1 Einleitung

Erwachsenenpädagogische Organisationen sind mit gesamtgesellschaftlichen Strukturen und Wandlungsprozessen dialektisch verwoben (Schäffter 2001). Einerseits sind sie von diesen betroffen und herausgefordert, andererseits vereinen sie in sich einen „gesellschaftlichen Selbstausdruck“ und fördern gesellschaftlichen Wandel (ebd.). Diese Dialektik veranschaulicht sich an der digitalen Transformation (Schrape 2021), die auf sämtlichen Handlungsebenen des Weiterbildungssystems Niederschlag findet (Schrader 2019). Digitale Transformation in erwachsenenpädagogischen Organisationen umfasst nicht nur die Entwicklung digitaler Infrastrukturen, sondern auch von Programmbereichen, in denen sich veränderte Bedarfe didaktischer und inhaltlicher Natur widerspiegeln (Egetenmeyer et al. 2021). Professionell Handelnde in unterschiedlichsten Aufgabenbereichen sind dabei in spezifische Aushandlungs- und Gestaltungsprozesse eingebunden (Kerres und Buntins 2020).

In verschiedenen Studien wird jüngst auf unzureichende digitale (Grund‑)Kompetenzen Erwachsener in Deutschland hingewiesen (vgl. Buddeberg und Grotlüschen 2020; Initiative D21 e. V. 2021). So besteht auch ein Ziel der europäischen Agenda für Weiterbildung in der Förderung digitaler Grundbildung (Skills for Life) (NA beim BIBB 2023). Entsprechend ist in erwachsenenpädagogischer Forschung und Praxis ein besonderes Augenmerk auf die digitale Grundbildung als Voraussetzung zur Teilhabe an gesellschaftlichem Leben zu legen (Koppel und Wolf 2021; Weber 2023). Erwachsenenbildungseinrichtungen reagieren mit dem Bereitstellen von Programmen, wobei gilt, dass das, „was unter digitaler Grundbildung verstanden wird, immer im Zusammenhang damit gesehen werden [muss], wer (welche Zielgruppe), was (welche Inhalte) für welche Situation bzw. mit welchem Ziel (Ziel und Notwendigkeit) benötigt“ (Weber 2023). Programmentwicklung in der Grundbildung ist somit auch im Kontext der digitalen Transformation keineswegs unabhängig von Interessen und Machtverhältnissen der involvierten Akteure zu sehen (Euringer 2016).

Der Beitrag knüpft hier mit der Frage an, wie bildungspolitische Programmatiken, gesellschaftliche Erwartungen und professionelle Überzeugungen hinsichtlich der digitalen Transformation als Grundlagen für die Legitimation eines (neuen) erwachsenenpädagogischen Programmbereiches zur Geltung kommen.

Zunächst wird aus Perspektive des soziologischen Neo-Institutionalismus (NI) plausibilisiert, dass Organisationen sich in einer Doppelstruktur von technischen und symbolischen Kontexten bewegen und daher nicht nur Ressourcen, sondern auch Legitimationen benötigen (Meyer und Rowan 1977). Der NI stellt heraus, dass sich Organisationen an Umweltanforderungen und sich wandelnden gesellschaftlichen Vorstellungen orientierten. Organisationales und transformatives Handeln ist stets „in einen gemeinsam geteilten, institutionalisierten Legitimationskontext eingebunden“ (Koch 2022). Legitimationen der Organisation(sumwelt) eröffnen den Akteuren „in direkter oder indirekter Weise Entscheidungs- und Handlungsoptionen“ und stellen damit einen „Fundus von Deutungsangeboten“ bereit (Koch 2018, S. 200 f.). Die (Weiter‑)Entwicklung von Bildungsprogrammen kann als Ausdruck gegebener Freiheitsgrade gefasst werden und erfüllt selbst eine Legitimationsfunktion nach außen, indem Organisationen gegenüber Anspruchsgruppen in ihrem Umfeld Veränderungsbereitschaft suggerieren (Feld 2013). Jedoch setzt dies zunächst innerorganisationale Legitimierungsprozesse voraus. Hier setzen wir mit einer empirischen Interviewstudie an, in der wir mittels Verzahnung verschiedener inhaltsanalytischer Techniken aufzeigen, wie professionelle Repräsentantinnen und Repräsentanten von Erwachsenenbildungsorganisationen unterschiedliche Grundlagen für die Legitimation zu idealtypischen Mustern verknüpfen. Abschließend werden Implikationen der Befunde für organisationale und professionelle Umgangsweisen mit gesellschaftlicher Transformation zur Diskussion gestellt.

2 Legitimität und Legitimation aus Sicht des Neo-Institutionalismus

Mit organisationalem Wandel – beispielsweise bedingt durch die digitale Transformation –gehen in der Regel Unsicherheiten einher, die durch das Aufbrechen von bisherigen Routinen und Strukturen entstehen. Es kommt zu innerorganisationalen Restrukturierungen, die stets legitimiert werden müssen, um sie nachvollziehbarer zu machen. Hierbei ist die Einordnung der Relevanz von Wandel und somit die Legitimation eines innovativen Weges und die Einbettung desselben in bisherige Strukturen zentral:

„It is only when ideas are couched in such a way that they are perceived to be consistent with prevailing values that they appear compelling and legitimate for adoption“ (Greenwood et al. 2002, S. 75).

An dieser Stelle wird einer der Kerngedanken des NI deutlich, der beinhaltet, dass das Überleben einer Organisation maßgeblich von ihrem Legitimitätszuspruch abhängt (Meyer und Rowan 1977). Der zentrale Fokus der organisationssoziologischen Perspektive ist die Annahme, dass institutionalisierte Regelsysteme in der Organisationsumwelt als Mythen fungieren, die Organisationen inkorporieren (ebd., S. 340). Institutionen sind Regelsysteme, die das Handeln von Akteuren organisieren. Sie konstituieren als geteilte Überzeugungen soziale Realität (vgl. Scott 2001, S. 57). Durch eine hohe Interaktionsdichte entwickeln die Organisationen eine gegenseitige Aufmerksamkeit und orientieren sich aneinander, wodurch sogenannte organisationale Felder entstehen (DiMaggio und Powell 1983, S. 148).

