1 Einleitung

Die Veränderung und Beschleunigung der Arbeitswelt erfordern sowohl von Betrieben als auch von Arbeitskräften eine stetige Anpassung und Erneuerung des eigenen Wissens und der eigenen Fähigkeiten. Für Arbeitskräfte führt diese Entwicklung zu einer kürzeren Halbwertszeit ihrer Erstausbildung und erfordert die Bereitschaft zu lebenslangem Lernen. Ein essenzieller Teil solcher Lernprozesse findet in Kursen und Lehrgängen statt und ist meist mit keiner staatlichen Anerkennung verbunden. Daher wird diese Form der beruflichen Weiterbildung als „non-formal“ bezeichnet (Eisermann et al. 2014).

Ein Großteil dieser non-formalen Bildungsmaßnahmen – etwa 70 % aller Kurse und Lehrgänge – wird von Betrieben für ihre Beschäftigten angeboten (Schönfeld und Behringer 2017). Die Nutzenerwartung für die erweiterten Fähigkeiten der Arbeitskräfte ist dabei direkt mit bestehenden Beschäftigungsverhältnissen verknüpft. Demgemäß wird der überwiegende Teil der Finanzierung von den beschäftigenden Betrieben geleistet, z. B. Kostenübernahme für Kursteilnahme oder Lernmaterialien (Behringer et al. 2013). Personalverantwortliche haben für dieses quantitativ größte Weiterbildungssegment folglich eine Gatekeeper-Funktion (Kaufmann und Widany 2013; Schiener et al. 2013). Neben der Frage „Wer nimmt Weiterbildung in Anspruch?“ entscheiden sie auch maßgeblich über die Frage „Wann findet die Weiterbildungsmaßnahme statt?“. Damit verbunden ist die bislang offene Forschungsfrage nach den Determinanten des Timings betrieblicher Weiterbildung.

Lebenslanges Lernen hat grundsätzlich das Potenzial, Bildungsungleichheiten abzumildern, wenn Arbeitskräfte mit fehlenden oder niedrigen Bildungsabschlüssen nachträglich ihre Fähigkeiten erweitern. Eine verstärkte Teilnahme an non-formaler beruflicher Weiterbildung wird jedoch stattdessen durch Hochqualifizierte und damit komplementär zu formaler Vorbildung beobachtet (Becker 2018; Bilger und Strauß 2017; Europäische Kommission 2015; Becker und Schömann 2015; Hubert und Wolf 2007). Hingegen lassen Befunde zur vermehrten Weiterbildungsbeteiligung von Unterqualifizierten darauf schließen, dass formale Qualifizierung durch den Besuch von Kursen und Lehrgängen substituierbar ist (Verhaest und Omey 2006; Büchel und Mertens 2004; van Smoorenburg und van der Velden 2000). In welchem Verhältnis non-formale Weiterbildung zu formaler Bildung steht, ist für Deutschland eine offene und international bislang nicht abschließend geklärte Frage (Korpi und Tåhlin 2021; Bellmann et al. 2010); sie stellt den Bezugsrahmen des vorliegenden Beitrags dar.

Die Erklärung selektiver Weiterbildungsbeteiligung hat in den vergangenen Jahrzehnten zu zahlreichen Arbeiten aus unterschiedlichen Fachdisziplinen und Perspektiven geführt und damit die Erkenntnislage vertieft. Die Forschungslandschaft wird bislang von wenigen mikroökonomischen und soziologischen Ansätzen dominiert. Neben humankapital- und signaltheoretischen Zugängen, die unterschiedliches Weiterbildungsverhalten auf individuelle und betriebliche Investitions- und Nutzenkalküle zurückführen (Becker 2018; Yendell 2017; Offerhaus et al. 2016; Hubert und Wolf 2007; Goux und Maurin 2000; Acemoglu und Pischke 1998; Schömann und Becker 1995), werden in anderen Arbeiten insbesondere segmentationstheoretische Überlegungen verfolgt und damit strukturelle Einflüsse beleuchtet (Ehlert 2017; Kaufmann und Widany 2013; Schiener et al. 2013). Diese klassischen Zugänge zur Erklärung der Weiterbildungsteilnahme haben gemeinsam, dass sie bei der analytischen Trennung der Individual‑, Betriebs- und Segmentebene eine Unabhängigkeit annehmen, die wiederum die Komplexität von Weiterbildungsentscheidungen nur unzureichend ausleuchten kann (Korpi und Tåhlin 2021). Hinzu kommen die Folgen der Corona-Pandemie für den Weiterbildungssektor und etwaige Einflüsse durch veränderte Rahmenbedingungen. Die Corona-Pandemie hat insbesondere Digitalisierungsprozesse in der Arbeitswelt und auch dem Weiterbildungssektor erheblich beschleunigt. Vor diesem Hintergrund bleibt es abzuwarten, wie sich betriebliche Weiterbildungsinvestitionen mittel- und langfristig entwickeln und verändern. Während der akuten Krisenzeit konnte zunächst ein verstärkter Investitionsrückgang beobachtet, im Anschluss für alle Weiterbildungssegmente ein massiver Digitalisierungsschub verzeichnet werden (Denninger und Käpplinger 2021; Kohl und Denzl 2021).

Das vorliegende Paper liefert in zweierlei Hinsicht einen Beitrag zum Forschungsstand: Zum einen wird die theoretische Perspektive zur Erklärung des Weiterbildungsverhaltens um Überlegungen aus Such- und Matching-Ansätzen von Jovanovic (41,42,a, b) bereichert. Mithilfe dieser Ansätze wird zu den bislang isoliert betrachteten individuellen, betrieblichen und segmentspezifischen Erklärungen das Passungsverhältnis zwischen Beschäftigten und Arbeitsplätzen herangezogen. Damit können (1) Hinweise auf die Gleichzeitigkeit der Komplementaritäts- und Substitutionsbeziehung zwischen formaler Bildung und non-formaler Weiterbildung aufgezeigt, (2) bisherige Befunde zu Determinanten der Weiterbildungsteilnahme neu eingeordnet (z. B. Ebner und Ehlert 2018) und (3) erstmals theoriegestützte Annahmen zum Timing betrieblicher Weiterbildungsmaßnahmen entwickelt und ereignisanalytisch überprüft werden.

