1 Einleitung

„Wer krank ist, hofft auf Genesung, auf Wiederheilwerden. Er befindet sich in genau demselben Existenzmodus wie jeder Christ, der auf die Ankunft des Erlösers wartet: im langgestreckten Advent.“ (Sommerfeld 2022, S. 380)

„Gerade die gegenwärtig in weiten Teilen des Westens dominante Ideologie, die sich durch eine Verbindung sozialistischer, materialistischer und ökologistischer Elemente kennzeichnet und dabei bezeichnenderweise gerade von den Reichen und Mächtigen vorangetrieben wird, ist in einem pervertierten Sinne abendländisch par excellence und darf wohl als der ultimative Moment begriffen werden, an dem unsere Zivilisation sich dialektisch ad absurdum führt.“ (Dirsch und Engels 2022a, S. 10)

Krankheit, Siechtum, Niedergang, Zerstörung – für Caroline Sommerfeld ist jedoch nicht der Mensch erkrankt, sondern für sie liegt das „christliche Abendland“ respektive das „deutsche Volk“ im Sterben. Auch Felix Dirsch und David Engels betonen, dass das Christentum in Europa, „unsere Zivilisation“, sich in einer tiefgreifenden Krise befinde, die nur ein Vorgeschmack eines massiven Umbruches in Europa sei: Durch sozialistische und materialistische Ideen in Europa sekundiert, werde die bestehende Ordnung der eigenen Kultur aufgehoben und das Ende der christlichen Kultur hervorgebracht. Im Hintergrund dieser Dynamik stehene „Reiche und Mächtige“ als antichristliche Mächte bzw. Personifizierungen des Antichristen selbst. Doch für Sommerfeld zielt die Katastrophe auf ein höheres Ziel: In Aufnahme einer christlichen Hoffnung auf Errettung verortet sie sich selbst in einem „langgestreckten Advent“.

Die Muster von Niedergangs- und Endzeitrhetorik sind in Texten der extremen Rechten und insbesondere im Spektrum der so genannten Neuen Rechten omnipräsent.Footnote 1 Der antiliberale Kulturpessimismus als Abwehr gegen eine ‚dekadente‘ Moderne kann als ein Grundmerkmal der extremen Rechten betrachtet werden (Stern 1963; Gerhards 1999; Weiß 2016, 2018; Fuchs 2019) und scheint mit apokalyptischen Deutungsmustern innerhalb des Nationalismus bzw. der extremen Rechten Hand in Hand zu gehen (zuletzt: Nagel 2021, S. 109–140). So formuliert thesenhaft bereits Klaus Vondung: „Der politische Nationalismus in Deutschland ist von seiner Geburtsstunde an von apokalyptischen Vorstellungen durchsetzt und geprägt.“ (Vondung 1988, S. 153) Die Aufnahme von apokalyptischen Bildern stellt eine Interpretation christlicher Topoi dar und deutet grundsätzlich auf die Relevanz des Christentums innerhalb des Rechtsextremismus hin.

Die folgende wissenssoziologisch orientierte Analyse von drei apokalyptisch geprägten Texten aus dem Spektrum der Neuen Rechten verfolgt insbesondere zwei Ziele: Erstens werden unterschiedliche Dimensionen eines „[r]eligiösen Deutungsmusters“ (Nagel et al. 2008, S. 308), das durch apokalyptische Bilder erzeugt wird, rekonstruiert. Damit leistet die Analyse der apokalyptischen Bilder einen Beitrag zur Frage, in welchem Verhältnis sich Christentum und Neue Rechte, aber auch grundsätzlich extreme Rechte zueinander verhalten. Diesem wichtigen Relationsgefüge ist, auch in Auseinandersetzung mit apokalyptischen Deutungen, in jüngerer Vergangenheit verstärkt nachgegangen worden (Schilk 2021; Claussen und Fritz 2021). Der zweite thematische Fokus dieses Beitrages spitzt die Analyse der apokalyptischen Deutungen zu und wird auf der Frage liegen, welche Personen, Mächte oder politischen Ideen im Rahmen dieser Texte im Hintergrund der krisenhaften Entwicklungen positioniert werden. Wer wird also mit der antichristlichen Macht bzw. dem Antichristen personifiziert und damit als das personifizierte Böse und als Schuldigen für das Ende des christlichen Abendlandes ausgemacht?

Die vorgenommene Doppelperspektive, die einerseits die Rolle des Christentums im Kontext der extremen Rechten beleuchtet und andererseits die Analyse von apokalyptischen Krisendeutungen in der extremen Rechten fokussiert, verbindet diese Untersuchung grundsätzlich mit der Antisemitismusforschung. Apokalyptische Deutungen haben insbesondere im Spektrum nationalistischer bzw. nationalsozialistischer Ideologie eine deutliche Korrelation zu antisemitischen Topoi hervorgebracht (Neumaier 2008; Bärsch 1995). Kann, so die hier zu untersuchende Frage, eine Kontinuität einer (implizit) antisemitisch codierten Grundstruktur der apokalyptischen Deutungen innerhalb der extremen Rechten erkannt werden?

Als empirisches Material dieser Untersuchung werden drei Texte aus dem Bereich der Neuen Rechten herangezogen, die in zwei Sammelbänden in jüngerer Vergangenheit publiziert wurden (Dirsch und Engels 2022b; Dirsch et al. 2018). In beiden Bänden ist auffällig, dass die Autor:innen, die allesamt der Neuen Rechten zuzuordnen sind, ein explizit positives Verhältnis zum Christentum artikulieren. Diese positive Aufnahme des Christentums ist von Relevanz, um aus einer theologischen Perspektive reflektieren zu können, inwiefern christliche Topoi aufgenommen bzw. (um)interpretiert werden.

Der Beitrag ist daher wie folgt gegliedert: Zunächst (Kapitel 2) wird theoretisch reflektiert, was unter moderner apokalyptischer Krisendeutung zu verstehen ist und welche Affinitäten sich innerhalb der apokalyptischen Literatur zum Antisemitismus erkennen lassen. Hierbei sollen auch Grundmuster innerhalb der apokalyptischen Deutungen identifiziert werden, die als besonders anknüpfungsfähig für antisemitische Stereotype identifiziert werden können. Folgend (Kapitel 3) wird eine wissenssoziologische und gleichzeitig antisemitismustheoretisch informierte Methodenperspektive auf apokalyptischen Deutungen beschrieben. Im Hauptteil des Beitrages (Kapitel 4) werden die Texte aus unterschiedlichen Perspektiven ausgewertet und analysiert.

2 Apokalyptische Krisendeutung und Antisemitismus

2.1 Grundmuster der apokalyptischen Deutung in der Moderne

Apokalyptische Bilder, wie sie insbesondere im Kontext der Johannes-Offenbarung formuliert sind, entfalten auch heute Wirkmächtigkeit und haben stets eine besondere Faszination ausgestrahlt. Die Kunst- und Literaturproduktion, aber auch die Verwendung apokalyptischer Bilder in der Politik sind mannigfaltig und ziehen sich durch die Jahrhunderte hindurch, um ein (angenommenes) nahendes Weltende zu beschreiben (Vondung 2008). Der Blick in die Geschichte der apokalyptischen Krisendeutung zeigt: Apokalyptische Fantasien bzw. Projektionen erzeugen in jeder Generation neue Bilder einer sich radikal transformierenden oder vergehenden Welt. Krisenerfahrungen werden immer wieder neu gedeutet und in eine „apokalyptische Matrix“ überführt (Trimondi und Trimondi 2006, S. 11).

Die Aufnahme und Deutung der Welt in apokalyptischer Semantik ist ein deutliches Anzeichen dessen, welche kulturelle, d. h. kommunikativ-symbolische Prägung dem Christentum auch in einer sich säkularisierenden (d. h. entkirchlichenden) Gesellschaft innewohnt. Trotz Entfremdung von Kirche sind christliche Motive, Sprachbilder und Deutungsmuster daher weiterhin präsent. Hier soll mit Bezug auf die Apokalypse nicht auf die Debatte zwischen Karl Löwith und Hans Blumenberg rekurriert werden, in der die Präsenz apokalyptischer Deutungen in der Moderne zeitdiagnostisch zu erklären versucht wurde und jeweils aus unterschiedlichen Perspektiven das Verhältnis von Säkularisierung und Wirkmacht der Religion in der Moderne bestimmt wurde (Blumenberg 1966; Löwith 1953). Vielmehr wird hier die transformative Dispersion von Religion und spezifischer eines religiösen kommunikativen Symbolsystems angenommen, welche zur bleibenden Präsenz von religiöser Semantik im säkularen Kontext führt. Das Beispiel der apokalyptischen Texte scheint hier ein herausgehobenes Beispiel dieser Dispersion darzustellen, auch wenn weitere Aspekte des christlichen Symbolsystems angeführt werden könnten, die in einer sich stark entkirchlichenden Gesellschaft weiterhin Wirkkraft entfalten. Wenn hier von apokalyptischen Deutungen in der Moderne die Rede ist, so verweist dies auf die starke Handlungsposition des Menschen, der (anstelle Gottes) verantwortlich für Unheil und Heil in der Welt ist (vgl. Nagel 2021, S. 17–18. 24). Apokalyptische Deutungen in der Moderne haben sich i. d. R. von einer eschatologischen Hoffnungslogik der Apokalypse verabschiedet und doch wird aus dem Fundus der Motive, Semantiken und Bilder der christlichen Tradition geschöpft, die sich durch diesen Umdeutungs-, respektive Aneignungsprozess konsequenterweise verändert.Footnote 2

