1 Einleitung

Die Forderung, inklusive Praktiken für den Unterricht zu entwickeln, findet sich prominent im Index für Inklusion (Booth et al. 2003). Hierzu stellt sich die Frage, wie und inwiefern die Praktiken konkret in den Unterrichtskulturen umgesetzt werden und wie bei Orchestrierung des Lernens mit den Differenzen der Lernenden umgegangen wird. Im Projekt IGEL‑M widmen wir uns dem Fach Mathematik – ein Fach, das von einem hierarchisch curricularen Aufbau der Inhalte geprägt ist und das für viele Lehrkräfte im inklusiven Unterricht eine besondere Herausforderung für Gemeinsames Lernen darstellt (Korff 2015). In dieser Unterrichtskultur gilt es genau zu untersuchen, wie die fachliche Teilhabe aller Schüler*innen realisiert wird und inwiefern hier Besonderheiten in Bezug auf einzelne Lernende oder Lernendengruppen zu erkennen sind.

2 Didaktische Leitideen des inklusiven Mathematikunterrichts und Forschungsstand

Für die Gestaltung eines inklusiven Mathematikunterrichts haben sich in den letzten Jahren vier Leitideen herauskristallisiert, die auf die Adaption der fachlichen Inhalte an die jeweils individuellen Voraussetzungen und Potenziale der Kinder zielen: (1) Zugänglichkeit zum gemeinsamen Lerngegenstand für alle Kinder, (2) fachliches Lernen auf unterschiedlichen Niveaus, (3) aktives Erkunden inhaltlicher Zusammenhänge und schließlich (4) Initiierung gemeinsamer Lernphasen für alle Kinder mit sozialen Aushandlungsprozessen des Kommunizierens, Darstellens und Argumentierens (Häsel-Weide und Nührenbörger 2017b; Moser Opitz et al. 2018).

Aktuelle Studienergebnisse zum Mathematiklernen im inklusiven Unterricht zeigen, dass Kinder mit unterschiedlichen Kompetenzen ein breites Spektrum an Interaktionsstrukturen in der Zusammenarbeit und an Verantwortung für spezifische fachliche Aushandlungsprozesse zeigen (Hähn 2021; Schöttler 2019; Transchel 2020). Dies reicht vom parallelen, fachlich getrennten Arbeiten bis zum kollaborativen Austausch, in dem gemeinschaftlich mathematische Ideen eingebracht und ausgehandelt werden. Grundlegend für erfolgreich initiierte gemeinsame Lernprozesse sind jeweils substantielle Aufgabenformate, die in den Studien im Sinne der fachdidaktischen Entwicklungsforschung gegenstandsspezifisch für den inklusiven Unterricht (weiter)entwickelt wurden. Diese ermöglichten es den Kindern, sowohl fachlich auf unterschiedlichen Niveaus zu lernen als auch fachlich in den Austausch zu treten, indem die Kinder zur Kommunikation und Kooperation angehalten sowie angeregt wurden.

Effekte auf der Leistungsebene scheinen gleichwohl vor allem vom Vorwissen der Kinder abzuhängen, so dass die Wirksamkeit von Unterrichts- und Förderkonzeptionen auf die Leistung der Kinder in Interventionsstudien schwer nachweisbar ist (Moser Opitz et al. 2018; Pfister et al. 2015). Eine wichtige Rolle nimmt aller Voraussicht nach die Lernbegleitung der Lehrkräfte ein (Korten 2020). In der Studie von Pfister et al. (2015) setzen beispielsweise ein Großteil der untersuchten Lehrkräfte Materialien auf ähnliche Weise ein und verfolgten gleiche Ziele transparent. Dennoch zeigen sich Unterschiede in der spezifischen Art der interaktiven Anregung und in der fachbezogenen kognitiven Aktivierung der Kinder im Unterricht. Diese beeinflussten in wesentlicher Weise die Qualität des Mathematiklernens und weisen auf die Bedeutung spezifischer Praktiken im inklusiven Mathematikunterricht hin.

3 Praktiken im inklusiven Mathematikunterricht

Mathematische Lernprozesse in der Grundschule sind stets in sozial-interaktive Prozesse eingebunden (Steinbring 2005). Mit dem Begriff der „Interaktion“ wird hier auf den von mehreren Personen in wechselseitiger Abhängigkeit erzeugten Prozess der Aushandlung mathematischer Bedeutung hingewiesen (Steinbring 2005). In diesem Sinne können Gespräche im Fachunterricht als „ein soziales Phänomen der kollektiven Bedeutungsgenese“ (Krummheuer und Brandt 2001, S. 15) aufgefasst werden. Die an der Interaktion Beteiligten kommunizieren während der Bearbeitung einer Aufgabenstellung und koordinieren „Sinndeutungen über mathematische Ereignisse“ (Steinbring und Nührenbörger 2010, S. 170). So wird aus den unterschiedlichen Beiträgen das gemeinsame Thema entwickelt (Voigt 1994).

