1 Einleitung

Die Bildung Älterer steht in der Corona-Pandemie vor besonderen Herausforderungen. Sie war schon immer ausgesprochen komplex, was aus der Heterogenität dieser Zielgruppe sowie aus der damit verbundenen interdisziplinären Verortung der Forschung und vor allem der Bildungspraxis resultiert (vgl. Schramek et al. 2018). Entsprechend anspruchsvoll sind die Planungsaufgaben auf der mesodidaktischen Ebene in diesem Handlungsfeld, auch bereits vor der Pandemie. Die Corona-Pandemie hat Weiterbildungsanbieter generell stark getroffen, jedoch waren die Anforderungen an die Planenden in der Seniorenbildung besonders hoch: Im öffentlichen Diskurs ist sehr präsent, dass ältere Menschen statistisch gesehen zu den Risikogruppen gehören (vgl. RKI 2021), es liegt nahe und durchaus auch in der Verantwortung von Bildungseinrichtungen, vor den Gefahren einer Ansteckung zu schützen. Gleichzeitig wird die Gefahr diskutiert, dass sich durch diesen notwendigen Schutz alternsspezifische Gefahren von Einsamkeit und Ausschluss aus sozialen Zusammenhängen verstärken können (vgl. Kulmus 2021; Bjursell 2021). Eine generalisierte Verletzlichkeit oder gar Diskriminierung Älterer durch die Pandemie ist allerdings nicht haltbar, vielmehr wird häufig auf die besondere Widerstandsfähigkeit älterer Menschen in der Pandemie hingewiesen (vgl. z. B. Horn und Schweppe 2020). Für die Bewältigung alterns- und pandemiespezifischer Gefährdungen kann wiederum die Teilnahme an Bildungsangeboten eine nicht unerhebliche Bedeutung haben (vgl. Kulmus 2018). Selbst nach Aufhebung des Lockdowns und dem „Wiederhochfahren“ von Bildungsangeboten mit Hygienekonzepten bleibt jedoch eine der zentralen Schutzmaßnahmen die Einschränkung physischer Kontakte. Bildungseinrichtungen stehen daher noch immer vor enormen Herausforderungen (vgl. Christ et al. 2021). Insofern soll in diesem Beitrag erstens gefragt werden, wie die Pandemie aktuell planerisch bewältigt wird, und zweitens, welche zukünftigen Perspektiven (im positiven wie auch im negativen) sich durch die Pandemie ergeben könnten, welche nachhaltigen Wirkungen sich also auch für die Planung in der Bildungsarbeit mit Älteren entfalten könnten. Diesen Fragen geht der vorliegende Beitrag in einem explorativen Zugriff nach. Ziel ist es, erste Inneneinsichten zu geben in Planungsstrategien in der Bildung Älterer, und dabei auch eine gewisse Heterogenität der Anbieter einzubeziehen. Es wird gezeigt, wie die Planenden ihrer Verantwortung für die Bildungsarbeit Älterer angesichts der pandemischen Situation gerecht zu werden versuchen, wo Spielräume gefunden werden, aber auch wie knappe Ressourcen die Planungsphantasie beschränken können. Dazu werden zunächst theoretische Grundlagen zur Programmplanung in der Seniorenbildung zur aktuellen Situation in der Pandemie dargestellt, um dann methodisches Vorgehen und zentrale Ergebnisse zu präsentieren. In der Diskussion wird abschließend u. a. die Frage nach der Professionalität und Qualifikation des planenden Personals im Zusammenhang mit den Strategien thematisiert.

2 Theoretischer Rahmen: Programmplanung in der Seniorenbildung in der Pandemie

2.1 Institutionelle Pluralität in der Bildung Älterer

Die institutionelle Bildungslandschaft für Ältere ist und war schon immer durch eine große Pluralität und durch spezifische Herausforderungen gekennzeichnet (vgl. z. B. Lottmann 2013; Kade 2007). Diese resultieren aus der großen Heterogenität dieser Zielgruppe was Lebenssituationen, Bildungshintergrund, berufliche Erfahrungen, Bildungsinteressen etc. angeht (vgl. Kaufmann-Kuchta und Widany 2017; Tippelt et al. 2009), verbunden mit der grundlegenden Schwierigkeit, überhaupt so etwas wie „Seniorenbildung“ zu identifizieren. Sie ist nämlich (auch historisch, vgl. Kade 2007) in verschiedenen Organisationen und nicht nur in der Erwachsenen- und Weiterbildung im engeren Sinn angesiedelt. Sie findet in nicht unbeträchtlichem Maße auch jenseits primärer Bildungsorte, also beigeordnet statt (z. B. Gieseke 2008). Dies gilt v. a. dann, wenn der Hauptzweck der jeweiligen Einrichtung nicht Bildung, sondern bspw. Begegnung, ehrenamtliche Tätigkeit oder auch Freizeit ist, diese aber dennoch – beigeordnet – Bildungsangebote bereitstellt. Bezogen auf die Seniorenbildung gilt dies v. a. für Bildungsmöglichkeiten im Quartier, beispielsweise in sogenannten Seniorenbegegnungsstätten, in Stadtteiltreffs oder im Kontext kultureller Bildung (Kolland et al. 2020; Mania 2018; Robak et al. 2020; Friebe und Schmidt-Hertha 2013).