Zur bleibenden Funktion apokalyptischer Deutungen: Andreas Weymann betont aus soziologischer Perspektive die Dimension der Kontingenzbearbeitung durch apokalyptische Deutungen, die insbesondere im Kontext von Krisenerfahrungen aufkommen. Die Frage nach dem Sinn in der Welt werde durch die Erfahrung von kontingenten und krisenhaften Situationen herausgefordert, auf welche die apokalyptischen Deutungen eine sinnstiftende Antwortmöglichkeit seien (vgl. Weymann 2008, S. 14). Denn in apokalyptischen Deutungen werde der Krise die Sinnlosigkeit entzogen: „Apokalypsen bezeichnen die Endzeit, werden von Propheten verkündet, trennen Gut und Böse und deren Anhänger radikal, rufen zum letzten Gefecht auf. Die Welt danach ist ganz neu und anders, nicht nur reformiert.“ (Weymann 2008, S. 15) Die Krise wird durch die apokalyptische Deutung in eine Entwicklung verlagert, der ein eigener Sinn innewohnt: Die Apokalypse werde nicht in der Breite einer Bevölkerung erkannt, weswegen es der Erkenntnis bzw. des Wissens von Einzelpersonen bedarf, die als (offenbarende) Propheten auftreten. Ein weiteres Charakteristikum, auf das Weymann hier hinweist, ist die stark dualistische und moralische Komponente apokalyptischer Deutungen: In der Endzeit treten Kräfte des Guten und Bösen auf den Plan, die sich in einer gewaltsamen und entscheidenden Auseinandersetzung befinden. Die dualistische Polarisierung zwischen Gut und Böse kann geradezu als „apokalyptische Metasemantik“ benannt werden (Nagel 2008, S. 55, kursiv im Original). Apokalyptische Deutungen „übersetzen die Komplexität der unübersichtlichen, funktional bis ins Kleinste ausdifferenzierten Gesellschaft in einfache Dualismen“ (Nagel 2021, S. 22). Der Kampf zwischen Gut und Böse ist in apokalyptischen Deutungen jedoch kein zwangsläufiger und automatischer Ablauf der (Un)heilsgeschichte: Auch in der apokalyptischen Deutung kann eine abwehrende Kraft auftreten, die den katastrophalen Niedergang verhindert und in der theologischen Traditionsgeschichte der Figur des Katechons steht. Das/der Katechon geht auf eine theologische Ermahnung innerhalb der paulinischen Theologie zurück (2 Thess 2,6f.), um den „Endzeiteifer der jungen christlichen Gemeinden zu dämpfen“ (Nagel 2021, S. 127). Im Lauf der Geschichte wurden unterschiedlichste historische Akteur:innen (Kirche; in der Moderne v. a. Imperien und Nationalstaaten) als katechontische Widerkraft beschrieben, denen damit eine politische herausgehobene Funktion der Krisenabwehr zugeschrieben wird, um die Macht des Antichristen zu brechen (Hagemeister 2016; vgl. Nagel 2021, S. 127–136).

Den Zielpunkt der apokalyptischen Deutung stellt die gänzlich veränderte neue Welt dar, was grundsätzlich in biblischer Tradition eine Hoffnungsperspektive in die apokalyptische Deutung einträgt. Bernd U. Schipper loziert den Entstehungskontext apokalyptischer Literatur, wie er sie für das antike Judentum und das sich herausbildende Christentum beschreibt, in Personengruppen, die als geistige, jedoch marginalisierte Eliten zu betrachten sind und Erfahrungen von Ausgrenzung und Verfolgung reflektieren (Schipper 2008, S. 89–95). Aus dieser Situation der Unterdrückung erwachse die Hoffnung auf das Eingreifen Gottes in eine als pervertiert und lebensfeindlich wahrgenommene Welt. Auch in der Moderne reagieren apokalyptische Deutungen auf Ängste, die Welt oder die „eigene“ Kultur etc. stünden vor dem Nieder- oder Untergang. Diese Wahrnehmung von gesellschaftlichen Krisen habe sich, so Weymann, im Kontext der Postmoderne weiter zugespitzt: Die Postmoderne sei geprägt von „Wahrnehmungen der Fäulnis und Dekadenz“, die aus einer skeptischen Grundhaltung entstünden, in der der Gedanke des gesellschaftlichen Fortschrittes in der Geschichte radikal angezweifelt werde (Weymann 2008, S. 20). Diese Abwehr von gesellschaftlichen Dynamiken der Moderne münde dann in Bildern, die das bevorstehende Ende und den Niedergang der Welt beschrieben.

Dem apokalyptischen Deutungspotential wohnt neben der Bearbeitung einer kognitiven Dissonanz (zwischen konkreter Gegenwartsdeutung und Idealvorstellung) immer auch ein Handlungsimpuls inne: Einerseits internalisieren Menschen apokalyptische kommunikative Deutungen und eignen sich diese diskursiv an. Andererseits werden sie durch Apokalypsen motiviert zu handeln: Sei es aktivistisch gegen das Eintreten eines Unheilzustandes bzw. für einen Heilszustand, oder sei es quietistisch im Weltenzug bzw. einer stillen Hoffnung auf externe Rettung: Apokalyptische Deutungen entfalten auch unter den Vorzeichen der Moderne eigene Handlungsmacht (vgl. Krech 2008; Nagel 2021, S. 23f.).

Weymann erkennt in apokalyptischen Deutungen des 20. und 21. Jahrhundert die romantische Verklärung der Vormoderne und damit einhergehend die Ablehnung von gesellschaftlichen Dynamiken der Moderne. Insbesondere die moderne Urbanisierung werde zum Ausdruck des Niedergangs (vgl. Weymann 2008, S. 21–26): Das Leben in der Stadt werde in apokalyptischen Deutungen zum Ausgangspunkt genommen, den Ort der Vergesellschaftung (vgl. ebenso: Tönnies 1979, S. 219) als Ausdruck des Werteverfalls und des Niedergangs zu beschreiben. Das sittenhafte und moralisch-integre Leben auf dem Land in Gemeinschaft verkomme durch Anonymität, den Verlust von (christlicher) Religion, biologischer Unfruchtbarkeit, Technisierung, Verwissenschaftlichung und ökonomische Logiken: „Die neue Religion der Stadt und ihrer Bürger ist die Wissenschaft, ihre Machtbasis ist die Wirtschaft.“ (Weymann 2008, S. 22) Damit bereite das Leben in der Stadt jeder großen Kultur den Todesstoß, wie pointiert Oswald Spengler kulturpessimistisch für die Großstadt in der Moderne in Analogie zu Rom attestierte:

„Damit findet die Geschichte der Stadt ihren Abschluss. Aus dem ursprünglichen Markt zur Kulturstadt und endlich zur Weltstadt herangewachsen, bringt sie das Blut und die Seele ihrer Schöpfer dieser großartigen Entwicklung und deren letzter Blüte, dem Geist der Zivilisation zum Opfer und vernichtet damit zuletzt auch sich selbst.“ (Spengler 1923, S. 684)

In weiteren Untersuchungen zu modernen apokalyptischen Deutungen ist betont worden, dass deren Zukunftsprognosen deutlich divergieren. Betonte der gängige apokalyptische „Dreischritt Krise-Gericht-Fülle“ (Nagel 2008, S. 51) die eschatologisch-hoffnungsvolle Transformation von Krise und Not in eine Zeit der Fülle, ließen sich im modernen Kontext davon differente apokalyptische Figurationen der Heilsperspektive erkennen: Die Heilsperspektive werde gänzlich der Zukunft entzogen oder in die Vergangenheit verlegt. Verschiedene Modelle der apokalyptischen Deutungen in der Moderne wurden dabei herausgearbeitet (vgl. Nagel 2021, S. 33f.; Betz und Bosančić 2021, S. 15f.):

  • Klaus Vondung beschreibt als ein Grundmodell der modernen apokalyptischen Deutung die „kupierte Apokalypse“, die sich „auf die Vision des Untergangs beschränkt“ (Vondung 1988, S. 106). Die kupierte apokalyptische Deutung sei demnach um die an die Katastrophe des Untergangs anschließende Heilszeit beschnitten und blicke fokussiert auf den Niedergang und die Zerstörung. Im Zentrum steht demnach die Prognose der kommenden Unheilszeit. Dabei wird von Vondung die Funktion kupierter apokalyptischer Deutungen darin ausgemacht, dass diese auf die Verhinderung des katastrophalen Zustandes hinwirken möchten. Als aktuelles Beispiel der kupierten apokalyptischen Deutungen kann die Beschreibung der katastrophalen Folgen der Klimakrise benannt werden, die es mit allen Mitteln zu verhindern gilt (Keller 2013; Ghosh 2017; Wendt 2021).

  • Eine zweite Modifikation der apokalyptischen Deutungen, die ebenfalls „katastrophisch“ orientiert ist (Betz und Bosančić 2021, S. 16), lässt sich mit Claudia Gerhards als „inverse Apokalyptik“ (Gerhards 1999, S. 38) beschreiben: Zwar gehe diese Form der apokalyptischen Deutung von einer Heilszeit aus, verbanne diese jedoch aus der Zukunft und verwurzele sie in einer verklärten Vergangenheit. Damit verbindet sich mit der inversen Apokalyptik der sehnsuchtsvolle Blick zurück in eine Zeit der Fülle bzw. des moralisch integren Zustandes. Auch in der inversen Apokalyptik soll ein Zustand des Niedergangs verhindert werden, wozu aktuell sichtbare Tendenzen des Niedergangs zerstört werden sollen und zu einem vergangenen Heilzustand zurückgekehrt werden soll.

