1 Thematisieren von interspezifischer Deutungsuntersicherheit und ›Missverstehen‹ im Diskurs

Im Folgenden soll es darum gehen, wie Deutungsunsicherheiten, die Menschen in alltäglichen Interspezies-Begegnungen erleben, in der diskursiven Praktik des ›Deutungskompetenz-Vermittelns‹ bearbeitet werden. Die Frage der Deutung und die Verbalisierung von Momenten der Deutungsunsicherheit wird insbesondere in Bezug auf ›companion animals‹ im Sinne Donna Haraways (2016) thematisiert. Hunde und Pferde leben in unserer Kultur als Gefährtentiere im nächsten Umfeld der Menschen und interagieren und kooperieren seit Jahrtausenden mit ihnen auf z. T. hochkomplexe Art und Weise, so dass kulturell geprägte humanimalische (zu diesem Begriff vgl. Wiedenmann 2009) Praktiken entstanden sind. In Bezug auf Pferde und Hunde ist ein nicht-fachlicher deutschsprachiger Diskurs entstanden, in dem häufig explizit die Ausdrücke ›Verstehen‹ und ›Missverstehen‹ (jenseits von Linguistik und Philosophie) in Bezug auf die Praxis der Interaktion mit Hunden und Pferden verwendet werden.

Von Menschen beschriebene Momente der Deutungsunsicherheit sind zahlreich auffindbar und hier Gegenstand der Betrachtung. Der Titel dieses Beitrages nimmt Bezug auf einen solchen Moment und zitiert die Äußerung von Pia, deren Hund sich während der Aufnahme eines Live-Streams ›einmischt‹, indem er an der – vor einem Schreibtisch sitzenden, frontal in Halbtotale sichtbaren – Pia hochspringt. Im nachfolgenden Transkript (s. Abb. 1) werden mit den Siglen ›Pnv‹ und ›Hnv‹ die nonverbalen Aktivitäten von Pia bzw. dem Hund beschrieben, die gleichzeitig mit Pias verbalsprachlichen Äußerungen realisiert werden. Die verwendeten GAT2-Konventionen (vgl. Selting et al. 2009) werden den Bedürfnissen einer multimodalen Erfassung von relevanten Phänomenen angepasst (genauer vgl. Rettig 2020).

Abb. 1
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Text 1 »Was willst du Hund?!« (uchihamarow 2018)

Fraglos unterstellt Pia hier ihrem Hund ein kommunikatives Tun, auch wenn die gefilmte Interaktion einen ›humoristischen‹ Inszenierungscharakter aufweist (und die Äußerungen nicht nur an den Hund, sondern auch an die Zuschauer*innen adressiert sind). Der Hund interagiert durch Annäherung, Kopfzuwendung/-bewegung, Schwanzwedeln sowie Pfoten-auf-Knie-und Schultern-Legen sichtbar mit Pia, die unterstellte Intention (das »desire«, Zeile 35) des Hundes erschließt sich ihr nach eigener Aussage jedoch nicht unmittelbar. Betrachtet man allerdings die nicht-verbale Interaktion, respondiert Pia auf die räumliche Zuwendung und das Schwanzwedeln des Hundes zunächst mit Kopfstreicheln. Und auch die weitere räumlich-körperliche Annäherung des Hundes an Pia (Pfoten auf die Knie bzw. Schultern legen) wird mit Kraulen und Pfote-Halten beantwortet. Als Pia die Pfoten des Hundes von ihren Schultern zurück auf die Knie legt, kehrt der Hund im Anschluss auf den Boden zurück. Auf Ebene des Nonverbalen ergibt sich ein sequenzieller Verlauf des Aufmerksamkeit-Forderns und Aufmerksamkeit-Gebens, der mit dem Rückzug des Hundes beendet ist. Von Pia wird dies verbal allerdings nicht als kommunikative Interaktion, sondern als Fall von Deutungsunsicherheit, als ein Fall von gänzlichem Nicht-Verstehen, gerahmt.

Auch der Textausschnitt (Tab. 1) beschreibt exemplarisch ein Moment der vom Menschen erlebten Deutungsunsicherheit, der hier aber in die Verbalisierung eines Verstehensprozesses mündet, der zu einer situativ passenden Deutung führt. Das Erlebnis der Redakteurin einer Reitzeitschrift wird in narrativer Form wie im Editorial wiedergegeben (Tab. 1).

Tab. 1 Text 2 »Was wollte die Stute nur?« (Brandt 2017)

Wie in Text 1 (Abb. 1) wird auch in Text 2 (Tab. 1) ein Moment der Deutungsunsicherheit bei – hier erst im Lauf der Interaktion zugeschriebener – kommunikativer Absicht der tierlichen Interaktionspartnerin relevant gemacht und verbal expliziert: »Was wollte die Stute nur?« wird in Zeile 6 gefragt. Dieser Textausschnitt zeigt bereits exemplarisch auf, dass diskursive Praktiken des Deutungskompetenz-Vermittelns und Interaktionspraktiken unmittelbar miteinander verschränkt sind (vgl. genauer dazu Abschnitt 5), insofern, als in Text 2 (Tab. 1) im Sinne eines hermeneutischen Verstehenskonzeptes ein Prozess beschrieben wird, bei dem das erlernte Wissen um Deutungsmöglichkeiten das aktuelle ›Verstehen‹ des Pferdeverhaltens beeinflusst: Das erworbene Wissen über Deutungsmöglichkeiten des Blickverhaltens von Pferden führt – so schildert es der Text (vgl. Zeile 8–9) – dazu, dass die Reiterin in die Lage versetzt wird, das Verhalten des Pferdes als Aufforderung, Wasser in die Tränke zu füllen, zu interpretieren.

Im Fokus stehen nachfolgend solche interspezifischen Interaktionssituationen, in denen (wechselseitiges) Deuten von menschlichem und tierlichem Verhalten von menschlichen Expert*innen, praxiserfahrenen Tierhalter*innen oder unmittelbaren Interaktionsteilnehmer*innen im nicht-fachlichen Diskurs als potenziell problematisch oder prinzipiell erklärungsbedürftig gerahmt und in vermittelnder, lehrender Absicht Möglichkeiten der Deutung thematisiert und dargestellt werden. Solche Deutungsthematisierungen finden sich in beobachtbarer Interaktion, aber auch in Büchern und Zeitschriften, auf Instagram, in Podcasts, auf Web-Seiten, in YouTube-Videos und TV-Sendungen. Im vorliegenden Beitrag wird es um diese diskursiven Deutungsthematisierungen gehen, bei denen das Ziel der sprachlichen Darstellungen das angemessene wechselseitige ›Verstehen‹ von Mensch und Hund bzw. Mensch und Pferd ist. Häufig wird dabei explizit vom ›Vermeiden‹ von sogenannten ›Missverständnissen‹ gesprochen. So kommt der Begriff in Buchtiteln vor, wie etwa in Sprich Hund! Körpersprache verstehen, Missverständnisse vermeiden (Jacobs 2023) oder in Blogartikeln mit Überschriften wie »Die 12 größten Missverständnisse zwischen Mensch und Hund« (herz-für-tiere-de, 12.03.2021) oder in einem Podcast mit dem Titel »5 Missverständnisse zwischen Mensch und Pferd« (Seelenfreunde Tierakademie (o.J.)).

Anhand exemplarischer Analysen von Deutungsthematisierungen wird ›Deutungskompetenz-Vermitteln‹ im Folgenden als eine musterhaft beschreibbare Diskurspraktik herausgearbeitet und typologisierend beschrieben. Insbesondere wird betrachtet, welche typischen Erklärungen und Deutungsmaximen dabei für das wechselseitige ›Missverstehen‹ von Menschen, Hunden und Pferden in Anschlag gebracht werden und inwiefern Artgrenzen überschreitende Verstehensmöglichkeiten konzeptualisiert werden.

Es ist bei der Betrachtung der Deutungsthematisierungen dabei nicht relevant, ob die angebotenen Deutungen und Erklärungen dem aktuellen Stand ethologischer Forschung entsprechen – das tun sie sicherlich nur zum Teil. Die im Folgenden herausgearbeitete Praktik des ›Deutungskompetenz-Vermittelns‹ konstruiert jedoch ein bestimmtes Mensch-Hund- bzw. Mensch-Pferd-Verhältnis: Allein durch ihr frequentes Vorkommen im Diskurs etabliert eine solche Praktik grundlegend das tierliche Gegenüber als adressable/n Interaktionspartner*in, der/die mit kommunikativen Fähigkeiten ausgestattet ist (vgl. Fuchs 1997, S. 60; Steen 2022, S. 68–75).

2 Verstehen und Missverstehen in linguistischer Perspektive

Wenn man Missverstehen und Deutungsunsicherheiten thematisiert, rückt auch der Begriff des Verstehens in den Fokus. Menschliche Kommunikation ist in linguistischer Perspektive keine einfache Übertragung von codierter Information nach einem Shannon-Weaver’schen Containermodell, das in seinen Begrifflichkeiten aus technizistischen Metaphern besteht. Busse (1994) formuliert deutlich die Unangemessenheit eines Modells, das annimmt, »das in der Kommunikation Übermittelte sei ein einheitlicher, deutlich abgrenzbarer und mit sich im Prozeß der Übertragung […] stets identisch bleibender, quasi-dinghafter Gegenstand« (Busse 1994, S. 2), und stellt als einen zentralen Mangel heraus, dass eine solche Konzeptualisierung »die Eigenleistung, die der Rezipient einer sprachlichen oder sonstwie in Zeichen gefaßten ›Mitteilung‹ zum Verstehen erbringen muß« (Busse 1994, S. 2), verkennt. Jede multimodale Äußerungsgestalt muss von den jeweiligen Rezpient*innen nicht nur auf verschiedenen kommunikativen Ebenen (vgl. dazu etwa Modelle, wie bereits bei Kallmeyer 1985 dargelegt), sondern auch je kontext- und situationsabhängig und unter Einbeziehung seiner/ihrer Wissensbestände gedeutet – und das heißt in einem bestimmten Sinn ›verstanden‹ – werden. Dabei ist menschliches Verstehen ein interaktiver Prozess (s. dazu den letzten Absatz dieses Kapitels), und Missverständnisse sind dabei, wie Volker Hinnenkamp (1998, S. 8) betont, ein »Bestandteil unseres alltäglichen Lebens, unseres Handelns, unserer Kommunikationen«. Dabei kann man mit Hinnenkamp (1998) auch Unverständlichkeit, wie sie z. B. bei akustischer Unverständlichkeit auftritt, von der eigentlichen Missverständlichkeit abgrenzen.

