1 Einleitung und Vorstellung der Forschungsfragen und Forschungsziele

Das Forschungsprojekt StePrA (Steuerung der Programm- und Angebotsplanung in der betrieblichen Weiterbildung. Eine Analyse der Handlungskoordination verschiedener Akteursgruppen)Footnote 1 untersuchte die Handlungskoordination unterschiedlicher Akteurinnen und Akteure bei der Programm- und Angebotsplanung in der betrieblichen Weiterbildung (bWB), die durch das Aushandeln von Macht und Interessen geprägt ist. Die unterschiedlichen außer- und innerbetrieblichen Akteurinnen und Akteure wirken steuernd auf die Programm- und Angebotsplanung ein. Innerhalb der bWB sind Personen mit unterschiedlichen beruflichen Hintergründen und damit heterogenen Wert- und Zielvorstellungen tätig. Die Zusammenarbeit der verschiedenen Akteurinnen und Akteure ist zentral für ein Gelingen der betrieblichen Bildungsarbeit. Es besteht die Notwendigkeit, sich abzustimmen, um unter Interdependenzbedingungen gemeinsam WB als Leistung zu erstellen.

Im Projekt wurde zwei zentralen Fragestellungen nachgegangen: (1) Welcher Einfluss geht von den unterschiedlichen Akteurinnen und Akteuren auf die Programm- und Angebotsgestaltung (anvisierte Zielgruppen, Ziele, Inhalte, didaktische Handlungsfelder) in der bWB aus und (2) Welche spezifischen Formen der Programmplanung (u. a. in Bezug auf Handlungskoordination) erbringen welche Angebote und Programme? In einem ersten Schritt wurden somit Akteurinnen und Akteure, ihre Handlungskoordination bei der Programmplanung (Programme und Angebote) beschrieben, um diese in einem zweiten Schritt typisierend zu analysieren. Die Zusammenhänge wurden im Rahmen einer Grounded Theory verdichtet.

2 Theoretischer Rahmen, Forschungslage und Entwicklung der Fragestellungen

Die Theoriebezüge des Projekts liegen vorrangig in den erwachsenenpädagogischen Ansätzen zur Beschreibung und Analyse von Programmplanung (vgl. Gieseke 2003; Schlutz 2006; Dollhausen 2008; Cervero und Wilson 1994; von Hippel 2011, 2012). Zum anderen wurden auch betriebswirtschaftliche Ansätze berücksichtigt (vgl. stellvertretend Stender 2009; Becker 2011; sowie zur Unterscheidung der beiden Richtungen Käpplinger i. E.).

WB-Planungsprozesse verlaufen oftmals nicht nach einem konventionellen, zirkulären Planungsschema, sondern sind komplex und zum Teil konflikthaft aufgrund der Interessen unterschiedlicher Akteurinnen und Akteure. Dies zeigt die internationale wie die deutsche Literatur (z. B. zu Einflussgrößen auf kollektive bWB-Entscheidungen Weber et al. 1994; Neuberger 1994; Käpplinger 2009).

Neben der grundsätzlichen Verortung des Forschungsvorhabens in der erwachsenenpädagogischen Programmforschung wurde die Governance-Perspektive genutzt, um den Blick auf Handlungskoordination der unterschiedlichen Akteurinnen und Akteure mit ihren unterschiedlichen Sinnlogiken, Verfügungsrechten und Zuschreibungen an bWB zu richten (vgl. Altrichter et al. 2007).

Im bisherigen Theorie- und Forschungsstand finden sich einige Studien dazu, welche Faktoren auf die Gestaltung der bWB Einfluss nehmen, die eher die Strukturen und auch Kooperationen und Netzwerke von Unternehmen und WB-Anbietern betrachteten (vgl. Übersicht bei Schiersmann et al. 2001 und Bäumer 1999, S. 42), weniger jedoch die tatsächliche Gestaltung und Handlungskoordination der Programmplanung.Footnote 2 Bei diesen Studien wird deutlich (vgl. u. a. Weber et al. 1994), dass trotz vergleichbarer Strukturen unterschiedliche Entscheidungen im WB-Management in den Unternehmen getroffen werden können, so dass von einem – zwar durch Strukturen und Ressourcen als Rahmenbedingungen begrenzten – Gestaltungsspielraum ausgegangen werden kann (vgl. Bäumer 1999, S. 67). Heuer (2010) untersuchte die Aushandlungsprozesse bei WB-Entscheidungen. An diese Ergebnisse wurde im Projekt angeschlossen.

BWB wird als beigeordnete Bildung verstanden (vgl. Gieseke und Heuer 2011), da es nicht der primäre Zweck von Unternehmen ist, WB anzubieten (auch „sekundäre Erwachsenenbildungsinstitutionen“ genannt, vgl. Schmitz 1980, S. 121). Sie ist dadurch begründungspflichtig (vgl. Käpplinger i. E.) und in besonderem Maße kontingent, weil der Ressourceneinsatz für WB immer in Konkurrenz zu anderen Ausgaben steht. Das Programmplanungshandeln entsteht im Spannungsfeld von ökonomischen und pädagogischen Prinzipien. Das Spannungsfeld in der bWB eröffnet sich damit zwischen den Erwartungen, die an Wirtschaftlichkeit, kurzfristigem Erfolg und damit am Bedarf orientiert sind einerseits und Erwartungen, die an pädagogischen Zielen wie Kompetenzerwerb und Einsatz der Kompetenzen, langfristigem Nutzen und damit an den Bedürfnissen der Mitarbeitenden ausgerichtet sind, andererseits. Dabei deutet sich bislang keine Auflösung dieses Zielkonflikts an (vgl. Dobischat und Düsseldorff 2010). Umso wichtiger sind daher die der WB zugeschriebenen Funktionen. Dabei wurde bislang in der Literatur nur auf objektive Funktionen bWB abgehoben. Ein vielfacher Funktionsbezug ist implizit (vgl. zu Funktionen in anderen Weiterbildungsbereichen bspw. in der Qualifizierung und Fortbildung von Freiwilligen: Habeck 2015).

