1 Einleitung

Der Religionsunterricht in öffentlichen Schulen steht paradigmatisch für den Status von Religion und die Aushandlung von religiöser Pluralität in westeuropäischen Gesellschaften. Dies gilt insbesondere für den islamischen Religionsunterricht (IRU) in Deutschland, der mit seiner Einführung seit den 2010er Jahren vor der Herausforderung steht, sich einerseits im Bildungs- und Wissenschaftssystem zu etablieren, andererseits zu „den zentralen islampolitischen Projekten der letzten Jahre gehört“ (SVR 2016, S. 43); und dies beides in einer gesellschaftlichen Situation, in der „der“ (imaginierte) Islam eine breite Ablehnung seitens der nicht-muslimischen Bevölkerung erfährt.

In Deutschland hat der Religionsunterricht (RU) als einziges grundgesetzlich gesichertes Schulfach einen besonderen verfassungsrechtlichen Status und wird gemäß Artikel 7 Absatz 3 GG „(u)nbeschadet des staatlichen Aufsichtsrechtes (…) in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaften erteilt“. Damit ist der RU eine gemeinsame Angelegenheit (res mixta) von Staat und Religionsgemeinschaften, die aufgrund des staatlichen Neutralitätsgebots und ihres Selbstbestimmungsrechts für die inhaltliche Ausgestaltung verantwortlich sind. Das Grundgesetz sieht damit einen konfessionellen RU vor, der im föderalen System Deutschlands mit der Zuständigkeit der Bundesländer umgesetzt wird. Während diese rechtlichen Bestimmungen in einer volkskirchlichen Situation mit einer kirchlichen Bindung von über 90 % der Bevölkerung (Pollack und Rosta 2015) entstanden sind und es sich beim RU in Deutschland lange Zeit um einen christlichen Religionsunterricht handelte, bedeuten sie zugleich, dass der RU grundsätzlich von allen Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften angeboten werden kann, die im jeweiligen Bundesland als solche rechtlich anerkannt sind.

Bereits seit den 1970er-Jahren forderten daher auch muslimische Verbände die gleichberechtigte Teilhabe am konfessionellen Religionsunterricht, dessen Einführung jahrzehntelange Aushandlungsprozesse vorangingen: „Es gibt kein bildungspolitisches Thema in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, welches in dieser Länge, Ausführlichkeit und Kontroversität diskutiert worden wäre“ (Kiefer 2017, S. 84). Seine flächendeckende Einführung erfolgte seit 2010 mit den Empfehlungen des deutschen Wissenschaftsrates, die dafür notwendige Ausbildung von Lehrkräften an deutschen Universitäten zu etablieren (Wissenschaftsrat 2010). Inzwischen wurde das Fach Islamische Theologie an etwa zehn Universitäten mit mehr als 30 Professuren etabliert, an denen muslimische Lehrkräfte für den IRU ausgebildet werden, der in allen Bundesländern mit einem höheren Anteil muslimischer Bevölkerung inzwischen eingeführt wurde und an dem in rund 900 Schulen knapp 60.000 Schüler:innen teilnehmen (Mediendienst Integration 2020).

Parallel zu seiner Einführung hat sich auch die Forschung zum IRU entwickelt. Während diese seit den frühen 2000er Jahren „zunächst vornehmlich von der intensiven Auseinandersetzung mit den rechtlichen Grundlagen und Möglichkeiten für die Einführung eines solchen Faches in politik- und rechtswissenschaftlichen Analysen geprägt“ (Spielhaus 2018, S. 93) war, hat sich demgegenüber mit der Einführung des IRU eine dezidiert empirische Forschung entwickelt. Dabei ist zu beobachten, dass der IRU nicht nur mit den neu geschaffenen Kapazitäten der islamischen Theologie erwartungsgemäß Gegenstand der islamtheologischen und -pädagogischen Forschung ist, sondern darüber hinaus auch ins Blickfeld anderer Disziplinen etwa der Sozial‑, Politik‑, Erziehungs- und Islamwissenschaften rückt. Während der empirische Forschungsstand sich damit deutlich vergrößert und erweitert hat, verbleibt die Rezeption und Diskussion der Befunde jedoch zumeist innerhalb der disziplinären Grenzen. Auch die vorliegenden Überblicke zum Forschungsstand behandeln die empirische IRU-Forschung bisher nur am Rande und sind entweder auf den christlichen RU ausgerichtet (z. B. Schweitzer und Ziebertz 2017) oder widmen sich dem Forschungsstand zum IRU insgesamt und dabei eher theoretischen Perspektiven (z. B. Ulfat 2017a).

Das Ziel des vorliegenden Beitrags ist es daher, erstmals den disziplinübergreifenden empirischen Forschungsstand zum IRU zu erheben, zu systematisieren und zu analysieren, um die darin enthaltenen empirischen Befunde zu synthetisieren und Forschungsbedarfe aufzuzeigen. Die grundlegende Frage lautet: Aus welchen Perspektiven wird der IRU zum Gegenstand der Forschung und welche empirischen Befunde liegen vor bzw. welche Forschungslücken und -bedarfe gibt es? Wie der Beitrag zeigt, liegt zum IRU bereits umfangreiches empirisches Wissen vor, so dass die systematisch und differenziert aufbereitete empirische Befundlage eine Basis für aktuelle Diskussionen und zukünftige Forschungen liefert. Zum anderen ist unser Bestreben, auch die bestehenden und teilweise durch die IRU-Forschung selbst generierten Leerstellen herauszuarbeiten, die unsichtbar bleiben oder auch gemacht werden, sei es als Folge methodischer Schwächen, konzeptioneller, inhaltlicher, begrifflicher Unstimmigkeiten, finanzieller Kapazitäten oder bewusster oder unbewusster normativer Vorannahmen. Damit versteht sich der Beitrag als Momentaufnahme und zugleich Impulsgeber der IRU-Forschung, die sowohl Spiegel als auch Triebkraft der Entwicklungen im Feld des IRU sein kann.

Der Artikel ist wie folgt strukturiert: In Abschn. 2 wird das Forschungsreview als methodische Vorgehensweise erläutert. In Abschn. 3 wird eine erste qualitativ-quantitative Vermessung des Forschungsfeldes vorgenommen durch die Systematisierung des Forschungsstandes in fünf Schwerpunkte und deren übergreifende Betrachtung. Die Abschn. 4–8 widmen sich den einzelnen Schwerpunkten und der Beschreibung und Analyse des jeweiligen Forschungsstandes sowie dem Aufzeigen von Forschungsbedarfen. Abschließend werden in Abschn. 9 übergreifend zentrale Erkenntnisse und Perspektiven formuliert.

2 Forschungsreview

Dem Beitrag liegt ein Forschungsreview zugrunde, mit dem der empirische Forschungsstand systematisch erhoben und analysiert und Befunde aus unterschiedlichen Disziplinen und methodischen Zugängen integriert wurden. Hierzu wurde zunächst eine Literaturrecherche durchgeführt und eine kriteriengeleitete Auswahl an Arbeiten getroffen. Die schlagwortbasierte Recherche erfolgte über Bibliotheksdatenbanken, Webseiten von Forschungseinrichtungen, Kataloge thematisch einschlägiger Verlage sowie über direkte sowie im Schneeballverfahren generierte Anfragen an Wissenschaftler:innen und weitere Akteur:innen im Forschungsfeld. Daraus resultierte eine umfangreiche Literaturdatenbank zum IRU, was auf die hohe Aufmerksamkeit gegenüber der Thematik hindeutet, deren Umfang sich jedoch durch die zugrunde gelegten drei Auswahlkriterien deutlich dezimierte.

Erstens wurden für die weitere Analyse nur Arbeiten einbezogen, die durch eigene Primär- und Sekundärdatenerhebungen und -analysen originär empirisch basierte Erkenntnisse zum IRU liefern. Dabei wurden auch Arbeiten einbezogen, die den IRU nicht als primären Gegenstand, sondern in einem weiteren Forschungskontext wie etwa im Feld von Migration betrachten und empirisch basierte Erkenntnisse zum IRU liefern. Demgegenüber wurde die vergleichsweise breite Literatur zu konzeptionell-didaktischen Ansätzen, theologischen Reflexionen, rechtswissenschaftlichen Gutachten, historischen Betrachtungen, politischen und gesellschaftlichen Diskursen etc. zum IRU, die sich teilweise auf empirische Studien bezieht, aber keinen eigenen empirischen Erkenntnisgewinn aufweist, nicht berücksichtigt. Mit dem Fokus auf den IRU als empirischen Gegenstand verbunden war zweitens, dass es sich um Arbeiten seit der Einführung des IRU handeln sollte. Als hierfür zentrales Moment gelten die einleitend genannten Empfehlungen des deutschen Wissenschaftsrats, mit denen die Ausbildung muslimischer Lehrkräfte an deutschen Universitäten etabliert wurde. Einbezogen wurden daher Arbeiten, die seit 2010 publiziert wurden, wobei einige Studien auf bereits früher erhobenen Daten basieren, so dass das Review auch der Genese der Einführung des IRU Rechnung trägt bzw. darauf bezogene Arbeiten teilweise einschließt, mit dem Kriterium ihrer Publikation seit 2010 jedoch gleichzeitig Aktualität bietet. Schließlich sollten sich die Arbeiten drittens auf den IRU in Deutschland und damit auf einen gemeinsamen nationalen Bezugsrahmen beziehen, um sie angesichts der Vielfältigkeit internationaler Ansätze und Kontexte (Franken and Gent 2021) miteinander in Beziehung setzen zu können.

