1 Einleitung

Zahlreiche empirische Befunde belegen den Einfluss der Sprache auf die Mathematikleistung in der Grundschule und in der Sekundarstufe I (vgl. z. B. Prediger et al. 2015; Ufer et al. 2013). Dabei zeigt sich, dass die Kompetenz in der Unterrichtssprache Deutsch einen noch stärkeren Zusammenhang zur Mathematikleistung aufweist als z. B. ein Migrationshintergrund oder der sozioökonomische Status der Herkunftsfamilie (vgl. Prediger et al. 2015) und dass dieser Zusammenhang für die konzeptuell-inhaltliche Facette der Mathematikleistung besonders stark ausgeprägt ist (vgl. Ufer et al. 2013). In den Erklärungen dieser Forschungsergebnisse finden sich häufig Hinweise darauf, dass die Sprache keinesfalls erst in den Leistungssituationen, also z. B. beim Lesen von Testaufgaben, sondern ganz wesentlich schon bei der Bedeutungskonstruktion in Lernsituationen relevant ist (vgl. z. B. Prediger et al. 2015, S. 100). Dahingehend wird angenommen, dass die Sprache sowohl eine kognitive als auch eine kommunikative Funktion erfüllt (vgl. Maier und Schweiger 1999, S. 18 f.): Sie kann ein nützliches Werkzeug für das individuelle Entwickeln, Ordnen und begriffliche Verdichten von Gedanken sein, aber auch für die notwendige soziale Verständigung mit anderen. Für das Mathematiklernen in der Grundschule spezifizieren Heinze et al. (2007, S. 576) diesbezüglich, dass der Interaktion mit anderen insbesondere bei der „Internalisierung von Operationen und der Ausbildung von mentalen Repräsentationen“ eine besondere Bedeutung zukomme.

An diese Befunde knüpft die hier vorgestellte Studie zum mündlichen Beschreiben von Materialhandlungen in Lernsituationen an. Im Hinblick auf die Arbeit mit konkret-gegenständlichen Materialien wird in der mathematikdidaktischen Diskussion häufig erwähnt, dass ein Beschreiben von Materialhandlungen die Konstruktion mentaler Repräsentationen unterstütze (vgl. z. B. Lorenz 1998, S. 186; Scherer und Moser Opitz 2010, S. 86; Schipper 2009, S. 291). Wie derartige Beschreibungen in Lernsituationen realisiert werden, wurde bisher kaum untersucht und daher auch wenig reflektiert (vgl. Tiedemann und Rottmann 2019). Zur Bearbeitung dieses Forschungsdesiderats wurden in der hier vorgestellten Studie Interaktionsprozesse analysiert, in denen mit Kindern, die besondere Schwierigkeiten beim Rechnenlernen haben, in universitären Fördersituationen das Teilschrittverfahren für den Aufgabentyp ZE +EFootnote 1 mit Zehnerüberschreitung gezielt erarbeitet wird. Anhand dieses Beispiels wurde qualitativ-interpretativ untersucht, welche Praktiken des Beschreibens bei der interaktionalen Erarbeitung des Teilschrittverfahrens genutzt werden (können). Die Studie zielt damit ausdrücklich nicht auf eine Einschätzung der Wirksamkeit der Förderung, sondern auf die (funktionale) Charakterisierung der Beschreibungen, die in diesem spezifischen Zusammenhang produziert werden.

Im Beitrag wird zunächst der theoretische Hintergrund dargestellt: Aus fachlicher Perspektive geht es um die Erarbeitung des Teilschrittverfahrens im Zahlenraum bis 100 (Abschn. 2), aus sprachlicher Perspektive um das Beschreiben (Abschn. 3). In Bezug auf diesen theoretischen Hintergrund wird das methodische Vorgehen geschildert (Abschn. 4), bevor dann die Ergebnisse anhand von Analysebeispielen präsentiert werden (Abschn. 5). Der Beitrag schließt mit einer Diskussion (Abschn. 6).

2 Fachliche Perspektive: Erarbeitung des Teilschrittverfahrens

In diesem Abschnitt wird die fachliche Perspektive entwickelt: Erstens wird der Forschungsstand zum Teilschrittverfahren im Zahlenraum bis 100 skizziert (Abschn. 2.1). Zweitens wird der konzeptionelle Rahmen der Förderarbeit, in deren Zusammenhang die hier analysierten Daten entstanden sind, dargestellt (Abschn. 2.2). Drittens steht mit Dörflers (1988, 1986) Ansatz der Interpunktion jener Ansatz im Mittelpunkt, der herangezogen wird, um die interaktionale Erarbeitung des Teilschrittverfahrens in den Fördersituationen zu analysieren (Abschn. 2.3).

2.1 Zum Teilschrittverfahren im Zahlenraum bis 100

Das Teilschrittverfahren (auch als „schrittweises Rechnen“ oder „Zehnerstopp“, im Englischen als „jump strategy“ oder „N10 strategy“ bezeichnet, vgl. z. B. Hickendorff et al. 2019; Krauthausen 2018) ist eine sequenzielle Strategie zur Lösung von Additions- und Subtraktionsaufgaben mit Zehnerüberschreitung. Dabei bleibt die erste Zahl unverändert und die zweite Zahl wird so zerlegt und in Teilschritten addiert bzw. subtrahiert, dass Eigenschaften des dezimalen Stellenwertsystems als Rechenvorteile ausgenutzt werden können (vgl. z. B. Torbeyns et al. 2009, S. 582; Van de Walle 2010, S. 219). Löst man die hier betrachteten Aufgaben des Typs ZE +E mit dem Teilschrittverfahren, so bleibt der erste Summand unverändert und der zweite wird so zerlegt, dass man im ersten Schritt bis zum nächsten vollen Zehner rechnet und im zweiten Schritt eine Zahl kleiner als zehn zu diesem vollen Zehner addiert. Die Aufgabe 36 +6 löst man folglich über die beiden Teilaufgaben 36 + 4 = 40 und 40 + 2 = 42. Dabei ist die letzte Teilaufgabe (zumindest aus Expertensicht) eine besonders leichte Aufgabe, wobei Gaidoschik (2010, S. 55) darauf hinweist, dass dieser Rechenvorteil, der auf der besonderen Rolle des vollen Zehners im dezimalen Stellenwertsystem beruht, durch die unregelmäßige Zahlwortbildung im Deutschen „verdunkelt“ werde. Konzeptionell wird das Teilschrittverfahren aufgrund der Sequenzialität des Vorgehens mit einer ordinal geprägten Zahlvorstellung in Verbindung gebracht (vgl. z. B. Beishuizen 1993, S. 319; Benz 2005, S. 66). Es ist unabhängig vom Aufgabenmaterial nutzbar und gilt insbesondere in den Niederlanden, in Belgien und im deutschsprachigen Raum als weit verbreitet (vgl. z. B. Beishuizen 1993, S. 297; Gaidoschik 2010, S. 136; Torbeyns et al. 2009, S. 583). Gleichwohl wird es in der mathematikdidaktischen Literatur kontrovers diskutiert. Während einige Forscher auf seine hohen prozeduralen und konzeptuellen Anforderungen als einen Nachteil hinweisen (vgl. z. B. Gaidoschik 2010, S. 136 f.; Krauthausen 2018, S. 63 f.), heben andere den Vorteil seiner universellen Nutzbarkeit hervor (vgl. z. B. Beishuizen 1993, S. 297; Schipper et al. 2015, S. 79).

Empirisch gibt es kaum spezifische Studien zu dem Aufgabentyp ZE ±E und damit zur Nutzung des Teilschrittverfahrens im Zahlenraum bis 100 (vgl. Hickendorff et al. 2019, S. 556). Zumeist wird das Teilschrittverfahren für diesen Zahlenraum mit Blick auf den umfassenderen Aufgabentyp ZE ± ZE als eine Variante des schrittweisen Rechnens thematisiert. Dabei kann der zweite Summand bzw. der Subtrahend allerdings unterschiedlich zerlegt werden (vgl. z. B. Benz 2005, S. 62). Eine Aufgabe des Typs ZE ±E entsteht dann, wenn die zweite Zahl in Stellenwerte zerlegt wird, wenn also z. B. die Aufgabe 38 + 16 über die beiden Teilaufgaben 38 + 10 = 48 und 48 + 2 + 4 = 54 gelöst wird. Beishuizen (1993, S. 295) und Heirdsfield (2002, S. 191), die genau diese Zerlegung der zweiten Zahl fokussieren, zeigen für den Aufgabentyp ZE ± ZE, dass das Teilschrittverfahren im Vergleich zu anderen Rechenstrategien besonders häufig zu korrekten Ergebnissen führt – auch und gerade bei schwachen Rechnern (vgl. Beishuizen 1993, S. 311). Gleichwohl stellen sie auch heraus, dass das Teilschrittverfahren eher selten genutzt wird – ebenfalls auch und gerade von den schwachen Rechnern (vgl. ebenda). Torbeyns et al. (2009) finden diese Unterschiede zwischen verschiedenen Leistungsgruppen nicht. Sie zeigen in einer Studie zur flexiblen Strategienutzung im Zahlenraum bis 100, dass alle Leistungsgruppen die beiden fokussierten Strategien des Teilschrittverfahrens (ebenfalls mit der Zerlegung der zweiten Zahl in Stellenwerte) und der Kompensationsstrategie gleichermaßen erfolgreich anwenden – allerdings ohne die erwartete Orientierung am jeweils spezifischen Zahlenmaterial und (weitgehend) ohne Orientierung an den eigenen Fähigkeiten, die beiden Strategien korrekt und schnell anzuwenden (vgl. ebenda, S. 587 f.). Diese Ergebnisse für den Zahlenraum bis 100 werden von Benz (2007, 2005) ergänzt. Sie arbeitet heraus, dass im Vergleich zum Zahlenraum bis 20 im Zahlenraum bis 100 in allen Leistungsgruppen eine deutliche Reduktion der Strategievielfalt stattfindet. Das schrittweise Rechnen bleibt ihr zufolge Teil der reduzierten Strategieauswahl und wird am Ende des zweiten Schuljahres v. a. bei Additionsaufgaben mit Zehnerüberschreitung zwar eher selten, aber am häufigsten korrekt genutzt – insbesondere, wenn die Aufgaben im Kopf gelöst werden (vgl. Benz 2007, S. 67, 2005, S. 223 f.).

Die Befunde zur Nutzung des Teilschrittverfahrens im Zahlenraum bis 100 dokumentieren insgesamt also – und das durchaus in Übereinstimmung mit Befunden zum Zahlenraum bis 20 (vgl. z. B. Gaidoschik 2010; Verschaffel et al. 2007a) – eher hohe Erfolgsquoten bei gleichzeitig eher niedrigen Nutzungsquoten. Dabei kann als belegt gelten, dass die Anforderungen des Teilschrittverfahrens zumindest prinzipiell auch von schwachen Rechnern bewältigt werden können (vgl. Beishuizen 1993; Torbeyns et al. 2009). Es sind die hohen Erfolgsquoten, die das universell nutzbare Teilschrittverfahren für die Förderung von Kindern mit besonderen Schwierigkeiten beim Rechnenlernen interessant machen.

