Hohe Ausprägungen von ausländerfeindlichen Einstellungen unter Mitgliedern der Mehrheitsbevölkerung sind problematisch. Sie erschweren die Integration und schaden dem Wohlergehen von Menschen mit Migrationshintergrund (Suleman et al. 2018). Gleichzeitig wird der gesellschaftliche Zusammenhalt durch ausländerfeindliche Einstellungen geschwächt (Decker et al. 2018). Ausländerfeindlichkeit wird als negative affektive Prädisposition, als Vorurteil, gegenüber Immigrant*innen definiert. Ausprägungen und Konnotationen können dabei je nach Inhalt dieser Vorurteile sowie kulturell verankerter Werte und sozial geteilter Narrative varriieren. Decker et al. (2018, S. 76) beschreiben Ausländerfeindlichkeit in Deutschland als:

die Abwertung und Aggression gegenüber einer konstruierten Fremdgruppe, „den Ausländern“, denen pauschal und kollektiv das Ausnutzen des Sozialstaates unterstellt wird, die auf dem Arbeitsmarkt nur auf Zeit geduldet werden und deren Anwesenheit als „Überfremdung“ der Bundesrepublik wahrgenommen wird.

Eine repräsentative Studie zum Thema Einstellungen gegenüber Immigration, der KONID Survey, zeigt, dass ein Drittel der befragten Deutschen ohne Migrationshintergrund ausländer- und fremdenfeindlichen Aussagen eher zustimmen (KONID Survey 2019). Dabei ist zu betonen, dass Ausländerfeindlichkeit keineswegs abnimmt, wie es in einer nominell pluralistischen, freiheitlich-demokratischen Gesellschaft wie Deutschland zu erwarten wäre. Die Leipziger Autoritarismus-Studie berichtet seit 2016 einen Anstieg der Zustimmung zu ausländerfeindlichen Aussagen und Ideen (Decker et al. 2018).

Über der Beschreibung von Einstellungen zu sozialen Gruppen hinaus ist eines der zugrundeliegenden Ziele der Sozialpsychologie die Verbesserung von Intergruppenbeziehungen. Aus diesem Grund wurden Prädiktoren von Ausländerfeindlichkeit in bisheriger Forschung extensiv untersucht. Neben realistischer oder symbolischer Bedrohung, Persönlichkeitsmerkmalen, Sozialer Dominanzorientierung und Autoritarismus (Hodson und Dhont 2015), ist die Rolle der Religiosität nicht abschließend geklärt (Küpper 2010; Pickel et al. 2020). Einerseits zählt prosoziales Verhalten als zwischenmenschliche Tugend zu den Grundpfeilern jeder großen Religion. Andererseits werden extreme Formen menschenfeindlichen Verhaltens ebenfalls durch Rückbezug auf religiös verankerte Werte, Normen oder Regeln gerechtfertigt. Studien aus Europa zeigen einen stark schwankenden, positiven Zusammenhang zwischen unterschiedlichen Formen von Religiosität und Ausländerfeindlichkeit. Besonders stark variieren die Ergebnisse zur selbsteingeschätzten Religiosität (Ekici und Yucel 2015; Scheepers et al. 2002), die auch als religiöse Identität verstanden wird (Küpper 2010). In ihrem Bericht zu den Ergebnissen der Studie Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit (GMF) beschreibt Küpper (2010) die uneinheitlichen Zusammenhänge der selbsteingeschätzten Religiosität christlicher Befragter mit ethnisch-kulturellen Vorurteilen. Sie erläutert, dass zwar in einigen einzelnen Jahrgängen der Studie Zusammenhänge zu erkennen gewesen seien, aber insgesamt kein Zusammenhang mit Ausländerfeindlichkeit vorliege. In der Diskussion ihrer Ergebnisse weist sie darauf hin, dass diese uneinheitlichen Zusammenhänge möglicherweise durch zeitlich stabile, generalisierte Ideologien, oder Persönlichkeitsmerkmale erklärt werden könnten.

Persönlichkeitsmerkmale sowie Werte und Normen bestimmen die Interpretation sozialer Reize (Beierlein et al. 2014), die als Ursache vorurteilsbelasteten Denkens und Handelns verstanden werden (Hodson und Dhont 2015; Park und Judd 2005). Allport fasst die Rolle von Persönlichkeit als Quelle von Ausländerfeindlichkeit folgendermaßen zusammen: „the basic fact is firmly established—prejudice is more than an incident in many lives; it is often lockstitched into the very fabric of personality“ (Allport et al. 1954, S. 408). Bisherige Studien zeigen, dass niedrigere Ausprägungen globaler Persönlichkeitseigenschaften, wie Ehrlichkeit, Verträglichkeit und Emotionalität, mit stärkeren ausländerfeindlichen Einstellungen zusammenhängen (Barbarino und Stürmer 2016). Genkova (2016) demonstriert ergänzend, dass die fünf auf interkulturelle Interaktionen zugeschnittenen Persönlichkeitsmerkmale des Multicultural-Personality-Questionaire (MPQ; Van der Zee und Van Oudenhoven 2001) Kulturelle Empathie, Offenheit, Soziale Initiative, Flexibilität und Emotionale Stabilität ebenfalls mit Ausländerfeindlichkeit korrelieren. Gleichzeitig wurde umfassend erforscht, dass die soziale Identität die Grundlage für vorurteilsbelastete Intergruppenbeziehungen bildet (vgl. Tajfel und Turner 1979; Park und Judd 2005). Auf Grundlage der Ausführungen von Küpper (2010) erscheint es daher vielmehr wahrscheinlich, dass die Verarbeitung und Verhaltenswirksamkeit der sozialen Identität (national, religiös) von diesen Persönlichkeitsmerkmalen moderiert wird (vgl. van der Zee et al. 2004).

Die vorliegende Studie hat das Ziel die interkulturelle Persönlichkeit als möglichen Moderator des Zusammenhanges von selbsteingeschätzter Religiosität und Ausländerfeindlichkeit in Deutschland auf Basis bestehender Theorien einzuführen und erste empirische Belege für die erwarteten Effekte bereitzustellen. Dadurch soll einerseits zum Verständnis der Rolle der religiösen Identität für die Einstellungen zu Immigration beigetragen werden. Andererseits betonen einflussreiche Perspektiven in der Sozialpsychologie, dass soziale Identifikations- und damit verbundene Stereotypisierungsprozesse ohnehin nicht zu verhindern sind (Park und Judd 2005; van Dick und Stegmann 2016). Über das Verständnis der Inhalte und Rahmenbedingungen von Vorurteilen hinaus ist es daher entscheidend, Möglichkeiten zu finden, mit der eigenen und fremden Identität effektiv und wertschätzend umzugehen. Diese Studie stellt daher einen Versuch dar, den Fokus auf den Umgang des Individuums mit der religiösen Identität zu legen, anstatt, auf deren negative Konsequenzen.

