Die zunehmende ethnisch-religiöse Vielfalt stellt für moderne Gesellschaften zweifellos eine Bereicherung dar, birgt aber auch Herausforderungen im Hinblick auf den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Dies gilt für die strukturelle Ebene, aber auch mit Blick auf fundamentale Normen und Wertvorstellungen, deren kollektive Anerkennung als Grundpfeiler gesellschaftlicher Integration angesehen werden kann (vgl. Parsons 1976). In Bezug auf die Frage des Zusammenhangs von Pluralität und gesellschaftlicher Kohäsion scheinen sich die Fronten der Diskussion in vielen europäischen Ländern in den letzten Jahrzehnten verschoben zu haben: Standen in früheren Debatten über die Integration der Zugewanderten Themen wie Kriminalität, Rassismus und wirtschaftlicher Status ganz oben auf der Agenda, so werden in letzter Zeit vermehrt Themen von Kultur, nationaler Identität und nicht zuletzt Religion in den Mittelpunkt gerückt (vgl. für Deutschland Diehl und Tucci 2010). Es scheint, als ob in diesem Zuge trotz des vielfach konstatierten Bedeutungsverlustes auf der individuellen Ebene Religion in der öffentlichen Debatte und als gesellschaftlicher Konfliktfaktor eher an Bedeutung gewonnen hat (vgl. dazu auch Pickel 2017). Aufgrund der Tatsache, dass die Mehrheit der Immigranten aus nichtwestlichen Ländern Muslime sind, werden die Integrationsprobleme vor allem am Beispiel des Islam diskutiert. Dabei ist das Bild, das vom Islam entworfen wird, in kaum einem europäischen Land überwiegend positiv, wobei dessen Kompatibilität mit den Prinzipien moderner und demokratischer Gesellschaften allgemein weithin angezweifelt wird (vgl. etwa die Diskussion bei Césari 2004; Pollack et al. 2014; Adida et al. 2016; PEW Research Center 2018, 2019; Pickel 2019). Deutschland bildet hier keine Ausnahme: So werden hier mit dem Islam Merkmale wie Gewaltbereitschaft, Fanatismus, Benachteiligung der Frau, Rückwärtsgewandtheit und Engstirnigkeit verbunden. Das Christentum dagegen wird (bei aller Kritik an den Kirchen) weitgehend positiv wahrgenommen (vgl. Müller und Pollack 2017, S. 43).
Der Religionsmonitor bietet die Möglichkeit, derartige Attribuierungen auf den Prüfstand zu stellen. Im Folgenden soll untersucht werden, inwieweit die bisher betrachteten Gruppierungen tatsächlich bezüglich bestimmter Prinzipien, die für eine moderne, demokratische Gesellschaft als grundlegend gelten können, charakteristische Differenzen erkennen lassen. Stellvertretend haben wir die Haltungen zu zwei zentralen Prinzipien ausgewählt, die sich im Vergleich zu anderen Konstitutionsmerkmalen liberal-demokratischer Gesellschaften erst relativ spät durchgesetzt und in institutionell-rechtlichen Regelungen niedergeschlagen haben: das Prinzip der Gleichbehandlung und Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern sowie das Verbot der Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung.
Dieses Themengebiet ist nicht nur deswegen interessant, weil es einen zentralen Aspekt darstellt, entlang dessen die „symbolische Grenze“ (symbolic boundary) zwischen der „einheimischen“ Bevölkerung und der migrantischen (vor allem muslimischen) Minderheit in Europa konzipiert wird (vgl. Diehl et al. 2009, S. 278f.), sondern auch deshalb, weil es sich auf einen Normen- und Wertewandel bezieht, der sich aus religiösen Traditionen nur schwerlich ableiten lässt und gegen den sich auch „einheimische“ Kirchen und religiöse Institutionen lange gewehrt haben und teilweise heute noch wehren (Polak 2021; vgl. auch Zulehner 2020). Die bisherige Literatur zu diesem Thema deutet darauf hin, dass auf der individuellen Ebene sowohl der Faktor Religion an sich (vor allem in Gestalt dogmatischer bzw. fundamentalistischer Orientierungen) als auch speziell der muslimische Hintergrund von Personen dazu beiträgt, dass in puncto Geschlechtergleichheit und -gerechtigkeit sowie sexueller Minderheiten bzw. deren Selbstbestimmung egalitäre Haltungen eher unterdurchschnittlich ausgeprägt sind (vgl. Inglehart und Norris 2003; Brettfeld und Wetzels 2007; Diehl et al. 2009; Van Droogenbroeck et al. 2017; PEW Research Center 2018; Eskelinen und Verkuyten 2020). Oftmals wurden aber nur spezielle Aspekte betrachtet, zudem basieren die meisten Studien auf empirischen Daten, die kaum generalisierbare Aussagen über Differenzen zwischen religiösen Gemeinschaften zulassen.
