Einleitung

In den vergangenen Jahren hat sich mit Fitnesssport beziehungsweise dem regelmäßigen Besuch des Fitnessstudios ein Sporttrend im Alltag von Jugendlichen etabliert. Waren es im Jahre 2013 noch rund 900.000 Heranwachsende mit einer Mitgliedschaft, hat sich die Anzahl der dort aktiv Trainierenden innerhalb von fünf Jahren auf rund 1,8 Mio. nahezu verdoppelt (vgl. Zeppenfeld 2018). Bei genauerer Betrachtung der Lebenswelten der Aktiven fällt auf, dass eine Vielzahl der Jugendlichen sich nicht erst dann mit der Thematik Fitness auseinandersetzt, wenn sie die Türschwelle des Trainingsstudios überqueren, sondern auch abseits von Gewichten und Laufbändern einen auf Fitness ausgerichteten Lebensstil verfolgen. Schließlich kommt es für die meisten Jugendlichen auf das Erreichen körperlicher Idealvorstellungen an, weshalb ein darauf ausgerichteter Lebensalltag kaum vermeidbar erscheint. Diese Besonderheiten, die sich rund um den eigentlichen Trainingsprozess, also das aktive Sporttreiben, in den Alltag der Jugendlichen integriert haben, führen dazu, dass von einer etablierten Jugendkultur, einem Lifestyle, mit den Schwerpunkten Fitness, Körper und Gesundheit gesprochen werden kann. Die psychophysische und soziale Entwicklungsphase der Adoleszenz steht somit unter dem Einfluss fitnesskultureller Verhaltensweisen und impliziert demnach relevante Persönlichkeitsmerkmale des Erwachsenwerdens. Diese durch (Fitness‑)Sport hervorgerufenen menschlichen Veränderungsprozesse nehmen besondere Relevanz ein, da der resultierende Lifestyle, also die Art und Weise, wie das Leben auf Fitness ausgerichtet wird, auch außerhalb von sportiven Kontexten die Lebensweise von Jugendlichen beeinflusst. Eine sportwissenschaftliche Betrachtung dieser trendbedingten Einflüsse auf die aktuelle Jugendkultur steht im Fokus des sportpädagogischen Ansatzes dieses Beitrags.

Zunächst werden auf der Grundlage autoethnografischer Untersuchungen relevante Charakteristika des Fitness-Lifestyles beschrieben. In Abgrenzung zum in der Sportpädagogik und -soziologie etablierten Trendsportdiskurs, werden Fitnesspraxen als tendenziell produktorientiert und vorgedeutet dargestellt. Ein besonderes Augenmerk richten wir dann auf das Thema Wissenskultur. Im Unterschied zu klassischen Vereinssportarten werden die Jugendlichen während des Trainings und des darauf ausgerichteten lebensweltlichen Alltags selten von Trainern beziehungsweise Übungsleitern betreut und angeleitet. Jeder einzelne Trainierende muss sich demnach proaktiv um die Aneignung eigenen Wissens bemühen, um seine Verhaltensweisen auf die persönlichen sportlichen Ziele anzupassen. In diesem Zusammenhang ergibt sich eine attraktive Forschungsgrundlage über die Wissenskulturen von Jugendlichen im Kontext Fitness, wie zum Beispiel deren Bezugsquellen und Autoritäten, der pragmatische Einfluss des Internets beziehungsweise social media und informelle Lernsettings in- und außerhalb der Peer-Group.