Die zentralen Forschungsfragen dieser Studie lauten, inwiefern die selbsteingeschätzte Religiosität Ausländerfeindlichkeit unter Mitgliedern der deutschen Mehrheitsgesellschaft vorhersagt und ob die Interkulturellen Persönlichkeitseigenschaften diesen Zusammenhang moderieren. Zur Beantwortung der Fragestellung wird im Folgenden ein kurzer theoretischer Überblick über Ausländerfeindlichkeit im Kontext der Theorie der sozialen Identität, die Rolle der selbsteingeschätzten Religiosität und das Konzept der interkulturellen Persönlichkeit gegeben. Darauf aufbauend werden die Hypothesen der vorliegenden Studie entwickelt. Dabei wird auch auf die Rolle der nationalen Identität eingegangen, die möglicherweise den Zusammenhang der selbsteingeschätzten Religiosität und der Ausländerfeindlichkeit konfundiert. Im Anschluss an den Ergebnisteil und die theorie- und methodenorientierte Diskussion der Ergebnisse sollen außerdem praktische Implikationen abgeleitet werden, um die Bedeutung der Ergebnisse für die Gestaltung von Trainings und Unterricht zu beleuchten.

1 Theoretische Ansätze

1.1 Soziale Identität und Ausländerfeindlichkeit

Um zu beschreiben und zu erklären, wie sich Menschen aufgrund ihrer subjektiv empfundenen Zugehörigkeit zu einer oder mehreren Gruppen verhalten, wurde der Social-Identity-Ansatz (Sammelbegriff für die social-identity-theory und die darauf aufbauende social-categorization-theory) entwickelt (Park und Judd 2005). Den Kern der Theorie bildet das Konzept der sozialen Identität: das individuelle, emotional bedeutsame Wissen zu einer relevanten sozialen Gruppe zu gehören (Tajfel 1972). Soziale Gruppen werden definiert als eine unbestimmte Anzahl von Personen, die sich zumindest hinsichtlich der gemeinsamen Gruppenzugehörigkeit von anderen unterscheiden (Hogg 2016). Auch andere Menschen werden solchen Gruppen zugeordnet. Diesen Gruppen werden durch das Individuum prototypische Eigenschaften zugeschrieben, Stereotype, auf Grundlage derer die wahrgenommene soziale Umwelt im Weiteren eingeordnet und bewertet wird (Kategorisierung). Tajfel und Turner (1979) argumentieren, dass sich menschliche Interaktion auf einem Spektrums zwischen rein interpersonaler Interaktion und reiner Intergruppeninteraktion abspielt. Interpersonale Interaktion ist dadurch charakterisiert, dass die teilnehmenden Personen ausschließlich als Individuen und größtenteils unabhängig von Gruppenstrukturen auftreten. Intergruppeninteraktion zeichnet sich dadurch aus, dass Personen repräsentativ für ihrer Gruppe agieren. Dabei treten für die Beteiligten individuelle Charakteristika (eigene und der Interaktionspartner*innen) zugunsten von Gruppenmerkmalen in den Hintergrund. Tajfel argumentiert, dass der Grad der Salienz der eigenen und fremden Gruppenzugehörigkeiten entscheidend dafür ist, wie Menschen sich gegenseitig wahrnehmen und verhalten (Tajfel und Wilkes 1963). Ist eine Gruppenzugehörigkeit salient, werden Gemeinsamkeiten innerhalb der Gruppe und Unterschiede zu jeweils anderen Gruppen akzentuiert. Außerdem bewerten Menschen die Outgroup häufig negativer als die Ingroup (Tajfel und Turner 1979). Diese Tendenz ist interindividuell unterschiedlich ausgeprägt und hängt davon ab, inwiefern ein Kategorisierungsmerkmal als relevant wahrgenommen wird, also ob sich ein Individuum damit identifiziert (Tajfel und Turner 1979). Dementsprechend sollte Ausländerfeindlichkeit vor allem darauf basieren, dass Menschen ihre nationale Zugehörigkeit und die anderer Menschen als relevantes Kategorisierungsmerkmal empfinden. In verschiedenen empirischen Studien zeigt sich übereinstimmend ein Zusammenhang zwischen nationaler Identität und Ausländerfeindlichkeit (Skrobanek 2004, 2007).

In der aktuellen sozialwissenschaftlichen Forschung werden neben ausländerfeindlichen Vorurteilen schwerpunktmäßig die Konstrukte Rassismus (engl. racism), Islam- und Judenfeindlichkeit sowie Fremdenfeindlichkeit (engl. xenophobia, wird auch für Ausländerfeindlichkeit verwendet) betrachtet, um negative Einstellungen gegenüber anderen ethnischen oder kulturellen Gruppen zu beschreiben. Obwohl die Abgrenzung nicht immer klar vorgenommen wird, lässt sich Ausländerfeindlichkeit von Rassismus, Islamfeindlichkeit und Fremdenfeindlichkeit durch den jeweiligen Fokus der Kategorisierung abgrenzen. Rassismus und Islamfeindlichkeit bezeichnen aus psychologischer Perspektive Vorurteile auf Basis der ethnischen Zugehörigkeit und Hautfarbe bzw. der Religionszugehörigkeit. Ausländerfeindlichkeit ist weiter gefasst und bezieht sich auf Mitglieder der Gesellschaft, die selbst, oder deren Eltern, nach Deutschland eingewandert sind, denen also eine andere nationale Zugehörigkeit zugeordnet wird. Demgegenüber beschreibt Fremdenfeindlichkeit eine allgemeine feindliche Haltung gegenüber verschiedenen Outgroups (z. B. Nationalität, Religion, Hautfarbe, Geschlecht, Kultur), basierend auf deren subjektiv empfundener Andersartigkeit (Herrmann 2001).

Die mit diesen unterschiedlichen Konstrukten einhergehenden individuellen Verhaltensweisen, lassen sich dabei nur schwer voneinander unterscheiden. Auch Narrative und legitimierende Mythen, die z. B. insbesondere von politischen Akteur*innen des rechten Spektrums verbreitet werden, überschneiden sich häufig. Decker et al. (2018) betonen beispielsweise die Rolle von anti-muslimischen Einstellungen im Kontext von Ausländerfeindlichkeit während der Geflüchteten Krise in Europa 2015/16, die scheinbar zu einem Anstieg von Ausländer- und Flüchtlingsfeindlichkeit beitrugen. Es wird deutlich, dass die nationale Identität als Ausgangspunkt ausländerfeindlicher Einstellungen betrachtet werden kann, aber auch Überschneidungen mit verwandten Konstrukten bestehen. Trotz dieser Überschneidungen von Ausländerfeindlichkeit und insbesondere islam- und judenfeindlichen Vorurteilen ist bisher nur unzureichend geklärt, wie Religiosität mit der nationalen Identität gemeinsame und unterschiedliche Erklärungsbeiträge zur Ausländerfeindlichkeit leistet.