Indem Organisationen sich an institutionalisierten Praktiken und Strategien orientieren, erhalten sie Ressourcen und sichern ihr Überleben. Von besonderer Bedeutung ist hierbei die Legitimität, die Organisationen durch die Inkorporation von institutionalisierten Praktiken zuerkannt wird, weniger deren tatsächliche Effektivität (vgl. Meyer und Rowan 1977, S. 340). Als Antriebskraft der Institutionalisierung fungiert das Bestreben von Organisationen, von internen und externen Anspruchsgruppen als legitim anerkannt zu werden.

Eine wesentliche Unterscheidung für die Befassung mit Legitimität hat Koch (2022) erarbeitet:

„– Legitimität (das Ergebnis legitimatorischer Prozesse),

– Legitimation (die Inhalte, die angeführt werden, um etwas als legitim zu rechtfertigen),

– Legitimierung (die sozialen Prozesse, in denen versucht wird, Legitimität zu erzeugen oder in denen Legitimität zugesprochen/aberkannt wird)“ (Koch 2022, S. 153).

Um Legitimität zu erlangen, übernehmen die organisationalen Akteure Strukturen, Praktiken und Verhaltensweisen, die mit den vorherrschenden (institutionellen) Normen und Erwartungen ihrer Anspruchsgruppen übereinstimmen. Legitimität wird im Anschluss an den NI begriffen als „a generalized perception or assumption that the actions of an entity are desirable, proper, or appropriate within some socially constructed system of norms, values, beliefs, and definitions“ (Suchman 1995, S. 574). Sie ist daher ein wesentlicher Faktor für Stabilität und Wandel sowie für deren Steuerung (Koch 2022). Dabei können durch die Aufrechterhaltung von Legitimität soziale Ordnung und Entscheidungen in Organisationen durch deren Berechenbarkeit ermöglicht werden (Meyer und Scott 1983). Selbstverständlichkeit ist hierbei ein bedeutender Aspekt. Legitimierte Praktiken werden wie automatisch durchgeführt, da sie als „taken for granted“ (Meyer und Rowan 1977) gelten. Die Selbstverständlichkeit von Praktiken kennzeichnet sich laut Koch (2018, S. 64) erstens durch „ein Verstehen der sozialen Welt, welches ohne weitere Erläuterung auskommt“ und zweitens durch eine „fraglose Akzeptanz“ (ebd.) ihrer Gültigkeit. Organisationen stellen demnach durch die Inkorporation legitimer Praktiken, die keiner Erläuterung bedürfen und wie selbstverständlich akzeptiert werden, eine Übereinkunft mit ihrer Umwelt her.

Wir fokussieren in diesem Aufsatz Legitimationen als Inhalte, auf die bei der Entwicklung von Angeboten der digitalen Grundbildung in Organisationen der Erwachsenenbildung rekurriert wird. Koch (2022) unterscheidet in diesem Sinne auf der inhaltlichen Ebene der Legitimation organisationale Legitimation(en) und übergreifende, gesellschaftlich etablierte Legitimation(en). Diese Legitimationen aus der Organisation und deren Umwelt eröffnen den Akteuren „in direkter oder indirekter Weise Entscheidungs- und Handlungsoptionen“ und stellen damit einen „Fundus von Deutungsangeboten“ bereit (Koch 2018, S. 200 ff.). Innerhalb dieser grundsätzlichen Differenzierung können organisationale Akteure auf verschiedene Weise zur Konstruktion von Legitimität beitragen. Eine Möglichkeit besteht darin, gesetzliche Vorschriften und Standards einzuhalten, um die Akzeptanz und das Vertrauen zu gewinnen. Eine weitere darin, durch eine transparente und vertrauenswürdige Organisationskultur das Handeln der Organisation nachvollziehbar zu machen. Darüber hinaus kann Legitimität durch die Berücksichtigung der Bedürfnisse und Erwartungen erhöht sowie durch die Schaffung von Bedeutungen und Bewertungen, die ihr Handeln rechtfertigen, akzeptabel gemacht werden (Koch 2022; Suchman 1995). Wirksam ist bei der Legitimation der Prozess der Strukturangleichung von Organisationen und der gesellschaftlichen Umwelt (Isomorphie) (Dewe und Peter 2016).

Organisationale Legitimationen sind bestimmt durch die Bedeutung, die sie durch ihre Existenz, die Praktiken, die Routinen für die Akteure haben. Daneben sind mit gesellschaftlicher Legitimation solche „Legitimationsmythen“ gemeint, die die gesellschaftliche Umwelt der Organisation als Rechtfertigungen zur Verfügung stellt (Koch 2022, S. 160 f.). Gesellschaftliche Bedeutungsordnungen werden für die Akteure zu Deutungsangeboten, „die entweder in spezifische, auf die Situation und die Bedürfnisse einzelner organisationaler Akteure ausgerichtete, organisationale Legitimationen transformiert werden können oder von den organisationalen Akteuren als bereits ausgearbeitete Legitimationen in unveränderter Form genutzt werden können“ (Koch 2022, S. 161). Ein weiteres Konzept des NI wird häufig zur Erklärung organisationalen Wandels zurate gezogen: Die Funktion des „institutional entrepreneurs“ als individueller Akteur, der aktiv sozialen Wandel in Organisationen durch zielgerichtetes Einwirken auf Bedeutung und Bedingungsgefüge vorantreibt (Schemmann 2020; DiMaggio 1988). Von besonderer Bedeutung in diesem Kontext ist die „Prämisse der Einbettung“ (Koch 2018, S. 154) des „institutional entrepreneurs“, der kein autonomer Akteur ist. Impulse der Veränderung spielen sich immer innerhalb eines institutionalisierten Bedingungsgefüges ab.

