1 Einleitung

Die Digitalisierung ist ein anhaltender Bestandteil des politischen, gesellschaftlichen sowie organisationalen Diskurses, branchenübergreifend führt der digitale Wandel zu einer Veränderung der beruflichen Rahmenbedingungen und auch Tätigkeiten (Ribbat et al. 2021; Hacker 2016). Entgegen öffentlich diskutierter Utopien zeigte die erste Welle des „Monitor Digitalisierung“Footnote 1 des Jahres 2019 in verschiedenen Industriesektoren, dass die Digitalisierung in Deutschland oftmals noch am Anfang stand und vor allem durch die Verwendung digitaler Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) gekennzeichnet war (Härtwig et al. 2019). Andere Technologiearten zur digitalen Datenaufbereitung und -integration, digitale Technologien für die Produktion oder digitale personenbezogene Messsysteme, die z. B. eine fortschreitende Vernetzung verschiedener Systeme, selbstlernende Anwendungen und autonome Entscheidungen technischer Systeme beinhalten, waren im landesweiten Maßstab noch kaum oder gar nicht im Einsatz (vgl. Härtwig und Sapronova 2021). Dabei fielen Branchenunterschiede deutlich geringer aus als Unterschiede zwischen verschiedenen Blue- und White-Collar-Tätigkeitsfeldern. Und entgegen diversen Dystopien zeigte sich eine durchaus hohe Zuversicht aufseiten der Beschäftigten für die Bewältigung der Digitalisierung – Ängste und Unsicherheiten spielten bundesweit in den verschiedenen Industriebranchen und Tätigkeitsfeldern eine überraschend untergeordnete Rolle (ebenda).

Die vorliegende Follow-up-Studie 2022 knüpft an den Ergebnissen aus 2019 an und verfolgt das Ziel, den neueren Status quo der Digitalisierung zu erfassen sowie Entwicklungsverläufe und Veränderungen über die Zeit in Hinblick auf zentrale Faktoren der Anforderungen und betrieblichen Unterstützung sowie Effekten auf die Beschäftigten in Hinblick auf die Bewältigung der Digitalisierung und das persönliche Wohlbefinden zu analysieren. Zudem soll ein empirischer Beitrag zur Diskussion verschiedener theoretischer Entwicklungsszenarien zur Zukunft der Arbeit (vgl. Hirsch-Kreinsen et al. 2018 sowie Ittermann et al. 2016) geleistet werden.

2 Aktuelle Forschung zur Digitalisierung

Im Zuge des aktuellen IKT-Schwerpunktes der Digitalisierung finden sich in der neueren Literatur v. a. Untersuchungen zu förderlichen und hinderlichen Aspekten für die Zusammenarbeit, das Wohlbefinden und die Persönlichkeit der Beschäftigten. IKT ermöglichen es den Beschäftigten, sich über zeitliche und räumliche Distanzen auszutauschen, sozial zu interagieren und Arbeitsbeziehungen aufzubauen (Hwang 2011; van Laar et al. 2020). IKT werden im beruflichen Kontext auch mit der Erfüllung menschlicher Grundbedürfnisse in Zusammenhang gebracht (Day et al. 2019), da sie ein autonomeres Arbeiten ermöglichen (Ter Hoeven et al. 2016), sie das soziale Miteinander bei der ortsflexiblen Arbeit unterstützen (Sigmund und Härtwig 2022) sowie das Kompetenzerleben fördern (Dewett und Jones 2001). Gleichzeitig sind bei der IKT-vermittelten Kommunikation zusätzliche Stressoren zu berücksichtigen, die sich in einer potenziellen ständigen Erreichbarkeit auch außerhalb der Arbeitszeit sowie zusätzlichen subjektiven Arbeitsbelastung äußern und somit das „Abschalten-von-der-Arbeit“ erschweren (Day et al. 2019).

Seit 2020 hat zudem die Corona-Pandemie die Bedeutung digitaler IKT, der mit ihr assoziierten Phänomene und der Digitalisierung insgesamt noch einmal verstärkt. So wird die Pandemie auch als ein Treiber und Katalysator der Digitalisierung in vielen betrieblichen Prozessen betrachtet (López Peláez et al. 2021). Beispielsweise wurde der bereits vor Corona begonnene Trend zu orts- und zeitflexiblem Arbeiten im Zuge der Pandemie und durch die ausgeweitete Nutzung digitaler Technologien noch einmal beschleunigt (Amankwah-Amoah et al. 2021; Sedlmeier 2021). Insgesamt wurde im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie der konkrete Nutzen digitalisierter Prozesse präsenter (Butollo et al. 2021). Auch in der Außenwahrnehmung profitieren Organisationen von der Digitalisierung: Hoch digitalisierte Betriebe werden auf dem Wirtschafts- und Arbeitsmarkt als progressiv und wettbewerbsfähig wahrgenommen (Martín-Peña et al. 2019).

In der Forschung wird davon ausgegangen, dass sich durch die Digitalisierung und Einführung neuer Technologien bestehende Anforderungen i. S. von Belastung verändern sowie neue Anforderungen entstehen können (Höge und Hornung 2015; Kubicek et al. 2015). Allgemein diskutiert werden u. a. eine zunehmende Arbeitsintensivierung sowie Arbeitsverdichtung (Atanasoff und Venable 2017). Studien zeigen eine Zunahme der quantitativen Arbeitsbelastung sowohl infolge der Einführung digitaler Technologien (Meyer et al. 2019), als auch mit steigendem Digitalisierungsgrad der genutzten Technologien (Hummert et al. 2019). Entsprechende Hinweise lieferte auch der Monitor-Digitalisierung 2019: Auch dort berichteten die Befragten, häufig unter Zeitdruck zu arbeiten, insgesamt zu viel Arbeit zu haben und mehrere Aufgaben gleichzeitig bewältigen zu müssen. Darüber hinaus werden auch zusätzliche methodische, soziale sowie personale Kompetenzanforderungen diskutiert (Day et al. 2019; Windelband 2019). Von dieser Zunahme seien v. a. Beschäftigte in flexibleren Arbeitsformen betroffen (z. B. Homeoffice, mobile Arbeit). Mit einem selbstbestimmteren digitalen Arbeiten ergeben sich auch zusätzliche planerische, motivationale und regulatorische Anforderungen, die es von den Beschäftigten verstärkt fordern, sich beruflich selbst gut zu steuern (Bredehöft et al. 2015).