1.2 Religiosität und selbsteingeschätzte Religiosität

Religiosität zeigt widersprüchliche empirische Ergebnisse im Zusammenhang mit Vorurteilen (Küpper 2010; Pickel et al. 2020; Zwingmann et al. 2017). Allport beschreibt 1954 die diffuse Beziehung zwischen Religiosität und Vorurteilen: „The role of religion is paradoxical. It makes prejudice and it unmakes prejudice“ (Allport et al. 1954, S. 444). Innerhalb der Psychologie, der Kultur- und Politikwissenschaften gibt es eine Tendenz dazu, in der Religion und dem ihr eigenen Anspruch an die absolute Wahrheit einen Kern von Vorurteilen und Ausgrenzung zu sehen (Pickel et al. 2020; Ysseldyk et al. 2010). Die widersprüchlichen Ergebnisse hinsichtlich des Zusammenhanges von Religiosität und Ausländerfeindlichkeit können partiell durch die Betrachtung unterschiedlicher Formen von Religiosität erklärt werden. So zeigt eine (englischsprachige) Metastudie von Hall et al. (2010), dass selbsteingeschätzte Religiosität, extrinsische Religiosität (motiviert durch sozialen Status, Sicherheit, und Akzeptanz durch Andere), und religiöser Fundamentalismus positiv mit Fremdenfeindlichkeit zusammenhängen. Intrinsische Religiosität (Religion als Selbstzweck) und Quest (zweifelnder Agnostizismus) korrelieren negativ mit Fremdenfeindlichkeit. Pickel et al. (2020) bestätigen dieses Ergebnis mit ihrer Analyse bei Personen ohne Migrationshintergrund in Deutschland und der Schweiz für Vorurteile gegenüber Ausländer*innen.

In der vorliegenden Studie soll der Zusammenhang zwischen selbsteingeschätzter Religiosität und Ausländerfeindlichkeit weiter untersucht werden. Die selbsteingeschätzte Religiosität ist als unabhängige Subdimension von Religiosität zu verstehen. Sie drückt das Maß aus, in dem eine Person sich durch ihre Religiosität identifiziert, respektive wie wichtig die Religiosität für die Identität einer Person ist (Hall et al. 2010; Pickel et al. 2020). In Anlehnung an den social-identity Ansatz drückt sie aus, wie relevant das Thema Religiosität für die Eigen- und Fremdkategorisierung eines Individuums ist. Analog zu bisherigen Ergebnissen zur nationalen Identität und Ausländerfeindlichkeit sollten religiöse Outgroups eher als solche wahrgenommen und abgewertet, bzw. als Bedrohung empfunden werden. Ein Zusammenhang der selbsteingeschätzten Religiosität mit Ausländerfeindlichkeit würde sich dadurch erklären lassen, dass die Kategorie Ausländer*innen mit anderen Religionen als dem Christentum assoziiert wird. Diese Assoziation von Immigranten*innen mit dem Islam ist in Deutschland weit verbreitet und wird unter anderem von Decker et al. (2018) und Küpper (2010) beschrieben. In bisherigen Studien gibt es jedoch eine große Schwankung der Effektgrößen von Religiosität auf Vorurteile (r = −0,19 bis r = 0,56). Dies könnte darauf hindeuten, dass der Zusammenhang von religiöser Identität und Ausländerfeindlichkeit eigentlich den Zusammenhang mit einem dritten Konstrukt abbildet. Da nationale Identität als Grundlage von Ausländerfeindlichkeit verstanden werden kann, wäre es naheliegend, dass der Effekt religiöser Identität durch die nationale Identität konfundiert wird.

Pickel et al. (2020) zeigen, dass selbsteingeschätzte Religiosität sowohl in Deutschland als auch in der Schweiz unter Kontrolle anderer hochrelevanter Prädiktoren (insbes. Bedrohung und Autoritarismus), die mit nationaler Identität in Verbindung stehen, einen signifikanten Erklärungsbeitrag zu Vorurteilen gegenüber Ausländer*innen leistet. Makashvili et al. (2018) demonstrieren unter Rückgriff auf die Dimensionen der „integrated threat theory“ (Stephan und Stephan 2000), dass dieser Zusammenhang von selbsteingeschätzter Religiosität und Ausländerfeindlichkeit mediiert wird durch die subjektiv empfundene Bedrohung der jeweiligen Identität (Lebensweise, Ausübung und Weitergabe religiöser Praktiken, Weltbild) durch Ausländer*innen.

Die beobachteten Schwankungen in der Effektstärke lassen sich möglicherweise darauf zurückführen, wie Individuen mit dieser Bedrohung umgehen (vgl. Küpper 2010). Eine Variable, die den Zusammenhang zwischen Religiosität und Ausländerfeindlichkeit moderiert, müsste sich darauf auswirken, wie Personen auf eine saliente soziale Identität reagieren (bspw. durch bewusstes Hinterfragen von Stereotypen) und wie sie mit einer subjektiv empfundenen Bedrohung dieser Identität zurechtkommen.

1.3 Interkulturelle Persönlichkeit

Frühe Forschende wie Allport oder Adorno vermuteten, dass Vorurteile und feindseliges Verhalten ein Ausdruck von Persönlichkeitseigenschaften sein müssten (Allport et al. 1954; Pickel et al. 2020). Neuere Publikationen zu diesem Forschungsfeld zeigen, dass die beiden am stärksten erforschten Konzepte Autoritarismus (Beierlein et al. 2014; Stellmacher und Petzel 2005) und soziale Dominanzorientierung (Costello und Hodson 2011; Uenal 2016) eher als semi-stabile ideologische Dispositionen zu begreifen sind. Persönlichkeitseigenschaften sowie Werte und Normen beeinflussen beide die Interpretation und Verarbeitung sozialer Reize (Stellmacher und Petzel 2005). Während Autoritarismus und soziale Dominanzorientierung jedoch nur einen sehr schmalen Ausschnitt von Aspekten betrachten, welche für die Intergruppen-Interaktion relevant sind (Beierlein et al. 2014; Uenal 2016), ist es für den vorliegenden Untersuchungsgegenstand möglicherweise zielführender, ein breiter aufgestelltes Konstrukt zu beleuchten, das eine größere Bandbreite an Intergruppen-Einstellungen zu Personen aus anderen Ländern respektive Kulturen berücksichtigt.