2 Individuelle und betriebliche Determinanten non-formaler Weiterbildung: Arbeitsmarkttheorien und empirische Befunde

Zur Erklärung der Teilnahme an non-formaler Weiterbildung – insbesondere der betrieblichen – können theoretisch drei Blickwinkel eingenommen werden: die Arbeitsmarktstrukturperspektive, die Perspektive der Betriebe und die der Beschäftigten (Becker 2018). Im Zentrum dieses Beitrags stehen insbesondere die beiden Letztgenannten. Aus betrieblicher Sicht ist z. B. die Anpassung an neue technologische Entwicklungen, die Steigerung der Arbeitskräfteproduktivität und die Stabilisierung produktiver Beschäftigungsverhältnisse von Interesse (Becker 2018; Seyda und Placke 2017; Schiener et al. 2013). Aus Beschäftigtenperspektive kann Weiterbildung ein Mittel sein, den aktuellen Arbeitsplatz zu sichern (Ebner und Ehlert 2018), berufliches Fortkommen zu ermöglichen, Arbeitslosigkeit zu verhindern (Offerhaus et al. 2016; Becker und Schömann 2015) oder auch um Fähigkeiten und Wissen der Erstausbildung zu aktualisieren und zu erweitern. Die zu beobachtende selektive Teilhabe ist insgesamt stärker auf betriebliche Entscheidungen zurückzuführen und damit aus Beschäftigtenperspektive von fremdselektiven Einflüssen geprägt (Pollak 2017; Kaufmann und Widany 2013; Schiener et al. 2013).

2.1 Humankapitaltheoretische Erklärung betrieblicher Weiterbildung

Der Humankapitaltheorie von Becker (1993) folgend ist es für beide Akteure eines Beschäftigungsverhältnisses rational, in Weiterbildungsmaßnahmen zu investieren, solange der eigene Nutzen die Kosten übersteigt. Welcher Akteur die Kosten trägt und welcher den Nutzen hat, wird dabei theoretisch von der Verwertbarkeit der erworbenen Fähigkeiten bestimmt.

Die Erträge für Weiterbildungsmaßnahmen, die idealtypisch universell einsetzbares Wissen und Fähigkeiten vermitteln, können von Beschäftigten auch in anderen Betrieben realisiert werden. Daher sollten – nach Becker (1993) – die entstehenden Kosten theoretisch auch vollständig von den Weiterbildungsteilnehmenden getragen werden. Acemoglu und Pischke (1998) zeigen jedoch, dass auch Betriebe in generelles Humankapital ihrer Beschäftigten investieren, weil sie ex post über einen Informationsvorsprung zu den erworbenen Fähigkeiten der Teilnehmenden verfügen. Alternativ können Betriebe ihre Investitionskosten bspw. durch Kofinanzierung oder eine vertragliche Klausel absichern, sodass bei Kündigung der oder des Beschäftigten die Kurskosten erstattet werden müssen (Leber 2000).

Betriebliche Weiterbildungen sind jedoch häufig durch stark spezialisierte Inhalte gekennzeichnet und zielen auf betriebsspezifische Qualifikations- oder Anpassungsmaßnahmen (Käpplinger 2016). Kosten und Nutzen dieser Investitionen sollten zwischen Beschäftigten und Betrieben aufgeteilt sein, da bei anderer Aufteilung und vorzeitiger Vertragsauflösung eine einseitige Schädigung entsteht. Eine vollständige betriebsseitige Übernahme direkter und indirekter Weiterbildungskosten ist jedoch keine Seltenheit (Bundesministerium für Bildung und Forschung 2021). Die betriebliche Finanzierung der Kurse und Lehrgänge für Beschäftigte scheint lohnenswert, wenn eine große Chance besteht, dass die Maßnahmen erfolgreich absolviert und damit tatsächliche Produktivitätssteigerungen und Erträge realisiert werden (Becker 2018) und das Beschäftigungsverhältnis gleichzeitig stabil und längerfristig angelegt ist (Seyda und Placke 2017). Die Verteilung stabiler Beschäftigung ist ebenfalls ungleich und mit ähnlichen Merkmalen assoziiert wie die betriebliche Weiterbildung.

2.2 Segmentationstheoretische Erklärung betrieblicher Weiterbildung

Eine erhöhte Beteiligung an betrieblicher Weiterbildung zeigt sich bei Beschäftigten mit Vollzeitverträgen, ohne Befristung und in großen Unternehmen (Kuper et al. 2017). Diese Zusammenhänge sind segmentationstheoretisch fundiert (Doeringer und Piore 1971; Sengenberger 1987). In ihrer Grundform basiert die Erklärung auf der Idee, dass Arbeitskräfte nicht auf einem vollständigen Arbeitsmarkt um Beschäftigungen konkurrieren, sondern in voneinander getrennten Segmenten. Der primäre Teilarbeitsmarkt – mit seinen stabilen Beschäftigungsverhältnissen und guten Weiterbildungsmöglichkeiten – ist zusätzlich in ein internes und externes Segment gegliedert. Die Arbeitskräfte konkurrieren dabei firmenintern um Arbeitsplätze bzw. firmenextern in berufsfachlich geschlossenen Märkten (Köhler et al. 2008). Der sekundäre Teilarbeitsmarkt ist hingegen weitgehend unstrukturiert und durch unsichere Beschäftigungsverhältnisse charakterisiert. Selektive Weiterbildungsteilhabe kann entlang der Segmentationslinien mit einem Kosten-Nutzen-Kalkül der Akteure erklärt werden. Spezifische (z. B. betriebliche) Weiterbildungen sollten – insbesondere bei vergleichsweise geringer außerbetrieblicher Arbeitskräftemobilität – im internen Teilarbeitsmarkt rentabel (Ehlert 2017) und daher vermehrt zu beobachten sein, während Weiterbildungsinvestitionen mit generellem Charakter verstärkt im primären, berufsfachlichen Segment angeboten werden sollten.