Verstehen kann zudem als prinzipiell graduell bezeichnet werden. Magdalena Putz ordnet entsprechend Verstehen als Kontinuum ein, bei dem der »Übergang von Verstehen zu Missverstehen und Nichtverstehen […] keine klare Grenze aufweisen« (Putz 2007, S. 96) kann. Auch Arnulf Deppermann fasst Verstehen vs. Nicht-Verstehen nicht als einfache Dichotomie auf:

»Verstehen ist immer perspektivisch und aspektuell. Gewisse Bedeutungsdimensionen von Partnerbeiträgen können sehr gut verstanden worden sein, während andere problematisch sind, ausgeblendet werden oder eventuell für die Zwecke der Interaktion auch gar nicht weiter interessieren« (Deppermann 2013, S. 2).

Und Wolfgang Falkner (2007, S. 6) hält in diesem Sinn fest: »In der Regel können wir nicht von einer objektiven, unstreitig verhandelbaren Wahrheit ausgehen, was das ›Gemeinte‹ in der Interaktion angeht«.

Genauer betrachtet kann Verstehen/Missverstehen für die menschliche Kommunikation auf verschiedenen Dimensionen untersucht werden, etwa in Bezug auf das Verstehen einzelner Lexeme i.S. von Wortbedeutung, in Bezug auf die ganze Äußerungsbedeutung oder – unter pragmatischer Perspektive – in Bezug auf den kommunikativen Sinn. Deppermann (2013, S. 1) identifiziert als klassische linguistische Gegenstände des Verstehens »das Verstehen von Propositionen, Referenzen und Koreferenzen, Intentionen und Kohärenzbeziehungen zwischen Handlungen«. Dabei wird nach Deppermann Verstehen im Gespräch primär in Bezug auf die Handlungsaspekte verdeutlicht und bearbeitet. Entsprechend schreiben wir dem/der Gesprächspartner*in dann Verstehen zu, so Deppermann, wenn er/sie unsere Handlungserwartungen erfüllt hat – geschieht dies nicht, hat kein ›Verstehen‹ stattgefunden: »Handelt alter erwartungsinkongruent, dann wird präferenziell die Ursache darin gesucht, dass alter nicht über die von ego als notwendig erachtete Verstehensgrundlage verfügt« (Deppermann 2008, S. 257, Herv. i.O.). Auch bei Hinnenkamp (1998) wird die Diskrepanz zwischen Intendiertem und Verstandenem als zentrale linguistische Konzeptualisierung von Missverstehen thematisiert.

Grundsätzlich sind Verstehen – und Missverstehen – als mentale Vorgänge nicht unmittelbar empirisch überprüfbar oder messbar. Wie Rainer M. Wiedenmann betont, sind hier letztlich gleiche Grundbedingungen für Mensch-Tier- und Mensch-Mensch-Kommunikation anzusetzen, insofern als

»erfolgreiche Kommunikation nicht in einer quasi authentischen Übertragung einer bestimmten Information von Alter zu Ego besteht, und ebenso wenig in einem ›authentischen‹ Erfassen des von Alter mit seiner Mitteilungshandlung verbundenen subjektiv gemeinten Sinns. Ebenso wie bei zwischenmenschlicher Kommunikation oder bei der Beobachtung einer Fledermaus (Nagel 1974) bleibt eine letztlich unhintergehbare Intransparenz des anderen psychischen Systems. So werde ich z. B. niemals wirklich unverzerrt oder originär nacherlebend verstehen können, was Kater Carlo während seines Miauen ›wirklich‹ bzw. ›genau‹ meint, erlebt, intendiert, fühlt.« (Wiedenmann, im Druck)

Analysierbar ist allerdings, wie Verstehen und Miss- bzw. Nichtverstehen im menschlichen Dialog angezeigt und bearbeitet werden. Verständnissicherung ist eine zentrale interaktionale Aufgabe in der menschlichen Kommunikation. Auch wenn der/die Kommunikationspartner*in Verstehen signalisiert, bedeutet dies allerdings nicht notwendigerweise, dass er/sie das Rezipierte in der von dem/der Sprecher*in gemeinten Weise verstanden hat. Beobachtbar sind nur Formen, Verfahren und Displays der verbalen und nicht-verbalen Verstehensdokumentation, wie z. B. metasprachliche Thematisierungen von Verstehen/Missverstehen oder bestätigende Rückmeldesignale. Grundlegend in diesem Zusammenhang ist für gesprächs-/interaktionslinguistische Analysen vor allem die bekannte »next turn proof procedure« (Sacks/Schegloff/Jefferson 1974), bei der die Verstehensleistungen anhand der unmittelbar folgenden Aktivtäten der Rezipient*innen – die damit ihr Verständnis beobachtbar zum Ausdruck bringen – untersucht wird, ebenso wie die wiederum daran anschließende Reaktion des/der ursprünglichen Produzent*in. Dabei wird Nicht-Verstehen, wie Putz (2007, S. 99, mit Bezug auf Marti 2001) aufzeigt, auch implizit, etwa durch Abbruch oder Ignorieren (z. B. beim Nicht-Befolgen einer Aufforderung oder dem Nicht-Beantworten einer Frage) deutlich – also dann, wenn, wie bei Deppermann ausgeführt, eine Handlungserwartung nicht erfüllt wird.

3 Verstehen in der Interspezies-Interaktion – die praxeologische Perspektive

Wenn man sich nun der Interspezies-Interaktion zuwendet, ist zu fragen, in welchem Sinn Tiere Menschen – und umgekehrt – ›verstehen‹ oder ›missverstehen‹ können. Dazu muss zunächst grundsätzlich angenommen werden, dass es irgendeine Form von Kommunikation zwischen Menschen und Tieren geben kann. Prinzipiell gehen mittlerweile zahlreiche Forscher*innen aus verschiedenen Disziplinen im Rahmen des posthumanistischen Paradigmas nicht mehr von einer fundamentalen Asymmetrie im Mensch-Tier-Verhältnis aus, sondern sehen die Unterschiede zwischen tierlichen und menschlichen Lebewesen als graduelle an. Obwohl Tiere keine verbale Symbolsprache im menschlichen Sinne entwickeln können, sind für viele Tierarten umfängliche soziale und kommunikative Fähigkeiten, inklusive der Fähigkeit zur Empathie, auch aus der ethologischen Forschung heraus (vgl. de Waal 2018), belegbar. Eine aktuelle Studie von Reeve/Jaques (2022) zeigt z. B. auch, dass Hunde sich respondierend auf verbales und non-verbales menschliches Verhalten beziehen (zu weiteren Beispielen aus der ethologischen Forschung vgl. etwa Rettig 2020, Rettig 2022, Wiedenmann im Druck).

Damit müssen grundlegende theoretische Fragen zum Status von Tieren gestellt werden. Dies wird vor allem diskutiert in den Human- und Cultural Animal Studies, z. B. bei Wiedenmann (im Druck) oder Steen (2022). Zentrale Themen in diesem Diskurs sind der soziale Status und der Subjektstatus von Tieren und die damit verbundene Frage, inwiefern Tieren in einem weiteren Sinn Intentionalität und/oder Agency zugeschrieben werden kann. Die Fähigkeit zur Selbstreflexivität des eigenen kommunikativen Tuns, in linguistischer Perspektive die Voraussetzung für Intentionalität, kann für tierliche Lebewesen i. d. R. nicht in gleicher Weise angenommen werden. Trotzdem lässt sich die Möglichkeit der kommunikativen Zweckgerichtetheit von tierlichem Tun in Interaktionen mit Menschen nicht bestreiten. Bei Wiedenmann (2020; im Druck) finden sich Zusammenschauen über zahlreiche theoretische Konzeptualisierungen aus Philosophie und Soziologie, die Formen von Intentionalität auf tierlicher Seite zulassen bzw. voraussetzen. Bei Steen werden Tätigkeiten verschiedener Spezies und individueller Tiere im konkreten Interaktionskontext graduell abgestuft als koordinativ oder als bedingt intentional in einem tierspezifischen Sinn konzeptualisiert (vgl. Steen 2022).

Und auch die Menschen, die in den in Abschnitt 7 untersuchten, nicht-fachlichen Kontexten über Verstehen/Missverstehen in interspezifischen Interaktionssituation schreiben oder reden, lassen durch ihre sprachliche Darstellung erkennen, dass von einer tierlichen Intention ausgegangen wird, die es zu ›verstehen‹ gilt, wenn z. B. in Text 10 (Tab. 10) formuliert wird, dass »das Pferd eine Warnung ausspricht« (vgl. Abschnitt 7.5), genauso wie davon ausgegangen wird, dass es für Menschen möglich ist, sich dem/r tierlichen Interaktionspartner*in verständlich zu machen.