Wie Akteure Legitimität herstellen, findet bisher wenig Anklang in der empirischen Erwachsenenbildungswissenschaft.Footnote 1 Ein Blick auf Arbeiten auf der Ebene des Bildungsmanagements und der Programmplanung, die Begründungs- und Handlungslogiken offenlegen, kann jedoch Aufschluss darüber geben, unter welcher Bezugnahme Akteure ihr Handeln legitimieren. Für den Bereich der betrieblichen Bildung differenzieren von Hippel und Röbel (2016) zwischen den folgenden Zielperspektiven, die als Begründungszusammenhänge für Handlungen und Entscheidungen dienen: Individuen und Gesellschaft (pädagogische Prinzipien), Unternehmen und Mitarbeitende (ökonomische Prinzipien) und Organisationen der Erwachsenenbildung (mikropolitische Prinzipien). Arbeiter (2023) versteht im Zusammenhang der Planung von Programmen der arbeitsorientierten Grundbildung Verfügungsrechte als handlungsleitend und Ausdruck der Dualität von Struktur. Kognitive Regeln (als subjektive Interessen), allokative und autoritative Ressourcen (als Machtmittel) und normative Regeln (Normen) bilden für die Akteure die Bezugspunkte ihres Handelns. Graß und Alke (2019) eröffnen einen konventionentheoretischen Blick auf Handlungen der Akteure in organisationalen Zusammenhängen und begreifen im Rahmen der Institutionalisierung der Volkshochschulen Makro- und Mesophänomene (z. B. Bildungspolitik, kommunalpolitische Rahmenbedingungen) als Elemente, die mit unterschiedlicher Reichweite in einer konkreten Situation auf das Handeln wirken. Diese Forschungsarbeiten betrachten bestimmte Begründungen und Begründungsmuster für das Handeln der Akteure aus unterschiedlichen theoretischen Perspektiven. In Anbindung an den NI und als Differenzierung von konkreten Legitimierungsprozessen wird dies jedoch (noch) nicht beschrieben und analysiert. Zu fokussieren wären in diesem Sinne „Institutionen […] als übergreifende[s] monolithische[s] Legitmationsrepertoires“ (Dahmen 2022, S. 281) einschließlich der Pluralität „potenziell konfligierender institutioneller Logiken“ (ebd.), die gleichzeitig am Wirken sind. Darüber hinaus bedarf es einer Überwindung dichotomer Sichtweisen, die Institutionalisierung und institutionelle Innovation einseitig entweder ‚top down‘ mit dem Handeln rational agierender Steuerungsinstanzen assoziiert oder allein die „Ebene alltäglicher, teilweise routinisierter organisationaler Praktiken“ fokussiert (ebd.).

An diese Überlegungen anschließend ist das Ziel dieses Beitrags die empirische Analyse jener Grundlagen der Legitimation, die in erwachsenenpädagogischen Organisationen bei der Konstruktion von Legitimität des Programmbereichs digitale Grundbildung wirksam sein können.

3 Untersuchungsdesign

3.1 Konkretisierung der Fragestellung und Operationalisierung

Empirisch weiter verfolgt werden im weiteren Verlauf die Fragen:

  1. 1.

    Welche inhaltlichen Bezüge (Legitimationen) sind bei der Konstruktion und Behauptung von Legitimität für den Programmbereich digitale Grundbildung von Bedeutung?

  2. 2.

    Inwieweit werden diese zu Legitimationsmustern verknüpft?

Unter der Prämisse, dass in Organisationen Spannungen zwischen unterschiedlichen Wertordnungen und Rationalitäten durch die „lokalen Interpretationsleistungen und Praktiken der Akteur:innen“ (Dahmen 2022, S. 285) prozessiert werden, fokussieren wir die Perspektiven professioneller Akteure der Grundbildung. Im Sampling wurde versucht, der Heterogenität dieser Akteursgruppe (Korfkamp 2008) dahingehend gerecht zu werden, dass Personen befragt wurden, die zwar allesamt mit Angeboten digitaler Grundbildung befasst, jedoch in Einrichtungen unterschiedlicher Trägerschaft in unterschiedlichen Funktionen tätig sind. Volkshochschulen und konfessionelle Einrichtungen sind in unterschiedliche Reproduktions- und Steuerungskontexte eingebunden (Schrader 2010). Wir gehen davon aus, dass sich Legitimität nicht allein durch Top-Down-Prozesse herstellen lässt, entsprechend wurden unterschiedliche Beschäftigungsgruppen inkludiert.

Es wurden leitfadengestützte Interviews mit jeweils sechs hauptamtlichen, planend-disponierenden Mitarbeitenden und zwei freiberuflichen Lehrpersonen geführt (n = 16)Footnote 2 Die konkrete Auswahl der Einrichtungen wurde in einem mehrstufigen Prozess erarbeitet, bei dem die wesentliche Bedingung die Bereitstellung von und die Beteiligung der interviewten Personen an Angeboten an der digitalen Grundbildung war (vgl. Weber 2023). Das Sample zeichnet sich durch Beteiligung an Aushandlungsprozessen im fokussierten Handlungsfeld sowie einen „privilegierten Zugang zu Informationen“ aus, wodurch es sich bei der Erhebungsmethode um Interviews mit Expertinnen und Experten sensu Meuser und Nagel (2009) handelt.

3.2 Erste Analysephase: Induktive Kategorienbildung durch zusammenfassende Inhaltsanalyse

An erster Stelle des Forschungsinteresses steht die Identifikation inhaltlicher Bezugspunkte der Legitimation eines ausgewählten Programmbereichs (Digitale Grundbildung). Infolgedessen wurde das empirische Material durch eine Verzahnung unterschiedlicher Techniken der qualitativen Inhaltsanalyse ausgewertet (vgl. Mayring 2015). Im Zuge einer formal-thematischen Strukturierung der Interviewtranskripte wurden zunächst Analyseeinheiten festgelegt.

Daraufhin wurden durch eine zusammenfassende Inhaltsanalyse (vgl. ebd.) elf wiederkehrende Bezugspunkte der Legitimation identifiziert. Diese wurden in einem weiteren Reduktionsschritt unter drei Hauptkategorien subsumiert.

Die Hauptkategorie „I: innerorganisationale Bezugspunkte der Legitimation“ umfasst Aussagen, in denen die Interviewten die Beschaffenheit von Angeboten digitaler Grundbildung über Verweise auf Akteure, Prozesse und/oder Routinen innerhalb der jeweiligen Organisation legitimieren.

Die zweite Hauptkategorie umfasst Aussagen, in denen sich die Interviewpartnerinnen und Interviewpartner auf „U: externe Verwiesenheiten im (engeren) Organisationsumfeld“ beziehen.

Die dritte Hauptkategorie beinhaltet Äußerungen, in denen „G: gesamtgesellschaftliche Norm(altitäts)vorstellungen“, die jede Einzelne und jeden Einzelnen betreffen, mit Ausgestaltungen des Programmbereichs digitale Grundbildung in Beziehung gesetzt werden.

Tab. 1 liefert einen komprimierten Überblick über die Kategoriendefinitionen.