Digitalisierungsprozesse dürfen jedoch nicht getrennt von ihrem Einfluss auf die Beschäftigten und deren Wohlbefinden betrachtet werden. So kann die digitale Arbeit im Homeoffice sowohl positive, als auch negative Auswirkung auf die Mitarbeitenden haben. In der Pandemie war die ortsunabhängige Arbeit positiv mit einem kurzfristigen Anstieg der Leistung und des Arbeitsengagement assoziiert (Sandoval-Reyes et al. 2021). Allerdings verschwand dieser Effekt mittelfristig wieder, insbesondere bei hohen Arbeitsanforderungen und ständiger Erreichbarkeit. Auch Härtwig und Sapronova (2021) konnten im Rahmen des Monitors Digitalisierung 2019 Hinweise auf direkte Zusammenhänge zwischen digitalisierungsspezifischen Arbeitsanforderungen und Kognitiver Irritation nachweisen.

In diesem Zusammenhang spielen sog. Ressourcen eine wichtige Rolle, da sie den negativen Einfluss von Arbeitsanforderungen auf das Wohlbefinden der Beschäftigten abpuffern und reduzieren können. Nach dem Job-Demands-Resources-Modell (Bakker und Demerouti 2007, 2014), welches den theoretischen Rahmen der vorliegenden Studie bildet, wirken sich Arbeitsanforderungen und Arbeitsressourcen unterschiedlich auf die kurzfristige subjektive Beanspruchung sowie längerfristige Beanspruchungsfolgen wie Gesundheit und Wohlbefinden aus. Hohe Arbeitsanforderungen sind demnach mit gesundheitsbeeinträchtigenden Folgen assoziiert, die jedoch von individuellen und organisationalen Ressourcen mildernd abgepuffert werden können. Ressourcen können aber auch die Motivation der Beschäftigten stimulieren (Crawford et al. 2010) sowie die Bindung an das Unternehmen fördern (Bakker und Demerouti 2014). Als „klassische“ organisationale Ressourcen gelten v. a. Entscheidungsspielraum, der sich positiv auf Arbeitsengagement und innovatives Arbeitsverhalten auswirkt (De Spiegelaere et al. 2014) sowie Vollständigkeit der Aufgabe, die die emotionale Bindung an das Unternehmen verstärkt (Stempel und Dettmers 2018). Fehlender Informationsaustausch kann dagegen zu Konflikten und mangelndem Vertrauen führen bzw. in positiver Ausprägung die Erreichung von Arbeitszielen unterstützen (Kauffeld et al. 2016). Auch die Digitalisierung und Einführung neuer Technologien kann als Ressource bzw. zur Weiterentwicklung bestehender individueller und organisationaler Ressourcen angesehen werden (Demerouti 2022). Bereits im Monitor Digitalisierung 2019 konnten mit der „Unterstützung und Erleichterung durch digitale Systeme“ sowie der „Digitalen Selbstwirksamkeit“ bedeutsame digitalisierungsspezifische Ressourcen identifiziert werden.

Neu im Monitor Digitalisierung 2022 werden auch die Digitale Kommunikationskompetenz und die Unterstützende digitale Führung als mögliche individuelle und organisationale Ressourcen erfasst und geprüft. Digitale Kommunikationskompetenzen gewinnen v. a. durch die Möglichkeit der orts- und zeitzonenunabhängigen Arbeit zunehmend an Bedeutung, denn zur Erreichung von Arbeitszielen ist der Informations- und Ideenaustausch sowie das Treffen und Kommunizieren von Entscheidungen besonders wichtig. In ihrer Meta-Studie stellten van Laar et al. (2020) fest, dass v. a. temporäre Aspekte (z. B. vorhandene Zeit für die IKT-Nutzung), kulturelle Kompetenzen (z. B. Fremdsprachen und Toleranz gegenüber anderen Kulturen) und psychologische Faktoren (z. B. Persönlichkeitsmerkmale und Intelligenz) zur Ausprägung digitaler Kompetenzen beitragen. Mit der schnellen Ausbreitung neuer digitaler Kommunikationsformen (z. B. Videotelefonie) entstehen aber auch neue Rollen und Verhaltensregeln in virtuellen Räumen (Katzenbach 2021). Das Verständnis für und der Umgang mit entsprechenden Kommunikationsanforderungen wie z. B. Netiquette sowie das professionelle Verhalten bei technischen Problemen in virtuellen Meetings bildet daher einen weiteren wichtigen Aspekt digitaler Kommunikationskompetenz.

Mit der digitalen Arbeit entstehen auch neue aufgaben- und rollenbezogene Anforderungen an Führungskräfte zu unterstützender digitaler Führung ihrer Mitarbeitenden. Gute Führung ist eine essenzielle Ressource für Beschäftigte in Organisationen, die im digitalen Kontext auch IKT-vermittelt und über Distanz umzusetzen ist. Antoni und Syrek weisen darauf hin, dass „die Beeinflussung von Einstellungen, Gefühlen, Verhalten und Leistung durch die optimale Integration von IKT in die Führungsprozesse und -strukturen auf allen Organisationsebenen“ zur Hauptaufgabe der Führung auf Distanz wird (Antoni und Syrek 2017, S. 249). Da Teams durch Globalisierung und demografischen Wandel zudem diverser werden (Eggers und Hollmann 2018), kommt der Stärkung der virtuellen Zusammenarbeit in Gruppen eine zunehmende Bedeutung zu. Dabei ist neben der Koordination von Arbeitsprozessen auch das Motivieren und Inspirieren der Beschäftigten auf Distanz besonders wichtig (Avolio et al. 2014). IKT können an dieser Stelle die Verbreitung einer inspirierenden Vision der Führung beschleunigen (Antoni und Syrek 2017).