Beginnen wir mit einem Aspekt, über den heute quer über die Landesteile und religiösen Traditionen hinweg ein überwältigender zustimmender Konsens herrscht: dass eine gute Schulbildung für Mädchen genauso wichtig ist wie für Jungen (Tab. 5). Eine solche Haltung muss jedoch nicht automatisch bedeuten, dass den Frauen auch später im Berufsleben das Gleiche zugestanden wird wie den Männern. Das zeigt ein Blick auf die Antworten zur Aussage „Frauen sollten sich stärker um die Familie und den Haushalt kümmern als um ihre Karriere“. Neben dem aus anderen Untersuchungen (vgl. etwa Geißler 2014, S. 403ff.) seit langem bekannten Muster des „Modernisierungsvorsprungs“ der Ostdeutschen auf diesem Gebiet (nur 20 % Zustimmung im Osten vs. 32 % im Westen), lässt sich hier einmal mehr eine charakteristische interreligiöse Differenz erkennen: Während bei den Katholiken und den Evangelischen jeder dritte Befragte diese Position einnimmt, stimmt dieser Aussage unter den Muslimen fast jeder Zweite zu. Egalitäre Haltungen sind hier mit Abstand am häufigsten bei den Konfessionslosen zu finden (nur 17 % zur obigen Aussage). In der Frage, dass sich Männer in gleichem Maße im Haushalt einbringen sollen wie Frauen, ist sich die große Mehrheit (85 bis 92 %) über die untersuchten Gruppen hinweg dann wieder recht einig – wobei offenbleibt, was das in der Praxis bedeutet.
Tab. 5 Einstellungen zu Geschlechterrollen und zur gleichgeschlechtlichen Ehe Das Recht gleichgeschlechtlicher Paare auf Eheschließung wurde, teilweise gegen massiven Widerstand nicht nur bestimmter religiöser Kreise, sondern auch mancher politischen Akteure, im Oktober 2017 in Deutschland gesetzlich verankert. Inwieweit korrespondiert diese Regelung mit den Vorstellungen der Bevölkerung bzw. der verschiedenen religiösen Gruppierungen? Die Konfessionslosen und die Ostdeutschen zeigen sich hier, wie schon bei der Frage nach der Stellung der Frau im Spannungsfeld von Familie, Haushalt und Karriere, am aufgeschlossensten (91 und 84 %). Auch die Bevölkerung in den „alten“ Bundessländern stimmt mit diesem Prinzip zu großen Teilen überein, wobei die die Gruppe der Katholiken und der Evangelischen hier keine Ausnahme darstellen (76 bis 79 %). Und auch die muslimischen Befragten äußern sich in ihrer Mehrheit zustimmend, wenn auch im Vergleich zu den anderen Gruppen mit einer deutlichen Reserve (57 %).
