Das Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG 1996) verpflichtet Arbeitgeber dazu, gesundheitsgefährdende Arbeitsbedingungen zu ermitteln, zu bewerten und Maßnahmen zu deren Vermeidung festzulegen. Nach anfänglichen Unsicherheiten der für den Arbeitsschutz tätigen Akteure insbesondere in Bezug auf die im ArbSchG genannte psychische Belastung (keine wertneutrale Verwendung des Begriffs Belastung, Verwechslung zwischen Belastung und Beanspruchung, Gleichsetzung mit psychischen Störungen) besteht mittlerweile in den meisten Unternehmen Klarheit, dass mit Belastung die objektiv bestehenden Bedingungen und Merkmale der Arbeit gemeint sind. Daher gibt es wenig Veranlassung die Terminologie noch einmal neu zu fassen. Die Umsetzung der Forderungen des Arbeitsschutzgesetzes bereitet aber nach wie vor Probleme, die in diesem Beitrag ausführlicher diskutiert werden sollen: a) Die Mehrzahl der für die Ermittlung von Belastungen verfügbaren Arbeitsanalyseverfahren enthalten den Belastungsbegriff nicht oder in anderer Verwendung als vom Arbeitsschutzgesetz gemeint (Terminologie). b) Diese Verfahren enthalten keine evidenzbasierten Grenzwerte für die Bewertung der Belastung. c) Die Verfahren geben nur selten Hinweise zu konkreten Ansatzpunkten für die Ableitung von Maßnahmen.

1 Terminologie

Im Rahmen des Arbeitsschutzgesetzes wird die Belastung entsprechend des Belastungs-Beanspruchungsmodells (Rohmert 1984) im wertneutralen Sinne als Untersuchungsgegenstand benannt. Eine für das Arbeitsschutzgesetz gültige Definition findet sich in der DIN EN ISO10075‑1 (2018). Danach ist die psychische Belastung „die Gesamtheit aller erfassbaren Einflüsse, die von außen auf den Menschen zukommen und diesen psychisch beeinflussen“ (S. 6). Der Einfluss besteht durch die Anforderungen der Arbeit an den Menschen, die eine psychische Reaktion erfordern (z. B. Anforderungen an das Denken, das Gedächtnis, die Motivation etc. und damit letztlich an die psychische Regulation von Tätigkeiten). Solche Anforderungen ergeben sich aus den konkreten Arbeitsaufträgen und deren Ausführungsbedingungen. Da sich die Arbeitswelt ständig im Wandel befindet, entstehen und verschwinden Arbeitsbelastungen fortlaufend. Es lässt sich also keine vollständige Übersicht aller psychischen Belastungen erstellen. Belastungen setzen sich aus verschiedenen Einflüssen zusammen, für die Ferreira und Vogt (2021) den Begriff „Belastungsfaktoren“ vorschlagen und begründen. Um die Quellen für Belastungsfaktoren weiter zu differenzieren, führen die AutorInnen noch die Begriffe „Arbeitsbedingungen“ und „Ressourcen“ ein. Sowohl die Definition als auch die Unterscheidung der Begriffe ist in der wissenschaftlichen Literatur nicht eindeutig. Insbesondere die Trennung verschiedener Belastungsfaktoren in potenzielle Ressourcen und potenzielle Fehlbelastung (z. B. Job Demand Ressource – Modell, Demerouti und Bakker 2011; Challenge-Hindrance Stress Model, Cavanaugh et al. 2000) ist konträr zur Wertneutralität des Belastungsbegriffs. Die Vorabklassifikation von Arbeitsbedingungen in positiv (Ressourcen, Herausforderungen) und negativ (job demand, Fehlbelastung etc.) nimmt eine Bewertung vorweg, die sich erst in der Zusammenschau der Ergebnisse einer Arbeitsanalyse ergeben kann. Für das Ziel der Gefährdungsbeurteilungen ist es vollkommen ausreichend sich darauf zu verständigen, dass sich die Belastung aus verschiedenen Einflüssen bzw. (wertneutralen) Belastungsfaktoren zusammensetzt.