Die zentrale Kategorie der zugeschriebenen Funktionen in der Programmplanung bWB wurde im Verlauf des Projekts induktiv erarbeitet und anschließend am Theorie- und Forschungsstand gespiegelt (Details dazu im Unterpunkt 4.1.4). Der Schwerpunkt der vorgenommenen Analyse der zugeschriebenen Funktionen liegt dabei ebenfalls in der erwachsenenpädagogischen Programmforschung.

Der Begriff der Funktionen ist anschlussfähig an den bisherigen Theorie- und Forschungsstand. Dabei wurde bislang in der Literatur auf objektive Funktionen bWB abgehoben. Demgegenüber gehen wir dem interpretativen Paradigma folgend mit der Perspektive des Symbolischen Interaktionismus von einer subjektiven Wirklichkeits- und Bedeutungskonstruktion aus (vgl. Blumer 1972). Den Begriff der zugeschriebenen Funktionen verstehen wir dementsprechend als subjektive Bedeutungszuschreibung an bWB. Es wird angenommen, dass bWB nicht bestimmte Funktionen hat, sondern dass ihr vielmehr von den verschiedenen Akteuren unterschiedliche (auch mehrere) Funktionen zugeschrieben werden. Funktionen sind akteursabhängige Zuschreibungen in der Programmplanung bWB. Diese Zuschreibungen werden als eine Auslegung von Weiterbildung verstanden.Footnote 3 Wir verwenden den Funktionsbegriff also nicht für eine soziologische Analyse beispielsweise der Funktionen bWB für gesellschaftliche (Teil-)Systeme. Dennoch ist bspw. die funktionale Analyse nach Merton (1967) anknüpfungsfähig, insofern als dass deutlich wird, dass Phänomene verschiedene Funktionen ausüben können und dass unterschiedliche soziale Gruppen Phänomene als unterschiedlich (dys-)funktional einschätzen können. Auch die Grundfragen der funktionalen Analyse (Welche Folgen hat das? Wem nützt das?) sind für uns leitend.Footnote 4

Hinsichtlich des Theorie- und Forschungsstandes bleibt festzuhalten, dass es bis auf einige Ausnahmen (u. a. Schmitz 1978, 1980; Harney 1998) noch wenige grundlegende theoretische Arbeiten zur Programmplanung bWB gibt (vgl. Käpplinger i. E.). Es lagen bislang weder empirische Detailanalysen zur Handlungskoordination auf der Mesoebene mit Fokus auf die Akteurinnen und Akteure, ihre unterschiedlichen Handlungslogiken und Aushandlungsprozesse (vgl. Schrader 2001; Käpplinger i. E.) vor,Footnote 5 noch umfangreiche, mit Analysen zur Programmplanung verknüpfte Programmanalysen für die bWB. Als Forschungslücke war zu sehen, dass „sich die Forschung zum Weiterbildungsmanagement (…) nicht auf die Akteure, sondern auf die Aufgaben und Methoden des Managements“ bezog (Schiersmann et al. 2001, S. 20).

3 Methode und Design

Es wurden drei explorativ-deskriptive (vgl. Fragestellung 1), explanativ typisierende (vgl. Fragestellung 2), vergleichende Betriebs-Fallstudien durchgeführt (vgl. Yin 2009). Diese umfassten neben Experteninterviews sowie problemzentrierten Einzelinterviews auch je eine Programmanalyse. Es kam ein vierstufiges qualitatives Triangulationsverfahren zum Einsatz (vgl. Flick 2004), das in Perspektivverschränkung „eine Wirklichkeit aus den Schnittmengen der Perspektiven, die in kommunikative Wissens- und Handlungserarbeitung verwickelt sind“ (Gieseke 2007, S. 18), zeichnet. Durch dieses Design konnten nicht nur die Perspektiven der relevanten Akteurinnen und Akteure berücksichtigt, sondern auch der Einfluss auf das WB-Programm erfasst werden.

3.1 Auswahl der Fälle

Die Auswahl der UnternehmenFootnote 6 erfolgte kategoriengeleitet nach dem Prinzip des theoretical sampling (vgl. Strauss und Corbin 1996). Damit wurde eine inhaltliche Repräsentation, aber keine statistische Repräsentativität (vgl. Merkens 1997) angestrebt. Als Grundgesamtheit wurden Unternehmen mit mindestens 2800 Mitarbeitenden gewählt. Nach Bäumer (1999) ist bei dieser Größe davon auszugehen, dass die Organisation die folgenden Kriterien erfüllt: Funktionsbereich WB ist vorhanden, hauptamtliche WB-Stellen sind vorhanden, WB-Budget ist vorhanden, WB ist formal organisiert (vgl. Bäumer 1999, S. 221).

Um eine möglichst heterogen geschichtete Stichprobe zu erhalten, wurde ein weiteres Kriterium herangezogen: die WB-Aktivität der Branche. Es wurden drei unterschiedliche Branchen gewählt, von denen zwei statistisch betrachtet stark weiterbildungsaktiv sind (Fall A und C) und eine nur wenig (Fall B) (Schönfeld und Behringer 2013, S. 116 ff.).

3.2 Durchführung der Interviews

Nach einem Pretest fand in jedem der drei Unternehmen das erste Experteninterview mit der Leitung der für WB zuständigen Abteilung statt. Diese Person stellte den Kontakt zu den weiteren Interviewpartnern her: Führungskräfte verschiedener Hierarchieebenen, weitere Mitarbeitende der WB-Abteilung, Betriebsratsmitglieder und Mitarbeitende ohne Führungsverantwortung.

