In der empirischen Analyse werden nach einem kurzen Abriss der deskriptiven Statistiken zu den Variablenverteilungen die Ergebnisse der multivariaten Regressionsanalyse präsentiert und abschließend diskutiert.
Deskriptive Statistiken: Verteilungen der zentralen Variablen
Wie ist es um die migrationsbezogenen Bedrohungsgefühle in Deutschland bestellt? Gibt es Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschland? Abb. 1 zeigt, dass die Bedrohungsgefühle je nach Kategorie unterschiedlich verteilt sind. Sowohl in Ost- als auch in Westdeutschland sehen die Menschen am stärksten die Sicherheit durch Migration bedroht, dann den Wohlfahrtsstaat. Daraufhin folgen in Westdeutschland Bedrohungswahrnehmungen bzgl. des religiösen und des allgemeinen Lebens – in Ostdeutschland genau umgekehrt.Footnote 14 Daran schließen sich jeweils Befürchtungen bzgl. der Wirtschaft an, und das kulturelle Leben wird am wenigsten als bedroht erachtet. Für Ost- und Westdeutschland zeigen sich also ähnliche Muster. Nur ist das Niveau der Bedrohungsgefühle bei den in Ostdeutschland lebenden Menschen generell höher. Im Gesamt-Bedrohungsindex (Skala von 0 bis 10) ergibt sich für Ostdeutschland ein Mittelwert von 5,19 und für Westdeutschland von 4,61. Je nach Kategorie liegen die Bedrohungsgefühle in Ostdeutschland um 0,4 bis 0,7 Skalenpunkte höher.
Für die Verteilungen der Religion-Variablen und die anschließende multivariate Analyse wird mit einem Datensatz für Gesamtdeutschland weiter gerechnet. Mit zwei getrennten Datensätzen für Ost- vs. Westdeutschland wären die Fallzahlen wesentlich geringer (vor allem was die Religionsgruppen betrifft)Footnote 15, mit entsprechend negativen Auswirkungen auf die Inferenzstatistik (Kohler und Kreuter 2012). Deshalb wird sich für die Alternative entschieden, Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschland anhand einer Kontrollvariable bei den multiplen Regressionen zu erfassen (s. Abschn. 4.2).
Für Gesamtdeutschland zeigt Abb. 2, dass sich knapp die Hälfte aller Befragten (n = 1372; entspricht 45 %) keiner Religion zugehörig fühlt. Die größten Religionsgruppen sind die Protestant*innen (27 %) und Katholik*innen (23 %). Darüber hinaus können nur noch die Gruppen „andere christliche Konfession“ (n = 56; entspricht ca. 2 %) und „Muslim*a“ (n = 53; entspricht ca. 2 %) inferenzstatistisch sinnvoll interpretiert werden. Für „östliche Religionen“ (n = 20), „Juden/Jüdinnen“ (n = 5) sowie „andere, nicht-christliche Religionen“ (n = 5) ist dies nicht der Fall, weil ihre Stichproben unter der im zentralen Grenzwertsatz genannten Zahl 30 liegen, ab welcher annähernd von einer Normalverteilung ausgegangen werden kann (Weigand 2009, S. 221–225). Mit Blick auf die Glaubensintensität bezeichnet sich knapp ein Viertel als nicht religiös, während sich der Rest über die Religiositätsskala hinweg ähnlich einer Normalverteilung mit einem höheren Niveau in der Mitte verteilt. Hinsichtlich der religiösen Praxis geben über 40 % an, weder den Gottesdienst zu besuchen noch zu beten. Während beim Gottesdienstbesuch die Häufigkeit über die Skala hinweg relativ konstant abnimmt, sind die Ausprägungen beim privaten Gebet in der Mitte geringer und nehmen eher an den Rändern wieder zu.Footnote 16
Multivariate Regressionsanalyse
