beratung zu Bewegung erhalten zu haben [34].

Auch wenn methodische Limitationen dieser Studien zu diskutieren sind, ist festzuhalten, dass Beratung zu Bewegung in der Praxis oftmals aus einer eher unspezifischen Diskussion über die Vorteile von Bewegung besteht, während solche Beratungselemente eher selten umgesetzt werden, welche die Wahrscheinlichkeit für eine Verhaltensänderung erhöhen (v. a. „assistieren und arrangieren“) [20].

Häufig genannte Barrieren in der Umsetzung entsprechender Beratung sind Zeitmangel, konkurrierende Anforderungen, erlebte patientenseitige Präferenz für medikamentöse Behandlung, fehlende Änderungsbereitschaft, fehlende hochwertige, bedarfsgerechte Gesundheitsangebote und damit fehlende Überweisungsmöglichkeiten sowie eine fehlende Kostenerstattung [26, 34]. Eine aktuelle Simulationsstudie verdeutlicht zudem den erheblichen Zeitaufwand bei der Umsetzung der vielfältigen und konkurrierenden Leitlinien und ihren Empfehlungen in der hausärztlichen Praxis [35].

Darüber hinaus verweist die Literatur wiederholt auf die fehlende formale Aus‑/Fortbildung bzw. fehlende Fertigkeiten in der Bewegungsberatung [26, 34, 36]. Auch in Deutschland sind entsprechende Inhalte bislang weder Standard im medizinischen Curriculum noch regulärer Bestandteil der Facharztausbildung Allgemeinmedizin. Wissen und praktische Fertigkeiten in der Kurzberatung zur Verhaltensänderung können jedoch mit relativ geringem Aufwand in kurzer Zeit wirksam vermittelt werden [37]. Ein entsprechendes Training von Ärzt:innen in der Bewegungsberatung wird empfohlen [18].

Zuletzt stellen eine unzureichende Vernetzung mit Akteur:innen lokaler Bewegungsangebote im Quartier wie Gesundheitskurse oder Sportvereine bzw. mit Gesundheitsakteur:innen wie Physiotherapeut:innen oder qualifizierten Trainer:innen sowie fehlendes Wissen über entsprechende lokale Optionen relevante Umsetzungsbarrieren dar. Ein Ansatz, der diesen Kooperationsbarrieren entgegenwirken will, ist das Konzept Physical Activity on Prescription (PAP) aus Schweden, [38] welches aktuell auf neun weitere europäische Länder (darunter auch Deutschland) übertragen werden soll. Grundgedanke von PAP ist es, dass Patient:innen im Setting der ambulanten Versorgung hinsichtlich ihres Bewegungsverhaltens beraten und ihnen wohnortnah entsprechende Angebote vermittelt werden. Ein weiteres Projekt, was in diesem Zusammenhang genannt werden kann, ist das Projekt BewegtVersorgt. Hier wurde eine regionale Versorgungsstruktur pilotiert, in der Patient:innen mit chronischen Erkrankungen im Rahmen der hausärztlichen Versorgung zu ihrem Bewegungsverhalten beraten und bei Bedarf an eine entsprechende Bewegungsfachkraft verwiesen werden [39].

Schlussfolgerung und Forschungsthemen

Die Evidenz zur primär- und sekundärpräventiven Wirksamkeit der Verhaltensprävention durch Bewegung ist überzeugend. Dem Hausarzt bzw. der Hausärztin kommt bei der Bewegungsförderung eine zentrale Rolle zu. Umfangreiches Wissen über den therapeutischen Wert von Bewegung und Fertigkeiten in entsprechender ärztlicher Beratung werden bislang jedoch weder im Medizinstudium noch in der fachärztlichen Weiterbildung in Deutschland systematisch vermittelt. Durch Anpassungen auf Systemebene und der Schaffung zielgruppenangepasster Aus- und Weiterbildungsangebote könnten einige der o. g. Umsetzungsbarrieren angegangen werden, um das Wissen über und Vertrauen in wirksame Bewegungsberatung seitens der Ärzt:innen zu erhöhen [26].

