Theis, C. (2023). Wissen für den Körper – Eine Ethnographie über Jugend und Fitness. Shaker, Düren (274 S., 49,80 €).
Die Bedeutung von Fitness für Jugendliche hat in den vergangenen zehn bis 15 Jahren deutlich zugenommen, was sich insbesondere an gestiegenen Besuchen in Fitnessstudios und der Anzahl an Beiträgen in sozialen Medien festmachen lässt. Seit Tim Bindel (2017), Professor für Sportpädagogik/Sportdidaktik an der Johannes Gutenberg-Universität in Mainz, Fitness als mögliche neue Jugendkultur ins Gespräch gebracht hat, wird dieses Thema von ihm und seinen Mitarbeiter*innen stetig weiter beleuchtet. Eines der neuesten Ergebnisse dieses Engagements ist die hier besprochene Dissertation von Christian Theis, die sich insbesondere mit Jugendlichen in Fitnessstudios (Abb. 1) beschäftigt und dabei die Bedeutung von Wissen und Wissenskulturen fokussiert. Dazu erschien von Bindel und Theis bereits ein Forschungsbeitrag in Forum Kinder- und Jugendsport (2020).
Nach einer kompakten Einleitung geht es in „Wissen für den Körper – Eine Ethnographie über Jugend und Fitness“ ganz im Geiste des theoriesuchenden Ansatzes der „Grounded Theory“ forschungsmethodisch direkt zur Sache. Auf die Darstellung von theoretischen Grundlagen und Vorannahmen, welche die Offenheit im Forschungsprozess beeinflussen würden, wird daher größtenteils verzichtet. Umso intensiver, und trotzdem ohne Ausschweifungen auf den Punkt gebracht, geschieht die Auseinandersetzung mit dem Forschungsprozess, den Christian Theis anschaulich darstellt. Konkret nähert er sich dem Feld, indem er in unstrukturierten teilnehmenden Beobachtungen verschiedene Fitnessstudios besucht und dabei auch den Kontakt zu Jugendlichen sucht. Mit einigen Jugendlichen wurden im weiteren Verlauf vertiefende halbstandardisierte Interviews geführt. Spannend erscheint hier vor allem die intensive und praxisnahe Reflektion seiner Rolle als Forschender und durch welche Maßnahmen und Verhaltensweisen er versucht, innerhalb der jugendlichen Fitnesskultur zu agieren, ohne zu sehr aufzufallen oder einzugreifen. Ausführungen zum ethnographischen Ansatz, zur Grounded Theory und zur Durchführung von Interviews mit Jugendlichen vervollständigen den methodischen Teil des Buches.
Mit persönlicher Note
Die Ergebnisdarstellung beginnt mit einem kurzen, theoretischen Einstieg in Fitness als Jugendkultur. Danach wird es schnell wieder sehr praxisnah mit Beschreibungen zur ersten Kontaktaufnahme mit dem Feld, konkret dem ersten Training im Fitnessstudio. Hier schildert Theis seine persönlichen Eindrücke und Erlebnisse, die im weiteren Verlauf immer wieder eine Rolle spielen. Dabei geht es auch um die Reflexion seiner persönlichen Empfindungen im und rund um sein Fitnesstraining, welche mit den beobachteten Phänomenen und Aussagen der Jugendlichen abgeglichen werden. Dadurch erhält die Beschreibung des Feldes eine persönliche Note, wird aber vor allem sehr gut greif- und nachvollziehbar. Auf diese Weise vermittelt das Buch Eindrücke und Erkenntnisse unter anderem über Motive und Anreize, Produkt- und Prozessorientierung im Fitnesstraining, die Art der Sozialbeziehungen und die Rolle von Social Media im jugendlichen Fitnesssport. Eine zentrale Erkenntnis: Die jugendliche Fitnesskultur unterscheidet sich von klassischen Jugendkulturen in wesentlichen Bereichen deutlich. Dies betrifft vor allem Aspekte, die mit dem Ausleben des Jugendlichseins und der Abgrenzung von Erwachsenen zu tun haben. Beides spielt im jugendlichen Fitnesssport offenbar kaum eine Rolle.