Die Regressionstabellen der multivariaten Analyse sind den Tabellen 2, 3 und 4 zu entnehmen. Es zeigt sich wie erwartet ein ambivalentes Bild, das einen differenzierten Blick lohnt. In Bezug auf die realistischen Bedrohungsgefühle bzgl. der „Wirtschaft“ findet sich bei den Religion-UVs nur ein negativer Effekt der „Glaubensintensität“, der jedoch unter Hinzunahme der Kontrollvariablen nicht robust bleibt. Bessere PrädiktorenFootnote 17 sind „Zufriedenheit mit der deutschen Wirtschaft“ mit der größten Effektstärke (im Vergleich zu den anderen (quasi-)metrischen Variablen)Footnote 18, dann „positiver Intergruppen-Kontakt“, „Bildungsniveau“, „politische Links-Rechts-Einstufung“, „Arbeitsmarktposition“, „Autoritarismus“, „Einkommenssituation“, „Intergruppen-Freundschaften“, „empfundener Ausländeranteil“ und „Alter“. Bei den kategorialen Variablen wird das „Geschlecht“ statistisch hoch und der „Wohnort“ schwach signifikant.Footnote 19 Personen, die zufriedener mit der deutschen Wirtschaft sind, ihren Kontakt zu outgroup-Mitglieder*innen als positiv wahrnehmen, sich politisch eher links einordnen, einen höheren sozialen Status besitzen, geringe autoritäre Einstellungen sowie mehr Freund*innen anderer Herkunft haben, den Ausländeranteil in Deutschland niedriger einschätzen und ältere sowie in Westdeutschland lebende Menschen und Männer haben weniger migrationsbezogene Bedrohungsgefühle die Wirtschaft betreffend (diese Wirkungsrichtung der Kontrollvariablen bleibt im Folgenden jeweils gleich – wenn nicht anders erwähnt).
Tab. 2 Multivariate Regressionen zur Schätzung der Effekte von Religion auf realistische Bedrohungsgefühle Tab. 3 Multivariate Regressionen zur Schätzung der Effekte von Religion auf symbolische Bedrohungsgefühle Tab. 4 Multivariate Regressionen zur Schätzung der Effekte von Religion auf Bedrohungsgefühle (Index) Bei der Kategorie des „Wohlfahrtsstaates“ findet sich ein Religionseffekt nur für Protestant*innen, die auf dem 5 %-Niveau signifikant niedrigere Bedrohungsgefühle aufweisen. Der negative Effekt der „Glaubensintensität“ bleibt wieder nicht robust im vollständigen Modell. Hinsichtlich weiterer relevanter Faktoren sind abermals „Zufriedenheit mit deutscher Wirtschaft“ und „positiver Intergruppen-Kontakt“ die stärksten Einflüsse, gefolgt von „Links-Rechts-Skala“, „Bildungsniveau“, „Autoritarismus“, „empfundener Ausländeranteil“, „Alter“ und „Intergruppen-Freundschaften“. Frauen sowie Menschen in Ostdeutschland sehen den Wohlfahrtsstaat wieder mehr bedroht durch Einwanderer*innen.
Für die „Sicherheit“ existieren mehr Religionseinflüsse. Religiöse Menschen erachten die Sicherheit weniger stark durch Migration bedroht (mindestes auf dem 5 %-Signifikanzniveau). Personen, die regelmäßiger in den Gottesdienst gehen, haben jedoch leicht signifikant stärkere Bedrohungswahrnehmungen. Der negative Effekt bei den Angehörigen anderer christlicher Konfessionen bleibt hingegen nicht robust. Mit Blick auf die Kontrollvariablen sind die Bedrohungsgefühle-mindernden Effekte der „wirtschaftlichen Zufriedenheit“ und des „positiven Intergruppen-Kontakts“ wieder am stärksten, gefolgt von den positiven Einflüssen der „Links-Rechts-Einstufung“ und des „Autoritarismus“. Danach lässt sich von der Stärke her der Religiositätseffekt einordnen. Auf ihn folgt der positive Effekt des „empfundenen Ausländeranteils“ sowie der negative des „Bildungsniveaus“. Schwach signifikant werden „Wohnort“ und „Intergruppen-Freundschaften“.