Die nach diesen Kriterien einbezogenen Arbeiten wurden im Hinblick auf die thematische Perspektive und zentrale Fragestellung systematisiert, woraus fünf Schwerpunkte der empirischen Forschung zum IRU resultierten (Abschn. 3). Diese zeichnen sich durch eine jeweils eigene Perspektive auf den IRU aus, indem die zugeordneten Arbeiten einen inhaltlichen Fokus teilen. Gleichzeitig integrieren die Schwerpunkte jeweils Arbeiten aus teilweise unterschiedlichen Disziplinen, mit unterschiedlichen Fragestellungen und methodischen Zugängen. Das Forschungsreview kartografiert mit diesem integrativen Zugang gleichsam die Vielfältigkeit der auf den IRU bezogenen Forschung. Die weitere inhaltliche Analyse erfolgte zunächst jeweils innerhalb der Schwerpunkte hinsichtlich Fragestellung, theoretischer Verortung, methodischer Vorgehensweise, zentraler Erkenntnisse, Übereinstimmungen und Disparitäten sowie Forschungslücken und -bedarfen (Abschn. 4–8) und anschließend in vergleichender und zusammenführender Perspektive im Hinblick auf übergreifende Befunde (Abschn. 9).Footnote 1

3 Systematisierung des Forschungsstandes

Mit Blick auf die Frage, aus welchen Perspektiven der IRU als Forschungsgegenstand betrachtet wird, lässt sich der Forschungsstand in fünf thematische Schwerpunkte systematisieren: Einstellungsforschung (1), politikwissenschaftliche Forschung (2), sozialisationsorientierte Forschung (3), Evaluationsforschung (4) und bildungswissenschaftliche und islamisch-religionspädagogische Forschung (5).

Wie in Tab. 1 dargestellt, zeigen diese fünf Schwerpunkte insgesamt ein thematisch breites Spektrum, in dem der IRU zum Forschungsgegenstand wird. Dabei lassen sich mit Blick auf den inhaltlichen Fokus idealtypisch zwei Kategorisierungen einführen, die als erste Schneisen durch den Forschungsstand dienen. Zum einen lassen sich die Schwerpunkte hinsichtlich der Art der Gegenstandsbezogenheit unterscheiden: Während die Schwerpunkte 1 bis 3 mit ihrer Perspektive auf gesellschaftliche Akzeptanz, religionspolitische Aushandlungen und religiöse Sozialisation den IRU in seinen Bedingungen und Voraussetzungen betrachten und damit eher kontextuell bzw. mittelbar gegenstandsbezogen ausgerichtet sind, können die Schwerpunkte 4 und 5 mit Fokus auf konkret eingeführte IRU-Modelle und die Einstellungen, Praxen und Materialien der am Unterrichtsgeschehen direkt Beteiligten als eher unmittelbar gegenstandsbezogen gelten. Zum anderen lassen sich die Schwerpunkte hinsichtlich der Motivation ihrer Erkenntnisproduktion unterscheiden: Die kontextuelle Forschung der Schwerpunkte 1 bis 3 ist insofern eher extrinsisch orientiert, soweit es ihr um den IRU in seinem Verhältnis zur Gesellschaft und etwa um dessen Legitimation, Akzeptanz und Nutzen geht. Die unmittelbar gegenstandsbezogene Forschung der Schwerpunkte 4 und 5 ist stärker intrinsisch ausgerichtet, soweit es ihr um die Erforschung des IRU um seiner selbst und dessen Verstehen und Entwicklung geht.

Tab. 1 Überblick zu Forschungsstand und Quellen

Angesichts der thematisch-inhaltlichen Breite fällt dagegen die Datenlage der einzelnen Schwerpunkte, die jeweils für sich ein eigenes Forschungsfeld bilden, eher übersichtlich aus: Es wurden nach den oben genannten Kriterien jeweils vier bis neun Arbeiten oder Studien zugeordnet, die hier teilweise mit mehreren daraus hervorgegangenen Publikationen einbezogen wurden. Diese zahlenmäßige Überschaubarkeit ist angesichts des noch jungen Forschungsfeldes nicht anders zu erwarten, lässt aber bereits eine Diskrepanz zwischen Breite und Tiefe des Forschungsstandes erkennen. Zudem betrachtet die kontextuelle Forschung (1 bis 3) den IRU größtenteils in einer weiter gefassten Forschungsperspektive, etwa als Indikator migrationsbezogener Einstellungen, kaum jedoch als eigentlichen Forschungsgegenstand; die unmittelbar gegenstandsbezogene Forschung (4 und 5) ist zwar stärker intrinsisch auf das Verstehen und die Entwicklung des IRU ausgerichtet ist, zielt aber teilweise ebenso auf einen Erkenntnisgewinn zum gesellschaftlichen Nutzen des IRU. Damit deutet sich Forschungsbedarf auf unterschiedlichen Ebenen an, der in den folgenden Abschnitten für die einzelnen Schwerpunkte genauer aufgezeigt wird.

Formal betrachtet handelt es sich bei etwa einem Drittel der 30 einbezogenen Arbeiten um Dissertationen, die naturgemäß häufig neues Terrain beschreiten und hier entsprechend dokumentieren, dass der IRU ein junges Forschungsfeld über die Schwerpunkte hinweg darstellt. Während diese Qualifikationsarbeiten in der Regel ohne erkennbare Einbindung in größere Forschungsprojekte und eine entsprechende Finanzierung entstanden sind, erfolgt eine Finanzierung der IRU-Forschung, abgesehen von ihrer Einbindung in breiter gefasste Studien und Surveys (Einstellungsforschung), vor allem durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) über die eingerichteten Professuren der islamischen Theologie und Religionspädagogik sowie die Akademie für Islam in Wissenschaft und Gesellschaft (AIWG), durch Ministerien und Behörden einzelner Bundesländer über die Vergabe von Aufträgen (Evaluationsforschung) oder die Förderung eines Forschungsprojektes. Methodisch betrachtet ist die IRU-Forschung im Bereich der Einstellungs- und Evaluationsforschung (1 und 4) ausschließlich bzw. größtenteils quantitativ ausgerichtet, während die anderen Schwerpunkte (2, 3 und 4) größtenteils qualitative Forschung beinhalten, wohingegen Mixed-Methods-Ansätze sowie auch (räumlich, zeitlich, religionsbezogen) vergleichende Betrachtungen die Ausnahme sind.

Insgesamt zeigt diese erste Vermessung, dass sich die Forschung zum IRU in einem relativ kurzen Zeitraum von etwa zehn Jahren seit dessen Einführung zu einem thematisch breiten, sowohl kontextuell als auch unmittelbar gegenstandsbezogenen und inhaltlich vielfältig ausgerichteten Forschungsfeld entwickelt hat. Dabei bilden die zugrundeliegenden Arbeiten weitgehend das Feld ab, wenngleich angesichts des jungen und dynamischen ForschungsfeldesFootnote 2 kein Anspruch auf Vollständigkeit erhoben wird.

4 Einstellungsforschung zur öffentlichen Meinung zum IRU

Mit seiner Einführung seit 2010 ist auch die öffentliche Meinung zum IRU stärker ins Blickfeld der Forschung gerückt und es wurden in mehreren Studien insbesondere der Integrations- und Migrationsforschung die Einstellungen der Bevölkerung gegenüber dem IRU als Indikator der strukturellen Integration des Islams bzw. der Einstellungen gegenüber Migrant:innen sowie der Meinungen zu religionspolitischen Maßnahmen erhoben. Dennoch lässt sich auf Basis der vorliegenden Studien und Daten dieser Einstellungsforschung die grundlegende Frage, ob der IRU in der Bevölkerung eher Zustimmung oder Ablehnung erfährt, kaum verlässlich beantworten. Der Forschungsstand zeigt vielmehr ein inhaltlich widersprüchliches Meinungsbild, gepaart mit methodischen und interpretatorischen Schwierigkeiten, und lässt die öffentliche Meinung zum IRU weiterhin als Forschungsdesiderat erscheinen.

In dem seit 2010 durchgeführten Integrationsbarometer des Sachverständigenrats deutscher Stiftungen für Integration und Migration (SVR) wurden erstmals im Integrationsbarometer 2014 auch Einstellungen zum politischen Umgang mit kultureller und religiöser Vielfalt sowie Haltungen gegenüber Minderheiten untersucht. Dabei stimmten sowohl die Befragten ohne wie mit Migrationshintergrund der Aussage, dass „islamischer Religionsunterricht ein reguläres, wählbares Unterrichtsfach an Schulen sein sollte“, jeweils mehrheitlich zu (55,1 % bzw. 51,3 %) (SVR 2014, S. 34). Auch im darauffolgenden SVR-Integrationsbarometer 2016 wurde der IRU mehrheitlich befürwortet von 65 % der Befragten ohne Migrationshintergrund bzw. 58,2 % der befragten Spät‑/Aussiedler und 82,4 % der Befragten mit türkischem Migrationshintergrund (SVR 2016, S. 42). Insgesamt wird festgehalten: „Zum einen wird konfessioneller Religionsunterricht an Schulen als wählbares Unterrichtsfach gruppenübergreifend befürwortet; zum anderen beschränkt sich dieser Wunsch nicht auf christlichen Religionsunterricht, sondern schließt auch islamischen Religionsunterricht ein“ (ebd., S. 43). Dass diese mehrheitliche Zustimmung sowohl zum IRU als auch zum RU gleichzeitig auch eine Zustimmung zum konfessionellen RU ist, wie hier angenommen wird, bleibt allerdings fraglich, da die Form des (I)RU in den Frageformulierungen nicht berücksichtigt wurde. Auch ließe sich von der Steigerung der Zustimmungswerte zum IRU von 2014 auf 2016 nicht unbedingt auf eine tatsächliche Steigerung der Zustimmung schließen. Denn zum einen wurde in 2014 gefragt, ob der IRU ein „reguläres, wählbares Unterrichtsfach“ sein sollte, wohingegen in 2016 „reguläres“ gestrichen und nach der Zustimmung zum IRU als „wählbares Unterrichtsfach“ gefragt wurde; zum anderen wurde in 2016 die Antwortvorgabe „teils/teils“ nicht angeboten und eine klare Entscheidung für oder gegen den IRU abgefragt. Diese Änderungen können bekanntlich erheblichen Einfluss auf das Antwortverhalten haben, wenn etwa die weichere Frageformulierung oder die durch die Antwortvorgaben geforderte explizite Entscheidung für oder gegen den IRU durch den Effekt der sozialen Erwünschtheit zu erhöhten Zustimmungswerten in 2016 geführt haben können. Festzuhalten ist, dass laut SVR-Integrationsbarometer 2014 und 2016 der IRU in der Bevölkerung mehrheitlich befürwortet wird.