Forschungsstand

Die Fitness- und Gesundheitsindustrie erfährt seit Mitte der 2000er Jahre eine fortschreitende gesellschaftliche Beliebtheit und hat sich innerhalb der vergangenen fünf Jahre im Trendverlauf ebenfalls in die Sportlandschaft von Jugendlichen eingegliedert (Sassatelli 2010). Ein gesunder und sportlich aktiver Lebensstil wird von der Gesellschaft in Zusammenhang mit dem Erreichen persönlicher Ziele und einem generell erfolgreichen Lebensverlauf gesetzt (Kiep 2017; Crossley 2006). Für Außenstehende bleibt die körperliche Verfasstheit oft einziges Bewertungskriterium, um zu entscheiden, ob die Relation zwischen Sportlichkeit und Erfolg für das beurteilte Individuum adäquat erscheint und – für Heranwachsende noch relevanter – ob auf Zugehörigkeit oder Nicht-Zugehörigkeit zur jugendkulturellen Gruppe entschieden werden kann (Schär 2013). Berücksichtigt man diesen Gesichtspunkt, wird deutlich, dass die physische Gestaltung und deren Wahrnehmung von anderen für Zugang oder Ablehnung in soziale Gefüge verantwortlich sind und somit körperbedingte Hierarchien verantwortet (Flaake 2019). „To be somebody means to have some body“ (Ferreira 2011) scheint sich zum jugendkulturellen Dogma zu entwickeln und wird durch die insistente Teilhabe an social media prononciert. Schließlich stehen Jugendliche in ständigem (virtuellen) Austausch mit anderen und erhoffen sich durch möglichst flagrante fotografische Selbstpräsentationen die Anerkennung der Peer-Group (King 2016). Dass diese positive Resonanz lediglich durch das visuell Wahrnehmbare des geteilten Inhaltes begründet ist, liegt auch für Heranwachsende auf der Hand. Der obligatorische Vergleich mit den Körperbildern anderer Jugendlicher erfolgt zur Bestätigung der eigenen Trainingserfolge kontinuierlich. Diese prosaische Beschäftigung mit dem eigenen Körper führt allerdings nicht zwingend zu einem gesteigerten Selbstbewusstsein, sondern bedingt unter Umständen Selbstzweifel und ein andauerndes Bedürfnis nach Optimierung (Johansson und Andreasson 2014). Berücksichtigt man diese jugendkulturelle Entwicklung, ist es kaum verwunderlich, dass auf die Frage, was einen tollen Mann oder eine tolle Frau ausmache, bei befragten Kindern und Jugendlichen körperbezogene Attribute im Vordergrund stehen. Schönheit nennen männliche und weibliche Heranwachsende als „ideale Eigenschaft“ (Götz 2017, S. 29). Persönlichkeitsmerkmale wie Freundlichkeit oder Intelligenz werden als sekundär erachtet. Die Betätigung im Fitnessstudio leistet für den einzelnen Jugendlichen also viel mehr, als sich körperlich zu verausgaben. Physische Veränderungserscheinungen sind Trainingsziel einer großen Mehrheit, um gleichzeitig das Eintreten des damit assoziierten Erfolgs im Beruf und das Ausdifferenzieren der eigenen Ich-Identität zu gewährleisten (Friese 2013). Dabei geht es heute nicht mehr darum, sich gemäß dem Bodybuilding der 1970er bis 1990er Jahre möglichst von der Norm abweichende, volumenumfassende Muskulatur anzueignen, vielmehr stellen definierte, schlank-muskulöse Körperbilder die Wunschvorstellungen der meisten Trainierenden dar (Flaake 2019). Bereits 70 % der erst 10- bis 13-jährigen männlichen Jugendlichen wünschen sich, dass sie einen muskulöseren Körper besitzen würden (Mohnke und Warschburger 2011). Über 60 % der weiblichen Jugendlichen sind mit Teilen ihres Körpers unzufrieden (Heßling und Bode 2015). Das Hervorrufen der gewünschten sichtbaren körperlichen Veränderungserscheinungen wird durch ein ausgeprägtes Maß an Selbstregulation bedingt. Trainingsresultierende Muskulaturanpassungen bezeugen, dass sich das eigene Selbst erfolgreich Praktiken der Disziplinierung und Kasteiung unterwerfen kann, was in vielen Teilen der Berufs- und Arbeitsgesellschaft hoch angesehen ist (Wetzel 2014). Diejenigen, die diese sichtbaren Adaptionen am eigenen Körper erreichen wollen, müssen sich zwangsläufig sowohl mit dem Thema Trainingsplanung und -durchführung als auch außerhalb des Fitnessstudios mit ständig Präsentem wie Ernährung und Alltagsperiodisierung beschäftigen. Fitness wird deshalb von vielen Jugendlichen als Lifestyle und allgegenwärtiges Regularium wahrgenommen, dem man sich anschließt, respektive unterwirft, weil die aus den Resultaten erklärte positive Zukunftsperspektive die Einschnitte in eine zwar lustvolle, aber vermeintlich perniziöse Lebensweise rechtfertigt (Pfaller 2011). Im Gegensatz zum prozessorientieren, spaßerfüllten Sporttreiben, steht im Fitnesstrend der Jugendlichen somit das Produkt im Vordergrund, welches durch ernsthaft betriebene Trainings‑, Alltags- und Freizeitgestaltung („Serious leisure“) erreicht werden soll (Elkington und Stebbins 2014). Insbesondere durch Regulation von intersozialen Aktivitäten findet eine aus der Lebenswelt gewachsene freiwillige und natürliche Identifikation mit gleichgesinnten, jugendlichen Fitnesssportler*innen statt. Diese informelle Gruppenbildung führt zum einen zur gegenseitigen Bestätigung und Motivierung der Partizipierenden und zum anderen zur Schärfung kulturtypischer Normierungen und Regeln (Schmidt und Süßenbach 2004). Dem Fitnessgedanken entgegenstehende vorgeblich generationstypische Freizeitgestaltungen wie Party machen in der Disco oder der Kneipe, eine mitternächtliche Stippvisite im nächstgelegenen Schnellrestaurant oder der Konsum von Alkohol werden aufgrund des Konformitätsdrucks innerhalb der fitnessorientierten informellen Sportarrangements größtenteils negiert. Die Reflexion des eigenen Körpers und die Herausgestaltung von geschlechtsspezifischen Adaptionssehnsüchten sind wesentlicher Bestandteil der jugendlichen Fitnesskultur und sind eng mit gesellschaftlich konservativen Typisierungen von Maskulinität und Feminität verbunden. Junge Männer versuchen durch Training ihrer Idealvorstellung eines muskulös ausdefinierten schlanken Oberkörpers näherzukommen. Bei jungen Frauen unterliegen vermehrt das Gesäß und die untere Extremität dem Optimierungsprozess. Zu diesen essenziellen Trainingszielen gesellen sich in unregelmäßigen Abständen bis zu diesem Zeitpunkt eher unkonventionelle, physische Veränderungswünsche. Diese entstehen durch (sozial-)mediale Orientierungsleistungen der fitnesskulturellen Jugendgruppe an prominenten Vorbildern und Ikonen der Szene (Luca 2007). Als populäre Trendbeispiele lassen sich hier der sogenannte V‑Muskel (ausgeprägte untere Bauchmuskulatur im Lendenbereich) bei Männern und die Thigh Gap (ständige Lücke zwischen den Oberschenkelinnenseiten) bei Frauen zählen. Trotz dieser genderspeziellen und heteronormativen Modellgedanken ist festzuhalten, dass die körperlichen Idealtypen von Jungen und Mädchen im Fitnesstrend zusehend konvergieren (Johansson und Andreasson 2013). Geschlechtsunabhängig soll der Körper Begehrlichkeiten wecken und das Bewältigen harter (Trainings‑)Arbeit und eines asketischen Lebensstils symbolisieren, was in Verbindung mit Durchhaltevermögen und Suchtfreiheit steht (Sassatelli 2010). Ein außenstehender Betrachter assoziiert mit diesen Persönlichkeitsmerkmalen ein erfolgreiches Schul‑, Berufs- und Privatleben, was für das jugendliche Ich Bestätigung und Anreiz für weiteres Training bedeutet (Dworkin und Wachs 2009). In diesem Zusammenhang wird deutlich, weshalb das Teilen fitnessbezogener Beiträge in sozialen Medien überdurchschnittlich frequentiert ist. Die Präsentation des sichtbar Geleisteten, also des veränderten Körpers, erzeugt digital verbreitet eine exponentiell höhere Anzahl an Rückmeldungen und erlaubt Jugendlichen, mit der eigenen Identität zu experimentieren. Fällt diese Resonanz positiv aus, folgt daraus gesteigerte Motivation für weitere Trainingsaktivitäten und ein subjektiv verbessertes Wohlbefinden (Kim und Lee 2011).

