Zusammenfassung
Der Artikel nimmt gegenwärtige Jugendweihen in Deutschland am Beispiel der sogenannten „Jugendfeiern“ des Humanistischen Verbandes Deutschlands in den Blick und fragt nach dem Umgang der Anbieter mit dem DDR-Erbe der Feier. Dabei wird mit Hilfe einer Grounded Theory geleiteten Analyse von Found data, offenen Interviews und teilnehmenden Beobachtungen eine politische Re-Definition der Jugendweihe festgestellt: In Abgrenzung zur DDR-Jugendweihe werden sozialistische Werte durch humanistische ersetzt, Elemente wie das Gelöbnis oder die mitgliedschaftliche Initiationsfunktion des Festes abgeschafft und die Jugendweihe stattdessen als Familienfest für Nichtreligiöse inszeniert, das auf ein ahistorisches und damit universelles menschliches Bedürfnis nach einer Markierung biographischer Übergänge reagiert. Gleichzeitig wird innerhalb des Verbandes jedoch das Potenzial erkannt, über das vor allem in Ostdeutschland weiterhin breite Bevölkerungsteile erreichende Passageritual Zugriff auf eine junge Klientel zu erhalten und neue Mitglieder für den Verband zu gewinnen, die er dringend benötigt, um seiner Forderung, als Interessenvertretung aller Nichtreligiösen in Deutschland mit den Kirchen gleichgestellt zu werden, die nötige Legitimation zu verleihen. Das daraus erwachsende Spannungsfeld aus weltanschaulichen Ansprüchen und verbandspolitischen Notwendigkeiten wird speziell von den „Westverbänden“ des föderalistisch organisierten Humanistischen Verbandes durch die völlige Ablösung von der DDR-Geschichte und die dezidierte Rahmung der Jugendfeier als Konfirmationsäquivalent aufzulösen versucht.
Abstract
Using the example of the so called Jugendfeier of the German Humanist Association, this article addresses contemporary forms of Jugendweihe in Germany and the provider’s reflection process on its GDR-heritage. With reference to a Grounded Theory based analysis of found data, open interviews and participant observations, it reconstructs a political re-definition of the Jugendweihe: To distinguish it from the Jugendweihe of the GDR, socialist values are replaced by humanist ones and elements like the solemn pledge or the membership initiation function of the festivity are abandoned. Instead, Jugendweihe is re-enacted as family ritual for the nonreligious, functioning as an ahistorical and therefore universal human need for marking biographical transitions. At the same time, since Jugendweihe still reaches large segments of society especially in Eastern Germany, the organizers recognize its potential to get access to young cohorts and gain new members. These are desperately needed to legitimize association’s claims to function as advocacy for all religious nones in Germany and, as such, to gain the same legal status as the Christian Churches. Between the priorities of ideological and pragmatic aspirations, representatives especially from Western German federal associations, try to re-interpret Jugendweihe as an equivalent to the Christian confirmation practice.
Notes
Das Attribut „freigeistig“ hat sich in der Forschungsliteratur (vgl. z. B. Fincke 2002; Weir 2006) als Bezeichnung für eine Reihe von Organisationen etabliert, die sich in Deutschland Mitte des 19. Jahrhunderts zunächst als freireligiöse Reformgemeinden, im weiteren historischen Verlauf auch als religionskritische Freidenkerverbände außerhalb der beiden Großkirchen herauszubilden begannen. In diesem Artikel werden darunter Organisationen gefasst, die sich durch ein naturalistisches Weltbild, eine herausfordernde Haltung gegenüber dem jeweiligen „religiösen Establishment“ sowie eine ausgeprägte Religionsbezogenheit auszeichnen (zum Konzept der Religionsbezogenheit vgl. Quack 2014).
Konkret wird in diesem Artikel auf fünf offene Interviews mit Verbandsvertretern und vier teilnehmende Beobachtungen im Kontext von Jugendfeiern des HVD Bezug genommen, die der Verfasser im Rahmen der Arbeit an seiner Dissertation „Freigeistige Organisationen in Deutschland“ durchführte. Nähere Informationen zum methodischen Vorgehen finden sich in Kap. 4.
In Hamburg veranstaltete z. B. die AG Jugendweihe bereits 1946 wieder Jugendweihen. 1953 konnte sie auf über 3000 Teilnehmer verweisen (Döhnert 2000, S. 116).