Tab. 1 Kurzübersicht Codesystem

3.3 Zweite Analysephase: Codierung und Identifikation von Code-Mustern

Zur Bearbeitung der zweiten Forschungsfrage wurde das ausgearbeitete System von Codes und SubcodesFootnote 3 in einem weiteren Schritt zur inhaltlichen Strukturierung an jede Analyseeinheit angelegt. Nach Bearbeitung von 50 % des Materials durch mehrere Codierende erfolgte eine Diskussion des Codesystems inklusive der Ausarbeitung eines Codebuchs mit klar fixierten Codierregeln und Ankerbeispielen. Dieses Vorgehen wurde wiederholt, bis sich bei Berechnung von Krippendorffs α als zufallskorrigiertem Kennmaß für die Intercoder-Reliabilität (Krippendorff 2013) zufriedenstellende Werte ergaben (Code I: α = 0,885; Code U: α = 0,766; Code G: α = 0,769). Insgesamt lässt sich die Auswertungsmethodik als Variante einer „integrativen Inhaltsanalyse“ begreifen (vgl. Früh 2017, S. 71–97).

Hauptziel dieser Analysephase ist die Unterscheidung zwischen Analyseeinheiten, in denen nur einige wenige Codes Verwendung finden, und solchen, in denen mehrere Codes gepaart miteinander auftreten. Ersteres deutet, so die zentrale Prämisse, mehr auf Legitimitätsbehauptungen hinsichtlich als selbstverständlich akzeptierter, routinisierter Praktiken denn auf -begründungen hin. Legitimitätsbehauptungen zeichnen sich dadurch aus, dass inhaltliche Bezüge (Legitimationen) nur noch rudimentär zu erkennen sind. Insofern bestimmte (Sub‑)Codes in mehreren Analyseeinheiten gleichzeitig angelegt wurden (während für andere Codierungen keine Veranlassung bestand), lässt sich von Legitimationsmustern ausgehen, „die von den organisationalen Akteuren im Sinne von rechtfertigenden Begründungen und Erklärungen […] vorgetragen werden“ (Koch 2018, S. 187). Diese erscheinen für eine weiterführende Betrachtung besonders relevant, insofern sie den Status Quo der organisationalen Praxis nicht nur wiedergeben, sondern Schlüsse auf vorausgehende Begründungsdiskurse zulassen.

Im folgenden Abschnitt wird nachgezeichnet, welche Ergebnisse durch diese Art der Datenaufbereitung und Analyseperspektive gewonnen werden konnten.

4 Darstellung und Diskussion der Analyseergebnisse

Abb. 1 gibt einen Überblick über die finale Gestalt des ausgearbeiteten Codesystems.

Abb. 1
figure 1

Codesystem

Im Folgenden wird zunächst auf Analyseeinheiten fokussiert, in denen nur vereinzelte Codes Anwendung fanden (Legitimitätsbehauptungen) (4.1). Im Kontrast dazu werden anschließend drei komplexe Legitimationssmuster nachgezeichnet, in denen unterschiedliche codierte Inhalte miteinander in Beziehung gesetzt und gegeneinander aufgewogen werden.

Ein erstes derartiges Muster zeichnet sich durch die Zentralität ökonomischer Überlegungen aus (4.2).

Ein zweites Muster hebt sich davon durch die besonders deutliche Bezugnahme auf pädagogisch-normative Horizonte ab (4.3).

In einem dritten Muster fungiert der Bezug auf individuelles Engagement für Digitalisierungsthemen im Allgemeinen sowie den Angebotsbereich digitale Grundbildung im Speziellen als verbindendes Element, das zwischen unterschiedlichen Legitimationsquellen vermittelt (4.4).

4.1 Jenseits des Begründungsdiskurses? Der Schein fragloser Legitimität

Bei den Analyseeinheiten, bei denen nur wenige vereinzelte Codes Anwendung fanden, sticht zunächst ins Auge, dass es sich häufig um Ausführungen handelt, die sich explizit mit der Notwendigkeit digitaler Grundbildung beschäftigen. Dies eröffnet Raum für die Hypothese, dass in bestimmten thematischen bzw. kommunikativen Kontexten davon ausgegangen wird, dass die Legitimität des Programmbereichs ohne Widerspruch gegeben ist und keiner genaueren Elaboration bedarf.

Besonders eindrücklich ist ein Interviewausschnitt, in dem die von der Interviewerin explizit aufgeworfene Frage nach der Notwendigkeit digitaler Grundbildung schlichtweg als „redundante Frage“ (VHS5_F, Pos. 8) abgetan wird. Hier besteht ein deutlicher Zusammenhang mit dem von Koch (2018) beschriebenen Aspekt der fraglos und ohne Erläuterung akzeptierten Gültigkeit selbstverständlicher Praktiken.

Auch in anderen thematischen Kontexten wird der Umstand, dass digitale Grundbildung einen dauerhaften Teil des organisationalen Aufgabenspektrums darstellt (Code I 3), mehr oder weniger fraglos vorausgesetzt: „Die digitale Grundbildung […] ist glücklicherweise gut verortet und ich kann tatsächlich auch Angebote lange, lange aufrechterhalten“ (VHS6_F, Pos. 20). An derartigen Artikulationen fällt auf, dass die Ausführungen zum Status quo der digitalen Grundbildung tendenziell nicht explizit mit den Handlungsprämissen bzw. -zielen konkreter Akteure assoziiert werden. Im Rahmen der empirischen Analysen indiziert sich dies weiterhin darin, dass individuelles Engagement für Digitalisierung (Code I 1) bzw. pädagogische Überzeugungen (Code I2) kaum als Legitimationen elaboriert werden. Weiterhin beschränkt sich die Annahme einer Etabliertheit und Kontinuität nicht auf das Programm‑/Angebotsspektrum der je eigenen Einrichtung, auch der darüber hinausgehenden Weiterbildungslandschaft (Code U1) wird unterstellt, „die wollen […] das auch etablieren. Und ja, also es ist definitiv, besteht der Bedarf und das Interesse“ (VHS8_L, Pos. 42). Analog zu der ausbleibenden Thematisierung einzelner innerorganisationaler Akteure wird unter der Annahme eines scheinbar fraglos legitimen Programmbereichs kaum auf konkrete Einflussgrößen im organisationalen Umfeld verwiesen (Codes U2, U3, U4).