Für die symbolischen Bedrohungsgefühle zeigt sich ein etwas anderes Bild. Im Vergleich zu Konfessionslosen sehen Katholik*innen (5 %-Niveau) und Angehörige anderer christlicher Konfessionen (10 %-Niveau, nur im vollständigen Modell) das „allgemeine Leben“ stärker durch Zuwanderer*innen bedroht. Die „Glaubensintensität“ hingegen weist wieder einen hochsignifikant negativen Effekt auf – religiöse Menschen nehmen weniger Bedrohung wahr. Der positive Effekt des „privaten Gebets“ bleibt nicht robust. Die stärksten Prädiktoren sind auch hier „Zufriedenheit mit deutscher Wirtschaft“, „positiver Intergruppen-Kontakt“, „politische Links-Rechts-Skala“, „Bildungsniveau“ und „Autoritarismus“. Dann kommen die Effekte der „Glaubensintensität“, „Intergruppen-Freundschaften“, des „empfundenen Ausländeranteils“ sowie der „Einkommenssituation“.
Beim „kulturellen Leben“ fühlen sich Katholik*innen wieder leicht signifikant stärker bedroht. Hier hat der „positive Intergruppen-Kontakt“ den stärksten Effekt, gefolgt von „politischer Links-Rechts-Einstufung“, „Zufriedenheit mit deutscher Wirtschaft“, „Bildungsniveau“, „Autoritarismus“, „Intergruppen-Freundschaften“, „empfundener Ausländeranteil“, „Alter“ sowie „Arbeitsmarktposition“. Ostdeutsche und dieses Mal Männer fühlen sich stärker bedroht.
Das „religiöse Leben“ sehen Protestant*innen leicht signifikant weniger bedroht (nur im vollständigen Modell). Sich religiös einschätzende Menschen empfinden Migration als geringere Bedrohung für das religiöse Leben – häufig betende Personen hingegen als stärkere (jeweils robuster Effekt mindestens auf dem 5 %-Niveau). Weitere Einflüsse üben „positiver Intergruppen-Kontakt“ (stärkster Effekt), „Zufriedenheit mit deutscher Wirtschaft“, „Links-Rechts-Skala“, „Bildungsniveau“, „Autoritarismus“ sowie „Intergruppen-Freundschaften“ (schwächster Effekt) aus. Die Effektstärke der „Glaubensintensität“ lässt sich zwischen „Autoritarismus“ und „Intergruppen-Freundschaften“ einordnen, danach kommt der Effekt des „privaten Gebets“. Wiederum erachten Männer das religiöse Leben stärker bedroht.
Im Gesamtbild des Bedrohungsindex ergibt sich Folgendes: Während der Bedrohungsgefühle-verstärkende Effekt des „privaten Gebets“ nicht robust bleibt, findet sich ein robuster, mindestens auf dem 5 %-Niveau signifikanter Bedrohungsgefühle-vermindernder Einfluss der „Glaubensintensität“. Religiösere Menschen nehmen Migration als weniger bedrohlich wahr. Darüber hinaus fühlen sich Menschen, die zufrieden mit der deutschen Wirtschaft sind (stärkster Effekt), die den Intergruppen-Kontakt positiv bewerten, sich politisch eher links einordnen, ein höheres Bildungsniveau, weniger autoritäre Einstellungen und mehr Freund*innen anderer Herkunft haben, den Ausländeranteil im Land geringer einschätzen, eine höhere Arbeitsmarktposition und Einkommenssituation aufweisen, die älter sind (schwächster Effekt) und in Westdeutschland leben, weniger bedroht.
Ein abschließender Blick auf die jeweilige Erklärungskraft der Modelle macht deutlich, dass diejenigen mit nur den Religion-Variablen lediglich 0,4 bis 0,9 % der Varianz der migrationsbezogenen Bedrohungsgefühle aufklären können. Die Religion scheint also eine untergeordnete Rolle zu spielen. Die Güte der vollständigen Modelle ist dagegen wesentlich besser. Je nach Bedrohungskategorie können 12,6 bis 36 % der Varianz der AV erklärt werden.