Neben den segmentationstheoretisch fundierten Determinanten non-formaler Weiterbildung ist insbesondere der positive Einfluss der Betriebszugehörigkeitsdauer auf die Weiterbildungswahrscheinlichkeit gut dokumentiert (z. B. Becker 1991; Becker und Blossfeld 2017; Garloff und Kuckulenz 2006; Goux und Maurin 2000; Schömann und Becker 1995). Dieser Indikator ist ein Proxy für die Qualität eines Beschäftigungsverhältnisses (Struck et al. 2007). Dem Einfluss fehlt jedoch in der Weiterbildungsforschung bislang die theoretische Fundierung.

2.3 Betriebliche Weiterbildung bei differenziellen Beschäftigten-Arbeitsplatz-Passungen

Jovanovic (41,42,a, b) sucht in seinen such- und matchingtheoretischen Arbeiten nach einer Erklärung für den Zusammenhang zwischen Betriebszugehörigkeitsdauer und Arbeitsplatzwechseln. Hierzu stellt er unterschiedliche Beschäftigten-Arbeitsplatz-Passungen (engl. job matches) in den Mittelpunkt seiner Überlegungen. Diese theoretischen Ansätze inspirierten eine Vielzahl an Forschungsarbeiten, die u. a. Einflüsse passungsbedingter Differenzen im Einkommen, in der Arbeitszufriedenheit, in der Leistungsfähigkeit oder auch im Arbeitsplatzsuch- und -wechselverhalten beleuchten (einen guten Überblick bieten z. B. Erdogan und Bauer 2021; Harari et al. 2017; Maynard und Parfyonova 2013; McKee-Ryan und Harvey 2011). Für die nachfolgenden Überlegungen zur Ableitung der Weiterbildungsrelevanz werden Beschäftigten-Arbeitsplatz-Passungen einerseits als „Suchgüter“ (Jovanovic 1979a) andererseits als „Erfahrungsgüter“ (Jovanovic 1979b) aufgefasst.

Werden Passungen als Suchgüter verstanden, ist die Qualität (im Sinne von Produktivität) beiden Partnern bei Vertragsabschluss bekannt und wird anschließend durch zusätzliche (Weiterbildungs‑)Investitionen in firmenspezifisches Humankapital gesteigert. Eine erfolgreiche Suche der Beschäftigten nach einer besseren Passung wird durch diese zusätzlichen Bildungsinvestitionen unwahrscheinlicher, sodass auch die Auflösung der bestehenden Beschäftigung mit zunehmender Seniorität unwahrscheinlicher wird (Jovanovic 1979a). In guten Passungen sollte daher eine vermehrte Weiterbildungsbeteiligung zu beobachten sein. Die formale (vertikale) Passung wird über das Qualifikationsniveau bestimmt, d. h. über die potenzielle Übereinstimmung zwischen dem Bildungsgrad der oder des Beschäftigten und den qualifikatorischen Anforderungen der Stelle (z. B. Meroni und Vera-Toscano 2017; Rohrbach-Schmidt und Tiemann 2016; Verhaest und Omey 2010). Formale Passungen haben dabei den Charakter eines Suchgutes, da die Qualitätsinformation beim Einstellungsverfahren wechselseitig bekannt ist. Abweichungen zwischen Qualifikationsniveau und Stellenerfordernissen (Über- bzw. Unterqualifizierung) sollten daher zu einer geringeren Teilnahme an betrieblicher Weiterbildung führen (H1.1). Diese Vorhersage wird für non-formale berufliche Weiterbildung von Büchel und Mertens (2004) empirisch gestützt. In ihren Analysen des SOEP der Jahre 1984 bis 1997 zeigen sie, dass Überqualifikation mit einer verminderten Partizipation einhergeht. Dieser Befund wird für die Niederlande (Groot 1993), Belgien (Verhaest und Omey 2006) und auch für die USA (Hersch 1991) bestätigt. Zu konträren Resultaten kommt dagegen Büchel (2002). In Schweden können sowohl für formal adäquat Beschäftigte und Unterqualifizierte eine verstärkte Weiterbildungsaktivität konstatiert werden (Korpi und Tåhlin 2021). Die bislang einzige – dem Autor bekannte – Arbeit, die explizit betriebliche Weiterbildungsmaßnahmen untersucht, konstatiert eine erhöhte betriebliche Weiterbildungschance für formal Unterqualifizierte (van Smoorenburg und van der Velden 2000). Sowohl die verstärkte Weiterbildungsbeteiligung Unterqualifizierter als auch eine vergleichsweise geringe Partizipation Überqualifizierter weisen auf eine Substitutionsbeziehung zwischen formaler und non-formaler Bildung hin. Empirische Befunde, die die Substitutionsthese stützen, finden auch Bellmann et al. (2010) auf Basis des IAB-Betriebspanels und einem Vergleich unterschiedlicher betrieblicher Bildungsstrategien mit dem Fokus auf Berufsausbildungen oder Weiterbildungen.

Die Prüfung einer zeitlichen Ungleichverteilung betrieblicher Weiterbildung steht bislang noch aus. Analog zur vorangegangenen Argumentation wird angenommen, dass Weiterbildungsinvestitionen für Über- und Unterqualifizierte von Personalverantwortlichen zeitlich zurückgehalten werden (H2.1). Betriebliche Weiterbildungsinvestitionen sind insbesondere dann lohnenswert, wenn eine große Chance auf die Realisierung der Erträge besteht. Diese Rahmenbedingungen sollten wiederum in formal adäquaten Passungen am wahrscheinlichsten gegeben sein.