Mit Blick auf diese bislang nicht systematisch aufgearbeitete Pluralität von Einrichtungen und beigeordneten Bildungsorten werden für konkrete Planungsfragen aus erwachsenenpädagogischer Perspektive, wie sie Anliegen dieses Beitrags sind, insbesondere solche Einrichtungen relevant, an denen es zumindest ein Programm mit regelmäßig, z. B. wöchentlich stattfindenden Kurs- oder auch Begegnungsangeboten sowie dafür verantwortliche Personen gibt. Um den Begriff von Lernen und potenziellen Lernorten nicht ubiquitär auszuweiten, sind das Vorhandenseins eines Programms als Bündelung von AngebotenFootnote 1 und ein gewisser Institutionalisierungsgrad der Einrichtung zwei gute Kriterien, um diese unter genuin erwachsenenpädagogischer Perspektive, also mit Fokus auf die Bereitstellung von Bildung, in den Blick zu bekommen.

Für den vorliegenden Beitrag wird also nicht eine bestimmte Altersgruppe fokussiert, sondern Einrichtungen, die für Ältere sichtbar Bildungsangebote zur Verfügung stellen, indem sie explizit Ältere adressieren. Diesbezüglich werden in der Literatur vier „traditionelle Bildungsorte“ (Bubolz-Lutz et al. 2010, S. 201, vgl. auch Kade 2007) für Ältere identifiziert: Neben Volkshochschulen, die vor allem genannt werden, weil besonders häufig Ältere unter den Teilnehmenden sind (im Jahr 2019 waren 49,6 % der Teilnehmenden 50 Jahre und älter, vgl. Lux 2021), gehören hochschulische Einrichtungen, etwa mit Gasthörerprogrammen, die sich explizit an die nachberufliche Lebensphase richten, Einrichtungen von Gemeinden (z. B. Seniorenbegegnungsstätten) und Kirchen bzw. kirchliche Einrichtungen dazu. Was diese Einrichtungen neben dem Zielgruppenbezug eint, ist, dass sie regelmäßige Angebote in einem Programmheft, als Broschüre oder Flyer und/oder auch digital veröffentlichen. Damit wird auch das im ursprünglichen Verständnis von beigeordneter Bildung genannte Kennzeichen „punktueller Bildungsangebote“ (eben nicht gebündelt in einem Programm, vgl. Gieseke 2019a, S. 20) aufgebrochen, wenngleich sowohl kommunale als auch kirchliche Einrichtungen durchaus einen beigeordneten Charakter haben können (vgl. Kulmus 2018; Gieseke 2019b). Selbst Einrichtungen innerhalb dieser „traditionellen“ Trägerschaften und mit vorhandenem Bildungsprogramm unterscheiden sich jedoch zum Teil erheblich bezogen bspw. auf die institutionellen Kernaufgaben (z. B. wissenschaftliche Weiterbildung, Bildung für alle, niedrigschwelliges Begegnungsangebot etc.), die Zielgruppenspezifik von Einrichtung und/oder Programm (gerichtet an alle Menschen, an Menschen in der nachberuflichen Lebensphase, an „Seniorinnen und Senioren“ ohne Altersangabe), die Verfügung über Ressourcen (räumlich, technisch, finanziell), die Personalstrukturen (wie viel Personal mit welcher Qualifikation?) und die konkrete Teilnehmendenschaft (Altersgruppen, Bildungsniveaus). Entsprechend unterschiedlich sind auch die Planungsaufgaben und -bedingungen in der Seniorenbildung auf der mesodidaktischen Ebene.