Inwiefern es dabei oder darauf aufbauend gelingen kann, eine flexible Nutzung des Teilschrittverfahrens zu erreichen, ist eine weiterführende Frage, die mit Blick auf schwache Rechner kontrovers diskutiert wird, hier jedoch nicht Gegenstand der Betrachtung sein soll (vgl. dazu Hickendorff et al. 2019; Peltenburg et al. 2011; Rathgeb-Schnierer und Rechtsteiner 2018; Torbeyns et al. 2009; Verschaffel et al. 2007b). Was sich an den Studien zu einer flexiblen Strategienutzung gleichwohl zeigt, ist, dass Kinder mit besonderen Schwierigkeiten beim Rechnenlernen z. T. erhebliche Schwierigkeiten haben, überhaupt Rechenstrategien zu entwickeln. So gibt es Hinweise darauf, dass ihnen teilweise die inhaltlichen Voraussetzungen im Bereich des Zahl- oder Operationsverständnisses fehlen, um Strategie entwickeln zu können, und eine geringere Arbeitsgedächtniskapazität ihnen außerdem ein Wechseln zwischen mehreren Rechenstrategien erschwert (vgl. Verschaffel et al. 2007a, 2007b). Vor diesem Hintergrund ist die Erarbeitung des universell nutzbaren Teilschrittverfahrens im Zahlenraum bis 100 prinzipiell mit unterschiedlichen Zielsetzungen vorstellbar: Es kann als vorrangige Strategie für den Aufgabentyp ZE ±E erarbeitet werden, aber auch als eine unter beliebig vielen weiteren Strategien. In beiden Fällen sollte das Ziel der interaktionalen Erarbeitung sein, dass die Kinder das Charakteristische des Teilschrittverfahrens erkennen, sodass sie es in der Folge tatsächlich universell, nämlich bei beliebigem Zahlenmaterial nutzen können.

2.2 Konzeptioneller Rahmen der Förderarbeit

Inwiefern Beschreibungen genutzt werden, um das Charakteristische des Teilschrittverfahrens herauszuarbeiten, wird nachfolgend exemplarisch an Interaktionsdaten aus der Förderarbeit in der Beratungsstelle für Kinder mit Rechenschwierigkeiten am Institut für Didaktik der Mathematik der Universität Bielefeld untersucht (vgl. dazu Rottmann 2015). In diesem Zusammenhang wird für den Aufgabentyp ZE ± E das Teilschrittverfahren als vorrangige Strategie erarbeitet. Dabei wird gewöhnlich mit Additionsaufgaben begonnen, sodass die Daten es ermöglichen, unterschiedliche Beschreibungen zu einer Strategie und einem Aufgabentyp (ZE +E) vergleichend zu untersuchen (vgl. Abschn. 5). Nachfolgend wird der konzeptionelle Rahmen der Förderarbeit grob skizziert, um offenzulegen, wie die interaktionale Erarbeitung des Teilschrittverfahrens über einzelne Szenen hinaus in einen größeren Interaktionszusammenhang einzuordnen ist. Die genaue Datengrundlage wird dann mit Blick auf das methodische Vorgehen geschildert (vgl. Abschn. 4.1).

2.2.1 ZE ± E als Aufgabentyp

Ziel der Förderarbeit in der Beratungsstelle für Kinder mit Rechenschwierigkeiten ist es, dass die Kinder Aufgaben des Typs ZE ± ZE schrittweise im Kopf lösen, wobei der zweite Summand bzw. der Subtrahend gewöhnlich in Stellenwerte zerlegt wird (vgl. Abschn. 2.1). Die darauf ausgerichtete Förderarbeit beginnt mit der Thematisierung der Zahlzerlegungen: Als inhaltliche Voraussetzung für die Erarbeitung des Teilschrittverfahrens wird die flexible Zerlegung aller Zahlen bis 10 erarbeitet und geübt (vgl. Schipper 2009; Steinbring 1994). Sie werden als „Zahlenfreunde“ bezeichnet und vor allem als Kardinalzahlen in den Blick genommen. Als Veranschaulichungsmittel dienen dabei z. B. Finger, Plättchen und Punktebilder (vgl. Schulz 2014, S. 139 f.; Rottmann 2015, S. 81).

Auf dieser Grundlage wird dann das hier fokussierte Teilschrittverfahren für den Aufgabentyp ZE ±E am Hunderter-Rechenrahmen erarbeitet (vgl. auch Abschn. 2.2.2). Die Erarbeitung beginnt gewöhnlich mit Additionsaufgaben und wird in mehrere Schritte unterteilt (vgl. Wartha und Schulz 2012, S. 63 ff.): So handelt das Kind zunächst selbst am Rechenrahmen und wird dazu aufgefordert, sein Materialhandeln zu beschreiben (vgl. auch Schipper 2009, S. 113). Im Weiteren handelt das Kind dann nicht mehr selbst, sondern diktiert der oder dem Studierenden, was sie oder er am Rechenrahmen tun soll. Dabei hat das Kind zunächst noch Sicht auf das Material, später wird ein Sichtschutz zwischen dem Kind und dem Rechenrahmen positioniert. Schließlich wird das konkret-gegenständliche Material gar nicht mehr genutzt; das Kind handelt (nur noch) gedanklich am Rechenrahmen und beschreibt sein mentales Handeln. Diese Form der Erarbeitung ist in besonderer Weise auf die Sprache als einen Bedeutungsträger angewiesen. Während sich das Beschreiben zunächst auf konkret ausgeführte Handlungen am Rechenrahmen bezieht, wird es in der weiteren Interaktion zunehmend zu einem Vertreter der Handlungen (vgl. Scherer und Moser Opitz 2010, S. 86). Dazu formuliert Aebli (1971, S. 106), dass Lehrende und Lernende sich auf allen Stufen des Verinnerlichungsprozesses verständigen müssen, damit die verwendeten (sprachlichen) Zeichen mit ihrer konkreten Bedeutung verbunden werden und sich so „mit der Bedeutung aufladen, welche sie in der Folge selbständig erregen sollen“. Mit dem Aufgabentyp ZE +E wird in diesem Beitrag also jener Aufgabentyp fokussiert, für den in der Förderarbeit als erstes eine Rechenstrategie erarbeitet wird und für den daher auch als erstes das Beschreiben von Materialhandlungen zur interaktionalen Erarbeitung einer Strategie genutzt wird (vgl. Abschn. 4.2).

Mit vergleichbaren Schritten wie beim Aufgabentyp ZE ±E wird dann auch die Erarbeitung des Aufgabentyps ZE ±Z gestaltet, für die allerdings das Material gewechselt wird. Es werden nun Mehrsystemblöcke verwendet, da an ihnen besonders deutlich werden kann, dass die Einer unverändert bleiben, wenn im dezimalen Stellenwertsystem volle Zehner addiert oder subtrahiert werden. Wenn die beiden Aufgabentypen ZE ±E und ZE ±Z schließlich sicher beherrscht werden, wird der Aufgabentyp ZE ±ZE thematisiert. Dafür wird kein (gesondertes) Material mehr verwendet, sondern der zweite Summand bzw. der Subtrahend wird in seine Stellenwerte zerlegt und die zwei vertrauten Teilaufgaben ZE ±Z und ZE ±E werden nacheinander im Kopf gelöst. Dabei wird bei Bedarf sprachlich auf das jeweils passende Material Bezug genommen: Wie würdest du diese Aufgabe am Rechenrahmen lösen? Wie würdest du diese Aufgabe mit den Blöcken lösen?

2.2.2 Hunderter-Rechenrahmen als Material

Bei dem Hunderter-Rechenrahmen, der zur Erarbeitung des Teilschrittverfahrens genutzt wird, wechselt auf jeder Stange nach fünf Kugeln und zusätzlich nach 50 Kugeln die Farbe (vgl. Abb. 1). Für die Förderung insgesamt ist es wichtig, dass Zahlen an diesem Material als Anzahlen dargestellt werden, was die Förderung eines kardinalen Zahlverständnisses aus der Erarbeitung der Zahlzerlegungen aufgreift und fortführt (vgl. Abschn. 2.2.1). Zudem erlaubt der Hunderter-Rechenrahmen aufgrund seiner Strukturiertheit auch im Zahlenraum bis 100 eine quasi-simultane Zahlauffassung. Mit Blick auf die Erarbeitung des Teilschrittverfahrens ist aber das wichtigste Argument für den Rechenrahmen, dass er Handlungen ermöglicht, die strukturell mit dem Teilschrittverfahren übereinstimmen (vgl. Rottmann 2015, S. 82 f.; Schipper et al. 2015, S. 79). Diese können wie folgt aussehen: In der Ausgangsstellung, die die Zahl Null darstellt, sind alle Kugeln auf der rechten Seite. Zahlen werden dann mit möglichst wenigen „Fingerstreichen“ oben links eingestellt und zwar so, dass immer zunächst eine Stange aufgefüllt wird, bevor eine weitere genutzt wird. Am Beispiel: Für die Aufgabe 36 + 6 stellt man den ersten Summanden ein, indem man auf den ersten drei Stangen je zehn Kugeln und auf der vierten Stange sechs Kugeln von rechts nach links schiebt (vgl. Abb. 1). Dann fügt man den zweiten Summanden in zwei Schritten hinzu: zuerst auf der vierten Stange die übrigen vier Kugeln und dann auf der fünften Stange weitere zwei Kugeln. So ist schließlich die 42 als Summe oben links am Rechenrahmen abzulesen. Diese Variante der Materialhandlung wird im Weiteren als intendiert bezeichnet, um zu verdeutlichen, dass sie für die Erarbeitung des Teilschrittverfahrens vorgesehen ist, von den Kindern aber keinesfalls auch immer so ausgeführt werden muss.

Abb. 1
figure 1

Hunderter-Rechenrahmen, eingestellte Zahl: 36

2.3 Ansatz der Interpunktion

Das Ziel der Arbeit mit dem Rechenrahmen ist die Konstruktion einer mentalen Repräsentation zur Strategie des Teilschrittverfahrens (vgl. z. B. Wartha und Schulz 2012, S. 36 ff.). So soll aufseiten der Lernenden aus dem Handeln am konkret-gegenständlichen Material ein gedankliches Handeln werden (vgl. Aebli 1980; Lorenz 1998). Im Hinblick auf die dafür notwendige Verinnerlichung wird mitunter angemerkt, dass nicht geklärt sei, wie genau dieser Prozess von einer konkreten Handlung hin zu einer mentalen Repräsentation ablaufe (vgl. Aebli 1980, S. 209; Lorenz 1998, S. 43; Schulz 2014, S. 55). Dörfler (1986, S. 14) setzt dem entgegen, dass er zumindest den „wesentliche[n, KT] Aspekt der Verinnerlichung“ identifiziert habe: Prozesse der Aufmerksamkeitsfokussierung (vgl. dazu auch Aebli 1980; Lorenz 1998; Söbbeke 2005). Er beschreibt sie in seinem Ansatz der Interpunktion, wonach zwei Schritte der Aufmerksamkeitsfokussierung zu unterscheiden sind (Dörfler 1988, 1986).