Aus einer praxistheoretischen Grundlegung zeigen sich in interaktiven Lehr- und Lernstrukturen die Fähigkeiten und Fertigkeiten, die einzelne Lernende in der Kreation und Etablierung sozialer Praktiken zum Ausdruck bringen und die ihnen im gemeinsamen Unterrichtsgeschehen zugesprochen und ermöglicht werden (Rabenstein und Reh 2013). Soziale Praktiken sind als wiederkehrende Muster des Handelns und Sprechens zu verstehen, in denen die am Gespräch Beteiligten aufeinander bezogen ein spezifisches unterrichtliches Thema aufgreifen und bearbeiten (Herrle und Dinkelaker 2016; Heller und Morek 2015; Reh et al. 2015; Schatzki 2012). Der Begriff Praktik drückt aus, dass damit situationsübergreifende analytische Einheiten gemeint sind, mit denen aus der Perspektive eines Beobachtenden ergebnisoffene Verknüpfungen von „ways of doing and saying“ identifiziert werden (Hirschauer 2016; Schatzki 2012). „Aktivitäten sind dann einer Praktik zuzurechnen, wenn sie Elemente ihrer Organisation beinhalten, und so ist auch ein Akteur Beteiligter an einer Praxis, wenn er in seinen Aktivitäten der Organisiertheit der Praxis Ausdruck verleiht, an ihr mitwirkt“ (Reh et al. 2015, S. 302).

Praktiken im inklusiven Mathematikunterricht können demnach als gemeinsam hervorgebrachte Deutungen verstanden werden, die in ihrer spezifischen interaktiven Funktion für den gemeinsamen Verständigungsprozess im Unterricht voneinander unterschieden, geordnet und genauer charakterisiert werden können und an denen die Beteiligten gleichermaßen mitwirken wie von ihr in ihren Aktivitäten beeinflusst sind (Herrle und Dinkelaker 2016). Mit Blick auf spezifische pädagogische und fachliche Anliegen können Praktiken nicht allein rekonstruiert, sondern auch aus didaktisch-normativer Perspektive aufgestellt werden.

3.1 Inklusive Praktiken

In der Charakterisierung inklusiver Praktiken kann zwischen normativ-pädagogischen Praktiken, nach denen der inklusive Unterricht gestaltet werden soll, und den tatsächlich rekonstruierbaren Praktiken im Sinne von Hirschauer (2016) unterschieden werden. So wird im Index für Inklusion die Dimension „Entwicklung inklusiver Praktiken” u. a. mit folgenden Aspekten beschrieben: „Der Unterricht wird auf die Vielfalt der SchülerInnen hin geplant“, „Der Unterricht stärkt die Teilhabe aller SchülerInnen“ oder auch „Die Schülerinnen und Schüler lernen gemeinsam“ (Booth et al. 2003). Hingegen zeigen Studien zu rekonstruierten Praktiken des konkreten Unterrichts Differenzen auf zu den Praktiken, die normativ als Leitlinie für inklusiven Unterricht formuliert werden. Beispielsweise werden schulische Strukturen der Zuschreibung zu Bildungsgängen durch Adressierungspraxen im inklusiven Unterricht reproduziert, die Differenzen zwischen den Lernenden hervorheben (Sturm und Wagner-Willi 2015; Sturm 2018). So wird z. B. zwischen Kindern mit und ohne Förderbedarf unterschieden und bestimmten Schüler*innen unterrichtliche Teilhabe nur unter reduzierten und vorübergehend ausgesetzten Anforderungen ermöglicht (Herzmann und Merl 2017). Fritsche (2014) rekonstruiert allerdings auch Praktiken, in denen Schüler*innen mit Beeinträchtigungen als leistungsfähig adressiert werden. Didaktische Settings scheinen demnach auch so gestaltet werden zu können, dass der normative Anspruch an Teilhabe erfüllt wird (s. Kap. 2).

3.2 Mathematische Praktiken

Auf der didaktisch-normativen Seite gehen mathematische Praktiken einher mit den zu erwerbenden Kompetenzen des mathematischen Argumentierens, Darstellens von Sachverhalten, Vermutens, Begründens und Erklärens (KMK 2008). Die Möglichkeit der Ausbildung dieser Kompetenzen hängt hingegen ganz entscheidend von der Gestaltung des Mathematikunterrichts ab – also von den tatsächlich rekonstruierbaren Praktiken.