Es erweist sich außerdem als typisch für Legitimitätsbehauptungen, dass insgesamt selten auf gesamtgesellschaftliche Norm(alitäts)vorstellungen Bezug genommen wird. Ist dies doch der Fall, werden in der Regel Herausforderungen in der Umsetzung digitaler (Grund‑)Bildung als besonders „zielgruppenspezifisch“ (K8_R, Pos. 5) dargestellt. So werden Seniorinnen und Senioren „bestimmte Bedürfnisse im Lernen“ (ebd.) unterstellt, die sich stark von Teilnehmenden anderer Altersgruppen abheben: „aber diese Besonderheiten, die das Alter mit sich bringt, machen digitale Grundbildung dann auch noch mal zu einer besonderen und anderen Herausforderung“ (ebd.). Welchen Zweck das Erlernen des Umgangs mit digitalen Technologien für die Zielgruppe erfüllt, bleibt jedoch unausgesprochen. Dies steht im Einklang mit der NI Annahme, dass die Wahrscheinlichkeit von Legitimationskonflikten sinkt, wenn auf gesamtgesellschaftliche Erwartungen rekurriert werden kann, die als „taken for granted“ gelten (vgl. Meyer und Rowan 1977).

Detailliertere Hinweise auf vorausgehende Begründungsprozesse finden sich in folgenden Legitimationsmustern.

4.2 Beinhaltet Legitimität notwendigerweise Rentabilität? Zum legitimatorischen Stellenwert ökonomischer Gesichtspunkte

Bestimmte Analyseeinheiten zeichnen sich durch eine deutliche Bezugnahme auf ökonomische Gesichtspunkte aus (Code U4). Bei zusätzlicher Berücksichtigung des Zusammenspiels mit anderen Codes wird deutlich, dass diesen Überlegungen eine unterschiedliche Funktion und ein unterschiedliches Gewicht beikommt. Es lässt sich zum einen festhalten, dass in mehreren Analyseeinheiten marktlogische Betrachtungsweisen mit innerorganisationalen Routinen (Code I 3), Leitbildern (I 4) und/oder gesamtgesellschaftlichen Legitimationsangeboten in Beziehung gesetzt werden. So wird digitale Grundbildung in einer Einrichtung in konfessioneller Trägerschaft beschrieben als „ein Programmbereich, der mitläuft“ (K2_R, Pos. 13). Demgegenüber hätten Themen, die im kirchlichen „Zusammenhang irgendwo ne Rolle spielen, Vorrang“ (K2_R, Pos. 13). Dass Angebote der digitalen Grundbildung trotzdem Teil des Programms sind, wird damit begründet, dass sie „für Teilnehmende, die bei uns aufschlagen, […] notwendig sind“ (K2_R, Pos. 13). Dies ziehe auch eine inhaltliche „Orientierung […] am Kunden“ (K2_R, Pos. 19) nach sich. Der Programmbereich nehme vor dem Hintergrund des organisationalen Leitbilds einen geringen Stellenwert ein, legitimiere sich aber durch bestehende Nachfrage.

In anderen Analyseeinheiten werden ähnliche legitimatorische Bezugspunkte anders gewichtet. So wird von Seiten der „Kundschaft“ (VHS5_F, Pos. 30) lediglich eine geringe Nachfrage nach digitalen Grundbildungsangeboten konstatiert („die sehen auch keine Notwendigkeit, zu uns zu kommen“ (VHS1_F, Pos. 10)). Die Angebote blieben jedoch trotzdem im Programm und würden „nie aufgrund der Wirtschaftlichkeit ganz wegfallen, […] das ist auch die Grundaufgabe der Volkshochschule“ (VHS3_F, Pos. 16). Sie beziehen ihre Legitimität demnach über das Leitbild und den gesellschaftlichen Auftrag der Einrichtung, während sie unter wirtschaftlichen Aspekten eine nebensächliche Rolle spielen.

Ergänzend zu dieser Konstellation aus wirtschaftlichen Faktoren und innerorganisationalen Leitbildern wird wiederholt argumentiert, die Digitalisierung betreffe mittlerweile alle Bereiche der Gesellschaft. Hieraus ergebe sich ein universeller Zwang, sich mit digitalen Technologien und Medien auseinanderzusetzen (Code G1). Die Volkshochschulen könnten sich folglich „nicht verweigern, da Grundbildungsangebote in der digitalen Welt anzubieten“ (VHS3_F, Pos. 18) – „wenn man das weglassen würde, wäre man aus dem Gespräch“ (VHS_2, Pos. 64). Sie sind dementsprechend nicht nur im Sinne eines pädagogisch-normativen Leitbilds dazu verpflichtet, Angebote der digitalen Grundbildung vorzuhalten, sondern auch vor dem Hintergrund des gesamtgesellschaftlichen Phänomens der digitalen Transformation. Hier deutet sich an, dass wirtschaftliche Überlegungen eher parallel mit vermeintlichen gesamtgesellschaftlichen Normalitätsdispositiven expliziert werden als mit konkret benennbaren Entscheidungsinstanzen. Analog dazu werden digital stattfindende Angebote sowohl mit der Erreichung besonderer Zielgruppen verbunden als auch mit wirtschaftlichen Vorteilen, weil die Organisationen „durch die Kurse ja auch dann wieder Einnahmen haben […] und sich das Ganze dann wieder refinanzieren kann“ (K6_R, Pos. 24).

Während in einigen Analyseeinheiten der digitalen Transformation ein mehr oder weniger zwingender Charakter zugeschrieben wird, aber offen bleibt, von welcher Instanz dieser Zwang ausgeht, wird in anderen thematischen Kontexten explizit auf „gesetzliche Vorgaben“ (VHS6_F, Pos. 14) und „Genehmigungsverfahren“ (VHS6_F, Pos. 14) verwiesen. Auch hier werden finanzielle Aspekte besonders berücksichtigt. Sind die Angebote im Sinne einer Übereinstimmung mit Gesetzen und Förderrichtlinien (Code U3) legitimiert, können die hauptamtlich Planenden „relativ frei walten“ (VHS6_F, Pos. 14). Dieser Verweis auf „die freie Hand“ (K3_R, Pos. 21) in der Planung nach erfolgter Legitimation durch Vorgesetzte oder das Weiterbildungsgesetz impliziert keineswegs eine Entkräftung von letztlich ökonomischen Imperativen: „Wenn die Finanzierung steht […], dann hab ich da die Möglichkeit auf jeden Fall einiges zu machen“ (K3_R, Pos. 14). Der Rückgriff auf Fördertöpfe für spezielle Zielgruppen stelle eine Möglichkeit dar, diese Sicherheit zu gewährleisten. Hier müsse wiederum argumentiert werden „warum das notwendig ist, so ein Angebot durchzuführen […] und was das für ein Ziel hat“ (K3_R, Pos. 14).