Im ersten Schritt wird die Aufmerksamkeit auf „gewisse Zwischenstadien, Abschnitte im an sich stetigen Verlauf der Handlung“ fokussiert (Dörfler 1988, S. 105). Auf diese Weise wird die Handlung in relevante Abschnitte unterteilt und durch die gesetzten Punkte der Aufmerksamkeit gleichsam strukturiert (vgl. ebenda, S. 71). Dörfler (ebenda, S. 106) spricht davon, dass die Handlung „interpunktiert“ werde, und merkt an, dass die Punkte der Aufmerksamkeit keinesfalls naheliegend oder durch die konkrete Handlung vorstrukturiert sein müssten. Sie würden vielmehr in einem Akt der Aufmerksamkeitsfokussierung kognitiv-konstruierend aus dem Fluss der konkreten Handlung herausgehoben oder „herausgeschnitten“ (Dörfler 1986, S. 10). Dabei betont Dörfler (1988, S. 67), dass eine solche Aufmerksamkeitsfokussierung der gezielten „Steuerung von außen (durch Material und Lehrer)“ bedürfe (vgl. dazu auch Krauthausen 2018; Lorenz 1998; Schulz 2014). Sind die Punkte der Aufmerksamkeit konstruiert, werden sie mit den entsprechenden mathematischen Objekten, also z. B. mit natürlichen Zahlen, assoziiert (vgl. Dörfler 1988, S. 106). In der hier betrachteten Erarbeitung des Teilschrittverfahrens für den Aufgabentyp ZE +E müssten in diesem ersten Schritt folglich die Zwischenstadien für den ersten Summanden, den vollen Zehner und die Summe als Punkte der Aufmerksamkeit aus der Handlung am Rechenrahmen herausgehoben und mit den entsprechenden natürlichen Zahlen assoziiert werden (vgl. Abschn. 2.2.2).

In einem zweiten Schritt wandert Dörfler (1988, S. 106) zufolge dann die Aufmerksamkeit. Sie ist nun nicht länger auf einzelne Punkte im Fluss der Handlung fokussiert, sondern auf deren „Zusammenhang im Verlauf der Handlung“ (ebenda). Alle Prozesse und Zustände zwischen den Punkten der Aufmerksamkeit werden dabei übersprungen (Dörfler 1986, S. 11). Das „Wandern“ der Aufmerksamkeit verändert ihre Inhalte und ist der Ausgangspunkt für die mentale Konstruktion von Beziehungen zwischen den Punkten der Aufmerksamkeit und damit auch zwischen den mit ihnen assoziierten mathematischen Objekten. Demgemäß können mathematische Objekte und Operationen nach Dörfler (1988, S. 111) als „eine durch Handlungen konstituierte oder induzierte Beziehung zwischen mathematischen Objekten“ verstanden werden. So kann das Teilschrittverfahren als ein In-Beziehung-Setzen des ersten Summanden, des vollen Zehners und der Summe verstanden werden (vgl. Abschn. 2.2).

Die Konstruktion von mathematischen Objekten erfolgt nach Dörfler (1988) auf der Grundlage von Prozessen. So können mathematische Prozesse gedanklich und sprachlich zu mathematischen Objekten verdichtet werden (vgl. dazu auch Sfard 2008, S. 45 ff.). Dörfler (1988, S. 75 ff.) bezeichnet diesen Vorgang als Vergegenständlichung. Dabei geht es darum, dass man durch vielfaches konkretes Handeln Erfahrung mit den Handlungselementen gewinne und zunehmend direkt „sehe“, wie eine Handlung auszuführen sei. Auf diese Weise werde die in die Handlung hineingedeutete Beziehung subjektiv zu einer „figurativen“ Eigenschaft der Handlungselemente (ebenda, S. 75). Die Beziehung und mit ihr die konstitutive Materialhandlung wird verdichtet, verkürzt, komprimiert. Die konkrete Handlung muss dann nicht länger prozesshaft ausgeführt oder vorgestellt werden, sondern erscheint im Handlungsprodukt als bereits gegeben und für weitere Handlungen direkt „greifbar“. Ein Beispiel für eine solche Vergegenständlichung ist die Verdichtung von Prozessen des Zählens zum Objekt der Zahl: Handlungen des Abzählens, wie das Zeigen auf einzelne Objekte und das Nennen von Zahlwörtern, werden gedanklich und sprachlich zu einer Anzahl verkürzt: „Das sind sechs.“ (vgl. Dörfler 1988, S. 84 f.; Sfard 2008, S. 45 ff.) Für das Teilschrittverfahren finden hier insbesondere alle Hinweise auf die notwendige Beherrschung der Zahlzerlegungen ihre Entsprechung (vgl. Schipper 2009; Abschn. 2.2.1): Der zweite Summand soll am Rechenrahmen nicht zählend, sondern mit genau zwei Fingerstreichen hinzugefügt werden, in die genau zwei Zahlen hineingedeutet werden können.

Mit Dörflers (1988, 1986) Ansatz der Interpunktion kann theoretisch gefasst werden, inwiefern die Erarbeitung des Teilschrittverfahrens in den beobachteten Fördersituationen nicht nur kognitive, sondern auch inhaltsspezifische sprachliche Anforderungen stellt: Die konkreten Handlungen am Hunderter-Rechenrahmen sind so zu beschreiben, dass die fachlich relevanten Punkte der Aufmerksamkeit herausgehoben werden. Für den Aufgabentyp ZE +E sind dies der erste Summand, der volle Zehner als Zwischenergebnis und die Summe (vgl. Abschn. 2.2.1). Dazu passt die Kurzsprechweise, die Schipper (2009, S. 113) für die hier betrachtete Materialhandlung empfiehlt und die für die Aufgabe 36 + 6 „sechsunddreißig, vierzig, zweiundvierzig“ lauten würde. Eine solche „Beschreibung“ erfordert, dass die dabei vorkommenden natürlichen Zahlen als mathematische Objekte in vergegenständlichter Form bezeichnet werden.

3 Sprachliche Perspektive: Materialhandlungen beschreiben

In diesem Abschnitt wird nun die sprachliche Perspektive entwickelt. Die interaktionale Erarbeitung des Teilschrittverfahrens wird in den Fördersituationen wesentlich als ein Beschreiben von Handlungen am Rechenrahmen gestaltet. Das Beschreiben soll hier als eine sprachliche Praktik konzeptualisiert werden (Abschn. 3.1). Dabei handelt es sich weniger um ein Beschreiben im engeren Sinn (Abschn. 3.2) als vielmehr um ein Beschreiben in Lehr-Lern-Kontexten und damit um ein Beschreiben in einem weiteren Sinn (Abschn. 3.3).

3.1 Das Beschreiben als sprachliche Praktik

Das Beschreiben von Materialhandlungen soll aus diskursanalytischer Perspektive als eine sprachliche Praktik konzeptualisiert werden. Grundlage dafür ist ein funktional-pragmatischer Zugang, demzufolge der Gebrauch von Sprache als ein Handeln mit Sprache verstanden werden kann (vgl. Ehlich und Rehbein 1986; Quasthoff 2011). Es wird davon ausgegangen, dass ein solches Sprachhandeln stets in Interaktion eingebunden und funktional auf den jeweiligen Kontext abgestimmt ist (vgl. Feilke 2012; Quasthoff 2011; Redder 2013). Unter einer sprachlichen Praktik ist dann das aufeinander bezogene Sprachhandeln von Sprecher und Hörer zu verstehen, mit dem die Interaktionspartner gemeinsam daran arbeiten, ein wiederholt auftretendes interaktionales Problem zu lösen (vgl. Heller und Morek 2015; Quasthoff 2011). Als interaktionales Problem bei der Erarbeitung des Teilschrittverfahrens kann die Herausforderung verstanden werden, dass die Lernenden anhand der Handlungen am Rechenrahmen mentale Vorstellungen zum Teilschrittverfahren entwickeln sollen, sich dieser Vorgang aber wesentlich mental vollzieht und damit für die Lehrenden nicht ohne Weiteres zugänglich ist (vgl. Abschn. 2). Um die Konstruktion von mentalen Repräsentationen dennoch unterstützen und überprüfen zu können, müssen in und mit der gemeinsamen Interaktion Lösungen gefunden werden. Die sprachlichen Praktiken, die zu diesem Zweck von Sprecher und Hörer gemeinsam hervorgebracht werden, sind hinsichtlich der Funktion, die sie in der Interaktion erfüllen, zu unterscheiden (vgl. Quasthoff 2011, S. 212). So wird in diesem Beitrag von unterschiedlichen Praktiken des Beschreibens gesprochen, wenn die Sprachhandlung des Beschreibens in der Interaktion unterschiedliche Funktionen erfüllt. Dabei kann und soll an keiner Stelle auf die Intentionen der Interaktionspartner geschlossen werden; vielmehr sollen die gemeinsam hervorgebrachten Beschreibungen in ihrer Funktion für den gemeinsamen Erarbeitungsprozess genauer charakterisiert werden (vgl. Tiedemann 2012, S. 106 ff.).

3.2 Das Beschreiben im engeren Sinn

Das Beschreiben im engeren Sinne (i. e. S.) ist zunächst eine assertorische sprachliche Handlung, d. h. ihr Zweck ist ein Wissenstransfer vom Sprecher zum Hörer (vgl. Ehlich und Rehbein 1986). Der Sprecher hat einen Wirklichkeitsausschnitt wahrgenommen, mental verarbeitet und übermittelt sein diesbezügliches Wissen nun an den Hörer. Das Beschreiben i. e. S. zeichnet sich dadurch aus, dass Sachverhalte in ihrer räumlichen Eigenheit geschildert werden, so z. B. Bauwerke, Pflanzen oder Bilder (vgl. Heinemann 2001, S. 359; Rehbein 1984, S. 74). Bei Beschreibungen i. e. S. hat der Sprecher den jeweiligen Sachverhalt gesehen, der Hörer aber nicht. Daher gilt eine Beschreibung dann als gelungen, wenn der Hörer aufgrund der Beschreibung eine sachadäquate Vorstellung entwickeln kann, sich also im wörtlichen Sinn ein „Bild“ machen kann. Zu diesem Zweck produziert der Sprecher eine möglichst sachliche und gut strukturierte sprachliche Darstellung ohne persönliche Anteilnahme, in der er die relevanten äußerlichen Merkmale und Besonderheiten des Sachverhalts aufzählt (vgl. Heinemann 2001, S. 359). So erbringt der Sprecher notwendigerweise zwei Leistungen: Er stellt den wahrgenommenen Wirklichkeitsausschnitt nicht vollständig dar, sondern wählt für seine Beschreibung relevante Aspekte aus (Selektion) und bringt diese in das zeitliche Nacheinander einer sprachlichen Äußerung (Linearisierung; vgl. Heinemann 2001, S. 361).

Auch Vorgangsbeschreibungen können den Beschreibungen i. e. S. zugeordnet werden (vgl. Heinemann 2001, S. 361 f.). Hier stehen keine Gegenstände in ihrer räumlichen Eigenheit im Mittelpunkt, sondern Prozesse und Ereignisse, die sich in immer gleicher Weise wiederholen (können), so z. B. ein Koch- oder Backvorgang, wie er in einem Rezept beschrieben wird. Dabei sind die situativen Begleitumstände des Vorgangs nicht relevant. Die Beschreibung fokussiert vielmehr in verallgemeinernder Weise auf die unterscheidbaren Phasen des zumindest prinzipiell jederzeit wiederholbaren Vorgangs (vgl. Heinemann 2001, S. 363 ff.; Michel 1986, S. 65). In Analogie zu den Merkmalen eines Gegenstandes werden bei einer Vorgangsbeschreibung also die Phasen des Vorgangs als seine Merkmale sprachlich gekennzeichnet werden (Selektion; vgl. Gadow 2016, S. 53; Redder et al. 2013, S. 179). Das Linearisierungsprinzip der Vorgangsbeschreibung ist dem Sachverhalt entsprechend zumeist ein chronologisches (vgl. Heinemann 2001, S. 362).