Der gegenwärtige Fitnesstrend Jugendlicher vereint bedeutende Themenfelder (sport-)pädagogischer Jugendforschung. Aufgrund der wesentlichen Verflechtungen von Sport, Körperkult und alltäglichem jugendlichen Leben kann im Kontext Fitness von einer etablierten Jugendkultur gesprochen werden, die weiterer Zuwendung und Charakterisierung bedarf.

Begründung einer ethnografischen Annäherung

Die lebensstilistische Komponente des Fitnesssports ist gegenüber einer funktional-trainingswissenschaftlichen Betrachtung in den Wissenschaften deutlich unterrepräsentiert. Auch in den Arrangements eines institutionellen Jugendsports fokussiert man das Fitnesstraining und damit die Frage, wie man entsprechende Praktiken so einsetzen kann, dass sie einem übergeordneten gesundheitlichen oder sportartbezogenen Leistungsziel entsprechen. Dass die Praxen von jungen Menschen zum Teil eng in Identitätskonzepte verwoben werden, also das Potenzial haben, die gesamte Lebensführung zu beeinflussen, ist weder Gegenstand schulischer Thematisierungen noch empirischer Arbeiten zum Jugendsport. Der starke Zuwachs der Szenen, die deutliche mediale Präsenz, die Anknüpfung an das gesellschaftlich hoch relevante Selbstoptimierungsthema – all das sind Indizien dafür, Fitnessszenen als Lebenswelten Jugendlicher genauer unter die Lupe zu nehmen. Es handelt sich nämlich offensichtlich um einen hoch relevanten Trend, der etwas über Jugend, Gesellschaft und Sport zu verraten vermag. Aus (sport-)soziologischer Sicht wurde das bereits zum Teil erkannt, und so liegen internationale Diskurslinien offen, die sich mit Fragen gesellschaftlicher Deutungen der Phänomene befassen. Prominent sind Diskussionen um die Rolle des Körpers und seiner Repräsentation und speziell um Genderaspekte (vgl. u. a. Andreasson und Johansson 2013). Ordnet man das Phänomen Fitness dem Bereich des Jugendsports zu, so werden weitere Aspekte interessant, die durch die soziologischen Auseinandersetzungen nur zum Teil abgebildet werden. Es wird die Frage nach dem entwicklungsfördernden Potenzial virulent; oder mit weniger positiver Erwartung belegt: Wie wirkt sich der sportive Trend auf jugendliches Aufwachsen aus? Gefragt wird also nach transzendenten Effekten der Praxen. Der Trendsportdiskurs der 1990er Jahre hat diesen Aspekt in die Diskussion um den Jugendsport eingebracht, und man ist geneigt, die These zu formulieren, dass auch Fitnesstrends mehr als sportive Effekte bereithalten. Die Rede muss von Jugendkultur oder Lebensstil sein, wenn man bedenkt, wie stark die Praxen medial in Verbindung gebracht werden mit einer neuen oder anderen Art, dem Leben Bedeutung beizumessen – Fitness als Lifestyle. In der Jugendphase beginnen solche Lifestyleprojekte, weil die Mitgliedschaft in einem Fitnessstudio rechtlich möglich und finanziell erschwinglich wird. Die Eigenständigkeit ist nun ausreichend groß, um das Projekt Fitness zu starten und damit – wenn man so weit gehen möchte – ein Identitätsprojekt zu beginnen, bei dem Körperlichkeit und sportiver Habitus zentral werden. Dass Fitness sich für ein solch transzendentes Projekt eignet, darauf weisen auch die Anbieter hin: Das Sich-ändern, oder „wahr machen“ ist aktuell die Verheißung der Fitnessszene. Im internationalen Sprachgebrauch muss von einem „Change“ gesprochen werden, über den man aus empirischer Perspektive leider nur wenig weiß. Was genau ist dem Änderungsziel im (jugendlichen) Leben unterworfen? Wie sieht ein (jugendliches) Leben aus, das eine fitnesszentrierte Änderung verfolgt? Wie lebt es sich mit einem starken und schönen Körper? Diese Fragen helfen dabei, zentrale Charakteristika des Fitnesstrends herauszulösen. Ein Ausblenden der transzendenten Potenziale, und damit der potenziell transformativen Wirkung von Fitness als Lifestyle, würde immer nur die halbe Wahrheit des Phänomens verraten, das hierzulande unter dem Oberbegriff Sport verhandelt wird.

Die bisherigen Ausführungen dienen zum einen dazu, ein Forschungsdefizit zu markieren, zum anderen legitimieren sie die nachfolgend beschriebene Methode, mit der eine erste Erhellung angestrebt wird. Sie soll als artifizielle Autoethnografie bezeichnet werden.

Ethnografische Verfahren dienen dazu, Kulturen verstehbar zu machen, indem die inneren Strukturlogiken möglichst detailreich von innen nachgebildet werden (vgl. überblickend für den Sport: Bindel 2008). Oft steht den kulturellen Einblicken entgegen, dass die Protagonisten ihr eigenes Handeln als selbstverständlich betrachten und nur mit Mühe zu kommunikativen Daten geführt werden können. Das Mit- oder Selbsterleben der Praxen wird also zum zentralen methodischen Schlüssel der Kulturbeschreibung. Eine Spezifizierung erhält die Strategie der Ethnografie durch das Feld, das im Blick der Forschung ist. Hier sind zwei Strömungen zu erwähnen, die auch das Vorgehen der hier angewandten Techniken rahmen: Netnografie und Autoethnografie.

Die mit Kozinets (2010) in Verbindung zu bringende Netnografie und von Pink et al. (2015) zur Digital Ethnography erweiterte Methode ist der Tatsache geschuldet, dass zu erforschende Welten seit einigen Jahren auch virtuelle Welten sind. Das Feld ist also auch im Internet zu finden und die Praxen der Akteur*innen sind im realen Leben nur noch durch Nutzung (ebd.) sichtbar. Erst losgelöst vom klickenden, scrollenden, tippenden, fotografierenden, postenden, kommentierenden und likenden Subjekt werden die Handlungen lebendig – als virtuelle Repräsentationen. Körper werden dargestellt, Stile propagiert und Lebensweisen diskutiert. Hier teilt die Szene die verhandelbaren Inhalte. Ethnografische Forschung zum Fitness Lifestyle kann, oder besser, sollte im Rahmen eines ganzheitlichen Anspruchs (Wolcott 2005) auch das digitale Feld erforschen.