  • Als drittes Modell kann eine „klassisch-modernisierte Apokalypse“ ausgemacht werden (Gerhards 1999, S. 32), in der der Grundschritt der Apokalypse (Unheil-Gericht-Heil) erhalten bleibe, die demnach als „chiliastisch“ zu beschreiben sei (Betz und Bosančić 2021, S. 15). In die auf Erlösung gerichteten Deutungen werde weiterhin die Hoffnung aufrechterhalten, dass auf Zerstörung eine grundlegende Besserung des Ist-Zustandes folge und damit ein „Paradiesversprechen“ erhalten blieben (Weymann 2008, S. 14). In die Hoffnung auf ein neues Zeitalter des Heils würden jedoch moderne Logiken des Fortschrittsglaubens eingetragen: So entfalte sich die Idee einer durch den Menschen erreichbaren Heilswelt, wie sie beispielsweise durch Zuhilfenahme von technologischem Fortschritt möglich werde.

2.2 Bezüge zu antisemitischen Weltdeutungen

Die thematische Auseinandersetzung zur Korrelation von apokalyptischen Deutungen und antisemitischen Grundmustern in diesen ist erstaunlicherweise bisher nur am Rande geschehen. So wurde in historischen Analysen herausgearbeitet, dass die Figur des Antichristen in apokalyptischen Deutungen im Nationalsozialismus sich explizit auf Jüdinnen:Juden bezog. Die vergleichende Untersuchung zu Dietrich Eckart, Joseph Goebbels und Adolf Hitler hat hier ein Kontinuum von apokalyptischen wie antisemitischen Motiven beschrieben (Bärsch 1995). Ebenso wurde im gegenwärtigen Diskurs die Verschwörungserzählung des so genannten „Großen Austausches“ als apokalyptisches Narrativ dargestellt, das ebenfalls eine erkennbar antisemitische Struktur aufweise (vgl. Roepert 2021, S. 52–55; Botsch und Kopke 2018).Footnote 3 Doch tatsächlich stellen diese Untersuchungen Einzelfallanalysen dar, in denen apokalyptische Deutungen auf ihre Anfälligkeit für antisemitische Stereotype nicht vertieft befragt wurden. Auch der Beitrag „Apokalyptik“ im Handbuch des Antisemitismus verweist lediglich auf einzelne historische Beispiele, in denen apokalyptische Deutungen mit antisemitischen Anfeindungen korrelieren (Gow 2010). Die Frage nach Strukturanalogien zwischen apokalyptischen Deutungen und Antisemitismus bleibt auch hier unzureichend beantwortet. Die Relevanz, Apokalypse und Antisemitismus aufeinander zu beziehen, begründet sich auch aus zuletzt erschienenen Untersuchungen, in denen christliche judenfeindliche Traditionen für die Untersuchung des Antisemitismus betont wurden (Tarach 2022; Pangritz 2023).Footnote 4

Daher werden in der Folge als erster Ansatz einzelne Grundmuster, die Teil der apokalyptischen Matrix sind, benannt, die gleichzeitig als konstitutive bzw. strukturelle Elemente des Antisemitismus beschrieben werden können. Vorangestellt soll auf eine Annahme innerhalb der Antisemitismusforschung verwiesen werden, die für die hier behandelten Texte ebenfalls aufschlussreich ist, da in ihnen nicht explizit von Jüdinnen:Juden als die Gestalten des Antichristen die Rede ist. Jean Paul Sartre beschreibt den Antisemitismus als eine phantasierte Idee vom Juden (vgl. Sartre 1945, S. 447), die sich nicht auf das reale Verhalten von Jüdinnen:Juden bezieht. Damit grenzt sich Sartre deutlich von korrespondenztheoretischen Annahmen ab, die die Genese des Antisemitismus als Ergebnis historischer oder sozialer Konflikte zwischen Nichtjüdinnen:Juden und Jüdinnen:Juden betrachten. Sartres Diktum „existiert der Jude nicht, der Antisemit würde ihn erfinden,“ (Sartre 1994, S. 12) bringt das imaginative und projektive Element des Antisemtismus auf den Punkt. Damit geht Sartre für die Analyse des Antisemitismus nicht von der jüdischen Existenz aus, sondern betont die antisemitische Imagination, die für den Antisemitismus wesentlich sei: Der Antisemit entzieht sich jeder Verantwortung und überträgt alle Schuld für alles Übel auf der Welt auf einen imaginierten Juden (vgl. Klein 1994, S. 563). „Der Jude gleiche in den antisemitischen Vorstellungen dem Geist des Bösen und damit letztlich Satan. Er sei das Böse schlechthin und verantwortlich für alles Böse in der Gesellschaft.“ (Salzborn 2010, S. 70) Antisemitische Argumentationsweisen können demnach auch dort auftreten, wo das abgrundtief Böse personifiziert wird und auf stereotype Motivtraditionen des Antisemitismus zurückgegriffen wird. Die Linguistin Monika Schwarz-Friesel verweist dabei in zahlreichen Arbeiten darauf, dass diese Motivtraditionen nach der Shoah ohne die explizite Nennung des Juden oder des Judentums auskomme und so jedoch weiterhin ein „impliziter Antisemitismus“ zum Ausdruck komme (Schwarz-Friesel 2022, S. 74; vgl. Schwarz-Friesel 2015; Schwarz-Friesel und Reinharz 2013). Durchaus kongruent zur Beschreibung eines „impliziten Antisemitismus“ lässt sich die Wahrnehmung von antisemitischen Codes betrachten, die im Zuge einer postnazistischen „Kommunikationslatenz“ entstanden (Bergmann und Erb 1986). Antisemitische Motive werden auch innerhalb der extremen Rechten nicht weiter explizit geäußert, sondern im Modus einer „Umwegkommunikation“ an andere Topoi angeknüpft.

Dass der Antisemitismus nicht nur Vorurteilsstruktur oder unbewusste Leidenschaft gegenüber „den Juden“ ist, führt Sartre zur Beschreibung, dass es sich beim Antisemitismus um eine rationalisierbare Weltanschauung bzw. eine manichäisch geprägte Welterklärung handele (vgl. Sartre 1994, S. 14). Weiter ist die antisemitische Weltanschauung nach Sartre geprägt durch einen expliziten Destruktionswillen, durch den die stratifizierte Gesellschaft zugunsten einer vermeintlich egalitären und primitiven Gemeinschaftsordnung zerstört werden soll:

„Es geht […] um die Schäden, die eine böse Macht der Gesellschaft zufügt. Folglich besteht das Gute darin, das Böse zu zerstören. Hinter der Verbitterung des Antisemiten verbirgt sich der optimistische Glauben, nach der Vertreibung des Bösen werde sich die Harmonie von selbst wieder einstellen.“ (Sartre 1994, S. 29)

Die dualistisch-manichäische Weltanschauung ist bereits bei Sartre notiert und wird in der Antisemitismustheorie nach Mortimer Ostow weiter ausgeführt (Ostow 1996). Sie stellt gleichzeitig eine Meta-Semantik der apokalyptischen Deutungen dar. Die manichäische Teilung der Welt in Bereiche des Guten und des Bösen ist durch die Annahme eines bevorstehenden endzeitlichen Kampfes zwischen zwei strikt voneinander getrennten Kräften ebenfalls in apokalyptische Deutungen eingetragen. Sowohl antisemitisches Weltbild als auch apokalyptische Krisendeutung grenzen die eigene Person bzw. Wir-Gruppe als Teil des Guten deutlich von einem imaginativen Gegenüber ab. Dualistische Weltdeutungen stellen dabei eine Form der „vereindeutigenden“ Interpretation der Welt dar (vgl. zum Konzept der Vereindeutigung: Bauer 2018), um die eigene kognitive Dissonanz zwischen Ist-Zustand und Ideal zu überwinden. Das manichäische Weltbild wirkt dabei handlungsleitend, da der destruktive Wille, der aus ihm hervorgehe, „selbst einen tiefen Hang zum Bösen habe“, wie Salzborn mit Verweis auf Sartre festhält (Salzborn 2010, S. 72).