Auch in den folgenden Betrachtungen kommt es nicht darauf an, ob Menschen, Hunde und Pferde sich wechselseitig ›wirklich‹ verstehen (können), sondern Gegenstand der Betrachtung ist die interaktionale und diskursive Materialität des Hervorgebrachten, hier die diskursiv hervorgebrachten Deutungsthematisierungen. Ich schließe damit an die von Steen (2022) vertretene tierlinguistisch-praxeologische Perspektive an, bei der theoretische dichotomisierende Vorannahmen der Art, wie etwa die, dass Menschen intentional handeln, Tiere sich dagegen rein instinkthaft verhalten, nicht erforderlich und auch nicht nachweisbar sind. Zentrale Faktoren bei der praxeologischen Betrachtung interspezifischen Tuns (vgl. Steen 2022, S. 193) sind dagegen

  • die (durch den Menschen hergestellte) Adressabilität von Tieren

  • die Betrachtung der Anschlussmöglichkeiten an menschliches/tierliches Tun

  • die (wechselseitige) erkennbare Funktionalität des Tuns,

In praxeologisch orientierter tierlinguistischer Perspektive muss also die theoretische Frage, ob und in welchem Maße Tiere ›wirklich‹ intentional handeln können, für die fruchtbare Analyse von Tier-Mensch-Begegnungen gar nicht beantwortet werden. Was in der Interspezies-Kommunikation ›verstanden‹ wird, ist nämlich vor allem durch die Anschlussaktivitäten deutbar: »Ob die Mitteilung des (tierlichen oder menschlichen) Anderen immer richtig verstanden wird, ist im Sinne der Tierlinguistik nicht von Bedeutung, sondern nur, wie sich die jeweiligen Bedeutungszuschreibungen auf weitere Koaktivitäten auswirken, wie diese daher beschaffen sind« (Steen 2022, S. 215).

Auch Judith Muster (2013) nimmt – aus systemtheoretischer Perspektive – in gewissem Sinn auf Anschlusshandeln Bezug. Sie stellt fest, dass Tiere von Menschen dann als Kommunikationsteilnehmer*innen, als »soziale Adresse« (Muster 2013, S. 116) konstruiert werden, wenn das tierliche Tun als Mitteilungshandeln interpretiert wird – und ob dies erfolgt ist, ist beobachtbar über einen Kommunikationsanschluss, d. h. ein nachfolgendes Mitteilungszeichen:

»Haustiere sind immer dann Teilnehmer des sozialen Systems, wenn mit ihnen kommuniziert wird. Eine solche Kommunikation findet statt, wenn ihnen Selbstreferenz unterstellt wird und ihr Verhalten als Mitteilungshandeln interpretiert wird. Ob dies passiert, lässt sich am (sic!) daran ablesen, ob auf die ursprüngliche Mitteilung ein nachfolgenden empirischen (sic!) Mitteilungszeichen folgt. Ist ein solches beobachtbar, dann zeigt dies, dass ein Kommunikationsanschluss stattgefunden hat.« (Muster 2013, S. 189)

Und auch bei Wiedenmann (in seiner spezifisch posthumanistischen Lesart des Luhmannschen Attributionsansatzes; vgl. Wiedenmann im Druck) ist nicht das ›richtige‹ Intentionsverstehen, sondern die Anschlussfähigkeit und die Unterstellung von ›Verstehen‹ das, worauf es bei Verstehensprozessen in der interspezifischen Interaktion ankommt:

»Das Verstehen tierlichen Handelns kann also nicht in einem strikt ›richtigen‹, adäquaten Verstehen des vom Tiersubjekt intendierten Sinns bestehen: Für eine hinreichend anschlussfähige und störungsfreie Mensch-Tier-Kommunikation reicht meist die Stabilisierung einer streng genommen fiktiven, ›idealisierenden‹ Verstehensunterstellung. In der Folge muss sich diese Unterstellung allerdings über die fortlaufende Anschlussfähigkeit der Verstehensakte hinreichend erneuern.« (Wiedenmann im Druck)

Es zeigen sich also aus praxeologischer und systemtheoretischer Perspektive insgesamt Parallelen in den Möglichkeiten der Analyse von Verstehensprozessen der Mensch-Mensch- und Mensch-Tier-Konstellationen: Genau wie in der menschlichen Kommunikation ist ein, wie auch immer geartetes, ›Verstehen‹ auch in der interspezifischen Kommunikation nicht direkt beobachtbar. Ob und was ein/e tierliche/r oder menschliche/r Interaktionspartner*in ›verstanden‹ hat, lässt sich aus Beobachter-Perspektive – ähnlich wie bei dem konversationsanalytischen »next turn proof procedure« – durch seine/ihre Anschluss-Aktivtäten (oder deren Ausbleiben) rekonstruieren. Muster reduziert dies, wie oben angeführt, aus der Perspektive der Systemtheorie auf »Mitteilungszeichen«, bei Steen (2022) zählen dazu im Sinne einer multimodalen, praxeologischen Perspektive alle Arten von Anschlussmöglichkeiten auf verschiedensten Ebenen – und dies ermöglicht die Analyse unterschiedlichster Tier-Mensch-Interaktionen. Umgekehrt kann das Verstehen bei menschlichen Partner*innen zudem nicht nur durch Anschlussaktivitäten analysiert werden, sondern auch anhand verbaler (oder anderer) Verstehensdokumentationen.

Zentral für das hier untersuchte diskursive Thematisieren des Verstehens und Missverstehens in der Mensch-Tier-Interaktion ist, dass Menschen im nicht-wissenschaftlichen Diskurs in aller Regel gar nicht in Frage stellen, dass Hunde und Pferde ›verstehbar‹ sind und dass sich Menschen umgekehrt so verhalten können, dass Hunde und Pferde sie ebenfalls verstehen. Inwiefern dies in bestimmten interaktionalen Settings gelingt/misslingt, wird in den untersuchten Diskursausschnitten ebenfalls z. T. durch Thematisieren möglicher Anschlusshandlungen festgemacht (vgl. dazu v. a. Abschnitt 7.1 und 7.2). Es erweist sich, dass hierbei auch für die tierliche Seite Erwartungen bezüglich der Anschlusshandlungen als gegeben angenommen werden. Es wird davon ausgegangen, dass Hunde und Pferde bestimmte Anschlusshandlungen erwarten können und die Enttäuschung dieser Erwartung eine Form des interspezifischen Missverstehens darstellt.

4 Grundbedingungen in der Interspezies-Interaktion: Verschiedene Ausdrucksressourcen

Für die Interspezies-Interaktion sind neben den zuvor genannten Aspekten des Verstehens generell besondere Bedingungen gegeben, weil die Möglichkeiten der Produktion und Rezeption des deutbaren artspezifischen Ausdrucksverhalten verschieden sind – weder können Menschen wiehern noch können Tiere sich menschlich-verbalsprachlich äußern. Dagmar Schmauks (2009) und Madlen Ziege (2020) zeigen detailliert auf, welche Möglichkeiten der Kommunikation bei tierlichen (und auch pflanzlichen) Lebewesen auf optischer, akustischer, olfaktorischer, elektromagnetischer u. a. Ebene existieren – Möglichkeiten, die häufig völlig außerhalb menschlicher Wahrnehmungsfähigkeiten und Sinnesmodalitäten liegen. Die Folgen sind erheblich: Schmauks (2009) verweist darauf, dass Tiere viel mehr Zeichen wahrnehmen, als Menschen intentional senden, derer sie sich nicht bewusst sind und die sie ggf. sensorisch auch gar nicht wahrnehmen können. Und Steen (2022, S. 212) ergänzt, dass »[u]mgekehrt Menschen weniger Zeichen wahr[nehmen], als Tiere produzieren und deshalb nicht auf sie antworten«.

Entsprechend kann man unter den Begriff ›Unverständlichkeit‹ in der Interspezies-Interaktion jene Fälle fassen, in denen Tiere oder Menschen artspezifische Ausdrucksressourcen verwenden, die vom Interaktionspartner*in nicht wahrnehmbar/rezipierbar sind. Darunter fallen einfache Formen von akustischer Unverständlichkeit, wie sie z. B. in folgendem Ausschnitt aus einem Artikel von Marc Lindhorst (o.J.) auf der Martin-Rütter-DOGS-Wr.-Neustadt/Oberwart-Seite thematisiert werden: »Vielleicht hat er [der Hund] das Signal nicht wahrgenommen, da Frau Weber das Wort ›Sitz‹ so leise gesagt hat, dass er es einfach nicht hören konnte«. ›Missverstehen‹ oder ›Nicht-Verstehen‹ im engeren Sinn kann jedoch entstehen, wenn prinzipiell wahrnehmbares Ausdruckverhalten entweder gar nicht beachtet oder nicht angemessen gedeutet wird.Footnote 1 Auch hier findet sich das in Semiotik und Tierlinguistik allgemein Konzeptualisierte in anwendungsbezogener Form im populären Diskurs wieder und wird als Ursache für ›Missverstehen‹ angesehen. So schreibt Alena Brandt (2017) auf der Cavallo-Seite:

»Pferde sind meist still. Und doch sprechen sie die ganze Zeit. Wirklich? Ja, in der Tat: Ein Blick, eine Bewegung, eine Berührung – so senden Pferde Signale in Sekunden. Die Fluchttiere sind Meister der schnellen Kommunikation. Doch an uns Reitern rauscht die Nachricht oft vorbei. Genauso passiert es, dass wir dem Pferd mit unserer Körperhaltung etwas mitteilen – aber es überhaupt nicht merken. Missverständnisse sind die Folge.« (Brandt 2017)

Wie in den Analysen im Folgenden ersichtlich ist, werden im Diskurs um Deutungskompetenz verschiedene sprachliche Konzeptualisierungen von Verstehen und Missverstehen deutlich, die zeigen, dass mit Selbstverständlichkeit den Tieren ein Status als adressable Kommunikationspartner*innen zugeschrieben wird und in vielen Fällen implizit von einer kommunikativen Zweckgerichtetheit des tierlichen Tuns ausgegangen wird. Vor dem Hintergrund des bisher Gesagten soll es nun darum gehen, wie Menschen interspezifisches Deuten, Deutungsunsicherheit und Mehrdeutigkeit diskursiv verhandeln. Ich spreche hier von der Praktik des ›Deutungskompetenz-Vermittelns‹, die im Folgenden genauer erläutert und analysiert wird. Zunächst soll allerdings der Begriff der Praktik etwas genauer umgrenzt werden.

