Die Ursachen der berichteten körperlichen und emotionalen Erschöpfung sind multifaktoriell. Bürokratischer Aufwand, Personalmangel und psychische Belastung waren die am häufigsten angegebenen Gründe. Die Wiener Ärztekammer hat daraufhin in ihrer Presseaussendung vom 2. September 2021 konkrete Vorschläge zur raschen Verbesserung der Situation vorgelegt. Die dort aufgelisteten Foderungen — unter anderem nach mehr Personal, flexibleren Arbeitszeiten und generell verbesserten Arbeitsbedingungen — sind absolut begrüßenswert. Ob und wie rasch diese umgesetzt werden, ist aber oft nur indirekt beeinflussbar. Unabhängig von den derzeitigen politischen Gegebenheiten wurden an der Klinischen Abteilung für Allgemeine Anästhesie und Intensivmedizin einige Projekte zur Verbesserung der Resilienz sowie der psychischen Belastung initiiert. Die im Folgenden präsentierten Maßnahmen wurden zu einem großen Teil durch Eigeninitiativen aus der ärztlichen Belegschaft ins Leben gerufen.

BUDDY-TAG

Jede Beziehung beginnt mit dem ersten Eindruck. Um neue Mitarbeiter*innen möglichst früh in das soziale Netzwerk einzubinden, werden diese am ersten Tag nach Erledigung der bürokratischen Formalitäten von einem Buddy abgeholt. Bei diesen handelt es sich um Kolleg*innen, die mit den täglichen Abläufen an der Klinik bereits gut vertraut sind. Nach einer kurzen Einführung zu allgemeinen Themen wie Tagesablauf, Dienstplanung und EDV findet eine Führung durch die OP-Gruppen statt. Dabei werden die Neuankömmlinge auch den jeweiligen Bereichsleiter*innen persönlich vorgestellt. Neben dem Kennenlernen des neuen Arbeitsplatzes fungieren die Buddys auch als Ansprechpersonen bei Fragen oder Problemen in der Eingewöhnungsphase. Insgesamt gibt es für das Projekt sehr gutes und konstruktives Feedback. Das Konzept wird darauf basierend stetig weiterentwickelt.

MENTORING

Direkt nach dem Eintritt wird jeder Assistenzärztin/jedem Assistenzarzt an unserer Klinik eine Fachärztin/ein Facharzt als Mentor zugewiesen. Die Zuordnung erfolgt anhand von Kriterien wie klinischem oder wissenschaftlichem Schwerpunkt. Viele wurden auch zuvor bereits im Klinisch-Praktischen Jahr von denselben Mentoren betreut. Neben einer ersten Anlaufstelle bei Problemen der Mentees gehören regelmäßige Gespräche zu den Aufgaben des Mentors. Dabei werden die beruflichen Ziele für einen bestimmten Zeitraum vereinbart und die individuelle Weiterentwicklung der Mentees besprochen.

figure 1

In mehreren Untersuchungen führte Mentoring zu höherer Zufriedenheit am Arbeitsplatz. Zudem sind positive Auswirkungen auf die weitere professionelle Karriere der Mentees beschrieben worden.1

SUPERVISION

Ein weiteres Angebot an unserer Klinik sind Team-Supervisionen. Dabei finden in regelmäßigen Abständen durch einen professionell ausgebildeten Supervisor geleitete Treffen von intensivmedizinischen Teams statt. Das Ziel der Meetings ist das Bearbeiten und Normalisieren von Situationen aus dem klinischen Alltag, die die jeweiligen Mitglieder länger beschäftigen. Im gemeinsamen Gespräch wird ein besseres Verständnis für Probleme und Sichtweisen der anderen Beteiligten geschaffen und so auch Ansatzpunkte für die Verbesserung des Miteinanders erarbeitet. Insgesamt führt dies zur psychischen Entlastung sowohl des Einzelnen als auch der Gruppe.

Zuerst wurden die Supervisionen auf einer gemischt pädiatrischen und Erwachsenen-Intensivstation begonnen. Auslöser für diese Initiative wareine emotional sehr fordernde Phase, in der einige schwer kranke Kinder längere Zeit auf der Station betreut wurden. Auch auf der ersten reinen COVID-Intensivstation unter Beteiligung unserer Klinik wurde nach einem fordernden Jahr mit schwer an COVID-19 Erkrankten eine Team-Supervision initiiert. Insgesamt wird dieses Angebot gut angenommen und läuft bis heute kontinuierlich weiter.

Aus Sicht der Forschung ist die Supervision, aus dem Englischen heraus auch oft als Coaching bezeichnet, noch ein sehr junges Feld. Wissenschaftlich belegt sind die Verbesserung der Team-Kommunikation und des Problembewusstseins im Behandlungsteam. Ein messbarer Effekt zur Burnout-Prophylaxe wurde bisher allerdings nicht nachgewiesen.2

PEER-SYSTEM

Während die bisher beschriebenen Projekte eher auf eine Langzeitwirkung abzielen, wurden gleichzeitig auch Maßnahmen zur Krisenintervention etabliert. Nach akuten Belastungssituationen wird den Betroffenen zeitnah eine Peer-Unterstützung angeboten. Dabei soll durch speziell ausgebildete Kolleg*innen mit Erfahrung im selben Arbeitsumfeld in einem vertraulichen Gespräch bei der Bewältigung des Erlebten geholfen werden. Auf unserer Klinik haben bisher zwei Kolleginnen über das Peer-System der Berufsrettung Wien die Peer-Ausbildung absolviert. Sie sind nach belastenden Ereignissen erreichbar bzw. fragen proaktiv nach, ob bei den Betroffenen Gesprächsbedarf besteht. Dieses Projekt soll in Zukunft an der Klinik ausgebaut und die Ausbildung weiterer Peers ermöglicht werden. Es gibt wachsende Evidenz von Vorteilen des Peer Supports zur Burnout-Prophylaxe, dies allerdings in einem sehr heterogenen Studien-Umfeld. Auch Aufbau und Umsetzung eines Peer-Systems wurden detailliert beschrieben.3

Diese Auswahl an Projekten an unserer Klinik soll in ihrer Gesamtheit dem Burnout-Risiko entgegenwirken und Engagement sowie Resilienz im klinischen Alltag fördern. Teilweise sind die beschriebenen Maßnahmen bereits gut validiert, andere werden in der Evaluation subjektiv als hilfreich wahrgenommen. Natürlich sind nicht alle Methoden auch für jeden Menschen geeignet. Manche der Maßnahmen sind anfänglich kosten- und personalintensiv. Es gibt aber Möglichkeiten, auch mit geringem finanziellen Aufwand direkt auf lokale Bedürfnissezugeschnittene Projekte gemeinsam mit den Mitarbeiter*innen vor Ort zu entwickeln. Wichtig dafür sind sowohl die Unterstützung der Führungsebene als auch eine stetige Evaluation und Weiterentwicklung der Maßnahmen. Nur unter diesen Gegebenheiten kann eine möglichst hohe Partizipation an der jeweiligen Abteilung erreicht werden.4 Wir können unsere Patient*innen nur dann optimal versorgen, wenn wir dabei selber gesund bleiben.