Werden Passungen hingegen als Erfahrungsgüter verstanden, ist das tatsächliche Produktivitätspotenzial für beide Akteure weder vor Vertragsabschluss noch kurz danach beobachtbar. Die Passungsqualität wird erst deutlich, wenn mit verstrichener Zeit mehr produktivitätsrelevante Informationen vorliegen. Das beiderseitige Informationsdefizit nimmt mit zunehmender Seniorität symmetrisch ab und sollte dazu führen, dass unproduktive Passungen aufgelöst werden und lediglich produktive Passungen Bestand haben (Jovanovic 1979b). Betriebe sollten daher geneigt sein, Investitionen in die Weiterbildung ihrer Beschäftigten zurückzuhalten, bis sie ausreichend Informationen über die potenzielle Leistungsfähigkeit der Passung haben, um das Risiko eines Investitionsverlusts, das durch eine verfrühte Kündigung der oder des Beschäftigten entsteht, zu minimieren. Der Erfahrungsgut-Charakter sollte insbesondere auf die (horizontale) Passung von Fähigkeiten der oder des Beschäftigten und arbeitsplatzbedingten Aufgaben zutreffen, da Informationen hierzu erst zeitlich verzögert bereitstehen. Damit korrespondieren die letzten beiden forschungsleitenden Hypothesen. Zur Maßnahmenselektivität: Eine verstärkte Weiterbildungsbeteiligung ist für horizontal gute Passungen zu beobachten (H1.2). Zum ungleichen Timing: Betriebliche Weiterbildungsmaßnahmen werden in horizontal guten Passungen mit geringerer Wartezeit verbunden sein (H2.2).

Die Einflüsse horizontaler Passungsqualität auf die Wahrscheinlichkeit betrieblicher Weiterbildung sind – im Gegensatz zu den wenigen Befunden zu der vertikalen Dimension – in Deutschland nicht erforscht. Auf Basis einer niederländischen Befragung kommen van Smoorenburg und van der Velden (2000) u. a. zu dem Ergebnis, dass Beschäftigte mit berufsfachlicher Passung seltener an betrieblicher Weiterbildung partizipieren. Dieser empirische Befund konterkariert die theoretisch formulierten Annahmen, wonach eher ein verstärktes Investment angenommen wird, wenn eine erhöhte Passung aus Fähigkeiten und zu erfüllenden Aufgaben gegeben ist.Footnote 1 Gleichzeitig weist auch dieser bislang isolierte Befund in die Richtung einer möglichen Substitutionsbeziehung zwischen formaler und non-formaler Bildung.

3 Methodik

3.1 Datengrundlage und Operationalisierung

Die Forschungsfragen werden mit Daten der Erwachsenenkohorte des „Nationalen Bildungspanels“ (NEPS) verfolgt (NEPS-Netzwerk 2022).Footnote 2 Die Stichprobe umfasst 17.139 Personen und bildet die deutsche Wohnbevölkerung der Geburtsjahrgänge 1944 bis 1986 repräsentativ ab (Aust et al. 2012). Zur Vorbereitung der Analysen sind Informationen aus den zwölf NEPS-Panel-Wellen, die seit 2009 jährlich erhoben werden, und der Vorgängerstudie „Arbeiten und Leben im Wandel“ (ALWA) aus den Jahren 2007/08 verarbeitet. Für die hiesige Untersuchung werden nur Personen betrachtet, die mindestens für zwei aufeinanderfolgende Wellen beobachtet wurden und nicht selbstständig tätig sind.

3.1.1 Abhängige Variablen

Im NEPS stehen Informationen zu zahlreichen Weiterbildungsformaten zur Verfügung. Zur Bearbeitung der Fragestellungen werden ausschließlich Weiterbildungsaktivitäten (on-the-job) betrachtet, die über 90 % aller erfassten Maßnahmen ausmachen. Bei jeder Erhebung sind Zusatzinformationen zu maximal fünf Weiterbildungsmaßnahmen erfasst.Footnote 3 Für die folgenden Analysen sind insbesondere Finanzierung und Timing der Kurse relevant. Vertiefende Nachfragen u. a. zur Finanzierung der Lehrgänge sind dabei lediglich für bis zu zwei zufällig ausgewählte Kurse erhoben (Malina et al. 2018). Von betrieblicher Weiterbildung wird ausgegangen, wenn die Kurskosten vollständig vom Betrieb übernommen wurden (für verschiedene Definitionskriterien vgl. Käpplinger 2016).

Für die Ereignisdatenanalyse sind darüber hinaus Informationen zu Kursbeginn und -ende essenziell, deren Erfassung im NEPS nicht für alle Weiterbildungsmaßnahmen erfolgt. Die Zeitinformationen liegen nur dann vor, wenn der Kursbesuch im Beobachtungszeitraum der Panelerhebungen stattgefunden hat. Daraus ergibt sich für vorher geschlossene und noch bestehende Beschäftigungsverhältnisse das Problem einer kursbezogenen Linkszensierung. Es werden daher lediglich Beschäftigungsverhältnisse berücksichtigt, die unter der Beobachtung neu aufgenommen wurden, damit jeweils der erste Kursbesuch in einer neuen Beschäftigung erfasst werden kann.