Dafür bietet sich besonders das Modell der Multicultural Personality (= interkulturelle Persönlichkeit) von van der Zee und van Oudenhoven (2001) an, das sich aufgrund seiner Vorhersagekraft und seiner konzeptionellen Stärke vor anderen Modellen zur Beschreibung von Intergruppenverhalten auf Basis der Persönlichkeit profiliert hat. Das Modell der interkulturellen Persönlichkeit operationalisiert Verhalten, Emotionen und Situationswahrnehmung in interkulturellen Situationen als Ausdruck einer interkulturell kompetenten Persönlichkeit, bzw. mehrerer Persönlichkeitsmerkmale. Diese Persönlichkeitseigenschaften zeigen sich in der Summe der professionellen Leistungen, der persönlichen Anpassung und der interkulturellen Interaktionen in multikulturellen Kontexten. In dieser Hinsicht kann das Modell als Vertreter des eigenschaftsorientierten Ansatzes in der interkulturellen Kompetenzforschung betrachtet werden. Dieser betrachtet primär stabile, nur geringfügig veränderbare Persönlichkeitsmerkmale, als Hintergrundfaktoren für den Ausdruck von interkulturell effizientem und angemessenem Verhalten (van der Zee und van Oudenhoven 2001). Van der Zee und van Oudenhoven (2001) identifizierten fünf orthogonale Persönlichkeitseigenschaften, die die interkulturelle Kompetenz ausmachen sollen: Kulturelle Empathie bezeichnet die Fähigkeit, Verständnis für das Denken, Verhalten und die Gefühle von kulturell diversen Personen aufzubringen. Offenheit drückt eine offene und unvoreingenommene Einstellung zu kulturellen Unterschieden und neuen Erfahrungen aus. Soziale Initiative beschreibt das aktive Angehen und Gestalten von sozialen Situationen. Emotionale Stabilität ist die Fähigkeit, unter neuartigen und stressbegünstigenden Bedingungen ruhig zu bleiben. Flexibilität heißt, neuartige Situationen als positive Herausforderung zu interpretieren und sich entsprechend anpassen zu wollen (van der Zee et al. 2013). Weil all diese Subskalen konzeptuelle Ähnlichkeit zu den Dimensionen des Big Five Modells aufweisen, stufen Gabrenya et al. (2013) den Multicultural Personality Questionnaire (MPQ) als Messinstrument der globalen Persönlichkeit ein, das spezifisch auf den interkulturellen Kontext zugeschnitten wurde. Eine Reihe von Studien bestätigten faktorenanalytisch die Konstruktvalidität des MPQ in verschiedenen Versionen sowie den inkrementellen Erklärungsbeitrag für die Situationswahrnehmung gegenüber anderen Persönlichkeitsskalen in interkulturellen Situationen (Leone et al. 2005; van der Zee et al. 2004; van der Zee et al. 2013). Eine Person, die eine höhere interkulturelle Kompetenz aufweist, ist tendenziell eher in der Lage ist, mit Personen aus anderen Kulturen zu interagieren (weist mehr und qualitativ bessere Kontakte bei Auslandsaufenthalten auf) und sich schneller anzupassen (weniger akkulturativer Stress im Ausland) (Ng et al. 2017). Gleichzeitig sind mit höheren Werten auf dem MPQ auch geringere Ausprägungen von Ausländerfeindlichkeit assoziiert (Genkova 2016; Nesdale et al. 2012), wobei die interkulturelle Persönlichkeit im Vergleich zu Autoritarismus (Nesdale et al. 2012) und sozialer Dominanzorientierung (Lantz et al. 2020) die Betrachtung von Ausländerfeindlichkeit deutlich weniger auf Hierarchien und Aggression einschränkt. Darüber hinaus wurde gezeigt, dass die interkulturelle Persönlichkeit durch Trainings und Erfahrungen geschult werden kann (Genkova et al. 2021a; Lantz et al. 2020) und bietet daher gegenüber den relativ stabilen ideologischen Prädispositionen Autoritarismus und soziale Dominanzorientierung auch einen Vorteil hinsichtlich praktischer Implikationen. Dennoch korreliert die interkulturelle Persönlichkeit in einer bisherigen Studie nur schwach mit nationaler Identität, welche mit Ausländerfeindlichkeit in Zusammenhang steht (Fietzer et al. 2016). Vielmehr ist anzunehmen, dass Personen, die eine stark ausgeprägte interkulturelle Persönlichkeit haben, weniger feindlich mit der eigenen und der fremden Gruppenzugehörigkeit umgehen, auch wenn diese mit gegenseitigen Ressentiments und symbolischer Bedrohung konnotiert sind (Fietzer et al. 2016; van der Zee et al. 2004).

1.4 Ziele, Desiderate und Hypothesen

Um zu verstehen, inwiefern die selbsteingeschätzte Religiosität, respektive die religiöse Identität mit der Ausländerfeindlichkeit zusammenhängt, ist das erste Ziel dieser Studie, zu untersuchen, ob die selbsteingeschätzte Religiosität einen zusätzlichen Erklärungsbeitrag für die Ausländerfeindlichkeit gegenüber der nationalen Identität leistet. Bisherige widersprüchlichen Ergebnisse zum Zusammenhang von Religiosität und Ausländerfeindlichkeit und Vorurteilen (Ekici und Yucel 2015; Scheepers et al. 2002), wurden durch Pickel et al. (2020) auf die entgegengesetzten Zusammenhänge unterschiedlicher Formen von Religiosität zurückgeführt. Religiöse Identität sollte dabei, in Übereinstimmung mit dem social-identity-Ansatz, einen positiven Zusammenhang mit Ausländerfeindlichkeit haben, wenn Ausländer*innen als Mitglieder anderer Religionen wahrgenommen werden. Besonders im Zuge der Geflüchteten-Krise war diese Deutung von Immigration in Deutschland sehr verbreitet (Decker et al. 2018). Aus diesem Grund ist unklar, inwiefern der Effekt religiöser Identität durch die nationale Identität erklärt, bzw. unterdrückt wird.

Bisherige Studien zeigen, dass der Zusammenhang zwischen selbstbeurteilter Religiosität und Ausländerfeindlichkeit durch die erlebte symbolische Bedrohung erklärt wird, also die subjektiv empfundene Bedrohung der eigenen Identität (Makashvili et al. 2018). Daraus lässt sich schlussfolgern, dass sich ein positiver Zusammenhang von religiöser Identität und ausländerfeindlichen Vorurteilen möglicherweise dadurch erklären lässt, dass sich eine religiöse Identität auch auf die individuelle Beziehung zu partiell religiös geprägten Kulturgütern bezieht, die „symbolisch“ durch Ausländer*innen bedroht werden, ohne dass sich darin bspw. islam- oder judenfeindliche Einstellungen wiederspiegeln. Gleichzeitig spricht diese Interpretation dafür, dass religiöse Identität einen eigenständigen Erklärungsbeitrag zur Ausländerfeindlichkeit gegenüber der nationalen Identität hat, die sich in erster Linie auf das Gefühl der Zugehörigkeit zu einer übergeordneten nationalen Gruppe bezieht. Es sollte sich dementsprechend ein eigenständiger Effekt der selbstbeurteilten Religiosität auf Ausländerfeindlichkeit unter Kontrolle der nationalen Identität zeigen.

