Infolge der Anschläge des 11. September 2001 entwickelte sich ein bis heute anhaltender Boom der sozialwissenschaftlichen Terrorismusforschung einschließlich der Erforschung von Selbstmordattentaten (vgl. u. a. Silke 2007). Zuvor war das letztgenannte Thema in der westlichen Wissenschaftsgemeinschaft primär von israelischen Wissenschaftler*innen bearbeitet worden.Footnote 1 Bei aller Interdisziplinarität liegt der Schwerpunkt der Forschung klar in der Politikwissenschaft, aus der sowohl die Mehrzahl als auch die einflussreichsten Publikationen zu Selbstmordterrorismus (insbes. Bloom 2005; Pedahzur 2005; Pape 2006) stammen (vgl. zum Stand der Forschung Aran 2018, S. xvi ff.; detaillierter u. a. Ranstorp 2007). Damit einher gehen aus soziologischer Perspektive diverse Verengungen, von denen André Armbruster zu recht die Tendenz zur rationalistischen Verkürzung herausgreift. Armbruster zeigt einerseits im Sinne einer intrinsischen Kritik konzise die Schwierigkeiten einer rationalistischen Erklärung von Selbstmordattentaten auf, und führt andererseits die Beschränktheit rationalistischer Ansätze als solcher vor Augen.

Umso wichtiger ist das Unterfangen, die dominierenden rationalistischen Ansätze zu Selbstmordterrorismus nicht nur aus soziologischer Perspektive zu kritisieren, sondern eine genuin soziologische Alternative zu formulieren. Armbrusters Vorgehen, dazu handlungs- bzw. akteurstheoretisch anzusetzen, aber in einer Weise, die den für dieses Handeln direkt oder indirekt konstitutiven Kontext berücksichtigt, ist überzeugend: Selbstmordattentate werden einerseits unmittelbar durch Individuen verübt, doch agieren diese andererseits i. d. R. nicht als ‚lone wolves‘.Footnote 2 Vielmehr handeln sie im Auftrag einer Organisation und aus dieser heraus (u. a. Aran 2018, S. 244 ff.; und Gambetta 2005, S. 260 ff.). Die Organisationen wiederum sind in einen breiteren, historisch gewachsenen sozialen Kontext eingebettet (vgl. Aran 2018, S. 244 ff.). Armbrusters Wahl einer Handlungstheorie wird dieser Makro-Meso-Mikro-Verbindung gerecht: Pierre Bourdieu möchte in seiner durchaus komplexen Sozialtheorie eben die wohletablierte Trennung in Mikro- und Makrosoziologie bzw. Individualismus und Strukturalismus, und damit verbunden auch Subjektivismus und Objektivismus, aufheben. Daher rekonstruiert er einerseits die Inkorporierung der objektiven Strukturen im Habitus der Individuen, welcher deren Handlungen hervorbringt und prägt, und andererseits die Reproduktion dieser Strukturen durch ebendieses Handeln (vgl. insbes. Bourdieu 1982).

Dennoch greift Armbrusters Skizze an entscheidenden Stellen zu kurz. Meine Einwände sind dabei sowohl theoretischer als auch empirischer Art. Nimmt man – im Sinne einer theoretischen Kritik aus der Innenperspektive – Bourdieus praxeologische Perspektive ernst, wird ersichtlich, dass Armbruster viel zu eng auf intendiertes ‚Training‘ fokussiert. Er vernachlässigt die unintendierten Sozialisationsprozesse im Feld, durch welche eventuell ein selbstmordattentäterischer Habitus entstehen könnte, fast völlig (1). Dies dürfte damit zusammenhängen, dass er das Feld in seiner Analyse auf das ‚Feld der Hisbollah‘ engführt und derart den Kontext sozialer und politischer Konflikte in der Region aus den Augen verliert. Dieser Kontext aber ist m. E. zentral, wenn man das Entstehen eines desire für Selbstmordattentate ohne ‚Training‘ erklären möchte (2). Allerdings scheint just Armbrusters zumindest implizite These, dass ein solches desire des Attentäters notwendig und hinreichend für Selbstmordanschläge sei, empirisch zweifelhaft (3). Dann aber stellt sich die Frage, wie – und ob überhaupt – mit Bourdieus Sozialtheorie jene Selbstmordanschläge, deren ausführende Person kein entsprechendes desire entwickelt hatte, zu erklären wären.