2.2 Komplexität von Programmplanungshandeln

Im vorliegenden Beitrag geht es daher um die spezifische und empirisch konkrete Ausgestaltung von Programmplanungshandeln in einem spezifischen Handlungsfeld. Programmplanungshandeln wird zunächst deskriptiv als „Erarbeitung eines Programms entlang des Auftrags einer Organisation aus zielgruppenspezifischer und/oder adressatenoffener, inhaltlich-didaktischer Perspektive“ (Gieseke und v. Hippel. 2019, S. 40) definiert. Angesichts fehlender Curricula, dem Paradigma der Freiwilligkeit und einer damit verbundenen Offenheit und Einrichtungsvielfalt in der Bildungsarbeit mit (älteren) Erwachsenen wurde schon früh das empirisch-theoretische Konzept des „Angleichungshandelns“ (Gieseke 2000, S. 80) ausgearbeitet. Dieser Ansatz hat gegenüber ebenfalls existierenden linearen Planungsmodellen (z. B. Weinberg 2000, S. 94) die Besonderheit, dass es die Programmplanung nicht anhand eines idealtypischen Vorgehens beschreibt, sondern aus empirischer Forschung resultiert – und diese ihrerseits anleiten kann (vgl. Gieseke 2008; zu einer Übersicht verschiedener Planungsmodelle auch im internationalen Vergleich siehe v. Hippel 2017; v. Hippel und Käpplinger 2017). Das „sukzessive Planungshandeln“ (Gieseke 2000, S. 329) wird u. a. über die Beschreibung von Themenbereichen empirisch rekonstruiert, die als „Wissensinseln“ (Gieseke und v. Hippel 2019, S. 47) zunächst Aufgabenbereiche wie „Teilnehmer/innenanalyse“, „Dozenten- und Kursleitergewinnung“, „Bedarfserhebung“, „Kostenkalkulation“ u. a. (ebd., S. 47) beschreiben, damit aber zugleich Wissensbereiche benennen, auf die professionell Planende zugreifen (müssen). In konkreten Planungsprozessen können diese in je unterschiedlicher Weise und Kombination relevant werden (vgl. Gieseke 2003, S. 187; Fleige et al. 2022).

In empirischen Studien wird das Planungshandeln auf sehr unterschiedlichen Ebenen rekonstruiert, die sich vorläufig als Grade der Abstraktion beschreiben lassen. So wird bspw. mit dem Angleichungshandeln ein abstrakter „Modus“ beschrieben, in dem die Programmplanung erfolgt, der im Grunde immer zutrifft. Dies kann jedoch immer wieder für spezifische Handlungsfelder und Tätigkeiten empirisch konkretisiert und ausdifferenzieret werden. V. Hippel betont dagegen grundsätzliche Spannungsfelder (als Widerspruchskonstellationen oder Antinomien), in denen das Planungshandeln stattfindet, die es über Planungsentscheidungen zu gestalten gilt und die dann ebenfalls jeweils empirisch konkretisiert werden können (vgl. v. Hippel 2011; Gieseke 2019b). Auf einer weniger abstrakten Ebene zeigen dagegen v. Hippel und Röbel (2016), welche unterschiedlichen Funktionen verschiedene Planungsakteure dem Programm zuschreiben und wie dies mit der jeweiligen Handlungskoordination innerhalb einer Organisation in Beziehung steht. Pohlmann (2018) rekonstruiert in einer Studie zum Bildungsurlaub Planungsstrategien der Neuentwicklung, Fortschreibung und Streichung, die, anders als etwa Modus und Spannungsfelder, eng an die konkreten Programme der untersuchten Einrichtungen gebunden sind und die Resultate von Planungsentscheidungen im Programm selbst einbeziehen. Lorenz (2020) erweitert und differenziert im Anschluss daran in ihrer Untersuchung beruflicher Weiterbildung diese Strategien weiter aus und verweist zugleich auf gewissermaßen globale und wiederum abstraktere Handlungsorientierungen, die in konkrete Planungsentscheidungen einfließen (etwa die standardisierte Ausrichtung von Angeboten auf einen bundesweiten Markt, und zugleich die spezifizierte Anpassung von Angeboten auf einen regionalen Markt und auf konkrete lokale Bedarfe, S. 44).

Diese Studien zeigen einerseits anschaulich, wie ertragreich empirische Detailrekonstruktionen sind und aus welch unterschiedlichen Analyseperspektiven das Planungshandeln beschrieben werden kann: als eng ans Programm gebundene Strategien, als globale Orientierungen, die die konkreten Planungsstrategien rahmen, oder über Funktionen, die dem Programm von unterschiedlichen Akteuren zugeschrieben werden und die Planung entsprechend beeinflussen. Sie zeigen auch die mit dem wachsenden Forschungsstand zunehmende Notwendigkeit, zukünftig auch diese unterschiedlichen Zugänge und Analyseebenen und ihre Beziehung zueinander systematischer zu diskutieren. Die hier vorgelegte Studie liefert zunächst einen weiteren Beitrag zur Vielfalt an empirischen Zugangs- und Analysemöglichkeiten, bezogen auf ein konkretes Handlungsfeld und mit der spezifischen Frage nach Zukunftsorientierungen. Sie arbeitet professionelle Handlungsstrategien heraus, die sich entlang von zwei Grundorientierungen beschreiben lassen. Eine Metaanalyse zu den unterschiedlichen Zugängen kann dagegen auch dieser Beitrag noch nicht leisten.