Zusammenfassende Hypothesenprüfung
Für die Arbeitshypothesen lässt sich Folgendes resümieren: Im Hinblick auf die belonging-Dimension finden sich nur vereinzelt signifikante, robuste Einflüsse spezifischer Religionsgruppen. Die Richtung ist nicht eindeutig (z. B. weniger Bedrohungsgefühle der Protestant*innen beim „Wohlfahrtsstaat“ – mehr Bedrohungsgefühle der Katholik*innen beim „allgemeinen und kulturellen Leben“). Damit kann die erste Hypothese (H1) nicht bestätigt werden, laut der Religionszugehörige stärkere migrationsbezogene Bedrohungsgefühle als Konfessionslose haben. Vielmehr scheint die reine Religionszugehörigkeit kaum einen Unterschied zu machen.
Anders verhält es sich mit der believing-Dimension. Religiöse Menschen haben signifikant geringere Bedrohungswahrnehmungen, was sich in den Bereichen „Sicherheit“, „allgemeines und religiöses Leben“ sowie im Gesamt-Bedrohungsindex konstant und bzgl. „Wirtschaft“ sowie „Wohlfahrtsstaat“ inkonstant zeigt. Dieser eigenständige Religiositätseffekt kann auch mit den Effektstärken der anderen relevanten Größen mithalten. Nach den jeweils stärksten Effekten (s. Abschn. 4.2) ist er oft ähnlich groß wie der Einfluss der Intergruppen-Freundschaften und des empfundenen Ausländeranteils. Mit diesen Befunden lässt sich eine – entgegen der Annahme in H2) – Bedrohungsgefühle-schwächende Wirkung von Religiosität festhalten.
In Bezug auf die behaving-Dimension ergeben sich für regelmäßige Gottesdienstgänger*innen nur bzgl. der „Sicherheit“ – für die private Gebetspraxis nur beim „religiösen Leben“ robust stärkere Bedrohungsgefühle. Die Effektstärken sind jeweils geringer als bei der Glaubensintensität. Das zeigt wenig empirische Evidenz für H3a) und H3b), wonach eine stärkere religiöse Praxis mit höheren migrationsbezogenen Bedrohungsgefühlen einhergeht.
Diskussion der Ergebnisse
„Auf der Grundlage der vorhandenen Forschung ist die Antwort sehr klar: Ungeachtet dessen, was die Religionen über universale Geschwisterlichkeit predigen, ist ein Individuum umso intoleranter, je religiöser sie/er ist.“ (Batson 2013, S. 89; Übers. durch d. Verf.)
Diese weit verbreitete „religiöse Intoleranzthese“ findet in der vorliegenden Studie zumindest für Deutschland keine Bestätigung. Vielmehr scheint die „selektive Intoleranzthese“ plausibel, laut der Religion zwar bestimmte Vorurteile (z. B. gegenüber Homosexuellen) befördern, andere hingegen (z. B. gegenüber Migrant*innen) abmildern kann (Doebler 2015; Rowatt et al. 2009; Streib und Klein 2018). Das verweist nochmals auf die Relevanz, möglichst spezifisch und differenziert vorzugehen. Deshalb wurde in diesem Artikel der Nexus zwischen Religion und migrationsbezogenen Bedrohungsgefühlen im Speziellen betrachtet, der für Deutschland bislang wenig untersucht ist. Hierbei erweisen sich die Religionsanhänger*innen nochmals in sich komplex und polarisiert. Analog zu den Konfessionslosen scheint sich ein breites Spektrum von toleranten bis zu fremdenfeindlichen Positionen zu finden. Um mögliche Trennlinien zu identifizieren, wären beispielsweise genauere Untersuchungen der konkreten Glaubensinhalte oder anderer (z. B. u‑förmiger) Zusammenhangsformen sinnvoll (Pickel 2018, S. 294).Footnote 20
Mit Blick auf die diversen religiösen Gruppierungen wären Studien aufschlussreich, welche die einzelnen Gruppen differenziert und mit ausreichend großer, repräsentativer Stichprobe erfassen – z. B. auch bzgl. neuerer religiöser Phänomene wie spirituelle Bewegungen, Pfingstler*innen oder Evangelikale. Für Deutschland liegt der Fokus meist auf den beiden großen christlichen Denominationen (Küpper 2010, S. 32 f.). Der vorliegende Beitrag konnte zumindest noch Angehörige „anderer christlicher Konfessionen“ (leider nicht nochmals disaggregiert) und Muslime integrieren – wenn auch die Fallzahlen geringer ausfielen als bei den Katholik*innen und Protestant*innen. Im Zuge einer zunehmend multireligiöseren deutschen Gesellschaft (Pickel und Hidalgo 2013; Stoldt 2016) wären weitergehende Analysen zu den vielfältigen religiösen Strömungen und möglichen outgroup-Abwertungen gewinnbringend. Diesbezüglich gilt es zu beachten, welche Religion jeweils die Minder- bzw. Mehrheit in einem Kontext bildet, weil dies unterschiedliche in- vs. outgroup-Dynamiken mit sich bringen kann (Doebler 2014; Tausch et al. 2009).