In apokalyptischen Deutungen wird in großer Analogie von einem Antichristen ausgegangen, von dem die Kraft des Bösen ausgehe. Das Motiv des Antichristen ist zwar, beispielsweise in der lutherischen Reformation nicht auf das Judentum bezogen worden (der Antichrist ist das Papsttum!) und doch wird das Judentum als eine widergöttliche Kraft als negatives Gegenüber zu Kirche und Heil begriffen (vgl. Leppin 2023, S. 105). Der Antichrist ist im kirchlichen Kontext der Gegenentwurf zum Leben Christi, weswegen er polyvalent auf die unterschiedlichsten inner- wie außerkirchlichen Gegner applizierbar ist (die Herrscher der Welt, das türkische Reich, und innerhalb der Reformation v. a. der Papst) (vgl. Leppin 1998, S. 532 f.). Der Fokus auf die innerkirchliche Kritik und die Infragestellung des eigenen (sündigen) christlichen Lebens, die in nachreformatorischer Zeit über die Figur des Antichristen weiterverfolgt wurde, verschob sich in der Neuzeit auf außerkirchliche Dimensionen. Sei es die Französische Revolution, den Materialismus, den Sozialismus oder das Judentum: Der Antichrist wurde in angeblichen Feinden des Christentums gesucht (George 1998; gegenwärtig am Beispiel der Predigten des Patriarchen Kirill: Probst 2023). Damit ist das judenfeindliche Potenzial, das im Motiv des Antichristen erscheint, benannt und kann mit dessen Aufnahme in den verschwörungsideologischen Protokollen der Weisen von Zion untermauert werden (vgl. Benz 2016; Hagemeister 2020, S. 58). Ende des 19. Jahrhunderts erschienen, ist dieses Pamphlet, so Wolfgang Benz, ein „Nukleus der modernen Verschwörungsmythologie“ (Benz 2016, S. 35). Den Kern der Verschwörungslegende bildet das angebliche Streben einer nächtlich und geheim agierenden jüdischen Gruppierung, die auf die Errichtung einer Weltherrschaft abziele. Diese Weltherrschaft soll unter Zuhilfenahme von Manipulation, Liberalismus und Demokratie die Zersetzung von Moral und die vollständige Unterjochung herbeiführen. Wichtig für die Wirkung der Protokolle, ist die Vermutung, dass die jüdische Geheimgesellschaft als Repräsentant und im Auftrag der Gesamtheit aller Juden agiere (vgl. Benz 2016, S. 43). Die Protokolle beschreiben in der Folge einzelne Motive, wie das Streben nach Weltherrschaft gelingen kann. So gehe es um die vollständige Kapitalakkumulation, um die Manipulation der Presse, indem freie Zeitungen zu Organen der Regierungen werden. Dies alles solle die Stellung der christlichen Kirchen unterminieren, die militärische Verteidigungsfähigkeit schwächen und Revolutionen auslösen, um letztlich die Zerstörung aller bestehender Moral zu erzielen (vgl. Benz 2016, S. 34). Mit den Protokollen der Weisen von Zion wird etwas kompiliert, was zuvor nur in Versatzstücken formuliert war: ‚Die Juden‘ zielen durch unterschiedliche, teilweise widersprüchliche, Maßnahmen darauf ab, eine Weltherrschaft zu errichten.

Im Zeithorizont der Veröffentlichung der Protokolle steuert Europa auf die Hochzeit des Nationalismus zu. Eine mögliche Zugehörigkeit zu einer Nationalität wird über das im 19. Jahrhundert entstehende Bild eines „internationalen Weltjudentums“, wie es in den Protokollen formuliert wird, ausgeschlossen. Das ‚internationale Weltjudentum‘ wird als machtvolle Lobby konstruiert, mit der die Imagination von einer überstaatlichen Kraft, die Finanzen und Politik bewegen kann, konnotiert wird. Die Protokolle der Weisen von Zion können als Prototyp der antisemitisch geprägten Verschwörungslegende beschrieben werden, in dem sich die unterschiedlichsten Motive, die wir bis heute in Verschwörungserzählungen erkennen, verwurzelt sind, wie auch an anderer Stelle beschrieben wird (Wippermann 2007; Salzborn 2021).

Als ein weiterer für die Analyse apokalyptischer Deutungen wichtiger Aspekt aus dem Bereich der Antisemitismusforschung ist die Rolle, wie sie Klaus Holz in einer modernen antisemitischen Semantik als gesellschaftlicher „kultureller Wissensvorrat“ herausgearbeitet hat (Holz 2001, S. 15). Hierbei betont Holz eine strukturell-hermeneutische Dimension der antisemitischen Kommunikation und konzentriert seine Theorie auf die Analyse von binären Selbst- und Fremdbildern im Nationalismus und deren Zusammenhang zu einer antisemitischen Weltanschauung. „Der Jude“ werde semantisch im Kontext des Nationalismus mit der Rolle eines „Dritten“ und nicht mit dem „des Fremden“ belegt. Der Nationalismus zeichne sich also einerseits durch das kontrastive Gegenüber zwischen nationaler Identität und dem national Fremden aus, entfalte jedoch im Antisemitismus das Bild vom Juden als das des gänzlich Anderen, der als kontrastive Konstruktion dazu auftrete. Mit dem Juden werde demnach die Figur personifiziert, welche die abgrundtiefe Gefahr für die Idee des Nationalen auslöse: „Die Nicht-Identität des ‚Juden‘ bedroht und zersetzt ‚unsere‘ Identität.“ (Holz 2001, S. 543) Es ist demnach für Holz nicht „der Fremde“, der die Nation zerstöre, sondern vom Juden gehe für den Antisemiten die gefährliche Destruktion der eigenen Nation aus. Er verkörpere die reale und gefährliche Option, dass die Welt nicht zwangsläufig im Rahmen des Nationalen zu denken sei. Diese Perspektive der Antisemitismusforschung gilt es ebenfalls im Bereich der Untersuchung von (insbesondere nationalistisch geprägten) apokalyptischen Narrativen zu bedenken, um den Nukleus der Gefahr des eigenen Wohls zu bestimmen: Wird beispielsweise (i. d. R. rassistisch aufgeladen) Migration als der entscheidende Grund des Niedergangs eigener Kultur/der eigenen Nation beschrieben oder eher als Symptom für dahinterliegende Mächte begriffen, die es eigentlich zu bekämpfen gelte?Footnote 5

3 Methodische Reflexion: Wissenssoziologische und antisemitismustheoretische Perspektiven der Apokalypseforschung

Aus den theoretisch reflektierten Beschreibungen apokalyptischer Deutungen in der Moderne und der Verbindung zu Aspekten der Antisemitismustheorie emergiert gleichermaßen ein Methodenrahmen der folgenden Untersuchung. Zunächst gilt es, apokalyptische Deutungen wissenssoziologisch-phänomenologisch als notwendige Sinnkonstruktionen und Sinndeutungen zu verstehen. Es wird in der Folge daher nicht geprüft bzw. falsifiziert, inwiefern angenommene apokalyptische Deutungen zutreffend sind oder nicht. Ebenso wird nicht auf die psychologische Disposition für die Annahme von Apokalypsen eingegangen. Sie erschließen sich grundsätzlich nicht aus dem bearbeiteten Datenmaterial. Vielmehr geht es um die Rekonstruktion von apokalyptischen Deutungsmustern in der Moderne, wofür eine kulturhermeneutische wie wissenssoziologische Perspektive der empirischen Religionsforschung, wie sie an oberer Stelle bereits angedeutet wurde, stark gemacht wird: (Gelebte) Religion findet sich dabei nicht exklusiv im Kontext religiöser Institutionen, sondern in der individuellen deutenden Bearbeitung des eigenen Lebens bzw. in sinnstiftenden Weltdeutungen (Probst 2022, 35–59; Gräb 2018; Weyel et al. 2013).Footnote 6 Hierbei wird auf ein religiöses (in diesem Fall: v. a. christliches) Symbolsystem der Apokalypse zurückgegriffen, welches hier Anwendung findet. Die Aufnahme apokalyptischer Deutungen ist demnach, selbst wenn sie keine „vertrauensvolle Sinneinstellung zum Leben“ zum Ausdruck bringt (Gräb 2018, S. 4), ein offen zu Tage liegender Ausdruck der Religionsproduktivität in der Moderne: Apokalyptische Deutungen liefern Welt- und Lebensdeutungen, bearbeiten Kontingenzen und wirken handlungsleitend.

Ähnlich wie für die empirische Religionsforschung grundsätzlich sind sozial- bzw. kulturwissenschaftliche Untersuchungen von apokalyptischen Deutungen und des Antisemitismus in ein weites Methodenfeld gestellt. Für die Antisemitismusforschung formulieren Bergmann und Erb paradigmatisch: „Die Antisemitismusforschung [ist] ein interdisziplinärer sozialwissenschaftlicher Forschungsansatz, der weder einheitliche noch eigenständige Methoden kennt.“ (Bergmann und Erb 1998, S. 117) Die Analyse von apokalyptischen Deutungen und eine weitergehende Beachtung von antisemitischen Motiven orientiert sich daher an einer interdisziplinären Methodenvielfalt. Für die nachfolgende wissenssoziologisch orientierte Textanalyse soll ein rekonstruktionslogisches Verfahren der Interpretation von Texten verfolgt werden, das der objektiven Hermeneutik entstammt. Dieses Verfahren, das anschlussfähig zu wissenssoziologischen Grundideen ist, fand durch Klaus Holz prominent Aufnahme im Bereich der Antisemitismusforschung, auf dessen methodologische Reflexionen und daran anknüpfende Hypothesen antisemitischer Motive hier verwiesen sei (vgl. Holz 2001, S. 116–164).

So soll im Nachgang einerseits eine Rekonstruktion apokalyptischer Deutungen in Texten der extremen Rechten geschehen, wofür ein explizit nicht-normativ orientiertes Modell der wissenssoziologischen Analyse von Alexander-Kenneth Nagel abgeschritten wird (vgl. Nagel 2021, S. 31–49): Nagel unterscheidet bei der Analyse von apokalyptischen Deutungsmustern bzw. der hier zum Ausdruck kommenden Zeichensysteme zwischen inhaltlichem „Gehalt (apokalyptischer Semantik), ihr[em] Arrangement (apokalyptischer Syntax) und ihrem Gebrauch (apokalyptischer Pragmatik)“ (Nagel 2021, S. 32–33). In diesem Dreischritt werden nunmehr konkrete Semantiken und Bilder als apokalyptisch identifiziert; weiter wird auf den dramaturgischen Ablauf der Apokalypse als Syntax bzw. Stil eingegangen; schließlich werden die Handlungsimpulse, die aus Apokalypsen erwachsen, als Pragmatik untersucht.