Da sich neben der Digitalisierung seit Januar 2020 durch die weltweite Ausbreitung des COVID-19-Virus und die daraus folgende Corona-Pandemie (WHO 2020) zusätzliche Herausforderungen für die Arbeitswelt ergeben, wird in der vorliegenden Studie auch eruiert, inwieweit diese Situation eigene Auswirkungen auf die Arbeit der Befragten hat.

Schließlich soll mit dem Monitor auch ein Beitrag zur Diskussion verschiedener Entwicklungsszenarien zum Wandel der digitalisierten Arbeitswelt geleistet werden. Ausgehend von allgemeinen Substitutionsvermutungen für einfache, automatisierbare Tätigkeiten (Frey und Osborne 2013) und Geringqualifizierte (Bonin et al. 2015), bei denen Maschinen die Steuerung und Kontrolle von vielen Prozessen übernehmen (Korge et al. 2016) werden in der Literatur auch alternative Szenarien vorgeschlagen. So wird im Zuge der Digitalisierung auch ein allgemeines Upgrading (Hirsch-Kreinsen 2015; Ittermann et al. 2016) i. S. einer Aufwertung der Arbeit aller Qualifikationsniveaus mit entsprechend komplexer und anspruchsvoller werdenden Tätigkeiten diskutiert, bei dem weniger repetitive Routinetätigkeiten und mehr interaktive sowie manuelle Tätigkeiten bei der Arbeit mit Computern in den Blick rücken (Lukowski und Neuber-Pohl 2017). Als dritten Entwicklungspfad wird eine mögliche Polarisierung hoch- und niedrigqualifizierter Tätigkeiten bei gleichzeitiger Erosion v. a. mittelqualifizierter Tätigkeitsbereiche beschrieben (Ittermann et al. 2016). Korge et al. (2016) argumentieren, dass das konkrete Szenario von der betrieblich umgesetzten Digitalisierungsstrategie abhängen würde, also inwieweit digitale Technologien eher für die Ersetzung oder Unterstützung der Belegschaft herangezogen werden. Dies hätte Folgeeffekte der Auf- oder Entwertung von Arbeit der Beschäftigten, dementsprechend würden sich Formen der Angelerntenproduktion, Facharbeiterproduktion, Prozessbetreuung oder Vollautomatisierung entwickeln. Für den industriellen Sektor sei ein eher pfadabhängiger Wandel gegebener betrieblicher Bedingungen mit eher moderaten Wandlungstendenzen plausibel (Hirsch-Kreinsen 2018). Erste empirische Daten zu den Entwicklungsszenarien für Einfacharbeit in der Handelslogistik zeigen keine Hinweise für Substitution und Upgrading (Ortmann und Walker 2019), allerdings fehlen breitere und systematische empirische Daten für die Industriearbeit über Betriebs- und Branchengrenzen hinweg, um die verschiedenen Annahmen zu prüfen (Staab und Prediger 2019).

3 Ziele, Methoden und Datengrundlage

Ziele der Follow-up-Studie „Monitor-Digitalisierung 2022“ waren die

  1. 1.

    Analyse des Standes der betrieblichen Digitalisierung, Arbeitsgestaltung, Arbeitsorganisation und des Wohlbefindens der Beschäftigten in verschiedenen Industriebranchen und Tätigkeitsfeldern;

  2. 2.

    Analyse und Spezifikation von Entwicklungsverläufen zwischen Ersterhebung 2019 und Zweitbefragung 2022;

  3. 3.

    Prüfung der Befunde vor dem Hintergrund diskutierter theoretischer Entwicklungsszenarien.

Die Ersterhebung 2019 diente als Ausgangsbasis für die Konzipierung und Durchführung der vorliegenden Follow-up-Studie, zudem lieferte sie die empirische Vergleichsgrundlage für die Untersuchung der Veränderungseffekte. Wie bereits 2019 wurden auch 2022 vergleichbare Branchen und Tätigkeitsfelder der Befragten erhoben (vgl. Tab. 1) mit dem Ziel, diese als Gruppierungsvariablen für die spätere Datenanalyse heranzuziehen. Im Zuge wachsender Bedeutung und betrieblicher Praktiken wurde bei den Tätigkeitsfeldern der Bereich „Logistik & Infrastruktur“ ergänzt.

Tab. 1 Table 1 Gesamtsample mit Rücklauf je Branche für T1 (n1) und T2 (n2), Bundesland, Tätigkeitsfelder (% im Sample)Total sample with response per sector for T1 (n1) and T2 (n2), federal state, fields of occupations (% in sample)

Auch die Themen der Befragung 2022 orientierten sich an der Ersterhebung 2019, allerdings wurden einige Anpassungen vorgenommen. Tab. 2 zeigt als Übersicht alle erhobenen Themen und Inhalte der Studie, neue Aspekte (als neukonstruierte Skalen bzw. Themen) wurden dabei kursiv hervorgehoben. Jene Skalen mit ihren Items, die auch für die Entwicklung und Prüfung eines „Systemischen Arbeits-Bewältigungs-Modells“ verwendet wurden, berichten wir ausführlich bei Härtwig et al. (in print).

Tab. 2 Table 2 Themen der Studie mit Skalen, Reliabilitäten (Cronbachs Alpha) und IteminhaltenThemes of the study with scales, reliabilities (Cronbachs alpha) and item contents

Die Datenerhebung wurde von der IG BCE in Auftrag gegeben und von der Goodwork GmbH als Online-Befragung durchgeführt. Deutschlandweit wurden Beschäftigte via Rundmails, Aushänge, Flyer, Infokarten und Ankündigung auf Betriebsversammlungen auf die Befragung hingewiesen. Angebotene URL-Links und QR-Codes führten zur Website „www.monitor-digitalisierung.de“, auf der ein Link zum Start der Befragung integriert war. Die Datenerhebung fand vom 01.11.2021 bis 01.02.2022 statt, die Beantwortung nahm etwa 18 min in Anspruch. Sämtliche und im Besonderen personenbezogene Daten wurden anonym erhoben und gespeichert, die Teilnahme an der Studie war freiwillig, es wurden keine Incentivierungen vorgenommen.