Mathematische Praktiken fokussieren auf die Art und Weise, wie im Unterricht mit fachgebundenen Fragestellungen umgegangen wird, wie mathematisch argumentiert und wie den Zeichen und Symbolen fachliche Bedeutung zugesprochen werden (Cobb et al. 2001). Im Kern geht es um den spezifischen Umgang mit und den Austausch über mathematische Zeichen und Symbole, der sich im Unterrichtsgespräch ergibt. „Mathematical practices include problem solving, sense making, reasoning, modeling, abstracting, generalizing, and looking for patterns, structure, or regularity“ (Moschkovich 2015, S. 1068). Die Schüler*innen werden im Unterrichtsgeschehen interaktiv in diese Praktiken eingeführt und füllen diese zugleich aktiv aus, so dass letztlich entsprechende Normen für angemessene Beschreibungen und Erklärungen oder Arten und Weisen, wie Probleme gelöst werden sollen, etabliert werden. Dabei können die rekonstruierten Praktiken im Mathematikunterricht differieren, wie Erath (2017) am Beispiel des Erklärens und Tiedemann (2020) am Beispiel des Beschreibens aufzeigen. Dabei zeigte sich beispielsweise in den Analysen von Erath (2017, S. 266), dass sich Erklärpraktiken in unterschiedlichen Klassen mit verschiedenen Lehrkräften, sowohl bezüglich der angesprochenen Erklärgegenstände als auch bezüglich der als passend etablierten Erklärmittel unterscheiden, so dass nicht vom „dem Erklären“ im Unterrichtsfach Mathematik gesprochen werden kann, sondern jeweils die spezifischen Gegenstände (z. B. Konzepte, Darstellungen, Regeln, Vorgehensweisen) im Zusammenspiel mit spezifischen Erklärmittel (z. B. Nennungen, Ausformulierungen, Konkretisierung, Vernetzung, Bewertung) zu betrachten sind. Tiedemann (2020) rekonstruierte hingegen mit Bezug auf das Rechnen am Rechenrahmen drei unterschiedliche Praktiken des Beschreibens, die durch unterschiedliche sprachliche Verdichtungen des Gegenstands gekennzeichnet waren.

3.3 Mathematische Praktiken im inklusiven Unterricht

Inklusive mathematische Praktiken vereinen aus didaktisch-normativer Sicht die Herausforderung, (1) Zugänge zum Fach für alle Lernenden zu ermöglichen und (2) fachliche Diskurse unter den Lernenden anzuregen, so dass sie Gelegenheiten zur Weiterentwicklung inhaltlicher und prozessbezogener Kompetenzen erhalten (Moschkovich 1999). Hierbei kommen zum einen den drei (mathematischen) Repräsentationsebenen (abstrakte Symbole, konkrete Materialien und bildliche Darstellungen) (Bruner 1974) wesentliche Bedeutung zu, denn sie bieten inter- und intramodal vernetzt sowie sprachlich begleitet differenzierte Anregungen zum individuellen mathematischen Verstehen (s. Abb. 1). Zum anderen sind mathematische Inhalte spiralig miteinander vernetzt. Das Spiralprinzip (Bruner 1973, S. 61 f.) weist auf die hierarchische Struktur der Inhalte hin, die miteinander verwoben sind und sich im Laufe der Schuljahre ausweiten. Diese Verbindung bietet eine Grundlage für die Strukturierung eines gemeinsamen Lerngegenstands in einen regulären wie auch weiterführenden oder reduziert-elementaren Lernstoff (Häsel-Weide und Nührenbörger 2017b) und bietet Chancen für fachliche Teilhabeprozesse durch inhaltliche Anker zwischen dem bekannten und dem aktuellen Stoff. Zudem eröffnen sich Optionen für situativ und individuell angemessene Rückmeldungen und damit verbunden für individuell-positives Erleben der Leistungsfähigkeit.

Abb. 1
figure 1

Vernetzung mathematischer Darstellungen

4 Design

4.1 Projektaufbau

Im Projekt IGEL‑M „Inklusive Praktiken in gemeinsamen Lerngelegenheiten im Fach Mathematik“ werden in Anlehnung an die Idee der professionellen Lerngemeinschaften einerseits (Bonsen und Rolff 2006) und im Sinne eines Verständnis von Mathematikdidaktik als Design Science andererseits (Nührenbörger et al. 2016) gemeinsame Lernsituationen zu Zahlen und Operationen für den inklusiven Mathematikunterricht im Team aus Praxis und Forschung geplant und erprobt.

In der vorliegenden Arbeit wird eine Kooperationsklasse über mehrere Grundschuljahre fokussiert in den Blick genommen, wobei pro Schuljahr drei bis fünf arithmetische Lernumgebungen (jeweils zwei Stunden) gemeinsam mit der Lehrkraft geplant und von ihr durchgeführt wurden. Dabei wurden die aus didaktisch-normativer Sicht wesentlichen Praktiken (Ermöglichung an Zugängen zum Fach und Anregung fachlicher Diskurse, s. Abschn. 3.3) bei der gemeinsamen Planung mit einbezogen. Insgesamt liegen 22 Videoaufnahmen des Mathematikunterrichts der beteiligten Lehrerin aus bislang drei Schuljahren vor. Die Unterrichtsstunden wurden vollständig videographiert, alle Stunden enthielten ein Unterrichtsgespräch zum Einstieg, eine Arbeitsphase mit kooperativen Elementen und eine Reflexion. Die Videographien werden im Hinblick auf die inklusiven mathematischen Praktiken in unterschiedlichen Unterrichtssituationen (Klassengespräch, Partner*innenarbeit, Gespräch zwischen Kind(ern) und Lehrkraft) untersucht. In diesem Beitrag konzentrieren wir uns auf die sich in Einstiegsphasen etablierenden inklusiven mathematischen Praktiken bei der Gestaltung, Initiierung und Moderation (1) fachlicher Zugänge zum Gemeinsamen Lerngegenstand und (2) fachlicher Diskurse über den Gemeinsamen Lerngegenstand. Folgende leitende Forschungsfragen werden dazu aufgegriffen:

  • Welche mathematischen Praktiken können in Klassengesprächen in Einstiegsphasen des gemeinsamen Unterrichts rekonstruiert werden?

