Was ist eine Handlung? Christian Kietzmann geht es in seiner Monographie um einen bestimmten Begriff von Handlung. Für ihn sind Handlungen primär Bewegungen oder Veränderungen, die auf Gründen beruhen und von der Handelnden aus Gründen vollzogen werden (13/14). Kietzmanns Fokus liegt auf dieser Schnittstelle, an der wir als Handelnde Veränderungen in der Welt bewirken, die für diese Veränderungen relevanten Bewegungen aber aus Gründen vollziehen, weshalb Bewegungen dieser Art, also Handlungen, immer auch ein „geistige[r] Aspekt“ charakterisiert (14). Die Besonderheit, die Handlungen dadurch zukommt, will Kietzmann in seiner Arbeit begrifflich artikulieren.

Im ersten Kapitel (21–43) beginnt er seine Untersuchung, indem er sich zunächst mit Theorien kritisch auseinandersetzt, deren begriffliche Bestimmung von Handlungen zu einseitig und darum mangelhaft sind. Nach dieser einleitenden Problemsichtung versucht Kietzmann im zweiten Kapitel (44–66) in einem ersten Anlauf zu zeigen, wie man den Zusammenhang von Handlungen und Gründen denken kann, sodass eine Handlung im gesuchten Sinn vorliegt, die Handelnde also eine Bewegung aus Gründen vollzieht und auch eine Vorstellung von diesen Gründen als den Gründen ihres Handelns hat. Hierzu greift Kietzmann auf den Begriff des Schließens oder Schlussfolgerns zurück. In Anschluss an Aristoteles’ Bemerkungen zum sog. „Praktischen Syllogismus“Footnote 1 schlägt er vor, dass Handlungen und Handlungsmotivation „in Analogie“ zum Akt des „theoretischen Schließen[s]“ verstanden werden sollten (56). Eine Handlung ist demnach die Konklusion eines praktischen Schlusses, dessen Prämissen den Grund artikulieren, der für diese Handlung spricht. Wer praktisch schließt, legt sich somit auf „die Ausführung einer Handlungsart“ (59) fest, und zwar deshalb, weil er oder sie einen Grund für diese Festlegung und die entsprechende Handlung hat. Handeln aus Gründen ist darum praktisches Schließen, denn es ist gewissermaßen die Bejahung des Schlusszusammenhangs zwischen der Handlung (Konklusion) und dem Grund (Prämissen), der für diese Handlung spricht.

Gewiss könnte man schon an dieser Stelle zweifeln, ob man so wirklich erklärt, was eine Handlung ist und wie eine Handelnde zu einer Handlung motiviert wird. Denn die Festlegung auf eine Handlungsart scheint ja noch nicht zu garantieren, dass diejenige, die sich so im Denken festlegt, auch tatsächlich (gemäß dieser Festlegung) handelt, sich also entsprechend bewegt. Um diesen Zweifeln entgegenzuwirken, ergänzt Kietzmann seinen im zweiten Kapitel skizzierten Vorschlag in den folgenden Kapiteln um einige zusätzliche Erklärungen.

Im dritten Kapitel (69–90) beginnt er mit einer Untersuchung zum Verhältnis zwischen instrumentellen Zweck-Mittel-Schlüssen und dem Vollzug von Handlungen. Sein Ausgangspunkt ist dabei die Beobachtung, dass Handlungen als Bewegungen durch Aussagen einer bestimmten Form repräsentiert werden, die sich durch den Kontrast zwischen perfektivem und imperfektivem Verbalaspekt definiert (73–83).Footnote 2 Denn von einer Bewegung, z. B. der Autofahrt ins Büro, kann man entweder sagen, dass sie gerade im Gang ist („Paula ist dabei ins Büro zu fahren“, imperfektiver Aspekt); oder aber, dass sie abgeschlossen ist („Paula ist ins Büro gefahren (und jetzt dort)“, perfektiver Aspekt). Diese beiden Aspektbestimmungen stehen aber nicht unvermittelt gegenüber, sondern enthalten einen wechselseitigen Bezug zueinander, vor allem insofern das, was wir unter Verwendung des imperfektiven Aspekts ausdrücken, gewissermaßen auf das vorgreift, was wir unter Verwendung desselben Handlungsverbs im perfektiven Verbalaspekt ausdrücken (81/82). Denn im Normalfall ist Paula dabei ins Büro zu fahren (imperfektiver Aspekt), um dort zu sein, d. h. damit sie selbst oder ein Außenstehender später sagen kann: Sie ist ins Büro gefahren (perfektiver Aspekt).