Insgesamt klickten 17.218 Personen den Link zur Online-Befragung an, ca. 4600 davon starteten die Befragung jedoch nicht, bei etwa 1300 Teilnehmenden zeigten sich fehlende, unplausible oder ungültige Daten. Nach der Datenbereinigung konnten als finale Stichprobe für die querschnittlichen Analysen 11.316 Beschäftigte aus 1559 Betrieben berücksichtigt werden. Ein Großteil der Befragten stammte aus den Industriebranchen Chemie, Pharmazie und Sonstige. Demgegenüber waren die Branchen Mineralöl und Keramik eher gering vertreten, was bei der Interpretation dieser branchenspezifischen Befunde zu beachten ist. Die Zement-Branche konnte aufgrund des geringen Rücklaufs mit nur zwölf Befragten in der Auswertung nicht berücksichtigt werden. Auch die Rückläufe je Bundesland gestalteten sich uneinheitlich: Wie bereits in der Erstbefragung 2019 stammte der Großteil der Befragten auch 2022 branchentypisch aus westlichen und südlichen Bundesländern. Allerdings stieg der Befragtenanteil aus östlichen Bundesländern von 5,6 % in 2019 auf 8,3 % in 2022, der Anteil aus den nördlichen Bundesländern Schleswig-Holstein und Hamburg verdreifachte sich von 1 % in 2019 auf 3,2 % in 2022. Die Tätigkeitsfelder der Befragten fächerten sich 2022 wieder breit auf: Die Bereiche „Verwaltung“ und „Produktion“ waren mit jeweils 21 % am stärksten vertreten, „Leitung und Planung“ sowie „Logistik und Infrastruktur“ waren mit jeweils 5 % am geringsten besetzt. Die große Mehrheit der Befragten hatte ein unbefristetes Arbeitsverhältnis (94 %). Der Frauenanteil im Sample betrug insgesamt 28 %, in der Pharmaindustrie war er mit 43 % am höchsten und in der Mineralölbranche mit 14 % am niedrigsten. Das Durchschnittsalter der Befragten betrug 44,8 Jahre (SD = 11,8).Footnote 2

Mit der Corona-Pandemie verlagerte sich zeitweise der Arbeitsort von vielen Beschäftigten in die Teleheimarbeit (DAK-Gesundheit 2020). In der vorliegenden Stichprobe des Befragungszeitraums im Winter 2021/22 zu einer Hochphase der Corona-Pandemie berichteten 37 % von einem Arbeitsanteil von mindestens 30 % (also mind. 2 Tage) daheim (sog. Teleheimarbeit). 56 % der Befragten berichteten 80–100 % ihrer Arbeit stationär im Betrieb zu verrichten. 7 % der Befragten berichteten von wechselnden Einsatzorten mit mehr als 20 % ihrer Arbeitszeit (sog. mobiles Arbeiten), 63 % arbeiteten gar nicht oder kaum (0–20 % ihrer Arbeitszeit) zuhause.

Im Zuge der Datenauswertung wurden zunächst für die untersuchten Themen der Studie erneut die Datenqualität in Bezug auf wichtige statistische Voraussetzungen (Skalenniveau, Stichprobeneignung, Datenverteilung, Datenausreißer, Faktorenstruktur, Reliabilität) überprüft. Für die finalen Skalen und Einzelitems wurden anschließend Mittelwerte und prozentuale Häufigkeitsverteilungen sowie Unterschieds- und Veränderungseffekte für die verschiedenen Befragtengruppen berechnet. Da die Rückläufe der Befragten in den untersuchten Branchen wie 2019 auch 2022 nicht demselben Verhältnis wie jenem der Daten des Statistischen Bundesamtes entsprachen, wurde in einem mehrstufigen Verfahren eine sog. Gewichtung vorgenommen. Als Referenz wurden hierfür Daten des Statistischen Bundesamtes (2021) herangezogen. Mit Hilfe der berechneten Gewichte wurden sowohl unter- als auch überrepräsentierte Gruppen innerhalb der Analysestichprobe so zueinander in Beziehung gesetzt, dass deren Verteilung der tatsächlichen Verteilung in der erwerbstätigen Population entsprach. Die gewichteten Gesamtwerte (Grand-Means) repräsentieren somit die Ausprägungen der Beschäftigten in den hier untersuchten Branchen des Bundesgebietes. Auch innerhalb der einzelnen Tätigkeitsfelder wurde die oben beschriebene Branchengewichtung vorgenommen. Für die einzelnen Branchenwerte war dagegen eine Gewichtung nicht vonnöten. Da sich in den Ergebnissen der Erstbefragung keine bedeutsamen Unterschiede zwischen unterschiedlichen Betriebsgrößen zeigten und dies auch nicht im Fokus der Zweitbefragung lag, wurde auf die systematische Aufgliederung der Daten nach Betriebsgröße verzichtet. Zur Untersuchung der theoretischen Entwicklungsszenarien wurden schließlich auch die verschiedenen Qualifikationsniveaus der Befragten betrachtet. Dafür wurden Gruppen mit hoher Qualifikation (Promotion, Fach/Hochschule, Berufliche Fortbildungsschule), mittlerer Qualifikation (Berufsausbildung, Fach/Hochschulreife) und niedriger Qualifikation (Mittlere Reife, Haupt/Volksschule, ohne Abschluss) zusammengefasst und entsprechende Unterschiede sowie differentielle Veränderungseffekte berechnet.