Dieses Ergebnis korrespondiert mit der Studie Deutschland postmigrantisch des Berliner Instituts für empirische Integrations- und Migrationsforschung (BIM), die ebenso eine mehrheitliche Zustimmung zum IRU ergab: 68,5 % der Befragten bejahen die Aussage „Wo auch immer eine große Anzahl von Muslimen lebt und die Schule besuchen, sollte islamischer Religionsunterricht angeboten werden“ (Foroutan et al. 2014a, S. 35). Ähnlich wie im SVR-Integrationsbarometer ist auch der Befund, dass dem IRU vergleichsweise weniger zugestimmt wird als dem RU und fast ein Viertel der Befragten, die für den RU stimmen, gegen den IRU stimmen (Foroutan et al. 2015, S. 71), was hier allerdings vorsichtiger interpretiert wird: als „entweder ein diskriminierendes Denken (…), indem einer Gruppe willkürlich vorenthalten wird, was anderen gewährt wird“ oder aber als „eine Präferenz für eine ganz andere Form des Religionsunterrichtes (…), bei dem Schülerinnen und Schüler aller Religionen zusammen unterrichtet werden“ (ebd., S. 71). Diese interpretatorische Schwierigkeit – dass die Zustimmung oder Ablehnung des (I)RU noch nichts über die Einstellungen zu dessen Form aussagt, die wiederum entscheidend sein kann für das Votum der Befragten – wird auch deutlich in den länderspezifischen Auswertungen und noch einmal thematisiert hinsichtlich der Zustimmung von 53,2 % in Hamburg, wo der Religionsunterricht statt konfessionell getrennt nach dem Modell des „Religionsunterrichts für alle“ religionsübergreifend erteilt wird: „Ob die hohe Zustimmung zu Religionsunterricht an staatlichen Schulen dem Hamburger Modell oder einem an einem speziellen Bekenntnis orientierten Religionsunterricht gilt, ist anhand dieser Fragestellung nicht erkennbar. Auch ist nicht eindeutig, ob die Gegnerinnen und Gegner eines islamischen Religionsunterrichts diesen aus dem gemeinsamen Unterricht verbannen und dem Islam die strukturelle Anerkennung verweigern wollen oder ob sie sich zugunsten des bestehenden Modells gegen einen ausschließlich islamischen, von dem gemeinsamen Religionsunterricht abgegrenzten Unterricht aussprechen“ (Foroutan et al. 2014b, S. 34).

Während sowohl die beiden SVR-Integrationsbarometer als auch die Studien des BMI eine mehrheitlich positive Einstellung in der Bevölkerung gegenüber dem IRU ergeben, zeigt die Studie Islam und Muslim*innen in Deutschland des Sozialwissenschaftlichen Instituts der Evangelischen Kirche Deutschland (SI) ein geradezu gegenteiliges Bild, das auf dem allgemein formulierten Item basiert: „Ich bin für islamischen Religionsunterricht in unseren Schulen“. Mit einem Zustimmungsanteil von 33 % wird hier eine deutlich geringere positive Resonanz für den IRU festgestellt und konstatiert: „Seine institutionelle Verankerung als eigener Fachunterricht in der Sozialisationsinstanz Schule wird überwiegend kritisch beurteilt“ (Ahrens 2018, S. 3). Dies gilt verstärkt für die Konfessionslosen mit einem Zustimmungsanteil von 22 %, was laut Studie „zumindest zum Teil einer generell eher ablehnenden Haltung gegenüber dem Schulfach Religion geschuldet sein mag“ (ebd., S. 4), während die Evangelischen zu 35 % und die Katholischen zu 40 % zustimmen.

Dies korrespondiert tendenziell mit den Ergebnissen der Allgemeinen Bevölkerungsumfrage der Sozialwissenschaften (ALLBUS), die bereits seit 1996 und in den Jahren 2002, 2006, 2012 und 2016 nach den Einstellungen gegenüber dem IRU fragt und diesen gleichzeitig ins Verhältnis setzt zum christlichen RU bzw. zu keinem RU. Die Frageformulierung lautet: „Es wird darüber diskutiert, ob es an staatlichen Schulen in Deutschland Islamunterricht für moslemische Kinder geben soll. Wie ist Ihre Meinung dazu: Sollte es an staatlichen Schulen auch Islamunterricht geben, sollte es dort nur christlichen Religionsunterricht geben oder sollte es überhaupt keinen Religionsunterricht an staatlichen Schulen geben?“ In der letzten Befragung in 2016 (und ähnlich zuvor mit Ausnahme in 2006) sprach sich mehr als ein Drittel (36,3 %) dafür aus, dass es auch einen IRU geben sollte, wohingegen nur ein knappes Viertel dafür votierte, dass es nur christlichen RU geben sollte (22,7 %) (Baumann und Schulz 2018, S. 440). Der größte Anteil von 41,1 % sprach sich allerdings dafür aus, dass es überhaupt keinen RU an staatlichen Schulen geben sollte. Dieser Anteil lag in den Jahren zuvor relativ konstant bei etwa einem Drittel und ist von 2012 auf 2016 um erhebliche 8,4 Prozentpunkte gestiegen (ebd.). Die ALLBUS Daten weisen damit vor allem auf eine sinkende Akzeptanz sowohl gegenüber dem christlichen als auch dem islamischen RU hin und sprechen „für eine Entwicklung hin zu einer säkularen Haltung und insofern einer, die Gleichbehandlung befürwortet“ (SVR 2021).

Zwischenfazit:

Die Frage, ob der IRU in der Bevölkerung mehr Zustimmung oder Ablehnung erfährt, kann auf Basis der vorliegenden Studien und Daten kaum verlässlich beantwortet werden. Die dargestellten Erkenntnisse der verschiedenen Studien basieren auf Daten aus jeweils einer einzigen Frage zum IRU, was der Relevanz und Komplexität der Thematik nicht gerecht werden kann, wie es auch die (teilweise selbst thematisierten) interpretatorischen Schwierigkeiten der Datenanalyse verdeutlichen. Dabei beziehen sich die vorliegenden Studien und Erhebungen auf unterschiedliche Zeitpunkte (z. B. vor nach den Fluchtbewegungen in 2015), arbeiten mit jeweils unterschiedlichen und teilweise veränderten Frageformulierungen und Antwortkategorien, variieren in ihren Stichproben und sind damit schwer vergleichbar. Erforderlich wären daher Untersuchungen, die die Einstellungen zum schulischen IRU (auch im Vergleich zu anderen Religionsunterrichten)Footnote 3 zum eigentlichen Gegenstand machen und diese entsprechend differenziert mit einem Set an Fragestellungen erheben, analysieren, beschreibbar machen und zudem erklärende und kontextuelle Faktoren einbeziehen (siehe Van der Noll und Vassilis Saroglou 2014). Besonders wichtig wäre es, auch aufgrund der sinkenden Akzeptanz in der Bevölkerung gegenüber Religionsunterricht in staatlichen Schulen sowie angesichts fortschreitender Prozesse der Pluralisierung und Säkularisierung, dabei die unterschiedlichen Modelle des (I)RU zu berücksichtigen bzw. explizit zu machen und die Argumente und Begründungen (siehe Rebenstorf 2019, S. 34) sowie auch das (nicht) vorhandene Wissen über Status und Beschaffenheit des konfessionellen RU im deutschen Kooperationsmodell in Erfahrung zu bringen, wozu sowohl quantitative als auch qualitative Forschungen aufschlussreich wären.

5 Politikwissenschaftliche Forschung zum IRU

Die politikwissenschaftliche Forschung befasst sich bezüglich der Einführung und Entwicklung des IRU als gemeinsame Angelegenheit von Staat und Religionsgemeinschaften schwerpunktmäßig mit den politischen Akteuren, Positionen und Konstellationen.Footnote 4 Drei Artikel befassen sich explizit mit der Einführung des IRU in Deutschland (Euchner 2018; Triadafilopoulos und Rahmann 2016) sowie im internationalen Vergleich (Ciornei et al. 2021). Hingegen wird der IRU ansonsten nicht als primärer Gegenstand, sondern als ein Teil der deutschen Religions- bzw. Islampolitik thematisiert mit Fokus auf die politischen Parteien (Liebl 2014; Dreß 2018; Speer 2017) oder die Deutsche Islam Konferenz als staatlich-religiöse Kooperationsform (Fülling 2018). Die Forschung zeigt insgesamt einen hohen politischen Konsens zur Einführung des IRU, der jedoch auf unterschiedlichen Motivlagen beruht und dabei stark integrationspolitisch motiviert ist.