1 Wie kommt der Selbstmordattentäter zu seinem Habitus? Zur Relation von intendierten und unintendierten Sozialisationsprozessen

Das Konzept des Habitus lenkt den Blick auf in primären und sekundären Sozialisationsprozessen entstehende ‚Tiefenstrukturen‘ von Wissen und Handeln. Sie erlauben, wie Armbruster zeigt, potentiell eine Antwort auf die Frage, wieso überhaupt einem Menschen in einer bestimmten (Meta‑)Situation die Verübung eines (Selbstmord‑)Attentats ernsthaft als reale Handlungsoption erscheint,Footnote 3 und zudem als eine, die nach situativ relevanten Kriterien sinnvoll sowie im Vergleich mit anderen Handlungsmöglichkeiten präferabel ist. Schließlich sind Handlungsmöglichkeiten nicht einfach ‚gegeben‘, sondern müssen zunächst einmal kreativ entwickelt werden,Footnote 4 bevor sie, bedingt durch – je nach sozialtheoretischem Ansatz – Wiederholung, Institutionalisierung und/oder Stützung durch legitimierende Narrative in einem bestimmten sozialen Kontext (mit Bourdieu: ‚Feld‘) als gegebene, ‚natürliche‘ Handlungsmöglichkeiten für bestimmte Situationstypen erscheinen. Ein Ansatz, der dies berücksichtigen kann, geht sowohl über die von Armbruster zu recht kritisierte (rationalistisch) verkürzte individualistische oder organisationale Perspektive auf ‚Motivationen‘ zu (Selbstmord‑)Terrorismus hinaus, als auch über psychologische Analysen, die den Blick auf ‚psychische Auffälligkeiten‘ oder die ‚Persönlichkeitsprofile‘ von Terroristen lenken (vgl. u. a. Horgan 2003), ohne die Frage zu stellen, wie diese entstehen. Ebenso wenig führt er die Handlung in reduktionistischer Weise auf Situationen zurück.Footnote 5

Zentral in Bourdieus Argumentation ist dabei die Betonung der subtilen, den Akteuren selbst verborgenen Genese und Reproduktion des Habitus, sowohl des Habitus an sich als auch seiner jeweils klassen- oder feldspezifischen Ausprägung. Es ist eben gerade keine intendierte ‚Herstellung‘ eines bestimmten Habitus, keine bewusste Rationalität, sondern die unbemerkte Sozialisation durch die verborgene Ökonomie der Praxis und in diese hinein. Sozialisation ist mehr als Training. Es kommt auch nicht darauf an, ein ganz bestimmtes Handeln zu erzeugen, sondern eine Disposition, die es erlaubt, in ganz verschiedenen Situationen auf ganz verschiedene Art und Weise in bestimmter Hinsicht ‚richtig‘ zu handeln.

Armbruster führt seine diesbezügliche Argumentation in mehrfacher Weise zu eng. Erstens hebt er rein auf eine ‚Disposition zum Selbstmordattentat‘ ab, und damit – bei aller Varianz der Umsetzung – auf einen einzigen, sehr konkreten Handlungstyp. Dies ist umso problematischer, als er dabei seinem eigenen empirischen Beispiel nicht gerecht wird. Die Trainingscamps der Hisbollah bilden eben nicht spezifisch Selbstmordattentäter aus. Vielmehr durchlaufen die Rekruten ein militärisches Training (vgl. Blanford 2011, S. 115 ff.), das sie nicht nur auf Anschläge auf die (israelische) Zivilbevölkerung, sondern insbesondere auf eine militärische Auseinandersetzung mit israelischen Sicherheitskräften einerseits und den Milizen anderer libanesischer Parteien andererseits vorbereiten soll. Selbstmordanschläge sind ein Mittel, zu dem die Hisbollah – auch wenn sie es ‚erfunden‘ hat (vgl. Blanford 2011, S. 54; und Aran 2018, S , 1 ff.) – nur sehr selten greift: „Although Hezbollah has always been associated in the public mind with suicide bombings, it conducted only eleven such operations in Lebanon during the years of Israeli occupation between 1982 and 2000“ (Blanford 2011, S. 109).Footnote 6 Hier wäre also zu fragen, wie überhaupt durch ein solches breit angelegtes militärisches Training das ganz spezifische desire für ein Selbstmordattentat entstehen sollte.