5 Interaktionspraktiken, diskursive Praktiken, Metapraktiken

Generell ist der Begriff der Praktik geeignet, um analytisch auf Mensch-Tier-Begegnungen – ob im interaktionalen oder im diskursiven Raum – zuzugreifen, da er auf eine ganzheitliche, multimodale Erfassung von Interaktion abzielt. Ein solcher für Interspezies-Kontexte geeigneter Praktiken-Begriff ist im praxeologischen Sinne auf das performative Tun fokussiert – wie zuvor bereits ausgeführt (vgl. dazu genauer Steen 2022; Rettig/Steen im Druck). Die sich herausbildenden humanimalischen Praktiken, die Mensch-Tier-Beziehungen und Mensch-Tier-Verhältnisse konstituieren, sind hierbei Gegenstand der Betrachtung. Dabei werden interaktionale und diskursive Praktiken unterschieden. Bei den interaktionalen Praktiken geht es um das Tun von realen Menschen und realen Tieren in beobachtbarer Interaktion, Kooperation und Begegnung. Bei den diskursiven Praktiken geht es um das Tun von Menschen als das Sprechen/Schreiben über Tiere und Mensch-Tier-Verhältnisse sowie alle anderen Formen der (multimodalen) medialen Bezugnahme auf Tiere und Tier-Mensch-Begegnungen.

Dabei stehen die beiden Praktiken-Bereiche in Wechselbeziehung: Diskursive Praktiken entstehen nicht ohne Beteiligung von realen Tieren, sie verweisen auf reale Tiere und Menschen und können als materiell-semiotische Knoten verstanden werden (vgl. dazu etwa die Studie zu diskursiven Schemata der Wolfskonstruktion bei Steen/Schmid 2021). Mich interessieren besonders Praktiken, die sozusagen ›zwischen‹ rein diskursiven und empirisch vorliegenden und beobachtbaren interaktionalen Praktiken anzusiedeln sind. In den als ›Metapraktiken‹ bezeichneten Praktiken werden Interspezies-Begegnung und -interaktion diskursiv thematisiert und zum Gegenstand gemacht. Es sind in dem Sinn ›Metapraktiken‹, als dass explizit ›über‹ interspezifische Verhältnisse und -interaktionen – über Mensch-Tier-Praktiken – gesprochen/geschrieben wird. Sie sind auf der Handlungsebene Praktiken des Lehrens, Vermittelns und Erklärens in Bezug auf interspezifische Interaktion, oftmals bestimmt für die Anwendung und Umsetzung in realer interspezifischer Interaktion. Ihre Besonderheit ist, dass sie entstanden sind aus der Interaktionspraxis und auf die Interaktionspraxis zurückwirken sollen. Sie sind i. d. R. gesättigt durch Erfahrung und Praxis und ggf. Fachkompetenz in Bezug auf reale Interaktionssituationen. Sie sind stets verbunden mit einer Form von medialer Darstellung nicht-fiktionaler Mensch–Tier-Interaktionen durch verbales Berichten/Erzählen, bildliches Darstellen oder filmisches Dokumentieren/Inszenieren. Sie haben deshalb das Potenzial, sich in besonderer Form handlungsleitend auf Performanz und Deutung in interspezifischen, realen Interaktionssituation auszuwirken.

In diesem Kontext ist von Bedeutung, dass insbesondere solche lehrenden diskursiven Praktiken Wissen und Erwartungen prägen, die unmittelbar in die konkreten Interaktionssituationen hineinwirken. Verschiedene Formen der Realisierung solcher Praktiken haben im aktuellen, nicht-fachlichen Diskurs, gerade auch durch die Verbreitung von allen Arten von ratgebenden und lehrenden Texten und Filmen auf digitalem Weg, eine große Reichweite erlangt und werden breit rezipiert, häufig in der Absicht, daraus ›Anleitungen‹ für konkrete Interspezies-Interaktionen zu gewinnen. Sowohl für Mensch-Mensch- als auch für Mensch-Tier-Interaktionen lässt sich deshalb für die Menschenperspektive mit Dietrich Busse feststellen, dass

»die Nicht-Reduzierbarkeit von Kommunikation auf Zeichendeutung […] sich aus den nicht-symbolhaften Elementen, die in jeder vollständigen Analyse des Kommunikations- und Verstehensereignisses berücksichtigt werden müssen, [ergibt]. Erwähnen möchte ich nur solche sozialpsychologisch bedeutsamen Faktoren wie Erwartungen der Kommunikationspartner aneinander bis hin zu den als Erwartungserwartungen beim Gegenüber unterstellten Intentionen, Kommunikationszielen usw., also all die Faktoren, die auf die eigenen Kommunikationserfahrungen eines Verstehenden zurückgehen.« (Busse 1994, S. 9)

Ein Teil des verstehensrelevanten Wissens ist, so Busse, dabei diskursiv-abstraktes Wissen. So beeinflussen auch in diesem generellen Sinne die diskursiven Metapraktiken das Wissen, die Erwartungen und damit das situationelle Handeln von Menschen in konkreten Mensch-Hund- und Mensch-Pferd-Begegnungen – ein Zusammenhang, den der eingangs zitierte Text 2 (Tab. 1) über die menschliche Interpretation des pferdlichen Blickverhaltes explizit ausformuliert und der sich z. B. in einer psychologischen Fragebogen-Studie von Bettina Stemmler (2011) zum Einfluss von kynologischem Fachwissen auf die Qualität der Mensch-Hund-Beziehung spiegelt.

Je nachdem, welchen Aspekt man fokussiert, können verschiedene Metapraktiken subklassifiziert werden. So kann man z. B. den Fokus auf die Fähigkeit zur allozentrischen, empathischen Einfühlung in das tierliche Gegenüber legen und lehrende Praktiken des Empathisierens beschreiben (vgl. dazu Rettig 2020).

Im vorliegenden Beitrag soll es um diskursive Metapraktiken gehen, die explizit verschiedene Momente der (potenziellen) Deutungsunsicherheit aufgreifen und darauf abzielen, Deutungskompetenz in der Interspeziesbegegnung und -interaktion auf Menschenseite zu verbessern, indem bestimmte Deutungsprinzipien, die in Bezug auf konkretes Ausdrucksverhalten zu unangemessenen Deutungen führen können, explizit oder implizit thematisiert werden. Inwiefern hiermit eine – ggf. fragliche – Annahme verknüpft ist, dass es in der Interspezies-Interaktion mit Hunden und Pferden stets eine Art kommunikativer Eindeutigkeit herstellbar ist, wird abschließend diskutiert.

6 Die Praktik ›Interspezifische Deutungskompetenz vermitteln‹

Im Folgenden wird auf der Basis von exemplarischen Analysen von Texten und Videoausschnitten die Musterhaftigkeit der Praktik ›Interspezifische Deutungskompetenz vermitteln‹ herausgearbeitet. Es werden verschiedene Realisierungen der Praktik beispielhaft dargestellt und in typologisierender Absicht bestimmt, welche Arten von ›Deutungsfehlern‹ die jeweiligen Realisierungen aufzeigen. Hierzu wird auf die zuvor hinzugezogenen Konzeptualisierungen von (interspezifischem) ›Verstehen‹ Bezug genommen. Anhand des folgenden Textauszuges (Tab. 2) soll zunächst die Praktik im Sinne einer Musterbeschreibung mit variabel besetzbaren Positionen am konkreten Beispiel verdeutlicht werden.

Tab. 2 Text 3 »Die Sache mit dem Schwanzwedeln« (Cordula König 2020)

Die Interaktion mit dem Hund wird in Text 3 (Tab. 2, s. unten) zunächst eindeutig als kommunikativ und an den Menschen adressiert konzeptualisiert: Der Hund zeigt ein Verhalten, das Schanzwedeln (hier als »Signal« in Zeile 1 benannt), das deutungsoffen ist und vom Menschen »missverstanden« (Zeile 1) werden kann und damit die Mensch-Hund Interaktion als potenziell problematisch rahmt. Der Text hat lehrende Funktion, er soll ein interspezifisches ›Missverstehen‹ vermeiden und dem/der Leser*in ermöglichen, zukünftig das hundliche Ausdrucksverhalten situativ angemessen zu deuten. Es wird dabei implizit von eindeutigen Intentionen des Hundes ausgegangen, die mit dem Ausdrucksverhalten verknüpft sein können. Dies zeigt sich an den gewählten Bezeichnungen für die unterstellten, an die menschlichen Interaktionspartner*innen adressierten, kommunikativen Handlungen des Hundes: Er »begrüßt« Familienmitglieder (Zeile 7), »drückt […] Freude aus« (Zeile 7) oder vermittelt eine »Warnung« (Zeile 9). Es wird ein bestimmtes Ausdrucksverhalten, das Schwanz-Wedeln, benannt/beschrieben, das explizit als erklärungsbedürftig (»wird […] missverstanden«, Zeile 1) gerahmt wird. Es wird eine situativ potenziell falsche Deutung benannt, nämlich ›Freude ausdrücken‹, und eine alternative, ggf. angemessenere, Deutung genannt, das ›Warnen‹. Es wird ein Deutungsprinzip expliziert, das die angemessene Deutung ermöglichen soll, nämlich: »die Situation berücksichtigen und die übrigen Körpersignale« (Zeile 4). Beispielhaft für diese »übrigen Körpersignale« wird zum einen das Wackeln mit dem ganzen Hinterteil (Zeile 5) beschrieben und zum anderen Anspannung und Anstarren des Gegenübers (Zeile 7). Für den Faktor ›Situation‹ wird die Begrüßungssituation in der Familie exemplarisch angeführt.