Liebl (2014) befasst sich in ihrer Dissertation mit dem parteispezifischen Verständnis vom Verhältnis zwischen Staat und Religion für den Zeitraum von 1945 bis 2013 der im Bundestag vertretenen Parteien (ebd., S. 15). Dazu untersucht sie u. a. die Einführung des IRU in Nordrhein-Westfalen, die in 2011 nach einer Vereinbarung zwischen Landesregierung und dem Koordinierungsrat der Muslime (KRM) in Form einer „Beiratslösung“ als eine bis 2019 befristete Übergangslösung (ebd., S. 232f.) erfolgte. Dies führte zu einer „Neuerung praktischer und institutioneller Beziehungen“ (ebd., S. 241) insofern, als der entsprechende Gesetzesentwurf von den Regierungsparteien SPD und Bündnis 90/Die Grünen gemeinsam mit der CDU – und abweichend von deren Programmatik und dem Festhalten an der christlich-abendländischen Tradition und der Privilegierung der Kirchen – vorgelegt wurde, der mit Enthaltung der FDP und gegen DIE LINKE beschlossen wurde. Liebl deutet den IRU damit als ein „im Rahmen der Bundesrepublik progressive(s) Ergebnis“, um „den Islam als Religion in das bestehende System aufzunehmen“ (ebd., S. 242), gibt abschließend allerdings zu bedenken: „Dennoch lassen die fortschreitende kulturelle und religiöse Pluralisierung der Gesellschaft und in diesem Kontext die wachsende Wahrnehmung von Religion im öffentlichen Raum weitere Auseinandersetzungen erwarten, die eine Weiterentwicklung bzw. Anpassung des heutigen Modells des Religionsverfassungsrechts bedingen werden“ (ebd., S. 288).

Dreß fokussiert in seiner Dissertation ebenso die politischen Parteien und untersucht, „welche islampolitischen Positionen und Entwicklungsprozesse bei den politischen Parteien zu erkennen sind und wie diese angesichts des Zieles einer ‚Integration‘ der muslimischen Zuwanderer zu bewerten sind“ (Dreß 2018, S. 4). Dazu arbeitet er die islampolitischen Positionen der Parteien schwerpunktmäßig für den Zeitraum zwischen 1998 und 2013 heraus und fokussiert diese anhand konkreter Fallbeispiele wie u. a. der Einführung eines konfessionellen IRU. Zum ersten Teil der Fragestellung wird hinsichtlich des IRU festgestellt: „Grundsätzlich wird die Etablierung eines IRU in deutscher Sprache von allen Parteien befürwortet. Eine gegenseitige islampolitische Profilierung findet bei dieser Frage daher nicht über das ‚ob‘, sondern über das ‚wie‘ statt“ (ebd., S. 434). Problematisch erscheint die Antwort auf den zweiten Teil der Frage – der integrativen Bewertung des IRU – insofern, als bereits vorab eine normative Vorstellung einer „zielgerichteten Islampolitik“ definiert wird, die sich „für die Einführung eines deutschsprachigen islamischen Religionsunterrichts“ (ebd., S. 243f.) einsetzen solle.

Speer (2017) untersucht in einem Beitrag die religionspolitischen Entscheidungen von Regierungen und Parlamenten in den Jahren 1990 bis 2016 und beschreibt eine „ambivalente religionspolitische Bearbeitung des Islam“ (ebd., S. 124). Die Einführung des IRU sei zwar im Gegensatz zu anderen Entscheidungen wie insbesondere das „Kopftuchverbot“ klar unterstützend. Jedoch ziele die deutsche Religionspolitik nicht primär auf die Förderung des Islams, und islampolitische Maßnahmen seien weniger durch einen Anspruch auf Gleichberechtigung begründet. Vielmehr werde Islampolitik vor allem als Integrationspolitik verstanden und unter Sicherheitsaspekten betrieben, was sich auch bei der Einführung des IRU zeige (ebd., S. 129f.). Dieser könne zwar einen wertvollen Beitrag leisten zur Radikalisierungsprävention, jedoch seien die Ursachen von Radikalisierung durch andere religionspolitische Maßnahmen zu bearbeiten wie auch die tatsächlichen Auswirkungen religionspolitischer Maßnahmen weitgehend unerforscht seien: „Ganz gleich, ob die religionspolitische Motivation in der Eindämmung oder Integration des Islam liegt oder in der Prävention gegen islamistische Radikalisierung: Beides hat keine Grundlage in den Daten der empirischen Forschung. Ob und welche Effekte die religionspolitischen Maßnahmen jedoch tatsächlich haben, ist nur ansatzweise erforscht“ (ebd., S. 132).

Fülling (2018) untersucht in ihrer Dissertation die Deutsche Islam Konferenz (DIK) als ein Fallbeispiel deutscher Islampolitik anhand einer qualitativen Inhaltsanalyse von Dokumenten aus den Jahren 2006 bis 2016. Deutlich wird, dass unter den beteiligten Akteursgruppen – den verbandlich als auch nicht-verbandlich organisierten Muslimen sowie den staatlichen Akteuren – ein weitgehender Konsens über die positive Bewertung von (öffentlicher) Religion und die kooperative Verbindung von Staat und Religion besteht. Dies manifestiert sich darin, „dass die Religion auf staatlicher Ebene – etwa als konfessioneller Religionsunterricht an staatlichen Schulen, als theologische Einrichtungen an staatlichen Universitäten und als religiöse Wohlfahrtsverbände – in 24 Dokumenten explizit befürwortet und zudem in vielen Fällen eine konsequentere Institutionalisierung der islamischen Religion gefordert wird“ (ebd., S. 438). Entsprechend finde der „generelle Trend hin zu einem Bedeutungsverlust der Religionen in modernisierten Gesellschaften, wie ihn die Säkularisierungstheorien diagnostizieren, keine Resonanz im Material“, sondern es werde stattdessen „auf der gesellschaftspolitischen Relevanz von Religion insistiert“ (ebd., S. 440). Als normativ-praktische Schlussfolgerung für die zukünftige Ausrichtung der deutschen Islampolitik formuliert Fülling: „In der Islampolitik sollten insofern staatliche Bemühungen zur Anerkennung der islamischen Religion – wie sie inzwischen etwa durch die Einrichtung von islamischem Religionsunterricht und islamischer Theologie eingeleitet wurden – ausgebaut werden, da auf diese Weise die Identitätsarbeit von verunsicherten religiösen Individuen gestärkt und gesellschaftliche Integrationsprozesse erleichtert werden können“ (ebd., S. 457).

Schließlich werden die Einführung des IRU und die Frage nach den Einflussfaktoren in drei Beiträgen zum Gegenstand der Analyse. Euchner (2018) befasst sich in einem Artikel mit der Frage, wie sich die unterschiedlichen Modelle zur Einführung des IRU der Länder erklären lassen. Anhand einer vergleichenden Fallstudie von Hessen und Baden-Württemberg argumentiert sie, dass die historisch gewachsene Staats-Kirche-Beziehung in der Bildungspolitik eines Bundeslandes zentral ist für dessen Regulierungsansatz im Hinblick auf den IRU, da diese Beziehung die moralischen Wertvorstellungen von Verwaltungsbehörden im Umgang mit dem Islam und die Regulierungskapazität von muslimisch-religiösen Organisationen bestimmt. Auch Triadafilopoulos und Rahmann (2016) zeigen in einem auf Dokumentenanalysen und Interviews basierten Vergleich von elf Bundesländern einen länderübergreifenden Reformprozess und pfadabhängigen Wandel zur Einführung des IRU in verschiedenen Modellen, der von kaum einem politischen Akteur in seiner Bedeutung bestritten wird, sich jedoch mit unterschiedlichem Tempo, aus verschiedenen Motiven und mit teilweise geringer Priorität vollzieht und nur teilweise zu mehr Gleichberechtigung geführt hat, deren förderlichen und hinderlichen Faktoren weiter zu erforschen sind. Ciornei et al. (2021) untersuchen die Einbeziehung des Islams in den Religionsunterricht an öffentlichen Schulen im internationalen Vergleich in 13 europäischen Ländern für den Zeitraum von 1970 bis 2010 und fragen nach den Bedingungen, die diese politischen Veränderungen erklären. Sie zeigen, dass links-orientierte Regierungen die Haupttreiber für die Einführung des Islams in die Lehrpläne sind. Jedoch zeigt sich bei der Analyse des Grades, in dem der Islam gleichberechtigt mit der Mehrheitsreligion (katholisch/protestantisch) einbezogen wird, dass die christdemokratischen Parteien die Hauptakteure der Förderung der Gleichberechtigung für Muslime sind, die damit das Ziel verfolgen, den religiösen Einfluss im Bildungssystem aufrechtzuerhalten.

Zwischenfazit:

Die Arbeiten lassen Religionspolitik als zunehmend wichtigen und eigenständigen Politikbereich und zugleich als junges Forschungsfeld erscheinen (siehe hierzu auch z. B. Liedhegener und Pickel 2016, S. 34; für lokale Religionspolitik siehe z. B. Körs 2018, 2019). Der IRU wird dabei zumeist als Fallbeispiel thematisiert, ist aber trotz seiner Relevanz als regulative Maßnahme (im Unterschied zu „Symbolpolitik“) und der hohen gesellschaftlichen Erwartungen (noch) kaum Gegenstand der sozial- und politikwissenschaftlichen Forschung. Die vorliegenden Arbeiten zeigen – trotz aller Unterschiedlichkeit zwischen den Parteien und den Bundesländern – eine insgesamt hohe parteipolitische Zustimmung zur Einführung des IRU und zum deutschen Kooperationsmodell. Allerdings sind die Motivlagen der beteiligten Akteure durchaus unterschiedlich (Gleichbehandlung, Toleranz, Integration, Prävention, Sicherheit) und der politische Konsens könnte somit fragiler sein als er erscheint, zumal gesellschaftliche Entwicklungen (Pluralisierung, Säkularisierung) von den Beteiligten nicht thematisiert bzw. ausgeblendet werden. Gleichzeitig werden in den Arbeiten teilweise (explizit) stark normative Aussagen getroffen, deren empirische Rückbindung teilweise unklar bleibt. Dies betrifft die generelle Fortführung und Stärkung des IRU wie insbesondere auch die integrative, präventive Wirkung des IRU, die empirisch bisher nur ansatzweise erforscht ist (siehe auch Evaluationsforschung, Abschn. 7).