Mit Interviewpartnern, bei denen das Planen von WB-Angeboten zur Stellenbeschreibung gehörte, wurden Experteninterviews geführt (16 Interviews) (vgl. Bogner und Menz 2002). Wenn die Interviewpartner nur teilweise in die Planung von WB-Angeboten oder lediglich in deren Nutzung involviert waren, wurden problemzentrierte Interviews geführt (19 Interviews) (vgl. Witzel 2000). Am Ende jeder Fallstudie wurde im Sinne einer kommunikativen Validierung ein abschließendes Experteninterview mit der WB-Leitung geführt (vgl. Mayring 2003). Insgesamt wurden 35 Interviews geführt.

3.3 Auswertung

Die Auswertung der Interviews (vollständig transkribiert, in MAXQDA kodiert) erfolgte in Anlehnung an die qualitative Inhaltsanalyse nach Mayring (2003) sowie nach den Kodierarten der Grounded Theory (vgl. Strauss und Corbin 1996). Um die intersubjektive Nachvollziehbarkeit zur überprüfen, wurden zwei Interviews von jeweils unterschiedlichen Personen parallel kodiert. Die Analyse der Intercoder-Reliabilität diente dem Ziel einer qualitativen Verbesserung des Kodierens und des Kodierleitfadens.

Der Programmanalyse lag in allen drei Fällen der gedruckte Programmkatalog zugrunde. Dieser umfasste die im Voraus durch die WB-Abteilung geplanten Angebote. Auf dieser Grundlage wurden organisationsbezogene, integrierte Programmanalysen durchgeführt (vgl. Robak 2012; Nolda 2009). Je Fall wurde dabei das WB-Programm eines gesamten Jahres betrachtet.

4 Ausgewählte Ergebnisse

Es handelt sich bei unserer Analyse um eine Analyse der Programmplanung bWB, bei der über zugeschriebene Funktionen die Programmplanung und das Ergebnis-Programm näher beschrieben werden können. Zentrale Ergebniserträge des Projekts liegen im Aufzeigen der unterschiedlichen beteiligten Akteurinnen und Akteure und ihren Funktionszuschreibungen an bWB sowie unterschiedlicher Programmarten. Zusammenfassend geht es um Folgendes:

Akteure (…), die sich letztlich über ihre Unterschiedlichkeit und ihre intentionalen Handlungen beschreiben lassen (…), beziehen sich in ihren Handlungen auf Strukturen und (re-)produzieren diese (…). Diese und die darauf fußenden Leistungen können als Ergebnisse der koordinierten Handlung aufgefasst und evaluiert werden (Altrichter und Heinrich 2007, S. 71 f.).

Die folgende Grafik zeigt anhand des Kodierparadigmas der Grounded Theory die grundlegenden Zusammenhänge. Diese werden anschließend zunächst zusammenfassend dargestellt (4.1) und dann anhand einer Fallanalyse (4.2) vertiefend erläutert.

4.1 Programmplanung in der betrieblichen Weiterbildung: Akteuren zugeschriebene Funktionen und Programmarten

Als zentrales Phänomen sehen wir die induktiv gewonnene Kategorie der akteursabhängig zugeschriebenen Funktionen an bWB (im Unterschied zur bisherigen Literatur, die hauptsächlich auf objektive Funktionen ohne Akteursunterschiede abhebt) (Abb. 1). Es ist das, worum es den befragten Akteurinnen und Akteuren hauptsächlich geht. Die Funktionen sind eingebettet in verschiedene Kontexte und Bedingungen. Die Strategien, wie die Akteurinnen und Akteure mit den zugeschriebenen Funktionen umgehen, zeigen sich in den Programmplanungsprozessen. Diese Programmplanungsprozesse kann man anhand verschiedener theoretischer Modelle klassifizieren und empirisch beschreiben. Als Resultat der auf die zugeschriebenen Funktionen bezogenen Programmplanungsprozesse lassen sich verschiedene Programmarten klassifizieren und empirisch beschreiben.

Abb. 1
figure 1

Akteursabhängig zugeschriebene Funktionen als zentrales Phänomen (Kodierparadigma nach Strauss und Corbin 2006)

4.1.1 Kontext und Bedingungen

Aus dem bisherigen Literatur- und Forschungsstand bekannt, gehören zu den Einflussfaktoren und Rahmenbedingungen bWB insbesondere Unternehmensgröße, Branche, Engagement in der Ausbildung, der Anteil der qualifizierten Beschäftigten, die Existenz eines Betriebsrats, das Innovationsniveau (vgl. Schönfeld und Behringer 2013), sowie die Typen betrieblicher Weiterbildungsorganisation (vgl. Bäumer 1999). Welche Funktionen bWB zugeschrieben werden, hängt darüber hinaus von den jeweiligen individuellen Akteurinnen und Akteuren ab (u. a. Aufbauorganisation, beruflicher Hintergrund), aber auch von Ressourcen, Unternehmensphilosophie, gesetzlichen Vorgaben.

Anstatt von individuellen Akteuren zu sprechen, könnte man die Weiterbildungsabteilung auch als korporativen und den Betriebsrat als kollektiven Akteur untersuchen. Wir sprechen jedoch von individuellen Akteuren, da deutlich wurde, dass die individuellen Akteure auch innerhalb eines korporativen Akteurs der bWB unterschiedliche Funktionen zuweisen können (vgl. zum Akteursbegriff in der Governance-Forschung Altrichter et al. 2007).Footnote 7

Im Projekt wurden deutlich in allen drei Fallstudien die Akteurinnen und Akteure, die an der Planung bWB direkt oder indirekt beteiligt sind,Footnote 8 herausgearbeitet: WB-Abteilung, Führungskräfte, interne und externe Trainer, Unternehmensleitung, Mitarbeitende, Betriebsrat. Als weitere Akteurinnen und Akteure bei nicht allen Unternehmen sind zu nennen: Unternehmensleitung, Personalleitende, Kunden des Unternehmens, Gesetzgeber, regionale Personalentwickler, zentrale Personalentwicklungs-Stabsstellen. Die Akteurinnen und Akteure haben jeweils eigene Sinnlogiken, die sich in den unterschiedlichen zugeschriebenen Funktionen widerspiegeln und die ausgehandelt werden müssen.