In der Folge lenkt Theis die Aufmerksamkeit auf Wissenskulturen von Jugendlichen im Kontext von Fitness. Im eben beschriebenen Stil wird auch dieser Aspekt praxisnah präsentiert. Es zeigt sich, dass das Thema alle Bereiche des Fitnesstrainings durchdringt, sei es die Übungsausführung, das Wissen um physiologische Prozesse oder die Wirkung von spezieller Ernährung. Die Brisanz liegt insbesondere darin, dass Wissen notwendig ist, um erfolgreich fitnessbezogene Ziele zu erreichen, gleichzeitig jedoch zahlreiche und teilweise sehr unterschiedliche Meinungen und Methoden aus ganz verschiedenen Quellen miteinander konkurrieren. „Wissenskulturen sind im Fitnesssport dementsprechend eng mit Legitimationen in Bezug auf das eigene Handeln verbunden. Die jungen Fitnesssportler*innen befinden sich stets in Abwägung zwischen der Beibehaltung von aktuellen Verhaltensweisen und der Orientierung an anderen bzw. auch gegensätzlichen Handlungsempfehlungen“ (Theis 2023, S. 181). Entsprechend fällt ein wesentlicher Aspekt des Fazits aus: Aus pädagogischer Sicht verlangt die Betätigung im Fitnesssport von Jugendlichen eine hohe Kompetenz im Umgang mit Wissen, was im Sportunterricht möglicher Weise stärker angebahnt werden sollte. Dazu zeigen sich die Jugendlichen in der Studie eher enttäuscht und geben an, nicht viel aus dem Sportunterricht für ihren Fitnesssport mitnehmen zu können. Ein interessanter Aspekt der Auswertung im methodischen Bereich: Das Geschlecht des Forschenden hatte vermutlich wesentlich mehr Auswirkungen auf die Forschungsergebnisse als dessen Erwachsensein. „Der Autor äußert dahingehend die begründete Vermutung, dass eine weibliche Ethnographin im Feld des Fitnesssports geschlechtsspezifisch andere – oder zumindest zusätzliche – Hypothesen aufdecken könnte“ (Theis 2023, S. 246).
Intensive Praxisnähe
Insgesamt ist das Buch jedem zu empfehlen, der sich mit der ethnographischen Erschließung von Jugendkulturen auseinandersetzen möchte und/oder sich für grundlegende Einblicke in das Phänomen des jugendlichen Fitnesssports im Fitnessstudio interessiert. Vor dem Hintergrund der kommerziellen Ausrichtung von Fitnessstudios sind die Erkenntnisse in weiten Bereichen auch aus wirtschaftlicher Perspektive hoch relevant. Mir persönlich hat mit Blick auf den Titel ein wenig der Blick über das Fitnessstudio hinaus gefehlt – zum Beispiel in Bezug auf öffentliche Fitnessanlagen, die in den vergangenen Jahren verstärkt in Parks angelegt wurden. Besonders punktet das Buch dafür mit seiner intensiven Praxisnähe, die den Fitnesssport von Jugendlichen im Studio in seinen unterschiedlichen Facetten für Lesende geradezu „erfahrbar“ macht.
Literatur
Bindel, T. (2017). Informeller Jugendsport – Institutionelle Inanspruchnahme und Wandel eines deutungsoffenen Geschehens. Diskurs Kindheits- und Jugendforschung, 12(4), 417–426.
Bindel, T., & Theis, C. (2020). Fitness als Trend des Jugendsports – eine Wissenskultur. Forum Kinder- und Jugendsport, 1, 6–14. https://doi.org/10.1007/s43594-020-00001-w.
Theis, C. (2023). Wissen für den Körper – Eine Ethnographie über Jugend und Fitness. Shaker.
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Salomon, S. Einblicke in den jugendlichen Fitnesssport im Studio. Forum Kind Jugend Sport 4, 147–148 (2023). https://doi.org/10.1007/s43594-023-00107-x
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