4 Ergebnisse zur digitalen Arbeit

4.1 Zunehmende IKT-Nutzung und Tätigkeitsunterschiede, konstante hohe Zuversicht und geringe Negativfaktoren

Die Analyse der Nutzungshäufigkeit verschiedener digitaler Technologien ergab, dass v. a. die Nutzung digitaler Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) eine Veränderung erfuhr (vgl. Abb. 1). Hier zeigte sich allgemein eine bedeutsame leichte Nutzungszunahme (d = 0,30), der Unterschiedseffekt zwischen allen Branchen blieb mit η2B2= 0,050 gering. Dagegen zeigten sich wachsende, wieder hoch bedeutsame Unterschiede zwischen den Tätigkeitsfeldern (η2= 0,230). Die stärksten Zunahmen ließen sich in White-Collar-Bereichen wie v. a. der Leitung und Planung (d = 0,80) beobachten, in Blue-Collar-Bereichen wie v. a. der Produktion nahm die Nutzungen dagegen nur unbedeutend zu (d = 0,14). Im Detail waren diese Veränderungen v. a. auf die zunehmende Nutzung von Videotelefonie, Groupware und internen Sozialen Netzwerken zurückzuführen. Auch bei den Einzeltechnologien zeigten sich zwischen den verschiedenen Branchen nur geringe Unterschiede, zwischen den Tätigkeitsfeldern waren dagegen hoch bedeutsame Unterschiede zu finden, insbesondere für die Technologien Videotelefonie (η2J2= 0,238), E‑Mail (η2J2= 0,236) und Laptop (η2J2= 0,179). Andere digitale Technologien zur Datenaufbereitung und -Integration (z. B. ERP-Systeme, Big Data oder KI-Anwendungen), für die Produktion (z. B. Remote Control, Advanced Robotic oder VR) sowie digitale personenbezogene Messsysteme (z. B. Tracker und PSA oder Exoskelette mit Sensoren) zeigten keine bedeutsamen allgemeinen Nutzungsveränderungen, Unterschiede zwischen den Branchen waren jeweils statistisch nicht bedeutsam. Dennoch fiel in Bezug auf die Nutzung digitaler Datenaufbereitung und -Integration (unbedeutender Gesamtrückgang d = 0,14) für White-Collar-Tätigkeiten (z. B. IT mit M = 2,3; Leitung & Planung 2,1) eine häufigere Nutzung als bei Blue-Collar-Tätigkeiten (z. B. Produktion und Labor mit je 1,6) auf (η2J2 = 0,062).

Abb. 1 Fig. 1
figure 1

Nutzung digitaler Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) im Vergleich der Industriebranchen und Tätigkeitsfelder sowie Nutzung je einzelner IKT (in Prozent)

Use of digital information and communication technologies (ICTs) in comparison of industrial sectors and fields of occupation, use per individual ICT (in percent)

Insgesamt wurden digitale Systeme 2022 durchaus stärker als Unterstützung und Erleichterung erlebt (d = 0,34) (vgl. Tab. 3). Die stärksten Zunahmen zeigten sich in den Branchen Mineralöl (d = 0,87), Energie (d = 0,54) und Chemie (d = 0,48), der einzige Rückgang war im Bereich Kautschuk (d = −0,32) zu verzeichnen. Während die Unterschiede zwischen den Branchen dennoch gering blieben (η2B2 = 0,023), zeigten sich auf Tätigkeitsebene scherenförmig zunehmende, nun hoch bedeutsame Unterschiede (von η2J1= 0,129 auf η2J2= 0,214): In den White-Collar-Bereichen wurde die Unterstützung und Erleichterung durch digitale Systeme als positiv erlebt (IT mit M = 4,0, Verwaltung 3,7, Leitung und Planung 3,6) und es fanden sich auch mittel bedeutsame Zuwächse (d = 0,72–0,61), dagegen blieben Blue-Collar-Tätigkeiten wie z. B. die Produktion (M = 2,4, d = 0,04) konstant im niedrigeren Bereich. Die fortschreitende Digitalisierung ist also geprägt durch die zunehmende IKT-Nutzung, hiervon profitieren ebenso wie von der konkreten Unterstützung durch digitale Systeme eher Beschäftigte in White-Collar-Tätigkeitsfeldern.

Tab. 3 Table 3 Gewichtete Gesamtmittelwerte (\(\bar{X}\)) T1 und T2, Veränderungseffekte (\(d_{\bar{X}}\)), Range der T2-Mittelwerte sowie Unterschiedseffekte T1 und T2 auf Ebene der Industriebranchen (η2B1; η2B2) und Tätigkeitsfelder (η2J1; η2J2)Weighted grand means (\(\bar{X}\)) T1 and T2, change effects (\(d_{\bar{X}}\)), range of T2 scale means, difference effects T1 and T2 on level of industrial sectors (η2B1; η2B2) and fields of occupations (η2J1; η2J2)

Als konstant positiv in allen Branchen und Tätigkeitsfeldern zeigte sich die digitale Selbstwirksamkeit und Veränderungsbereitschaft der Befragten, auch Negativfaktoren wie Fremdbestimmung, berufliche Unsicherheit und Distanzierung blieben konstant gering ausgeprägt – jeweils mit unbedeutenden Branchenunterschieden und gering bedeutsamen Tätigkeitsunterschieden zulasten der Blue-Collar-Befragten (vgl. Tab. 3). Zeitliche Flexibilitätsanforderungen und die Anforderungszunahme durch digitale Systeme erfuhren entgegen einigen Vermutungen ebenfalls keine bedeutsamen Gesamtveränderung, hier lagen die gering bedeutsamen Tätigkeitsunterschiede eher zulasten der White-Collar-Befragten. Damit bestätigten sich die durchaus positiven Befunde zur Einstellung der Beschäftigten zur Digitalisierung aus der Erstbefragung 2019. Neu in 2022 wurde die Bewältigung digitaler Arbeitsanforderungen erfasst, diese wurde von den Befragten branchenübergreifend als insgesamt eher positiv eingestuft, allerdings mit mittelstarken Unterschieden (η2J2 = 0,115) zugunsten der Beschäftigten in den White-Collar-Tätigkeitsfeldern.