4.1.2 Handlungsstrategien

Es wird davon ausgegangen, dass Programmplanung so wie von Gieseke (2003) beschrieben als Angleichungshandeln verstanden werden kann und dass dabei Gestaltungsspielräume vorhanden sind – sowohl im Prozess des Angleichungshandelns als auch in Bezug auf das Programm als Ergebnis. Das Hauptinteresse des Projekts war es daher, zu verstehen, warum bestimmte Programme auf bestimmte Art und Weise gestaltet wurden (vgl. auch McLean 2000). Die Erschließung der Zuschreibungen der Akteurinnen und Akteure ermöglicht insbesondere auf die Frage des Warum Antworten zu geben. Über die akteursabhängig zugeschriebenen Funktionen kann Angleichungshandeln in der bWB als Auslegungsprozess mit unterschiedlichen Akteurinnen empirisch beschrieben werden.

Die Programmplanung als Handlungsstrategie wurde unter verschiedenen theoretischen Aspekten empirisch analysiert. So beispielsweise als Aushandeln von Macht und Interessen, über die die Akteurinnen und Akteure in unterschiedlichem Rahmen und unterschiedlicher Ausgestaltung verfügen (vgl. Cervero und Wilson 1994), unter dem Aspekt der Planungspartizipation (vgl. Robak et al. 2015) oder als Planungskultur (vgl. Dollhausen 2008).

4.1.3 Konsequenzen

Aus den unterschiedlichen zugeschriebenen Funktionen und Programmplanungsprozessen ergeben sich differente Programmarten.Footnote 9 In allen drei Unternehmen gibt es eine Vielzahl an WB-Angeboten jenseits des jeweiligen Programmkatalogs. Diese unterschiedlichen Programmarten in der bWB waren bislang kaum systematisch und empirisch erfasst.Footnote 10 Im Fallvergleich schlagen wir folgende Einordnung vor:

  • Programmkatalog: die von der WB-Abteilung im Voraus geplanten, offenen Angebote,

  • bereichsinterne Angebote: von verschiedenen Unternehmensbereichen/Gruppen/Standorten im Unternehmen eigenständig geplante Angebote ohne Beteiligung der WB-Abteilung,

  • externe Angebote: Angebote externer Anbieter, die für einzelne Mitarbeitende gebucht werden, entweder mit oder ohne Beteiligung der WB-Abteilung,

  • maßgeschneiderte Angebote: Angebote, bei denen die WB-Abteilung als Dienstleister fungiert und kurzfristig auf Bedarf aus unterschiedlichen Unternehmensbereichen reagiert,

  • weitere Einzelangebote: weitere WB-Angebote bzw. Aktivitäten der WB-Abteilung, wie z. B. Schulungsmaßnahmen im Rahmen einer Kampagne gegen sexuelle Gewalt.

Die Programmarten unterscheiden sich hinsichtlich der planenden Akteurinnen und Akteure, der jeweils zugeschriebenen Funktionen, der Zielgruppe, der Themen, der Finanzierung und des Planungshorizonts. In den jeweiligen WB-Angeboten spiegeln sich unterschiedliche funktionale Bezüge.

4.1.4 Phänomen

Wie bereits im Theorie- und Forschungsstand dargestellt, wird nicht davon ausgegangen, dass bWB bestimmte Funktionen innehat, sondern, dass ihr vielmehr unterschiedliche Funktionen zugeschrieben werden.Footnote 11 Funktion wird definiert als der Zusammenhang, den die Akteurinnen und Akteure zwischen WB und anderen Zielen herstellen. Andere Ziele können sowohl Organisationsziele sein als auch sich auf die Interessen einzelner Akteurinnen und Akteure beziehen. Unterschiedliche Akteurinnen und Akteure weisen bWB bzw. den jeweiligen Programmarten unterschiedliche Funktionen zu. In diesem Sinne können die Funktionen als eine empirische Spezifizierung der beigeordneten Bildung im betrieblichen Kontext verstanden werden. Gleichzeitig gehen wir davon aus, dass sich auch der Zeitgeist in den Funktionen widerspiegelt, und bspw. einige der Funktionen einer neoliberalen Haltung zugeordnet werden können.

Die grundlegenden Arbeiten zu objektiven Funktionen bWB stammen von Schmitz (1978, 1980), Diedrich (1988) und Weber (1985). Auf diesen fußen die weiteren Arbeiten (vgl. Geißler und Orthey 1990; Harney 1998; Faulstich 1998; Rodehuth 1999; Quenzler 2008; Heuer 2010; Dewe und Feistel 2013; Seyda und Werner 2014). Es wird in der Regel systemtheoretisch fundiert auf drei Ziel-Perspektiven bWB verwiesen: Individuen bzw. Mitarbeitende, Unternehmen, Gesellschaft.Footnote 12 Aus personalwirtschaftlicher Sicht hat bWB die Funktion, den Faktor Arbeit – mit dem Ziel der Produktivität des Unternehmens – bereitzustellen und zu sichern, zu problemadäquaten Kosten (vgl. Rodehuth 1999). Die in der Literatur genannten Funktionen spiegeln oft die personalwirtschaftlichen Grundfunktionen. Die verschiedenen Akteurinnen und Akteure und ihre jeweiligen Perspektiven werden nicht berücksichtigt, ebenso wenig dass unterschiedlichen Programmarten unterschiedliche Funktionen zugeschrieben werden.