Andererseits wird in die Analyse der apokalyptischen Deutungen ein besonderer Fokus auf die Rekonstruktion antisemitisch geprägter Motive gelegt: Wie verbindet sich die Beschreibung von wahrgenommener Krise, Geschichtsverlauf und etwaiger Errettung mit Motiven des Antisemitismus? Hierfür wird u. a. auf eine Zusammenstellung antisemitischer Motive von Klaus Holz zurückgegriffen, die er seiner Analyse des nationalen Antisemitismus voranstellt (vgl. Holz 2001, S. 160–164).

4 Empirische Analyse: Apokalyptische Deutung in Texten der Neuen Rechten

In der Folge werden drei Einzeltexte aus dem Bereich der politischen Neuen Rechten vertieft und komparativ analysiert, um hierdurch die Verbindung von apokalyptischen Deutungen und antisemitisch geprägten Motiven zu rekonstruieren. Als Textmaterial wird einerseits auf einen Beitrag David Engels’ im Band Rechtes Christentum? (2018, S. 145–159) eingegangen, in dem er sich mit dem Untergang des Abendlandes auseinandersetzt und die „Zukunft des Christentums“ mit dem „Aufstieg des Islams“ kontrastiert. Weiter werden zwei programmatische Texte aus der jüngeren Veröffentlichung Gebrochene Identität? (Dirsch und Engels 2022b) aufgegriffen, in denen ebenfalls der angenommene Niedergang des christlichen Abendlandes bzw. des eigenen Volkes zum Ausgangspunkt von apokalyptisch geprägten Geschichtsdeutungen genommen werden. Herangezogen wird einerseits der den Band einleitende Text der beiden Herausgeber, in dem gleichermaßen Grundlinien der gesamten Veröffentlichung dargestellt werden (Dirsch und Engels 2022a) und ein Beitrag von Caroline Sommerfeld, in dem ein für sie geschehender Volkstod bzw. eine „Volksermordung“ dargestellt wird (Sommerfeld 2022).

Die Auswahl dieser drei Texte als Analysegrundlage begründet sich einerseits durch die deutlich nachvollziehbare Verortung der Autor:innen im Bereich der Neuen Rechten: In beiden angeführten Bänden versammeln sich unterschiedliche Autor:innen (Felix Dirsch, David Engels, Erik Lehnert, Martin Lichtmesz, Caroline Sommerfeld u. a.), die durch regelmäßige Publikationen in der Zeitschrift Sezession, herausgegeben durch das extrem rechte Institut für Staatspolitik, in Erscheinung getreten sind. Andererseits findet sich in beiden Bänden konsequent und explizit die positive Bezugnahme auf christliche Motive, die dazu dienen, um die Identität Europas zu bestimmen.

An dieser Stelle soll nicht der Inhalt beider Bände in Gänze beschrieben werden, sondern komparativ drei Beiträge eingehender analysiert werden. Hierzu wird in drei Schritten verfahren: Zunächst wird der Gegenstand der apokalyptischen Deutung der Krise bzw. des Niederganges rekonstruiert. Welche Phänomene werden als Ausdruck der tiefgreifenden Krise beschrieben? Als zweiter Schritt werden die Heils- bzw. Zukunftsperspektiven benannt und auf die oben dargestellten Modelle moderner Apokalyptik bezogen. Liegt das Heil in der Vergangenheit (inverse Apokalyptik) oder besteht eine Hoffnung auf eine zukünftige Heilsperspektive? Als dritter Analyseschritt werden die apokalyptischen Deutungen mit Blick auf Tendenzen und Bezüge zum Antisemitismus betrachtet. Welche Bilder des Antichristen werden aufgegriffen? Wie wird die dualistische Weltdeutung ausgestaltet?

4.1 Apokalyptische Deutungen des Niedergangs des christlichen Abendlandes und des deutschen Volkes

David Engels beschreibt im Beitrag Der Untergang des Abendlandes, der Aufstieg des Islams und die Zukunft des Christentums eine „tiefe innere Krise“ Europas, die sich seit dem Ersten Weltkrieg entfaltet habe. Die Lösung der Krise entscheide darüber, ob Europa mit „seiner kulturellen Identität [als] klar umrissene Zivilisation bleiben oder aber zu einem rein geografischen Begriff verkommen wird.“ (Engels 2018, S. 145) Die „kulturelle Identität“ Europas ist dabei Stichwortgeber für Engels, um den schroffen Gegensatz von liberalen Werten und einer „christlichen Leitkultur“ zu bestimmen. Mit dem Liberalismus gehe nicht nur ein die europäische Kultur zerstörender „Trend zur internationalen multikulturellen Gesellschaft“, sondern eine „zunehmende Islamisierung Europas“ einher (Engels 2018, S. 145). Nicht nur sei die europäische Kultur gefährdet, sondern es sei ein „baldiger Zusammenbruch seiner Zivilisation“ zu befürchten, wenn die heutige muslimische Minderheit „in wenig mehr als einer Generation schon die Mehrheit ausmachen“ werde (Engels 2018, S. 146). Die gefährdete europäische Kultur/Identität sei durch unterschiedliche Aspekte ausgelöst: Engels beschreibt einen „demografischen Selbstmord“ (Bevölkerungsrückgang), den „Zerfall der traditionellen Familie“ und einen „hedonistischen Egoismus“, die für ihn symptomatischer Ausdruck des Niedergangs sind. Weiter zählt Engels die zunehmende „Selbstabschaffung des Menschen durch die Maschine“, die Errichtung einer „Elitendemokratie“ sowie die „Diktatur der Finanzmärkte“, die allesamt ihren Beitrag zur Zerstörung der europäischen Identität geleistet hätten (Engels 2018, S. 147). Die Kritik und Abwehr der Moderne drückt sich weiter in einer Collage des für ihn sichtbaren Werteverfalls aus, der zu „massenhafter Abtreibung“, den „Verirrungen der Gender-Theorie“ und zu „absurder ethnischer und sexueller Quotenpolitik“ geführt habe (Engels 2018, S. 148). Das Grundübel des Niedergangs sei dabei die „rationalistische Aufklärung“, die durch den „gesellschaftlichen Antiklerikalismus und politischen Zynismus“ zum „Bedeutungsniedergang der altererbten Glaubensvorstellungen“ führe (Engels 2018, S. 148). Engels sieht nun im Gefolge von „massiver Immigration“ eine durch den Staat „fast aufdringlich geförderte Religionsausübung [nicht-christlicher Religionen]“, die zur Zerstörung des Christentums beitrage. Mit „Säkularisierung und Entchristianisierung der Gesellschaft“ durch das „linke und grüne Spektrum“ werde die Islamisierung Europas sekundiert (Engels 2018, S. 151). Die Anzeichen des Niedergangs Europas sind für Engels damit mit der Islamisierung bereits umrissen, jedoch prognostiziert er in den „nächsten 20 Jahre[n] […] massive Bürgerunruhen, [einen] wirtschaftlichen Niedergang und einen Kontrollverlust des Staates“, die den Tiefpunkt der zivilisatorischen Zerstörung darstellten. Nicht zu erwarten sei die Entwicklung eines europäischen Islams, da der Islam stärker als das Christentum seine kulturelle Identität in der Fremde bewahren könne.