Anhand des untersuchten Materials lassen sich die oben am Beispiel herausgearbeiteten Aspekte frequent wiederkehrend identifizieren, so dass sich die in Tab. 3 dargestellte Musterbeschreibung der Praktik des ›Deutungskompetenz-Vermittelns‹ extrapolieren lässt.

Tab. 3 Praktik ›Deutungskompetenz vermitteln‹

7 Exemplarische Analysen von ›Deutungskompetenz vermitteln‹

Im Folgenden wird bei der Betrachtung der Schwerpunkt vor allem darauf gelegt, welche Deutungsroutinen und -maximen im Rahmen der Realisierung der Praktik ›Deutungskompetenz vermitteln‹ bei der Deutung des jeweils menschlichen, hundlichen oder pferdlichen Verhaltens implizit oder explizit thematisiert und herausgearbeitet werden und welche Erklärung damit für potenzielles interspezifisches Missverstehen angeboten wird bzw. inwiefern eine Deutungsoffenheit im Fokus steht. Prinzipiell ist es nicht verwunderlich, dass sich Menschen in alltäglichen Mensch-Tier-Begegnungen spontan Möglichkeiten der Deutung – angemessen oder weniger angemessen – erschließen, denn wie Wiedenmann (im Druck) herausstellt, existieren zahlreiche Parallelen zwischen tierlichem und menschlichem Interaktionsverhalten. Es ähneln sich etwa körperliche Routinen und Schemata, Menschen und Tiere sind nicht vollständig opak füreinander. Am Beispiel des Spielverhaltens von Menschen und Tieren wird dies bei Wiedenmann wie folgt verdeutlicht:

»Tatsächlich sind ja wichtige Strukturmerkmale spielerischer Interaktion ebenso bei Menschen wie bei zahlreichen Wirbeltierarten anzutreffen (z. B. die gestische Abgrenzung einer Spielsituation, wie die ›Vorderkörpertiefstellung‹ beim Hund; Wiederholung; Über- und Untertreibung von Verhaltenssequenzen; das Vermischen und Neuordnen von Verhaltenselementen; spielerische Drohung; Rollenwechsel und Statusumkehrung).« (Wiedenmann im Druck)

Im Folgenden werden ausgewählte Textausschnitte exemplarisch vorgestellt, aus Platzgründen können Bilder, die die verbalen Beschreibungen ggf. ergänzen, hier nicht wiedergegeben werden.

7.1 Tierliches Tun wird vom Menschen nicht als kommunikativ erkannt: Es findet gar keine Deutung und damit keine menschliche Anschlussaktivität statt

Im folgenden Textausschnitt 4 (Tab. 4) geht es erneut um die Wahrnehmung und Deutung verschiedener Formen von sogenannten ›Beschwichtigungssignalen‹, die Hunde verwenden, die etwa als ›Züngeln‹, ›Bogen-Laufen‹, ›Blinzeln‹, ›Gähnen‹, ›Abwenden‹, ›Hinlegen‹ oder ›Am-Boden-Schnüffeln‹ bezeichnet werden. Diese werden im Text zuvor beschrieben, im zitierten Ausschnitt wird das menschliche Verhalten, d. h. die ausbleibende menschliche Wahrnehmung und Deutung solcher Beschwichtigungssignale, aus Hundeperspektive als problematisch gerahmt und Ursachen und Folgen der ausbleibenden menschlichen Deutung dargestellt.

Tab. 4 Text 4 »Das kann arg frustrierend für den Hund sein« (Spaß mit Hund.de)

In Text 4 (Tab. 4) wird zunächst auf eine mögliche, eher (im Sinne Bühlers 1965) symptomatische Qualität des Ausdrucksverhaltens (Beschwichtigungssignale als »Stimmungsbarometer« (Zeile 4)) eingegangen, in der Folge werden aber andere kommunikative Funktionen in den Mittelpunkt gestellt: Das Beschwichtigungsverhalten ist »Mittel der höflichen Kommunikation« (Zeile 5) oder »Warnsignal […]« (Zeile 6). Es wird die Perspektive des Hundes fokussiert und eine Erklärung für potenzielles Missverstehen geliefert: Die Abwesenheit von Deutung durch den Menschen ist für den Hund »frustrierend« (Zeile 13). Das tierliche Tun wird vom Menschen nicht als kommunikativ erkannt (»Wir Menschen sind da oft schwerer von Begriff« (Zeile 12–13)), es finden keine, aus Hundeperspektive erwartbaren, menschlichen Anschlussaktivitäten statt. Diese erwartbaren Anschlussaktivitäten (die hier allerdings weder für Hund noch für Mensch konkret beschrieben werden) müssten Ausdruck eines – im linguistischen Sinn ›klassischen‹ – Rückmeldeverhaltens (»Ich habe dich verstanden« (Zeile 11–12)) sein oder den expressiven Ausdruck einer inneren Verfasstheit (»bin friedlich/nicht an einem Konflikt interessiert« (Zeile 12)) darstellen. Der Text ›lehrt‹ also (ganz ähnlich, wie es linguistische Höflichkeitstheorien konzeptualisieren, vgl. Holly 1979), dass durch das Ausbleiben erwartbarer Anschlusshandlungen, durch menschliche Nicht-Responsivität auf der Handlungsebene, Mensch-Hund-Interaktionen auf der Beziehungsebene missglücken können – der Hund ist frustriert (vgl. Zeile 13). Der Text beschreibt dabei für die Menschenseite keine Unverständlichkeit im Sinne Hinnenkamps (1998), denn das Ausdrucksverhalten des Hundes ist für den Menschen durchaus mit seinen Sinnen wahrnehmbar.

In diesem Ausschnitt einer Realisierung der Praktik ›Deutungskompetenz vermitteln‹ wird also anthropomorphisierend der Kommunikationsprozess in der Hund-Mensch-Kommunikation analog zur Mensch-Mensch-Kommunikation beschrieben: Auf eine bestimmte Initiative wird – aus tierlichem Blickwinkel – eine bestimmte Response erwartbar, ihr Ausbleiben sorgt für Irritation auf der Beziehungsebene. Was hier textlich aus einer imaginierten Tier-Perspektive konzeptualisiert wird, lässt sich als Nicht-Verstehen, das implizit durch den Indikator ›Ignorieren‹ angezeigt wird, einordnen (vgl. dazu Abschnitt 2). Als Ursache für die menschliche Nicht-Responsivität wird im Text »Unwissen« (Zeile 15) expliziert. Auch hier wird also angenommen, dass (vorhandenes oder fehlendes) diskursives Wissen die je konkrete Interspeziesaktion direkt beeinflusst (vgl. dazu Abschnitt 5).

7.2 Interspezifisch ähnliches Ausdrucksverhalten wird nach menschlichen Routinen gedeutet: Es erfolgt eine unangemessene menschliche Anschlusshandlung

Auch im folgenden Textausschnitt (Tab. 5) geht es um ein tierliches Verhalten, das funktional wieder als (adressiert an den Menschen) ›beschwichtigend‹, diesmal bei Pferden, bezeichnet wird. Im Unterschied zum zuvor analysierten Ausschnitt wird das Ausdrucksverhalten des Pferdes, das interspezifisch ähnlich ist (Kopf abwenden), vom Menschen durchaus gedeutet, allerdings im Rahmen menschlicher Deutungsroutinen, was zu einer unangemessenen Anschlusshandlung auf Menschenseite führt.

Tab. 5 Text 5 »Beim Menschen kommt aber eine ganz andere Botschaft an« (Alexandra Bohl 2019)

In dieser Realisierung der Praktik ›Deutungskompetenz vermitteln‹ (Text 5, Tab. 5) wird ein bestimmtes Verhalten des Pferdes, nämlich den Kopf vom Menschen wegzudrehen, thematisiert und beschrieben. Dieses Verhalten wird durch den Satz »Beim Menschen kommt eine ganz andere Botschaft an« (Zeile 4–5) als erklärungsbedürftig gerahmt und dabei durch den Begriff ›Botschaft‹ zugleich als kommunikativ und adressiert konzeptualisiert. Diese ›Botschaft‹ wird im Verlauf des Textes in der beschriebenen situativen Einbettung als »Geste des Respekts« (Zeile 15) gedeutet, als »freundliches […] Beschwichtigen« (Zeile 11–12), das für »sozialen Ausgleich« (Zeile 11) sorgen soll. Als Ursache für das Missverstehen, das daraus erwachsen kann, werden menschliche Deutungsprinzipien expliziert. Durch das Wegdrehen des Kopfes verliert sich der Augenkontakt zwischen Mensch und Pferd. Das Verweigern des Augenkontakts heißt, so erklärt der Text, in menschlicher Lesart »das Pferd passt nicht länger auf, es ist abgelenkt, es klinkt sich aus der Situation aus, es ist unhöflich« (Zeile 6–7). Durch die Deutung des tierlichen Verhaltens nach menschlichen Deutungsroutinen entsteht auch hier eine Störung auf Beziehungsebene – das Pferd ist »unhöflich« (Zeile 7). Es erfolgt ein menschliches Anschlusshandeln, das auf der Fehldeutung der angenommenen pferdlichen Intentionen basiert und das in der physisch erzwungenen Kopfdrehung besteht, mit der der Blickkontakt wieder hergestellt werden soll (»also wird der Kopf wieder zurückgezerrt«, Zeile 7–8).