4.2 Steigende Isolation, geringe Unterstützung und zunehmende Irritation

Im Zuge der fortschreitenden Digitalisierung und der parallel einsetzenden Corona-Pandemie rückte die Soziale Isolation in den Fokus der Betrachtung – hierfür konnte die Follow-up-Studie sowohl Referenzdaten aus dem Jahr 2019 (vor der Pandemie), als auch Daten aus 2022 (während der Pandemie) heranziehen. Tatsächlich zeigte sich für die Soziale Isolation ein bedeutsamer allgemeiner Anstieg (d = 0,43), das Gesamtniveau blieb mit M = 2,2 allerdings noch gering bei unbedeutenden Branchenunterschieden (η2B2 = 0,004) und nur geringfügig wachsenden Tätigkeitsunterschieden (η2J2 = 0,014) (siehe Tab. 3).

Überraschend niedrig fiel 2022 die insgesamt stagnierende betriebliche Unterstützung im Zuge der Digitalisierung aus, die im Detail auch zulasten von Blue-Collar-Beschäftigten ging. Die betrieblichen Rahmenbedingungen für Weiterbildungen zum Thema Digitalisierung wurden weiterhin als nur teilweise unterstützend berichtet bei gering bedeutsamen Branchenunterschieden (η2B2 = 0,013). Markant waren die scherenförmig wachsenden mittelstarken Tätigkeitsunterschiede (von η2J1= 0,037 auf η2J2 = 0,099): Während White-Collar-Beschäftigte die Rahmenbedingungen durchaus positiv bewerteten (v. a. IT mit Zuwachs von d = 0,42 auf M = 3,5), fielen die Bewertungen in Blue-Collar-Tätigkeiten deutlich kritischer aus (v. a. Produktion mit Rückgang von d = −0,14 auf M = 2,1). Neu zur Zweiterhebung wurde die Unterstützende Führung bei der digitalen Arbeit erfasst, die sich als insgesamt breit gestreut zeigte: 41 % der Befragten berichteten von einer (eher) ausgeprägten unterstützenden Führung, 24 % berichteten von teilweise erfahrener Unterstützung, 35 % sahen wenig oder gar keine Unterstützung. Während Branchenunterschiede gering ausfielen (η2B2 = 0,015), zeigten sich mittelstarke Tätigkeitsunterschiede (η2J2 = 0,085): Eine mehrheitlich unterstützende Führung wurde v. a. in White-Collar-Tätigkeiten berichtet (v. a. in IT und F & E), dagegen waren Blue-Collar-Befragte kritischer, v. a. in der Produktion.

Als Beanspruchungsfolge war schließlich auch die Kognitive Irritation von Interesse. Hierbei wurde ein genereller Trend offenkundig: Quer über alle Branchen und Tätigkeitsfelder hinweg nahm die Kognitive Irritation von einem tendenziell noch positiven (M = 2,5) hin zu einem bereits mittleren Ausprägungsbereich zu (M = 2,8, d = 0,24); Unterschiede zwischen den Branchen (η2B2 = 0,002) und Tätigkeitsfeldern (η2J2 = 0,007) waren dabei zu vernachlässigen.

4.3 Keine Substitution, aber digitale Durchdringung und Diversifizierung

Als Beitrag zur Diskussion der verschiedenen Entwicklungsszenarien Substitution, Polarisierung und Upgrading wurden die erhobenen Daten nicht nur in Hinblick auf die beschriebenen Tätigkeitsfelder hin analysiert, sondern zusätzlich auch Verläufe und Unterschiede zwischen den Qualifikationsniveaus der Befragten untersucht. Es zeigte sich, dass Substitutionsbefürchtungen im Zuge der konstant niedrig ausgeprägten Negativaspekte (z. B. Fremdbestimmung mit M = 1,7, Beruflich-Sozialen Entkopplung mit M = 1,8–2,3 und Abgehängt-Sein mit M = 2,2), als auch der konstant unbedeutenden bzw. geringen Unterschiedseffekte zwischen den Tätigkeitsfeldern und Qualifikationsniveaus (vgl. Tab. 4) zumindest derzeit aus Sicht der Befragten eher zu verwerfen sind. Offenkundiger erschien dagegen die allgemeine Zunahme der IKT-Nutzung (d = 0,30) und empfundenen Unterstützung durch digitale Systeme (d = 0,34), die gepaart mit konstant hoch ausgeprägten Ressourcen (z. B. der digitalen Selbstwirksamkeit sowie Vollständigkeit mit je M = 4,0), aber auch der zunehmenden Qualitativen Belastung eher im Sinne einer digitalen „Durchdringung“ aller Branchen, Tätigkeitsfelder und Qualifikationsniveaus zu bezeichnen ist. Jedoch zeigten sich auch wachsende Unterschiede zwischen den White- und Blue-Collar-Tätigkeitsfeldern sowie disparate Entwicklungsrichtungen und d-Spannen zwischen den Qualifikationsniveaus. So waren z. B. die Zuwächse umso höher, je eher die Befragten im White-Collar-Bereich arbeiteten und je qualifizierter sie waren (z. B. IKT-Nutzung mit d-Spanne = 0,35, Anforderungszunahme mit d-Spanne = 0,22, Unterstützung und Erleichterung durch digitale Systeme mit d-Spanne = 0,37). Insgesamt profitierten White-Collar- und hochqualifizierte Beschäftigte stärker von der aktuellen Digitalisierung als Blue-Collar- und niedrig qualifizierte Befragte. Da die Entwicklungen für mittelqualifizierte Beschäftigte jedoch mehrheitlich zwischen jenen der hoch- und niedrigqualifizierten Beschäftigten lagen, erscheint eine Erosion dieser Facharbeiterebene als empirisch nicht gesichert, was also weniger für eine Polarisierung, sondern vielmehr für eine allgemein zunehmende „Diversifizierung“ der digitalisierten Arbeitswelt spricht.