Während im Beitrag von Engels aus dem Jahr 2018 die Islamisierung Europas als zentrales Charakteristikum des europäischen Kulturverfalls beschrieben wird, hat sich scheinbar die apokalyptische Deutung in den vergangenen Jahren modifiziert: So werden weitere Topoi und Begründungen des Niedergangs im Beitrag Christentum, Abendland, Europa artikuliert. Eines dieser Themen stellt zwar weiterhin die „Islamisierung“ in Europa dar (Dirsch und Engels 2022a, S. 19), jedoch werden in der einleitenden „Bestandsaufnahme“ insbesondere Aspekte des liberalen-westlichen „Selbsthasses“ zum Ausdruck gebracht, die den apokalyptischen Niedergang begründen. Ohne Zweifel wird der kulturpessimistische, ja auf apokalyptische Deutungen zurückgreifende Deutungscharakter des Textes deutlich: „Das Abendland ist in Gefahr“, es komme zum „Niedergang der eigenen Zivilisation“, zur „zunehmenden Schwächung des eigenen Kulturgefühls“ und „zur Perversion des Abendlandes“ (Dirsch und Engels 2022a, S. 7, 9). Weniger auf die „äußere Gefahr“ (des Islams) Bezug nehmend, betonen Dirsch und Engels die destruktiven Kräfte „im Inneren […], die sich so zugespitzt haben, dass die Taten – oder die Untätigkeit – der nächsten Jahre über das Geschick der nächsten Jahrhunderte entscheiden möge.“ (Dirsch und Engels 2022a, S. 7) Die Identitätsbestimmung Europas greift nun die Trias von griechisch-römischem Erbe, des jüdisch-christlichen Gottesbildes und der wissenschaftlichen Erkenntnisse der Aufklärung auf: „drei Elemente, die allen abendländischen Völkern gemeinsam sind und sie zutiefst von ihren Nachbarn unterscheiden.“ (Dirsch und Engels 2022a, S. 8) Auch wenn hier positiv und identitätsbestimmend auf die Aufklärung verwiesen wird, werden in der Folge „Fehlentwicklungen der Moderne“ benannt, die seit der Aufklärung aufgetreten seien, und „im Kontrast zu christlichen Werten“ stünden. Denn mit der Aufklärung habe sich zwar ein europäisches „zielgerichtetes, ‚faustisches‘ Streben“ entwickelt (Dirsch und Engels 2022a, S. 9), das nun aber dazu geführt habe, dass die eigene Zivilisation in der eigenen Bevölkerung zum „Objekt [des] Hasses“ geworden sei. Verantwortlich dafür machen Dirsch und Engels eine „dominante Ideologie, die sich durch eine Verbindung sozialistischer, materialistischer und ökologistischer Elemente kennzeichnet und dabei bezeichnenderweise gerade von den Reichen und Mächtigen vorangetrieben wird“ (Dirsch und Engels 2022a, S. 10). Sichtbar sei heute eine „menschenfeindliche Ideologie“, ein „kaum verhohlener Nihilismus“, der den „Wunsch nach Zerstörung all dessen widerspiegelt, was uns von den Vorfahren überlassen wurde“, verfolgt. (Dirsch und Engels 2022a, S. 13) Als konkretes Beispiel dieser zerstörenden Ideologie führen Dirsch und Engels nicht nur gesellschaftliche Debatten und wissenschaftliche Entwicklungen aus dem Bereich des Transhumanismus („eine unmenschliche Dystopie“: S. 14) an, sondern auch die Gefahren einer gesteuerten Zerstörung der Zivilisation durch einen „great reset“ (ebd., S. 15). Ein deutliches Zeichen des Niedergangs sei der „Verlust christlicher Glaubensbindung“, wie er durch die gesellschaftlichen Entwicklungen seit den 1960er-Jahren entstanden sei. Seither habe, so der Eindruck der Autoren eine Aussage Joseph Ratzingers aufnehmend, eine „Diktatur des Relativismus“ Einzug gehalten (ebd. S. 17). Dieser werde nicht zuletzt von kirchlichen Vertreter:innen befördert, wenn diese sich sowohl vom Konzept des christlichen Abendlandes distanzierten als auch die „(vor allem islamische) Masseneinwanderung und Bevölkerungsaustausch“ unterstützten (ebd., S. 19). Nicht zuletzt die „Corona-Diktatur“ habe deutlich gemacht: gegen das christliche Abendland werde eine „tyrannische Weltregierung“ installiert (ebd., S. 25).

Caroline Sommerfeld fokussiert sich in ihrem Beitrag Volkstod, Volksermordung, mysterium iniquitatis auf den „Volkstod“ (Sommerfeld 2022, S. 364), für den die „Gewalten des Bösen“ bzw. die „Widersachermächte“ (ebd., S. 365) verantwortlich gemacht werden, die beabsichtigten, ihre eigene „Weltordnung“ (ebd., S. 369) zu errichten. Sommerfeld beschreibt unter dem Topos des „Volkstodes“ nicht eine Analogie zum historischen Untergang von Staaten oder Imperien, sondern den Niedergang des eigenen Volkes als einen „Volksmord“ (später: „das deutsche Volk“, ebd., S. 380), der durch das Böse begangen werde und sich hier vorsätzlich und gesteuert ereigne. Dies ordnet Sommerfeld als Ausdruck der Apokalypse ein: „Das apokalyptische Denken kündet von nichts anderem als von der heilsgeschichtlichen Notwendigkeit des Bösen.“ (ebd.) Der Tod des eigenen Volkes ereigne sich, so Sommerfeld, im Verlauf von wenigen Jahrzehnten und zeige, wie eine „interessegeleitete Politik […] in den Lauf der Geschichte“ eingreife (ebd., S. 369). Die Phänomene des Niedergangs bzw. der „Kriegsführung“, wie sie sich „besonders wirkungsvoll [… in] Deutschland“ zeigten, sind vielfältig: Von der „Migrationswaffe“, „Digitalisierung“ oder eine „soziale Sterilisierung“ die zum demografischen Rückgang des eigenen Volkes führe: Das Ziel sei die Zerstörung des Eigenen, um eine „globalistische Vereinheitlichung der Völker“ zu erzielen (ebd. 370). In christlich-theologischer Semantik gefasst beschreibt Sommerfeld nun die (in Anführung von Carl Schmitt) eigentlich „katechontische Funktion“ des Staates, um das Erscheinen des Antichristen zu verhindern (ebd., S. 372). Da der Staat jedoch selbst durch das Böse korrumpiert sei, habe „der Staat selbst die globalistisch-weltfriedenssichernden Züge des Antichristen angenommen“ (ebd., S. 378). Die Unheilsperspektive von Sommerfeld bezieht sich demnach nicht auf die „christliche Identität“ oder das „christliche Abendland“, sondern auf „Europas Kernvolk“, das „womöglich physisch verschwindet“ (ebd., S. 380).

4.2 Heilserwartungen und Vergangenheitsverklärung

Zu den Beschreibungen des Unheils bzw. des apokalyptischen Niedergangs werden nun in allen drei Texten ebenso Heilsperspektiven formuliert, die einerseits eine Einordnung in genannte Modelle moderner Apokalyptik ermöglichen und andererseits ebenso über den Handlungsimpuls an die Rezipierenden Auskunft geben.

Engels Beschreibungen des Untergangs des Abendlandes bzw. der Islamisierung Europas verbindet sich mit einer Heilsperspektive, die er jedoch in der zukünftigen Restitution einer mittelalterlichen und zum Idealzustand stilisierten Vergangenheit beschreibt. Den katastrophischen Niedergang des christlichen Europas könne zum aktuellen Zeitpunkt keine „autoritäre Reform“ und kein „Wertkonservatismus“ aufhalten (Engels 2018, S. 151): Die Islamisierung könne gegenwärtig nicht gebannt werden. Und dennoch identifiziert Engels „Entscheidungen […], die in der Gegenwart zu treffen sind“, um eine zukünftige Restitution des Christlichen in Europa zu ermöglichen (ebd., S. 154):

„Sollte der Geist kultureller Selbsterhaltung aber noch stark genug sein, nach der kommenden Niedergangsphase den Wiederaufbau wesentlich mitzuprägen, könnte dies weit in die Zukunft wirkende, positive Konsequenzen für den Status des Christentums haben.“ (ebd., S. 154)

Das erfordere trotz Niedergang das „positive Bekenntnis zur eigenen Kultur“ bzw. zum „Ehrenvorrang des abendländischen Christentums als des seelischen basso continuo der europäischen Geschichte“ (ebd., S. 154f.). Demnach komme es darauf an, in der Zeit der Anfeindung bzw. des gesellschaftlichen Verlustes der eigenen Identität, als Vorbild und Zeichen für die Zukunft am christlichen Standpunkt festzuhalten und für die Zukunft zu bewahren. Eine besondere Bedeutung werde hierbei der katholischen Kirche zukommen, wenn Engels einfordert: Notwendig sei eine

„radikale Rückbesinnung der Kirche auf Form wie Inhalt der kulturell als verbindlich betrachteten religiösen Frühzeit der abendländischen Kultur zur Zeit des christlichen Mittelalters und dessen Traditionen und Glaubenswelt“ (ebd., S. 156f.)

Explizit fordert Engels daher innerhalb von Kirchen und Gesellschaft einen „revolutionären Konservatismus“ (in Abgrenzung zum oben genannten Wertkonservatismus), der von einer „jungen traditionalistischen Bewegung“ getragen werden solle. Diese sei nun ebenso für die „radikale Verbindung von Religion und Politik, von Kirche und Staat“ geeignet, um den Laizismus in der Politik zurückzudrängen (ebd., S. 157). Auf politischer Ebene erhofft Engels im Anschluss an die Jahre des Niedergangs, die

„Errichtung eines gemäßigten autoritären Regimes […], dessen Legitimation zu einem wesentlichen Teil der Unterstützung christlicher Institutionen zu verdanken wäre und […] die ideologische Situation der karolingisch-ottonischen Zeit wiedererstehen lassen würde.“ (ebd., S. 157)

Damit verbindet sich mit seiner inversen Apokalyptik, die den Heilszustand in die mittelalterliche Geschichte verlagert, ein Impuls zur aktivistischen Handlung: Es gelte den christlichen Standpunkt zu bewahren und sowohl im Kontext der (katholischen) Kirche als auch im Bereich der Politik auf die Errichtung eines „revolutionären Konservatismus“ bzw. eines „autoritären Regimes“ (ebd., S. 157) zu drängen, um zum Zeitpunkt des vollendeten Niedergangs neu zu erstehen. Jenseits der Forderung, ein autoritäres Regime zu errichten, wird die Hoffnung auf eine politische Führungsfigur, die den Kampf gegen den Niedergang personifiziert, nicht expliziert.