Berühren bereits die Einstellungen zu den Geschlechterrollen und zur gleichgeschlechtlichen Ehe, die auf den ersten Blick als „rein privat“ erscheinen, Fragen des gesellschaftlichen Miteinanders, so gilt dies umso mehr für den Bereich der Unterstützung des politischen Systems.Footnote 8 Aus bisherigen Studien (die allerdings ebenfalls oft auf Stichproben basieren, die kaum verallgemeinerbare Aussagen zulassen) lässt sich erahnen, dass die Haltungen der muslimischen Bevölkerungsgruppen von denen der Gesamtbevölkerung bei weitem nicht so sehr abweichen, wie man es angesichts der öffentlichen Diskussion und Wahrnehmung erwarten würde (vgl. Frindte et al. 2011; Wilamowitz-Moellendorf 2011; Pollack und Müller 2013; Statham und Tillie 2016).Footnote 9
Der Religionsmonitor (2017) enthält eine erfreulich breite und systematisch konzipierte Palette an Fragen zur politischen Kultur (vgl. auch die umfassende Dokumentation in Pickel 2019). An dieser Stelle vorgestellt werden drei Indikatoren, die für wichtige Dimensionen der politischen Unterstützung bzw. Unterstützungsobjekte stehen und in der Politische-Kultur-Forschung seit langem verwendet und diskutiert werden (vgl. zum Folgenden Fuchs 2002; Pickel und Pickel 2006 mit zahlreichen weiteren Verweisen): „Legitimität“ (hier gemessen an der Zustimmung zur Aussage „Die Demokratie ist eine gute Regierungsform“) bildet dabei die grundsätzliche Überzeugung ab, dass die Demokratie als politisches Ordnungsmodell eine „angemessene“ bzw. legitime Regierungsform darstellt. Hohe Zustimmungsraten zu diesem Indikator zeigen an, dass das politische System auf der Wertebene stabil verankert ist. „Demokratiezufriedenheit“ (hier gemessen an der Aussage „Die Demokratie in Deutschland funktioniert alles in allem gut“) bezieht sich auf die Unterstützung der im jeweiligen Land zum Zeitpunkt der Befragung praktizierten Demokratie und enthält in stärkerem Maße Elemente der Bewertung ihrer Leistungsfähigkeit. Negative Haltungen müssen hier nicht unmittelbar auf die Stabilität der Demokratie durchschlagen (zumindest solange der Regierungsform breit Legitimität zugesprochen wird), zeigen aber (oftmals gruppenspezifische) abweichende Vorstellungen über die Art und Weise der konkreten Umsetzung an. „Responsivität der Politiker“ („Politiker sind doch nur daran interessiert gewählt zu werden, und nicht daran, was die Wähler wirklich wollen“) schließlich bezieht sich auf die Haltung zu den politischen Autoritäten sowie ihre Bewertung und spiegelt quasi das Ausmaß an „Politikerverdrossenheit“ wider, welches allerdings, da sie auf die situative Bewertung der politischen Autoritäten beschränkt ist, nicht mit dem umfassenderen Phänomen der Politikverdrossenheit und schon gar nicht mit Demokratieverdrossenheit gleichzusetzen ist (vgl. Pickel und Pickel 2006, S. 271).
Betrachtet man die Befunde in Abb. 3, dann fällt zunächst ins Auge, dass der für die Stabilität der Demokratie wichtigste Indikator „Legitimität“ über alle Gruppen hinweg hohe Zustimmungsraten von mehr als 80 bis über 90 % erfährt. Unterschiede zwischen den religiösen Gruppen sind dabei praktisch nicht auszumachen: Entgegen immer wieder geäußerter Vorbehalte erweisen sich die Muslime in Deutschland grundsätzlich offenbar als genauso demokratieaffin wie die Katholiken und die Evangelischen.Footnote 10 Allein bei den Konfessionslosen und den OstdeutschenFootnote 11 fallen die Zustimmungsraten etwas ab. Allerdings sind die Differenzen zu den anderen Gruppen auch hier nicht so groß, wie man angesichts manch aufgeregter Diskussion hätte befürchten können.
Beim zweiten Indikator finden sich im Hinblick auf die Gruppenunterschiede ähnliche Muster, allerdings insgesamt auf deutlich niedrigerem Niveau: So sind etwa drei Viertel der befragten Westdeutschen der Meinung, dass die Demokratie in Deutschland alles in allem gut funktioniert; ganz ähnliche Werte weisen auch die Katholiken, die Evangelischen und die Muslime auf. Die Ostdeutschen (63 %) und die Konfessionslosen (61 %) stimmen auch hier weniger zu; im Vergleich zur Legitimität der Demokratie ist die Kluft zu den anderen Gruppen zudem etwas größer. Es scheint also, als ob, bei aller grundsätzlichen Befürwortung der Demokratie als Regierungsform, erhebliche Teile der ostdeutschen Bevölkerung und der Konfessionslosen eine etwas andere Wahrnehmung bzw. Vorstellung von ihrer konkreten Umsetzung haben (vgl., was die Ostdeutschen betrifft, etwa auch Fuchs 2002).