Die aus Pferdeperspektive erwartbare Anschlusshandlung ist hier nicht expliziert, aber es wird deutlich, dass vom Pferd auf keinen Fall wechselseitige Blickzuwendung erwartet wird und dass das erzwungene Kopfzuwenden nun umgekehrt ebenfalls zu einer Störung der Beziehungsebene führt: Das Pferd deutet – so formuliert der Text – das Anschlussverhalten des Menschen als eine »unflätige« (Zeile 15) Kommentierung seiner freundlichen respektvollen Verhaltensäußerung. Auch hier werden also Analogien zur Mensch-Mensch-Interaktion hergestellt und tierliche Intentionen ›übersetzt‹, auch hier wird, wie in Text 4 (Tab. 4), der Begriff ›Höflichkeit‹ verwendet. Das, was der Text beschreibt, ließe sich in Termini der linguistischen Höflichkeitstheorien wiederum als wahrgenommene wechselseitige Imageverletzung bezeichnen, die auf unterschiedlichen Interpretationsroutinen des Ausdrucksverhaltens beruht. Auch hier wird keine prinzipielle Unverständlichkeit der Geste des Pferdes konstruiert, sondern wiederum ein fehlendes menschliches Wissen und eine generell asymmetrische Kommunikationssituation, in der, wie der Text kritisiert, der Mensch Kontrolle erzwingen möchte. Zudem macht der Text sehr deutlich, dass auch das Pferd in der geschilderten Situation versucht, sinngebende Deutungsprozesse zu vollziehen, indem davon gesprochen wird, dass der Mensch durch seine – aus Pferdesicht unpassende – Anschlusshandlung schwer ›lesbar‹ (Zeile 14) wird. Hier handelt sich um etwas, das man – in Analogie zur interkulturellen Kommunikation – mit Putz (2007) nicht im engeren Sinn als ›Missverstehen‹, aber als ›(konstruiertes) Nicht-Verstehen‹ bezeichnen könnte (vgl. Abschnitt 2).

7.3 Die Deutung von interspezifisch gleichem Ausdrucksverhalten nach menschlichen Deutungsroutinen erzeugt sowohl angemessene als auch unangemessene Deutungen

In Bezug auf Hunde wird die Nicht-Anwendbarkeit menschlicher Deutungsroutinen in Realisierungen der Praktik ›Deutungskompetenz vermitteln‹ häufig in Bezug auf das hundliche Gähnen thematisiert. Es wird expliziert, dass das Gähnen von Hunden nicht ausschließlich analog zum Gähnen von Menschen deutbar ist, also auch hier (wie auch in Text 5, Tab. 5) gleiches Ausdrucksverhalten nicht grundsätzlich gleichzusetzen ist mit gleichen (angemessenen) Deutungsmöglichkeiten. Diese Strategie findet sich auch im Blog »Spaß mit Hund« (Text 6, Tab. 6) unter dem Titel »Beschwichtigungssignale: Hunde besser verstehen«. Das menschliche und hundliche Gähnen wird, so Text 6 (Tab. 6), von vielen Menschen einseitig als indexikalisches Zeichen von Müdigkeit und damit als überartlich einheitlich deutbar verortet: Hunde gähnen »genau wie wir« (Zeile 1). Mit der zusätzlichen Deutung des Gähnens als selbst-beruhigendes Beschwichtigungsverhalten, von der implizit unterstellt wird, dass ›Hundebesitzer*innen‹ diese nicht kennen, wird hier aber zugleich Gemeinsamkeit und Unterschiedlichkeit bei der Deutung des artübergreifend gleichen Ausdrucksverhaltens direkt kontrastiert. Ähnlich wird auch in der Realisierung von ›Deutungskompetenz vermitteln‹ in Text 7 (Tab. 7), einem Blogbeitrag von Connie Nuxoll, verfahren. Das Gähnen wird durch die Äußerung »bei Hunden verhält es sich ein bisschen anders« (Zeile 2–3) als erklärungsbedürftig gerahmt. Dann wird auch hier die Deutungsmöglichkeit ›Müdigkeit‹ explizit kontrastiert zu anderen Deutungsmöglichkeiten.

Tab. 6 Text 6 »Hunde gähnen genau wie wir« (Spass-mit-hund.de)
Tab. 7 Text 7 »Bei Hunden verhält es sich ein bisschen anders« (Connie Nuxoll o.J.)

In Text 7 (Tab. 7) werden zudem drei weitere Deutungsmöglichkeiten für das hundliche Gähnen aufgeführt: Gähnen als (laut Text) auf Empathie beruhendes Gähnen, als Zeichen von Bindung (»Dein Hund gähnt, weil er dich liebt«), Gähnen als (indexikalisches) Anzeichen von Stress, Gähnen als kommunikatives Beschwichtigungsverhalten (»Dein Hund gähnt, um Konflikte zu vermeiden«). Auch hier wird also deutlich herausgearbeitet, dass menschliche Deutungsroutinen, übertragen auf die tierlichen Interaktionspartner*innen, einerseits zu angemessenen, anderseits aber auch zu unangemessenen Deutungen führen können.

In Text 8 (Tab. 8) beginnt die Realisierung der Praktik ›Deutungskompetenz vermitteln‹ sogar mit der ›Fehlerdiagnose‹ und es wird expliziert, dass das Übertragen menschlicher Deutungsroutinen zu unangemessener Deutung führt: »Automatisch übertragen viele diese Annahme auch auf Hunde« wird in Zeile 2–3 formuliert.

Tab. 8 Text 8 »Automatisch übertragen wir diese Annahme auch auf Hunde« (Solvejg Hoffmann 2022)

Angesprochen wird auch hier eine angenommene Ähnlichkeit zwischen Menschen und Hunden: »Hunde sind uns in vielen Dingen ausgesprochen ähnlich« (Zeile 4). Diese prinzipielle Ähnlichkeit führt, so stellt es der Text dar, sowohl zu angemessenen als auch zu unangemessenen Deutungen des tierlichen Verhaltens. Thematisiert wird auch hier explizit das Gähnen aus Empathie: »Die Vierbeiner gähnen aus Mitgefühl mit, sie lassen sich also davon anstecken« (Zeile 15–16)Footnote 2. Diese Form der Empathie wird hier als überartliches Phänomen verortet: »Ein Phänomen, dass auch unter Menschen zu beobachten ist« (Zeile 16–17). Im Anschluss werden, wie in den anderen beispielhaft angeführten Texten, der Hundeperspektive angemessene Deutungsmöglichkeiten kontrastierend dargestellt: Hundliches Gähnen wird beschrieben als Beschwichtigungsgähnen, Stressgähnen und Gähnen als Übersprungshandlung (»Auch in Momenten, in denen sich Hunde überfordert fühlen, beginnen sie manchmal zu gähnen. Damit verschaffen sich die Tiere die nötige Zeit, um eine Situation einzuschätzen und sich selbst zu beruhigen«).

7.4 Menschliche Anschlussaktivität wird vom tierlichen Partner tierlich gedeutet

In der folgenden Realisierung von ›Deutungskompetenz vermitteln‹ wird der umgekehrte Fall thematisiert, in dem nämlich Deutungsroutinen auf tierlicher Seite zu einem vom Menschen nicht-intendierten ›Verstehen‹ der menschlichen Aktivitäten führen. Im Ausschnitt aus dem Zooplus-Magazin (Text 9, Tab. 9) geht es explizit um »Missverständnisse im Alltag«.

Tab. 9 Text 9 »Nun bellen wir sogar zusammen« (Zooplus.de)

Nach der Rahmung als problematisch (Hunde verstehen […] das Verhalten ihres Zweibeiners ganz anders, als dieser es beabsichtigt« (Zeile 1–2)) wird hier in einer szenischen, erzählenden Inszenierung ein situiertes tierliches Ausdrucksverhalten, nämlich das Bellen des Hundes Alto bei der Begegnung mit einem anderen Hund, gedeutet, indem die Mitteilung in menschliche Verbalsprache ›übersetzt‹ wird: »Alarm, es kommt ein Hund« (Zeile 8). Der ›sprechende‹ Hund dient vermutlich dazu, den Text unterhaltend zu machen (vgl. zum Thema ›Sprechende Tiere‹ ausführlich Steen in diesem Band).Footnote 3

Durch die Verwendung des Lexems »Alarm« (Zeile 8) wird aber auch die Äußerung handlungsbezogen für den/die Leser*in unschwer bereits an dieser Stelle der Erzählung als Warnung deutbar. Im weiteren Verlauf nimmt der beteiligte Mensch diese kommunikative Intention des Hundes aber gar nicht wahr, sondern fordert seinerseits den Hund (wie der Text nahelegt, aus Gründen der Imagewahrung) lautstark verbalsprachlich zur Unterlassung seines Tuns auf. Diese menschliche Intention wiederum ist für den Hund nicht erschließbar. Da ihm semantisches Verstehen nicht möglich ist, erzeugt die prosodische Qualität der menschlichen Äußerung die Deutung als ›Mitbellen‹ und damit seine alternative Deutung: Auch der Mensch warnt nun den fremden Hund durch seine Lautäußerung – ein aus Hundeperspektive ›passende‹ Anschlusshandlung, die die eigene Warnung kooperativ verstärkt.