Nach Schmitz liegen die Funktionen von bWB zwischen den „Polen betrieblicher Systemprobleme, die Produktion von Gütern und Dienstleistungen effizient zu gestalten und die Entscheidungsmonopole der hierarchischen Spitze legitimatorisch zu sichern bzw. dementsprechend ein sowohl an Leistung als auch an Loyalität gemessenes Arbeitshandeln zu erreichen“ (Schmitz 1980, S. 123). Schmitz industriesoziologische Analyse unterscheidet vier personalpolitische Funktionen unter den Aspekten von gesellschaftlicher Arbeitsteilung und Herrschaft: (1) technisch-instrumentelle Fähigkeiten der Beschäftigten anzupassen; (2) Wissen an Führungskräfte zu vermitteln um die hierarchische Struktur aufrechtzuerhalten; (3) Disziplinierung und Motivierung der Beschäftigten für Aufstiege (vertikale Mobilität); (4) Gratifikation und Spaltung betrieblicher Arbeitsmärkte: geringe Qualifizierungskosten für Mitarbeiter, deren Arbeitsplätze bei Konjunkturschwankungen etc. eingespart werden und mehr Investitionen für die Stammbelegschaft. Übergreifend lässt sich sagen, dass Schmitz neben der Qualifizierungsfunktion (1 und 2) insbesondere die Selektions- und Legitimationsfunktion/soziale Reproduktionsfunktion (3 und 4) als zentrale Funktionen herausarbeitet.

Demgegenüber enthält unser Verständnis der zugeschriebenen Funktionen keine Aussage darüber, inwiefern die Funktionen im jeweiligen Unternehmen/in Bezug auf die jeweilige Programmart erfüllt werden. Es geht nicht darum, objektiv Zusammenhänge zu unterstellen, sondern darum, über zugeschriebene Funktionen die Gestaltung der Programmplanung erklären zu können. Man könnte in gewisser Weise auch sagen, dass es sich um erwartete Funktionen handelt.

In der folgenden Tab. 1 werden alle induktiv erarbeiteten sowie deduktiv ergänzten Funktionen zusammengeführt. Sie werden danach unterschieden, inwiefern das Lernergebnis eine hohe oder eher eine niedrige Relevanz besitzt.Footnote 13 Deduktiv meint hier, dass die Funktionen in der Literatur genannt werden, wenn sie dort auch als objektiv und nicht als zugeschrieben verstanden werden.

Tab. 1 Zugeschriebene Funktionen an betriebliche Weiterbildung

Einige der oben genannten Funktionen können auch erfüllt sein, ohne dass die WB-Angebote tatsächlich stattfinden. Um beispielsweise im Sinne der Akquisefunktion im Wettbewerb um gute Fachkräfte erfolgreich zu sein, ist es ausreichend, ein möglichst umfangreiches Weiterbildungsprogramm in Form eines Trainingskatalogs zu gestalten, um dieses bei Vorstellungsgesprächen auf den Tisch zu legen.Footnote 14

Ebenso wichtig ist es zu reflektieren, welche Funktionen von den Akteuren nicht genannt werden. Gesellschaftliche und kulturelle Teilhabe bspw. werden von den Interviewpartnern nicht angesprochen. Wenig genannt werden auch die Entwicklungsfunktion oder die Unterstützung von Gesundheit, Wohlbefinden, Zufriedenheit ohne Bezug zur Arbeitsfähigkeit. Selbst bei Fall B, dem Unternehmen mit dem am stärksten erwachsenenpädagogisch geprägten Zugang zu bWB (Mitarbeitende verfügen über Studienabschlüsse in Erwachsenenbildung), liegt der Fokus auf der Abschaffung der organisierten Angebote. Das Ziel ist es, Lernen im Arbeitsprozess zu fördern und Selbstlernprozesse mit digitalen Medien zu unterstützen (ähnlich auch Fall A). Dabei wird nicht reflektiert, welche Mitarbeitergruppen an dieser Art des Lernens vermutlich nicht partizipieren können (bekannte Forschungsergebnisse).

Warum kaum Funktionen mit Bezug zu Teilhabe und Chancengerechtigkeit sowie Bildung als Selbstzweck angesprochen werden, lässt sich über die Handlungslogik bWB erklären. Harney (1998) arbeitet systemtheoretisch und auch bildungsökonomisch fundiert die Handlungslogik bWB heraus. Leitgesichtspunkt betrieblicher Handlungslogik (Orientierungen, Handlungs- und Kommunikationsvoraussetzungen) – der die bWB unterliegt – ist es, das Überleben der Organisation dauerhaft sicherzustellen. Der kommunikative Rahmen der bWB ist die „ständige Frage nach ihrer innerbetrieblichen Existenzberechtigung“ (S. 140) und die Frage nach Weiterbildungskosten und -erträgen. In der bWB kommt es daher nicht auf die Teilnehmenden, sondern auf die Organisation an. BWB ist dabei eine austauschbare Möglichkeit, um Anpassungsfähigkeit und Zukunftssicherheit der Organisation und damit die Reproduktion der Betriebsform sicherzustellen.

Phänomenologisch zeigt sich der Charakter der beigeordneten Bildung z. B. am Zuschnitt von Weiterbildungsentscheidungen, die nicht die gesamte lernende Person in den Mittelpunkt stellt (…), sondern an notwendigen betrieblichen Funktionen orientiert sind (Heuer 2010, S. 89).

Die meisten der oben genannten Funktionen verweisen auf die Zielperspektiven von Unternehmen und Mitarbeitenden sowie einige auf die Zielperspektive der WB-Abteilung. Auffällig ist, dass so gut wie keine eine gesellschaftliche Zielperspektive aufweist.Footnote 15 Man kann diese Zielperspektiven auch als Begründungszusammenhänge sehen, auf die Programmplanende rekurrieren, um Entscheidungen zu begründen (vgl. auch Pohlmann 2015). Dazu zählen neben pädagogischen Prinzipien (Zielperspektiven Individuen und Gesellschaft) auch ökonomische Interessen (Zielperspektiven Unternehmen und Mitarbeitende) und gesellschaftliche Ansprüche. Für die Auswertung der Daten des hier beschriebenen Projekts haben wir als vierten Begründungszusammenhang mikropolitische Überlegungen (Zielperspektive WB-Abteilung) hinzugefügt.