Autoethnografische Verfahren sind im deutschsprachigen Raum so gut wie unbekannt, werden aber vor allem in den USA vermehrt eingesetzt. Leben und Erfahrungen des Forschenden stehen hier im Zentrum der ethnografischen Arbeiten. Dieser subjektive Ansatz entwickelt vor allem in Ausgrenzungserfahrungen sein Potenzial, etwa im Kontext von Homosexualität, ethnischer Diskriminierung oder Krankheit (Adams et al. 2014). Bei den nun anschließend präsentierten Bemühungen ist all dies nicht der Fall; genutzt wird allerdings das Potenzial, die subjektive Erfahrung zu einem wesentlichen Bestandteil der Forschungsbemühungen zu machen. Der oben skizzierte „Change“ kann nur adäquat zum Forschungsgegenstand gemacht werden, wenn eine Hinwendung zum selbst Erlebten stattfindet, also autoethnografische Verfahren adaptiert werden. Da der Forscher allerdings den Bereich des Fitnesssports nur aus Forschungsinteresse betritt, wird hier von einer artifiziellen Autoethnografie und damit von einem eigenen Forschungsprogramm gesprochen, das an anderer Stelle diskutiert wurde (Bindel 2018).

Artifizielle Autoethnografie des Fitness Lifestyles

Fitnesssport oder Fitness Lifestyle – darunter kann man verschiedene Phänomene fassen, die sich zum Teil stark voneinander unterscheiden. Als identitätsstiftendes Merkmal wird hier Funktionalität angenommen. Die Handlungen werden gezielt dazu eingesetzt, etwas zu bewirken, was außerhalb des Sports von Bedeutung ist. Die Ankopplung an das Thema Gesundheit ist damit sehr deutlich. Mit Blick auf das Jugendalter muss jedoch davon ausgegangen werden, dass Gesundheit in den Hintergrund rückt und die Idee von Schönheit und allgemeiner Fitness in den Vordergrund. Nicht ganz leicht war im empirischen Angang daher die Entscheidung, welche Praxen erforscht werden sollten; denn sich verändern und optimieren kann man in vielen Bereichen. Es wurde daher versucht, einen Querschnitt darzustellen, mit dem besonders populäre Tätigkeiten, die eine Änderungsthematik implizieren, zum Forschungsfeld gemacht wurden. Es gingen der ethnografischen Durchführungsphase sechs Monate voraus, in denen recherchiert und ausprobiert wurde. Dann stand die Entscheidung für einen zwölfmonatigen Ablauf fest, der dann auf 18 Monate verlängert wurde – eineinhalb Jahre, in denen sich der Forscher selbst zum Gegenstand eines Optimierungsprojekts gemacht hat. Die Basis stellten klassische Gesundheitstechniken dar: Bewegung (täglich mindestens 10.000 Schritte) und gesunde Ernährung (nach verschiedenen Konzepten, vor allem Clean Food und Weißmehlreduktion). Zunächst wurde dann über drei Monate regelmäßig gelaufen bis zur Teilnahme an einem Halbmarathon. Ausreichend fettreduziert (14 % Körperfett; 10 kg Gewichtsverlust) begann dann eine etwa neunmonatige Hinwendung zu körperbildorientiertem Krafttraining, erst selbstgesteuert, dann mit Hilfe eines Personal Trainers. Die Ernährung wurde dann umgestellt, mit dem Ziel „Masse aufzubauen“. Weight Gainer, Creatin und andere legale Nahrungsergänzungsmittel wurden genutzt, um Muskelmasse aufzubauen. Es fand in den neun Monaten ein Gewichtsanstieg um 17 kg statt; der Muskelzuwachs war beträchtlich. Es folgte das Vorhaben einer Fettreduktion (wieder vermehrt Ausdauersport) mit dem Ergebnis einer Gewichtsabnahme um 7 kg. Nach 18 Monaten stimmten Anfangs- und Endgewicht überein, die Körperzusammensetzung (Muscle-Fat-Ratio) hatte sich allerdings deutlich verändert.

Die beschriebenen Praktiken bildeten den roten Faden des Projekts. Er wurde an mehreren Stellen ergänzt durch punktuelle oder mehrwöchige Sonderthemen, die als wichtig erachtet wurden, um das Bild des Fitness Lifestyle zu vervollständigen: Teilnahme an einem Obstacle Run, Yoga-Kurs, Meditationswochenende, Outdoor Fitness Bootcamp, Aktivurlaub. Der Forscher machte in den 18 Monaten starke körperliche und psychische Veränderungen durch, die auch circa zwei Jahre nach Beendigung des Projekts noch anhalten. Der „Change“ wurde erlebt und protokolliert. Es liegen umfangreiche Beobachtungsprotokolle vor, zahlreiche Fotos und Videoprotokolle, die einer qualitativen Inhaltsanalyse unterzogen wurden und zentrale Themen hervorgebracht haben, die auf ihre Eignung für eine Diskussion im Jugendsport geprüft werden.

Man muss in diesem Zusammenhang einige Problematiken der Methode bedenken. Erstens: Das Artifizielle der Ethnografie, also der Tatbestand, nie wirklich ein natürlich Betroffener zu sein, führte bisweilen zu eher kritischen Bewertungen einiger Praxen (zum Beispiel Einnahme von Nahrungsergänzung). Das muss vor allem beim Übertrag in die pädagogische Diskussion beachtet werden, um nicht in die Falle einer Diskreditierung von Jugendtrends zu treten. Zweitens: Der Forscher ist kein Jugendlicher, sondern erlebt das Feld als Berufstätiger, Ehemann und Vater mit einem Körper, der andere Veränderungspotenziale aufweist als ein jugendlicher, und mit einer „erwachsenen Lebensgestaltung“. Hier ist äußerst kritisch zu prüfen, welche Themen sich auch im Jugendsport finden. Keine Zeit für seine Tochter zu haben, weil man trainiert, ist beispielsweise kein Jugendthema. Hier muss man filtern und ergänzende Forschungen realisieren. Allerdings sei erwähnt, dass der Zugang zu Jugendlichen vor allem im Fitnessstudio stets möglich war. Hier wurden neben dem eigenen Selbstoptimierungsprojekt auch die Performanzen anderer beobachtet und Jugendliche befragt. Behelfen kann man sich in der Summe dieser Problempunkte vor allem mit diskursiven Aushandlungen, die an der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz in Schwerpunktseminaren stattfinden.