Die mit Bourdieu primär relevante Möglichkeit, dass auch ein ‚selbstmordattentäterischer‘ Habitus sich ungesteuert im Feld (das dann jedoch breiter gefasst werden muss – s. unten) entwickeln könnte, erwähnt Armbruster zum anderen lediglich en passant in der Auseinandersetzung mit Gideon Arans Darstellung der Rekrutierung palästinensischer Selbstmordattentäter. Diese sind eben keine Mitglieder der jeweiligen Terrororganisationen und durchlaufen auch kein spezielles Training (vgl. Armbruster 2019). Gerade ein praxeologischer Ansatz müsste viel stärker, als Armbruster es tut, auf die Logik des Feldes abheben, die entsprechende Dispositionen erzeugt – statt intentionalistisch-instrumentalistisch zu fragen, „inwiefern und durch welche Mittel Fatah und Hamas es schaffen, dass Selbstmordattentate ‚a natural option‘ werden“ (ebd.). Daran anschließend wäre zu fragen, in welchem Verhältnis ungesteuerte Prozesse der Sozialisation im Feld zu gezielt-intendierten Trainingsprozessen durch die organisierten Gewaltakteure stehen: sowohl quantitativ auf die Gesamtheit der Selbstmordattentäter gesehenFootnote 7, als auch qualitativ hinsichtlich ihres spezifischen Zusammenwirkens in konkreten empirischen Fällen.

2 Welches Feld? Von der Erfordernis einer Feldanalyse als Konfliktanalyse

Vielleicht ist diese Vernachlässigung darauf zurückzuführen, dass Armbruster als relevantes ‚Feld‘ im Anschluss an Frank Hillebrandt das „soziale Feld Hisbollah“ setzt. Die Organisation der Hisbollah wird derart als Feld konzipiert und zugleich als das für die Analyse des Phänomens entscheidende Feld aufgefasst (wenngleich dieses in einem weiteren Schritt jenseits des Beitrags noch zum Feld der Macht bzw. Politik zu relationieren sei). Dies konfligiert zwar nicht mit Bourdieus Begriffen, verdeckt jedoch das Potential der Feldanalyse für eine Analyse von (Selbstmord‑)Terrorismus. Denn durch diese Fassung kommen bei Armbruster lediglich die Konflikte innerhalb der Hisbollah in den Blick – wobei er sich auf knappe Bemerkungen zu dem Konflikt explizit um die Frage, ob Selbstmordattentate eine sinnvolle und legitime Taktik seien, beschränkt. Dagegen bleiben zum einen weitere, viel grundlegendere Konflikte innerhalb der Hisbollah (gleichviel, ob man diese als Macht- oder Richtungskämpfe fassen mag) außen vor (vgl. u. a. Alagha 2006, insbes. 151 f.). Zum anderen bleibt just der breitere Konfliktkontext, in dem die Hisbollah ein zentraler Akteur ist und in dem sie Selbstmordattentate als Mittel des Konfliktaustrags einsetzt, unberücksichtigt: der komplexe innerlibanesische Konflikt um die Regierungsmacht, der – vereinfacht gesagt – entlang der Linien der Religionszugehörigkeit ausgetragen wird (und in dem externe Akteure, insbesondere der Iran, eine entscheidende Rolle spielen) sowie der Konflikt zwischen der (auch hier erheblich vom Iran unterstützten) Hisbollah und Israel. Beide Konflikte sind in komplexe regionale Konfliktsysteme einerseits zwischen verschiedenen, sowohl staatlichen als auch nichtstaatlichen Akteuren und Israel, und andererseits zwischen Iran und Saudi Arabien als miteinander konkurrierenden Regionalmächten eingebettet. Sprich: just die konfliktsoziologische Analyse, ohne die eine handlungs- und sozialisationstheoretische Analyse politischer Gewalt letztlich ‚im luftleeren Raum‘ schwebt, bleibt außen vor – und dies, obwohl Bourdieus Theorieanlage eine solche nicht nur ermöglicht (vgl. Janning 2008), sondern für ein Thema, das im Kontext eines gesamtgesellschaftlichen Konflikts steht, eigentlich zwingend erfordert.