Als methodische Einschränkung ist zu nennen, dass durch die gewählte Erhebungsmethode des Interviews möglicherweise Funktionen, die die Akteure bewusst nicht zur Sprache bringen, nicht berücksichtigt werden. Denkbar ist auch, dass einzelne Akteure bestimmte Funktionen gezielt nicht ansprechen oder überbetonen, weil es ihren eigenen Interessen dient (vgl. zu nicht-kommunizierten Funktionen von Coaching: Taffertshofer 2006, S. 10). So könnte z. B. der Vorstand ein Interesse daran haben, die Legitimationsfunktion nicht zu offenkundig anzusprechen oder die WB-Abteilung die Qualifizierungsfunktion in den Vordergrund stellen, um ihre Arbeit im Unternehmen zu rechtfertigen (Heuer 2010, S. 124 f.). Gleichzeitig ist ein methodischer Vorteil darin zu sehen, dass die Kategorie der zugeschriebenen Funktionen induktiv entwickelt wurde, so dass keine direkten Fragen im Leitfaden hierzu bestehen, die eventuell Rechtfertigungen etc. hervorgerufen hätten.

4.2 Fallanalyse

Anhand der Fallanalyse werden die zuvor beschriebenen Zusammenhänge beispielhaft verdeutlicht. Alle Beispiele stammen aus Fall A. Es wird gezeigt, wie mithilfe der zugeschriebenen Funktionen das Zustandekommen eines bestimmten Angebotsspektrums erklärt werden kann.

4.2.1 Das Unternehmen und die Akteure

Unternehmen A agiert im Gesundheitsbereich und hat über 5000 Mitarbeitende. Das Unternehmen zeichnet sich durch eine sehr heterogene Mitarbeiterschaft aus: Neben Ärzten und Pflegepersonal, das auch ausgebildet wird, gibt es weitere gesundheitsnahe Berufsgruppen, wie z. B. Hebammen, sowie andere Berufsgruppen, z. B. in der Verwaltung. Mehrfach wird in den Interviews darauf verwiesen, dass sich das Unternehmen in einer Sanierungsphase befindet und das WB-Budget deshalb sehr gering sei. Darüber hinaus wird das Gesundheitswesen als stark gesetzlich reguliert beschrieben. Die nachfolgende Tab. 2 gibt einen Überblick über die Akteurinnen und Akteure, alle Interviewpartner wurden mit * markiert. Die nachfolgenden Ausführungen konzentrieren sich auf die planenden Akteurinnen und Akteure.

Tab. 2 Akteurinnen und Akteure im Fall A in Anlehnung an das Mehrebenenmodell der Weiterbildung (Schrader 2011)

4.2.2 Das WB-Angebot: Fünf verschiedene Programmarten

Wie bereits allgemein dargestellt, finden sich auch in Unternehmen A verschiedene Programmarten. Zwei Aspekte sind im Vergleich zu den anderen beiden Fällen besonders interessant. Zum einen finden in Unternehmen A mehr Angebote außerhalb des Programmkatalogs statt, v. a. maßgeschneiderte Angebote und Bereichs- bzw. Berufsgruppen-interne Angebote ohne Beteiligung der WB-Abteilung.

Dann haben wir am Standort noch mal ein eigenes Fort- und Weiterbildungsprogramm für den Pflegedienst etabliert, … (…) Das is’ jetzt gerade auf der letzten Stationsleitungskonferenz raus gegeben worden (Pflegeleitung Standort 3).

Zum anderen fällt in Bezug auf den Programmkatalog auf, dass dieser Angebote mehrfach enthält, was zu einem großen Umfang führt. Darüber hinaus sind Angebote wie Yoga enthalten, diese werden von der WB-Leitung als „goodies“ bezeichnet.

4.2.3 Zugeschriebene Funktionen im Fall A

Um das Zustandekommen der Programme beispielhaft zu verstehen, werden nun die Funktionen betrachtet, die die verschiedenen Akteurinnen dem Programmkatalog vorrangig zuschreiben. Einige Perspektiven lassen sich durch die beruflichen Hintergründe der Interviewten erklären.

Aus Sicht der WB-Leitung stehen Image- und Akquisefunktion („Fachkräfte werben“), Compliance-Funktion (Vorgaben erfüllen, um kein Geld zu verlieren) sowie Gratifikations-, Motivations- und Mitarbeiterbildungsfunktion im Vordergrund (Bspw. sind die Angebote im Programmkatalog nach Berufsgruppen sortiert). So kommt es zu der Mehrfachnennung und dem großen Umfang des gedruckten Programmkatalogs – was wiederum von Vorteil für die Image- und Akquisefunktion ist:

  • Image- und Akquisefunktion: „Und jetzt erzählt mir zum Beispiel die Chefärztin, wissen Sie, Frau XY, wenn bei mir Bewerber kommen, haben mir jetzt schon drei gesagt, dann nehm‘ ich mir Ihr Buch, ja oder Euer Buch, und zeig denen das, was wir alles haben hier“ (Leitung WB-Abteilung).

  • Gratifikations-, Motivations-, Mitarbeiterbindungsfunktion: „Der Konzern sieht, dass ich da bin. Und hat auch was für mich. Ob ich‚s nutze, wie gesagt, bleibt auch wieder was anderes“ (Leitung WB-Abteilung).

Anders als bspw. in Unternehmen B (WB-Leitung mit erwachsenenpädagogischem Hintergrund und spezifischer Unternehmensphilosophie) wird die Entwicklungsfunktion nicht in den Vordergrund gerückt. Das lässt sich mit dem beruflichen Hintergrund der WB-Leitung erklären. Sie plädiert dafür, dass es schlauer sei, nicht nur Pädagogen mit Personalentwicklung zu betrauen, sondern Personen wie sie:

dadurch, dass ich aus dem medizinischen Bereich komme, und das Kerngeschäft extrem gut kenne [I: mhm] weiß ich natürlich unglaublich viel über das, was brauchen die Menschen (Leitung WB-Abteilung).