Für den Umgang mit Ausländerfeindlichkeit scheint es außerdem relevant, wie mit der eigenen religiösen Identität umgegangen wird. Van der Zee et al. (2004) demonstrieren, dass Menschen mit hohen Ausprägungen auf den Dimensionen des MPQ in interkulturellen Situationen mehr positive (als positiv empfundene Kontakterfahrung) und weniger negative (negativer Kontakt, Vorurteile) Reaktionen zeigen als Menschen mit niedrigen Ausprägungen. Auch wenn van der Zee et al. (2004) sich nicht explizit auf Situationen beziehen, die die nationale oder religiöse Identität bedrohen, ist es plausibel zu vermuten, dass Religiosität einen positiven Effekt auf Ausländerfeindlichkeit bei Menschen mit niedrigen Ausprägungen auf den Dimensionen des MPQ hat, sie also einen eher feindlichen Umgang mit der Fremdgruppe haben. Bei Personen, die eine hohe Ausprägung der MPQ haben, erwarten wir dementsprechend einen offeneren und konstruktiveren Umgang und einen stärkeren Fokus auf die verbindenden Aspekte von religiöser Identität. Daher vermuten wir einen negativen Effekt von Religiosität auf Ausländerfeindlichkeit bei Personen mit hohen Ausprägungen auf den Dimensionen des MPQ. Es wurden die folgenden Hypothesen aufgestellt.

H1:

Die selbsteingeschätzte Religiosität hat einen signifikanten inkrementellen Erklärungsbeitrag für die Ausländerfeindlichkeit gegenüber der nationalen Identität.

H2:

Teilnehmende mit niedrig ausgeprägten interkulturellen Persönlichkeitsmerkmalen zeigen einen positiven Zusammenhang von selbsteingeschätzter Religiosität und Ausländerfeindlichkeit.

H3:

Teilnehmende mit stark ausgeprägten interkulturellen Persönlichkeitsmerkmalen zeigen einen negativen Zusammenhang von selbsteingeschätzter Religiosität und Ausländerfeindlichkeit.

2 Methoden und Design

2.1 Design

Es wurde eine Querschnittsstudie mit Hilfe eines Paper-Pencil Verfahrens durchgeführt. Die statistische Überprüfung der Hypothesen erfolgte mittels linearer Regressionen und der Software IBM SPSS Version 26.0. Es wurde eine schrittweise Regression zur Ermittlung des inkrementellen Beitrages der selbstbeurteilten Religiosität auf die Ausländerfeindlichkeit, sowie eine Analyse des Interaktionseffektes der Interkulturellen Persönlichkeit und der Religiosität auf die Ausländerfeindlichkeit durchgeführt. Die Teilnehmenden wurden per Schneeballsystem im persönlichen Umfeld der Autoren rekrutiert. Obwohl dieses Verfahren zu einem Bias der Ergebnisse führt und keine repräsentativen Ergebnisse zulässt, konnte auf diese Weise in kurzer Zeit und ressourceneffizient eine Stichprobe erhoben werden. Auf diese Weise sollte ein erster Beitrag zur Überprüfung des vorgestellten theoretischen Rahmens und der neu eingeführten Moderatorvariable geleistet werden, sodass Implikationen für zukünftige Forschung abgeleitet werden können. Ein Fragebogen mit vorfrankiertem Rücksendeumschlag wurde per Post an die Teilnehmenden geschickt. Es wurde zu Beginn des Fragebogens das schriftliche Einverständnis eingeholt, dass die Daten zu rein wissenschaftlichen Zwecken verwendet werden dürfen. Es wurde außerdem darüber informiert, dass ein Abbruch der Teilnahme an der Studie zu keinerlei Nachteilen für die Beteiligten führt und darum gebeten, die folgenden Fragen möglichst spontan und ehrlich zu beantworten. Es erfolgte keine Vergütung der Teilnehmenden. Der Fragebogen enthielt die folgenden Teile:

2.2 Instrumente

Nationale Identität wurde mit der Skala „The Multigroup Ethnic Identity Measure“ (MEIM) von Phinney et al. (1999) erhoben. Der Fragebogen erfasst die ethnische Zugehörigkeit und die daran gekoppelte nationale Identität anhand von 23 Items auf einer 5‑stufigen Likert Skala. Diese ermöglichen eine differenzierte Betrachtung kognitiver, affektiver und behavioraler Aspekte der nationalen Identität; für die vorliegende Studie wurde jedoch der zulässige zusammengefasste Index gebildet. Drei Items erfassen außerdem deskriptiv zu welcher ethnischen Gruppe sich die Teilnehmenden zugehörig fühlen.

Interkulturelle Persönlichkeitseigenschaften.

Der Multicultural Personality Questionnaire von Van der Zee und Van Oudenhoven (2001) beinhaltet 91 Items, und wurde mit einer Likert Skala von 1 = „trifft überhaupt nicht zu“ bis 5 = „trifft völlig zu“ erhoben. Die fünf Dimensionen sind kulturelle Empathie (α = 0,85; „Ich versuche, das Verhalten anderer zu verstehen“), Offenheit (α = 0,86; „Ich interessiere mich für andere Kulturen“), emotionale Stabilität (α = 0,86; „Ich stehe unter Druck“, umgedrehtes Item), soziale Initiative (α = 0,89; „Ich zeige Initiative“) und Flexibilität (α = 0,72; „Ich mache gerne ungewöhnliche Erfahrungen“). Da eine konfirmatorische Faktorenanalyse bestätigte, dass die 5 Interkulturellen Persönlichkeitsmerkmale zu einem Faktor Interkulturelle Persönlichkeit zusammengefasst werden können (CFI = 0,95, SRME = 0,05; Hu und Bentler 1999), und dieser Faktor die Ergebnisse der Subskalen repliziert und vereinheitlicht zusammenfassen kann, wird nur der übergeordnete Faktor Interkulturelle Persönlichkeit im Detail präsentiert.

Religiosität.

Die selbsteingeschätzte Religiosität wurde anhand des Items „Als wie religiös würden Sie sich selbst bezeichnen?“ mit einer Antwortskala von 1 = „gar nicht“ bis 5 = „sehr“ gemessen.

Ausländerfeindlichkeit.

Die aus 9 Items bestehende Skala zur Ausländerfeindlichkeit (Wetzels et al. 2001) misst die Einstellungen zu Ausländerinnen und Ausländern in Deutschland, anhand der Zustimmung zu verbreiteten ausländerfeindlichen Aussagen auf einer Likert Skala von 1 „stimmt gar nicht“ bis 4 „stimmt völlig“ (Cronbachs α = 0,78). Die mittlere inter-Item-Korrelation betrug 0,29 (min = 0,024, max = 0,576). Das Entfernen eines Items hätte zu keiner höheren internen Konsistenz geführt. Tab. 1 stellt die Aussagen der Übersichtlichkeit halber dar. Obwohl die Skala 24 Jahre alt ist, deutet die hinreichende interne Konsistenz darauf hin, dass nach wie vor alle Aussagen für Ausländerfeindlichkeit relevant sind.

Tab. 1 Items der Skala zur Ausländerfeindlichkeit

2.3 Stichprobe

Insgesamt nahmen 101 Personen mit einem durchschnittlichen Alter von 34,7 Jahren (SD = 14,9) an der Untersuchung teil. Etwa 57 % waren weiblich, 4 % waren im Ausland geboren, 40 % hatten eine niedrige Ausbildung (bis mittlere Reife), 46 % hatten eine mittlere Ausbildung (bis Abitur), und 14 % eine hohe Ausbildung (abgeschlossenes Studium). Die Mehrheit der Teilnehmenden (61 %) befand sich in einer Partnerschaft. Ebenso gab die Mehrheit der Teilnehmenden (59 %) an katholisch zu sein. Tab. 2 stellt die deskriptive Statistik der untersuchten Variablen dar. Die Ergebnisse bleiben durch das Weglassen der 4 % nicht in Deutschland geborenen Teilnehmenden unverändert, daher werden die Ergebnisse der vollständigen Stichprobe präsentiert.