  • Inwiefern partizipieren die unterschiedlichen Lernenden an den Praktiken und inwieweit können dabei mathematische Lerngelegenheiten rekonstruiert werden?

4.2 Methodische Überlegungen zur Datenauswertung

Die Rekonstruktion der Praktiken erfolgt anhand videographierter Lehr- und Lernsituationen. Diese werden transkribiert und mit Hilfe qualitativ-interpretativer Unterrichtsanalysen über eine kontrastierende Typisierung gewonnen, wobei die darin liegenden Lernchancen unter Einbezug epistemologischer Perspektiven rekonstruiert werden (Krummheuer und Voigt 1991; Steinbring 2005). Dieses Vorgehen berücksichtigt die interaktionale Rahmung der Praktiken und trägt dem Charakter mathematischer Wissenskonstruktionsprozesse in der Grundschule Rechnung. Die Interpretation der Aushandlungsprozesse umfasst eine Abfolge an Schritten: (1) Zu vorab mit Blick auf „Gemeinsame Einführungsphasen“ ausgewählte Videoszenen werden Transkripte erstellt, die (2) in diskursiven Analysen der beteiligten Wissenschaftler*innen per turn-by-turn Analyse paraphrasiert und interpretiert werden. Im Zuge der sich im Diskurs herausstellenden konsensuellen Validierung werden (3) plausible Typisierungen an Praktiken herausgearbeitet. Die im Beitrag an einzelnen Szenen verdeutlichten Praktiken werden (4) komparativ mit anderen Szenen in Verbindung gesetzt und an weiteren Episoden verallgemeinernd geprüft (Beck und Maier 1994).

5 Fallanalysen zur Einführung gemeinsamer Lerngegenstände im inklusiven Mathematikunterricht

Bevor die rekonstruierten Praktiken als Ergebnisse vorgestellt werden, wird zunächst anhand zweier Fallbeispiele ein Einblick in die Unterrichtsgespräche gegeben und das methodische Vorgehen der diskursiven Analyse verdeutlicht, so dass der Weg zur Theorieentwicklung nachvollzogen werden kann. Die Fälle entstammen unterschiedlichen Schuljahren, beinhalten krisenhafte Episoden und stehen exemplarisch für einzelne Praktiken. Sie umfassen jeweils Gesprächssituationen von wenigen Minuten und bilden entsprechend nicht alle Praktiken ab.

5.1 Erkundung der Operation „Halbieren“ im erweiterten Zahlenraum (Klasse 2)

Die Lehrerin erinnert zu Beginn des Klassengesprächs daran (Abb. 1, dass (1) Halbierungsaufgaben aus dem ersten Schuljahr bekannt sind und (2) in der vorherigen Stunde „Verdoppeln“ thematisiert wurde < 1>. Dadurch führt sie explizit das aktuelle Thema als einen allen Kindern vertrauten fortzuführenden Lerngegenstand ein. Sie schafft somit Zugang für die Schüler*innen und nimmt der Begegnung mit dem neuen Lerngegenstand die Ungewissheit. Allerdings impliziert diese Verortung auch die Erwartung, dass alle Kinder diese Anforderungen erfüllen können sollten. Dadurch erhöht sie womöglich Leistungserwartungen für einzelne Kinder, obwohl sie beabsichtigt, diese mit dem Bezug zum vertrauten Lernstoff zu mindern.

Abb. 2
figure 2

Beginn des Klassengesprächs „Halbieren”

Der Gegenstand „Halbieren“ wird mit drei Aufgaben eingeführt, die bereits in Klasse 1 ähnlich angesprochen worden sind. Zudem veranschaulicht die Lehrerin die Anzahlen durch Plättchen und die Halbierung durch die Handlung des Auseinanderschiebens. Diese Verknüpfung der symbolischen und enaktiven Darstellung mathematischer Objekte und Operationen bietet Lernchancen, den Begriff Halbieren zu entwickeln und zu abstrahieren.

Die zu halbierenden Zahlen werden größer, ohne aber den aus dem 1. Schuljahr vertrauten Zahlenraum zu verlassen (4, 8, 10) < 9, 15>. Die konkret veranschaulichten, gemeinsamen Einführungsaktivitäten werden von der Lehrkraft explizit als „leicht“ kategorisiert. Der begriffliche Zugang für alle Lernenden soll offensichtlich durch eine Praktik eröffnet werden, die den Lernenden verdeutlicht, dass der neue Lerngegenstand mit dem bisherigen Wissen verwoben, konkret darstellbar und erfolgreich bearbeitbar ist.