Demgegenüber weisen andere Akteurinnen und Akteure dem Programmkatalog bzw. bWB allgemein andere Funktionen zu. Dadurch, dass diese teilweise nicht erfüllt werden, entstehen weitere Angebote außerhalb des Programmkatalogs. Als Beispiel ein Zitat der bereits oben zitierten Pflegeleitung, die die Bewältigungs- und Flexibilitätsfunktion in den Vordergrund rückt:

Das hat auch wieder etwas mit der medizinischen Ausrichtung zu tun. Wenn jetzt auf einmal die Geschäftsführung sagt, wir wollen jetzt etwas etablieren, [I1: Mhm.] muss ich mal flächendeckend ganz schnell 950 Mitarbeiter schulen. (…) Deshalb brauch’ ich standortbezogene Fort- und Weiterbildungsprogramme (Pflegeleitung Standort 3).

Hier wird auch deutlich, dass hinter einer Funktion verschiedene Ziele stehen können, für das obige Zitat z. B. Wettbewerbsvorteil und Arbeitsqualität.

Ein weiteres Zitat weist auf die Perspektive der Ärzteschaft hin. Für den Chefarzt sollte Weiterbildung v. a. eine Qualifizierungsfunktion erfüllen – er schreibt diese Funktion dem Programmkatalog allerdings in geringerem Maße zu. Dementsprechend wünscht er sich einen höheren Anteil des WB-Budgets für seine Abteilung:

Ja, es gibt, es gibt so’n allgemeines Weiterbildungsbudget, was außerordentlich knapp [I: Mhm.] is’. Ähm, wobei ’n Teil, ’n großen Teil des Budgets, ehrlicherweise muss man natürlich sagen, is’ in dieser Personalentwicklung verbraten. (…) Mh und dann ähm gibt es äh für die Abteilungen selbst ein sehr kleines Budget (Chefarzt).

Mit Merton (1967) lassen sich auch latente, also unerwartete und unerkannte, Funktionen benennen.Footnote 16 Dies wird z. B. in der Interpretation der WB-Angebote durch ein Betriebsratsmitglied, das dem Programmkatalog auch eine Ablenkungsfunktion zuschreibt, deutlich (vom beruflichen Hintergrund ebenso Arzt):

es ist ein netter Versuch (…) auf die Leute zuzugehen [Ew: ja.] und ihnen (…) Möglichkeiten zu schaffen, äh mit dem Stress irgendwie umzugehen, aber es, es reicht nicht. Es sind, es sind – ich sag’ jetzt mal Ersatzbefriedigungen. (…) Weil im Grunde genommen, an dem Grundproblem, das was die Menschen eigentlich belastet, wird gar nichts gemacht, sondern es wird nur an den Symptomen rumgedoktert [I1: Mhm.] und nicht die, die Ursache oder die Krankheit beseitigt. [I1: Mhm.] Und die Krankheit ist ganz einfach Arbeitsverdichtung (Betriebsrat).

4.2.4 Handlungskoordination

In den Zitaten der verschiedenen Akteurinnen und Akteure wird deutlich, dass diese sehr unterschiedliche Interessen verfolgen. Der WB-Leitung geht es z. B. stark um die Profilierung ihrer Abteilung im Unternehmen; auf der Ebene der Standorte geht es darum, sich im Wettbewerb gegen andere Krankenhäuser zu positionieren; dem Chefarzt geht es darum, WB als Statussymbol der Ärzteschaft weiter nutzen zu können, während die Pflegschaft durch mehr WB auf ein höheres Ansehen hofft und der Betriebsrat das Ziel niedrigerer Arbeitsverdichtung verfolgt.

Handlungskoordination meint also nicht nur inhaltliche und konzeptionelle Abstimmungsprozesse (Gieseke 2003), sondern auch das Aushandeln von Macht und Interessen über die Zuschreibung von Funktionen an bWB.

Handlungskoordination findet in Fall A teilweise in jährlichen Planungsgesprächen, z. B. zwischen WB-Abteilung und Pflegedirektorenkonferenz oder zwischen WB-Abteilung und Geschäftsführern der verschiedenen Standorte, sowie in kurzfristigen Gesprächen, z. B. zwischen Führungskräften und der WB-Abteilung statt. Gleichzeitig werden grundlegende Entscheidungen wie z. B. die Aufteilung des Budgets hauptsächlich von der WB-Abteilung bzw. explizit der WB-Leitung getroffen.

Als Beispiel soll die Verteilung des Budgets für bWB betrachtet werden. Diese wird wie bereits beschrieben von der WB-Leitung vorgenommen. Sie entscheidet, wie viel Budget für den Programmkatalog verwendet wird, wie viel Budget dabei welcher Berufsgruppe zugutekommt und wieviel Budget darüber hinaus für externe, maßgeschneiderte und bereichsinterne Angebote an einzelne Standorte und Abteilungen gegeben wird.

Frau XY versucht das [Budget] schon gerecht zu verteilen. [I: Ja] Prozentual gemessen an der, äh an der Kopfzahl der der der Pflege also der der Berufsgruppen, [I: Mhm] immer. Größe der Berufsgruppe. [I: Okay. Ja] Ne, da muss man ja, das schon gerecht verteilen (Mitarbeiter WB-Abteilung).

Der Modus der Handlungskoordination der anderen Akteurinnen und Akteure ist somit zunächst die Beobachtung (vgl. Lange und Schimank 2004, S. 19 ff.). Gleichzeitig kann die oben zitierte Aussage des Chefarztes, ein Großteil des Budgets „wird verbraten“, als Beeinflussung verstanden werden. Es stellt eine direkte Bedrohung für das Interesse der WB-Abteilung, sich intern zu profilieren, dar. Die Planungssituation ist somit durch eine nicht-konsensuale Interessenkonstellation und eine asymmetrische Machtkonstellation gekennzeichnet (Cervero und Wilson 1994).