Zentrale Charakteristika des Fitnesssports und Abgrenzung zum Trendsportdiskurs

Die ethnografischen Arbeiten decken Übereinstimmungen, aber auch zwei sehr deutliche Unterschiede auf. Statt auf Prozessorientierung verweisen die Tätigkeiten der Fitnessszenen auf Produktorientierung. Es geht hier zumeist gerade darum, auf ein Ziel hinzuarbeiten, statt gegenwärtiges Handeln lustvoll zu erleben. Damit hängt ein vor allem für die Sportpädagogik wichtiger weiterer Punkt zusammen: Von Deutungshoheit der Aktiven kann in großen Teilen nicht gesprochen werden. Hier wird weniger kreativ gehandelt und erschlossen, statt vielmehr nachgeahmt und konsumiert (Sassatelli 2010). Das rückt Fitnesssport weg von dem, was bisher zum Trendsport im Jugendalter diskutiert wurde und wirft neue Themen auf. Die Idee des Jugendsports, wie er abseits von institutionellen Organisationen stattfindet, muss wohl erweitert werden. Neben die individuell-kreativen Trendsportler*innen treten vermehrt auf Expertise angewiesene und zielorientierte Fitnesssportler*innen. Ein Widersetzen gegen die Deutungen der vorwachsenden Generation ist hier nicht zu erkennen, geht es doch auch diesen jungen Menschen um den zentralen Wert, „etwas zu tun, um etwas zu erreichen“. Auf dieser Basis scheint es nun angebracht, aus den ethnografischen Befunden spezifische Charakteristika der Fitnesstrends abzuleiten, was im Folgenden versucht werden soll:

Fitness als restriktiv-totaler Lebensstil

Sollte das Projekt einer Körper- oder sogar Wesensveränderung mit Fitness in Zusammenhang gebracht werden, wächst das hierfür relevante Verhalten über die eigentliche sportive Handlung – etwa im Fitnessstudio oder im Outdoor Bootcamp – schnell hinaus. Der Veränderungswunsch betrifft dann mit den Themen Ernährung, Schlaf und außersportlicher Freizeit zum Teil hochsensible gemeinschaftliche Lebensbereiche. Am Beispiel der Ernährung kann das deutlich nachgezeichnet werden. Der Verzicht auf Weißmehlprodukte, die starke Reduktion von Industriezucker und die Ablehnung von Konservierungsstoffen – beides im medialen Mainstream verhandelte Maßnahmen – waren kaum gemeinschaftsverträglich umsetzbar. Mit Freunden essen zu gehen, in der Mensa oder einer Kantine ein passendes Gericht auszuwählen oder im Urlaub auf der Sonnenterrasse einer Eisdiele zu verharren, wurden zu großen Herausforderungen und endeten meist darin, in Frischhaltedosen eigenes Essen mitzunehmen oder abstinent zu bleiben. Damit scheidet man aus dem gemeinsam geteilten Genuss aus und gerät – zumindest in genussbetonten Situationen – in eine Außenseiterposition. Der autoethnografisch arbeitende Forscher hat vor allem den Urlaub am Gardasee mit seinen kulinarischen Verlockungen als Belastung erfahren. Zu dieser Zeit war er bereits in der Lage, die meisten Lebensmittel in Makronährstoffanteile und Kalorienzahl zu übersetzen. Fast schon absurd wurde das Essverhalten in der sogenannten „Massephase“, die dem Muskelaufbau dienen sollte, in der der Forscher versuchte, circa 200 g Protein am Tag aufzunehmen. Es erinnerte eher an eine Mast, die in keiner Weise kompatibel war mit den Ernährungsstandards in Familie und Umfeld.

Da körperliche Veränderungsprojekte mit basalen und alltagsrelevanten Praxen zu tun haben, kann die Idee des „Change“ Aspekte potenzieller Totalität aufweisen. In einer auf das ethnografische Projekt folgenden Studie konnte festgestellt werden, dass rund ein Viertel aller jungen Erwachsenen, die Fitnesssport betreiben, starke Totalitätstendenzen aufweist (vgl. Bindel et al. in Vorbereitung). Diese Sportler*innen passen ihr Schlafverhalten, ebenso wie ihr Ernährungs- und Bewegungsverhalten an das Vorhaben an. Sie suchen auch Urlaube entsprechend ihres Ziels aus und tendieren dazu, Menschen mit vergleichbaren Verhaltensweisen als Freund*innen zu bezeichnen. Das sind klassische Verszenungstendenzen, wobei hier nicht von einer Subkultur gesprochen werden kann, sondern von einem Lebensstil, der in den globalen Mainstream rückt.

Auffällig an der Totalität, mit der Fitnessszenen agieren, ist ihre tendenziell restriktive Gestalt. In der Autoethnografie spielte stets der Verzicht eine große Rolle. Es ging gerade in der Anfangszeit darum, sich „zusammenzureißen“ und eben nicht den Abend auf der Couch zu verbringen, stattdessen noch die 10.000 Schritte mit einem Spaziergang vollzumachen, keinen Wein zu bestellen, sondern ein stilles Wasser, die Pizza aus dem Leben zu verbannen und sich auch mit einem Sport zu geißeln, der nicht Spaß verspricht, sondern Schmerz und Schweiß abverlangt. Restriktionen sind dann allgegenwärtig und als Bündel täglich erlebbar. Internetforen und Ratgeberwerke sind voll von Ratschlägen, wie man trotz der Restriktionen weitermacht. Wer es ernst nimmt mit dem Veränderungsprozess, wird damit vehement konfrontiert. Instagram und andere Social-Media-Plattformen bieten reichlich Motivation, sich über das eigene Verlangen nach Genuss und Faulheit hinwegzusetzen. Willensstärke wird zum entscheidenden Faktor, wenn es heißt: „Be stronger than your strongest excuses“. Es ist zu vermuten, dass sich in manche Jugendverläufe die Idee des beschriebenen total-restriktiven Lebensstils einzuschreiben vermag. Zu klären bleibt jedoch, inwiefern erst eine vermehrte Unabhängigkeit von den Sozial- und Versorgungsstrukturen des Elternhauses diesen Lebensstil grundiert. Anzunehmen ist, dass bei männlichen Jugendlichen neue Körperbildstandards zu veränderten Ernährungsweisen führen, die auch im Elternhaus durchsetzbar sind. Aus den ethnografischen Protokollen ist ablesbar, dass sich die Gespräche jugendlicher Fitnessstudiobesucher oft um Ernährung drehen.