6 Der IRU im Spiegel sozialisationsorientierter Forschung

Sozialisationsorientierte Forschung zum IRU befasst sich mit muslimischen Jugendlichen und ihren religiösen Prägungen und Einstellungen und den damit verbundenen Voraussetzungen und Herausforderungen für den schulischen IRU. Fast alle der rezipierten Studien setzen sich ins Verhältnis zu einem als öffentliches Interesse wahrgenommenen Umstand, dass mehr über muslimische Jugendliche und ihre religiösen Einstellungen erhoben werden solle. Fast durchgängig wird dabei das Motiv der Integration aus dem öffentlichen Diskurs oft affirmativ aufgegriffen und mit dem IRU verknüpft.

Aygün (2013) untersucht die Einstellungen türkischstämmiger Jugendlicher in der Türkei und Deutschland zu religiösen Normen und Werten und wie diese in ihren Handlungen und ihrem Denken zum Ausdruck kommen. Dazu wurden noch vor Einführung des IRU in Deutschland 29 Interviews mit muslimischen Jugendlichen im Alter von 15–25 Jahren in Deutschland und 41 Interviews in der Türkei geführt. Die Glaubensentwicklung bei deutsch-türkischen Jugendlichen stellt sich als leicht schwächer als bei den türkischen Muslim:innen heraus. Das individuell angeeignete Praktizieren des Islams sei eher bei den Jugendlichen in der Türkei der Fall. Dies führt der Autor auf die schwache Rolle der Schule für religiöse Sozialisation zurück. Als Auftrag für den IRU in Deutschland formuliert er, dass dieser die Defizite der religiösen Familienerziehung auszugleichen hätte. Aus den Ergebnissen antizipiert er: „Religionspädagogik, die die Meinungs- und Religionsfreiheit und die unterschiedlichen Lebensstile anerkennt, könnte daher einen unbestreitbaren Beitrag zu der Bewältigung der Vorurteile über das Bild des Islam leisten und zum Zusammenleben von unterschiedlichen Religionsangehörigen, nicht nur in den europäischen Staaten, sondern auch zum Eintrittsprozess der Türkei in die Europäische Union“ (ebd., S. 249) beitragen, womit der IRU zum Katalysator für zusammenschweißende innergesellschaftliche und außenpolitische Entwicklungen erklärt wird. Dass die Schlussfolgerungen nicht immer empirisch oder theoretisch unmittelbar mit dem untersuchten Gegenstand in Verbindung stehen, lässt darauf schließen, dass die Erforschung des IRU in starker Disposition zu gesellschaftspolitischen Fragen steht. Frageperspektiven, Einbettungen des Erkenntnisinteresses und Deutung der Ergebnisse sind am Integrationsdispositiv ausgerichtet.

Uygun-Altunbaş (2017) fragt in ihrer Dissertation, welchen fördernden oder hemmenden Einfluss andere zentrale Sozialisationsinstanzen neben der Familie als primärer Sozialisationsinstanz, wie außerschulische Bildungseinrichtungen (Moscheen oder ähnliche Bildungseinrichtungen), Schulen oder Kindertagesstätten, Peers, Medien und Gesellschaft, auf die religiöse Sozialisation von muslimischen Kindern ausüben. Die Studie stützt sich theoretisch u. a. auf einen mehrdimensionalen Ansatz von Religiosität nach Glock als heuristischen Rahmen. Interviewt wurden Mütter und Väter im Alter von 21 bis 45 Jahren mit türkischem Migrationshintergrund und muslimisch-sunnitischer Religionszugehörigkeit, die Kinder zwischen 0 und 21 Jahren und ein Interesse an religiöser Erziehung haben. Als Ergebnis über alle vier gebildeten Typen von Idealisten, Ritualisten, Identitätssuchenden und Ethikern (2017, S. 155ff.) hält die Autorin fest, dass Familie als wichtiger Ort religiöser Sozialisation und Bedingung für weitere Religiositätserfahrungen der Kinder dient und dass ein generelles Interesse von muslimischen Eltern und Jugendlichen am IRU vorherrscht, der von ihnen als integrationsfördernd und identitätsbildend eingeschätzt wird. Uygun-Altunbaş erwähnt, dass von den befragten Eltern „Islamfeindlichkeit, Diskriminierungen, Rassismus, Vorurteile gegenüber Muslimen, die Ablehnung durch die Mehrheitsgesellschaft und die geringe Anerkennung des Islams in diesem Land als hemmende Faktoren (für die religiöse Sozialisation ihrer Kinder) genannt bzw. beklagt“ (ebd.: S. 444) werden. Mit diesem Blick auf Diskriminierungserfahrungen der vom IRU Adressierten bezieht Uygun-Altunbaş migrationsgesellschaftliche Zugehörigkeitsverhältnisse ein und mit ihnen einhergehende symbolische und faktische Ausgrenzungserfahrungen.

Ebenfalls in einer Dissertation untersucht Ceylan (2014) die Auswirkungen der Säkularisierungs- und Individualisierungsprozesse auf die muslimischen Gemeinden Niedersachsens (2014, S. 29). Aus den Expert:inneninterviews mit 29 Verantwortlichen aus Moscheegemeinden und islamischen Verbänden bzw. Vereinen werden pädagogische Herausforderungen und Transformationsprozesse in den Gemeinden herausgearbeitet. Der Autor prognostiziert verschiedene Szenarien zum Stellenwert der Schule gegenüber Familie und Moschee. Ein „zukünftiges Konfliktpotenzial“ ergebe sich daraus, dass bei voranschreitendem Prozess der Einführung des IRU auch der Interessenskonflikt zwischen Schule und Gemeinden größer würde.

In ihrer schulform- und schulfachübergreifenden Studie befragten Schweitzer et al. (2018) 16- bis 25-jährige Schüler:innen des evangelischen und katholischen Religionsunterrichts und der Ethik nach deren Orientierungen und Einstellungen zu Kirche, Religionsgemeinschaften, Religion im Allgemeinen und ihrem Glauben an Gott und führten Gruppendiskussionen mit Schüler:innen durch. Am ersten Erhebungszeitpunkt der Längsschnittstudie nahmen 373 muslimische Schüler:innen teil, am zweiten 98. Begründet wird das Hinzuziehen von muslimischen Jugendlichen auch hier mit Integrationsfragen, dem negativen Bild des Islams und dem „hohen gesellschaftlichen Interesse“ (2018, S. 31). In der Auswertung werden inhaltlich sortierte Zitate berichtartig zusammengestellt und von den Autor:innen kommentiert. Die Antworten der Schüler:innen aus dem quantitativen Teil zeigen ein deutliches religiöses Interesse und Glaubensüberzeugungen. Die muslimischen Jugendlichen stimmen den von den Autor:innen als zentrale Glaubensinhalte formulierten Aussagen, wie etwa, dass der Koran wahr ist oder die Bibel wörtlich wahr ist, eher zu als die christlichen. Dies sei ein Hinweis auf das unterschiedliche Schriftverständnis der beiden Religionen, das insbesondere beim interreligiösen Lernen berücksichtigt werden müsse. Die religiöse Sozialisation bei den Muslim:innen sei intensiver und Zweifel an Gott viel geringer als bei den Christ:innen. Die theoretisch nicht fundierte Arbeitsweise der Studie wirkt dann besonders irritierend, wenn Items wie „Es gibt zu viele Muslime in Deutschland“ (ebd., S. 267) als Ergebnisse zu „Xenophobie“ übertitelt werden, womit Muslim:innen in Deutschland in der Studie als Fremde/Ausländer:innen in den Blick kommen und nicht als integraler Bestandteil der Gesellschaft, der von antimuslimischem Rassismus betroffen sein kann. Die Studie nimmt neben (religions-)pädagogischen auch sozialwissenschaftliche Desiderate zum Stand religionsbezogener Jugendforschung zum Untersuchungsanlass, genügt ihrem Anspruch sodann aber nicht, insofern weder Design noch Datenanalyse mit sozialwissenschaftlichen Theorieperspektiven untermauert werden. Das Ziel, ein differenzierteres Bild der religiösen Orientierungen (schulischer) Jugendlicher zu gewinnen, kann dennoch als teilweise erfüllt betrachtet werden, insofern die auf deskriptive Weise erhobenen Einstellungen einen Beitrag zum Wissen über Muslime außerhalb des IRU leisten.

Zwischenfazit:

Die wenigen Bezüge zu Diskriminierungsstrukturen in der sozialisationsorientierten Forschung zum IRU sind ein Hinweis darauf, dass der IRU noch wenig aus einer gesellschaftstheoretisch informierten Sicht betrachtet wird, in der auch migrationsgesellschaftliche Ungleichheitsverhältnisse berücksichtigt werden. In der Sozialisationsforschung kommen Muslim:innen überwiegend und latent als Fremde, zu Integrierende, Rückständige und als Personen auf der „Identitätssuche“ (Aygün 2013) in den Blick; der IRU dient dabei als Zuschreibungsfläche für entsprechende Integrationsleistungen. Damit hat Forschung zum IRU den Anschluss an die „reflexive Wende“ (Mecheril und Rose 2012, S. 119) von migrationsgesellschaftlicher Forschung (noch) nicht vollzogen, mit der die Problemperspektiven auf Migrant:innen durch Perspektiven auf Positionierungen in Zugehörigkeitsverhältnissen und rassistischen Strukturen ersetzt werden. Die Ablösung von dominanzgesellschaftlichen Blickwinkeln auf den IRU könnte diesen ferner von der politisch-programmatischen Last einer überladenen Verständigungsfunktion, von bildungspolitischen Vereinnahmungen, von der Instrumentalisierung als diskursive Reproduktionsfläche für Integrationsnarrative befreien und zum Gegenstand von gesellschaftstheoretisch informierter Schul- und Unterrichtsforschung machen, der es um die Akteur:innen und Strukturen im Feld geht.