Tab. 2 Mittelwerte und Standardabweichungen aller Variablen

3 Ergebnisse

Im folgenden Abschnitt werden die statistischen Hypothesentests und Ergebnisse der vorliegenden Studie vorgestellt.

Um Hypothese 1 (selbsteingeschätzte Religiosität hat einen signifikanten inkrementellen Effekt für die Ausländerfeindlichkeit gegenüber der nationalen Identität) zu testen, wurde eine multiple Regressionsanalyse in zwei Schritten durchgeführt. Im ersten Schritt wurde der Zusammenhang der nationalen Identität mit Ausländerfeindlichkeit betrachtet. Es wurden ebenfalls potenziell relevante Kovariaten (Geschlecht, Alter, Ausbildung, Partnerschaft, Religionszugehörigkeit) mit aufgenommen. Im zweiten Schritt wurde die religiöse Identität mit in das Modell aufgenommen, um den vermuteten inkrementellen Erklärungsbeitrag zu überprüfen. Da die Kovariaten keinen signifikanten Erklärungsbeitrag leisteten, wurden sie entfernt, um die statistische Power in Anbetracht der kleinen Stichprobe zu erhöhen. Die Ergebnisse veränderten sich nur marginal.

Es zeigte sich in Übereinstimmung mit Hypothese 1, dass die selbsteingeschätzte Religiosität einen eigenständigen, inkrementellen Erklärungsbeitrag zur Ausländerfeindlichkeit leistet. Die Ergebnisse zeigten für beide Modelle signifikante F‑Werte. Da für die Hypothese vor allem Modell 2 relevant ist, werden im Folgenden diese Ergebnisse präsentiert. Tab. 3 stellt die Regressionskoeffizienten und Standardfehler für Modell 2 dar. In Modell 2 wurden die Effekte beider interessierender Regressoren signifikant (βnationaleID = 0,45, p < 0,01; βreligiöseID = 0,20, p < 0,05) und der Einschluss der Variable selbsteingeschätzte Religiosität führte zu einem kleinen, aber signifikanten Anstieg des Determinationskoeffizienten um ∆R2 = 0,03 (∆F(1, 91) = 4,07, p < 0,05). Für Modell 2 ergab sich ein korrigierter Determinationskoeffizient von R2adj = 0,28.

Tab. 3 Ergebnisse der Regression: AV Ausländerfeindlichkeit

Um die Hypothesen 2 (Teilnehmende mit niedrig ausgeprägten interkulturellen Persönlichkeitsmerkmalen zeigen einen positiven Zusammenhang von selbsteingeschätzter Religiosität und Ausländerfeindlichkeit) und 3 (Teilnehmende mit stark ausgeprägten interkulturellen Persönlichkeitsmerkmalen zeigen einen negativen Zusammenhang von selbsteingeschätzter Religiosität und Ausländerfeindlichkeit) zu überprüfen, wurde eine weitere lineare Regressionsanalyse durchgeführt. Tab. 4 fasst die Ergebnisse der Moderationsanalyse zusammen.

Tab. 4 Ergebnisse der Moderationsanalyse

Die Interaktion zwischen Religiosität und den Interkulturellen Persönlichkeitseigenschaften wurden mit Hilfe des SPSS Macros Modmed (Hayes und Matthes 2009), Model 1, getestet. Die abhängige Variable war Ausländerfeindlichkeit, die unabhängige Variable war Religiosität und der Moderator war die interkulturelle Persönlichkeit. Das aufgestellte Modell testete die bilineare Interaktion der Variablen Religiosität und Interkulturelle Kompetenz als Prädiktor der Variable Ausländerfeindlichkeit nach dem Schema: Ausländerfeindlichkeit = β0 + β1Nationale Identifikation + β2Interkulturelle Persönlichkeit + β3Religiosität + β4Religiosität × Interkulturelle Persönlichkeit + Fehler. Dabei wurde für jeden gegebenen Wert von Interkultureller Persönlichkeit (IK) eine bedingte lineare Regression von Religiosität auf Ausländerfeindlichkeit betrachtet. Der bedingte Steigungskoeffizient \(\beta_{3}^{\mathrm{IK}}\) beim Wert IK ergab sich als \(\beta_{3}^{\mathrm{IK}}=\beta_{3}+\beta_{4}\mathrm{IK}\).

Nachdem keine der Kovariaten, bis auf die nationale Identität, signifikant wurde, wurden sie ausgeschlossen. Um Probleme durch Multikollinearität und Effekte durch unterschiedliche Skalierungen zu vermeiden, wurden die Variablen außerdem standardisiert.

In Übereinstimmung mit Hypothese 2 bestand für Menschen mit einer niedrigen Interkulturellen Persönlichkeit (1 SD unter M) ein signifikanter positiver Zusammenhang zwischen Religiosität und Ausländerfeindlichkeit (β = 0,48, p < 0,001). Entgegen Hypothese 3 fanden wir jedoch keinen signifikanten Zusammenhang zwischen Religiosität und Ausländerfeindlichkeit (β = −0,01, p = 0,92) für Menschen mit einer hohen Interkulturellen Persönlichkeit (1 SD über M). Wenn wir die Stichprobe in zwei Hälften aufteilten (unter Skalenmittelpunkt Interkulturelle Persönlichkeit vs. über Skalenmittelpunkt Interkulturelle Persönlichkeit), dann war die Korrelation zwischen Religiosität und Ausländerfeindlichkeit r = 0,39, p < 0,01 für Menschen mit einem untergemittelten Wert auf Interkultureller Persönlichkeit, und r = −0,09, p = 0,58 für Menschen mit einem übergemittelten Wert auf Interkultureller Persönlichkeit. Hypothese 2 wurde daher für die vorliegende Stichprobe bestätigt, Hypothese 3 konnte nicht bestätigt werden.

4 Diskussion

4.1 Allgemeine Diskussion

Die Ergebnisse zeigten einen signifikanten zusätzlichen Erklärungsbeitrag der selbsteingeschätzten Religiosität auf die Ausländerfeindlichkeit bei mittleren Ausprägungen der interkulturellen Persönlichkeit. Wie erwartet moderiert die Variable interkulturelle Persönlichkeit den Zusammenhang zwischen den Variablen selbsteingeschätzte Religiosität und Ausländerfeindlichkeit. Der Zusammenhang zwischen selbsteingeschätzter Religiosität und Ausländerfeindlichkeit war positiv bei Teilnehmenden, die geringe Ausprägungen auf dem MPQ zeigten. Bei Teilnehmenden, die eine stark ausgeprägte interkulturelle Persönlichkeit aufwiesen, bestand kein Zusammenhang zwischen Religiosität und Ausländerfeindlichkeit.

