Zusammenfassung
Gerade in attraktiven Lagen von Großstädten wie Berlin oder international London oder Paris steigen die Mieten. Das hat vielerorts eine Debatte um bezahlbaren Wohnraum und entsprechende politische Maßnahmen ausgelöst. Was bei der öffentlichen Debatte in Deutschland auffällt ist, dass Österreich und im Speziellen Wien häufig als beispielhaft für eine gelungene Wohnungspolitik genannt werden. Allerdings scheint es dabei nicht selten der Fall zu sein, dass Wien zwar gerne als Beispiel genutzt wird, die aktuelle Verfassung und die Komplexität des österreichischen Wohnungsmarkts hingegen weniger bekannt sind. Auch liegt die Wohnkostenbelastung zwar auf einem niedrigeren Niveau als in Deutschland, allerdings steigen die Mieten in Österreich im Durchschnitt kräftiger. Betrachtet man die Entwicklung der Bruttomieten pro Quadratmeter seit 2005, so sind diese im Österreichschnitt um nominell 47 % gestiegen. In Deutschland hingegen stiegen die Bestandsmieten zwischen 2005 und 2017 lediglich um 16 %. Selbst die Neumieten stiegen mit 42 % weniger kräftig als die durchschnittlichen Bruttomieten in Österreich. Dabei entwickelten sich die Bruttomieten in Wien mit 55 % überdurchschnittlich. In der Folge werden derzeit auch in Österreich Mietpreissteigerungen und Maßnahmen zu deren Dämpfung kontrovers diskutiert. Die steigenden Mieten sprechen nicht für die Wirksamkeit bestehender Maßnahmen im Hinblick auf den langfristigen Trend zur Mietenpreissteigerung. Vor diesem Hintergrund ist fraglich, ob Österreich und Wien tatsächlich als Vorbilder für die Wohnungspolitik zur Dämpfung der Mietpreissteigerung in Deutschland dienen sollten.
Abstract
Especially in attractive locations in metropolises such as Berlin or London or Paris rents are rising. This has sparked a debate about affordable housing and related policies. In the public debate in Germany, Austria and Vienna in particular are often cited as role models for a successful housing policy. However, while Vienna is sometimes used as an example, the current constitution and the complexity of the Austrian housing market are less well-known. Although the burden of living costs is lower than in Germany, in Austria and in Vienna rents are rising as well. Since 2005, gross rents per square meter have risen by 47% in the Austrian average. Between 2005 and 2017, in Germany, rents for existing contracts only increased by 16%. Even rents for new contracts rose with 42% less than gross rents in Austria. Gross rents in Vienna rose above average at 55%. As a result, rents in Austria and measures to cushion them are currently being discussed controversially in Austria. Rising rents in combination with a very high share of tenancies subject to some form of rent regulation do not support the effectiveness of existing policies in keeping rents in check. Hence, it is highly questionable whether Austria and Vienna should serve as role models of housing policy for Germany.
Notes
Siehe Spiegel online vom 7. Juni 2018, Link: https://www.spiegel.de/plus/so-schaffen-die-wiener-ein-wohnwunder-a-7ea5c9fe-aaa2-442c-ade8-a709f2a4c8df.
Siehe Spiegel online vom 17. Februar 2019, Link: www.spiegel.de/plus/mieterparadies-wien-so-klappt-sozialer-wohnungsbau-a-00000000-0002-0001-0000-000162290221.
Siehe Zeit online vom 28. März 2018: https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2017-03/wohnen-wien-preise-gentrifizierung-probleme/komplettansicht.
Siehe Süddeutsche Zeitung online vom 2. März 2019, Link: www.sueddeutsche.de/muenchen/wohnen-wien-guenstige-mieten-1.4351181.
Siehe Vorwärts online vom 10. September 2018, Link: www.vorwaerts.de/artikel/mieten-deutschland-wien-lernen.
Im Gegensatz zu Österreich ist es in Deutschland bislang wenig verbreitet, dass in den Mietverträgen eine Valorisierung anhand der Entwicklung des VPI vereinbart wird.
Im Gegensatz zu Deutschland, wo eine Befristung von Mietverhältnissen begründet werden muss, ist dies in Österreich nicht der Fall.
Die vorliegende Analyse bezieht sich auf den Zeitraum 2005 bis 2017, da die Steigerung der Mietpreise insbesondere seit Beginn der 2000er-Jahre von Relevanz ist.
Unter „anderen Hauptmieten“ werden alle Mietverhältnisse außer Gemeinde- und Genossenschaftswohnung subsummiert. Dies beinhaltet insbesondere regulierte und freie Mieten am privaten Wohnungsmarkt.