Es ist diese zeitliche Strukturierung eines Vorgangs, die mit Dörfler (1988, 1986) als Interpunktion verstanden werden kann (vgl. Abschn. 2.3). Wer eine Materialhandlung beschreibt, der gliedert sie notwendigerweise, indem er den Handlungsfluss in Phasen unterteilt und diese sprachlich kennzeichnet. Für die Erarbeitung des Teilschrittverfahrens am Rechenrahmen ist dabei entscheidend, ob die Interpunktion in und mit der Vorgangsbeschreibung so vorgenommen wird, wie sie mit Blick auf die zu lernende Strategie zweckmäßig ist (vgl. Abschn. 2.2.2). Da die zu identifizierenden Punkte der Aufmerksamkeit keinesfalls naheliegend sein müssen, kann das zu lösende interaktionale Problem dahingehend spezifiziert werden, dass der Vorgang am Rechenrahmen beschreibend so zu strukturieren ist, dass die fachlich relevanten Punkte der Aufmerksamkeit herausgehoben und zueinander in Beziehung gesetzt werden (vgl. Dörfler 1988, S. 106; Abschn. 2.3 und 3.1).

3.3 Das Beschreiben in Lehr-Lern-Kontexten

Aus funktional-pragmatischer Sicht erscheint es naheliegend, sprachliche Handlungen in Lehr-Lern-Kontexten gesondert zu untersuchen, da die dort produzierten Sprachhandlungen funktional auf die dort gegebenen Anforderungen abgestimmt sind. Tatsächlich haben empirische Studien wiederholt gezeigt, dass sich die Sprachhandlung des Beschreibens in Lehr-Lern-Kontexten in zentralen Punkten vom Beschreiben i. e. S. unterscheidet und daher als ein Beschreiben in einem weiteren Sinn zu verstehen ist (vgl. dazu Ehlich und Rehbein 1986). So haben Redder et al. (2013) das Beschreiben in Lehr-Lern-Kontexten in unterschiedlichen Unterrichtsfächern der ersten beiden Grundschuljahrgänge untersucht. Die wesentlichen Unterschiede zu Beschreibungen i. e. S. identifizieren sie im Hinblick auf die Funktion des Beschreibens und auf den dabei genutzten Verweisraum.

Im Hinblick auf die Funktion zeigt sich, dass das Beschreiben in Lehr-Lern-Kontexten drei unterschiedliche Funktionen erfüllen kann (vgl. ebenda). Erstens wird das Beschreiben in Unterrichtsgesprächen genutzt, um die Aneignung von naturwissenschaftlichen, mathematischen und künstlerischen Sachverhalten aufseiten der Lernenden durch die Verbalisierung von wahrnehmbaren Strukturen zu fördern. Zweitens werden anhand der Beschreibungen genau diese Aneignungsprozesse überprüft. Drittens werden Beschreibungen genutzt, um die Aneignung von Fähigkeiten des Beschreibens selbst zu unterstützen. An dieser empirisch fundierten Unterscheidung wird deutlich, dass die Praktiken des Beschreibens im Unterricht, insbesondere wenn ein Kind der Sprecher ist, im Vergleich zum Beschreiben i. e. S. eine geradezu entgegengesetzte Funktion erfüllen: Während das Beschreiben i. e. S. darauf abzielt, dass der Sprecher von ihm konstruiertes Wissen an den unwissenden Hörer übermittelt, ist es in Lehr-Lern-Kontexten häufig gerade der Sprecher, der Wissen konstruieren oder weiterentwickeln und dieses Wissen an den längst wissenden (und nun überprüfenden) Hörer übermitteln soll. Im Hinblick auf den Verweisraum zeigt sich ein zweiter Unterschied zum Beschreiben i. e. S.. So ist es in Lehr-Lern-Kontexten durchaus üblich, dass die Beschreibung sich auf einen Gegenstand oder einen Vorgang bezieht, der sich im gemeinsamen Wahrnehmungsraum befindet und somit für den Sprecher und den Hörer gleichermaßen sichtbar ist. Beide Besonderheiten des Beschreibens in Lehr-Lern-Kontexten finden sich auch bei dem hier untersuchten Beschreiben von Materialhandlungen: Die Kinder sollen Wissen (genauer: mentale Repräsentationen zum Teilschrittverfahren) konstruieren und sind daher gefordert, die für alle Beteiligten gut sichtbaren Handlungen am Rechenrahmen zu beschreiben.

Neben einer Identifizierung von Besonderheiten des Beschreibens in Lehr-Lern-Kontexten hat die jüngere empirische Forschung zudem eine Unterscheidung von zwei Typen des Beschreibens herausgearbeitet: So unterscheidet Redder (2013) zwischen einfachen und funktionalen Beschreibungen (vgl. auch Gadow 2016; Maisano 2019; Redder et al. 2013). Eine einfache Beschreibung dient der Wiedergabe wahrnehmbarer Sachverhalte, während eine funktionale Beschreibung die Wiedergabe wahrnehmbarer Sachverhalte bereits nach der Funktion der jeweiligen Einzelelemente organisiert und damit die „reine Wahrnehmungsorientierung der sprachlichen Wiedergabe“ übersteigt (Redder 2013, S. 120). Für einen Vorgang konkretisieren Redder et al. (2013, S. 183), dass eine einfache Vorgangsbeschreibung auf die sprachliche Darstellung von wahrnehmbaren Abfolgeschritten ausgerichtet ist, während eine funktionale Vorgangsbeschreibung bereits einen wissensbezogenen Einblick in die inneren Zusammenhänge des Vorgangs gibt. So kann der beschriebene Vorgang mit einer funktionalen Beschreibung auf das Wesentliche reduziert und schematisiert werden (vgl. Gadow 2016, S. 168). Damit erscheint es für die Interpunktion in der Erarbeitung des Teilschrittverfahrens wichtig, dass die entsprechenden Materialhandlungen am Rechenrahmen (zunehmend) funktional beschrieben werden. So sollten z. B. mehrere Fingerstreiche zum Einstellen des ersten Summanden gar nicht einzeln (also einfach) beschrieben werden, sondern funktional als das Einstellen einer Zahl: „Sechsunddreißig“ (vgl. Schipper 2009, S. 113; Abschn. 2.3). Durch diese Reduktion in der Beschreibung kann die Fokussierung der relevanten Punkte in der Materialhandlung gefördert werden. Wie funktionale Vorgangsbeschreibungen in den beobachteten Interaktionsprozessen zur Erarbeitung des Teilschrittverfahrens tatsächlich genutzt werden, steht nachfolgend im Fokus der Untersuchung. Die zugehörige Forschungsfrage lautet:

Welche Praktiken des Beschreibens können in Fördersituationen zur Erarbeitung des Teilschrittverfahrens beim Aufgabentyp ZE+E am Hunderter-Rechenrahmen rekonstruiert werden?

4 Methode

In diesem Abschnitt wird das methodische Vorgehen zur Beantwortung der formulierten Forschungsfrage dargestellt: zunächst die Datenerhebung (Abschn. 4.1), dann die Datenauswertung (Abschn. 4.2).

4.1 Datenerhebung

Als Datengrundlage dienen Videoaufnahmen aus der Förderarbeit in der Beratungsstelle für Kinder mit Rechenschwierigkeiten am Institut für Didaktik der Mathematik der Universität Bielefeld aus den Jahren 2012 bis 2018 (vgl. Rottmann 2015, S. 75 f.). In diesem Rahmen werden Kinder mit besonderen Schwierigkeiten beim Rechnenlernen jeweils für die Dauer eines Semesters wöchentlich in etwa einstündigen Einzelsitzungen gefördert. Die Sitzungen werden für jedes Kind von zwei Studierenden des Grundschullehramts gestaltet, die sich in einem Blockseminar auf die Förderarbeit vorbereiten und für die Dauer der Förderung in einem zweistündigen Seminar von einem Mitarbeiter der Beratungsstelle begleitet werden. Alle Fördersitzungen werden gefilmt und von den Studierenden schriftlich vor- und nachbereitet.

Mit dem beschriebenen Datenkorpus ist festgelegt, dass die Praktiken des Beschreibens zur Erarbeitung des Teilschrittverfahrens im Zahlenraum bis 100 stets von einem Kind, das besondere Schwierigkeiten mit dem Rechnenlernen hat, und von einem Erwachsenen, der sich in seiner Ausbildung zur Grundschullehrkraft befindet, realisiert werden. Zur Einschätzung dieser Stichprobe:

Die Lernenden haben besondere Schwierigkeiten beim Rechnenlernen. Das bedeutet jedoch nicht, dass sie grundsätzlich anders Mathematik lernen, andere Strategien nutzen oder andere Fehler beim Rechnen machen als leistungsstärkere Rechner (vgl. Schipper 2009, S. 329 ff.). Vielmehr zeigen sie Lösungsprozesse, die eine Zeit lang durchaus erwartungskonform sind, von denen sie sich nur eben anders als rechenstärkere Kinder nicht lösen (vgl. ebenda, S. 332; Lorenz 2008, S. 30). Interaktionsprozesse von rechenschwachen Lernenden zu untersuchen, bedeutet also, Interaktionsprozesse zu untersuchen, in denen sich Schwierigkeiten mit dem Rechnenlernen, die sich potenziell für alle Lernenden ergeben, womöglich nur in besonders deutlicher Weise zeigen.

Die Lehrenden sind Studierende des Grundschullehramts und spielen als Gesprächspartner der Lernenden bei der Hervorbringung sprachlicher Praktiken eine ebenso wichtige Rolle. Sie befinden sich in der ersten Phase ihrer Ausbildung zur Grundschullehrkraft und stehen daher in Bezug auf eine adaptive Lernprozessbegleitung häufig eher am Anfang ihrer Entwicklung. Inwiefern sie situativ günstig oder ungünstig agieren, kann in den Analysen aber durchaus mit in den Blick genommen werden, weil das Beschreiben von Materialhandlungen als gemeinsam hervorgebrachte sprachliche Praktik untersucht wird (vgl. Abschn. 3.1 und 6).

4.2 Datenauswertung

Dem Anliegen, das Beschreiben von Materialhandlungen als gemeinsame Lösung eines interaktionalen Problems zu untersuchen, wird methodisch durch eine qualitativ-interpretative Auswertung Rechnung getragen (vgl. Krummheuer und Naujok 1999). Die Fördersituationen, in denen die Praktiken des Beschreibens gemeinsam hervorgebracht werden, werden dabei als ein fortwährendes interpretatives Geschehen verstanden, das durch die wechselseitig aufeinander bezogenen (Sprach-)Handlungen der Interaktionspartner sukzessive hergestellt wird (vgl. Jungwirth und Krummheuer 2008, S. 148; Tiedemann 2012, S. 72). Um dieses wechselseitige interpretative Geschehen zu rekonstruieren, wurden einzelne Szenen ausgewählt und mit der Methode der Interaktionsanalyse ausgewertet.