Fitness als Streben nach sichtbaren und erlebten Potenzialen

Warum das alles? Diese Frage stellte sich dem autoethnografischen Forscher zu Beginn, denn mit Blick auf den oben diskutierten Punkt bedarf es triftiger Gründe für die wenig gegenwartsorientierten Tätigkeiten und restriktiven Auswirkungen auf den Alltag. Solche Gründe wurden im Verlauf der Forschung deutlich und können hier aus autoethnografischer Perspektive beschrieben werden. Dazu soll ein konkreter Moment innerhalb des Forschungsprojekts etwas ausführlicher analysiert werden, dessen Quintessenz hier als Brundle-Effekt bezeichnet werden soll; benannt nach Seth Brundle, der im Film „Die Fliege“ einen Verwandlungsprozess durchlebt, der ihm zu Beginn übermenschliche Fähigkeiten verleiht. Die Sache spielte sich wie folgt ab:

Nach 100 Tagen gesunder Ernährung, umfangreicher Bewegung und Lauftraining hatte ich mein Gewicht um 10 kg reduziert. Dann begann ich mit einem Muskelaufbautraining im Fitnessstudio. Als Vorlage diente mir ein aktueller Ratgeber, der mich mit einer gewissen „Rocky-Romantik“ überzeugte. Ich trainierte dann viermal in der Woche in einem Split-Modus, also unterteilt nach Muskelgruppen, und konnte schon nach wenigen Wochen sichtbare Effekte vorweisen. Das war an sich schon ein motivierender Erfolg, der allerdings massiv durch ein besonderes Erlebnis unterstrichen wurde. Ich hatte im Garten eine Klimmzugstange angebracht, mit der Absicht, sie für das Krafttraining zu nutzen und Fortschritte zu überprüfen. Vor dem Projekt war ich hier ziemlich erfolglos und konnte mich nicht ein einziges Mal hochziehen. Als ich dann so leicht und trainiert an die Stange ging, um mich nach oben zu ziehen, geschah etwas sehr Beeindruckendes. Ich spürte wie mich meine Muskeln recht mühelos bewegten. Es schien sich ein ganzes Korsett aufgebaut zu haben, eine Maschine, deren einzelne Teile nun gut ineinandergriffen und mich antrieben. So konnte ich mich siebenmal mit dem Kopf über die Stange ziehen, bevor ich erschöpft losließ. Die beteiligten Muskeln wirkten im Anschluss aufgepumpt und immer noch aktiviert. Ich konnte nicht glauben, dass mir das nun möglich ist und war wie berauscht von diesem neuen Potenzial. Es erinnerte mich sofort an den Film „die Fliege“. Seth Brundle registriert in dieser einen Szene, dass sich neue körperlichen Fähigkeiten – hier eine Wand hochklettern – etablieren und in der Folge seine Identität verändern, was ihn zunächst berauscht, in der Folge dann aber immer weiter isoliert und schließlich zum Verfolgten macht.

Auch wenn der Vergleich etwas überzogen scheint, so kann der „Brundle-Effekt“ doch zentrale Merkmale des intensiven Muskelaufbau- oder Krafttrainings offenbaren. Zunächst einmal stehen hier Fähigkeiten im Fokus. Anders als eine erfolgreiche Serie von Freiwürfen beim Basketball, manifestiert sich der Erfolg direkt körperlich – man kann ihn spüren. Das trifft für Kraftzuwachs ebenso zu wie für gesteigerte Ausdauerleistung im Rahmen eines engagierten Marathontrainings. Betrachtet man die Aktiven im Fitnessstudio nach erbrachten Kraftleistungen, so scheinen sie im Anschluss nachzuspüren, was ihr Körper zu leisten im Stande ist. Wir sprechen hier nicht von tatsächlich relevanten Leistungen, wie man sie zum Beispiel dann erfährt, wenn man einen Baumstamm aus dem Weg räumt, sondern um Potenziale, also um Kraft, die man real einsetzen könnte und die sich sichtbar in den Körper einzuschreiben vermag. Gerade im Jugendalter kann das beschriebene Charakteristikum bedeutsam sein, denn es stellen sich bei regelmäßigem Training mitunter recht schnell Erfolgserlebnisse ein. Dieser Aspekt der Selbstwirksamkeitserlebens spielt aus sozialpädagogischer Sicht eine große Rolle, weswegen Krafttraining und Muskelaufbau zum Beispiel auch in der Sozialen Arbeit genutzt werden können (vgl. Heinisch 2018).