Hinsichtlich ihrer Meinung über die Politiker zeigen sich alle Gruppen in gleichem Maße mehrheitlich skeptisch; jeweils zwei von drei Befragten stimmen der Aussage zu, dass Politiker nur an ihrer Wahl interessiert sind und nicht am Wählerwillen. Das Ausmaß der Politikerverdrossenheit ist also über alle Gruppen hinweg durchaus beträchtlich. Dies ist kein neues Phänomen, bisher scheint es allerdings nicht auf die Haltung zur Demokratie an sich durchzuschlagen.
Auch wenn die Daten keinen Anlass bieten, in Panik auszubrechen, so lassen sie doch erkennen, dass nicht unbeträchtliche Teile der Bevölkerung mit der konkreten Ausformung des politischen Systems, seiner Leistungsfähigkeit und den dafür verantwortlichen Eliten nicht umstandslos einverstanden sind (vgl. auch Pickel 2019, S. 42f.). Über die Gründe dafür kann an dieser Stelle nicht ausführlich eingegangen werden. Erwähnt seien hier nur kurz einige weitere Befunde aus Tab. 6: 40 bis 50 % geben an, Politikern generell nicht zu vertrauen, und jeder zweite bis dritte ist der Meinung, dass Demokratien an und für sich zur Entscheidungsschwäche neigen. Dass letzteres nicht einfach als unvermeidliches strukturelles Defizit zugestanden bzw. auch nur achselzuckend hingenommen wird, zeigt sich in dem durchaus nachdenklich stimmenden Befund, dass sich im Schnitt mehr als die Hälfte der Befragten wünscht, es möge jemanden geben, der Deutschland mit starker Hand regiert.Footnote 12
Tab. 6 Weitere politische Einstellungen Bis hierher wurde in diesem Abschnitt aufgezeigt, inwieweit sich West- und Ostdeutsche, Katholiken, Evangelische, Muslime und Konfessionslose hinsichtlich bestimmter sozialer und politischer Werte und Einstellungen unterscheiden. Wir konnten zeigen, dass Ostdeutsche im Hinblick auf geschlechterbezogene Fragen etwas „progressiver“ eingestellt sind als Westdeutsche, mit Blick auf die politische Unterstützung jedoch teilweise stärkere Vorbehalte aufweisen. Was die Unterschiede zwischen den religiös-weltanschaulichen Gruppierungen anbelangt, so fiel vor allem ins Auge, dass die Muslime Prinzipien der Gleichberechtigung und Gleichbehandlung stärker in Frage stellen als Katholiken und Evangelische (die sich diesbezüglich als Gruppen bemerkenswerterweise kaum noch unterscheiden). Die Konfessionslosen erweisen sich wie die Ostdeutschen in den geschlechterbezogenen Fragen als besonders liberal, in der Beurteilung der Funktionsweise des politischen Systems im Land jedoch als verhältnismäßig kritisch.