7 Evaluationsforschung zum IRU

Die Evaluationsforschung zum IRU gibt einen Überblick über den Kenntnisstand zur Situation in einzelnen Bundesländern, da die Ausgestaltung des IRU als Bildungsthema Ländersache ist und sich die Modelle in einigen Bundesländern stark voneinander unterscheiden. Die meisten der Studien sind von den zuständigen Landesbehörden in Auftrag gegeben worden. Darin werden weniger die Bildungspraxis und -prozesse thematisiert, als stattdessen sekundäre Aspekte des Unterrichts, wie seine rechtliche Einbindung, die Zufriedenheit der beteiligten Religionsgemeinschaften und nicht zuletzt die Einschätzung seiner integrationspolitischen Wirksamkeit. Grundlage des Abschnitts sind Evaluationen zu den Bundesländern Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen, Hamburg, Bayern und Niedersachsen. Zu den anderen Bundesländern, in denen der IRU eingeführt wurde, sind keine seit 2010 veröffentlichten Evaluations- oder Begleitstudien bekannt.

Die Evaluation zum IRU in Baden-Württemberg wurde mit Beginn des Modellprojekts vom Kultusministerium des Landes Baden-Württemberg in Auftrag gegeben und zwischen 2006 und 2010 durchgeführt. Inzwischen wurde das Modellprojekt in einen regelhaften islamischen Religionsunterricht sunnitischer Prägung überführt. Die Erhebung richtete sich an „alle unmittelbar beteiligten Gruppen: Schulleitungen, Lehrkräfte, Eltern und Schüler/innen“ (Schröter 2015, S. 56) und wurde an zehn Projektschulen in Baden-Württemberg durchgeführt. Der Autor kommt zu dem Ergebnis, dass die Einführung des IRU weitgehend auf große Akzeptanz stößt und bereits „Normalität“ (ebd., S. 224) für Lehrkräfte und Schulen geworden sei. Gleichzeitig werden mangelnde Lehrmaterialien (insbesondere für die Grundschule), ein hoher zeitlicher Aufwand in der Vorbereitung des Unterrichts sowie der Mangel an Lehrkräften und die dadurch entstehende Mehrbelastung einzelner Lehrer:innen moniert, die verschiedene Schulen bedienen müssen.

Der IRU in NRW wurde sowohl in einer Auftragsstudie (Uslucan und Yalcin 2018) als auch in einer Dissertation (Çelik 2017) Gegenstand einer Evaluation. Die Landesregierung von NRW hat im Februar 2011 gemeinsam mit dem Koordinationsrat der Muslime (KRM) die Einführung des IRU beschlossen und zunächst Lehrkräfte aus dem bereits bestehenden Fach Islamkunde für die Durchführung des Unterrichts rekrutiert. Çelik (2017) verbindet seine breit angelegte Untersuchung über den IRU in NRW mit einem Vergleich zu außerschulischer religiöser Unterweisung in Moscheen und plädiert für eine gegenseitige Befruchtung der beiden Unterrichtsformen (ebd., S. 333). Der jüngste Evaluationsbericht zum IRU in NRW (Uslucan und Yalcin 2018) konzentriert sich auf die dritte Befragungswelle aus dem Jahr 2017. Darin werden die Angaben von 138 muslimischen Schüler:innen, die am IRU teilnehmen, von 150 Eltern, deren Kinder IRU erhalten, sowie von acht Lehrkräften analysiert im Hinblick auf das wahrgenommene Unterrichtsklima, die religiösen Überzeugungen und Lerninhalte des IRU, die Akkulturationsorientierungen sowie die Erwartungen der Eltern an den IRU. Eine Mehrheit von 62 % der Schüler:innen nimmt zusätzlich zum schulischen IRU auch Moscheeunterricht wahr und bevorzugt diesen (Uslucan und Yalcin 2018, S. 189). Bezüglich der religiösen Überzeugungen, der Lerninhalte, der Zufriedenheit mit dem Lehrmaterial und dem erworbenen Wissen fielen die Ergebnisse zwischen den Schüler:innen sehr unterschiedlich aus. Insgesamt lässt sich der Wunsch nach mehr Wissen über andere Religionen aus den Ergebnissen herauslesen. Die befragten Lehrkräfte bewerten die integrative Wirkung und Akzeptanz des IRU mehrheitlich positiv und glauben überwiegend, dass der IRU Schüler:innen vor religiösem Extremismus schütze sowie dass Kenntnisse über andere Religionen vermittelt werden (Uslucan und Yalcin 2018, S. 186).

In Bayern findet der islamische Religionsunterricht in Form eines islamkundlichen Unterrichts statt (und damit in der Verantwortung des Staates). Dort wurde 2019 der seit 2009 laufende Modellversuch an ca. 350 Schulen um zwei Jahre verlängert. Seit dem Schuljahr 2021/2022 ist das Fach „Islamischer Unterricht“ als ordentliches Wahlpflichtfach an bayrischen Schulen verankert (Günther 2021). Die Evaluation (Holzberger 2014) konzentriert sich einerseits auf organisationale Fragen der Implementation des Modellversuchs und andererseits auf die integrative Wirksamkeit des IRU. Dabei wurden Lehrkräfte und muslimische Schüler:innen an entsprechenden Modellversuchsschulen sowie in Schulen ohne Modellversuch befragt, um die Ergebnisse zu kontextualisieren. Mit einer Frage nach der interreligiösen Dialogfähigkeit wird erhoben, ob sich die Schüler:innen mit anderen Religionen auseinandersetzen, was sie im Vergleich zu denjenigen Schüler:innen ohne Teilnahme am IRU tun (interessant wäre hier auch eine andere Vergleichsgruppe: die der Teilnehmenden an einem anderen RU).

Für Niedersachsen gibt es eine Evaluation des IRU-Modellversuchs an zehn Grundschulen mit 214 befragten Schüler:innen in einer ersten Befragung und 216 Schüler:innen, die zu einem späteren Zeitpunkt befragt wurden (die Befragungen fanden 2005–2008 statt) (Uslucan 2011). In der Auswertung wird, ähnlich wie in der Studie zu Bayern, die integrative Wirkung von islamischem Religionsunterricht diskutiert und anhand von quantitativen Auswertungsmethoden (Item- und Skalenbildung) dargestellt. Dabei relativiert der Autor an verschiedenen Stellen die Aussagekraft der Daten aufgrund des Alters der Befragten, der Anzahl und der angewendeten Itembildungen. Dennoch stellt er „ermutigende Tendenzen“ fest, die sich auf „Integration“ als bevorzugtes Akkulturationsmuster (in Abgrenzung zu Separation, Assimilation und Marginalisierung) beziehen und mit Älterwerden der Schüler:innen sogar noch zunehmen, ebenso wie die Anerkennung anderer Religionen (Uslucan 2011, S. 162). Die Haltungen der Eltern sind hingegen als eher kritisch zu bewerten, da diese sich mehr fachliche Wissensvermittlung und eine muttersprachliche Einbettung des Unterrichts wünschten. Während der Autor sich gegen die Verknüpfung mit/Durchführung des IRU durch ehemalige Lehrkräfte des muttersprachlichen Unterrichts ausspricht, hebt er hervor, dass der Modellversuch in Niedersachsen als gelungenes integrationspolitisches Instrument zu bewerten ist. Seit 2013/2014 ist der IRU ein ordentliches Schulfach in Niedersachsen und wird bis einschließlich Klasse 9 unterrichtet.

In Hamburg hat sich seit den 1990er-Jahren ein bundesweit einzigartiger „Religionsunterricht für alle“ (Rufa) etabliert, bei dem die Schüler:innen mit verschiedenen Religionszugehörigkeiten sowie ohne Religionszugehörigkeit gemeinsam unterrichtet werden. Während dieser bis 2012 in alleiniger Verantwortung der Evangelisch-Lutherischen Nordkirche durchgeführt wurde, wurde in 2014 eine interreligiöse Kommission aus Vertreter:innen der beteiligten Religionsgemeinschaften sowie der zuständigen Behörde für Schule und Berufsbildung eingerichtet, die einen „Rufa 2.0“ erarbeitet, welcher Gegenstand der Evaluation ist (Wolff 2018). Erprobt werden vier Unterrichtsmodelle, die jeweils auf unterschiedliche Weise versuchen, die religionsspezifischen und religionsübergreifenden Phasen im Religionsunterricht für alle zu kombinieren. Die Evaluation wird zweischrittig vorgenommen: präsentiert werden eine Prozessevaluation, wofür Lehrkräfte und Schüler:innen befragt wurden, und eine Expertenbegutachtung bestehend aus „Experten der Religionsdidaktik, die selbst nicht an der Weiterentwicklung des RU beteiligt waren“ (Wolff 2018, S. 144), jedoch zumindest teilweise an der Durchführung des Unterrichts bzw. an der Ausbildung von Lehrkräften beteiligt sind.