Fitness als egozentrische Fokussierung des Körperbilds

Im Mittelpunkt der zentralen Praxen des Fitnesssports steht immer der Aktive selbst. Er befindet sich in einem Selbstoptimierungskontext, der in seiner medialen Repräsentation deutlich egozentrische Züge hat. Im Unterschied zu den von den Verbänden beworbenen Vereinssportangeboten, geht es bei einer Fitnessstudiomitgliedschaft, einem Personal Training oder einem Yoga-Workshop primär um das Ich und nur bei wenigen Praxen, eher aus motivationalen Gründen, um ein Wir. Die Egozentrik der Angelegenheiten zeigt sich in organisationaler Hinsicht in einer Art Ungebundenheit. Niemand fordert von den jugendlichen oder auch erwachsenen Akteuren eine Teilnahme ein, um den Betrieb aufrechtzuerhalten. Besonders im Fitnessstudio ist die Präsenz allein die Sache des Aktiven. Das bringt Flexibilität mit, birgt aber die Gefahr des Abbruchs. Aus autoethnografischer Perspektive kann berichtet werden, dass das gesamte Optimierungsprojekt den Forscher mehr und mehr zu einer egoistischen Tages- und Freizeitplanung geführt hat. Gerade weil der Fitnessstudiobesuch spontan und flexibel stattfinden konnte, wurden freiwerdende Zeitintervalle schnell mit Fitnessstudiobesuchen oder Laufeinheiten gefüllt. Wenn Fitnesssport gegenüber anderen als bedeutsam eingeführt wird, kann es kaum Einwände gegen die egozentrischen Ausbrüche aus dem Alltag geben; gerade die Regelmäßigkeit ernst genommener Fitnesspraxen unterstreicht die Bedeutsamkeit der Vorhaben. Anders als der Forscher, dessen regelmäßiger Fitnesssport abseits von Freunden und Familie stattfand, scheinen sich den Beobachtungen zufolge in der Jugendphase Freundschaften in die Studios übertragen zu lassen. Viele junge Erwachsene indes sind mit Partner oder Partnerin in den Fitnessstudios beobachtbar. So lassen sich die egozentrischen Projekte gemeinsam erleben. Gerade in den Fitnessstudios, aber auch im Yoga-Raum und im Zusammenhang mit der Selfie-Kultur beim Obstacle-Run oder anderen Fitness-Ereignissen wird deutlich, dass sich die Projekte auf das Körperbild beziehen. Die Räumlichkeiten sind großzügig mit Spiegeln ausgestattet, die vor allem im Fitnessstudio zur Kontrolle des Körpers genutzt werden. Auch dem Forscher ist aufgefallen, dass niemals zuvor im Leben das eigene Körperbild so präsent war. Regelmäßig wurde auch zu Hause vor dem Spiegel inspiziert, wie sich die Veränderung der Muskulatur abzeichnet. Die Selbstkontrolle des Körpers kann in allen relevanten Fitnessthematiken durch digitale Geräte unterstützt werden. Der Forscher kontrollierte seinen Muskelzuwachs, seinen Fettabbau, sein Schlaf- und Bewegungsverhalten über verschiedene Geräte und etablierte sozusagen ein „Leben nach Zahlen“ (Duttweiler 2016). Zumindest Schrittzähler scheinen zum Standard der Fitnesssportler*innen geworden zu sein. Es ist festzustellen, dass die Orientierung an der digitalen Erfassung der Körperlichkeit Disziplinierungsmaßnahmen mit sich bringt.

Fitness als Wissenskultur

Fitnesssport ist ein funktionales Geschehen, das objektive Ziele beinhaltet, die von der Community geteilt werden: Körperformung, Kondition, Kraft, Beweglichkeit, gesunder Lebensstil etc. Um die diversen Ziele zu erreichen, ist Wissen erforderlich, das von den Aktiven auf unterschiedliche Weise abgerufen werden kann. Die autoethnografischen Forschungen offenbarten, dass man zwar durch Internet- und Literaturrecherchen, durch Nachfragen und Sich-anleiten-lassen entsprechendes Wissen aneignen kann, dass aber mit jedem neu Erlernten auch neue Fragen aufkamen. Die Forschung brachte ein Schichtenmodell hervor, in dem auf eine profane erste Wissensschicht weitere tiefergehende Wissensschichten folgten. Am Thema Ernährung exemplifiziert: Die Frage danach, wie man den Aufbau von Muskelmasse durch Ernährung unterstützt, kann recht simpel beantwortet werden: Du musst viel essen. Das wissen bereits jugendliche Einsteiger*innen, und auch die nächste Frage können sie meist noch beantworten. Was muss man denn essen? Die zugegeben recht simple Antwort: Zum Beispiel viel Protein. In den tieferen Wissensschichten tauchen dann Substanzen wie BCAA oder Creatin auf, und in der Wurzel liegen dem Bereich der Ernährung als auch dem der Trainingsmethodik komplexe und zum Teil umstrittene naturwissenschaftliche Befunde zugrunde, die von Expert*innen zwar noch erklärt werden, aber wohl kaum dazu führen, dass die Aussagen von den Aktiven kritisch geprüft werden. An dieser Stelle fühlte sich der Forscher jeweils ausgeliefert, denn ob teure Gojibeeren für die Gesundheit zuträglich sind, ob die BCAA-Kapseln tatsächlich etwas bewirken oder ob der Personal Trainer wirklich das Optimum der Trainingsgestaltung anbietet – all das bleibt weitestgehend unklar, weil der Forscher sich nicht die Mühe gemacht hat, in den natur- und ernährungswissenschaftlichen Tiefen mitzudenken. Der unwissende Konsument (Sassatelli 2010) ist aus kulturkritischer Perspektive ein willkommenes Opfer für den wachsenden Fitnessmarkt, der immer wieder mit neuen Erkenntnissen und Produkten überspült wird, die vom Kunden kaum auf ihre Sinnhaftigkeit überprüft werden können. Dieses Thema erscheint uns aus pädagogischer Perspektive für den Jugendsport so bedeutsam, dass wir es in der Folge ausführlicher behandeln möchten.

Fitness als Wissenskultur – Planung jugendspezifischer Forschung

Die Zusammenhänge zwischen fremden und erwachsenen Erwartungen an die Adoleszenz, eigenen jugendlichen Zukunftsprojektionen und dem Abgleich mit präsentierten Gelingensbedingungen, erschaffen im fitnesssportiven Zusammenhang verflochtene Wissenskulturen Jugendlicher (Keller und Poferl 2018). Der allgemeine Forschungsstand bezüglich des Kontextes Fitness, Jugend und Wissen ist jedoch als defizitär zu beschreiben, was den explorativen Charakter der Studie begründet, die nun abschließend vorgestellt wird.

Zur Datenerhebung werden qualitative, halbstandardisierte Leitfadeninterviews mit Jugendlichen (14 bis 18 Jahre) geführt. Die Datenauswertung erfolgt nach dem Rahmenkonzept der grounded theory. Grundlage für die Erstellung des Interviewleitfadens bilden die folgenden essenziellen Forschungsfragen:

  1. 1.

    Wie gehen Jugendliche im Kontext Fitness mit dem Begriff Wissen um? Interessensschwerpunkte sind hier mitunter: Definition, Verwendung, Äquivalenz bzw. Synonym.

  2. 2.