Vor dem Hintergrund überwiegend bivariater Studien kann der vorliegende Artikel durch die Kontrolle relevanter Drittfaktoren (Intergruppen-Kontakt, Autoritarismus, Bildung, u. ä.) einen ergänzenden Beitrag zum aktuellen Forschungstand leisten. Dadurch konnten die Religionseffekte isoliert werden. Besonders auffällig ist der relativ robuste negative Zusammenhang zwischen Glaubensintensität und migrationsbezogenen Bedrohungsgefühlen. Warum gerade diese religiöse Variable (im Vergleich zu den anderen Religionsdimensionen) relevant zu sein scheint und welche Begründungs- bzw. Wirkungsmuster diesen Zusammenhang erklären können, impliziert weiteren Forschungsbedarf. Mögliche Erklärungsmuster hierfür werden im Folgenden angerissen und sollen zu weitergehenden Analysen anregen.
Ein Aspekt betrifft die tiefere Analyse der individuellen Religiosität bzw. persönlichen Glaubensbeziehung. Religiöse Menschen könnten sich beispielsweise aufgrund ihrer Vertrauensbeziehung zum Glaubenssubjekt (Gott) gehalten fühlen, Geborgenheit und Sicherheit spüren. Dank dieses Fundaments könnten sie generell stärkeres Vertrauen und geringere Angst entwickeln, sich also weniger von externen Gegebenheiten bedroht fühlen. Eine rein formale Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft allein kann dieses Sicherheitsgefühl vielleicht noch nicht vermitteln, sondern erst eine starke persönliche Glaubens‑/Gottesbeziehung. Damit sich diese aber tatsächlich in universaler Toleranz ausdrückt, sollte sie auf einem inklusiven, auch Menschen anderer Gruppen integrierenden Verständnis aufbauen. Dies gilt es im Einzelnen zu untersuchen (Meuleman und Billiet 2011, S. 177–179; Traunmüller 2012, S. 57–64).