Die Ergebnisse zeigen, dass die Schüler:innen grundsätzlich mit allen Modellen zufrieden waren und sich in ihrer jeweiligen (nicht-)religiösen Identität als wertgeschätzter Teil der Klassengemeinschaft erlebten. Unterschiede in den Bewertungen der einzelnen Modelle traten weniger unter Schüler:innen unterschiedlicher Religionszugehörigkeiten auf als im Hinblick auf Leistungsunterschiede. Die Lehrkräfte sehen die Weiterentwicklung des „Rufa“ durchaus als Chance, auch religionsferne Schüler:innen für religiöse Inhalte zu interessieren. Gleichzeitig sehen sie große Herausforderungen darin, die religionsspezifischen Phasen für eine multireligiöse Schülerschaft umfassend und zufriedenstellend zu gestalten. Die Expertenbegutachtung verbindet die Frage nach der rechtlichen Verfassungsmäßigkeit des „Rufa“ mit der theologischen Dimension des Religionsunterrichts, d. h. mit der Frage, welche Einflüsse und Wirkungen die Lehrinhalte auf die Schüler:innen haben können und sollen. Dieser Nexus ist im „Rufa“ insofern besonders virulent, da es gilt, im selben Unterricht unterschiedliche Lernziele zu vermitteln, je nachdem wie sich eine Schülerin oder ein Schüler (nicht‑)religiös positioniert. Die verschiedenen Expert:innen kommen zum Teil zu unterschiedlichen Ergebnissen bezüglich der Vermittlung und Reichweite des Unterrichts. Insgesamt kann hier festgehalten werden, dass die Expert:innenbegutachtung eine interessante methodische Herangehensweise für die empirisch-theologische Erforschung des IRU sein kann, die ansonsten im vorliegenden Forschungsstand weitgehend fehlt.

Zwischenfazit:

Die hier besprochenen Evaluationsstudien unterscheiden sich hinsichtlich Inhalt, Umfang, Erhebungs- und Auswertungsmethoden und vor allem hinsichtlich der Modelle, die in den einzelnen Bundesländern evaluiert wurden. Daher ist besonders bemerkenswert, dass unabhängig davon, ob es sich um einen staatlich organisierten (Bayern), einen bekenntnisgebundenen IRU (Baden-Württemberg und NRW) oder um einen bekenntnisgebundenen „Rufa“ in trägerpluraler Verantwortung (Hamburg) handelt, die Zufriedenheit der Befragten jeweils ähnlich hoch ausfällt. Dies spricht zunächst dafür, dass sich auch die Weiterentwicklung des IRU jeweils im Rahmen dieser Modelle vollziehen wird. Was sich in allen zitierten Studien wiederfindet, ist eine große Aufmerksamkeit für die politisch-institutionelle Dimension des IRU. Sei es die Frage nach der Integrationswirksamkeit oder die Problematik der Repräsentanz und Beteiligung verschiedener islamischer Verbände – beide Aspekte spielen in den Berichten jeweils eine Rolle. Einzig die Hamburger Evaluation untersucht didaktische und fachliche und damit intrinsische Aspekte eingehender und stellt damit weniger auf extrinsische Faktoren wie die Integrationswirkung durch den Religionsunterricht ab als die anderen vorliegenden Evaluationen.

8 Bildungswissenschaftlicher und islamisch-religionspädagogischer Forschungsstand zum IRU

In der bildungswissenschaftlichen und islamisch-religionspädagogischen Forschung lassen sich in der letzten Dekade zunehmend empirische Studien zu den Einstellungen der unterrichtlichen Akteur:innen und den Lehrmitteln finden, wobei die islamische Religionspädagogik sich hauptsächlich mit der Konzeption und Grundlegung des IRU beschäftigt. Im Fokus stehen (angehende) Lehrer:innen, vereinzelt auch Schüler:innen und Eltern, während die Unterrichtspraxis selbst bisher noch kaum erforscht ist.

Johannes Twardella legt mit seiner Monografie „Der Koran in der Schule“ (2012) eine soziologisch-erziehungswissenschaftlich informierte objektiv-hermeneutische Analyse einer Unterrichtseinheit vor. Darin argumentiert er, es gäbe eine Spannung zwischen theologischer Dogmatik (der Lehrkraft) und der pluralisierten Realität der Schüler:innen. Er fordert eine interdisziplinär angelegte Konzeptualisierung des islamischen Religionsunterrichts (und sieht auch den christlichen Religionsunterricht herausgefordert, sich neu zu positionieren).

Die prominentesten Arbeiten in Bezug auf grundlegende Einstellungen der Lehrkräfte sind die Veröffentlichungen von Stein, Ceylan und Zimmer (z. B. Stein et al. 2017, 2019; Zimmer et al. 2017, 2019), die auf einer qualitativen Inhaltsanalyse von 34 semi-strukturierten Leitfadeninterviews mit 32 Studierenden und zwei praktizierenden Lehrkräften basieren. Es geht darin primär um die Werteorientierung, die religiöse Selbstverortung sowie politische Überzeugungen der potenziell zukünftigen als „teaching subjects“ bezeichneten Lehrkräfte des IRU. Ceylan, Stein und Zimmer rekonstruieren drei Typen von Lehrer:innen: unreflektierte Wissensvermittler:innen, die sich auf die Ausübung von Ritualen und das Einhalten der Gebote konzentrieren und den Islam als die wahre Religion zeigen wollen; Vermittler:innen zwischen Islam und Gesellschaft, die eine Auseinandersetzung mit der Religion anregen wollen und für Gewaltprävention und Wertefestigung eintreten; sowie Kritiker:innen, die Aufklärung und eine Reflexion des eigenen religiösen Handelns anregen wollen. Diese Typen religiöser Selbstverortung werden auf eigene Erziehungserfahrungen zurückgeführt und seien „gesellschaftlich von hohem Interesse, da diese Lehrkräfte wesentlich die Haltungen junger Muslim:innen in Deutschland prägen werden“ (Stein et al. 2019, S. 57, 59). In der Untersuchungsanlage zeigt sich – zum Teil auch durch die Anlehnung an den (europäischen) Forschungsstand – ein problematisierender, integrationspolitischer Blick auf die (angehenden) „teaching subjects“. Die reflexive Bearbeitung der eigenen (familiären) religiösen Primärsozialisation während des Studiums sowie der Einfluss der zweiten Phase der Lehrer:innenbildung, also des Professionalisierungsprozesses im Lehrberuf, werden von den Autor:innen bei ihrer Typenbildung nicht thematisiert; die Autor:innen unterscheiden nicht systematisch zwischen Studienanfänger:innen, fortgeschrittenen Studierenden und bereits aktiven Lehrkräften. Auch die Frage, wie sich Religiosität und religiöse Selbstverortung zur Gestaltung des eigenen Unterrichts, zum Lehrplan, zu Bildungsmaterialien und zur Schülerschaft verhalten, bleibt ein Desiderat für weitere Forschungen.

Dreier und Wagner (2020, S. 37f.) befragen ebenso primär Studierende der islamischen Theologie und Religionslehre, fassen das Studium aber als Ort religiöser Bildung, welches durch biografische Prozesse der Irritation, Relativierung und Pluralisierung geprägt ist (ebd., S. 38). Die wenigen in diese Studie einbezogenen ausgebildeten Lehrkräfte berichten von der zweiten Phase der Lehramtsausbildung, dass Infrastrukturen und Organisationsstrukturen noch mangelnd ausgebildet sind und fühlen sich in einer Art Pionierrolle (ebd., S. 50). Die Autor:innen verweisen auf den Anspruch vieler angehender Lehrkräfte, durch das Studium die islamische Religionspädagogik positiv weiterzuentwickeln und dementsprechend verändern zu wollen (ebd., S. 30): „Das Motiv, selbst pädagogisch tätig sein zu wollen, begründen die Studierenden häufig mit der eigenen Erfahrung als Lernende oder auch Lehrende. Wenn auch durchaus mit Verständnis für die fehlende Kompetenz ihrer damaligen Lehrer:innen, so sehen doch einige Studierende ihre Unterrichtserfahrung in der Moschee im Rückblick kritisch“ (ebd., S. 41). Insofern lässt sich von einer doppelten Abgrenzung, einerseits zur eigenen Schulerfahrung, andererseits zu im religiösen Raum selbst erfahrenen Bildungsangeboten und religiösen Verständnissen ausgehen, ohne dass hierzu fundierte empirische Ergebnisse vorliegen würden.

Explizit auf die universitäre Ausbildung von angehenden Lehrkräften bezieht sich der Artikel von Reis et al. (2020), in dem der Umgang mit religiöser Diversität im Rahmen der Religionslehrer:innenausbildung analysiert wird. Das Autor:innenteam untersucht exemplarisch, wie in realen Lehrpraktiken in der Hochschule soziale Aushandlungsprozesse der Curriculavorgaben, Handlungsprogrammatiken der Akteure und der konkreten Lehrsituation stattfinden. Die Analyse zeigt, dass trotz großer individueller Unterschiede in den Vorstellungen der Lehrenden zur religiösen Pluralität die Vorstellungen von guter (universitärer) Lehre stark vereinheitlichend auf die Lehrpraktiken wirken. Die konkrete Lehrsituation ist somit weit davon entfernt, durch die Einstellungen der lehrenden Wissenschaftler:innen determiniert zu sein.

Bisherige Untersuchungen zu schulischen Bildungsmaterialien (vgl. die Beiträge in Spenlen und Kröhnert-Othman (2012) sowie Wagner (2018)) betonen die Unterschiedlichkeit der Lehrwerke, die Kiefer (2012, S. 110) wie folgt zusammenfasst: „Die Autorinnen und Autoren von ‚Ein Blick in den Islam‘ betrachten den Islamischen Religionsunterricht offenbar primär als einen Ort der Glaubensunterweisung. Folglich steht die Katechese, bzw. die Einübung der ‚Orthopraxie‘ – des richtigen Handelns – im Vordergrund. Das Autorenteam von ‚Saphir‘ hingegen sieht den Religionsunterricht primär als einen Ort der Wissensvermittlung und Reflektion. Auf Katechese und die Einübung ritueller Handlungen wird vollständig verzichtet.“ Wie die sehr unterschiedlichen Bildungsmaterialien eingesetzt und im Unterricht konkret verhandelt werden, wurde bisher noch nicht untersucht.