    Zu welchem Zweck beschäftigen sich die jugendlichen Sportler*innen mit fitnessbezogenem Wissen vor, während oder nach dem aktiven Trainingsprozess? Was muss man überhaupt wissen, um etwas zu erreichen?

  3. 3.

    Welche Informationsquellen verwenden die Heranwachsenden vorzugsweise zur Wissensakquise? Warum wird eine bestimmte Bezugsquelle angenommen und werden andere dafür abgelehnt? Welche Strategien verfolgen die jungen Sportler*innen im selbstregulierten Lernen?

  4. 4.

    Inwieweit partizipieren Jugendliche in informellen Lernsettings und geben fitnessbezogenes Wissen proaktiv oder auf Nachfrage weiter?

  5. 5.

    Welche Rolle nimmt die Institution Schule für die Jugendlichen im Kontext Fitness und Wissen ein? Nehmen die Jugendlichen einen Unterschied zwischen formaler, nicht-formaler und informeller Wissensgenerierung wahr?

Grundsätzlich können Fragen hinsichtlich jugendlicher Wissensakquise in allen informellen Sport- und Lernsettings Interessensgegenstand sein. Jedoch zeigt sich bei näherer Betrachtung, dass die Wissenskulturen Heranwachsender speziell im Kontext Fitness einige Alleinstellungsmerkmale aufweisen, welche die oben genannten Fragestellungen in fitnessaffinen Jugendgruppen besonders machen. Dient der*die Übungsleiter*in in der Schule oder im Verein als gesetzte Autorität, sozusagen als konkurrenzlose*r Wissensexperte*in (Muckenhaupt et al. 2009), verlebt er*sie in Fitnessstudios eine vage Existenz. Das ist unter anderem darin begründet, dass in den insbesondere von Jugendlichen hochfrequentierten Low-Budget-Studios (Fitnessstudios mit geringem Mitgliedsbeitrag) das Trainer*innen-Trainierenden-Verhältnis keine oder zumindest keine adäquate Betreuung zulässt. Weiterhin bleibt offen, inwieweit Heranwachsende den*die Trainer*in im Fitnessstudio überhaupt als (Trainings‑)Experten*in wahrnehmen, ist er*sie doch häufig nur für die Einlasskontrolle und die Thekenbedienung zuständig. Ein Austausch zwischen mittrainierenden Peers erscheint als eine unkomplizierte Alternative, sich neues Wissen über Trainingsinhalte, Ernährung oder auch fitnesskulturelle Modeartikel anzueignen. Innerhalb dieser Peer-to-Peer-Interaktion soll untersucht werden, welches Gruppenmitglied als Autorität und Experte*in wahrgenommen wird und somit als Wissensquelle für andere dient. An dieser Stelle wird vor allem der fitnessspezifische Einfluss der Körperlichkeit erforscht, ob Persönlichkeiten mit deutlich sichtbaren trainings- oder ernährungsbedingten Muskulaturanpassungen verstärkt Vertrauen geschenkt bzw. Wissen attestiert wird (vgl. Bro-Science). Diese Expert*innenlegitimation, welche aus der vermeintlich sichtbaren Trainingserfahrung im Fitnesssport resultiert, soll explizit auch in Zusammenhang mit social media überprüft werden. Inwiefern sorgen bestimmte visuelle oder schriftliche Darstellungen für Annahme oder Ablehnung der jugendlichen Adressat*innen? In diesem Bezug ist weiterhin interessant, zu welchem Zeitpunkt und zu welchem Zweck sich Jugendliche als Verfasser*innen sozialmedialer, fitnessspezifischer (Wissens‑)Beiträge versuchen (Herring und Kapidzic 2015). Abschließend stellt sich vor allem im sportpädagogischen Bildungsdiskurs die Frage, inwieweit die Institution Schule und der dort stattfindende Sportunterricht aktuelle jugendkulturelle Fitnessthemen aufgreift und ob Heranwachsende diese Vermittlungsinhalte als legitime Erweiterung der persönlichen fitnessbezogenen Wissenskultur ansehen (Wagner 2016).

Zusammenfassend ist festhalten, dass die geplante Forschung zum Ziel hat, Einblicke in die Wissenskulturen jugendlicher Fitnesssportler*innen zu ermöglichen, die unter dem trendbedingten, ständigen Einfluss von Körperlichkeit, social media, informellen Lernsettings und szenespezifischen Eigenschaften besonderes Interesse in sportpädagogischer Jugendforschung wecken.

Zusammenfassung und Fazit

Wir haben in diesem Beitrag einen ersten Versuch dargestellt, Fitnessszenen für den pädagogischen Diskurs im Jugendsport zu charakterisieren. Dabei wurden die Praktiken aufgrund ihrer Produktorientierung und der extern vorgegebenen Deutungen von den Sportszenen des Trendsportdiskurses abgetrennt. Auf der Basis autoethnografischer Untersuchungen wurde dann gezeigt, dass sich Fitnesssportpraxen potenziell als total-restriktive Lebensstile eignen, bei denen Fertigkeitserleben und Körperorientierung zentral werden. Mit Blick auf jugendliches Aufwachsen, erschien uns ein weiteres Charakteristikum besonders bedeutsam: Fitnessszenen können als Wissenskulturen bezeichnet werden. Hier müssen dringend altersspezifische Untersuchungen eingesetzt werden, um zu verstehen, wie junge Menschen in diesen Kulturen handeln. Wir haben dazu abschließend ein Forschungsprojekt vorgestellt.

Abschließend möchten wir festhalten, dass sich Fitness zurzeit als eines der zentralen Felder des Jugendsports beschreiben lässt. Aus der hier angebotenen Charakterisierung lassen sich Denkanstöße für unterschiedliche Kontexte entwickeln. Wie können Städtebau und kommunale Sportentwicklung dem Trend begegnen? Wie kann der Trend für die soziale Arbeit genutzt werden? Wie kann der Vereinssport auf Flexibilisierung des Sports reagieren? Wie thematisiert man Körperbildorientierung in einem bildenden und erziehenden Sportunterricht? Diese Fragen können hier nicht mehr diskutiert werden, sondern lediglich zeigen, dass Fitnesssport eine besondere sportwissenschaftliche Zuwendung erfahren sollte.