Durch diese Ausrichtung auf das, was wir in der perfektiven Aspektbestimmung aussagen, ergibt sich eine Gliederung von Bewegungen und somit von Handlungen in voneinander unterscheidbaren Phasen. Und diese innere Struktur von Handlungen verknüpft Kietzmann schließlich mit der Zweck-Mittel-Relation, wie sie für instrumentelle Schlüsse charakteristisch ist (86–91). Aber dieses instrumentelle Schließen der Handelnden ist dem in Phasen eingeteilten Vollzug der Handlung nicht äußerlich. Beides bildet eine Einheit, da die Handelnde die Phasen der entsprechenden Bewegung ja nur vollzieht, weil sie so vom Zweck, d. i. der zu realisierenden Handlung, auf die Mittel, d. i. die dafür erforderlichen Teilhandlungen oder Handlungsphasen, schließt. In Kietzmanns eigenen Worten: „Die Phasen [der Handlung, F.R.] werden denkend vollzogen und somit denkend miteinander verknüpft. Ihr Vollzug ist nichts anderes als praktisches Schließen.“ (87)

Erneut könnte man an dieser Stelle zweifeln: Reicht es aus, wenn die Handelnde in einem praktischen Schluss aus der Vorstellung einer zu realisierenden Handlung (als Zweck) geeignete Mittel ableitet, um auch zum Vollzug der so abgeleiteten Handlung bewegt zu werden? Doch dieser Einwand wird von Kietzmann gekonnt abgefangen: Während das dritte Kapitel dem gilt, was man traditionell in der zweiten Prämisse eines praktischen Syllogismus erwartet, nämlich die Überzeugung vom Vorliegen eines Zweck-Mittel-Verhältnisses, befasst sich Kietzmann im vierten Kapitel (91–115) mit dem Element, das in der ersten Prämisse eines solchen Syllogismus enthalten ist: dem Wollen oder der Absicht der Handelnden. Kietzmann argumentiert in diesem Kontext gegen die traditionelle Sicht, gemäß der der grundlegende Fall eines praktischen Schlusses darin besteht, dass von einem Wollen oder einer Absicht in der ersten Prämisse und einer Überzeugung bezügliches des Zweck-Mittel-Verhältnisses in der zweiten Prämisse auf eine Handlung als Mittel geschlossen wird. Er folgt darin M. ThompsonFootnote 3, der darauf hinweist, dass Aussagen über ein Wollen oder eine Absicht der Handelnden in Handlungserklärungen die gleiche Rolle spielen wie Aussagen über ein absichtliches Handeln, das die Handelnde vollzieht, indem sie u. a. die im praktischen Schluss abgeleitete Teilhandlung ausführt (93–95). Um nämlich zu erklären, warum man z. B. gerade dabei ist, den Motor des Autos zu starten, kann man als Grund entweder angeben: weil ich dabei bin ins Büro zu fahren (absichtliches Handeln); oder weil ich ins Büro fahren will (Wollen); oder weil ich ins Büro zu fahren beabsichtige (Absicht). Die Erklärungsform ist in allen Fällen dieselbe, weshalb Wollen und Absicht in Handlungserklärungen auf derselben Stufe wie absichtliches Handeln stehen; in allen drei Fällen liegt eine Tendenz hin zur abgeschlossenen Handlung vor, die unter Verwendung des perfektiven Verbalaspekts vorgestellt wird. Und dementsprechend fasst Kietzmann Wollen und Absicht auch als Tendenzen auf, also als Formen des Imperfektiven, die zum Perfektiven tendieren (95/96).Footnote 4 Der Unterschied dieser drei Erscheinungsformen des Imperfektiven liegt lediglich im Grad der Bestimmtheit, der von der Tendenz des Wollens hin zum Beabsichtigen und absichtlichen Handeln zunimmt (97–112).