Hier wird also ›lehrend‹ verdeutlicht, dass die Deutungsmöglichkeiten von Hunden unter Umständen wesentlich von menschlichen Deutungsroutinen abweichen und Ursache für ein Missverstehen sein können. Der Hund in der oben inszenierten Situation deutet das menschliche Ausdruckverhalten nicht als Aufforderung, sondern als – gemeinsam mit ihm vollzogene – Warnung. Konstruiert wird ein Missverstehen auf intentionaler Ebene, in der auch hier der Hund anthropomorphisierend dargestellt wird. Zugleich wird aber auch implizit dargestellt, dass sich die Deutungsmöglichkeiten des Hundes artspezifisch unterscheiden und er das, was für ihn wahrnehmbar ist (nämlich die menschliche Lautäußerung in ihrer prosodischen Qualität), situativ sinngebend bearbeitet.

7.5 Multimodale Gestalthaftigkeit/Komplexität des Ausdrucks wird nicht beachtet: Vereinfachte menschliche Deutungsstereotype für tierlichen Tuns führen zu einer unangemessenen Deutung

Immer wieder finden sich Realisierungen der Praktik ›Deutungskompetenz vermitteln‹, in denen es um basale Grundsätze der interspezifischen Deutung geht, die auch im linguistischen Diskurs zentrale Prinzipien der Interpretation des kommunikativen Sinns menschlicher Äußerungen darstellen. So wird in Text 10 (Tab. 10) explizit thematisiert, dass die isolierte Betrachtung und stereotype Deutung eines Elementes des Ausdrucksverhaltens ein unangemessenes Deutungsverfahren darstellt.

Tab. 10 Text 10 »Angelegte Ohren sind nicht immer ein Zeichen von Aggression« (tiergesund.de)

Es wird in Text 10 (Tab. 10) auf verfestige, stereotype Deutungsroutinen verwiesen, die eine Deutungsoffenheit verhindern: Vorausgesetzt wird, dass in Reiter*innen-Kreisen ein diskursives Wissen vorhanden ist, dass sich in der Deutungsmaxime ›Angelegte Ohren sind immer ein Zeichen von Aggression‹ festmachen lässt und dass dieses Wissen die Deutung der konkreten Situation (im Sinne des in Abschnitt 2 und 3 Ausgeführten) beeinflusst. Der explizierten Deutungsmaxime wird in Zeile 3–4 jedoch direkt widersprochen und eine angemessene Deutungsmaxime ausformuliert: »Wichtig ist, dass Sie Körperregionen nicht nur einzeln betrachten, sondern sich auf den Gesamteindruck konzentrieren, den Ihr Pferd Ihnen vermittelt« (Zeile 1–3). Alternative Deutungsmöglichkeiten ohne kommunikative Funktion werden ebenfalls benannt: Das Pferd dreht die Ohren in Richtung eines Geräusches (vgl. Zeile 4–5). Für die Deutung als Warnung werden weitere körperliche Ausdrucksaspekte konkret benannt, nämlich das angespannte Maul und die gekräuselten Nüstern (vgl. Zeile 6–7).

Zu stark vereinfachende, stereotype Deutungsmaximen werden häufig bereits durch Platzierung in (Zwischen‑)Überschriften als problematisch gerahmt, z. B. auch in Bezug auf Hunde, etwa »Wedeln zeigt Freude« oder »Wer bellt, ist angriffslustig« (Die 12 größten Missverständnisse zwischen Hund und Mensch 12.03.2021, herz-fuer-tiere.de).

7.6 Kontextabhängigkeit/Situiertheit des tierlichen Tuns wird bei der Deutung nicht in Rechnung gestellt

Wie in Text 3 (Tab. 2) bereits aufgezeigt, ist die Betrachtung der Situiertheit des tierlichen Tuns ein Faktor, der häufig in der Realisierung der Praktik ›Deutungskompetenz vermitteln‹ angesprochen wird. Gerade in Bezug auf das Thema »Schwanzwedeln« finden sich zahlreiche Realsierungen der Praktik ›Deutungskompetenz vermitteln‹, in denen die Kontextabhängigkeit als Deutungsmaxime expliziert wird. Dies lässt sich in Text 11 (Tab. 11) exemplarisch aufzeigen.

Tab. 11 Text 11 »Auch hier kommt es wieder auf den Kontext an« (Ein Herz für Tiere, Online-Magazin)

Das Prinzip »Es kommt auf den Kontext an« wird in Text 11 (Tab. 11) in Zeile 2–3 formuliert. Mögliche Kontexte – Zusammentreffen mit einem anderen Hund, mit dem eine gemeinsame unkooperative interaktionale Vorgeschichte besteht oder die Begrüßungssituation mit einem bekannten Menschen – werden dargestellt und entsprechende unterschiedliche Deutungsoptionen dargelegt (»Genervtheit« vs. »Freude« ausdrücken (vgl. Zeile 3–4)).

Ähnlich wie in Text 3 (Tab. 2) und Text 11 (Tab. 11) das Schwanzwedeln beim Hund, wird im folgenden Text 12 (Tab. 12) das Stampfen von Pferden als situiert zu deutendes Ausdruckverhalten fokussiert.

Tab. 12 Text 12 »Sein Stampfen kann auch eine Warnung sein« (tiergesund.de)

Die Deutung des Stampfens als ›Warnung‹ des Pferdes wird hier klar an situative Kontexte gebunden: Wenn das Pferd allein am Putzplatz steht, drückt sein Verhalten innere Zustände wie Unmut oder Langeweile aus oder aber den ›Wunsch‹ nach Rückkehr zur Koppel oder zum Stall (vgl. Zeile 8–9). Als ›passende‹ respondierende Anschlusshandlung wird die Erfüllung des Pferdewunsches empfohlen.

Geht dem Stampfen bereits ein weiteres als Warnung zu deutendes Verhalten des Pferdes voraus (das hier nicht genauer beschrieben wird), so ist in diesem Kontext das Stampfen ebenfalls als Warnung zu deuten, die zudem durch ein weiteres Verhalten, nämlich das Anheben des Beins, verstärkt wird. Insgesamt werden mit der Kontext- und Situationsgebundenheit der Deutung auch für das tierliche Tun dieselben basalen pragmatischen Prinzipien in Anschlag gebracht, die auch fester Bestandteil des linguistischen Diskurses für zwischenmenschliche Interaktionen sind.

7.7 Abwesenheit menschlicher Deutung: Körperbasierte Interaktionsmodalitäten bleiben unberücksichtigt und werden nicht als kommunikativ erkannt

Als ein Beispiel für zahlreiche Realisierungen von ›Deutungskompetenz vermitteln‹, in denen die Körpersprache als zu wenig beachtete Ausdrucksressource sowohl bei Hunden wie bei Pferden als problematisch/erklärungsbedürftig gerahmt wird, soll abschießend ein Textausschnitt zum Thema ›Raumbeanspruchung‹ in Mensch-Pferd-Interaktionen betrachtet werden (Text 12, Tab. 12). Im nicht-fachliche Diskurs um interspezifisches Verstehen und Deuten emergiert hier also Wissen, das bei Steen (2022, vgl. Abschnitt 4) bereits aus fachlicher Perspektive als Grundkonstellation der Interspezies-Begegnung formuliert wurde, nämlich die Tatsache, dass tierliche Lebewesen häufig viel mehr Zeichen produzieren als Menschen wahrnehmen.

Es geht in Text 13 (Tab. 13) um das Raumverhalten von Pferden, das als potenziell problematisch bezüglich der menschlichen Deutung gerahmt wird, durch die Äußerung: »Meist merken wir Menschen gar nicht, dass das Pferd über Raum beanspruchen oder geben mit uns oder anderen kommuniziert« (Zeile 2–4). Das Raumverhalten umfasst, wie der Text beschreibend darlegt, verschiedene Arten von körperbasiertem Ausdrucksverhalten beim Pferd, wie etwas das »Spiel der Ohren, die Positionierung des Kopfes, die Platzierung eines Vorderbeins, die Verlagerung des Gewichts« (Zeile 4–5). Dieses Ausdrucksverhalten ist prinzipiell für den Menschen visuell wahrnehmbar – es liegt also auch hier kein Fall von interspezifischer Unverständlichkeit zugrunde. Das körperbasierte Raumbeanspruchen geschieht aber, wie der Text formuliert, »mittels minimalistischer Handlungen« (Zeile 1–2), diese entgehen wegen ihrer Unauffälligkeit für das menschliche Auge auch der menschlichen Aufmerksamkeit. Für Pferde sind sie dagegen »überdeutliche« (Zeile 14) und »glasklare« (Zeile 6) Signale. Der Text stellt hier also artspezifische Wahrnehmungsgewohnheiten und Aufmerksamkeitsfokusse als Ursache für potenzielle Verstehensprobleme dar.

Tab. 13 Text 13 »Das Beanspruchen von Raum geschieht meist unspektakulär« (Andrea Bohl 2019)

Ähnlich wie beim »Mitbellen« des Hundehalters in Text 9 (Tab. 9) wird hier mit der Einnahme beider Perspektiven gearbeitet und die Deutungen aus Pferd/Hund-Perspektive und aus Menschenperspektive kontrastiert. In beiden Fällen wird in der textlichen Darstellung der Mensch als vollgültiger Interaktionspartner von Hund oder Pferd einbezogen. In Bezug auf das Raumverhalten wird dies wie folgt deutlich gemacht: »Pferde integrieren uns Menschen in ihr Herdenverständnis. Daher kommunizieren sie auch mit uns über Raum und lesen ganz genau, ob wir unsere Bubble behaupten, oder nicht.« (Zeile 6–8). Wie im Fall des ›Mitbellens‹ des Hundehalters deutet das Pferd das Verhalten des mit ihm interagierenden Menschen ebenfalls situativ sinngebend: »Weicht der Mensch aus – da reicht schon ein unscheinbares Neigen zur Seite, um nicht angestoßen zu werden […] schon signalisiert der Mensch dem Pferd, dass es im Herdenverband höher angesiedelt ist« (Zeile 8–10). Was für den Menschen ein nicht-kommunikatives Verhalten ist, wird vom Pferd als kommunikativ gedeutet, ohne dass sich der Mensch darüber bewusst ist.