Die Szenenauswahl erfolgte in drei Schritten. Ausgangspunkt waren die Videoaufnahmen von 42 Förderkindern aus den Jahren von 2012 bis 2018.Footnote 2 In einem ersten Schritt wurde festgelegt, dass ausschließlich Beschreibungen von Handlungen am Rechenrahmen zu dem Aufgabentyp ZE +E untersucht werden sollen. Damit werden Beschreibungspraktiken betrachtet, die sich auf strukturell vergleichbare Material- und Rechenhandlungen beziehen und die in der Förderarbeit gewöhnlich am Beginn der Erarbeitung des Teilschrittverfahrens stehen (vgl. Abschn. 2.2.1).Footnote 3 In einem zweiten Auswahlschritt wurden dann anhand der schriftlichen Nachbereitungen solche Szenen identifiziert, die in Anlehnung an Krummheuer (1992, S. 55) als krisenhaft eingeschätzt werden können. In solchen krisenhaften Szenen wird das Beschreiben von Materialhandlungen nicht „einfach nebenbei“ hervorgebracht, sondern situativ und ausdrücklich ausgehandelt (vgl. dazu Tiedemann 2012, S. 85). Damit wird besonders deutlich, welche situativen Anforderungen an das Beschreiben gestellt werden. In diesem zweiten Auswahlschritt wurden 19 Kinder mit den jeweiligen Studierenden identifiziert, bei denen in den Nachbereitungen dokumentiert ist, dass das Beschreiben von Handlungen am Rechenrahmen zum Aufgabentyp ZE + E in einzelnen Fördersitzungen explizit thematisiert wurde. Dabei werden die Beschreibungen der Kinder in den Nachbereitungen aus zwei Gründen als unzureichend eingeschätzt: Entweder beziehen sie sich auf nicht-intendierte Materialhandlungen oder sie geben die intendierte Handlung nicht angemessen wieder. Aus diesem Videomaterial wurden dann in einem dritten Schritt im Hinblick auf das Beschreiben möglichst kontrastreiche Szenen ausgewählt, um der Vielfalt des Datenmaterials Rechnung zu tragen.

Die Szenenanalyse wurde auf der Grundlage von Transkripten mit der Methode der Interaktionsanalyse vorgenommen (vgl. Krummheuer und Brandt 2001; Krummheuer und Naujok 1999; Tiedemann 2012). Dabei handelt es sich um ein mikrosoziologisches, sequenzanalytisches Verfahren, welches entwickelt wurde, um den Prozess der Bedeutungsaushandlung und die dabei hervorgebrachte thematische Entwicklung zu rekonstruieren. Nach Krummheuer und Naujok (1999, S. 68) gliedert sich die Interaktionsanalyse in fünf Schritte:

  • Gliederung der Szene

  • allgemeine Beschreibung nach dem ersten Eindruck

  • Erzeugung alternativer Interpretationen zu den Einzeläußerungen

  • Turn-by-Turn-Analyse

  • Zusammenfassende Interpretation

Der Fünfschritt ist nicht als ein festes Schema zu verstehen, sondern als ein Gerüst für die Analyse und als Checkliste für ihre Darstellung (vgl. ebenda; Tiedemann 2012, S. 90). Um eine möglichst gute Lesbarkeit zu erreichen, werden in diesem Beitrag ausschließlich die zusammenfassenden Interpretationen wiedergegeben (vgl. Abschn. 5). Sie enthalten die Interpretationen, die sich im Analyseprozess bewährt haben und denen daher eine hohe Plausibilität zugeschrieben werden kann (vgl. Krummheuer und Brandt 2001, S. 90 f.). Sie sind aus diesem Grund auch die zentrale Grundlage für die vorgenommene Theorieentwicklung. Methodisch wurde die Theorieentwicklung in Form einer Komparativen Analyse umgesetzt (vgl. ebenda, S. 77 ff.).

Dabei werden die Ergebnisse aus der Interaktionsanalyse vergleichend zueinander in Beziehung gesetzt (vgl. Krummheuer und Brandt 2001, S. 83). So wurden die Praktiken des Beschreibens gerade nicht für Einzelfälle bestimmt, sondern als Gemeinsamkeit unterschiedlicher Realisierungen des Beschreibens und damit jenseits der Ebene des Einzelfalls herausgearbeitet (vgl. ebenda, S. 77 f.). Die nachfolgenden Analysebeispiele sind mit Fetzer (2007, S. 18) als exemplarische Analysebeispiele zu verstehen. Während die vergleichende Theorieentwicklung insgesamt auf einem umfangreicheren Analysekorpus basiert, werden die erarbeiteten Einsichten anhand einzelner Szenen illustriert.

5 Ergebnisse

In diesem Abschnitt werden die Ergebnisse aus der beschriebenen Studie anhand von Analysebeispielen präsentiert und dann in einer Zusammenfassung gebündelt. Als Antwort auf die formulierte Forschungsfrage (vgl. Abschn. 3.3) konnten drei unterschiedliche Praktiken des Beschreibens rekonstruiert werden, die in den Förderungen zumeist nacheinander realisiert werden:

  • Erstens wird mit Beschreibungen die Materialhandlung gesteuert und gezielt ausgestaltet (vgl. Abschn. 5.1).

  • Zweitens wird mit Beschreibungen das Charakteristische des Teilschrittverfahrens, nämlich der volle Zehner als Zwischenergebnis, fokussiert (vgl. Abschn. 5.2).

  • Drittens wird mit Beschreibungen das Beschreiben selbst verdichtet (vgl. Abschn. 5.3).

Die drei Praktiken des Beschreibens zeigen sich durchaus in unterschiedlichen Realisierungen. Es werden nachfolgend jene Realisierungen anhand eines Analysebeispiels illustriert, die vor dem dargelegten theoretischen Hintergrund als qualitativ unterschiedlich angesehen werden können. So kommt es, dass die ersten beiden Praktiken des Beschreibens mit je zwei Analysebeispielen und die dritte mit einem Analysebeispiel illustriert wird. In allen fünf Szenen wird eine Aufgabe des Typs ZE +E mit Zehnerübergang von einem Kind am Rechenrahmen gelöst. Interaktionspartner ist jeweils eine Studierende oder ein Studierender, während die oder der zweite Studierende mit am Tisch sitzt, aber nicht erkennbar in den Interaktionsprozess eingreift. Die Szenen zeigen fünf unterschiedliche Förderkinder, die zwischen 8 und 9 Jahren alt sind. Ihre Namen wurden geändert. Eine Transkriptionslegende findet sich am Ende des Beitrags.

5.1 Mit Beschreibungen die Handlung ausgestalten

5.1.1 Marie: „die Reihe vollmachen“

Zu Beginn ihrer zweiten Förderstunde löst Marie einige Aufgaben des Typs ZE +E mit Zehnerübergang am Rechenrahmen. Nachdem sie die ersten beiden Aufgaben ohne sprachliche Begleitung bearbeitet hat, wird sie bei der dritten Aufgabe 36 + 6 nun dazu aufgefordert, ihr Materialhandeln auch zu beschreiben (Tab. 1).

Tab. 1 Transkriptausschnitt: „die Reihe vollmachen“

Marie wird aufgefordert, die Aufgabe 36 + 6 am Rechenrahmen zu lösen <1>. Dazu soll sie etwas „zeigen“, ihre Handlung aber „auch“ beschreiben. Was Marie daraufhin zeigt, ist zunächst das Einstellen des ersten Summanden <2>. Sie schiebt auf den ersten drei Stangen mit drei Fingerstreichen je zehn Kugeln und fügt dann auf der vierten Stange einzeln sechs weitere Kugeln hinzu. Die Handlung selbst beschreibt Marie nicht. Gleichwohl nutzt sie die Sprache, um ihre Handlung zu interpunktieren. So setzt sie nach jedem Zehner eine Zäsur: „So..“, „Und noch …“, „Und“ <2>. Während ihre Stimme nach diesen Zwischenzäsuren in der Schwebe bleibt, senkt sie sie nach dem Schieben der 36. Kugel: „sechs.“ <2> Auf diese Weise wird der erste Summand als erster Punkt der Aufmerksamkeit aus der Materialhandlung herausgehoben, wenn auch noch nicht als eine Zahl benannt. Die Studierende zeigt sich einverstanden <3>.

Marie markiert dann, dass es weitergehen soll: „Plus sechs, ne?“ <4>. Damit nimmt sie nach dem ersten Summanden die weiteren Teile der Aufgabe in den Blick: die Rechenoperation und den zweiten Summanden. Letzteren stellt sie dann ein, indem sie auf der fünften Stange einzeln sechs Kugeln schiebt <6>. Die Summe bestimmt sie schließlich zählend: „Dann sind das, warte mal, () siebenunddreißig, achtunddreißig, neununddreißig, vierzig, einundvierzig, zweiundvierzig. Nee, warte. (…) Doch, zweiundvierzig... Sind zweiundvierzig.“ <6>.

Obgleich Marie also zu einer korrekten Lösung der Aufgabe kommt und dafür von der Studierenden auch gelobt wird <7>, endet die Szene noch nicht. Stattdessen macht die Studierende Maries Materialhandlung bis zur Darstellung des ersten Summanden rückgängig <7>. Sprachlich bezieht sie sich auf diesen ersten Punkt der Aufmerksamkeit nun als ein Objekt und bietet damit eine funktionale Beschreibung an (vgl. Dörfler 1988, S. 75 ff.; Abschn. 3.3): „Also, das war die Sechsunddreißig, ne?“ <7> Dann formuliert sie eine Regel: „Und jetzt wollen wir immer erst die Reihe vollmachen.“ <9> Damit fordert sie die (zu diesem Zeitpunkt bereits erarbeitete) Konvention für die Zahldarstellung, stets erst eine Stange aufzufüllen, bevor eine weitere genutzt, auch für das Lösen von Additionsaufgaben als gültig ein. Die entsprechende Handlung zur Aufgabe 36 + 6 führt sie dann auf intendierte Weise vor, indem sie erst auf der vierten Stange die übrigen vier Kugeln und dann auf der fünften Stange weitere zwei Kugeln schiebt. Damit wird der zweite Summand in genau zwei Teilsummanden zerlegt: Die Studierende bewegt die insgesamt sechs Kugeln mit genau zwei Fingerstreichen. Die Interpunktion der Handlung an der Stelle des vollen Zehners realisiert die Studierende durch eine explizite und betonte zeitliche Strukturierung ihrer Beschreibung: Man macht zuerst die Reihe voll „und dann“ fügt man den Rest hinzu <9>. Damit erfüllt die Praktik des Beschreibens hier eine steuernde Funktion: Mit dem Beschreiben wird die Materialhandlung so ausgestaltet, dass der volle Zehner als Zwischenergebnis, in diesem Fall die 40, auf intendierte Weise am Rechenrahmen dargestellt wird und somit zumindest potenziell quasi-simultan abgelesen werden kann.

Das abschließende, erneute Nennen der Summe nutzt die Studierende schließlich, um die Veränderung der Materialhandlung nachträglich zu erklären: „Ja, genau. Siehst du so viel besser, ne? Zweiundvierzig.“ <13> Die eingeforderte Konvention hat aus ihrer Sicht offenbar den Vorteil, dass das Ergebnis nun „viel besser“ <13>, nämlich quasi-simultan, erfasst werden kann. Bevor Marie sich dazu äußern kann, leitet die Studierende zur nächsten Aufgabe über <13>. So bleibt offen, inwiefern Marie den Vorteil der veränderten Materialhandlung für sich tatsächlich erkennt.

5.1.2 Philipp: „mit ganz wenigen Schritten“

Nach einer Übung zur Zerlegung der Zahlen 8 und 7 (Werfen von 8 bzw. 7 Wendeplättchen und Notieren der Ergebnisse) löst Philipp in seiner dritten Förderstunde ebenfalls einige Aufgaben des Typs ZE +E am Rechenrahmen, bei denen der zweite Summand stets eine 8 oder eine 7 ist. Bei der ersten dieser Aufgaben, 35 + 8, hat Philipp alle Kugeln des zweiten Summanden einzeln hinzugefügt. Die zweite Aufgabe ist nun 18 + 7 (Tab. 2).