Differenzen in Bezug auf geschlechterbezogene bzw. auf die Rechte sexueller Minderheiten gerichtete Orientierungen als auch hinsichtlich der Einstellungen zum demokratischen politischen System wurden bis hierher deskriptiv anhand von aggregierten Gruppenvergleichen dargestellt. Man könnte an dieser Stelle stoppen und die Unterschiede, so wie sie sind, einfach zur Kenntnis nehmen. Wir wollen jedoch einen Schritt weitergehen und mittels multivariater Regressionsanalysen versuchen herauszufinden, welche anderen Prädiktoren sich zusätzlich herausstellen oder möglicherweise hinter den oben aufgezeigten Gruppendifferenzen verbergen. So werden wir, anschließend an die Überlegungen weiter vorn und vor dem Hintergrund bisheriger Befunde in der Literatur, danach fragen, ob neben der Religionszugehörigkeit noch andere Aspekte von Religiosität wie die religiöse Intensität, religiöser Dogmatismus oder religiöse Offenheit eine Rolle spielen.Footnote 13
In Bezug auf beide Thematiken wird in der Literatur darüber hinaus die Bedeutung soziodemographischer Merkmale, des sozialen Status’, der Wahrnehmung eigener Marginalisierung bzw. Ungleichbehandlung oder auch der politischen Selbstpositionierung diskutiert. Demnach vertreten höher gebildete, ökonomisch besser gestellte und jüngere Personen sowie Frauen eher egalitäre Positionen als niedrig gebildete, ökonomisch benachteiligte (bzw. sich benachteiligt fühlende), ältere und männliche Befragte. Menschen, die sich selbst eher als konservativ oder rechts verorten, weisen zudem weniger egalitäre Orientierungen auf (vgl. Inglehart und Norris 2003; Diehl et al. 2009; Norris und Inglehart 2019). Mit Blick auf die Bevölkerungsgruppen mit Migrationshintergrund hat sich zudem verschiedentlich gezeigt, dass sich die Kinder und Enkel der Einwanderer in Bezug auf derartige Wertvorstellungen offenbar zunehmend an die „Mehrheitsgesellschaft“ anpassen (vgl. Diehl et al. 2009; Müller und Pollack 2017), was im Einklang mit (neo)assimilationstheoretischen bzw. akkulturationstheoretischen Überlegungen zu stehen scheint (vgl. Esser 1980; Gans 1994; Alba und Nee 2003). Was die Ausprägung demokratischer Werte und Einstellungen anbelangt, so scheint der Einfluss soziodemographischer Faktoren weniger klar und zudem abhängig von der jeweils betrachteten Dimension unterschiedlich auszufallen: Während eine höhere Bildung im Allgemeinen demokratische Haltungen zu befördern scheint (so schon Lipset 1960), scheint ökonomische Besserstellung bedingt (am ehesten noch mit Blick auf die Bewertung der Performanz des politischen Systems) eine Rolle zu spielen (vgl. Müller et al. 2006; Westle 2009; Pickel und Pickel 2020). Vor dem Hintergrund der Diskussion, dass hinter bestimmten kulturellen Differenzen eigentlich sozio-ökonomische Faktoren stehen, werden entsprechende Indikatoren als Kontrollvariablen aber dennoch in den folgenden Regressionen Verwendung finden.
In Bezug auf den Einfluss des Migrationshintergrundes kamen Studien zu unterschiedlichen Ergebnissen (vgl. Brettfeld und Wetzels 2007; Eskelinen und Verkuyten 2020); allerdings ist es auch hier nicht abwegig, von Akkulturationsprozessen auszugehen, sodass auch dieser Aspekt (hier mittels des Vergleichs der ersten, zweiten und dritten Einwanderergeneration mit Befragten ohne Migrationshintergrund) einbezogen wird. Die folgenden Regressionen (Tab. 7 und 8) sind jeweils in zwei Modelle aufgeteilt – ein Basismodell, welches zunächst nur die in der deskriptiven Darstellung verglichenen Gruppen als Variablen enthält, sowie ein Gesamtmodell, welches alle weiteren von uns untersuchten Prädiktoren beinhaltet.
Tab. 7 Regressionsanalyse gesellschaftliche Einstellungen (Geschlechtergleichheit; gleiche Rechte für gleichgeschlechtliche Paare) Tab. 8 Regressionsanalyse Legitimität der Demokratie Beginnen wir mit der Untersuchung der Faktoren, die die Einstellungen zur Geschlechtergleichheit bzw. zu gleichen Rechten für gleichgeschlechtliche Paare beeinflussen (Tab. 7).Footnote 14 Im Basismodell zeigt sich zum einen, dass religiös gebundene Personen signifikant weniger egalitäre Haltungen einnehmen als Konfessionslose. Besonders deutlich wird das bei den befragten Muslimen. Die im deskriptiven Teil zutage getretenen Ost-West-Differenzen sind bereits in diesem Modell nicht mehr signifikant, was darauf hinweist, dass die im Vergleich zu den Westdeutschen egalitärere Haltung der Ostdeutschen vor allem dadurch zu erklären ist, dass diese in ihrer Mehrheit konfessionslos sind.