Abb. 3
figure 3

Weiteres Klassengespräch „Halbieren”

Mit der vierten Halbierungsaufgabe (Abb. 3) erfolgt eine inhaltliche Ausweitung auf eine zweistellige Zahl, die komplexer zu bearbeiten ist – dies wird explizit angesprochen („ein bisschen schwieriger“, < 19>). Hierzu veranschaulicht die Lehrkraft die Zahl dekadisch orientiert an der Tafel, so dass abermals der Prozess des Halbierens auf symbolischer Termebene wie auch auf der enaktiven Handlungsebene repräsentiert werden kann. Die operativ zu zerlegende Anzahl wird zunächst zur strukturierten Anzahlerfassung genutzt, d. h. der aktuelle Lerngegenstand wird mit dem Basisstoff verknüpft. Dirk bestimmt die Anzahl korrekt, wird dann von der Lehrerin aufgefordert noch einmal in einem geführten Dialog laut zu zählen, wobei die Anzahl getrennt nach Zehnern und Einern abgefragt wird < 23–29>.

Nach der Bestimmung der Hälfte von 42 durch Beat wird dieser aufgefordert, seinen Lösungsweg inhaltlich zu erläutern < 30–34>. Während die Lehrerin bei den kleineren Anzahlen zu Beginn die Zerlegung in zwei gleich große Mengen selbst demonstriert hat, überträgt sie dies nun auf einen Schüler, der die reguläre Aufgabe des gemeinsamen Lerngegenstands korrekt lösen kann. Dies erlaubt Beat, die mathematische Praktik des Darstellens und Erläuterns auszuführen, analog zur Demonstration der Lehrerin zuvor.

Das Vorgehen produziert eine Differenz zwischen den Möglichkeiten der Partizipation an mathematischen Praktiken, was im Zusammenhang einer Zuschreibung von Leistungsvermögen gesehen werden kann. Kinder, die wie Dirk beim Finden der Lösung auf elementaren Niveau Schwierigkeiten haben, werden möglicherweise seltener zu Praktiken des Argumentierens und Beschreibens aufgefordert, wodurch Lerngelegenheiten zur Ausweitung mathematischer Prozesskompetenzen gemindert werden.

Abschließend korrigiert die Lehrerin noch ein Plättchen innerhalb der Darstellung der zwei Teilmengen und kommentiert dieses Vorgehen damit, dass nun auch „wirklich gleich“ sei < 37>. Auch wenn es aus inhaltlicher Sicht nicht auf die Anordnung der Plättchen beim Halbieren ankommt, erweitert die Lehrerin so die Zugänglichkeit durch eine analoge Darstellung zu den Visualisierungen der Hälfte im kleineren Zahlenraum zuvor.

5.2 Erkundung im erweiterten Zahlenraum (Klasse 3)

Die Lehrerin erinnert zunächst explizit an eine vorherige Fachstunde, in der mit dem Tausenderraum begonnen wurde (Abb. 4). Dazu verbalisiert sie einen eingeführten Oberbegriff („Tausenderraum“), konkretisiert die Vorstellung dazu („ganz viele Dinge zum Zählen … ich kann das nicht zählen“) und die dazugehörigen Tätigkeiten („bündeln“) < 1>. Dadurch weist sie explizit auf fachlich Aspekte hin, die für Aufbau des Stellenwertverständnisses für alle Kinder bedeutsam sind. Zudem schafft sie subjektiv bedeutsame Bezüge für einzelne Schüler*innen, indem sie diese personalisiert und an die erlebte Situation „erinnert“ < 1,3>.

Abb. 4
figure 4

Beginn des Klassengesprächs „Erkundung im erweiterten Zahlenraum”

Im Anschluss präsentiert die Lehrerin – ohne explizite Zuordnung – eine Zahldarstellung aus dem Lernstoff der vorherigen Klassenstufe. Somit reduziert sie die Anforderung an die Interpretation der Zahl für alle, schafft Zugang für mehr Kinder und aktiviert zugleich – im Sinne des Spiralprinzips – inhaltliche Anker. Die gelegte Anzahl wird zunächst mit der strukturierten Anzahlerfassung (Basisstoff) verknüpft und die Schülerin Alina zu einer dekadisch orientierten Interpretation geführt, die ebenfalls auf der Ebene des Basisstoffes anzusiedeln ist.