Tab. 2 Transkriptausschnitt: „mit ganz wenigen Schritten“

Philipp soll die Aufgabe 18 + 7 am Rechenrahmen lösen <1>. Dazu stellt er zunächst die 18 mit der minimalen Anzahl an Fingerstreichen ein und benennt den ersten Summanden als Punkt der Aufmerksamkeit richtig: „Achtzehn …“ <1>. Dann schiebt er auf der zweiten Stange die restlichen zwei Kugeln mit einem Fingerstreich hinzu und auf der dritten Stange einzeln weitere fünf Kugeln. Seine handlungsbegleitende Beschreibung entspricht diesem unterschiedlichen Einstellen der beiden Teilsummanden. Während Philipp den ersten als ein Objekt funktional beschreibt („Zwei dazu.“ <1>), stellt er den zweiten als einen Zählprozess dar: „Und drei, vier, fünf, sechs, sieben.“ <2>.

Die Studierende bewertet Philipps Handeln und Beschreiben nicht direkt, bezieht sich gleichwohl kritisch noch einmal auf seine Materialhandlung zum zweiten Summanden, als sie fragt, wie Philipp die Sieben „mit ganz wenigen Schritten“, „so ganz schnell“ einstellen könne <3>. Philipp antwortet nicht, sondern verzieht sein Gesicht und blickt auf den Rechenrahmen <4>. Da macht die Studierende seine Materialhandlung bis zum ersten Summanden rückgängig und benennt diesen erneut: „Also, () du hast achtzehn.“ <5> Dann kündigt sie Philipp an, ihm für den zweiten Summanden eine veränderte Materialhandlung zu zeigen: „Und dann kannst du die Sieben hier, guck mal, also, auch so machen.“ <5> Tatsächlich führt sie die fragliche Materialhandlung dann auf intendierte Weise vor: Sie schiebt auf der zweiten Stange die übrigen zwei Kugeln und auf der dritten Stange weitere fünf Kugeln mit jeweils einem Fingerstreich <5>. So verdichtet die Studierende die Handlungen zur Darstellung des zweiten Summanden zu genau zwei Fingerstreichen (vgl. Dörfler 1988, S. 75 ff.; Rottmann 2015, S. 82). In struktureller Übereinstimmung mit ihrer Handlung bezeichnet sie beide Teilsummanden als Objekte und beschreibt damit funktional (vgl. Abschn. 3.3): „Einfach zwei und (…) hier fünf.“ <5> Den Zweck ihrer veränderten Handlung und Beschreibung erklärt sie nachträglich. So verringere sich der zeitliche Aufwand: „Siehst du, geht viel schneller, ne? Und du siehst gleich (…) hier, das sind sieben, ne?“ <7> Die Interpretation, dass es der Studierenden insgesamt v. a. um die Ausgestaltung der Materialhandlungen zum zweiten Summanden geht, wird schließlich auch dadurch gestützt, dass die gesuchte Summe und damit die Lösung der gestellten Aufgabe in der Szene gar nicht benannt wird <7 ff.>. Stattdessen wird die nächste Aufgabe gestellt, bei der die fragliche Materialhandlung erneut ausprobiert werden soll. Offen bleibt dabei aber zumindest vorerst, inwieweit der Vorteil der veränderten Materialhandlung für Philipp bereits einsichtig geworden ist <7>.

5.1.3 Zwischenfazit

In beiden Analysebeispielen wird der erste Summand als erster Punkt der Aufmerksamkeit kaum ausgehandelt. Selbst wenn er nicht wie intendiert mit möglichst wenigen Fingerstreichen eingestellt wird (vgl. Abschn. 5.1.1), gilt er in der Interaktion schnell als akzeptiert und wird als Ausgangspunkt für die weiteren Materialhandlungen genutzt. Ähnlich verhält es sich mit der Summe; auch sie wird, sofern sie überhaupt benannt wird, kaum ausgehandelt (vgl. Abschn. 5.1.1). Dieses Ergebnis entspricht der Annahme, dass die Konstruktion des Teilschrittverfahrens die dabei genutzten mathematischen Objekte, nämlich die natürlichen Zahlen, voraussetzt oder zumindest durch sie erleichtert wird (vgl. Dörfler 1988, S. 106; Abschn. 2.3). Gleichwohl ist anzumerken, dass der Prozess der Vergegenständlichung aufseiten der Kinder noch gar nicht immer ganz vollzogen ist. Sie zeigen z. T. noch Zählprozesse – sowohl bei der Zahldarstellung (vgl. Abschn. 5.1.1) als auch beim komplexeren Additionsprozess (vgl. Abschn. 5.1.1 und 5.1.2).

In beiden Szenen stehen die Materialhandlungen zum Hinzufügen des zweiten Summanden im Mittelpunkt. Mit den produzierten Vorgangsbeschreibungen wird interaktional abgesichert, dass die Materialhandlungen strukturell mit dem Teilschrittverfahren übereinstimmen (vgl. Dörfler 1986, S. 11; Lorenz 1998, S. 185; Schipper 2009, S. 111/292; Abschn. 2.2.2). Zu diesem Zweck werden in beiden Szenen die Materialhandlungen des Kindes bis zum ersten Punkt der Aufmerksamkeit, dem ersten Summanden, rückgängig gemacht und dann in veränderter Weise von den Studierenden vorgeführt. Im ersten Beispiel geht es primär darum, den vollen Zehner überhaupt in intendierter Weise am Rechenrahmen sichtbar zu machen. Dafür wird die grundsätzliche Konvention für die Zahldarstellung, stets erst eine Stange aufzufüllen, bevor eine weitere genutzt wird, auch für das Lösen von Additionsaufgaben als gültig eingefordert. Im zweiten Beispiel geht es vor allem darum, die Materialhandlung zur Zahlzerlegung zu verändern (vgl. Abschn. 2.2.1). Die beiden Teilsummanden sollen mit genau zwei Fingerstreichen geschoben und somit in Dörflers (1988, S. 75 ff.) Sinne als mathematische Objekte behandelt werden (vgl. Abschn. 2.3). Der Anpassung der Materialhandlung entspricht auf der Ebene des Sprachhandelns, dass die Beschreibungen zunehmend funktionalen Charakter haben (vgl. Abschn. 3.3). Sie werden auf das fürs Teilschrittverfahren Wesentliche reduziert: „Einfach zwei und (…) hier fünf.“ (vgl. Abschn. 5.1.2).

Die Praktik des Beschreibens erfüllt in beiden Szenen insgesamt eine steuernde Funktion: Die Materialhandlung wird so ausgestaltet, dass die Zwischenstadien, die in der Erarbeitung des Teilschrittverfahrens zu Punkten der Aufmerksamkeit werden sollen, in der Materialhandlung auf intendierte Weise vorkommen. Diese interaktionale Fokussierung der Materialhandlungen wird auch dadurch gestützt, dass die nachträglich eingebrachten Erklärungen der Studierenden einen deutlichen Bezug zum konkreten Materialhandeln aufweisen: Die Handlungen sollen so verändert werden, dass sie schneller ausgeführt werden können und die entstehenden Handlungsprodukte besser zu „sehen“ sind. Dabei wird nicht besprochen, inwiefern diese Veränderungen der Materialhandlungen in einen Rechenvorteil „übersetzt“ werden können. Der Vorteil des Teilschrittverfahrens wird weder anhand der konkreten Materialhandlungen noch anhand der gelösten Teilaufgaben expliziert. Er müsste, um von den Kindern erkannt zu werden, eigenständig konstruiert werden.

5.2 Mit Beschreibungen das Charakteristische fokussieren

5.2.1 Malte: „wo bist du dann immer?“

Malte hat in seinen ersten Förderstunden bereits Additions- und Subtraktionsaufgaben des Typs ZE ±E mit Zehnerübergang am Rechenrahmen gelöst, als er zu Beginn seiner vierten Förderstunde nun einige Aufgaben zur Wiederholung gestellt bekommt. Nach zwei Additions- und einer Subtraktionsaufgabe ist die vierte Aufgabe nun 14 + 7 (Tab. 3).

Tab. 3 Transkriptausschnitt: „wo bist du dann immer?“

Malte wird aufgefordert, die Aufgabe 14 + 7 am Rechenrahmen zu lösen <1>. Dazu stellt er zunächst den ersten Summanden mit möglichst wenigen Fingerstreichen ein und benennt diesen ersten Punkt der Aufmerksamkeit korrekt: „Vierzehn..“ <2> Dann fügt er sieben Kugeln auf intendierte Weise hinzu: „erst mal plus sechs. (…) und dann noch einen dazu.“ <2> Was er beschreibt, sind die beiden Teilsummanden als Objekte, aber auch eine deutliche Zäsur zwischen den beiden Schritten: „(…) und dann noch (…)“ <2> Abschließend bezeichnet Malte den zweiten Summanden resümierend als Ganzes: „Sind sieben.“ <2>.

Die Studierende verfeinert daraufhin Maltes Materialhandlung und fokussiert retrospektiv noch einmal auf den zweiten Punkt der Aufmerksamkeit: „Mmh, erst mal plus sechs, wo bist du dann immer? Also, du hast jetzt vierzehn erst geschoben. Dann hast du (…) diese sechs geschoben. Dann bist du bei?“ <3> Malte hat den zweiten Punkt der Aufmerksamkeit in seiner Materialhandlung bereits deutlich hervorgehoben und dessen Position in seiner Beschreibung auch markiert. Nun wird er aufgefordert, ihn explizit zu benennen und seine Aufmerksamkeit damit deutlich erkennbar auf ihn zu fokussieren: „Wo bist du dann immer?“ <3> Das „immer“ in der Frage der Studierenden macht zugleich deutlich, dass der erfragte Punkt der Aufmerksamkeit von allgemeiner Bedeutung ist. Hier wird die funktionale Vorgangsbeschreibung zum Verallgemeinern genutzt (vgl. Heinemann 2001, S. 363 ff.; Abschn. 3.1): Man landet nach der Addition des ersten Teilsummanden immer bei einem vollen Zehner.

Malte antwortet gleichwohl im Zusammenhang der konkreten Aufgabe: „Bei … ähm, zwanzig.“ <4> Damit ist der volle Zehner als ein eigenständiges Objekt in der Interaktion konstituiert und die Studierende verbindet seine Nennung mit einer ab jetzt gültigen Anforderung an Maltes Beschreiben: „Am besten sagst du das immer dazu, damit ich genau weiß, okay, jetzt bis du bei zwanzig.“ <5> Der volle Zehner soll ab sofort stets benannt werden. Den Zweck dieser Forderung erklärt die Studierende nachträglich: Sie wisse dann, wo Malte in seinem Rechenprozess sei, und er, wie es weitergehe: „Dann weißt du, okay, noch einen dazu (…)“ <5>. Die Lösung der Aufgabe nennt die Studierende schließlich selbst: „Dann bist du bei einundzwanzig. Klasse.“ <7> Auf diese Weise wird deutlich, dass es der Studierenden offenbar weniger darum ging, die konkrete Additionsaufgabe zu lösen, sondern vielmehr darum, den vollen Zehner als Zwischenergebnis hervorzuheben und damit die Materialhandlung mit Blick auf das Teilschrittverfahren an der entscheidenden Stelle zu interpunktieren.

5.2.2 Lilly: „und die Zahlenfreunde waren?“

Nach einem Spiel zur Zahlzerlegung bearbeitet Lilly in ihrer vierten Förderstunde einige Aufgaben des Typs ZE +E am Rechenrahmen. Dabei fordert der Studierende, der mit ihr arbeitet, sie stets auf, genau zu beschreiben, wie sie vorgeht (Tab. 4).