2.3 Planungshandeln in der Pandemie

Durch die Pandemie haben Bildungsanbieter eine Disruption erlebt, wie sie kaum vorstellbar gewesen ist und die die Erwachsenen- und Weiterbildung in ihrem Kern getroffen hat (Käpplinger und Lichte 2020). Akteure in der Bildungsarbeit mit (älteren) Erwachsenen agierten vorher überwiegend als Präsenzanbieter, und dies auch bildungswissenschaftlich begründet über die Bedeutung von Begegnung, Leiblichkeit und lokaler Verortung, verbunden mit der Erfahrung immer wieder aufkommender – und abklingender – Euphorie über die Bedeutung digitalen Lernens als Teilhabechance (Dinkelaker 2021; Mania 2018; Rohs et al. 2020). Während im Lockdown schlicht keine Präsenzangebote stattfinden konnten, zeigten sich in der folgenden andauernden pandemischen Situation Herausforderungen, das Programm unter dem Eindruck von Ungewissheit aufrechtzuerhalten (vgl. Schmidt-Hertha 2021; Rohs 2020). Eine große Chance lag dabei in vielen Bildungsbereichen gewiss in der Möglichkeit, durch digitale Formate überhaupt ein stabiles Bildungsangebot aufrechterhalten zu können. Theoretisch liegt hierin auch das Potenzial, Menschen einzubeziehen, für die leibliche Begegnungen mit einem starken Risiko einhergehen (in der Pandemie v. a. Ältere und Vorerkrankte) oder die mobilitätseingeschränkt sind. Gleichzeitig ist die „Digitalisierung von Bildung“ kein eindimensionaler Prozess, sondern betrifft unterschiedliche Handlungsebenen (vgl. Kerres und Buntins 2020, S. 15) und ist an vielfältige Voraussetzungen gebunden, bspw. bezogen auf die technische Ausstattung, auf Datenschutzfragen (ebd.) oder auf medienbezogene Kompetenzen bei Lernenden und Lehrenden (Rott und Schmidt-Hertha 2019). Für den Umgang von Anbietern mit der Coronapandemie spielt Digitalisierung eine entscheidende Rolle, wie erste Analysen zeigen (vgl. HBV 2021). Zugleich kann aber breiter nach Wirkungen und Implikationen für zukünftige Planung gefragt werden, etwa mit Blick auf Kooperationen oder auf die Interpretation zukünftiger Bedarfe von Zielgruppen (vgl. auch Iller und Schmidt-Hertha 2020; Bernhard-Skala et al. 2021; HBV 2020).

Ein „Forschungsstand“ zur Weiterbildung in der Pandemie ist noch im Entstehen (vgl. Denninger und Käpplinger 2021), spezifisch zu Bildungsanbietern für Ältere liegt bislang nichts vor. Für Volkshochschulen hat Rohs (2020) schon früh nach Umstellungen der Planungstätigkeit u. a. in Bezug auf die Arbeitsorganisation selbst innerhalb der Einrichtungen gefragt. Dabei hat er auch Phasen des Umgangs mit der Pandemie identifiziert: von einer „Schockphase“ (S. 7) über eine Phase der „Orientierung und Stabilisierung“ (S. 8), eine darauf folgende „Kurzfristige Digitalisierung“ (S. 9), die v. a. nötig wurde, da Dozierende und Teilnehmende trotz erlaubter Rückkehr zu Präsenzformen nach wie vor unsicher waren; und schließlich eine „systematische Flexibilisierung“ (S. 10), die v. a. durch ein Vorhalten von Angeboten in Präsenz wie auch als Online-Format gekennzeichnet (ebd.). Langfristige Überlegungen stehen aber zu diesem Zeitpunkt noch aus (ebd.). Grotlüschen und Weis (2021) legen erste deskriptive Einschätzungen zur beruflichen Weiterbildung vor, in denen die Initiierung von Veränderung, die Umsetzung derselben und ihre (geplante) Erhaltung über die Pandemie hinaus berichtet werden. Dazu gehört bspw. die Frage, wie Angebote für Kunden aufrechterhalten oder erweitert werden können, wenn den Kunden die technische Ausstattung für Online-Angebote fehlt (S. 53). Dazu gehört aber auch die Nutzung von Methoden wie „Open Space“ für eine bessere Bedarfserhebung in der Anfangszeit der Pandemie (S. 52). Die Perspektive „was bleibt“ und darin eingebundene strategische Überlegungen sind in der Frage der Erhaltung über die Pandemie hinaus schon angelegt und zeigen sich unter anderem in einer Art Gewöhnung an Onlineformate (S. 55), zugleich werden aber Mehrwert und „Kehrseite“ (S. 56) derselben diskutiert. Der Mehrwert wird dabei z. B. bei sachbezogenem Austausch und den Möglichkeiten „hybrider Formate“ (S. 55) für eine räumlich ungebundene Teilnahme gesehen, während als „Kehrseite“ unter anderem eine neu zu gestaltende Marktpositionierung wegen einer großen „Flut von Gratisangeboten“ genannt wird (S. 56). Als fokussierte Ergebnisse zeigen Grotlüschen und Weis eine notwendigerweise wachsende Fehlertoleranz, die damit einhergeht, dass es Raum für „Versuchsballons“ (ebd., S. 53) geben muss – beides verweist auch auf die Erwartung einer erhöhten Flexibilität in der Planung für die Zukunft. Die Ergebnisse können als eine anschauliche Beschreibung von Angleichungshandeln in der Pandemie im Kontext beruflicher Weiterbildung interpretiert werden, obwohl Programmplanungs-Theoriebezüge gar nicht genannt werden. Anschlussfähig ist für die hier vorgelegte Studie die Frage nach dem Blick in die Zukunft und durch die Pandemie angeregte Planungsperspektiven.