Auf die nächste von der Lehrkraft gestellte Frage zur Darstellung der Anzahl mit Zahlenkarten, wählt Davina nicht die Zehner- und Einerzahl („30 und 5“), sondern die Zehner- und Einerziffer („3 und 5“). Einzelne Schüler bemerken die nicht konventionelle Darstellung und erheben Einspruch < 17>. Davina spricht eigenständig Finn an, der sie korrigiert, indem er die Lagebeziehung der Zahlen zueinander thematisiert (Zehnerzahl oben, Einerzahl unten; < 18>). An dieser Stelle wird eine Deutungsirritation der Schüler*innen untereinander deutlich: Davina interpretiert die von ihr als Zehnerziffer verwendete „3“ als Symbol für die Anzahl der Zehnerstreifen und korrigiert dementsprechend lediglich die „Anordnung“ der Ziffern untereinander. Ronja spricht hingegen die Bedeutung der Ziffer „3“ an, die sie als Repräsentant für drei Einer deutet < 20>. Die etablierte soziale Praktik des „Einspruchs“ ermöglicht hier ansatzweise einen fachlichen Diskurs unter den Kindern, bei denen mathematischen Praktiken des Erläuterns und Darstellens rekonstruiert werden können. Dabei verbalisieren die Kinder ihre abweichenden Ideen, die in den einführenden Situationen vornehmlich mit Referenz auf Konventionen und Regeln („drei Einer, die dürfen da nicht“) vorgebracht werden.

Davina signalisiert schließlich ihr Einverständnis, indem sie ihre Kartenzuordnung korrigiert, ohne aber ihr „Verständnis“ zu artikulieren. Die Lehrerin, die sich während der Diskussion zurückgehalten hat, weist ihrerseits abschließend auf die Korrektheit des Tafelbildes hin < 26>. Im Anschluss daran erweitert die Lehrerin das Tafelbild, indem sie weitere Zehnerstreifen hinzufügt (insgesamt zwei mal 10 Zehnerstreifen; s. unten). Hierbei spricht sie an, dass 10 Zehnerstreifen als 100 und zwei mal 10 Zehnerstreifen als 200 gelesen werden können. Schließlich erhält Tarek den Auftrag, die Zahlenkarte 200 dem Bild zuzuordnen. Allerdings legt er 200 nicht über, sondern rechts neben die Zahl 30, so dass mehrere Kinder Einspruch anzeigen. Tarek überträgt Marlon das Rederecht.

Abb. 5
figure 5

Weiteres Klassengespräch „Erkundung im erweiterten Zahlenraum”

Marlon beschreibt, wie die Hunderterzahlenkarte in Relation zu den bisherigen Zahlenkarten zu verwenden ist (Abb. 5). Er nimmt exemplarisch Bezug auf die Stellenwerte Zehner und Einer der Zahl 200 und verknüpft diese mit „30“. Die Lehrkraft fordert eine inhaltliche Begründung ein und überträgt Marlon das Erklärrecht. Auch wenn Tarek in dieser Sequenz keine Möglichkeit erhält, sein Verständnis zu präsentieren, wird eine mögliche Interpretation seiner Darstellung von Marlon als Gegenbeispiel aufgegriffen. Dabei wird diese als nicht sinnvoll lesbar interpretiert (30 + 200 ist „irgendwie 32“, < 73>). Marlon weist zudem auf den visuellen Vorteil einer spaltenweisen Anordnung der Stellenwerte hin.

6 Mathematische Praktiken im inklusiven Unterricht – Ergebnisse der Rekonstruktion

Die an den zwei exemplarischen Szenen rekonstruierten Praktiken stehen stellvertretend für die in den Einstiegsphasen analysierten inklusiven mathematischen Praktiken bei der Initiierung und Moderation (1) fachlicher Zugänge zum Gemeinsamen Lerngegenstand und (2) fachlicher Diskurse über den Gemeinsamen Lerngegenstand.

6.1 Initiierung und Moderation fachlicher Zugänge zum Gemeinsamen Lerngegenstand

6.1.1 Repräsentation des Gegenstands durch Auswahl von Aufgabenbeispielen

Die didaktisch-normativ gesetzte inklusive Praktik, einen mathematischen Gegenstand im Unterrichtsgeschehen so einzuführen, dass dieser Zugänge auf unterschiedlichen Niveaustufen zulässt (s. Kap. 3), prägt das Unterrichtsgeschehen insofern, als dass der Gemeinsame Lerngegenstand sich in Aufgabenbeispielen zeigt, die curricular verschiedenen Schuljahren zuzuordnen sind. Die rekonstruierte curriculare Spanne in den Einstiegen umfasst maximal zwei Schuljahre, d. h. der Gemeinsame Lerngegenstand wurde anhand von Aufgaben des aktuellen und des vorhergehenden Schuljahres thematisiert und den Schüler*innen präsentiert. Diese Praktik der Repräsentation des Lerngegenstands durch Auswahl von Aufgabenbeispielen in einer curricularen Spanne etabliert eine Lernkultur, in der verschiedene Kinder in der Einstiegssituation angesprochen werden und sich an unterschiedlichen Stellen im Unterrichtsgespräch aktiv einbringen. Der Gemeinsame Lerngegenstand umfasst somit den das klassenbezogene Schulcurriculum repräsentierenden regulären Lernstoff als auch eine elementare Variante, die dem Schulcurriculum des Vorjahres zuzusprechen ist. Eine Öffnung im Sinne eines Einbezugs curricularer Beispiele aus dem weiterführenden Stoff des nächsten Schuljahres ist in den videographierten Szenen nicht zu rekonstruieren, ebenso wenig wie eine breitere Spanne. Ergänzt wird diese Praktik durch die Aktivität der expliziten Erinnerung an Aufgabenbeispielen aus den vorausgehenden Unterrichtsstunden der aktuellen Unterrichtsreihe. Hierbei werden interaktiv Verbindungen konstruiert zwischen dem regulären Unterrichtstoff mit bereits zuvor thematisierten Inhalten.