2 Untersuchungsgegenstand: Belastungsfaktoren

Um einen Überblick über die vorhandenen psychischen Belastungsfaktoren einer Arbeit zu erhalten, besteht der erste Schritt in einer Arbeits- bzw. Belastungsanalyse. Die dabei ermittelten Belastungsfaktoren müssen dann hinsichtlich ihres Gefährdungspotenzials beurteilt werden. Welche psychischen Belastungsfaktoren in einer Arbeitsanalyse zu untersuchen sind, ist nicht festgelegt. Es sollten zumindest alle psychischen Belastungen berücksichtigt werden, für die empirische Befunde zeigen, dass sie in bestimmten Konstellationen eine Gefährdung darstellen können. Nun nennt das Arbeitsschutzgesetz keine Indikatoren für die Bestimmung des Gefährdungsrisikos. Aber vor dem Hintergrund des Belastungs-Beanspruchungsmodells lässt sich das Gefährdungspotenzial von psychischen Belastungen aus den gesundheitlich relevanten Folgen ableiten, die während oder nach Bewältigung dieser Belastungen entstehen. Führen psychische Belastungen der Arbeit zu Beanspruchungsfolgen, die die Gesundheit beeinträchtigen, sind sie als Gefährdung zu bewerten (Rau und Buyken 2015). Leider ist auch der Begriff der „Gesundheitsbeeinträchtigung“ nicht eindeutig definierbar. Es steht allerdings außer Frage, dass eine Erkrankung als Folge einer Arbeitsbelastung eine Gefährdung der Gesundheit darstellt. Daher ist die Existenz einer Beziehung zwischen psychischen Belastungen und Erkrankungen ein Indikator für das Gefährdungspotenzial dieser Belastungen. Erkrankungen als Indikator zu verwenden, erzeugt Sicherheit bei der Beurteilung des gesundheitlichen Gefährdungspotentials von psychischen Arbeitsbelastungen, engt aber gleichzeitig den Bewertungsrahmen ein (Befindensbeeinträchtigungen wären hier keine Indikation). Zudem kann der Zusammenhang zwischen Belastungsfaktoren und Erkrankungen zwar nachgewiesen werden (Rau und Buyken 2015), doch lässt er sich nur probabilistisch formulieren. Angenommen wird, dass es Belastungen gibt, die mit einer erhöhten Gefahr von Stressreaktionen verbunden sind. Dabei muss diese Belastung nicht bei jedem einzelnen Individuum Stress auslösen. Vielmehr werden Belastungen als Bedingungen gesehen, die die Wahrscheinlichkeit des Auftretens von Stressreaktionen erhöhen. Für die Entstehung stressassoziierter Erkrankungen wird angenommen, dass das Risiko einer solchen Erkrankung mit dem Vorhandensein der Belastung erhöht ist. Aufgrund dieser Annahmen wurden in den letzten 10 Jahren Überblicksarbeiten über Metaanalysen und systematische Reviews veröffentlicht, die den wissenschaftlichen Kenntnisstand zum Zusammenhang von psychischen Belastungsfaktoren und stressassoziierten Erkrankungen aufbereitet haben (Niedhammer et al. 2021; Rau und Buyken 2015; Seiler und Jansing 2014). Die in den Überblicksarbeiten als Risikofaktoren für die Gesundheit gefundenen Belastungsfaktoren könnten als „Basissatz“ zu untersuchender Belastungsfaktoren für Gefährdungsbeurteilungen gelten. Darüber hinaus lassen sich aus der Handlungsregulationstheorie (Hacker und Sachse 2014) relevante und theoretisch gut begründete Belastungsfaktoren ableiten. Hintergrund ist, dass die psychische Regulation der Arbeitstätigkeit den Zusammenhang zwischen Belastung und Beanspruchung vermittelt (Hacker 2017). Die Handlungsregulationstheorie benennt strukturelle und funktionelle Merkmale für die psychische Regulation von Tätigkeiten, die als Inhalte Belastungsanalysen führen können. Die Analyse dieser Merkmale (bzw. Belastungsfaktoren) erlaubt dann konkrete qualitative Aussagen über die Gestaltung der Arbeitstätigkeit und deren Ausführungsbedingungen sowie die sich für Arbeitende ergebenden Anforderungen. Alle Formen einer beeinträchtigten Handlungsregulation können zu Beeinträchtigungen der Leistungsvoraussetzungen und bei längerer Exposition zu Fehlbeanspruchungsfolgen führen. Sie zeigen also mögliche Gefährdungen für die Gesundheit an. Beeinträchtigungen der Handlungsregulation können u. a. durch fehlende Belastungsfaktoren (z. B. fehlende Kooperationsmöglichkeiten, fehlende Rückmeldungen), schlecht gestaltete einzelne (z. B. zu enge zeitliche Bindungen, fehlende inhaltliche Freiheitsgrade) oder kombinierte Belastungsfaktoren (z. B. Paradox der Autonomie (Mazmanian et al. 2013; Schweden 2018)) entstehen.