3 Empirisches Vorgehen: Expertenstudie als Form von Programmforschung

An derartige empirische Analysen des Programmplanungshandelns in der Pandemie schließt die hier vorgelegte Studie an. Sie lässt sich in die Forschungsstrategie der Programmforschung einordnen und liefert einen Beitrag zur Konkretisierung von Planungshandeln während der Pandemie in einem spezifischen Handlungsfeld, nämlich in Einrichtungen, die Bildungsangebote für Ältere vorhalten. Die aktuelle Pandemie gilt v. a. aus medizinischer Sicht besonders für diese Zielgruppe als gefährdend (vgl. RKI 2021), weswegen gerade Bildungseinrichtungen für ältere Menschen Schutzkonzepte ernst nehmen müssen. Gleichzeitig gibt es die Befürchtung, dass Ältere – auch ältere Lehrende – zumindest tendenziell weniger erfahren im Umgang mit digitalen Formaten sind (vgl. Rott und Schmidt-Hertha 2019). Neuere Analysen legen einen zwar guten, aber durchaus sozial differenzierten Zugang Älterer zu Digitalisierung nahe (vgl. Schramek und Stiel 2020; BMFSFJ 2020), wodurch mögliche alternsspezifische Exklusionsgefahren noch verschärft werden könnten in einer Phase, in der Bildungsangebote vor allem in digitalen Formaten aufrechterhalten werden können.

Das Kernsample umfasst zum derzeitigen Zeitpunkt acht Interviews in neun städtischen EinrichtungenFootnote 2 bzw. Programm(bereich)en, weitere Interviews sind in Vorbereitung. Die Interviews dauerten zwischen 45 und 65 Minuten und wurden vollständig transkribiert (vgl. Dresing und Pehl 2018, S. 23) (Tab. 1).

Tab. 1 Methodisches Vorgehen und Sample

Das Sampling erfolgte insofern pragmatisch, als die Interviews durch gute Feldkenntnis, bereits vorhandene Kontakte und das Schneeballsystem zustande kamen, jeweils mit Blick auf eine inhaltliche Repräsentation (vgl. Merkens 2012) der vier „traditionellen Bildungsorte“ (vgl. Bubolz-Lutz et al. 2010, S. 201). Das zum Zeitpunkt dieser Veröffentlichung noch bestehende Ungleichgewicht der vertretenen Einrichtungsarten (VHS und Kirche nur je einmal) lässt sich vorerst nicht auflösen, scheint allerdings für die Interpretation nicht problematisch, solange diese nicht systematisch und kausal auf die Einrichtungsarten bezogen wird.

Der Fokus liegt auf Programmplanenden, die aber bspw. in kommunalen Begegnungsstätten häufig mit der Einrichtungsleitung zusammenfallen. Die Qualifikation der Befragten variierte von erwachsenenpädagogischen, erziehungswissenschaftlichen und sozialpädagogischen Hochschulabschlüssen über solche in anderen Disziplinen (z. B. BWL, Jura oder Politikwissenschaft) bis hin zu Ausbildungsabschlüssen in der Altenpflege. Die Befragten wurden in ihrer Rolle als Verantwortliche für das Programm und damit als Expertinnen und Experten adressiert, unabhängig davon, ob sie ihre Einrichtung oder das Programm als „Bildungsprogramm“ oder ihre eigene Tätigkeit selbst mit dem Terminus der Programmplanung bezeichnen würden.

Es wurden leitfadengestützte Interviews mit diesen Expertinnen und Experten geführt (vgl. Meuser und Nagel 2010). Der Leitfaden enthielt dabei keine Batterie an ausformulierten Fragen, sondern zentrale Themenbereiche, die sich zunächst sehr offen auf den Umgang mit der Pandemie bezogen. Die erste und Hauptfrage war bei allen eine episodisch orientierte und damit erzählgenerierende (vgl. Meuser und Nagel 2010) danach, wie es nach dem ersten Lockdown weiterging, gefolgt von vertiefenden Nachfragen zu Themenbereichen wie dem Umfang der Digitalisierung von Angeboten, der Wahrnehmung der Teilnehmenden und Dozierenden sowie der technischen Ausstattung. Für diese Themenbereiche dienten unter anderem die Wissensinseln nach Gieseke (2003) sowie die Handlungsebenen der Digitalisierung nach Kerres und Buntins (2020) und Analysen zur Medienkompetenz (Rott und Schmidt-Hertha 2019) als heuristische Hintergrundfolie.