Ein zweiter Aspekt betrachtet den religiösen und sozialen Kontext, in den die individuelle Religiosität eingebettet ist und in Wechselbeziehung steht. Der Zusammenhang von Religion und outgroup-Abwertung kann sich verändern, wenn sich der Kontext wandelt (Hunsberger und Jackson 2005, S. 817 f.; Klein et al. 2018, S. 30). Diese Dynamiken sind bislang wenig untersucht, scheinen aber vor allem mit Blick auf die deutsche Situation vielversprechend. Beispielsweise könnten die zunehmenden Integrationsbemühungen und Pro-Migrations-Initiativen der Kirchen in Deutschland (vor allem im Zuge der Flüchtlingskrise) (DBK 2020; Drieschner 2018; EKD 2020) wohlwollendere Einstellungen gegenüber Zuwanderer*innen unter den religiösen Menschen bewirkt haben. So bieten die sich verändernden Positionen der Kirchen sowie die konkreten Inhalte der religiösen Botschaften und die Art ihrer Vermittlung Raum für weitere Forschung. Darüber hinaus könnten Interaktionen mit dem gesellschaftlichen Umfeld und sich wandelnden kulturellen Einstellungen bzw. Mentalitäten betrachtet werden (z. B. Stichwort „Willkommenskultur“). Für den deutschen sozialen Kontext erscheint die ursprüngliche Unterscheidung zwischen in- bzw. extrinsischer Religiosität und der Indikator des Gottesdienstbesuchs für letztere immer weniger plausibel. Angesichts einer zunehmenden Säkularisierung in Deutschland und eines Statusverlusts der Kirchen (z. B. aufgrund des Missbrauch-Skandals) (Klask 2019; Lehming 2017) scheint der Kirchgang weniger mit extrinsischen Motiven wie sozialem Ansehen und Status verbunden zu sein. Weitergehend könnte geprüft werden, inwieweit die klassische Differenzierung von in-/extrinsischer-/Quest- und fundamentalistischer Religiosität in unterschiedlichen Kontexten zutreffend bleibt bzw. wie sich diese Religiositätsformen in der heutigen Zeit empirisch ausdrücken.
Abschließend wird auf zentrale Grenzen der erfolgten Analyse und sich daraus ergebende Forschungsperspektiven hingewiesen. Bei der hier angewandten multivariaten Regressionsanalyse werden lineare, gerichtete Zusammenhänge literaturbasiert angenommen. Streng genommen können jedoch nur Korrelationen, nicht aber Kausalitäten nachgewiesen werden. Hierzu wären z. B. Längsschnitt- oder Prozessanalysen aufschlussreich. Zudem kann trotz Aufnahme wesentlicher Drittvariablen nie für alle potentiellen Einflüsse kontrolliert werden (Gehring und Weins 2009; Kohler und Kreuter 2012). Daneben zeigt sich der generelle Nachteil einer Sekundäranalyse, dass die Daten aus anderen Forschungsprojekten stammen, die nicht exakt dem eigenen Forschungszweck entsprechen. Das ESS-Modul „Immigration“ ist zwar auf Seite der AV sehr detailreich, aber besonders für den Faktor Religion wäre eine noch differenzierte Messung wünschenswert. So begrenzt sich die Analyse des komplexen Phänomens „Religion“ auf Selbsteinschätzungen von Individuen und quantitativen Auswertungen (Küpper 2010, S. 3). Ferner könnten weitere Ebenen von Religion einbezogen werden, wie die Mesoebene (z. B. religiöse Gemeinschaften) oder Makroebene (z. B. der religiöse Kontext in einem Land und Staat-Religion-Beziehungen). Hierfür würden sich beispielsweise auch Methoden aus dem qualitativen Bereich oder ein Mixed-Methods-Design anbieten (mit Expert*innen-Interviews, teilnehmenden Beobachtungen, Diskursanalysen, u. ä.). Zudem könnten mögliche Interaktionseffekte des Länderkontextes im Rahmen von statistischen Mehrebenenmodellen untersucht werden (Pollack et al. 2018; Traunmüller 2012). All dies könnte generell zur weiteren Theoretisierung des spezifischen Zusammenhangs zwischen Religion und Bedrohungsgefühlen sowie zur Identifizierung zugrundeliegender Wirkungsmechanismen beitragen. Schließlich ist zu bedenken, dass im vorliegenden Beitrag zwar Daten zum möglichst aktuellen Zeitpunkt ausgewertet wurden, aber auch diese Erhebung zum Verfassungszeitpunkt des Artikels gut fünf Jahre zurückliegt. So könnten die hier diskutierten Ergebnisse in weitergehenden Analysen mit neueren Daten angereichert und verglichen werden. Dabei würde sich auch eine länder- und kulturvergleichende Forschung anbieten, insbesondere mit Blick auf bisher wenig berücksichtigte Weltregionen wie der globale Süden, wo Religion eine bedeutsame Rolle spielt (Hopkins et al. 2013).