Tab. 4 Table 4 Unterschiedseffekte T2 auf Ebene der Tätigkeitsfelder (η2Job) und des Qualifikationsniveaus (η2quali), Veränderungseffekte für einzelne Qualifikationsniveaus sowie Spanne der VeränderungseffekteDifference effects T2 on the level of fields of occupations (η2Job) and qualification (η2quali), change effects for individual qualification levels and range of change effects

5 Einordnung und Diskussion der Studie

Die vorliegende deutschlandweite Follow-up-Studie liefert verschiedene Erkenntnisse über Stand und Entwicklungstrends der Digitalisierung in verschiedenen Industriebranchen und Tätigkeitsbereichen. Es wurde deutlich, dass die Digitalisierung korrespondierend zu den Erkenntnissen der Ersterhebung im Monitor 2019 weiterhin vornehmlich geprägt ist durch den Bereich der digitalen IKT, hier aber branchenübergreifend bedeutsame Zuwächse zu verzeichnen sind. Andere Technologiebereiche wie jene der digitalen Datenaufbereitung und -Integration (z. B. Künstliche Intelligenz, Big Data), der digitalen Technologien für die Produktion (z. B. Virtual Reality, Advanced Robotic) sowie der digitalen personenbezogenen Messsysteme (z. B. Tracker, Exoskelett) wurden konstant weniger genutzt und erscheinen in der Unternehmenspraxis (noch?) ein Zukunftsthema zu sein (vgl. Bauer et al. 2019). Dies zeigt, dass betriebliche Digitalisierung weniger disruptiv und gleichzeitig in verschiedenen Technologiebereichen stattfindet, sondern eher moderat (vgl. Hirsch-Kreinsen 2018) und mit zeitlich versetzten, unterschiedlichen technologischen Schwerpunkten verläuft. Es steht allerdings zu vermuten, dass im Zuge der weiteren technologischen Entwicklung und betrieblicher Implementierungswellen die bisher in der Breite noch nachrangigen Systeme (z. B. Big Data, Künstliche Intelligenz, Virtual Reality) durchaus sequentiell nachziehen können. Interessanterweise fanden sich in Erst- und Zweitbefragung des Monitors kaum bedeutsame Unterschiedseffekte zwischen verschiedenen Betriebsgrößen und Industriebranchen.

Es zeigte sich, dass Digitalisierung im Betrieb derzeit stärker White-Collar-Beschäftigten zugutekommt und sich ein scherenförmiger Trend zur Verstärkung der Unterschiede zwischen Blue- und White-Collar-Beschäftigten abzeichnet. Dies kann zwar durchaus auch an der vornehmlich IKT-dominierten Technologieausrichtung und entsprechenden Passung zu White-Collar-Tätigkeiten liegen, allerdings waren bei White-Collar-Befragten auch die betrieblichen Rahmenbedingungen und Unterstützungsformen günstiger ausgeprägt, sodass der aktuelle Trend auch als Effekt von betrieblicher Strategie verstanden werden kann. Auch wenn die konstant positiven Grundeinstellungen der Beschäftigten quer durch alle Branchen und Tätigkeitsbereiche weiterhin als wichtige Ressource und vielversprechendes Potenzial für zukünftige Entwicklungen angesehen werden können, sollte gleichermaßen auf stärkere Unterstützung und Einbindung aller Bereichen geachtet werden, insbesondere von Blue-Collar-Beschäftigten wie z. B. in der Produktion.

Eindrücklich bestätigen auch die Befunde dieser Follow-up-Studie, dass sich Beschäftigte in der digitalisierten Arbeitswelt einer weiter fortschreitenden Intensivierung der quantitativen Belastung ausgesetzt sehen und inzwischen psychische Beanspruchungsfolgen (z. B. Irritation und Work-Life-Balance) ungünstige Entwicklungen vollziehen. So wechselte der gewichtete Belastungswert von einem mittleren in einen schon kritischeren Wertebereich bzw. die Beanspruchungsfolgen jeweils von einem noch positiven in einen inzwischen mittleren Ausprägungsbereich – und zwar nicht „nur“ für einzelne Tätigkeitsbereiche wie z. B. in der Wissens- und Dienstleistungsarbeit (BAuA et al. 2013), sondern als Gesamttrend quer über alle hier untersuchten Industriebranchen, White- und Blue-Collar-Tätigkeitsfelder hinweg.

Die im Monitor Digitalisierung 2019–2022 gefundenen Dynamiken konkretisieren verschiedene in der Literatur diskutierte Entwicklungsszenarien, dabei manifestiert sich die Verknüpfung zwischen allgemeiner digitaler Durchdringung und digitaler Heterogenisierung der Arbeitswelt. Die Ergebnisse des Monitors zeigen, dass eine allgemeine Substituierung weniger offenkundig erscheint, da durch eher moderate Technologieentwicklungen einerseits die betrieblichen Voraussetzungen (noch?) nicht vorliegen, andererseits die Befragten aber auch keine größeren Befürchtungen zur Fremdbestimmung und Verdrängung durch digitale Systeme berichteten. Bereits zur Erstbefragung (Härtwig und Sapronova 2021) war die gefühlte Überwachung und Austauschbarkeit durch digitale Technologien gering, sodass die gelebte betriebliche Praxis diesem (etwas kulturpessimistischen) Ansatz eher entgegensteht und die Substitutionsthese eher zu verwerfen ist. Naheliegender erscheinen dagegen Trends, die in der Literatur als Upgrading und Polarisierung beschrieben werden – auch wenn die hier vorliegenden Befunde einige wichtige inhaltliche und folglich auch begriffliche Präzisierungen liefern. Laut der Upgrading-These profitieren durch die neuen Anforderungen alle Beschäftigungsgruppen vom fortschreitenden Einsatz digitalisierter Technologien, indem sie neue IT-, Medien- und Prozesskompetenzen entwickeln und dadurch ein Qualifikations-Upgrading erfahren (Hirsch-Kreinsen 2015). Es stellt sich allerdings die Frage, inwieweit die allgemeine digitale Durchdringung und Anpassung von Tätigkeiten und Kompetenzanforderungen auch gleichzeitig zu einer tatsächlichen Aufwertung der Arbeit für alle Beschäftigten führt, oder es sich eher „nur“ um ein (zweifelslos wichtiges) „Updating“ auf demselben Niveau handelt. Ein „Upgrading“ sollte im handlungsregulatorischen Sinne (Hacker und Sachse 2014) mit gleichzeitiger Zunahme von z. B. planerischen Tätigkeiten einhergehen oder im humanistisch-persönlichkeitsförderlichen Sinne (Ulich 2005) z. B. mit einer Zunahme an ganzheitlichen, vielseitigen und eigenverantwortlichen Tätigkeiten. Die im Monitor gefundenen allgemeinen Veränderungseffekte bei Entscheidungsspielraum und Vollständigkeit waren (noch?) zu gering, um dieses Upgrading empirisch robust zu bestätigen. Auch wäre zu fragen, inwieweit dieser Prozess automatisch und en passant oder auch betrieblich begleitet abläuft, insbesondere da laut Monitor-Befunden die betriebliche Unterstützung und Weiterbildung nach wie vor viele Potenziale ungenutzt verstreichen lässt. Schließlich fanden sich im Monitor auch scherenförmig verlaufende Verstärkungen von Unterschiedseffekten zwischen verschiedenen Tätigkeitsfeldern sowie ungleiche Unterstützungen der Beschäftigten, die auf den ersten Blick durchaus der Polarisierungsthese nahekommen. Allerdings trugen hier erstens nicht nur qualifikations-, sondern vor allem tätigkeitsbezogene Unterschiede zwischen Blue- und White-Collar-Tätigkeitsfeldern zur Erklärung von Unterschieden bei – dies sollte auch bei zukünftigen Studien und Diskussionen berücksichtigt werden. Zweitens konnte eine Erosion des mittelqualifizierten Bereichs bei gleichzeitiger Stärkung der Ränder nicht bestätigt werden, daher sollte die fehlinterpretierbare Polarisierungsbezeichnung präzisiert werden zugunsten einer Beschreibung als allgemeine „Diversifizierung“ der digitalen Arbeitswelt.