Die Auswertung erfolgte orientiert an inhaltsanalytisch kategorisierenden Verfahren (vgl. Kuckartz 2018), aber angepasst an das konkrete Forschungsdesign mit seinem sehr offen fragenden Zugang zu den vorhandenen Deutungen der Planenden. Die Themenbereiche des Leitfadens wurden als deduktiv entwickelte Oberkategorien genutzt und induktiv ausdifferenziert. Dabei ging es v. a. um die Identifikation von Aspekten, die in den Erzählungen und Begründungen der Befragten zentrale Bezugspunkte darstellten. In dem Zusammenhang erwiesen sich aber zusätzliche „Hintergrund“-Kategorien als hilfreich für das hermeneutische Verstehen, die auf einer anderen Ebene liegen, bspw. die „Deutung der Pandemie“ und (auch nonverbale) „emotionale Ausdrücke“ (z. B. „angestrengtes Ausatmen“, „Frust“ oder „Stolz“). Diese wurden in einem weiteren Schritt für die in der Fragestellung angelegte Rekonstruktion von Zukunftsperspektiven zueinander in Beziehung gesetzt. Zum einen wurde so die „Deutung der Pandemie“ als gewissermaßen „erklärende“ Hintergrundkategorie identifiziert, zum anderen die Dimension zwischen den kontrastierenden Polen Wissensvermittlung und Begegnung entwickelt, die ihrerseits in einem zirkulären Prozess die Festlegung der Handlungsstrategien mit bedingten. Die Zukunftsperspektive wurde aufgrund der Betonung „neuer Wege“ in zugespitzter Form als Innovation bezeichnet, während sich als Gegenstück eine „Stagnation“ der Planungsphantasie aufzeigen ließ, die sich insbesondere in Ausdrücken wie „abwarten müssen“ oder „soll wieder wie vorher werden“ zeigte. Im Prozess der Ausarbeitung von (Hintergrund‑)Kategorien und Beziehungen zueinander ließen sich Handlungsstrategien herausarbeiten, in die wiederum diese Dimensionen als Grundorientierungen des Handelns einflossen und so eine Verortung ermöglichten. Zentral ist dabei, dass sich die Strategien nicht als vollständig bewusste oder gar offizielle Handlungsstrategien etwa der Einrichtung verstehen lassen, sondern v. a. als Bewältigung einer (Pandemie‑)Situation, die durch Brüche in Routinen, durch ein widersprüchliches Verhältnis von Anspruch und Ressourcen, durch die Ungewissheit der Planungsperspektive und die notwendige Sensibilität für die spezifische Zielgruppe geprägt ist und die den Planenden keineswegs als solche bewusst sein muss (vgl. Meuser und Nagel 2010). In diesen Strategien zeigt sich zudem, wie sich ausgewählte Wissensinseln und Handlungsebenen als Bezugspunkte der Begründungen verbinden (vgl. auch Pohlmann 2015). So sind etwa die Teilnehmenden sowie die Adressatinnen und Adressaten, die Dozierenden und die Grade von Digitalisierung zentrale und explizite Bezugspunkte der Argumentation, während etwa technische Ausstattung und Rahmenbedingungen eher als Hintergrundinformation gegeben werden für die Erläuterung der eigenen Erzählung. Vor diesem Hintergrund lassen sich vier Planungsstrategien entlang der Dimensionen zwischen Wissensvermittlung und Begegnung, zwischen Lähmung und Innovation darstellen.

4 Ergebnisse: Planungsstrategien zwischen Wissensvermittlung und Begegnung, zwischen Stagnation und Innovation

In den Interviews ist aufgefallen, dass die Interviewpartnerinnen und -partner oft nach Formulierungen suchten und häufig innehielten, um den Wiedereinstieg in die Bildungsarbeit nach dem Lockdown zu rekonstruieren („Ich muss kurz überlegen, wie war das eigentlich nochmal“ Ex-I5). Auch klang bei der Reflexion der Pandemiemonate teilweise große Erschöpfung mit. Aus der Komplexität der subjektiven Rekonstruktionen der letzten Monate oder gar Jahre und den entsprechenden Planungsüberlegungen lassen sich aber durchaus schwerpunktmäßige Orientierungen herausarbeiten.

4.1 Planungsstrategien und Interpretation der Pandemie durch die Planenden

Wie mittlerweile mehrfach belegt (z. B. Rohs 2020), beginnt die Reflexion der Pandemie auch bei den befragten Planenden mit der Beschreibung einer Art Schockstarre, die durch den ersten Lockdown entstanden ist und auch mit „völliger Orientierungslosigkeit“ und „Bammel“ beschrieben wird (Ex-I3). Dabei ist „Starre“ eigentlich insofern nicht der richtige Begriff, als allein die Absage oder das Verschieben der Veranstaltungen einen erheblichen Arbeitsaufwand bedeutete, etwa bezogen auf die Rückzahlung von Kurskosten und die Kommunikation zur aktuellen Situation (Ausfall, Aufschieben, Digitalisieren etc., Ex-I3, Ex-I2, Ex-I1). Mit dem Begriff Schockstarre ist aber erstens ein emotionales Moment gut erfasst, und zweitens, dass in dem arbeitsaufwändigen Bewältigen der Situation jegliche Vorausschau vorerst völlig erstickt wurde.