In ihrer Betrachtung von Religiosität und Vorurteilen unterstreicht Küpper (2010), dass die Rolle, die Religion immer wieder bei schweren Verbrechen spielt, diametral gegensätzlich zum prosozialen Wertekonzept ist, das die meisten einflussreichen Religionen der Welt vertreten. Diese Studie zeigte in Übereinstimmung mit Küpper (2010) und Pickel et al. (2020), dass die religiöse Identität einen signifikanten Effekt auf Ausländerfeindlichkeit hatte, und dass dieser Zusammenhang auch nicht durch die nationale Identität aufgeklärt wurde. Aufgrund der engen Verknüpfung von ausländerfeindlichen und islam- und judenfeindlichen Einstellungen könnten diese Ergebnisse dabei auf einen abweichenden Fokus der Konstrukte nationale und religiöse Identität hinweisen. Während sich nationale Identität auf die Zugehörigkeit zu einer übergeordneten, abstrakten Gruppe bezieht, könnte sich die religiöse Identität auf die Zugehörigkeit zu Symbolen, Praktiken und Lebensweisen beziehen, die in den Lebenswelten der beteiligten Individuen verankert sind. Zukünftige Studien sollten diese Frage mit einer differenzierteren Betrachtung von Einstellungen zu verschiedenen Fremdgruppen und unter Beachtung unterschiedlicher Formen von Religiosität klären. Beispielsweise würde es sich anbieten, die soziale Distanz zu anderen Glaubensgruppen und anderen Ethnien als abhängige Variablen zu untersuchen. Es ist anzunehmen, dass unterschiedliche Religionen aufgrund vorhandener Informationen (beispielsweise über bestehende extremistische Gruppen) unterschiedlich stark als bedrohlich empfunden und außerdem unterschiedlich stark mit bestimmten äußeren Merkmalen verbunden werden.

Zentrales Ergebnis der vorliegenden Studie ist, dass religiösere Mitglieder der deutschen Mehrheitsgesellschaft tendenziell ausländerfeindlicher antworteten, sofern sie eine schwach ausgeprägte interkulturelle Persönlichkeit hatten, oder dass die interkulturellen Persönlichkeitseigenschaften den Effekt von religiöser Identität auf Ausländerfeindlichkeit abmilderten. Die moderierende Rolle der interkulturellen Persönlichkeitseigenschaften wurde in der vorliegenden Studie untersucht, weil die Ergebnisse vorheriger Studien (Küpper 2010) nahelegten, dass die Interpretation und Konnotation der religiösen Identität möglicherweise von einer Moderatorvariable bestimmt wird. Die interkulturelle Persönlichkeit sollte dabei erklären, wie Menschen Interaktionssituationen mit Menschen aus anderen Ländern/Kulturen wahrnehmen und dementsprechend den Umgang mit der eigenen religiösen Identität mitbestimmen. Da sie in verschiedenen Studien als Prädiktoren sozialer Einstellungen bestätigt wurden und theoretisch umfassend fundiert sind, kann angenommen werden, dass sie Einstellungen zu Ausländer*innen in Deutschland sehr gut erklären können. Für zukünftige Forschung sollte allerdings beachtet werden, dass auch weitere Persönlichkeitseigenschaften den Zusammenhang zwischen Religiosität und Ausländerfeindlichkeit moderieren könnten, wie auch Uenal (2016) zu seinen Ergebnissen für die soziale Dominanzorientierung anmerkte. Es wäre daher sinnvoll, zu überprüfen, inwiefern die soziale Dominanzorientierung einen zusätzlichen Erklärungsbeitrag zur interkulturellen Persönlichkeit im Hinblick auf die Ausländerfeindlichkeit leisten kann, die besonders die Aufwertung der Ingroup und die Abwertung der Outgroup thematisiert. Außerdem sollten zukünftige Studien versuchen, die Ergebnisse unter Berücksichtigung der Multidimensionalität von Religiosität zu replizieren. Für intrinsische und extrinsische Religiosität, religiösen Fundamentalismus sowie Quest zeigen sich möglicherweise keine bzw. andere Interaktionen.

4.2 Limitationen

Neben der relativ kleinen Stichprobe, die es nicht erlaubte, die Zusammenhänge zwischen Religiosität und Ausländerfeindlichkeit bei Angehörigen verschiedener Religionen zu vergleichen, erlaubt das Querschnittsdesign es nicht, Schlüsse hinsichtlich der Kausalität der aufgezeigten Zusammenhänge zu ziehen. Für vorhergesagte Interaktionseffekte lassen sich laut Backhaus et al. (2013) jedoch kausale Zusammenhänge annehmen, wenn die inhaltliche Komplexität der Interaktion eine zufällig auftretende Kovarianz unwahrscheinlich werden lässt. Die Operationalisierung der selbsteingeschätzten Religiosität mittels eines Items ist möglicherweise problematisch, wenn man Aussagen über das ganze Spektrum religiöser Empfindungen treffen möchte. Jedoch berücksichtigten auch Hall et al. (2010) in ihrer Metastudie Ergebnisse, die auf einer so knappen Operationalisierung der selbsteingeschätzten Religiosität oder religiösen Identität basierten. Zukünftige Studien sollten dennoch differenziertere Fragebögen verwenden und auch andere Facetten von Religiosität berücksichtigen, um die Messgenauigkeit zu steigern.

Die betrachtete Stichprobe ist überdurchschnittlich häufig christlich-katholisch und jung. Es können keine Aussagen darüber getroffen werden, ob sich die vorliegenden Zusammenhänge auch bei anderen Konfessionen oder Religionen zeigen würden. Da die kognitiven Prozesse, die den Zusammenhang zwischen Ausländerfeindlichkeit und Religiosität erklären könnten aber wahrscheinlich verallgemeinerbar sind (Park und Judd 2005), ist es naheliegend zu vermuten, dass die interkulturelle Persönlichkeit auch bei anderen Stichproben den Zusammenhang von religiöser Identität und Ausländerfeindlichkeit moderiert. Während andere Studien (z. B. Genkova et al. 2021b) Zusammenhänge des Alters mit der Ausländerfeindlichkeit fanden, zeigte sich hier kein Effekt der Kontrollvariablen. Dies ist möglicherweise darauf zurückzuführen, dass die Stichprobe zu wenige ältere Menschen enthielt. Da auch sehr wenige Menschen anderer Konfessionen und Religionen untersucht wurden, ist die externe Validität der Ergebnisse eingeschränkt und sollte in zukünftigen Studien geprüft werden. Dabei sollte auch betrachtet werden, inwiefern die unterschiedlichen Formen der Frömmigkeit über Alterskohorten und Religionsgemeinschaften vergleichbar sind.