Das größte Gewicht in Kietzmanns Argumentation kommt dann den Ausführungen in den beiden letzten Kapiteln zu, in denen er sich mit dem Begriff des praktischen Wissens befasst, den er unter zwei Gesichtspunkten analysiert: Im sechsten Kapitel (139-177) geht es um das praktische Wissen als Wissen, was zu tun ist; im abschließenden siebten Kapitel (178–198) um das praktische Wissen im Sinne Anscombes,Footnote 5 nämlich als Wissen, was man gerade absichtlich tut.Footnote 6 Kietzmann will zeigen, dass beides Momente eines einheitlichen Begriffs praktischen Wissens sind, d. h. dass das Wissen, was zu tun ist, letztlich zugleich ein Wissen davon ist, was man gerade tut. Wenn man diese Einheit versteht, dann – so argumentiert Kietzmann – versteht man auch, inwiefern Handeln aus Gründen im praktischen Schließen besteht (140).

Den Begriff des praktischen Wissens analysiert Kietzmann nun zunächst indirekt über den Begriff der praktischen Meinung oder Überzeugung — erst am Ende seiner Arbeit (192–198) geht er der Frage nach, ob und inwiefern praktische Meinungen auch als ein Wissen verstanden werden können. Seine Analyse dieses Begriffs der praktischen Meinung verknüpft Kietzmann in den beiden abschließenden Kapiteln mit der Diskussion zweier verwandter, aber voneinander abgrenzbarer Probleme der Metaethik. In beiden Fällen geht es um non-kognitivistische Zweifel bezüglich der Rolle von praktischen Meinungen im Handeln und in der Handlungsmotivation: Im einen Fall bestreitet der Non-Kognitivist, dass eine praktische Meinung ein ausschlaggebender Faktor in der Motivation zu einer Handlung sein kann (141–156); im anderen Fall, dass die Meinung darüber bzw. das Wissen davon, was man gerade tut, für das absichtliche Handeln wesentlich ist (179–183). Kietzmann liefert in beiden Fällen eine sehr gute Diagnose, wie es zur Gegenüberstellung der beiden kognitivistischen und non-kognitivistischen Positionen kommt; und inwiefern dies jeweils einem Dilemma gleichkommt, da beide Extrempositionen mit komplementären Problemen zu tun haben und daher unzureichend sind. Er selbst will in beiden Kontexten einen Mittelweg zwischen Kognitivismus und Non-Kognitivismus vorschlagen, wobei sein Vorschlag eine Affinität zur kognitivistischen Seite dieser Gegenüberstellung zu erkennen gibt.

Um den Umschlag in das bereits als problematisch ausgewiesene Extrem des Kognitivismus zu vermeiden, betont Kietzmann, dass praktische Meinungen, wie er sie versteht, eine besondere Art von Überzeugungen sind (184–182): Es sind keine „theoretischen Überzeugungen“, die von diesen Überzeugungen selbst „unabhängig bestehende Tatsachen repräsentieren“ (185). Es handelt sich vielmehr um „selbstbewusste Überzeugungen“ (186), bei denen das, was in ihnen vorgestellt oder repräsentiert wird, nicht vom Akt des Vorstellens verschieden ist; sie sind darum, wie Kietzmann auch nahelegt, „Akte der Selbstbestimmung“ (186).

Der Begriff des Selbstbewusstseins ist an dieser Stelle wichtig, denn er markiert den zentralen Gedanken der gesamten Arbeit. Das Selbstbewusstsein, das so in praktischen Meinungen zum Ausdruck kommt, erklärt nämlich die Einheit der beiden Dimensionen praktischen Wissens. Dies kann man sich etwa wie folgt verdeutlichen: Praktisches Schließen ist für Kietzmann eine auf Gründen beruhende Festlegung auf eine bestimmte Handlungsart. Und wer auf diese Weise praktisch schließt, hat eine praktische Meinung darüber, was zu tun ist (a). Da diese praktische Meinung aber eine selbstbewusste Überzeugung ist, können wir auch sagen: Wer so praktisch schließt, weiß bzw. ist sich zugleich darüber bewusst, was er dabei gerade tut (b), nämlich sich selbst auf eine bestimmte Handlungsart festzulegen (d. h. auf das, was zu tun ist). Dieses Sich-Festlegen auf eine Handlungsart ist daher Ausdruck von praktischem Wissen im Sinn von (a) und (b). Und weil Kietzmann anzunehmen scheint, dass diese Festlegung, also der praktische Schluss, bereits zu dem gehört, was man tut, wenn man die entsprechende Handlung vollzieht, scheint an diesem Punkt seine These etabliert zu sein: Handeln aus Gründen ist praktisches Schließen (188/189).