Die Schulung der eigenen Wahrnehmung bezüglich des pferdlichen Ausdrucksverhaltens (»Achtsamkeit«, Zeile 14) und die Einübung einer gezielten kommunikativen Verwendung körperlicher Ausdrucksmöglichkeiten – angepasst an die Deutungsroutinen aus Pferdeperspektive – werden angeraten.

8 Fazit

Die bisherigen Analysen zeigen eine Vielzahl an textlichen und filmischen Dokumenten, die interspezifische Deutungsunsicherheit thematisieren und als das Realisieren einer diskursiven Praktik ›Deutungskompetenz vermitteln‹ verstanden werden können. Dabei werden implizit und explizit Konzepte aufgerufen, die auch in der wissenschaftlich-linguistischen Betrachtung der menschlichen Interaktion, des Verstehens und Deutens zentral sind, wie etwa Multimodalität, Gestalthaftigkeit, Situationalität und Kontextabhängigkeit. Unhinterfragt wird in den Realsierungen i. d. R. von tierlichen (kommunikativen) Intentionen ausgegangen, die es von Menschenseite zu ›verstehen‹ oder ›misszuverstehen‹ gibt – und umgekehrt. Hunde und Pferde werden dabei als adressable, aber auch selbst adressierende Interaktionspartner*innen konzeptualisiert. Zugleich wird davon ausgegangen, dass Hunde und Pferde ebenfalls sinngebende Deutungen des menschlichen Verhaltens vornehmen, auch wenn dies den beteiligten Menschen nicht bewusst ist, und dass auch Hunde und Pferde auf den Menschen bezogene handlungsbezogene Erwartungen ausbilden. In einem solchen angenommenen Kontext ist somit auch von Tierseite so etwas wie ein Erleben von Missverstanden- oder Nicht-Verstanden-Werden denkbar. Auch hier finden sich also auf nicht-fachlicher, praxisbezogener Ebene Grundzüge dessen wieder, was in den Human-Animal Studies, der Linguistik und Tierlinguistik theoretisch konzeptualisiert ist.

In vielen Realisierungen der Praktik wird zudem die Aufmerksamkeit auf körperbasierte tierliche und menschliche Ausdrucksmöglichketen gelenkt und dadurch im Gesamt der Stellenwert der menschlichen Verbalsprache als Kommunikationsmittel implizit und häufig auch explizit relativiert. Generell zeigt sich in der Analyse, dass nicht nur einzelne Verhaltensweisen (egal auf welcher Ausdrucksebene) thematisiert werden, sondern sich häufig ausformulierte oder erschließbare Deutungsmaximen und -routinen für den interspezifischen Kontext auffinden lassen. Dies geschieht in verschiedener Art und Weise:

  • Es werde Deutungsgrundsätze formuliert, die generell eine interspezifische Deutung positiv beeinflussen sollen und die unangemessene Vereindeutigungen vermeiden sollen (etwa: »Auch hier kommt es wieder auf den Kontext an«, Text 11 (Tab. 11), Zeile 2–3).

  • Es werden menschliche Deutungsroutinen angeführt, deren unreflektierter Übertrag auf tierliche Interaktionspartner*innen zu nicht-angemessener Deutung führt (»Aber bei Hunden verhält es sich ein bisschen anders«, Text 7 (Tab. 7), Zeile 2–3).

  • Es werden vereinfachende, stereotype tierspezifische Deutungsroutinen angeführt, mit denen Menschen hundliches und pferdliches Ausdrucksverhalten unangemessen deuten (»Angelegte Ohren sind nicht immer ein Zeichen von Aggression«, Text 10 (Tab. 10), Zeile 3–4).

  • Es werden tierliche Deutungsroutinen und -möglichkeiten angeführt, die zu einer vom Menschen nicht bemerkten hundlichen oder pferdlichen Deutung führen. (»Oft verstehen Hunde das Verhalten ihres Zweibeiners ganz anders, als dieser es beabsichtigt«, Text 9 (Tab. 9), Zeile 1–2).

Durch die diskursive Praktik des ›Deutungskompetenz-Vermittelns‹ wird insgesamt ein populäres Wissen um Bedingungen interspezifischer Interaktion generiert, das im Sinne des explizierten Begriffs der Metapraktik in die Performanz der interspezifischen Mensch-Pferd und Mensch-Hund-Interaktionen hineinwirkt. Zugleich sedimentiert sich in der Thematisierung des Missverstehens konkrete Interaktionserfahrung und Wissen um Dimensionen der Deutung in der Interspezies-Interaktion. Die diskursive Metapraktik ist dadurch ein wesentlicher Baustein zur Herausbildung interaktionaler humanimalischer Praktiken.

Die Beschreibbarkeit der Praktik des ›Deutungskompetenz-Vermittelns‹ zeigt, dass offenbar in Bezug auf die Gefährtentiere Hund und Pferd ein Interesse und ein Markt für Deutungsangebote entstanden sind. Dies zeigt zum einen, dass Hunde und Pferde zunehmend als kommunikations- und verstehensfähige Lebewesen wahrgenommen werden und ein Bedürfnis entstanden ist, ihnen mit ›richtigem‹ Kommunikationsverhalten auch auf der Beziehungsebene speziesübergreifend näher zu kommen. Andererseits zeigen viele Kontexte, in denen ›Deutungskompetenz vermitteln‹ realisiert wird, auch ein starkes Bedürfnis, durch besseres ›Verstehen‹ des/r tierlichen Interaktionspartner*in das Verhalten des Hundes oder Pferdes situativ besser und zuverlässiger steuern und kontrollieren zu können.Footnote 4

Tiere und Menschen bewegen sich in interspezifischen Interaktionssituationen im Spannungsfeld einer, wie Wiedenmann (im Druck) es formuliert, »vertrauten Fremdheit«, bei der – bei tierlichen wie menschlichen Lebewesen – von einer »letztlich unhintergehbaren Intransparenz des anderen psychischen Systems« auszugehen ist. Betrachtet man die verschiedenen Realsierungen der Praktik des »Deutungskompetenz-Vermittelns‹, so verweisen einerseits allein die vielfach thematisierten Momente der Deutungsunsicherheit auf ›Verstehen‹ als generell unsicheren, unvollständigen und interpretativen Prozess (vgl. dazu auch Abschnitt 2). Andererseits entsteht zum Teil jedoch auch der Eindruck, dass, wer nur mit genügend Wissen und ›guten Tipps‹ ausgestattet ist, Deutungsunsicherheit und Mehrdeutigkeit vermeiden könne. Da jede interspezifische Interaktionssituation – wie jede menschliche Kommunikationssituation – ein individuelles Ereignis ist, ist ein eindeutiges (wechselseitiges) Verstehen und ein Vermeiden von ›Missverstehen‹ (auch noch über Artgrenzen hinweg) jedoch nicht zu erwarten. Die Hunde-Expertin Barbara Wardeck-Mohr verweist in ihrer populärwissenschaftlichen Monographie nicht nur ständig auf die Kontext- und Situationsgebundenheit von Deutung, sondern bezieht auch den Hund als Individuum explizit mit ein, wenn sie schreibt, dass »die Persönlichkeit eines Hundes und sein individuelles Verhaltensrepertoire« (Wardeck-Mohr 2016, S. 128) berücksichtigt werden müssten und jeder Hund »seine speziellen Vorlieben beim Einsatz von Kommunikationssignalen« (Wardeck-Mohr, 2016, S. 134) habe. Ähnliches lässt sich sicherlich über Pferde sagen. Zudem ist zu bedenken, dass Menschen, selbst wenn sie es anstreben, ihre habitualisierten Ausdrucksmöglichkeiten und Wahrnehmungsroutinen nicht durch eine einfache ›Erkenntnis‹ verändern können – dies ist nur durch Üben und Trainieren möglich.

Auch wenn man also den Einfluss auf den kommunikativen Erfolg in der Interspezies-Praxis durch die Beschreibung der Praktik ›Deutungskompetenz vermitteln‹ nicht ergründen kann, so zeigt sich jedoch, dass es sich um eine zentrale Praktik zur Bearbeitung interspezifischer Deutungsprobleme und Missverständnisse handelt. Für weitere Forschungen wäre es spannend, ›Deutungskompetenz vermitteln‹ in Bezug auf andere Tier-Mensch-Konstellationen als die hier thematisierten Pferd-Mensch bzw. Hund-Mensch-Interaktionen zu untersuchen und zu fragen, ob eine ähnliche Praktik vielleicht auch in Bezug auf die Mensch-Mensch-Kommunikation existiert, denn in vielerlei Hinsicht sind sich Mensch-Tier- und Mensch-Mensch-Deutungsprozesse offenbar phänomenal ähnlich. Der hier verwendete Begriff der ›Metapraktik‹ erweist sich insgesamt als geeignet, die wechselseitige Durchdringung von diskursiver und interaktionaler Praxis in Interspezies-Interaktionen zu konzeptualisieren und zu untersuchen (zu einer detaillierteren Beschreibung und Systematisierung von ›Metapraktiken‹ vgl. Rettig/Steen im Druck; Rettig im Druck).

Abschließend sei auf den grundsätzlichen ›Nutzen‹ von kommunikativen Missverständnissen, von Uneindeutigkeit und Mehrdeutigkeit verwiesen: Gerade die interspezifischen Missverständnisse geben, wie gezeigt, auch im nicht-fachlichen Diskurs offensichtlich Anlass für eine vertiefte, breitenwirksame Beschäftigung mit den Möglichkeiten und Bedingungen des interspezifischen Verstehens. In ihrer diskursiven Bearbeitung legen Missverständnisse zentrale Prozesse des interspezifischen Deutens offen.