Trotz dieser Limitationen, tragen die Ergebnisse dieser Studie dazu bei, den Zusammenhang zwischen Religiosität und Ausländerfeindlichkeit besser zu verstehen. Indem wir den konditionalen Effekt der interkulturellen Persönlichkeitseigenschaften für den Zusammenhang von Religiosität mit Ausländerfeindlichkeit zeigen, führen wird diesen neuen Faktor in die Betrachtung ein. Ungeklärt bleibt die Rolle des Bedrohungsempfindens für diesen Effekt, der in früheren Studien den Zusammenhang zwischen Religiosität und Vorurteilen mediiert hat (Makashvili et al. 2018). Zukünftige Studien sollten dies berücksichtigen, um zu überprüfen, ob sich die interkulturelle Persönlichkeit auf den Umgang mit der Bedrohung der Identität bezieht, wie wir in der vorliegenden Studie auf Grundlage der Ergebnisse von van der Zee et al. (2004) vermutet haben.

Darüber hinaus sind die Ergebnisse im Kontext einer umfassenden Tendenz zur Säkularisierung, bzw. Entkirchlichung in christlichen Gemeinden in Deutschland zu betrachten (Meulemann 2019). Sowohl der „Glauben“ – unterschiedliche Formen der Frömmigkeit – die Bindung an die Kirche sowie die Ausübung christlicher Praktiken verändern sich in Deutschland. Meulemann (2019) argumentiert, dass glauben und religiöse Praktik in wechselseitiger Beziehung zueinanderstehen und dabei immer weniger werden (weniger Frömmigkeit führt zu weniger Kirchgängen, was wiederrum zu weniger Frömmigkeit führt). Dabei ist unklar, was diese Entwicklung für die religiöse Identität und den Zusammenhang mit Ausländerfeindlichkeit bedeutet. Aus einer sozialpsychologischen Perspektive lässt sich argumentieren, dass weniger Identifikation mit Religiosität zu weniger religionsbedingten Vorurteilen führen sollten. Das bedeutet allerdings nicht notwendigerweise, dass Religiosität nicht doch Gegenstand von Kategorisierungsprozessen wird. Auf Grundlage des social-identity Ansatzes ist nicht nur die Relevanz und der normative Fit auf einer Dimension für die Bildung von Stereotypen relevant, sondern auch der komparative Fit (lässt sich die Outgroup anhand eines Merkmals abgrenzen, Park und Judd 2005). Wird die Ingroup also als wenig religiös und die Outgroup als sehr religiös wahrgenommen, würde dieses Merkmal an Salienz gewinnen. Es lässt sich daher nicht schlussfolgern, dass weniger christliche Religiosität und Entkirchlichung zu weniger Ausländerfeindlichkeit in Deutschland führen. Dies gilt insbesondere, wenn rechte (und nominell „gemäßigte“) Politiker*innen Immigration nach Deutschland mit Antiislamismus und Judenfeindlichkeit verknüpfen. Gleichzeitig bleibt unklar, inwiefern sich die vorliegenden Ergebnisse auf andere relevante Religionsgemeinschaften in Deutschland übertragen lassen. Anstatt positive oder negative Aspekte von Religiosität zu suchen, scheint es daher vielversprechender, den individuellen Umgang mit der eigenen und fremden Vielfalt zu unterstützen.

4.3 Praktische Implikationen

Dass selbsteingeschätzte Religiosität unter bestimmten Umständen mit erhöhter Ausländerfeindlichkeit zusammenhängt, hat ebenfalls Auswirkungen auf Interventionen, die darauf zielen, Ausländerfeindlichkeit von Mitgliedern der Mehrheitsbevölkerung zu reduzieren. So kann die Rolle von selbsteingeschätzter Religiosität in Trainingssettings besprochen werden, wobei gerade bei stark gläubigen Menschen thematisiert werden kann, dass Religiosität auch einen ausschließenden Charakter haben kann. Umgekehrt unterstreichen die Ergebnisse, dass gerade gering ausgeprägte interkulturelle Persönlichkeitseigenschaften auch bei Menschen, die religiös sind, zu Ausländerfeindlichkeit führen könnte. Trainings erfordern immer eine gewisse Bereitschaft und Einsicht der Trainierten, wenn sie zu Einstellungsänderungen und Kompetenzgewinnen beitragen sollen. Da interkulturelle Persönlichkeitseigenschaften außer mit Trainings stark mit interkulturellen Erfahrungen zusammenhängen (van der Zee et al. 2004), müssten in Regionen Deutschlands mit geringem Ausländer*innen-Anteil möglicherweise abweichende Konzepte des Abbaus von Ausländerfeindlichkeit gefunden werden. Für die Formierung von sozialen Einstellungen spielen dabei nicht nur die individuellen Vorstellungen und das Selbstkonzept eine Rolle, sondern auch soziale Normen und Regeln, die zum Beispiel durch religiöse Gebote vermittelt werden können (Guimond et al. 2013). Eine klare Positionierung von religiösen Vorbildern und Organisationseinheiten zu Offenheit und Toleranz könnte daher auch bei niedrig ausgeprägten interkulturellen Persönlichkeitseigenschaften zu einer Reduzierung von Ausländerfeindlichkeit führen. Darüber hinaus bietet es sich an, auch bei der religiösen Erziehung die friedliche Koexistenz verschiedener Religionen zu thematisieren und Gemeinsamkeiten, wie die religionsübergreifenden Arten von Religiosität anstatt der Unterschiede in Weltanschauung und Praktiken zu betonen. Dieser Zusammenhang sollte in zukünftigen Studien untersucht werden, um Möglichkeiten zum Abbau von Ausländerfeindlichkeit auch abseits von Trainingskonzepten und Kontakthypothese zu elaborieren.

4.4 Fazit

Diese Studie leistet einen Beitrag zum Verständnis des Zusammenhanges von selbstbeurteilter Religiosität und Ausländerfeindlichkeit. Es konnte gezeigt werden, dass die selbsteingeschätzte Religiosität, die auch als religiöse Identität verstanden wird (Küpper 2010), einen zusätzlichen Erklärungsbeitrag zur Ausländerfeindlichkeit gegenüber der nationalen Identität leistet. Bisherige Studien (Küpper 2010; Küpper und Zick 2017; Pickel et al. 2020; Ysseldyk et al. 2010) betrachteten vor allem unterschiedliche Arten von Religiosität. Stattdessen konzentrierte sich die vorliegende Untersuchung auf die religiöse Identität und zeigt, dass interkulturelle Persönlichkeitseigenschaften den Zusammenhang zwischen selbsteingeschätzter Religiosität und Ausländerfeindlichkeit moderieren. Trotz der Limitationen der Studie konnte ein erster Beitrag dazu geleistet werden, dass die Betrachtung von Moderatorvariablen des Umgangs mit der eigenen Religiosität möglicherweise eine vielversprechende Option darstellt, um dem ausschließenden und menschenfeindlichen Charakter, den Religiosität manchmal annimmt, entgegenzuwirken. Zukünftige Studien sollten diese Ergebnisse aufgreifen und anhand umfassenderer Stichproben und unter Berücksichtigungen der Multidimensionalität von Religiosität erweitern.