3.1.2 Unabhängige Variablen

Die zentralen unabhängigen Variable der Analysen bilden vertikale und horizontale Merkmale der Beschäftigten-Arbeitsplatz-Passung. Die vertikale Passungsqualität ist in unterschiedlicher Weise erfasst, da verschiedene Operationalisierungen dieses Merkmals zu einer vergleichsweise geringen Interkorrelation führen (z. B. Battu et al. 2000; McGuiness 2006; Verhaest und Omey 2006). Zum einen wird ein subjektiver Ansatz (indirect self-assessment) verfolgt, der Informationen aus formaler Qualifikation und subjektiver Einschätzung und die für die Ausübung der Tätigkeit notwendige Qualifikation gegenüberstellt (Hartog 2000; Verhaest und Omey 2006). Zum anderen wird mit einem objektiven Ansatz, der auf einer Erweiterung des Job-Anforderungsprofils (Pollmann-Schult und Büchel 2002b) basiert und an die Herangehensweise von Büchel und Mertens (2004) angelehnt ist, die Robustheit der Resultate sichergestellt. Hierzu wird statt dem selbstberichteten jenes Anforderungsniveau der ausgeübten Tätigkeit verwendet, welches in der fünften Ziffer der Klassifikation der Berufe (KldB) 2010 kodiert ist (Bundesagentur für Arbeit 2011). Eine vergleichbare Operationalisierung findet sich bei Reichelt und Vicari (2014). Anschließend werden beide Indikatoren miteinander kombiniert. Eine ausführliche Darstellung inklusiv der absoluten und relativen Häufigkeiten beider Ansätze ist im Anhang (Tab. 4) zu finden.

Zur Operationalisierung der horizontalen (fachlichen) Passung wird ein Indikator für die Ähnlichkeit von Kompetenzen verschiedener Berufsgruppen (3-Steller der KldB88) verwendet (Neffke et al. 2017a). Der Indikator basiert auf zwischenberuflicher Arbeitskräftemobilität und weist für Berufsgruppenpaare mit erhöhtem Arbeitskräftewechsel eine hohe Kompetenzähnlichkeit aus und vice versa. Die Ähnlichkeitsmatrix nach Neffke et al. (2017b) wurde mit dem verwendeten Datensatz zusammengeführt, wobei der Ausbildungsberuf bzw. das Studienfach als Ausgang und die jeweiligen Beschäftigungen als Ziel betrachtet wurden.

3.1.3 Kontrollvariablen

In Kap. 2 wurde eine Vielzahl weiterer Determinanten non-formaler Weiterbildung betrachtet, zu denen Hinweise der Konfundierung mit der Passungsqualität existieren. Für die Ebene des Arbeitsmarktsegments sind sowohl Berufssegmente (nach KldB2010) und Betriebsgröße (z. B. Pollmann-Schult und Büchel 2002a) als auch ein kategoriales Merkmal zur (un-)befristeten Vertragssituation (Görlitz und Tamm 2016) und ein Indikator für eine Beschäftigung im öffentlichen Dienst berücksichtigt.

Für die betriebliche Ebene sind ein West-Ost-Dummy (Rohrbach-Schmidt und Tiemann 2016) und ein Faktor der betrieblichen Rahmenbedingungen non-formaler Weiterbildung in die multivariaten Analysen eingeschlossen.Footnote 4 Auf individueller Ebene sind die allgemeine Arbeitsmarkterfahrung und die Betriebszugehörigkeitsdauer theoretisch (Jovanovic 41,42,a, b) und empirisch nachgewiesen (z. B. Altonji und Williams 2005; Topel 1991), mit der Passungsqualität verknüpft und beeinflussen simultan die individuelle Weiterbildungswahrscheinlichkeit (Garloff und Kuckulenz 2006; Goux und Maurin 2000). Darüber hinaus ist in den Modellen für den Stellenumfang (binär kodiert) und eine etwaige Leitungsposition kontrolliert. Individuelle Merkmale wie das höchste eigene und elterliche Bildungsniveau (beides operationalisiert über die CASMIN-Klassifikation), das Geschlecht oder der Migrationshintergrund sind ebenso mindestens mit der Weiterbildungswahrscheinlichkeit verknüpft (z. B. Hubert und Wolf 2007; Yendell 2017). Zusätzlich zur Soziodemografie werden im NEPS individuelle Nutzenerwartungen für non-formale Weiterbildung erfasst.Footnote 5 Diese Variablen wurden ebenfalls zu einer Hauptkomponente verdichtet und stellen neben sieben Kompetenzmerkmalen abschließende Kontrollmerkmale dar, um das Problem unbeobachteter Heterogenität zu reduzieren, welches von Motivation und genereller Leistungsfähigkeit ausgeht.

3.2 Multiple Imputation fehlender Werte

Wenn Befragungsteilnehmende nicht alle wünschenswerten Informationen angeben (item-nonresponse) oder überhaupt nicht an Untersuchungen teilnehmen (unit-nonresponse), dann sind Resultate, die über den fallweisen Ausschluss dieser unvollständigen Daten gewonnen werden, mindestens statistisch ineffizient. Wenn fehlende Informationen nicht zufällig auftreten (MCAR), sondern entweder von anderen – im besten Fall beobachteten – Merkmalen abhängig (MAR) sind oder gar Merkmalsausprägungen selbst der Grund für das Fehlen (MNAR) darstellen, dann führt der Fallausschluss nicht nur zu ineffizienten, sondern auch zu verzerrten Schätzungen (Carpenter und Kenward 2014; Rubin 1987; van Buuren 2012).

Untersuchungen zur Zufälligkeit des item-nonresponse bei zentralen Variablen der Untersuchung (so z. B. für die vertikale Passung mit 12,2 % Missings) legen die Ablehnung der MCAR-Annahme nahe. Statt diese Fälle auszuschließen, werden die Werte der zentralen unabhängigen und der Kontrollvariablen simultan einer multiplen Imputation in einer „fully conditional specification“ unterzogen (van Buuren et al. 2006; White et al. 2011). Hierzu kommen Modellierungen in der mi-Routine des Softwarepakets Stata 17 zum Einsatz, die die Skalenniveaus der Variablen angemessen berücksichtigen (für einen Überblick vgl. Tab. 5 im Anhang).