Um diesen Gedanken nachvollziehen zu können, muss hier erneut die von Kietzmann betonte Kontinuität von Wollen, Beabsichtigen und absichtlichem Handeln berücksichtigt werden. Alle drei Elemente gehören zum Imperfektiven, das zum Perfektiven, d. i. zum Abschluss der Handlung, tendiert. Das praktische Schließen scheint Kietzmann in dieses Kontinuum aufnehmen zu wollen; zumindest kann man die Erläuterung seiner Hauptthese so verstehen: Praktisches Schließen ist Handeln, denn wenn man sich darauf festlegt, A zu tun, dann ist man bereits dabei, A zu tun; und hat kraft der selbstbewussten praktischen Meinung, dass A zu tun ist, zugleich ein Wissen davon, dass man gerade A tut. Dieser Schritt scheint jedoch zugleich problematisch zu sein, denn durch die (hinsichtlich der explanatorischen Funktion nachvollziehbare) Angleichung an das absichtliche Handeln geraten auch die so angeglichenen Elemente in die Nähe des Bewegungsbegriffs. Für das Wollen und Beabsichtigen gesteht Kietzmann das sogar explizit zu. Wollen und Beabsichtigen sind für ihn Grenzfälle der Bewegung (siehe Kap. 4), was man in diesen Fällen vielleicht noch akzeptieren kann, da z. B. ein Wollen im Sinne eines Strebens auch als eine Gemütsbewegung verstanden werden kann. Aber kann man ein solches Zugeständnis auch für das praktische Schließen als einer Form des Denkens machen? Es ist nicht klar, ob man diesen Schritt wagen will oder wagen sollte; diese würde etliche Zusatzprobleme heraufbeschwören, die besser zu vermeiden sind.Footnote 7

Was bleibt aber, wenn man das praktische Schließen nicht an den Bewegungsbegriff und somit an das Imperfektive angleichen will? Eine Reaktion könnte darin bestehen, dass man den bei Kietzmann zugrunde gelegten Handlungsbegriff als zu eng verwirft, da offenbar die Einschränkung auf aus Gründen vollzogene Bewegungen an dieser Stelle Schwierigkeiten bereitet. Allerdings spricht gegen diese Reaktion, dass Handlungen nun mal in vielen, wenn nicht den meisten Fällen genau das sind: Bewegungen bzw. durch Bewegungen verursachte Veränderungen in der Welt. Weitaus besser wäre es daher, wenn man versucht, das Verhältnis zwischen praktischem Denken (bzw. Schließen) und den Bewegungen, in denen das Handeln besteht, noch präziser zu bestimmen. Es ist jedoch fraglich, ob Kietzmann zu diesem Verhältnis genug gesagt hat, weshalb letzten Endes auch ein Zweifel bleibt, ob er die zentrale These seiner Arbeit ausreichend etabliert hat; d. h. ob er gezeigt hat, dass die durch praktisches Schließen gewonnene Festlegung auf eine Handlungsart – und zwar aus Gründen, die für diese Handlungsart sprechen – selbst schon als Handlung bzw. als Phase einer solchen Handlung verstanden werden kann.

Dieser Zweifel sollte aber niemanden von der Lektüre dieser Arbeit abhalten. Es lohnt sich in jedem Fall, da Kietzmann ein sehr gutes und an vielen Stellen überaus subtiles Argument für eine interessante These vorlegt. Da seine Überlegungen zudem den neusten Stand der Forschung in Handlungstheorie und Metaethik aufarbeiten, ist die Lektüre von Handeln aus Gründen als praktisches Schließen absolut empfehlenswert.