Die Prognose der Österreichischen Raumordnungskonferenz (ÖROK) aus 2014 ist die letzte verfügbare Bevölkerungsprognose auf Ebene der Bezirke. Aktuellere Entwicklungen, wie z. B. der kräftige Anstieg der Fluchtmigration der Jahre 2015 und 2016, sind demnach nicht berücksichtigt. Entsprechend dürfte die Nachfrage nach Wohnraum entsprechend noch höher ausfallen. Die aktuelle Bevölkerungsprognose der Statistik Austria dürfte sich jedoch qualitativ nicht unterscheiden. So prognostiziert auch die Statistik Austria für die Ostregion (W, NÖ und BGLD) starke Bevölkerungszuwächse, die für NÖ und das BGLD noch stärker ausfallen dürften als in der ÖROK Prognose, die Wiener Wohnbevölkerung hingegen wächst in der aktuellen Bevölkerungsprognose schwächer.
GBV: Baukosten: Erhöhte Anforderungen, Kostensteigerungen und Kompensationseffekte (https://www.gbv.at/Page/View/4324).
GBV: Baukosten: Erhöhte Anforderungen, Kostensteigerungen und Kompensationseffekte (https://www.gbv.at/Page/View/4324).
Siehe Trend vom 17.04.2018, „Grund- und Baukosten explodieren: Droht großer Mietpreis-Anstieg?“ https://www.trend.at/wirtschaft/grund-baukosten-droht-mietpreis-anstieg-9932247.
Der zuletzt von der Arbeiterkammer geforderte Wohnbonus wird hier nicht behandelt, da dieser eher eine Steuerentlastung von Haushalten darstellt als eine Maßnahme zur Senkung der Mieten.
Diese Annahme dient lediglich der Vereinfachung der Darstellung. Die qualitativen Aussagen der Analyse sind von dieser Annahme unabhängig.
Siehe z. B. https://derstandard.at/2000055149370/Zu-hohe-Miete-im-Altbau-Abwarten-und-Miete-checken. Insbesondere ist darauf zu verweisen, dass die Gewährung von Zu- und Abschlägen sowie deren Höhe nur bedingt an objektiven Kriterien festzumachen sind (vgl. Rosifka und Postler 2010). So schätzt bei Neuvermietung der Vermieter die Zu- und Abschläge ein.
Einen empirischen Beleg hierfür liefern Diamond et al. (2018), die zeigen, dass eine Ausweitung der Mietpreisregulierung in San Francisco zwar zu einem positiven Wohlfahrtseffekt für Bestandsmieter führte, der negative Wohlfahrtseffekt durch das geringere Angebot und steigende Marktmieten für neu vermietete Wohnungen aber überwiegte.
Bei einer elastischen Nachfrage reagiert die nachgefragte Menge stärker auf eine Preisänderung als bei einer unelastischen Nachfrage.
Diese Kritik besteht konkret auch mit Bezug auf Österreich (siehe Der Standard vom 5. Oktober 2015): https://derstandard.at/2000023204900/Bericht-Betriebskosten-im-Gemeindebau-viel-hoeher-als-in-Privatmiete. Insbesondere Wiener Wohnen reagierte auf die Kritik: https://www.wienerwohnen.at/dms/workspace/SpacesStore/9dd6ae56-20a3-4176-8300-c8eb69541ffa/20161005_HalbwahrheitenaufATV.pdf.
Die empirische Evidenz zu dieser Frage ist uneinheitlich. So kommen Gibbons und Manning (2006) für das Vereinigte Königreich in den 1990er-Jahren zu dem Ergebnis, dass die Überwälzung zwischen 60 und 66 % ausmachen kann. Eriksen und Ross (2015) hingegen zeigen für die USA, dass die Einführung von Wohngeldgutscheinen nicht zu einem generellen Mietenanstieg geführt hat.
In diesem Fall ist der Förderungsdurchsatz das Verhältnis von geförderten zu insgesamt baubewilligten Geschosswohnungen.
Eine ähnliche Initiative in Österreich ist den Verfassern des vorliegenden Beitrags nicht bekannt.
Literatur
Verwendete Literatur
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Danksagung
Wir bedanken uns bei Rechtsanwalt DDr. Christoph Schmetterer, Wien (Österreich) für die Unterstützung zu mietrechtlichen Fragen.
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Thomas, T., Koch, P. & Schwarzbauer, W. Mieterparadies Österreich? Mythos und Realität. List Forum 45, 319–346 (2020). https://doi.org/10.1007/s41025-019-00168-x
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