Pointiert lässt sich festhalten, dass wirtschaftliche Gesichtspunkte im Relevanzsystem der befragten Akteure einen nicht zu vernachlässigenden Gegenpol zu anderen Rationalitätsformen darstellt, bspw. gegenüber organisationstypischen Handlungsroutinen und Leitbildern. Dies gilt auch für vermeintlich organisationsunabhängige Imperative, die aus gesamtgesellschaftlichen Transformationsprozessen und Normen abgeleitet werden. Ökonomische Handlungsspielräume sind in diesem Sinne prägend, wenngleich nicht determinierend für die Konstruktion von Legitimität digitaler Grundbildungsangebote.

4.3 da haben wir PÄDAGOGISCH gesehen […] riesige Aufgaben“ (VHS1_F, Pos. 53) – Pädagogisch-normative Horizonte der Legitimation digitaler (Grund‑)Bildungsangebote

Ein zweites Legitimationsmuster charakterisiert sich durch die Vermittlung zwischen wahrgenommenen gesamtgesellschaftlichen Norm(alitäts)vorstellungen und pädagogischen Überzeugungen. Angebote digitaler Grundbildung werden hier unter anderem ausgehend von dem „Digitalisierungsdruck in der Gesellschaft“ (K6_F, Pos. 7) begründet. In einer zunehmend von digitalen Technologien geprägten Welt kämen Einzelne nicht umhin, von diesen Kenntnis zu nehmen und sich dazu zu verhalten (Code G1). Damit wird jedoch keineswegs der Gedanke verbunden, jede und jeder Einzelne müsse jedwede neue technische Entwicklung in seinen/ihren Alltag integrieren, vielmehr wird eingeräumt, es gebe

„in vielen Fällen einfach gar keine Notwendigkeit, sich zu digitalisieren. Also wenn Menschen glücklich sind, dann geht es manchmal auch einfach damit zu erklären okay, das und das kann die Technik, aber wenn du es nicht brauchst, dann brauchst es tatsächlich nicht“ (VHS1_F, Pos. 14).

Im Unterschied zu den Ergebnissen in Abschn. 4.1 wird zwar auch hier für die Legitimität digitaler Grundbildung plädiert, dies geschieht aber in Anbindung an pädagogische Überzeugungen, die orientierungsstiftend für professionelles Handeln wirken können. Exemplarisch spiegelt sich das darin wider, dass konkrete, lebenspraktische „Alltagshürden der digitalen Art“ (K1_L, Pos. 17) thematisiert werden. Angebote digitaler Grundbildung werden als Türöffner etikettiert, was „nicht nur berufliche Türen, sondern auch persönliche Türen und Entwicklungsmöglichkeiten“ (VHS6_F Pos. 18) betreffe. So wird mit digitaler Grundbildung der Anspruch verbunden, Teilnehmende dahingehend zu befähigen, „ne Wohnung [zu] finden, im Internet nach Informationen [zu] suchen, ne E‑Mail-Adresse einzurichten, zu verstehen, was nen sicheres Passwort ist“ (ebd.).

Solche Ausführungen suggerieren einerseits eine unmittelbare Anschlussfähigkeit an Konzeptionen digitaler Grundkompetenz (vgl. Buddeberg und Grotlüschen 2020) und – vermittelt darüber – Übersetzbarkeit in konkrete Lehr-Lern-Arrangements. Andererseits ist typisch für dieses Muster, dass die Ausführungen immer wieder in einem allgemeineren Sinne auf den gesellschaftlichen und individuellen Mehrwert von (Grund‑)Bildung abstellen. Die folgenden Beispiele aus dem empirischen Material veranschaulichen, dass regelmäßig sowohl auf den mehr oder weniger verallgemeinerbaren Anspruch, Teilhabe zu ermöglichen (Code G 2), als auch auf heterogene Lernproblematiken eingegangen wird, die mit gesellschaftlicher Diversität korrespondieren (Code G 3).

„Aber unter Grundbildung verstehe ich alles, was die Menschen in dieser Gesellschaft benötigen, um teilhaben zu können an […] der Gesellschaft, in der sie leben und unterliegt damit einem Wandel. DIGITALE Grundbildung ist dann alles, was mit irgendeiner Form von digitaler Datenverarbeitung zu tun hat“ (VHS7_F, Pos. 2).

„Was macht man mit den Leuten, die schon gar nicht mehr mobil sind und die eigentlich, für die total wichtig wäre, dass sie eine Online-Kompetenz bekämen, damit sie wieder mehr am Leben teilhaben können“ (VHS3_F, Pos. 59).

Charakteristisch für dieses Legitimationsmuster sind zudem Artikulationen, in denen die Befragten nicht nur ansprechen, dass digitale Grundbildung gesellschaftlich gefragt sei, sondern auch ihre subjektiven pädagogischen und normativen Prämissen elaborieren. Ein formalsprachlicher Indikator hierfür ist die Rede in der 1. Person Singular:

„Ich bin von der Notwendigkeit dessen, was ich da tue, überzeugt. Ich (…) bin dann bei der Volkshochschule, eingestiegen in dem Bereich Grundbildung […]. Das heißt, ich komme schon eher aus einer Ecke, die, wie soll ich das sagen, so von Gerechtigkeitsansatz oder Bildungsgerechtigkeit sehr stark im Fokus hat“ (VHS5_F Pos. 24).

Das am Gemeinwohl orientierte Ziel von Angeboten digitaler Grundbildung bestehe darin, „ein Ort zu sein, […] wo man einfach hinkommen kann, der versucht, Anschluss zu schaffen an die Alltage der Menschen“ (K1_L, Pos. 25).

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass in diesem Legitimationsmuster pädagogische Überzeugungen unterschiedlicher Art eine vermittelnde Funktion zwischen anderen (mehr oder minder) legitimatorisch relevanten Aspekten einnehmen. Die hier angestellten Begründungen werden nicht selten explizit als subjektiv markiert. Wie im Folgenden ausgeführt wird, spielen neben subjektiven Verhältnissen zu Lernen/Bildung auch Volitionen und Kognitionen zum „Gegenstand“ Digitalisierung eine Rolle bei der Herleitung der Legitimität der organisationalen Praxis im Programmbereich digitale Grundbildung.