Das Gesamtmodell bezieht nun, wie bereits ausgeführt, einige zusätzliche Religiositätsitems sowie soziodemographische und Einstellungsvariablen in die Analyse ein, von denen vermutet werden kann, dass sie zur weiteren Aufhellung bestimmter Zusammenhänge beitragen. Im Vergleich zum Basismodell erhöht sich die Vorhersagekraft von 10 auf 26 %. Von den zusätzlich einbezogenen Religiositätsvariablen stellt die religiöse Selbsteinschätzung die einzige Variable dar, die keinen statistischen Einfluss auf die abhängige Variable aufweist. Personen, die ihre Religion anhand von Gottesdienstbesuchen, der Teilnahme an Freitagsgebet oder an religiösen ritualen und Handlungen häufiger praktizieren, neigen dagegen ebenso überdurchschnittlich zur Ablehnung egalitärer Haltungen in Sachen Geschlechtergleichheit und Homosexuellenrechte wie Personen, die ein dogmatisches Religionsverständnis pflegen. Dass Religiosität nicht per se mit diesbezüglich abwehrenden Haltungen einhergehen muss, zeigt jedoch der Befund, dass eine Position, die durch religiöse Offenheit gekennzeichnet ist, die Wahrscheinlichkeit eine egalitäre Haltung einzunehmen eher erhöht.
Von den soziodemographischen Variablen erweisen sich das Alter, das Geschlecht, das Bildungsniveau sowie der Migrationshintergrund als signifikante Prädiktoren. Je höher gebildet eine Person ist, desto eher vertritt sie egalitäre Positionen; je älter sie ist, desto mehr steigt die Wahrscheinlichkeit, die gegenteilige Haltung einzunehmen. Frauen weisen insgesamt egalitärere Positionen auf als Männer. Der Migrationshintergrund ist – wohlgemerkt unabhängig vom religiösen und sozioökonomischen Background – ebenfalls von Relevanz: Angehörige der ersten Generation neigen im Vergleich zu Personen ohne Migrationshintergrund am wenigsten zu egalitären Haltungen. Bei Angehörigen der zweiten Generation fällt der Effekt schon geringer aus, ist aber immer noch statistisch signifikant. Die dritte Generation jedoch unterscheidet sich in ihren Haltungen schließlich nicht mehr von Personen ohne Migrationshintergrund. Der soziale Status und das Gefühl, im Vergleich zu anderen nicht das zu bekommen, was einem zustehe (relative Deprivation), spielen als Prädiktoren keine Rolle, wohl aber die Selbstpositionierung auf der Links-Rechts-Skala: Je weiter rechts sich jemand einstuft, desto eher lehnt er diesbezüglich egalitäre Haltungen ab. Auffällig ist, dass im Gesamtmodell die Tatsache evangelisch zu sein nur noch einen sehr geringen Zusammenhang aufweist, und die bloße Zugehörigkeit zur katholischen Kirche gar nicht mehr signifikant ist. Der Effekt der Zugehörigkeit zur muslimischen Community hat sich zwar im Vergleich zum Basismodell ebenfalls abgeschwächt, bleibt jedoch auch bei Berücksichtigung der übrigen Prädiktoren (einschließlich der Religiositätsitems) nicht nur hochsignifikant, sondern stellt nach wie vor den stärksten Prädiktor dar. Möglicherweise ist das ein Hinweis darauf, dass wir es hier in der Tat mit einem kulturellen Effekt zu tun haben, der seine Wirkung ein Stück weit losgelöst von sozioökonomischen Faktoren, politischen Einstellungen, aber auch der konkreten Ausprägung der Religiosität entfaltet.