Interessant und durchaus unterschiedlich im Umgang wird es ab dem Moment, da die Möglichkeit zu Präsenzveranstaltungen – wenn auch unter erheblichen Hygiene- und Abstandsregeln – eröffnet wurde. Damit entstanden Spielräume in der konkreten Ausgestaltung des Bildungsbetriebs unter eingeschränkten Bedingungen und nach wie vor bestehenden Gefährdungen gerade für die ältere Teilnehmendenschaft. Hier lassen sich nun unterschiedliche Planungsstrategien rekonstruieren, in denen sich, wie am Schluss zu zeigen sein wird, zwei Dimensionen mit je antinomischen Polen finden: Lähmung vs. Innovation und Begegnung vs. Wissensvermittlung.

4.1.1 Kontinuierliche digitale Innovation: Die Pandemie als Verstärkung bestehender Trends

Das war ja vorher schon und werden wir auf jeden Fall fortsetzen (Ex-I1)

Diese Strategie ist zunächst geprägt durch eine nahezu vollständige Überführung der Angebote in digitale, vielfach synchrone Formate. Eine nicht unerhebliche Anzahl von bereits bestehenden digitalen Möglichkeiten und Formaten wird fortgesetzt und ausgebaut. Dazu gehört bspw. die Weiterentwicklung von Podcast- und Projektgruppenformaten. Als Voraussetzungen für diese Vorteile werden eine relativ gute Infrastruktur für digitale Formate und wenige (datenschutz-)rechtliche Probleme genannt. Die gute infrastrukturelle Ausstattung wird auch als Voraussetzung dafür beschrieben, neben der Übersetzung von Lehrangeboten auch virtuelle Begegnungsräume zu schaffen, in denen ein informeller Austausch möglich wird.

Und dann habe ich erst mal die Dozierenden von den Tools überzeugt, manchmal habe ich mich da gefühlt wie so ein Missionar, aber dann gab es gute Gruppendynamiken, auch unter den Dozierenden, auch weil wir informelle virtuelle Räume schaffen konnten da, unabhängig von den Lehrzeiten (Ex-I2).

Darüber hinaus gibt es verstärkte Kooperation mit anderen Einrichtungen, z. B. durch entsprechende gegenseitige Co-Werbung für digitale Angebote mit anderen Einrichtungen. Indem Angebote auch überregional zugänglich werden, können neue, auch „jüngere Alte“ gewonnen werden. Zudem können zumindest für Kurzveranstaltungen öffentlich bekannte und dadurch als „Highlight“ bezeichnete, z. T. aus dem Ausland kommende, Dozierende eingesetzt werden.

Die Bereitschaft von Dozierenden und auch von Teilnehmenden, sich auf neue Formate einzulassen, wird als letztlich hoch beschrieben. Dennoch ist mit dem Digitalisierungsschub ein erhöhter Aufwand und ein hohes Engagement der Planenden verbunden, der sich in zahlreichen Einzelberatungen von Dozierenden und auch Teilnehmenden zeigt, inklusive dem Angebot, selbst per Fernwartung Teilnehmenden oder Dozierenden Software zu installieren oder Probedurchläufe für Lehrveranstaltungen durchzuführen. Den Teilnehmenden werden zudem, soweit irgendwie erlaubt, persönliche Begegnungen angeboten. Der Fokus dieser Strategie liegt vorrangig darauf, dem Auftrag der Wissensvermittlung weiterhin gerecht zu werden und möglichst alle Vermittlungsangebote aufrechtzuerhalten. Zugleich zeigt sich aber eine explizit beschriebene Suche nach neuen digitalen Begegnungsräumen, etwa in den erwähnten kooperativen Formaten oder der Einrichtung eines „Kaffeezimmers“ (Ex-I1).

Hintergrund dieser Strategie ist die Wahrnehmung der Planenden, dass es eine relativ gute Grundausstattung der Einrichtung mit digitalen Ressourcen gibt, wie es v. a. für Hochschulen typisch ist, bereits vorhandene digitale Kompetenz und -bereitschaft bei allen Beteiligten und eine relativ hohe Autonomie des eigenen Handelns. Die Pandemie wird als Verstärkung ohnehin anstehender und bereits begonnener Veränderungen betrachtet, die sich v. a. auf neue digitale Formate und neue, auch überregionale oder gar internationale Kooperationen beziehen und damit aber auch eine regional und altersbezogen erweiterte Zielgruppe ansprechen können. Diese Strategie findet sich bezogen auf die aktuell vorliegenden Daten ausschließlich bei an Hochschulen angesiedelten Gasthörerprogrammen.