Dies wird nicht zuletzt an einigen Stellen von Armbrusters eigener Analyse deutlich. So argumentiert er zum einen, dass die habitustransformierende Sekundärsozialisation der Hisbollah am religiösen Habitus der Rekruten ansetze. Jedoch fehlt dafür nicht nur der empirische Beleg, sondern vielmehr wird die grundlegende, nur mit Blick auf den Kontext der politischen Konflikte in der Region erfassbare komplexe Relation von Religion und Politik – die Politisierung von Religion und Konfessionalisierung von Politik – nur kurz angedeutet, um dann doch wieder in der Habitusanalyse auf Religion reduziert zu werden (vgl. Armbruster 2019).

Zum anderen kann derart eine Stärke der Habitus-Konzeption in der Bourdieuschen Theorieanlage nicht genutzt werden, nämlich die Analyse der konfliktbedingten bzw. -bezogenen (unintendierten) Sozialisationsprozesse. Welche Vorstellungen darüber, was und wie ‚die Welt ist‘, welche Wahrnehmungs- und Interpretationsweisen, welche Bewertungsmuster, welche Handlungsroutinen erwerben Menschen, die in einer sozialen Welt aufwachsen und leben, welche von einem so tiefgreifenden, sehr viele soziale Felder und gerade auch das Alltagsleben betreffenden, vielleicht sogar omnipräsenten Konflikt geprägt ist? Und wie verhält sich diese Prägung wiederum zu klassen-(fraktions-)spezifischen Habitūs? Und allgemeiner: Wie relevant sind überhaupt einerseits Klasse und andererseits Religionsgruppe sowie politische Positionierung in Relation zueinander? Entsprechend: Durch welches inkorporierte kulturelle Kapital ist hier Distinktion möglich? Was sind die Mittel in den symbolischen Kämpfen zwischen den verschiedenen sozialen Gruppen – und an welcher Stelle kommt hier manifeste, physische Gewalt ins Spiel?

Nur auf dieser Grundlage könnte mit Bourdieu überhaupt erst verstanden werden, wie im Zuge einer Sozialisation, die sich ganz alltäglich und eben nicht zielgerichtet auf eine bestimmte Handlungsweise hin im Feld des politischen Konflikts vollzieht, ein eventuelles desire, ein Selbstmordattentat zu verüben, entsteht (etwa, um gängige topoi aufzugreifen: aus durch den Konfliktaustrag entstehenden Gefühlen von Rache, Wut oder Ohnmacht).

3 Desire oder Zwang, ‚Hochqualifizierte‘ oder disposables? Zur Notwendigkeit einer typologisch differenzierenden relationalen Soziologie des Selbstmordattentats

Jedoch lässt just das oben erwähnte palästinensische Beispiel, an dem allein Armbruster auf die Bedeutung unintendierter Sozialisationsprozesse im Feld verweist, Zweifel an dessen zentralem Argument, dass Selbstmordattentäter auf der Basis eines (wie auch immer entstandenen) entsprechenden desires handelten, aufkommen. Zwar mögen Selbstmordattentate in dem fraglichen Feld als reale Handlungsoption institutionalisiert sein. Das heißt aber noch lange nicht, dass sie von denen, die sie ausführen, tatsächlich erstrebt werden. Ganz abgesehen davon, dass Armbruster ein solches desire (bzw. allgemeiner eine habituelle Disposition zum Selbstmord) ebenso nur unterstellen kann wie die von ihm kritisierten Rational-Choice-Ansätze ein entsprechendes ‚Motiv‘,Footnote 8 zeigt Aran in detaillierter empirischer Arbeit auf, dass die Attentäter nicht nur aktiv rekrutiert werden müssen, sondern vor allem in der sehr kurzen Zeit – höchstens wenige Tage – zwischen ihrer Rekrutierung und dem Attentat unter andauernder intensiver Kontrolle und Beeinflussung seitens der Gewaltorganisation stehen, um sicherzustellen, dass sie das Attentat tatsächlich ausführen (vgl. Aran 2018, u. a. S. 85 ff.). Sie begehen nur unter der Bedingung (oder: deshalb?) auch tatsächlich ein Selbstmordattentat, dass entsprechend hochqualifizierte Organisationsmitglieder (entrepreneurs bzw. handler und ‚Ingenieure‘, die die Bombengürtel bauen – vgl. Aran 2018 S. 76 ff. und 119 ff.) sie begleiten und unterstützen, falls nicht: anleiten und zwingen. Neben ‚milderen‘ Formen des Zwangs wie etwa der Selbstbindung durch Bekennervideos sowie der ununterbrochenen Begleitung bis kurz vor der Explosion werden auch massiver Druck (vgl. Aran 2018, u. a. S. 34, 91 und 192) sowie – etwa im Fall von durch Boko Haram in Nigeria eingesetzten Frauen und Kindern – teilweise auch Drogen und Täuschungen eingesetzt (vgl. Pearson 2018: 43 ff.Footnote 9).