Die multiple Imputation wurde mit einer Burn-in-Phase von 200 Iterationen in 20 Durchläufen durchgeführt. Die (Schätz‑)Ergebnisse und Standardfehler der deskriptiven und multivariaten Analysen basieren auf der getrennten Untersuchung der vollständigen Datensätze und der anschließenden Verbindung der Einzelresultate nach Rubins Kombinationsregeln (Rubin 1987).

3.3 Eingrenzung der Stichproben

Die Hypothesen zur selektiven Weiterbildungsteilhabe werden mittels einer breiten Datenbasis aus der NEPS-Erwachsenenkohorte geprüft. Betriebliche Weiterbildung findet verstärkt im frühen und mittleren Stadium von Berufskarrieren statt und wird mit zunehmendem Alter seltener, denn je älter die Teilnehmenden, desto kürzer ist der Amortisationszeitraum der Bildungsinvestitionen (Bilger et al. 2017). Aus diesem Grund wird die Stichprobe auf Arbeitskräfte im Alter zwischen 25 und 55 Jahren begrenzt. Mit dieser Einschränkung ist gleichzeitig die Anschlussfähigkeit an jüngere, vergleichbare Arbeiten gewährleistet (z. B. Ebner und Ehlert 2018). Die Analysen basieren auf einer Stichprobe (N) mit 6.856 Personen, die in insgesamt N * J = 12.791 Beschäftigungsverhältnissen zu N * T = 54.229 Teilepisoden beobachtet wurden.Footnote 6

Die Ereigniszeitanalysen erfordern einen anderen Stichprobenzuschnitt (vgl. Abschn. 3.1). Die Zeitinformationen der Weiterbildungskurse sind lediglich im Rahmen des jährlichen Panels erhoben. Für Beschäftigungsverhältnisse, die bereits vor Aufnahme in das Panel begonnen wurden, besteht die Problematik eines „delayed entry“ (Ebner und Ehlert 2018, S. 225). Es werden daher lediglich Beschäftigungen analysiert, deren Beginn im Beobachtungszeitraum liegt. Die Eingrenzungen nach Alter sind analog zum oben genannten Zuschnitt. Hieraus ergibt sich eine Stichprobe (N) mit 2.929 Beschäftigten in N * J = 5.268 Passungen und insgesamt 1.719 erstmaligen Weiterbildungsereignissen bei N * T = 149.872 Monaten „at risk“ (Tab. 1). Ein Überblick zu allen Variablen ist im Anhang (Tab. 6) enthalten.

Tab. 1 Datensatzbeschreibung

4 Teilnahmewahrscheinlichkeit und Timing betrieblicher Weiterbildung

Die Hypothesen H1.1 und H1.2 zur Teilnahmewahrscheinlichkeit werden mithilfe von logistischen Mehrebenenregressionen geprüft. Die Prüfung der Hypothesen zum Timing der Weiterbildungsmaßnahmen (H2.1 und H2.2) erfolgt mit einem semiparametrischen Verfahren der Ereignisanalyse, der sogenannten Cox-Regression (Cox 1972).

Das Rohmodell zur Partizipation an betrieblicher Weiterbildung (M1) weist signifikant geringere Teilnahmewahrscheinlichkeiten für Überqualifizierte aus. Die Differenz zwischen Unterqualifizierten und einer dem Anforderungsniveau entsprechenden Qualifikation der Beschäftigten ist jedoch nur marginal und nicht zufallskritisch abgesichert. Die Passung zwischen Fähigkeiten und Aufgaben ist ebenfalls positiv mit der betrieblichen Weiterbildungswahrscheinlichkeit assoziiert. Je höher die horizontale Passung, desto größer ist die Teilnahmechance auf betriebliche Weiterbildung (Tab. 2).

Tab. 2 Einfluss der Passungsqualität auf die betriebliche Weiterbildungswahrscheinlichkeit

Nach Kontrolle individueller Kovariaten (M2) verringern sich die Marginaleffekte für Überqualifikation und horizontale Passung, sind jedoch weiterhin statistisch bedeutsam. Die in M1 tendenziell geringere Weiterbildungswahrscheinlichkeit Unterqualifizierter weist in M2 ein positives Vorzeichen auf und ist signifikant. Unterqualifizierte haben demnach eine erhöhte betriebliche Weiterbildungschance. In M3 sind im Vergleich zum Rohmodell zudem betriebliche Kontrollvariablen integriert. Hier zeigen sich signifikant geringere Weiterbildungschancen für Überqualifizierte sowie Vorteile für horizontal adäquat Beschäftigte. Der Befund für Unterqualifizierte ist vergleichbar mit dem Rohmodell und nicht signifikant. Die Betrachtung von veränderten Schätzergebnissen durch segmentationstheoretisch fundierte Kontrollvariablen (M4) zeigt ebenfalls nur marginale Differenzen im Vergleich zu M1. Segmentationsmerkmale sind zwar mit der betrieblichen Weiterbildungswahrscheinlichkeit verbunden, jedoch unabhängig von den beiden Passungsdimensionen (vgl. auch Tab. 7). Für individuelle und betriebliche Merkmale finden sich hingegen signifikante Einflüsse – insbesondere durch die Berufssegmente und den Stellenumfang sowie die betrieblichen Rahmenbedingungen für Weiterbildung – bei gleichzeitiger Mediation der Zusammenhänge zwischen Weiterbildung und Passung. Für M5 wurden simultan alle Kovariaten im Mehrebenenmodell berücksichtigt. Es zeigen sich signifikant geringere Wahrscheinlichkeiten betrieblicher Weiterbildung für Überqualifizierte (−4,7 %) und eine erhöhte Partizipation für Arbeitskräfte mit Fähigkeits-Aufgaben-Passung (+2,8 %). Zwischen Unterqualifizierten und formal adäquat Beschäftigten werden keine zufallskritisch abgesicherten Differenzen konstatiert. Die Hypothese zur selektiven Weiterbildungsteilhabe nach vertikaler Passung (H1.1) kann daher eingeschränkt und nur für Überqualifizierte bestätigt werden, während die Befunde der horizontalen Passung hypothesenkonform (H1.2) sind.