4.4 Zur legitimatorischen Bedeutsamkeit von „digital entrepreneurship“, interorganisationaler Koordination und politischer Steuerung

Unabhängig davon, ob Legitimität stärker von ökonomischen Abwägungen abhängig gemacht wird (vgl. 4.2.) oder mit Selbstprofilierungen entlang pädagogisch-normativer Diskurshorizonte korrespondiert (vgl. 4.3.), ähneln sich die bis hierhin vorgestellten Muster in ihrer Präferenz für organsiationsexterne Legitimationen. Wie im Folgenden dargelegt wird, spielt darüber hinaus die Einpassung subjektiver Dispositionen hinsichtlich Digitalisierung in den konkreten Organisationskontext eine zentrale Rolle. Auf Basis der durchgeführten empirischen Analysen lassen sich einige Hypothesen konkretisieren, auf welche Weise (institutional) „digital entrepreneurs“ (vgl. DiMaggio 1988, S. 14) durch Ausgestaltung ihrer organisationsinternen Rolle der Legitimität des Programmbereichs digitale Grundbildung zuträglich sein können.

Zunächst ist festzuhalten, dass diese Rolle nicht notwendigerweise eine eigene Expertise der interviewten Person für digitale Technologien voraussetzt. Das Engagement der (institutional) „digital entrepreneurs“ zielt in einem weiteren Sinne darauf ab, dass organisationale Prozesse künftig (auch) digitalisiert ablaufen. Mitunter schreiben sich die Interviewten zwar selbst einen solchen Einsatz zu, teilweise verweisen sie aber auch auf das Handeln von Kolleginnen und Kollegen sowie Vorgesetzten. Wie die folgenden Belegstellen veranschaulichen, korrespondieren damit u. a. die Aufgaben, das Handeln anderer Akteure im organisationalen Umfeld im Blick zu haben und die Qualität der eigenen Praxis nachzuweisen:

„Ich bin ja die Leiterin, ich gucke auch, was ich aufgrund meiner langjährigen Berufserfahrung auch mit ihr [einer Kollegin; Anm. d. Vef.] gemeinsam, […] in den Ablauf unseres Curriculum entwickle und dann geht es darum, dass sie das dann selber noch mal […] ins Feintuning nimmt und die Umsetzung macht“ (K7_R, Pos. 22).

„dann bin ich diejenige, die erst mal aufschreibt, welche Gedanken sie dazu hat. […] und dann gucke ich auch, was machen andere Anbieter? Dann kommt die berühmte Aufgabenliste, […] Also erst mal die Idee, wer könnte denn als Dozent fungieren? […] Entweder man kennt jemanden, den man anspricht, manchmal muss man auch eine Stellenanzeige aufgeben. […] Wir sind ja auch eingebunden in ein Qualitätsmanagement. Also dieser gesamte Bereich muss dann ausgewertet werden. Ja und dann wäre man eben so weit, dass man sagt, so kann es bleiben oder das und das müssen wir verändern“ (K8_R, Pos. 11).

Ausgehend von empirischen Belegstellen mit vergleichbaren Codemustern umfasst die Rolle von (institutional) „digital entrepreneurs“ sowohl einen kreativen Eigenanteil (etwa in der Entwicklung und Bewerbung eigener Angebote) als auch eine Implementierung von Entwicklungen außerhalb der eigenen Einrichtung. Letzteres beinhaltet einerseits eine Sondierung der (regionalen) Weiterbildungslandschaft einschließlich der Wissenschaft (Code U1). Andererseits wird die Prozessierung politischer Steuerungsmaßnahmen im Hinblick auf Digitalisierung (in) der Grundbildung (Code U3) als wichtige Aufgabe darstellt:

„Das Interessante an der ganzen Geschichte ist, dass in den letzten Jahren die Zahlen rückläufig sind. Das heißt also wir haben auf der einen Seite auch eine politische, den Wunsch von wegen digitale Grundbildung ist wichtig […] das bedeutet für mich in der Volkshochschule(.) Ich biete das immer an […]“ (VHS1_F, Pos. 49).

Der legitimatorische Nutzen von „digital entrepreneurship“ und einer Kenntnis des organisationalen Umfeldes scheint jedoch nicht exklusiv mit digitaler Grundbildung als einem spezifischen Programmbereich verknüpft, sondern betrifft das Verhältnis zwischen Bildung und Digitalisierung im Allgemeinen. Das Erlernen der Funktionsweise digitaler Technologien und Medien wird nicht allein im Zusammenhang mit der Teilnehmendenschaft angesprochen, sondern auch mit Blick auf diesbezügliche (Weiter‑)Bildungsbedarfe im eigenen Kollegium. Exemplarisch manifestiert sich das darin, dass die Wichtigkeit von „persönliche[m] Engagement und die Bereitschaft, sich auf Digitalisierung einzulassen und die Kompetenz der Mitarbeitenden, die sich auch stetig erweitert“ (K7_R, Pos. 36), betont wird.

Dieser Aspekt wird in einem weiteren Interview mit Ressourcenmanagement verzahnt, indem auf die Technologieaffinität eines Trägers verwiesen wird, der Kindertagesstätten und Erwachsenenbildung unter einem Dach vereint. Dieser Träger sieht sich in der Verantwortung für die „Fort- und Weiterbildung der Mitarbeitenden […] und der hat natürlich ein elementares Interesse [daran], dass seine Leute qualifiziert sind“ (K2_R, Pos. 23). Infolgedessen investiere er in die infrastrukturellen Grundlagen, die insbesondere für digitale (Grund‑)Bildung erforderlich sind, und optimiert so die Praxis einer Organisation, deren „Ressourcen relativ begrenzt sind“ (K2_R, Pos. 23).

Zusammenfassend ist festzuhalten, dass in diesem Legitimationsmuster das Wirken von (institutional) „digital entrepreneurs“ im Zentrum steht. Dabei geht es sowohl um digitalisierungsbezogene Volitionen und Kognitionen als auch um das Engagement innerhalb von Organisationen sowie an ihren Schnittstellen zum engeren und weiteren organisationalen Umfeld.