Auch im gemeinsamen Beitrag von Dirsch und Engels wird einleitend festgehalten, dass „die nächsten Jahre über das Geschick der nächsten Jahrhunderte entscheiden“ würden (Dirsch und Engels 2022a, S. 7), weswegen auch hier die Handlungsimpulse aus der apokalyptischen Deutung hervorgehen. Der Niedergang, so wie er von Engels 2018 als kommenden Zustand konstatiert wurde, wird jedoch nicht mehr in die Zukunft verlegt. Nun zielen die Autoren auf aktuellen Aktivismus der Rezipierenden ab und fordern: Ziel sei es, „den heutigen Zustand zu überwinden und für das Überleben des Abendlandes zu kämpfen.“ (ebd., S. 12) Hierfür greifen Dirsch und Engels ebenfalls auf eine inverse-apokalyptische Deutung zurück, wenn der Überlebenskampf im „Bewahren, [… und] Konservieren des uns Übertragenen, der Tradition“ gefordert wird (ebd., S. 13). Diese Tradition sei ein „jahrhundertaltes Erbe unserer Kultur“, welche „zu pflegen [… und] zu entfalten“ sei. Auch im Beitrag von Dirsch und Engels kommt hierfür der Kirche eine besondere Rolle zu, die sie beispielsweise dann einnehme, wenn sie gegen „die tyrannische Weltregierung“ protestiere, wie beispielsweise in der Verlautbarung Veritas liberabit vos (im Kontext der Corona-Pandemie) geschehen sei (ebd., S. 25). Es bedürfe eines „revolutionären Konservatismus, der fähig sein soll, Gegenwart und Zukunft tatkräftig […] mitzugestalten“ (ebd., S. 13), mit der die Trias Christentum, Abendland, Europa wieder zu einer Identität finde. Hierfür formulieren Dirsch und Engels konkrete Vorschläge, wenn sie in Tradition zu Oswald Spengler auffordern, lokale „Netzwerke aufzubauen, lokal produzierte Lebensmittel ebenso wie ein naturnah-stadtfernes Lebensideal zu bevorzugen.“ (Dirsch und Engels 2022a, S. 18) Als weiteres positives Anzeichen für ein gesellschaftspolitisches Bewusstsein, wie es sich die Autoren wünschen, werden die Pegida-Proteste der vergangenen Jahre erwähnt. Damit zeigen Dirsch und Engels einerseits kleinformatige und lokale Netzwerkperspektiven auf, um einen Ausweg aus dem Niedergang des christlichen Europas zu weisen. Andererseits wird mit der positiven Aufnahme der Pegida-Proteste die Notwendigkeit nationalistischer Bewegungen affirmiert. Damit wird im Beitrag von Dirsch und Engels die Handlungsinitiative noch stärker in das gesellschaftliche Hier und Jetzt verlagert, um den Verlust einer zu bewahrenden Tradition abzuwenden. Die Glorifizierung und Verklärung einer homogenen christlichen Kultur in der Vergangenheit, die sich im Kontext der inversen Apokalypse findet, hat demnach konkrete Handlungsimplikationen, die auf die Restitution dieses Zustandes abzielen.

Die inverse Apokalyptik und Verklärung der Vergangenheit findet sich demnach als Grundlage in beiden Beiträgen unter Beteiligung von Engels. Wesentliche Differenzpunkte zum Beitrag von Engels im Jahr 2018 sind der nun stärker hervorgehobene Gegenwartsbezug: Jetzt (und nicht erst nach dem Niedergang des christlichen Abendlandes) entscheide sich der Kampf zwischen Wohl und Wehe und ob das Christentum in Europa weiterexistieren werde. Die Forderung nach einem Aktivismus zugunsten dieser Ziele wird demnach klarer geäußert. Auch wird im gemeinsamen Beitrag von Dirsch und Engels nicht mehr auf einen einzelnen konkreten Vergangenheitsmoment verwiesen, den es wieder herzustellen gelte, sondern auf Allgemeintopoi verwiesen, um die „Tradition der Vorfahren“ zu bewahren.

Der Beitrag von Sommerfeld unterscheidet sich von den zuvor beschriebenen inversen Apokalyptiken, da sie eine christlich-nationalistische, eschatologische Deutung (tendenziell quietistisch) mit der aktiven Handlungsmacht des Einzelnen („klassisch-modernisierte Apokalypse“) in einem apokalyptischen Kampf collagiert: Für Sommerfeld scheint nun einerseits das Ende bzw. der Tod des deutschen Volkes eine „unabwendbare heilsgeschichtliche Situation“ darzustellen (Sommerfeld 2022, S. 378). Es brauche die „große gläubige Zuversicht“ des Einzelnen, in der die Einsicht wachsen könne, dass „das Böse einen historischen Sinn“ habe (ebd., S. 379). In Aufnahme christologischer Gedanken von Rudolf Steiner (!) führt Sommerfeld nun aus: „Man muss in völliger Ruhe auch dem Untergang des eigenen Volkes zusehen können.“ (ebd., S. 379) Der feste Glaube an das göttliche Heilshandeln in der Geschichte (Sommerfeld verweist auf das Kreuzesgeschehen auf Golgatha), bringe dann die Einsicht mit, dass der physische Niedergang des deutschen Volkes nur ein Schritt auf dem Weg zu einer höheren Entwicklung „als geistiges Volk“ sei: Die Auferstehung von den Toten ereignet sich daher Sommerfeld zufolge am deutschen Volk selbst. Es ist also zunächst die quietistische Zurückhaltung, dass Gott in der Geschichte handele und in Analogie zum christologischen Heil mit einem sterbenden Volk, größere Ziele vorhabe. Abschließend wendet jedoch Sommerfeld die quietistische Perspektive und sieht in „Kämpfen gegen den Volkstod [… eine] subjektive Funktion“:

„Das Kämpfen kann man sowohl politisch-lösungsorientiert verstehen – das ist das horizontale Kämpfen – oder als Opfer, als heiligende Gabe an die geistige Welt – das ist der vertikale Kampf. Beide zu verbinden, diese Aufgabe obliegt uns.“ (ebd., S. 381)

Demnach ergibt sich abschließend doch eine Perspektive des Aktivismus, die für Sommerfeld in zwei Dimensionen als wertvoll erscheint: Einerseits könne gegen den Tod des Volkes aktiv angekämpft werden (auf einer politischen Ebene), andererseits sei dieser Kampf ebenso ein Ausdruck eines „Opfers“ zugunsten des angenommenen Handeln Gottes.

Sommerfeld pointiert damit ein göttliches Handeln im Ablauf einer apokalyptischen Geschichte, wenn sie in Tradition zur eschatologischen Perspektive das Heilshandeln Gottes in der Auferstehung des deutschen Volkes in einem geistigen Status erwartet. Damit verbinden sich in ihrem Beitrag theologische Topoi mit nationalistischen Vorstellungen eines höherwertigen Volkes. Die als modern beschriebene Rolle des Einzelnen wird in Sommerfelds Überlegungen (im Gegensatz zu den oben beschriebenen Beiträgen) stark relativiert.

4.3 Antisemitische Grundmotive

Die Analyse soll abgeschlossen werden durch eine fokussierende Untersuchung von antisemitischen Grundmotiven in den drei hier vorgestellten Beiträgen. Zunächst gilt es festzustellen, dass eine explizite Erwähnung von Jüdinnen:Juden in keinem der Texte zum Ausdruck kommt. Gleichermaßen finden sich in allen drei hier analysierten apokalyptischen Deutungen konkrete stereotype Semantiken, die im Kontext antisemitischer Motivtraditionen und Argumentationsweisen zu verorten sind. Denn:

„Eine Äußerung kann auch ohne die Erwähnung der Wörter Jude, jüdisch, Judentum antisemitisches Gedankengut vermitteln, u. a. durch stellvertretende Wörter, Anspielungen und Paraphrasen. […] [I]n den Jahren nach dem zweiten Weltkrieg und der Shoah entstehen neue verbale Formen, die antisemitische Inhalte in der Öffentlichkeit indirekt verbreiten.“ (Schwarz-Friesel 2022, S. 73)

Engels sieht als wesentlich verantwortliche Kräfte des Niedergangs des Christentums in Europa bzw. der Islamisierung nicht Muslim:innen, die es zu bekämpfen gelte, sondern benennt die „Verflechtungen der Globalisierung“, eine „Elitendemokratie“ und die „Diktatur der Finanzmärkte“, die die Zerstörung der christlichen Werte und der voranschreitenden Islamisierung erst ermöglicht hätten (Engels 2018, S. 147). Es sind demnach die verdeckten, im Hintergrund agierenden mächtigen Kräfte, wie sie in antisemitischen Codes transportiert werden, die für Engels Schuld am vermeintlichen Kulturverfall tragen. Die zahlreichen Einzelphänomene, die Engels als Ausdruck des kulturellen Niedergangs beschreibt, werden so geschickt verflochten mit Elementen, die als zentrale und machtvolle Hintergrundmächte dieser Dynamiken zu betrachten sind. Der „Zerfall der traditionellen Familie“ oder der „Kollaps des Renten- und Sozialsystems“ scheint beispielsweise dann ‚lediglich‘ eine Auswirkung dieser größeren Kräfte zu sein. Monika Schwarz-Friesel spricht hierbei von einer „Substitution“ des expliziten Antisemitismus, wenn durch diese Motive eine angebliche jüdische Weltherrschaft in politischer und ökonomischer Sphäre angedeutet werden soll (Schwarz-Friesel 2022, 74f.).