Das Aktivitätsbündel der Praktik umfasst zudem die Verknüpfung des Gemeinsamen Lerngegenstands mit Elementen des mathematischen Basisstoffs (Häsel-Weide und Nührenbörger 2017a). Die Lehrkraft baut für einzelne Kinder gezielt inhaltliche Aktivitäten zum Aufbau bzw. zur Weiterentwicklung des Zahlverständnisses, des Stellenwertverständnisses oder des Operationsverständnisses ein (s. Abb. 6).

Abb. 6
figure 6

Rekonstruierte Praktik der Repräsentation des Gegenstands

Damit etabliert die Praktik der Repräsentation des Gegenstands durch Auswahl von Aufgabenbeispielen nicht allein eine Vernetzung von Inhalten aus unterschiedlichen Schuljahren, sondern eröffnet ebenso eine iterative Zugänglichkeit zum Basisstoff.

6.1.2 Präsentation des Gegenstands auf unterschiedlichen Darstellungsebenen

Die didaktisch-normativ gesetzte inklusive Praktik, einen mathematischen Gegenstand auf unterschiedlichen Darstellungsebenen zu präsentieren (s. Kap. 3), prägt das Unterrichtsgeschehen insofern, als dass dies als grundlegende Praktik für alle Schüler*innen und alle Lerngegenstände etabliert wird. Dies drückt sich in den analysierten Szenen durch folgende Aktivitäten aus:

  • Verdeutlichung über bildliche Darstellungen und konkrete Materialien,

  • Vernetzung von mathematischen Symbolen und Sprache sowie von Symbolen und mathematischen Bildern und

  • Verlebendigung der sprachlichen Formulierung über Gesten (z. B. Vor- und Zurückschreiten, Auseinanderschieben, mit der Hand umfahren).

Dabei scheint eine Besonderheit darin zu liegen, dass die Präsentation in den verschiedenen Darstellungsformen unabhängig von der curricularen Zuordnung der Aufgabenbeispiele ist. Dadurch etabliert sich eine Praktik, die den Lerngegenstand darstellungsvernetzt grundsätzlich auf unterschiedlichen Ebenen repräsentiert und miteinander verknüpft (s. Abb. 7).

Abb. 7
figure 7

Rekonstruierte Praktiken der Repräsentation des Gegenstands

6.1.3 Explikation der (Re‑)Präsentation des Gegenstands

Die Praktiken der (Re‑)Präsentation des Gegenstands sind als bewusste Entscheidungen der Lehrkraft zu erkennen. Denn diese werden für die Kinder expliziert und moderiert und zwar in Form von

  • gezielten Aufforderungen zum Erinnern und Erzählen des erlebten Geschehens,

  • Explizierungen der Aufgabenschwierigkeit,

  • Thematisierungen der Aufgaben auf einer anderen Verständnisebene bzw. mit Bezug zum Basisstoff.

6.2 Initiierung und Moderation fachlicher Diskurse über den Gemeinsamen Lerngegenstand

Mathematische Unterrichtseinstiege haben aus fachlicher Sicht das Ziel, Lernaufgaben kurz und verständlich zu präsentieren und auszuführende Tätigkeiten, Ziele und Erwartungen zu klären (Hirt und Wälti 2008). In den analysierten Szenen wird dieser Fokus um besondere Praktiken der Initiierung und Gestaltung mathematischer Diskurse erweitert.

6.2.1 Explizite Initiierung mathematischer Diskurse

Die Gespräche werden von der Lehrkraft selbst durch Aufrufen einzelner Schüler*innen im Zusammenhang mit explizit formulierten Fragen und Impulsen initiiert. Daraus eröffnen sich situativ Partizipationsoptionen für Kinder mit unterschiedlichen Kompetenzen in unterschiedlichen Momenten an unterschiedlichen Repräsentationen des Gegenstands. Zugleich wahrt die Lehrkraft die Kontrolle, wer wann am Unterricht aktiv teilhaben kann (Voigt 1994). Dies birgt die Gefahr, dass die Differenzen manifestiert werden, indem sich bestimmte Lernende immer nur zu gewissen Aspekten des Lerngegenstands äußern dürfen (Gellert 2013).