Tab. 4 Transkriptausschnitt: „und die Zahlenfreunde waren?“

Lilly wird aufgefordert, die Aufgabe 47 + 7 am Rechenrahmen zu lösen und dabei, „das ganz genau zu sagen“ <1>. Lilly führt daraufhin die Materialhandlung auf intendierte Weise aus: Sie stellt die 47 mit der minimalen Anzahl an Fingerstreichen ein, fügt dann auf der fünften Stange die übrigen drei Kugeln hinzu und schließlich auf der sechsten Stange weitere vier Kugeln <1>. So ist am Ende die 54 als Summe am Rechenrahmen abzulesen. In ihrer funktionalen Vorgangsbeschreibung benennt Lilly sowohl die drei für das Teilschrittverfahren wichtigen Punkte der Aufmerksamkeit als auch die beiden Teilsummanden. Alle Objekte linearisiert sie chronologisch (vgl. Heinemann 2001, S. 362; Abschn. 3.1): „Siebenundvierzig erst plus drei (…) sind fünfzig. Und dann plus vier.. (…) sind, äh, vierundfünfzig.“ <2> Ihre Beschreibung wird von dem Studierenden ausdrücklich bestätigt: „Super (…).“ <3>.

Der zweite Summand, den Lilly nicht benannt hat, dessen Zerlegung sie aber korrekt genutzt hat, wird dann vom Studierenden im Nachhinein als „Zahlenfreunde“ erfragt: „(…) und die Zahlenfreunde waren?“ <3> Insbesondere das „und“ macht deutlich, dass der Studierende hier kaum Lillys Beschreibung korrigiert, sondern nachträglich und deutlich abgegrenzt von der eigentlichen Beschreibung eine Nachfrage stellt. Die Benennung des zweiten Summanden wird aus der chronologischen Linearisierung der Beschreibung genommen und damit auch inhaltlich ausgelagert. Lilly benennt die genutzten „Siebenerfreunde“ korrekt: „Drei und vier waren die Siebenerfreunde.“ <4> Indem sie dabei im Präteritum formuliert, bestätigt sie, dass der zweite Summand als eigenes Objekt nicht mehr Teil der handlungsbegleitenden Beschreibung ist, aber rückblickend in der Materialhandlung identifiziert werden kann. Der Studierende ist mit dieser Veränderung offenbar zufrieden: „Du kannst das schon richtig gut, ne?“ <5>.

5.2.3 Zwischenfazit

Die beiden Analysebeispiele illustrieren, wie mit dem Beschreiben das Zwischenergebnis des vollen Zehners als zentraler Punkt der Aufmerksamkeit aus der Materialhandlung herausgehoben wird. Obgleich der volle Zehner in der ersten Szene sowohl in der konkreten Handlung am Rechenrahmen als auch in der Beschreibung als Zäsur bereits wahrnehmbar ist, wird nun seine explizite Benennung und damit eine deutlich erkennbare Aufmerksamkeitsfokussierung auf diesen Punkt eingefordert (vgl. Abschn. 5.1.2). Er wird als ein wichtiges mathematisches Objekt in der Interaktion konstituiert und seine Benennung soll fortan Teil einer angemessenen Beschreibung sein (vgl. Dörfler 1988, S. 75 ff.). Auf diese Weise wird das Charakteristische des Teilschrittverfahrens interaktional herausgearbeitet, nämlich das Rechnen über den vollen Zehner.

In der zweiten Szene wird der zweite Punkt der Aufmerksamkeit bereits in vergegenständlichter Form als Teil der Beschreibung benannt (vgl. Abschn. 5.2.2). Er taucht in der zeitlichen Linearisierung der Beschreibung als Zwischenergebnis auf. In dieser Verlagerung der Aufmerksamkeit auf den vollen Zehner „verschwindet“ der zweite Summand aus der handlungsbegleitenden Beschreibung. Er wird nur mehr in seiner zerlegten Form genutzt und beschrieben und ggf. nachträglich noch mal prüfend betrachtet. So wird die Materialhandlung mit dem Beschreiben auf das fürs Teilschrittverfahren Wesentliche reduziert (vgl. Abschn. 3.3).

Beide Analysebeispiele dokumentieren den funktionalen Charakter der Beschreibungen, mit denen der für das Teilschrittverfahren zentrale Punkt der Aufmerksamkeit herausgearbeitet wird. Es werden nicht bloß wahrnehmbare Abfolgeschritte beschrieben, sondern die Beschreibungen werden zunehmend nach der Funktion der einzelnen Teilhandlungen organisiert (vgl. Abschn. 3.3). Deren Funktion ist allerdings ganz wesentlich durch die zu erarbeitende Strategie des Teilschrittverfahrens bestimmt. Der damit verbundene (Rechen-)Vorteil wird gleichwohl nicht expliziert. An entscheidender Stelle im Erarbeitungsprozess zeigt sich somit eine interaktionale „Leerstelle“.

5.3 Mit Beschreibungen das Beschreiben verdichten

5.3.1 Annika: „du kannst ruhig kurz“

Annikas sechste Förderstunde dreht sich vorrangig um Aufgaben des Typs ZE ± Z, die z. T. mit Mehrsystemblöcken, z. T. im Kopf bearbeitet werden. Gegen Ende der Stunde nennt die Studierende, die mit Annika arbeitet, dann zur Wiederholung noch einige Aufgaben des Typs ZE ±E, die Annika am Rechenrahmen lösen soll. Die erste dieser Aufgaben ist 26 + 5 (Tab. 5).

Tab. 5 Transkriptausschnitt: „du kannst ruhig kurz“

Annika soll die Aufgabe 26 + 5 am Rechenrahmen lösen <1>. Dabei besteht der Arbeitsauftrag wesentlich darin, auch etwas zu sagen. Annika bezieht sich offenbar auf diese Aufforderung zum Beschreiben, als sie hinsichtlich der Ausführlichkeit nachfragt: „Alles sagen?“ <2> In der Interaktion zwischen ihr und der Studierenden sind offenbar unterschiedlich ausführliche Varianten der Beschreibung etabliert. Die Studierende gestattet die kurze Form: „Nee, du kannst ruhig kurz.“ <3> Als Erklärung für ihre Entscheidung gibt sie an, dass sie ja wisse, wie Annika es meine. Auch wenn andere Zuhörer diese Variante vielleicht nicht verstehen würden, ist die kurze Form der Beschreibung für die Studierende als Adressatin durchaus geeignet, da sie das dafür notwendige Wissen mit Annika teilt (vgl. Feilke 2012; Morek und Heller 2012).

Annika führt daraufhin die Materialhandlung auf intendierte Weise aus: Sie stellt die 26 als ersten Summanden mit möglichst wenigen Fingerstreichen ein, fügt dann auf der dritten Stange die übrigen vier Kugeln hinzu und schließlich auf der vierten Stange eine weitere Kugel <4>. Damit ist die 31 als Summe am Rechenrahmen abzulesen. In ihrer Beschreibung bezeichnet Annika ausschließlich die für das Teilschrittverfahren relevanten drei Punkte der Aufmerksamkeit und formuliert damit nah an der von Schipper (2009, S. 113) vorgeschlagenen Kurzsprechweise (vgl. Abschn. 2.3): „Eine Sechsundzwanzig. Dann (…) eine Dreißig. (…) Das sind dann einunddreißig.“ <4> In ihrer Reduzierung auf die Punkte der Aufmerksamkeit setzt Annika die Punkte zeitlich zueinander in Beziehung und verweist damit explizit auf die von ihr vorgenommene chronologische Linearisierung (vgl. 3.1).

Die Studierende zeigt sich mit dieser knappen Variante einer Beschreibung einverstanden und bietet dann eine noch knappere an, in der sie nacheinander die drei Punkte der Aufmerksamkeit bezeichnet – ohne einen Hinweis auf deren Beziehung zueinander: „Einfach sechsundzwanzig, dreißig, einunddreißig.“ <5> In dieser Beschreibung ist alles Prozesshafte verschwunden; alle Prozesse und Zustände zwischen den Punkten der Aufmerksamkeit werden gleichsam übersprungen (vgl. Dörfler 1986, S. 11). Den Zweck dieser Verdichtung erklärt die Studierende in Bezug auf eine mentale Repräsentation (vgl. Heinze et al. 2007, S. 576): „So kannst du dir das auch immer gut merken, ne?“ <5> Damit ordnet die Studierende die komprimierte Beschreibung, die nun exakt der von Schipper (2009, S. 113) vorgeschlagenen Kurzsprechweise entspricht, als eine Variante ein, die besonders gut behalten werden kann und damit auch über die konkrete Situation hinaus nützlich sein kann (vgl. Scherer und Moser Opitz 2010, S. 86).

5.3.2 Zwischenfazit

Das Analysebeispiel zeigt, wie das Beschreiben einer Materialhandlung zunehmend auf das chronologisch linearisierte Benennen der relevanten Punkte der Aufmerksamkeit reduziert werden kann (vgl. Schipper 2009, S. 113). Damit wird die Ausführung des Teilschrittverfahrens selbst gar nicht mehr beschrieben. Das Prozesshafte der Materialhandlung verschwindet aus der sprachlichen Darstellung und es kann daher aus funktional-pragmatischer Perspektive nicht mehr von einer Vorgangsbeschreibung gesprochen werden. Vielmehr einigen sich die Interaktionspartner darauf, dass die sprachliche Darstellung der Materialhandlung auch in äußerst knapper Form erfolgen darf. Es wird ein Zahlentripel benannt, das die (chronologische) Struktur des Teilschrittverfahrens abbildet, auf seine Anwendung aber nicht mehr explizit verweist. In diesem Konzentrat erhalten bleibt der für das Teilschrittverfahren charakteristische Punkt der Aufmerksamkeit: der volle Zehner als Zwischenergebnis auf dem Weg vom ersten Summanden hin zur Summe. Offen bleibt, inwieweit Annika selbst deutlich ist, warum gerade diese drei Zahlen geeignet sind, um die Materialhandlung und die Nutzung des Teilschrittverfahrens zu beschreiben.

5.4 Zusammenfassung der Ergebnisse

Anhand des Beschreibens von Materialhandlungen zur Erarbeitung des Teilschrittverfahrens für Aufgaben des Typs ZE +E am Hunderter-Rechenrahmen konnten drei unterschiedliche Praktiken des Beschreibens rekonstruiert werden:

  1. 1.

    Erstens wird mit Beschreibungen die Handlung gesteuert und so ausgestaltet, dass sie strukturell mit dem zu lernenden Teilschrittverfahren übereinstimmt. Es wird interaktional abgesichert, dass die Kugeln auf den „richtigen“ Stangen des Rechenrahmens und mit möglichst wenigen Fingerstreichen bewegt werden. Damit kann das Angebot oder die Anforderung verbunden sein, die vorkommenden Zahlen in vergegenständlichter Form zu nutzen (vgl. Dörfler 1988, S. 75 ff.; Sfard 2008, S. 44 ff.; Abschn. 2.3). Für das Teilschrittverfahren ist diese Anforderung im Hinblick auf den ersten Summanden und die Summe früher zu beobachten als im Hinblick auf den neuen und für das Teilschrittverfahren charakteristischen Punkt der Aufmerksamkeit, den vollen Zehner.

  2. 2.