Die im Einzelbeitrag von Engels bereits formulierten verschwörungsideologischen und implizit antisemitischen Narrative kommen im Beitrag von Dirsch und Engels (im Kontext der Corona-Pandemie) noch deutlicher zu tragen: Die an oberer Stelle (4.1) bereits erwähnte „menschenfeindliche Ideologie“ werde von „Reichen und Mächtigen vorangetrieben“ (Dirsch und Engels 2022a, S. 10), die in Verbindung zum Materialismus, Sozialismus und zur ökologischen Bewegung stünden. Hier wird explizit ein kulturell tradiertes antisemitisches Stereotyp aufgegriffen: Denn das hier erzeugte Negativbild bedient sich deutlicher Anleihen antisemitischer Motivtraditionen sowohl des „jüdischen Bolschewismus“ als auch der angeblich jüdisch gesteuerten Finanzwelt. Erneut wird verschwörungsideologisch die ruchlose und zerstörerische Herrschaft einzelner Personen angenommen, die als verantwortlich für die gesamte gegenwärtige Krise des christlichen Abendlandes gezeichnet werden. Als Phänomen des Niederganges wird dann nicht überraschend auch die Befürchtung eines great reset, der mit der Corona-Pandemie einhergehe, und durch das „Weltwirtschaftsforum und anderer Stiftungen“ (Dirsch und Engels 2022a, S. 15) angestrebt werde, geäußert. Das bereits an oberer Stelle benannte Narrativ eines „Bevölkerungsaustausches“, der gesteuert durch Migration in Europa geschehe, stellt eine weiteres Beispiel einer implizit antisemitisch konnotierten Verschwörungserzählung dar (ebd., S. 18).

Wie auch die zwei invers orientierten apokalyptischen Deutungen auf impliziten Antisemitismus zurückgreifen, indem antisemitische Stereotype und Verschwörungsnarrative aufgegriffen werden, so bedient sich auch die Deutung Caroline Sommerfelds ähnlicher Motive. In theologische Sprache gekleidet, umschreibt sie den für sie in der Gegenwart wirkenden Antichristen mit ebenfalls antisemitischen Motiven: Der Antichrist sei nicht nur das abgrundtief Böse in der Welt, das durch eine „hybride Kriegsführung“ den Tod bzw. den Mord am deutschen Volk beabsichtige (Sommerfeld 2022, S. 370). Das Antichristliche sei dort zu erkennen, wo eine stabile nationale Identität beispielsweise durch „die globalistische Vereinheitlichung der Völker“ aufgelöst werde (ebd., S. 370). Auch werden implizit antisemitische Motivtraditionen explizit aufgegriffen, wenn von der nicht-nationalen Identität bzw. der „Eine-Welt-Ideologie“ des Bösen ausgegangen wird (ebd., S. 375). Die Vorstellung der Herrschaft des Antichristen wird weiter in eine antisemitische Grundidee verwoben, wenn sie als ein Ausdruck der „stärksten Weltmacht der Geschichte“ beschrieben wird (ebd., S. 374). Die Figur des Antichristen wird bei Sommerfeld demnach explizit zum Ausgangspunkt einer dualistischen Teilung, bei der das Nationale gegen eine „globalistische Eine-Welt-Ideologie“ zum Stehen komme.

Die Koinzidenz von apokalyptischen Deutungen und antisemitischen Motiven ist also auch in den hier bearbeiteten Fällen deutlich erkennbar: Die strukturelle Affinität zum Antisemitismus ergibt sich dabei v. a. aus der impliziten Rolle „des Dritten“, also der des zerstörenden/destruktiven Juden, der für den apokalyptischen Niedergang des eigenen Volkes/der Nation/des christlichen Abendlandes verantwortlich sei (Holz 2001, S. 549). Wenn der Niedergang der eigenen Nation bzw. einer europäischen christlichen Kultur angenommen und beschrieben wird, wird insgesamt implizit bzw. strukturell antisemitisch argumentiert, dass nicht „die Fremden“ bzw. der Islam Schuld an dieser Katastrophe tragen, sondern unterschiedliche Mächte oder Personengruppen als Figuren „des Dritten“ im Hintergrund hierfür benannt werden. Damit ist die ebenfalls in allen Artikeln erkennbare Verbindung von apokalyptischer Krisendeutung und Verschwörungsnarrativen aufgegriffen, durch die eine elitäre, machtvolle Personengruppe, die diese destruktiven Absichten verfolge, als hauptverantwortlich für den katastrophalen Niedergang beschrieben wird.

5 Fazit

Der Beitrag hat es unternommen, apokalyptische Deutungen in drei Texten der Neuen Rechten, die in den vergangenen Jahren in Publikationen erschienen und einen explizit positiven Bezug zwischen Christentum und europäischer bzw. nationaler Identität setzten, näher zu analysieren. Hierbei wurden die Texte nach einer theoretischen Annäherung, in der die Untersuchung von modernen apokalyptischen Deutungen und Aspekte der Antisemitismusforschung vorangestellt wurden, zunächst als Ausdruck von apokalyptischen Krisendeutungen wissenssoziologisch rekonstruiert. Hierbei zeigte sich ein einheitliches Bild von Niedergangs- und Katastrophenszenarien, die in der Gegenwart verortet werden. Als Ausdruck des Untergangs wurde in allen drei Texten die schwindende Bedeutung des Christlichen in der modernen und liberalen Gesellschaft formuliert. Auch wenn die Bedeutung des Christentums für eine europäische oder nationale Identität in allen drei Texten hervorgehoben wurde, sind zunächst die Beiträge von Engels sowie Dirsch und Engels Ausdruck einer inversen Apokalypse, die den Heilszustand in die Vergangenheit verlagern und die Rezipierenden dazu auffordern, durch Bewahrung der christlichen Tradition, diesen Heilszustand in der Vergangenheit wieder zu restituieren. Im Beitrag von Caroline Sommerfeld lassen sich dahingegen stärker christlich-eschatologische Spuren der apokalyptischen Deutung erkennen, wenn sie zumindest das Heilshandeln in die Hand Gottes legt, der die Überwindung/Wiederauferstehung des deutschen Volkes erzeugen werde. Hier tritt die Handlungsmacht des Einzelnen deutlich zurück.

Demnach zeigt sich zunächst ein disparates Bild, was die Ausformulierung von apokalyptischen Deutungen innerhalb des hier betrachteten neurechten Textkorpus anbelangt: Einerseits steht die Verklärung der christlichen Vergangenheit und Tradition, die es aktivistisch zu restituieren gelte, wofür auf einen revolutionären Konservatismus verwiesen wird, den es bereits heute zu erstreben gelte. Andererseits wird bei Sommerfeld in einer eschatologischen Tradition eine zukünftige Heilsperspektive entworfen, die jedoch nicht gänzlich in den Quietismus führt, sondern den Kampf gegen den Volkstod als heiliges Opfer darstellt. Damit fällt Sommerfeld aus dem Schema der modernen apokalyptischen Deutungen und trägt die Rolle Gottes dominant in die Geschichte wieder ein.

Wiederum einheitlich sind die drei untersuchten Texte mit Blick auf antisemitische Motive und Stereotype, die zumindest implizit formuliert werden. Zwar wird in keinem der Beiträge „der Jude“ als Repräsentanz des Antichristen bezeichnet, und doch lasen sich deutliche Kontinuitäten antisemitischer Motive rekonstruieren: Hierbei spielen Verschwörungsnarrative in allen Texten eine herausgehobene Rolle, die offensichtlich in diesen Texten eine Strukturverwandtschaft mit apokalyptischen Deutungen aufweisen: Auch in ihnen entsteht ein dualistisch-manichäisches Weltbild, das zur klaren Verortung des Bösen und Destruktiven in der Welt anregt. Ebenso werden konspirologisch Akteur:innen benannt, die für die Zerstörung des Nationalen bzw. des christlichen Abendlandes o. ä. konkret als Schuldige verantwortlich gemacht werden. Hier spielen erneut, wenn auch nur implizit, antisemitische Motive eine zentrale Rolle: International agierende Mächte oder besonders ökonomisch potente Kräfte werden dann zu den Feindbildern, die für die angebliche Islamisierung und den Niedergang des Christentums Schuld tragen. Damit ist mit diesem Beitrag deutlich angezeigt, welcher Zusammenhang zwischen apokalyptischen Deutungen und antisemitischen Stereotypen zu verzeichnen ist. Für dieses Zusammenspiel scheinen implizit antisemitische Motive, wie sie in einer Vielzahl von Verschwörungserzählungen aufbereitet werden, eine zentrale Rolle. Hier konnten gemeinsame Strukturelemente von Apokalypse, Antisemitismus und Verschwörungsnarrativen benannt werden. Auch ist unterstrichen, welche Relevanz der Antisemitismusforschung in den bearbeiteten Feldern zukommt: Für die kulturwissenschaftliche wie theologische Auseinandersetzung mit apokalyptischen Gegenwartsdeutungen, für die Analyse von Verschwörungserzählungen und Untersuchungen zur Neuen Rechten braucht es den dezidiert antisemitismuskritischen bzw. -theoretischen Blick.

Wäre weitergehend (und anhand eines größeren Textkorpus) der Frage nachzugehen, ob der Topos des Niedergangs der eigenen Nation bzw. des christlichen Abendlandes zu dieser Verbindung führt oder ob sich auch in anderen modernen apokalyptischen Deutungen ähnliche implizite Formen des Antisemitismus rekonstruieren lassen.