Für die routinemäßige Umsetzung von Bewegungsberatung in der zeitlich knapp bemessenen hausärztlichen Sprechstunde wird die wissenschaftlich begleitete Entwicklung und Evaluation sehr kurzer und dennoch wirksamer Beratungsansätze benötigt. Diese müssen angepasst sein an die Bedürfnisse und Arbeits- bzw. Lebensumstände der Zielgruppen – Hausärzt:innen und Patient:innen. Ebenso ist die Entwicklung und breite Implementierung evidenzbasierter und niedrigschwelliger Fortbildungsmöglichkeiten zu entsprechenden Beratungsansätzen notwendig, die neben der Vermittlung von Wissen und Fertigkeiten auch praktische Hinweise geben zu externen Überweisungsmöglichkeiten für Bewegungsangebote.

Daher stellt eine Verbesserung der interdisziplinären Vernetzung insbesondere mit Akteur:innen lokaler Bewegungsangebote und – je nach Bedarf – mit qualifizierten Bewegungsfachkräften (z. B. Sport- und Bewegungstherapeut:innen, Physiotherapeut:innen oder geschulten Pflegekräften) einen weiteren relevanten Punkt beim Abbau von Umsetzungsbarrieren in der ärztlich initiierten Bewegungsförderung dar. Weiterführende Unterstützung und Beratung von Patient:innen kann so im Rahmen entsprechender Angebote durch Bewegungsfachkräfte übernommen werden, sodass Hausärzt:innen entlastet bzw. die angestoßene Lebensstiländerung längerfristig begleitet werden kann [36].

Eine ebenso in diesem Beitrag aufgezeigte Herausforderung für die Voraussetzung der Umsetzung von Kurzberatung zu Bewegung ist: Wie lässt sich das Bewegungsverhalten von Patient:innen in der hausärztlichen Sprechstunde einfach, schnell und valide erheben?

Der Forschungsschwerpunk Patient-Arzt-Kommunikation des ifam Düsseldorf widmet sich seit 2022 diesen unmittelbar für die hausärztliche Versorgung relevanten Lehr- und Forschungsbedarfen im Rahmen einer vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten Nachwuchsgruppe Versorgungsforschung (OptiCor [40]. Über die für die unmittelbare hausärztliche Versorgung relevanten Bereiche hinaus, stellen sich vielfältige Forschungsbedarfe für die breite bewegungsbezogene Versorgungsforschung. Diese werden in einem aktuellen Memorandum der Arbeitsgruppe „Bewegungsbezogene Versorgungsforschung“ des Deutschen Netzwerks für Versorgungsforschung e. V. beschrieben [41].

Fazit für die Praxis

  • Regelmäßige Bewegung ist hochwirksam in der Primär- und Sekundärprävention chronischer Krankheiten.

  • Kurze hausärztliche Beratung zu Bewegung kann Patient:innen zu Bewegung motivieren.

  • Sie ist v. a. wirksam, wenn sie ein Unterstützungsangebot enthält, konkrete Empfehlungen, die im Rahmen des Lebensstils der Patient:innen umsetzbar sind, sowie fokussierte Folgekontakte.

  • Für viele Patient:innen sind die aktuellen Bewegungsempfehlungen (mind. 150 min Bewegung pro Woche bei moderater Intensität sowie an zwei Tagen pro Woche kräftigende Muskelübungen) schwer zu erreichen.

  • Studien zeigen jedoch, dass schon kleine Steigerungen der wöchentlichen Bewegungszeit positive gesundheitliche Effekte haben.

  • Strukturelle Hürden bei der Umsetzung von Beratung, wie Zeitmangel, unzureichende Aus‑/Fortbildung in Lebensstilberatung und fehlende Instrumente zur schnellen Erfassung vom Bewegungsverhalten der Patient:innen, sind relevante Forschungsthemen für die hausärztliche Versorgung.