Bei der Einordnung der Befunde sollten einige methodischen Limitation der Studie beachtet werden. So ist zunächst zu betonen, dass es sich hier um Befragungsdaten handelt, die das subjektive Empfinden der Teilnehmenden widerspiegeln. Zwar konnte die diagnostische Güte der Messinstrumente wie bereits in der Erst- auch in der Zweiterhebung bestätigt werden. Zur Erweiterung der Perspektiven wären aber noch Untersuchungen unter Verwendung objektiver bedingungsbezogener Verfahren (Rau et al. 2021) lohnend. Die insgesamt robuste Datengrundlage basiert auch auf der hohen und breit gestreuten Teilnahmezahl. Auch wenn rücklaufbedingte Verzerrungen durch Gewichtungen kompensiert werden konnten, fanden sich in einzelnen Branchen nur mäßige Teilnahmen, was die Verteilungen, Mittelwerte und Varianzen anfälliger für Extremwerte machen kann. Zukünftige Erhebungen sollten daher zielgruppenspezifische Maßnahmen zur Stärkung der Rückläufe in gering besetzten Feldern ergreifen. Gewisse Verzerrungseffekte sind auch aufgrund der onlinebasierten Erhebungsmethode denkbar. Trotz digitaler und analoger Ansprachen könnte sich der Zugang sowie die Affinität zu digitalen Technologien auf die Teilnahmewahrscheinlichkeit ausgewirkt haben. Allerdings zeigen Studien auch, dass sich onlinegenerierte Stichproben ebenso vielfältig zusammensetzen und qualitativ hochwertige Daten liefern können wie klassische z. B. paper-pencil-basierte Methoden (Gosling et al. 2004). Zudem konnten erst durch die Verwendung digitaler Erhebungsmethoden auch Beschäftigte im Homeoffice zur Hochphase der vierten Corona-Welle erreicht und eingebunden werden – rein analoge Medien hätten hier sicherlich die Stichprobezusammensetzung stärker begrenzt. Dennoch wäre die Durchführung paper-pencil-basierter Befragungen lohnend, um weitere Beschäftigte einbinden zu können. Ebenso sollte die vertiefte Betrachtung von Betrieben mit besonderen Digitalisierungsherausforderungen angestrebt werden, beispielsweise im Rahmen qualitativer Fallstudien. Und schließlich sind auch mögliche Effekte im Zuge der Corona-Pandemie wie Kontaktbeschränkungen und verstärkte Teleheimarbeit zu beachten, insbesondere auf Aspekte der Beruflich-Sozialen Entkopplung wie v. a. der Sozialen Isolation.

6 Betriebliche Implikationen und Forschungsausblick

Die vorliegende Studie zeigt, dass betrieblicher Technologieeinsatz im Zuge digitaler „Durchdringung“ und „Auffächerung“ der Arbeit auch verstärkt zugunsten Blue-Collar-Beschäftigten gestaltet werden sollte. Der konkreten Strategieentwicklung zur Einbindung, Unterstützung und Weiterbildung der Beschäftigten aller Tätigkeitsfelder und Qualifikationsniveaus fällt dabei eine zentrale Rolle zu. Aber auch psychische Effekte der Digitalisierung sollten beachtet werden, hierfür bieten sich Gefährdungsbeurteilungen sowie betriebliche regulierende Maßnahmen mit Fokus auf Belastung und Beanspruchung im digitalen Arbeitskontext an.

Für die Forschung bietet der Monitor Digitalisierung eine einzigartige Grundlage sowohl für weiterführende Analysen, als auch für die geplante Weiterentwicklung zur Panel-Studie. So könnten mit einer Drittbefragung sequentielle Entwicklungsverläufe und Zeitreihenanalysen durchgeführt werden, insbesondere auch im Vergleich der Daten vor, während und nach der Corona-Pandemie. Aufbauend auf der Breite und Qualität der vorliegenden Daten könnte die Nachhaltigkeit der hier aufgezeigten Veränderungen geprüft und die Wirksamkeit betrieblicher Maßnahmen evaluiert werden. Im Sinne eines multimethodalen Ansatzes wäre auch die Ergänzung z. B. um objektive Daten und qualitative betriebliche Fokusstudien denkbar, um eine weitere Validierung der Daten zu ermöglichen und Betriebe mit besonderen Digitalisierungsherausforderungen stärker in den Blick zu nehmen.