5 Diskussion und Ausblick

In der vorliegenden Studie wurde eine detaillierte Analyse der Inhalte von Legitimationen quer über die Einrichtungen und Interviews angestrebt und dargestellt. Auf diese Weise wurden am Beispiel des Programmbereichs digitale Grundbildung Facetten von Legitimationen. Vor einer verdichtenden Interpretation der empirischen Befunde seien an dieser Stelle die method(olog)ischen Limitationen der angestellten qualitativen Forschung benannt.

Diese liegen bei der Inhaltsanalyse von qualitativen Interviewdaten zum einen darin, dass in aller Regel nur eine Teilgruppe der in den Gegenstandsbereich involvierten Akteure berücksichtigt werden kann (hier: planend-disponierendes und dozierendes Personal von Volkshochschulen und konfessionellen Bildungseinrichtungen). Daher kann an dieser Stelle nicht hinreichend beantwortet werden, ob sich im Vergleich der Einrichtungen sämtlicher Reproduktionskontexte zusätzliche bzw. anderweitige Legitimationsmuster zeigen. Hier steht zu vermuten, dass bei Einbezug von bspw. privaten Trägern insbesondere mit Blick auf die Bedeutung von Wirtschaftlichkeit weitere Dimensionen analysiert werden können. Der Einbezug von bspw. Bildungspolitik als externer Beobachterin in weiterführenden Analysen wäre insbesondere von Relevanz für den Erkenntnisgewinn im Bereich erwachsenenpädagogischer Digitalisierungsforschung, bei der bisher wenig empirisch in Bezug auf die Steuerungsfunktion von Bildungspolitik geforscht wurde (Bernhard-Skala et al. 2021).

Zum anderen beschränkt sich die Inhaltsanalyse von Interviewtranskripten darauf, dass lediglich bewusst getätigte Äußerungen als Indikatoren für Legitimation untersucht werden. „Die Inhaltsanalyse kann in der Konsequenz nicht zwischen solchen gesellschaftlichen Bedeutungsangeboten unterscheiden, die verschwunden sind, weil sie nicht mehr als Legitimationsmythen fungieren, und solchen, die verschwunden sind, gerade weil sie als (längst etablierte und völlig selbstverständliche) Legitimationsmythen fungieren“ (Koch 2018, S. 281, Herv. i. O.). Eine umfassendere Erforschung von Legitimierung im Zuge von Institutionalisierungsprozessen würde jedoch die Beantwortung mehrerer Teilfragen beantworten, nämlich was sich an welchen Organisationen durch wessen interessengeleitetes Handeln und welche Legitimationen dauerhaft verändert. In dieser Hinsicht wäre in künftiger Forschung neben einer enormen Erweiterung der Datenbasis (bspw. Dokumente, videographisches Material) eine Triangulation mit anderen Auswertungsverfahren (Dokument- und Diskursanalysen) unter Berücksichtigung zeitlicher Kontinuitäten und Diskontinuitäten anzustreben.

Nichtsdestoweniger erlauben die Ergebnisse der vorliegenden Studie plausible Schlussfolgerungen mit Blick auf die Bedeutung von Legitimation im Kontext professionellen Handelns auf mesodidaktischer Ebene. Die Befunde unterstreichen: Insofern Gesellschaften im Wandel begriffen sind (z. B. digitale Transformation), kann auch die Legitimität organisationaler Praxen – exemplarisch: Ausgestaltungsweisen von Programmen – zum Gegenstand von (Neu‑)Verhandlungen werden. Institutionalisierung und ihre Legitimierung erscheinen so als graduelle Prozesse zwischen Anerkennung und Ausblendung von Kontingenz, institutionalisierte Regeln und quasi fraglose Legitimität lediglich als temporäre Zustände (vgl. Koch 2022, S. 164). Institutionalisierung zielt konzeptionell auf einen Zustand, in dem das Institutionalisierungsobjekt (hier: Angebote digitaler Grundbildung) aus der Sicht aller Akteure als objektiv, natürlich und selbstverständlich gilt. Jene Artikulationen, die in Abschn. 4.1 als Legitimitätsbehauptungen charakterisiert wurden, erscheinen damit als Momentaufnahme der korrespondierenden „most subtle and […] most powerful source of legitimacy“ (Suchman 1995, S. 583). Insofern Infragestellungen der (institutionalisierten) Routinen aber als „redundant“ abgetan werden, birgt dies die Gefahr, dass sich Organisationen gegen externe Wandlungsansprüche immunisieren – und gerade dadurch in weiterer Folge an Legitimität einbüßen.Footnote 4

Professionelles Handeln in pädagogischen (Legitimations‑)Kontexten kennzeichnet sich indes auch dadurch, dass nicht automatisiert auf Handlungsroutinen zurückgegriffen wird, sondern vielmehr die Prämissen reflektiert werden sowie eine (Re‑)Evaluierung ihrer Tauglichkeit zur Erreichung gesetzter Ziele erfolgt. Die in Abschn. 4.2–4.4 nachgezeichneten Legitimationsmuster veranschaulichen auf je eigene Weise, welche Gesichtspunkte für den Prozess der Legitimierung im Programmbereich digitale Grundbildung relevant erscheinen: ökonomische Abwägungen, pädagogisch-normative Überzeugungen sowie das Vorhandensein von institutional „digital entrepreneurs“, die sich durch besonderen Einsatz für das Institutionalisierungsobjekt auszeichnen. Der Aufsatz liefert somit einen Beitrag zur Beantwortung der Frage, welche organisationsinternen und -externen Aspekte den Verlauf von Institutionalisierungsprozessen prägen können. Das gewonnene Wissen über vorherrschende Legitimationsmuster liefert eine Reflexionsgrundlage für Bildungspraxis und -politik und eröffnet Handlungsspielräume, um auf die im Feld der Alphabetisierung und Grundbildung beobachtbaren strukturellen Defizite bei der Etablierung eines flächendeckenden, nachfragegerechten Angebots reagieren zu können (Mania und Thöne-Geyer 2019). Gerade in Bezug auf Prozesse der digitalen Transformation wird deutlich, dass die Akteure mit der Entwicklung einer professionellen Haltung, Einstellung und der damit verbunden (Medien‑)Kompetenzen (Bolten-Bühler 2021; Rohs et al. 2019, 2020) Möglichkeiten gewinnen, sich mit dem gesellschaftlichen Diskurs auseinanderzusetzen und steuernd auf den organisationalen Wandel einzuwirken.