3 Bewertung der Belastungsfaktoren und Maßnahmenableitung

In der Praxis werden überwiegend Verfahren eingesetzt, die auf Befragungen beruhen. Daher sind die Antworten durch die Wahrnehmung und individuellen Voraussetzungen der antwortenden Person konfundiert (vgl. Podsakoff et al. 2003). Um gefährdend zu wirken, müssen Belastungen aber nicht zwingend wahrgenommen werden (z. B. Zusammenhang von Major Depression und Arbeitsintensität in Rau et al. 2010). Zum Teil sind Items nicht bedingungsbezogen formuliert (z. B. „Meine Arbeit ist hektisch.“) oder werden im gleichen Item Belastungsfaktoren und Beanspruchungsfolgen erfasst (z. B. ERI; Rödel et al. 2006). In der Regel werden die Belastungsfaktoren hinsichtlich des Grades ihres Auftretens (Umfang/Häufigkeit) auf Likert-Skalen bewertet und die ermittelten Testwerte mittels skalenorientierter Lageparameter oder berufs-/branchenbezogener Mittelwerte (Benchmark) interpretiert (z. B. COPSOQ, Nübling et al. 2005). Eine Begründung, warum ein Testergebnis als kritisch/unkritisch bewertet werden soll, weil es über oder unter einen bestimmten Mittelwert einer Referenzstichprobe liegt, fehlt. Mehr noch, die Nutzung von Benchmarks kann zu falschen Schlussfolgerungen führen. So liegt z. B. die Arbeitsintensität seit vielen Jahren in allen EU-Ländern branchenübergreifend auf einem sehr hohen Niveau (Eurofound 2009, 2012, 2016, 2019). Der Vergleich der Arbeitsintensität eines Betriebes/einer Abteilung mit branchenbezogenen Benchmarks würde daher keine Auffälligkeit anzeigen, dennoch könnte die Arbeitsintensität zu hoch und damit potenziell gesundheitsgefährdend sein.

Eine Ausnahme bildet der „Fragebogen zum Erleben von Arbeitsintensität und Tätigkeitsspielraum“ (FIT) von Richter und Kollegen (2000) für den Mustapha und Rau (2019) kriteriumsorientierte Grenzwerte für die Entscheidung, ob eine Belastung kritisch/unkritisch hinsichtlich ihres Gefährdungspotentials ist, veröffentlicht haben.

Ein weiterer Nachteil der aktuell eingesetzten Verfahren der Belastungsanalyse ist, dass deren Ergebnisse kaum konkrete Hinweise auf Ansatzpunkte für eine Veränderung der Belastungen geben. Beispielsweise lässt sich aus dem Wissen, dass die Arbeitsintensität zu hoch ist, nicht ableiten, wo und was zu verändern ist. Damit die Ableitung von Gestaltungsmaßnahmen möglich wird, müssen Verfahren der Belastungsanalyse Skalen enthalten, deren Stufung inhaltlich beschrieben ist. Außerdem empfehlen Voskujil und Sliedregt (2002) eine Verankerung dieser Skalen am Optimum der Gestaltung des entsprechenden Belastungsfaktors. Die Bewertung der Belastungsfaktoren anhand solcher Skalen kann entweder über empirisch ermittelte Beziehungen zwischen den erfassten Belastungsfaktor und dem Auftreten von Erkrankungen/Beeinträchtigungen erfolgen (s. oben im Text) oder über Forderungen an die Arbeitsgestaltung, die in Normen oder Gesetzen evidenzbasiert zusammengestellt wurden (z. B. DIN EN ISO 6385 2016; DIN SPEC 33418 2014; Arbeitszeitgesetz 1994). Ein Beispiel hierfür ist das Verfahren „Tätigkeitsanalyse und -gestaltung – mentale Anforderungen“ (TAG-MA; Rau et al. 2021). Dieses stellt die regulierenden psychischen Vorgänge und deren Struktur ins Zentrum der Arbeitsanalyse und ermittelt die psychische Arbeitsbelastung unabhängig vom Erleben und der Wahrnehmung der Arbeitsplatzinhabenden mittels inhaltsbeschriebener und verankerter Skalen. Neben der Analyse der Arbeit erlaubt das Verfahren die Bewertung der Tätigkeitsgestaltung in der gesamten Bandbreite von gesundheits- und lernförderlich gestalteter Arbeit bis hin zu potenziell beeinträchtigender Arbeitsgestaltung. Für letzteres stellt das TAG-MA-Verfahren normorientierte kritische Werte bereit.

In der Zukunft werden likertskalenbasierte Fragebogenverfahren ihre Berechtigung behalten, wenn für sie evidenzbasierte kritische Skalenwerte vorhanden sind. Sie sind als Screeningverfahren für die Gefährdungsbeurteilung einsetzbar. Werden damit potenzielle Gefährdungen gefunden, ist eine weitere, vertiefende Arbeitsanalyse nötig, um Ansatzpunkte für die Veränderung der Belastungen durch Gestaltungsmaßnahmen zu finden.

4 Fazit

Ferreira und Voigt (2021) haben in ihrem Beitrag die Probleme, die sich aus der Verortung des Belastungs-Beanspruchungskonzepts im Spannungsfeld von Allgemeiner Psychologie und Differenzieller Psychologie für dessen Nutzung in der Praxis ergeben, offengelegt. Entgegen ihrer Einschätzung besteht aber kein Grund für die Einführung neuer Begriffe oder Modelle für die Umsetzung von Gefährdungsbeurteilungen. Vielmehr sollte an der klaren und wertneutralen Definition psychischer Belastung (DIN EN ISO 10075-1) festgehalten und das bestehende Wissen in der Praxis angewendet werden. Für die Beurteilung kritischer Belastungszustände steht mittlerweile eine Reihe von Grenzwerten zur Verfügung. Eine Ergänzung dieser durch empirisch ermittelte Grenzwerte, die auf den Zusammenhang von psychischen Belastungsfaktoren und stressassoziierten Erkrankungen beruhen, ist wünschenswert.