    Zweitens wird mit Beschreibungen das Charakteristische des Teilschrittverfahrens fokussiert, nämlich der volle Zehner als Zwischenergebnis (vgl. Dörfler 1988, S. 105 f.; Abschn. 2.3). Auch wenn dieser Punkt der Aufmerksamkeit schon vorher in die Materialhandlung hineingedeutet werden konnte und die Beschreibung der Materialhandlung schon eine passende Zäsur enthielt, wird nun seine explizite Benennung eingefordert. Auf diese Weise wird zeitlich versetzt auch der zweite Punkt der Aufmerksamkeit in der Interaktion vergegenständlicht (vgl. Dörfler 1988, S. 75 ff.). Diese Fokussierung der Aufmerksamkeit auf den vollen Zehner kann mit einem „Verschwinden“ des zweiten Summanden einhergehen (vgl. Abschn. 5.2.2). Er wird dann handlungsbegleitend nur noch in seiner zerlegten Form genutzt und beschrieben.

  3. 3.

    Drittens wird mit Beschreibungen das Beschreiben selbst verdichtet. Alle Prozesse und Zustände zwischen den Punkten der Aufmerksamkeit werden gleichsam übersprungen und nicht mehr beschrieben. Für das Teilschrittverfahren wird die Beschreibung zu einem Zahlentripel reduziert, in dem nur noch die drei relevanten Punkte der Aufmerksamkeit in chronologischer Reihenfolge benannt werden. Sie „tragen“ gemeinsam die zu erwerbende Rechenstrategie des Teilschrittverfahrens.

6 Diskussion

Die dargestellten Praktiken des Beschreibens sind qualitativ-interpretative Analyseergebnisse und daher kein Ausgangspunkt für universale Folgerungen, sondern für ein vertieftes Verstehen der beobachteten Interaktionsprozesse (vgl. Tiedemann 2012, S. 71 ff.). Die daraus entwickelten Einsichten können prinzipiell auch für andere Zusammenhänge, in denen Rechenstrategien anhand von Materialhandlungen erarbeitet werden, sinnvoll und relevant sein. Die Einschätzung, inwiefern die Einsichten dort aber tatsächlich nützlich sein können, bleibt den dortigen Akteuren vorbehalten.

Für die hier untersuchten Interaktionsprozesse ist aus diskursanalytischer Perspektive zunächst festzustellen, dass es das Beschreiben von Materialhandlungen gar nicht gibt. Denn die Interaktionspartner nutzen die Sprachhandlung des Beschreibens in der Erarbeitung des Teilschrittverfahrens für ganz unterschiedliche Zwecke: So wird mit Beschreibungen die Materialhandlung gesteuert und zielgerichtet ausgestaltet, wird der volle Zehner als charakteristischer Punkt der Aufmerksamkeit aus dem Handlungsfluss herausgehoben und wird schließlich das Beschreiben selbst verdichtet. Insgesamt zeigt sich somit, dass die Praktiken des Beschreibens es erlauben, das Charakteristische des Teilschrittverfahrens anhand der konkreten Handlungen am Rechenrahmen Stück für Stück und interaktional abgesichert herauszuarbeiten. Die Lernenden erhalten Zugang zu einer Materialhandlung, die strukturell mit dem Teilschrittverfahren übereinstimmt und ihnen die Möglichkeit eröffnet, das Charakteristische des Teilschrittverfahrens zu erkennen und mental zu repräsentieren. Nachfolgend soll dieses Ergebnis mit Blick auf die Lernenden, mit Blick auf die Lehrenden und mit Blick auf mögliche Ansatzpunkte für eine Verbesserung der interaktionalen Erarbeitung des Teilschrittverfahrens diskutiert werden.

Für Lernende bedeutet es eine Herausforderung, dass das Beschreiben in der Erarbeitung des Teilschrittverfahrens in Form von drei unterschiedlichen sprachlichen Praktiken realisiert werden kann. So können sich für sie hinter der womöglich immer gleichen Aufforderung, die Materialhandlung zu beschreiben, gänzlich unterschiedliche interaktionale Anforderungen verbergen. Die Lernenden sind gefordert, jeweils situativ angemessen zu entscheiden, worauf es beim Beschreiben hier und jetzt ankommt (vgl. Tiedemann 2015, S. 57). Dabei können sich die Unterschiede auf die Funktion der Beschreibung, infolgedessen aber auch auf ihre Form beziehen (vgl. Quasthoff 2011, S. 212). So sind für eine Beschreibung, mit der eine Materialhandlung als ein konkreter Vorgang am Rechenrahmen dargestellt wird, durchaus andere sprachliche Mittel geeignet als für eine verdichtete Beschreibung, deren Kürze gerade dadurch erreicht wird, dass alles Prozesshafte der Handlung übersprungen und stattdessen (fast) ausschließlich Zahlwörter aneinandergereiht werden. Auf diese Weise können mit variierenden interaktionalen Anforderungen also auch variierende sprachliche Anforderungen einhergehen. Annika zeigt ihr (implizites) Wissen darum, als sie vor ihrer Beschreibung erfragt, wie ausführlich sie beschreiben soll, und dann im Wesentlichen drei Zahlwörter nennt, aus funktional-pragmatischer Perspektive also gar keine Vorgangsbeschreibung mehr produziert (vgl. Abschn. 5.3.1).

Für Lehrende bedeutet die Existenz unterschiedlicher Beschreibungspraktiken, dass sie das Beschreiben bei der interaktionalen Erarbeitung des Teilschrittverfahrens vielfältig nutzen können, aber hinsichtlich ihrer jeweiligen Erwartungen auch möglichst reflektiert und als Gesprächspartner für Lernende transparent sein sollten: Worauf soll die Aufmerksamkeit mit dem Beschreiben hier und jetzt fokussiert werden? Dieser Aspekt wird auch dadurch besonders relevant, dass es sich bei den hier untersuchten Beschreibungspraktiken um Beschreibungen in Lehr-Lern-Kontexten handelt, die eben nicht ohne Weiteres den Beschreibungen, die Kinder womöglich aus ihrem Alltag kennen, entsprechen (vgl. Abschn. 3.3). So sind die Beschreibungen von Materialhandlungen funktional auf den Förderkontext abgestimmt, was sie (zumindest aus alltäglicher Perspektive) zu merkwürdigen Äußerungen werden lassen kann: Es wird eine Materialhandlung beschrieben, obwohl diese von allen Interaktionspartnern gut gesehen werden kann, es gibt situativ feste Anforderungen an das Beschreiben, die sich im Laufe der Zeit aber verändern (können), und irgendwann kann eine Handlung sogar mit nur drei Zahlwörtern beschrieben werden. In Lehr-Lern-Kontexten sind Lehrende daher in besonderer Weise gefordert, ihre Erwartungen an das Beschreiben der Kinder deutlich zu machen. Darauf bezogene Reflexionen aufseiten der Lehrenden zu fördern, ist somit eine wichtige Aufgabe für alle Phasen der Lehrerbildung.

Schließlich kann anhand der Zusammenschau der drei Beschreibungspraktiken m. E. ein Ansatzpunkt für eine mögliche Verbesserung der interaktionalen Erarbeitung des Teilschrittverfahrens identifiziert werden. Ein solcher Ansatzpunkt mag insbesondere angesichts der in der Forschung dokumentierten eher niedrigen Nutzungsquoten des Teilschrittverfahrens von mathematikdidaktischem Interesse sein (vgl. Beishuizen 1993; Abschn. 2.1). So zeigt sich, dass mit dem funktionalen Beschreiben zwar wichtige Grundlagen für die Erarbeitung des Teilschrittverfahrens gelegt werden können, dass dabei aus inhaltlicher Perspektive aber entscheidende Leerstellen bleiben. Die funktionalen Vorgangsbeschreibungen ermöglichen es, die Handlung am Rechenrahmen so zu interpunktieren, dass der volle Zehner als charakteristisches Zwischenergebnis beim Teilschrittverfahren herausgehoben wird. Sie ermöglichen es aber nicht, auch den Vorteil dieses Vorgehens zu explizieren. So kommt mit den Praktiken des Beschreibens gerade nicht zur Sprache, inwiefern es nützlich ist, die Materialhandlungen auf intendierte Weise auszuführen, inwiefern die intendierte Materialhandlung in einen Rechenvorteil „übersetzt“ werden kann und inwiefern es für das Lösen von Aufgaben des Typs ZE +E im Zahlenraum bis 100 überhaupt ein lohnendes Ziel ist, über den vollen Zehner zu rechnen und den zweiten Summanden zu diesem Zweck auf eine ganz bestimmte Weise zu zerlegen (vgl. Abschn. 2.1). So wird anhand der Beschreibungspraktiken häufig gerade nicht deutlich, inwiefern die Lernenden das Vorgehen des Teilschrittverfahrens als vorteilhaft erfahren oder nicht doch als eine „Verkomplizierung des Rechnens“ (Gaidoschik 2010, S. 401). Die interaktionale Erarbeitung des Teilschrittverfahrens könnte folglich dadurch verbessert werden, dass die beim Beschreiben implizit bleibenden Zwecksetzungen expliziert und damit für die Lernenden in der Interaktion zugänglich gemacht werden.

Aus funktional-pragmatischer Perspektive sind für eine solche Explikation von Zwecksetzungen Sprachhandlungen des Erklärens erforderlich. Erklärungen gehen über die (strukturierende) Beschreibung des Sichtbaren hinaus und explizieren die innere Systematik und damit den Zweck eines Sachverhalts (vgl. Erath 2017; Maisano 2019; Redder et al. 2013). Praktiken des Erklärens kommen in dem hier zugrunde gelegten Datenkorpus kaum vor, werden nicht selten vorrangig von den Studierenden geleistet und damit nur in geringem Umfang zur gemeinsamen interaktionalen Aufgabe gemacht (vgl. Abschn. 5.1.1, 5.1.2 und 5.3.1). Daher kann vermutet werden, dass es insbesondere für Kinder mit besonderen Schwierigkeiten beim Rechnenlernen eine Unterstützung darstellen könnte, wenn die Praktiken des Beschreibens nicht nur als Lösung für ein interaktionales Problem (vgl. Abschn. 3), sondern auch als „Abstoßungspunkt“ für darauf aufbauende Erklärungen genutzt würden (Redder 2013, S. 131; vgl. auch Maisano 2019). Dann könnten die Lernenden nicht nur das Charakteristische, sondern auch das Vorteilhafte des Teilschrittverfahrens erkennen und würden es womöglich häufiger von sich aus zur Lösung von Additions- und Subtraktionsaufgaben mit Zehnerübergang nutzen. Empirisch bleibt damit zu untersuchen, wie solche Praktiken des Erklärens zur Erarbeitung des Teilschrittverfahrens gestaltet werden können, inwieweit Lernende z. B. die Vorteile auf handelnder und/oder symbolischer Ebene auch selbst entdecken, reflektieren und in das gemeinsame Erklären einbringen können und inwieweit solche Praktiken des Erklärens als Erweiterung der interaktionalen Erarbeitung des Teilschrittverfahrens dann tatsächlich eine häufigere Nutzung begünstigen (können).

6.1 Transkriptionslegende

In allen Transkripten werden die Äußerungen in der ersten Spalte fortlaufend gezählt. Darauf wird im Text in spitzen Klammern verwiesen: <4>. Für eine gute Lesbarkeit sind die Transkripte so weit wie möglich der Schriftsprache angenähert. Zudem wurden folgende Zeichen und Formatierungen genutzt:

  • kursiv: Beschreibung von Mimik, Gestik und Handeln

  • fett: betont gesprochen

  • . .. …: Pause von 1, 2 oder 3 Sekunden

  • (x Sek.): Pause von x Sekunden