Neben der Frage zur selektiven Beteiligung wird die vergangene Zeit zwischen Beschäftigungsbeginn und erster Teilnahme an Weiterbildung ereignisanalytisch untersucht (Tab. 3).

Tab. 3 Einfluss der Passungsqualität auf die Hazardrate bei betrieblicher Weiterbildung

Analog zu den Analysen der Teilnahmewahrscheinlichkeit ist auch in den Ereigniszeitmodellen zuerst ein Rohmodell (M1) geschätzt, um anschließend nacheinander die isolierten Veränderungen durch Aufnahme der Kontrollvariablenblöcke (M2, M3 und M4) zu betrachten, bevor zum Abschluss das Gesamtmodell (M5) beschrieben wird.Footnote 7

Das Rohmodell (M1) zeigt eine signifikant längere Latenzzeit für betriebliche Weiterbildung bei Überqualifizierten. Eine fachliche Passung zwischen Fähigkeiten und Aufgaben ist hingegen mit verringerten Wartezeiten bis zur ersten Maßnahme assoziiert. Unter Kontrolle individueller Merkmale (M2) zeigt sich, dass weder Über- noch Unterqualifizierung mit verzögerter Weiterbildung in Verbindung stehen. Der Effektkoeffizient horizontaler Passung ist jedoch weiterhin signifikant, wenn auch deutlich kleiner als in M1. Auch unter isolierter Kontrolle der betrieblichen Determinanten (M3) oder der Segmentationsmerkmale (M4) können die Differenzen der vertikalen Passungsdimension nicht mehr signifikant getestet werden, und lediglich die horizontale Übereinstimmung aus Fähigkeiten und Aufgaben ist mit kürzeren Wartezeiten für betriebliche Weiterbildung verbunden. Bei simultaner Berücksichtigung aller Kontrollvariablen (M5) ist auch dieser Effekt nicht mehr zufallskritisch abgesichert. Sowohl H2.1 als auch H2.2 können folglich empirisch nicht gestützt werden.

5 Diskussion und Ausblick

Kurse und Lehrgänge ermöglichen es Betrieben, die Fähigkeiten ihrer Arbeitskräfte zu aktualisieren und weiterzuentwickeln. Die Verteilung solcher Weiterbildungsmaßnahmen ist jedoch in hohem Maße ungleich und von Faktoren beeinflusst, die auf das Arbeitsmarktsegment, den Betrieb oder auf Merkmale der Beschäftigten zurückgehen (Garloff und Kuckulenz 2006; Hubert und Wolf 2007; Pollmann-Schult und Büchel 2002a). Der vorliegende Beitrag erweitert die bisherige Forschung um solche Erklärungsdimensionen, die zwischen Arbeitskraft und Betrieb liegen: die vertikale und die horizontale Qualität der Beschäftigten-Arbeitsplatz-Passung. Es konnte gezeigt werden, dass eine horizontale Passung aus Fähigkeiten und Aufgaben mit einer verstärkten Beteiligung an betrieblicher Weiterbildung assoziiert ist. Dies ist – neben dem breit belegten Phänomen einer verstärkten Weiterbildungsbeteiligung von Hochqualifizierten – ein weiteres Indiz für die Komplementarität zwischen formaler und non-formaler Bildung. Bei der vertikalen Dimension, die über die Passung zwischen formaler Qualifikation und Anforderungen der Tätigkeit definiert ist, zeigen sich im Vergleich zu adäquat Beschäftigten signifikant geringere Chancen für Überqualifizierte bei vergleichbarer Teilnahmewahrscheinlichkeit für Unterqualifizierte. Dieser Befund stützt hingegen die Überlegung, dass es sich bei formaler Bildung und non-formaler Weiterbildung um Substitute handelt (für die betriebliche Perspektive vgl. auch Bellmann et al. 2010).

Aus den Such- und Matchingansätzen von Jovanovic (41,42,a, b) sind – neben Erklärungen für die Ungleichverteilung der Maßnahmenhäufigkeit – Hypothesen zum passungsabhängigen Timing betrieblicher Weiterbildung abgeleitet. Mithilfe von Ereigniszeitanalysen konnte gezeigt werden, dass die zeitliche Dimension der Partizipationsungleichheit insbesondere mit der horizontalen Passung assoziiert ist, jedoch bei umfänglicher statistischer Kontrolle keine zufallskritisch abgesicherten Befunde festzustellen sind.

Eine mögliche Erklärung hierfür könnte in Mechanismen liegen, die die betrieblichen Investitionsentscheidungen je nach Beschäftigtengruppe unterschiedlich ausfallen lassen. Humankapitaltheoretisch kann eine verkürzte Latenzzeit bis zur Teilnahme an betrieblicher Weiterbildung für fachlich inadäquate Passungen angenommen werden, um fehlende Humankapitalausstattung auszugleichen. Gleichzeitig kann davon ausgegangen werden, dass es sich bei adäquaten Passungen um stabilere und damit längerfristige Beschäftigungsverhältnisse handelt und Personalverantwortliche daher auch eine größere Wahrscheinlichkeit annehmen, die Erträge der Investition zu erhalten. Beide Erklärungen führen zu entgegenlaufenden Vorhersagen. In der Tendenz weisen die Befunde – wenn auch nicht auf dem Fünf-Prozent-Niveau statistisch signifikant getestet – jedoch eher in Richtung der letztgenannten matchingtheoretischen Erklärung.