6.2.2 Explizite Gestaltung mathematischer Diskurse

Die Lehrkraft gestaltet den Diskurs, indem sie zum einen Schüler*innen – insbesondere im Kontext der wiederholenden Erörterung des reduzierten Lerngegenstands – zum produktorientierten Benennen von (Teil)Lösungen in einem eher kleinschrittigen, stofflich fokussierten Frage-Antwort-Gespräch auffordert. Zum anderen werden explizit alle Lernenden prozessorientiert zum Beschreiben, Darstellen und Erklären ihrer Lösungswege und Vorstellungen angeregt (z. B. „Wir brauchen doch immer Begründungen“). Diese Praktik der doppelten Diskursmoderation im inklusiven Mathematikunterricht scheint auf zwei unterschiedlich ausgerichteten Ebenen zu liegen: Einerseits wird der Diskurs verdichtet, auf von der Lehrkraft als bedeutsam für alle Lernenden erachtete mathematische Produkte, andererseits wird der Diskurs geöffnet für mathematische Prozesse. Dadurch wird womöglich sichergestellt, dass alle Schüler*innen fachlich und sozial am inhaltlichen Lerngegenstand teilhaben und zugleich Unterstützung, Anregung und Begleitung bei der individuellen Ausbildung mathematischer Prozesskompetenzen erhalten.

6.2.3 Beteiligung am mathematischen Diskurs

Im Gegensatz zu den von Tiedemann (2020) rekonstruierten direktiven Praktiken des Beschreibens im Förderunterricht scheinen sich in den einführenden Phasen des inklusiven Mathematikunterrichts vielmehr Diskurse zu etablieren, die von einer Offenheit in der Aushandlung geprägt sind: Beispielsweise nutzen die Schüler*innen subjektive Interpretationen konkreter Handlungen und Darstellungen, die nicht der Konvention entsprechen, als Anlass zum Diskurs über die Darstellung mathematischer Objekte und Operationen. Hierbei konnte insbesondere die Praktik des „Einspruchs“ rekonstruiert werden, die von den Kindern selbst moderiert wurde. Diese inklusive Praktik zielt auf die Übernahme von Verantwortung für den gemeinsamen Lernprozess und beinhaltet die fachliche Chance, alternative Deutungen vorzunehmen oder Fehler aufzugreifen und zu erklären. Letzteres scheint vor allem den Lernenden vorbehalten zu sein, die als leistungsstärkere Schüler*innen das Rede- und Erklärrecht ergreifen.

7 Diskussion

Die rekonstruierten Praktiken der Initiierung und Moderation fachlicher Zugänge und Diskurse im Zuge der Einführung eines Gemeinsamen Lerngegenstand im inklusiven Mathematikunterricht der Grundschule sind Ergebnisse qualitativ-interpretativer, epistemologisch ausgerichteter Analysen. Im Kern zeigt sich, dass normativ-pädagogische und fachdidaktische Praktiken der Gestaltung inklusiven Mathematikunterrichts zwar einen Rahmen (z. B. Spiralprinzip und Darstellungsvernetzung) für gezielt von der Lehrkraft in der Praxis initiierten Praktiken darstellen, diese allerdings mit den Schüler*innen auf unterschiedliche Weise umgesetzt werden.

Zugänglichkeit wird realisiert, indem die Lehrkraft den regulären Gegenstand explizit mit bereits zuvor thematisierten Inhalten und dem Basisstoff verknüpft. Hierzu reduziert sie anfangs den Zugang auf die Verankerung, was den strukturellen Kern des Gegenstands auf einem geringeren Komplexitätsgrad für ausgewählte Schüler*innen verdeutlichen kann. Zugleich erweitert sie den Gegenstand für diese Schüler*innen, indem sie den regulären Gegenstand zur Vertiefung und Sicherung des Basisstoffs nutzt. Parallel dazu wird der reduzierte Gegenstand für analoge Bezüge zum regulären Gegenstand geöffnet, was inhaltliche Herausforderungen für alle Schüler*innen bietet. Die Lehrkraft sichert interaktional den Zugang und den Diskurs zum Gegenstand anhand spezifischer Aufgabenstellungen, die mit den Schüler*innen einleitend in einem eher produktorientierten, eng geführten Frage-Antwort-Diskurs bearbeitet werden. Daneben wird der Diskurs auch geöffnet, indem Lernende die Möglichkeit erhalten, inhaltliche Deutungen argumentativ zu belegen und anhand unterschiedlich komplexer und vernetzter Darstellungen zu (re-)präsentieren.

Die inklusiven mathematischen Praktiken bewegen sich somit im Spannungsfeld zwischen vielschichtig-strukturellen Erkundungen und diskursiven Erörterungen einerseits sowie verdichtet-fokussierten Bearbeitungen und Rückmeldungen mit Blick auf einzelne Schüler*innen andererseits. Daraus ergeben sich Lernchancen für alle Schüler*innen. Sie können den gemeinsamen Gegenstand einordnen und verankern, indem sie erinnert werden, dass der Lerngegenstand bereits behandelt worden ist. Zugleich besteht jedoch die Gefahr, dass sich durch die Markierung des Aufgabenniveaus eine Zuschreibung des Leistungsvermögens vollzieht und sich wahrgenommene Differenzen zwischen den Schüler*innen weiter manifestieren (Herzmann und Merl 2017; Gellert 2013; Sturm 2018). Es gilt zukünftig zu diskutieren, inwiefern die Ergebnisse fachspezifisch oder auch fachunabhängig sind und auf andere Fächer transferierbar sind.