So gründete sich z. B. 1981/82 in Hamburg der Verein Jugendweihe Hamburg e. V. als Abspaltung von der sozialistisch ausgerichteten AG Jugendweihe (Döhnert 2000, S. 148).
Während kirchlich-theologische Reaktionen auf die Kontinuität und den anhaltenden Erfolg der Jugendweihen zunächst vor allem polemischer Natur waren, setzte gegen Ende der 1990er-Jahre zunehmend eine ernsthafte Auseinandersetzung mit dem „Konkurrenzangebot“ ein (Evangelische Kirche in Deutschland 1999), die unter anderem zu Überlegungen führt, „wie die angebotene Arbeit mit Konfirmandinnen und Konfirmanden für die Jugendlichen [wieder] attraktiv wird“ (Evangelische Kirche in Deutschland 1999, S. 5). Grundsätzlich sieht die EKD sich jedoch zunächst weiterhin im Besitz des „umfassenderen Angebots“, das sie „selbstbewusst profilieren“ müsse (Evangelische Kirche in Deutschland 1999, S. 4). Gleichzeitig wird über die Installation von „Agapefeiern“ (Evangelische Kirche in Deutschland 1999, S. 6–7) oder das Maiglockenfest für konfessionslose Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Konfirmandenvorbereitungsprogramms, die sich am Ende gegen die Konfirmation und den Kircheneintritt entscheiden, nachgedacht, um die kirchenferne Klientel Ostdeutschlands zu erreichen.
Dies geht aus einer internen Statistik des HVD Berlin-Brandenburg hervor. Der Verfasser dankt den Verbandsverantwortlichen, die ihm Einblick in diese Statistik gewährten.
Seine „Lebensauffassung“ fasste der HVD dabei folgendermaßen zusammen: „[E]in eigenständiges, selbstbestimmtes Leben, das auf ethischen und moralischen Grundüberzeugungen beruht; ein Leben frei von Religion, ohne den Glauben an Gott; andere weltanschauliche und religiöse Lebensauffassungen zu achten, zu respektieren“ (Institut für Demoskopie Allensbach 2004, S. 2). Ähnlich formuliert war die Forsa-Umfrage drei Jahre später.
Die mit Hilfe der Grounded Theory rekonstruierten Kategorien und Subkategorien werden in der Folge kursiv gehalten.
Neben solchen und anderen Kultur- und Freizeitangeboten (z. B. Töpfer- und Tanzkurse oder Stadtführungen), die zumeist von externen Kooperationspartnern des Verbandes stammen, bietet der HVD auch selbst Wochenendausflüge und Kurse im Rahmen des Vorbereitungsprogramms an (z. B. zu Themen wie „Selbstbestimmung“, „Tod und Trauer“ oder „Richtig Streiten“). Die Jugendlichen haben dabei die Wahl aus einem recht breit gefächerten Gesamtangebot (Interview 1, HVD-Funktionär vom 30.09.2014).
Das Jugendfeier-Geschenkbuch von 2004 heißt dementsprechend: „Zwischen nicht mehr und noch nicht“.
Das Konzept des Inkorporationsregimes stammt von Soysal (1994) und bietet einen Analyserahmen für die Untersuchung kollektiver Organisation von Migrantengruppen, der den Fokus weg vom kulturellen oder ethnischen Hintergrund ihrer Mitglieder, und hin zu den institutionellen, organisatorischen und diskursiven Rahmenbedingungen verschiebt, die sich im jeweiligen Gemeinwesen als Strategien der Regelung von Mitgliedschaft historisch herausgebildet haben. Demnach definieren Migrantenorganisationen ihre Ziele, Funktionen und Handlungsstrategien in Relation zu den Diskursen, Institutionen und Ressourcen, die sie in ihrem Aufnahmeland vorfinden. In diesem Sinne werden ihre Organisationsformen und kollektiven Identitäten von institutionalisierten Formen staatlicher Inkorporationsregime gerahmt (Soysal 1994, S. 86).
Literatur
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Schröder, S. Zwischen DDR-Erbe, Familienfest und Konfirmations-Äquivalent. Z Religion Ges Polit 2, 61–80 (2018). https://doi.org/10.1007/s41682-018-0013-2
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