In diesem Beitrag wurden neben der neuen theoretischen Perspektive u. a. aktuelle Befunde von Ebner und Ehlert (2018) gestützt – die ebenfalls mit Daten des NEPS arbeiten. Gleichzeitig lassen sie diese Resultate in einem anderen Licht erscheinen. Weiterbildung erzeuge individuelle Karrierestabilität durch eine Verringerung von Abstiegsrisiken bei simultaner Verhinderung von Aufstiegen und Betriebswechseln (Ebner und Ehlert 2018). Ein vergleichbares Argument findet sich bei Pollak (2017); die Karrierestabilität sei jedoch such- und matchingtheoretisch nicht kausal von den Weiterbildungsbemühungen abhängig, sondern Resultat unbeobachteter Heterogenität. Eine hohe (vertikale und horizontale) Passungsqualität erhöhe die Chance auf betriebliche Weiterbildung, während sie gleichzeitig Arbeitsmarktmobilität entgegenwirke. Ersteres wurde für den deutschen Arbeitsmarkt in dieser Arbeit gezeigt, während Zweiteres theoretisch von Matchingansätzen (Jovanovic 41,42,a, b), aber auch von der Karrieremobilitätstheorie (Sicherman 1991; Sicherman und Galor 1990) prognostiziert wird und empirisch nachgewiesen ist (z. B. Scherer 2004).

Die Robustheit der Befunde wurde insbesondere über die simultane Verwendung subjektiver und objektiver Indikatoren zur Operationalisierung der vertikalen Passungsqualität sichergestellt. Inwiefern die Resultate jedoch sensitiv für veränderte Rahmenbedingungen von Weiterbildung sind, müssen künftige Arbeiten zeigen. Mit dem Digitalisierungsschub, der sich im Weiterbildungssektor nicht zuletzt als Folge der Corona-Pandemie vollzogen hat, liegt ein Einfluss vor, dessen Auswirkungen auf die Ungleichverteilung von Weiterbildungschancen wegen der Aktualität der Ereignisse bislang noch wenig beleuchtet werden konnten. Ein guter Überblick zu Forschungsdesideraten ist bei Denninger und Käpplinger (2021) zu finden. Erste Erkenntnisse weisen darauf hin, dass insbesondere größere Unternehmen und jene Branchen, die in geringerem Ausmaß durch die politischen Maßnahmen während der Pandemie betroffen waren, weniger stark durch Einschränkungen ihrer Weiterbildungsaktivitäten auf die veränderten Rahmenbedingungen reagierten (Kohl und Denzl 2021). Weiterhin zeigen Mohajerzad et al. (2022) in einem Überblicksartikel, dass Unterschiede in der Weiterbildungsbeteiligung zwischen Gering- und Hochqualifizierten während der Pandemie verstärkt sichtbar wurden. Sie begründen dies u. a. mit unterschiedlichen betrieblichen Zugängen zu digitalen Lernangeboten. Diese ersten Erkenntnisse deuten auf potenzielle pandemiebedingte Moderatoreffekte zur Erklärung der Selektivität der Weiterbildungsteilhabe auf der Individual‑, Betriebs- und Arbeitsmarktsegmentebene hin. Die Zusammenhänge zwischen Unternehmensgröße, Branche, Beschäftigtenqualifikation und Beschäftigten-Arbeitsplatz-Passungen sind jedoch sehr gering bis moderat und sollten daher nur geringe Auswirkungen auf die in dieser Arbeit präsentierten Befunde haben.

Bei der Untersuchung zeigten sich einige methodische Probleme. Bei den Indikatoren der Passungsqualität handelt es sich um Merkmale, die eine äußerst geringe intraindividuelle Varianz innerhalb der Beschäftigungsverhältnisse aufweisen. Das hat für die statistische Modellierung zur Folge, dass eine Fixed-effects-Strategie ausscheidet, sodass auch zeitkonstante, unbeobachtete Heterogenität ein potenzielles Problem darstellt. Diese Einschränkung ist insbesondere vor dem Hintergrund unbeobachteter Merkmale wie der generellen Leistungsfähigkeit oder der Motivation zu sehen, die sowohl mit dem Weiterbildungsverhalten als auch mit der Wahrscheinlichkeit, ein adäquates Passungsverhältnis aufzuweisen, korreliert sein sollten. Einem Teil der Problematik wird über die Kontrolle der im NEPS enthaltenen Kompetenzen (allerdings Querschnittmessungen) und den Merkmalen zur individuellen Nutzenerwartung bezüglich non-formaler Weiterbildung begegnet. Unbeobachtete Heterogenität kann jedoch nicht ausgeschlossen werden, sodass eine kausale Interpretation der Resultate unterbleiben muss. Die zusätzliche Einbeziehung der Kursinhalte, die im NEPS als qualitative Information kodiert sind, könnte ein stärker differenziertes Gesamtbild ermöglichen. Mit inhaltsanalytischen Auswertungsverfahren könnten diese für quantitative Analysen nutzbar gemacht werden, um betriebliche Weiterbildung nicht ausschließlich über die Kurskostenübernahme, sondern auch über den tatsächlichen Kursinhalt erfassen zu können. Damit ließen sich in Zukunft möglicherweise auch die verschiedenen Funktionsperspektiven von Weiterbildung (z. B. antizipatorische, adaptive, regulative Perspektive) stärker fokussieren (Dewe und Feistel 2013).

Die Ergebnisse dieses Beitrags öffnen darüber hinaus den Blick für potenzielle Weiterbildungserträge. Empirische Befunde zu individuellen monetären Erträgen non-formaler Weiterbildung sind heterogen und können nicht zweifelsfrei bestätigten, dass mit der Teilnahme an Weiterbildungsmaßnahmen eine Einkommenssteigerung einhergeht (Büchel und Pannenberg 2004; Ehlert 2017; Görlitz 2010; Jürges und Schneider 2004; Schiener 2006; Wolter und Schiener 2009). Möglicherweise ist die Passungsqualität nicht nur Determinante der Teilnahme, sondern auch Voraussetzung für eine Rendite. So ist denkbar, dass insbesondere Unterqualifizierte nach der Teilnahme an Weiterbildungskursen durch Einkommenssteigerungen profitieren.