Ebenso wie die Tatsache, dass gescheiterte Selbstmordattentäter nach Verbüßung ihrer Strafe i. d. R. keinen erneuten Versuch unternehmen und von den israelischen Sicherheitsbehörden nicht als hohes Sicherheitsrisiko eingestuft werden (vgl. Aran 2018, u. a. S. 81 und 88), zeigt dies, dass hier weniger ein desire des gedungenen Attentäters, ein Selbstmordattentat zu begehen, als vielmehr das desire der (in der Organisation hochrangigen und gut von ihr ausgebildeten) entrepreneurs, dass ein solches verübt werden möge, die entscheidende Rolle spielt. Entsprechend ist das von Armbruster unterstellte desire des Attentäters in spe keine notwendige Bedingung für Selbstmordattentate; vielmehr stellen entsprechende ‚Leistungen‘ anderer Funktionsträger in der Organisation in der Interaktion mit den Attentätern funktionale Äquivalente dar. Dies dürfte ein ebenso wichtiger Baustein für die Erklärung dafür, weshalb Selbstmordattentäter in vielen Fällen eben keine eigens trainierten und entsprechend ‚hochqualifizierten‘ Organisationsmitglieder, sondern vielmehr ‚von der Straße weg‘ rekrutierte, organisationsexterne disposables sind (vgl. Aran 2018, u. a. S. 86 f.), sein, wie die Annahme einer unintendierten Sozialisation im Feld.

Dies soll nicht heißen, dass es den von Armbruster präsentierten Typ des überzeugten und eigens durch eine Organisation dafür ausgebildeten Attentäters nicht gäbe – Mohammed Atta und die übrigen Attentäter des 11. September dürften hier geradezu idealtypische Beispiele sein. Es zeigt jedoch, dass die empirische Realität des Selbstmordattentats eine komplexere ist, die zunächst einmal typologisch zu erfassen wäre. Am einen Ende des Spektrums stünde dann der Idealtyp des ‚suicide bomber out of desire‘, am anderen die gezwungene oder getäuschte organisationsexterne Person, die Selbstmordattentate generell moralisch ablehnt. Irgendwo zwischen ihnen befänden sich u. a. Personen wie die islamistischen ‚lone wolves‘ in westlichen Staaten, die ohne ein gezieltes Training, sondern nur durch Einbindung in ein (ggf. ‚virtuelles‘) Feld ein desire für ein Selbstmordattentat entwickeln und dieses mit einfachen, keiner Ausbildung und keiner technisch versierten Unterstützer bedürfenden Mitteln (ein Auto, ein Messer …) umsetzen. Ebenso stünde irgendwo auf diesem (multidimensionalen) Kontinuum der von Aran herausgearbeitete Typ, der Selbstmordattentate prinzipiell für eine legitime Handlungsmöglichkeit hält, dabei aus eigenem Antrieb keines begehen würde, aber es nicht vermag, sich dem entsprechenden – organisatorisch und technisch wohl-unterstützten – Ansinnen zu widersetzen. Es bedürfte also zunächst einer systematischen und breiten, vergleichend angelegten Empirie. Im nächsten Schritt wäre die Frage zu stellen, ob (und wenn ja, wie genau) sich das Handeln der jeweiligen Typen von Attentätern und (auch hier greift Armbrusters Ansatz noch zu kurz) der übrigen in tragender Rolle involvierten Personen sowie die Interaktionen dieser Personen miteinander mit Bourdieu tatsächlich theoretisch fassen und erklären lassen – und zwar in einer Weise, die der Komplexität der Bourdieu’schen Theorieanlage gerecht wird und ihre Vorzüge dadurch voll zu nutzen versteht. Wenn Armbruster dies gelänge, wäre für die Erklärung von Selbstmordattentaten viel gewonnen.