Dieser Konflikt setzt sich dann an den einzelnen Standorten fort. Dort entscheiden Geschäftsführung, Ärztliche Direktion und Pflegedirektion, wie das standortbezogene Budget für WB verwendet wird, hier findet sich der Modus der Verhandlung.

also Geschäftsführende Direktorin, Ärztlicher Direktor, die arbeiten da schon ganz eng. Ich bin in alle Prozesse mit involviert, da plant dann jeder aufgrund, also äh anhand seiner Berufsgruppe, die er vertritt. Das ist nicht immer reibungslos und äh schon alleine bei der Zielfindung is’ ganz klar, dass das ’n Prozess is’. Das wird ausdiskutiert und dann äh gibt ’s natürlich ’n Budget und das is’ immer zu gering, ganz klar. Aber dann muss man fighten. Also typische Argumente sind natürlich äh, äh für, für die Mediziner: (…) unsere Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen sind aber wesentlich teurer als die für Pflegekräfte. Is’ auch so auf ’m Markt. Alles ganz klar. Da sag’ ich aber wieder auf der Gegenseite: Ich hab’ aber die größte Berufsgruppe. Ich muss mehr Mitarbeiter schulen. Also, also das, das ergänzt sich (Pflegedirektion).

5 Diskussion und Ausblick

Das vorgestellte Forschungsvorhaben zielte auf einen empirischen Beitrag zur Theoriebildung zur Programmplanung in der bWB. Als wichtigste Erträge sind zu nennen: Die detaillierte Darstellung der beteiligten Akteurinnen und Akteure und ihrer Interessen, die empirisch fundierte Ausdifferenzierung und Kategorisierung der zugeschriebenen Funktionen bWB unter Berücksichtigung der Akteursperspektive, die Beschreibung der verschiedenen Programmarten (Fragestellung 1) und das Aufzeigen der Zusammenhänge von zugeschriebenen Funktionen, Planungsprozessen und Programmarten in einer Grounded Theory (Fragestellung 2). Angleichungshandeln in der bWB kann als spezifischer Auslegungsprozess von Bildung mit den zugeschriebenen Funktionen beschrieben werden. Es kann hiermit die Diversität der Programmentwicklung durch die empirische Erschließung der Zuschreibungen der Akteure beschrieben werden.

Es handelt sich um eine empirische Detailanalyse zur Differenzierung der Programmplanung bWB, wie sie beispielsweise mit Erhebungen wie CVTS nicht nachgezeichnet werden kann, die Studien ergänzen sich vielmehr komplementär.

Nicht im Fokus der Untersuchung standen die Teilnehmenden als Akteure mit ihren Nutzenerwartungen (vgl. Fleige 2015), die aber natürlich in einem Mehrebenensystem dazugehören. Hier lag der Fokus auf der Planung, somit auf der Mesoebene. In Bezug auf die Teilnehmenden und Planungspartizipation ist weitere Forschung notwendig. In Bezug auf die Akteurinnen und Akteure kann darüber hinaus auch das Zusammenspiel von individuellen und kollektiven Einflussfaktoren auf die zugeschriebenen Funktionen ein interessanter Ausgangspunkt für weitere Forschungsarbeiten sein. Der Zugang zu den Interviewpartnern über die Leitung der WB-Abteilung ist als methodische Limitation zu sehen. Anschlussforschung könnte sich gezielt mit Nicht-Akteuren auseinandersetzen und z. B. den Weg einer teilnehmenden Beobachtung wählen.

Unsere Analyse ist in der Programmforschung verortet; weitere Anschlussmöglichkeiten liegen in der soziologischen Rahmenanalyse sowie der pädagogischen Organisationsforschung. Die Zuschreibung von Funktionen könnte rahmenanalytisch (Was geht hier eigentlich vor?) (vgl. Goffman 1980) untersucht werden. Funktionen können von den Akteuren je nach Rahmen (Interpretationsschemata/Orientierungsmuster (vgl. Schäfer 2015, S. 235 ff.)) unterschiedlich zugewiesen werden. Ein Rahmen kann z. B. die jährliche Planungssitzung der WB-Abteilung, die Bedarfserhebung an einem Standort etc. sein, das Geschehen kann jedoch durch Rahmungsprozesse der Individuen unterschiedlich gerahmt werden.

Interessant könnte es ebenfalls perspektivisch sein, Kommunikationsprozesse während des Planungshandelns in der bWB als eingebettet in Kontexturen zu untersuchen. Kontexturen meinen gesellschaftliche Erwartungshorizonte, Orientierungsschemata, „semantisch-kommunikative Engführungen“ (Vogd 2009, S. 31), die unterschiedliche Funktionssysteme und Logiken abbilden. Mittels Kontexturanalyse als Erweiterung der dokumentarischen Methode für die dokumentarische Organisationsforschung (vgl. Jansen et al. 2015) ließe sich untersuchen, wie in der betrieblichen Weiterbildungsplanung unterschiedliche Logiken gleichzeitig bestehen (polykontexturale Verhältnisse).

Für die Praxis bWB ist das Sichtbarmachen der verschiedenen Funktionen und den sich darin spiegelnden Akteursinteressen eine wichtige Grundlage für eine macht- und interessenkritisch reflektierte und damit professionelle Programmplanung. Nur wer die zugeschriebenen Funktionen der anderen Akteurinnen und Akteure kennt, kann daran anknüpfen und seine eigenen vertreten – auch erwachsenenpädagogisch begründete Funktionen mit Fokus auf Teilhabe, Bildung und Entwicklung von Individuen. Gleichzeitig ist in der Kombination der Ergebnisse mit den CVTS-Daten von einer professionell-reflektierten Programmplanung auch ein positiver Einfluss auf eine hohe WB-Beteiligung zu erwarten (vgl. Käpplinger und Lichte 2012). Vertiefende Analysen zu den beruflichen Hintergründen, insbesondere auch zu erwachsenenpädagogischen Kompetenzen der Planenden – d. h. zu ihrer erwachsenenpädagogischen Professionalität – und einem Einfluss auf die zugeschriebenen Funktionen, erscheinen vielversprechend. Die Kategorie der zugeschriebenen Funktionen ist darüber hinaus in ihrer Übertragbarkeit auf andere Bereiche beigeordneter Bildung außerhalb der bWB zu prüfen und möglicherweise zu ergänzen.