Fahimah Ulfat hat in ihrer Dissertation „Die Selbstrelationierung muslimischer Kinder zu Gott“ und den daraus entstandenen Artikeln zur Gottesbeziehung von muslimischen Kindern (2017b) und zu narrativen Kompetenzen im islamischen Religionsunterricht (2020) eine Kindertheologie für muslimische Kinder entwickelt. Sie zielt auf eine empirisch basierte islamische Theologie ab, die insbesondere die Adressat:innen des Unterrichts als Zielgruppe in den Blick nimmt. Auf der Grundlage von 15 analysierten narrativen Interviews mit muslimischen Kindern, die am islamischen Religionsunterricht teilnehmen, beschreibt Ulfat die Notwendigkeit, die teilnehmenden Kinder zu befähigen, einerseits außerhalb der islamischen Tradition zu denken und ihnen andererseits die Geltung der heiligen Texte begreiflich zu machen. Dass sich muslimische Kinder in ihren (unterschiedlich ausgeprägten) Gottesbeziehungen dabei nicht grundlegend von (bereits beforschten) christlichen Kindern in Deutschland unterscheiden, könne als politisch wichtige und durch die empirische Forschung belegte Erkenntnis genutzt werden, die die diskursive Dichotomie von Muslim:innen und Nicht-Muslim:innen in Deutschland entschärfen könnte. Insofern stehen die Arbeiten von Fahimah Ulfat für eine politisch positionierte, empirisch vergleichende Religionspädagogik, die die Entwicklung des islamischen Religionsunterrichts nicht nur unterrichts-didaktisch/theologisch, sondern auch in seiner gesellschaftlichen Akzeptanz einordnet.

Zwischenfazit:

Die Forschungsergebnisse von Stein, Ceylan und Zimmer, die in der bildungswissenschaftlichen Debatte mit Abstand am sichtbarsten sind, nehmen zumindest implizit einen dominanzgesellschaftlichen Blick ein, der fragt, wie (problematisch) die angehenden Lehrer:innen sind, während die Studien von Dreier und Wagner sowie Reis et al. eher die Perspektive der (angehenden) Lehrer:innen zentrieren und sich für deren Herausforderungen interessieren. Zu den praktischen Effekten dieser grundlegenden Einstellungen der Lehrkräfte, den Reflexionsprozessen durch das Hochschulstudium, der Verankerung von religiöser Diversität in den Curricula der Ausbildung oder der jeweiligen Beschaffenheit der Lehrwerke für den konkreten Unterricht liegen bisher keine belastbaren Ergebnisse vor. Inwiefern analog zur Hochschule konkrete Lehrsituationen durch schulische Rahmenbedingungen und Anforderungen überformt werden, erscheint vor diesem Hintergrund eine spannende, offene Forschungsfrage. Die Diskussion der überwiegend religionspädagogischen Arbeiten zeigt eine deutliche Fokussierung auf Einstellungen der Lehrer:innen. Einige Studien scheinen vielversprechend, bilden jedoch noch ein sehr selektives und keineswegs umfangreiches Bild der am IRU Beteiligten und durch den IRU ausgelösten Prozesse ab.

9 Fazit und Perspektiven

Der Beitrag hatte zum Ziel, mittels eines Forschungsreviews erstmals einen systematischen und differenzierten Überblick zur empirischen Befundlage zum IRU in Deutschland zu geben und dabei sowohl das produzierte Wissen wie auch Nichtwissen in den Blick zu heben, um eine Grundlage für aktuelle Diskussionen und zukünftige Forschungen zu liefern. Deutlich wurde, dass der IRU in den letzten 10 Jahren zunehmend zum Gegenstand einer dezidiert empirischen, disziplinübergreifenden Forschung wurde, die wichtige Erkenntnisse liefert, gleichzeitig jedoch als ausbaunotwendig erscheint, wozu in Zusammenschau der betrachteten fünf Forschungsschwerpunkte drei Erkenntnisse gerade auch perspektivisch zentral erscheinen:

Erstens spiegelt die Forschungslage die mehrdimensionale Interessenlage gegenüber dem IRU, sich im Bildungssystem zu etablieren und gleichzeitig integrationspolitischen Ansprüchen gerecht zu werden. Dazu generiert die Forschung sowohl unmittelbar gegenstandbezogenes als auch kontextuelles Wissen zum IRU und ist häufig eher (extrinsisch) auf den IRU im Verhältnis zur Gesellschaft und dessen Legitimation, Akzeptanz und Nutzen ausgerichtet. Damit folgt die Forschung dem gesellschaftspolitischen Integrationsimpetus gegenüber dem IRU, wodurch jedoch scheinbar paradoxerweise die Frage nach der Wirkung des IRU bisher nur wenig erhellt und möglicherweise eher verdeckt wird. Denn gerade die (integrative) Wirkung des IRU bleibt weitgehend Anspruch und ist empirisch kaum belegt. Dies gilt insbesondere auch für die Hoffnung, der IRU könne Extremismus und Fundamentalismus vorbeugen, die immer wieder formuliert wie auch als zu hohe Erwartung an den IRU zurückgewiesen wird (z. B. Uslucan 2018, S. 199). Die Forschungslage bietet hierzu Anhaltspunkte, markiert aber weiterhin eine Forschungslücke, wie sie bereits im SVR-Jahresgutachten 2016 (SVR 2016, S. 111) festgestellt wurde: „Belastbare empirische Befunde zu den Wirkungen von IRU liegen allerdings (noch) nicht vor. Da sich einige Länder derzeit intensiv um einen Ausbau des IRU bemühen, sollte aber dennoch möglichst bald empirisch untersucht werden, inwieweit sich die in den IRU gesetzten Hoffnungen erfüllen oder auch nicht.“

Zweitens scheint die Ausrichtung der Forschung auf Legitimation, Akzeptanz und Nutzen des IRU eine stärker intrinsisch orientierte Forschung mit Blick auf den IRU selbst und dessen Verstehen und Entwicklung zu überlagern. Empirische Forschung zum Unterricht (die über die Exploration einzelner Unterrichtseinheiten hinausgeht) und notwendige Grundlagenforschung zur Unterrichtspraxis, zu den konkreten Bildungsprozessen, zu Fachdidaktik und Fachkultur(en) erweist sich weitestgehend als Leerstelle. Insgesamt gibt die bildungs- und erziehungswissenschaftliche Forschung inklusive der Sozialisationsforschung auch wenig Auskunft über die Einstellungen der Schüler:innen und bleibt mit quantitativen Methoden weitgehend an der Oberfläche des Feldes. Damit ist quasi unerforscht, wie sich die Subjekte – Adressat:innen und Lehrkräfte des IRU – selbst verstehen und verhalten. Teilweise kritisch angemerkt wird die Tatsache, dass die Lehrkräfte des IRU häufig nicht fachdidaktisch ausgebildet sind. Diese strukturelle Problematik könnte ein weiteres Forschungsfeld darstellen. Forschung hierzu könnte sich von der bisher vorherrschenden legitimierenden Forschungslogik distanzieren, die den IRU als Fach in Frage stellt oder in Zusammenhang mit integrationspolitischen Zielen diskutiert und stattdessen eine Grundlagenforschung bieten, die das Unterrichtsgeschehen und die unmittelbar am Unterricht Beteiligten vom Feldgeschehen ausgehend und theoriegeleiteter als bisher ins Zentrum des Erkenntnisinteresses rückt (vgl. hierzu auch Ulfat et al. 2020, S. 8).

Drittens ist die vorliegende Forschung am Status Quo ausgerichtet und thematisiert kaum zukünftige Entwicklungen und Fragen einer zunehmend multireligiösen und säkularen Gesellschaft. Dies gilt einerseits regional, indem die Forschung zum IRU auf den westdeutschen Raum begrenzt ist, was vordergründig plausibel erscheinen mag, da nur 3,5 % der Muslim:innen in Deutschland in den ostdeutschen Bundesländern leben (Pfündel et al. 2021, S. 52) und dort kein IRU angeboten wird (Mediendienst Integration 2020, S. 5). Gleichzeitig ist es aber insofern problematisch, als in Ostdeutschland die Ablehnung insbesondere des Islams vergleichsweise groß ist (Pollack et al. 2014; Pickel 2019) und religiöse Bildung unter der Annahme ihrer Wirksamkeit umso sinnvoller erscheint. Dabei mag Ostdeutschland angesichts der vergleichsweise starken und beschleunigten Säkularisierung (Pollack und Rosta 2015; Stolz et al. 2020) als Sonderfall erscheinen, könnte aber mit fortschreitender Säkularisierung auch in Westdeutschland als Modellfall anzeigen, auf welche Entwicklungen nicht nur der islamische Religionsunterricht zukünftig zu reagieren hat. Dies deutet andererseits auch auf die Frage nach den Perspektiven, Grenzen und Alternativen eines bekenntnisorientierten und konfessionell getrennten RU hin, dessen Legitimationsproblematik sich mit der Einführung des IRU verzögern mag, aber mit fortschreitenden Säkularisierungs- wie auch Pluralisierungsprozessen absehbar verschärfen wird (Koenig 2017; Reuter 2017). Damit stellt sich nicht zuletzt auch die Frage nach der Rolle der Forschung, die sowohl Spiegel als auch kritische Reflexion und Triebkraft sein kann im Zuge der Entwicklung des IRU wie allgemein der Gestaltung des institutionellen Wandels in zunehmend pluralen Gesellschaften.