Kommen wir nun zur multivariaten Analyse mit Blick auf die Unterstützung des politischen Systems (Tab. 8). Wegen seiner besonderen Bedeutung für die Stabilität des Systems auf der Werteebene haben wir uns entschieden, hier die Dimension der Legitimität zu betrachten. Der zweistufige Aufbau der Regressionsanalysen folgt der gleichen Logik wie bei den oben untersuchten gesellschaftlichen Orientierungen. Sie enthalten zum einen die gleichen Prädiktoren wie die Regressionen zu den gesellschaftlichen Einstellungen in Tab. 7; vor dem Hintergrund in der Literatur diskutierter weiterer Zusammenhänge (vgl. Pickel et al. 2006; Roller 2010) wurden jedoch als zusätzliche Variablen die Einschätzung der eigenen finanziellen Lage, die Ausprägung des zwischenmenschlichen Vertrauens sowie die Demokratiezufriedenheit und die Politikerverdrossenheit eingeführt.Footnote 15
Bereits im Basismodell sind konfessionell-weltanschauliche Differenzen statistisch nicht mehr nachweisbar, während die Tatsache, dass das Interview im Osten stattgefunden hat, einen leichten, aber signifikanten negativen Effekt auf die Legitimität der Demokratie aufweist. Im Vergleich zu den Einstellungen zur Geschlechtergleichheit und zur gleichgeschlechtlichen Ehe verhält es sich hier sozusagen andersherum – die etwas niedrigeren Zustimmungsraten der Konfessionslosen, wie sie sich in Abb. 3 gezeigt haben, lassen sich diesmal vermutlich vor allem auf die West-Ost-Dimension zurückführen.
Im Gesamtmodell erweisen sich – vielleicht etwas weniger erwartbar als bei den Einstellungen zur Geschlechtergleichheit und zur gleichgeschlechtlichen Ehe – ebenfalls einige der zusätzlichen Religiositätsvariablen als signifikante Prädiktoren. Dies betrifft zum einen die religiöse Selbsteinschätzung, die einen negativen Zusammenhang annimmt (allerdings einen verhältnismäßig schwachen auf mäßigem Signifikanzniveau). Darüber hinaus stellt sich heraus, dass religiöser Dogmatismus (der sich im Gesamtmodell als drittstärkster Einflussfaktor entpuppt) ebenfalls negativ mit der Wertschätzung der Demokratie korreliert, religiöse Offenheit dagegen positiv. Alles in allem lässt sich mit Blick auf die Unterstützung der Demokratie als Idee also sagen, dass es hier offenbar nicht so sehr darauf ankommt, welcher Religion man angehört, aber wohl darauf, welches Religionsverständnis man hat. Dass der, wenn auch nur relativ schwache, West-Ost-Effekt im Vergleich zum Basismodell praktisch unverändert bleibt, ist sicherlich auch etwas überraschend und ruft nach weiterführenden Analysen, die aber an anderer Stelle erfolgen müssen. Darüber hinaus erweisen sich das Alter, die Bildung und die politische Selbstpositionierung als signifikant: Mit zunehmendem Alter nimmt die Überzeugung, dass die Demokratie eine gute Regierungsform ist, ebenso zu, wie mit zunehmendem Bildungsstand. Die Tatsache, dass sich jemand als eher rechts einstuft, verringert dagegen die Zustimmung zu dieser Aussage. Das Gefühl der relativen Deprivation stellt sich gleichfalls als hemmender Faktor heraus, allgemeines zwischenmenschliches Vertrauen dagegen erweist sich als förderlich. Auch bei gleichzeitiger Einbeziehung all dieser Faktoren bleibt der leichte West-Ost-Effekt stabil, während die Einflussgröße „muslimisch“ sogar einen leicht positiven Effekt (auf freilich mäßigem Signifikanzniveau) erzielt.
Die Vorhersagekraft beträgt im Gesamtmodell auf 23 %, wobei etwa die Hälfte allein auf die Variable „Demokratiezufriedenheit“ zurückgeht. Man sieht hieran, dass die grundsätzliche Haltung zur Demokratie als Idee nicht unabhängig von der Bewertung der konkreten Umsetzung und Leistungsfähigkeit ist. Die Haltung zur Responsivität der Politiker spielt für die Legitimität bei Kontrolle der anderen Faktoren allerdings keine Rolle.Footnote 16