4.1.2 Abwartendes Situationsbeobachten: Die Pandemie als bewältigbare Unterbrechung des regulären Ablaufs

Das werden wir eigentlich erst dann sehen, wenn wir wieder normale Zugänge haben (Ex-I5)

In dieser Strategie findet sich nur eine teilweise Übersetzung von Präsenzangeboten in digitale Formate. Diese werden nicht nur als synchrone Angebote entwickelt, sondern auch in nicht unerheblichem Maß als asynchrone Formate wie die Bereitstellung von Lehrvideos (z. B. präsentiert über YouTube), was keine weiteren Medienkompetenzen bei den Teilnehmenden erfordert. Für Dozierende ist der Aufwand allerdings höher, wenn Videos öffentlich zur Verfügung stehen und entsprechend professionell sein sollen. Es braucht also finanzielle Ressourcen für den zeitlichen Mehraufwand oder Aufträge an Externe. Für synchrone Formate konnte auch fehlende Ausstattung zumindest zu Beginn ein Hinderungsgrund sein (z. B. durch datenschutzrechtliche Bedenken bezüglich der Anwendung von Videokonferenz-Software).

Zudem wird auch inhaltlich begründet, dass viele Formate nur teilweise digital überführt wurden: Gesundheitsangebote etwa lassen sich zwar ein Stück weit übersetzen, können aber die für Gesundheitsbildung so wichtige Kontrolle der Bewegungsausführung nicht gewährleisten, und auch bspw. Bildungsreiseangebote lassen sich nicht einfach digitalisieren. Andersherum werden auch Vorteile benannt, etwa für Führungen (z. B. durch eine Kirche), die, wenn professionell als Videoführung durchgeführt, ein genaueres und individuelleres Betrachten, Zurückspulen, nochmal Erleben ermöglicht – anders als bei einem Lehrvortrag in einer gefüllten Kirche.

Darüber hinaus wird auch hier auf die fehlende Bereitschaft von Teilnehmenden rekurriert, sich auf Online-Kursangebote einzulassen, was sich in entsprechend weniger Kursanmeldungen für Onlinekurse niederschlägt, die zugleich mit hoher Betreuung verbunden sind.

Und auch wenn wir Onlineangebote angeboten haben an bestehende Kursgruppen, war die Nachfrage sehr gering. Ja, das hat nicht super gut funktioniert, wobei wir da sehr engmaschig auch Betreuung angeboten haben, also was wir halt leisten konnten, ne, das muss man schon ganz ehrlich sagen, aber schon zu erklären nochmal, wie ist es mit Ihrer Kamera. Es war schon quasi eine enge Betreuung. (Ex-I5)

Die Planenden haben darüber hinaus auch den Dozierenden eine individuelle Begleitung und Weiterbildung angeboten. Es gibt Dozierende, die sich, obgleich sie als Honorarkräfte tätig sind, auf das neue Format nicht einlassen möchten. Bei einer relativ hohen Anzahl an Dozierenden wird das aber nicht als zentrales Problem beschrieben.

Hintergrund dieser Planungsstrategie ist eine verhältnismäßig solide Ausstattung mit Ressourcen, etwa für professionelle Videoaufzeichnungen oder für die Einrichtung von „Streaming-Räumen“ für Dozierende. Insgesamt wird die Pandemie hier interpretiert als eine vorläufige Unterbrechung des Regelbetriebs, die zwar disruptiv, aber nicht völlig unumkehrbar ist, und in der Zukunftsüberlegungen unter der Prämisse des Abwartens angestellt werden.

Aber auch das wird bleiben, man wird regelmäßig neuen „Content“ [gemeint sind Lehrvideos, Anm. d. Verf.], wie es so schön heißt, auf unseren Medienseiten finden. […] Solange das so funktioniert, werden wir es beibehalten. Und dann schaut man weiter. […] Alles digital zu machen, passt eben nicht zu unserer Institution. (Ex-I4)

Die Planenden argumentieren aus einer subjektiv relativ hohen Planungsautonomie trotz übergeordneter Leitungsgremien und förderrechtlicher Vorgaben, die sich u. a. damit begründet, dass finanzielle Mittel für Digitalisierung zur Verfügung gestellt wurden, für Dozierendenschulungen, für Streamingräume oder externe Expertise. Diese Strategie findet sich konkret bei einer kirchlichen Einrichtung und einem Programmbereich einer Volkshochschule.

4.1.3 Wunsch nach Rückkehr zum Alten: Die Pandemie als ermüdende Verstärkung massiver Ressourcenprobleme

Also wir wollen bald wieder so arbeiten wie vorher, die Teilnehmer wollen das auch (Ex-I8)

In dieser Strategie werden Angebote nur teilweise oder gar nicht digitalisiert. Wenn sie es doch werden, dann meist in Form von Lehrvideos, die über YouTube bereitgestellt werden und damit relativ geringe Kompetenzen bei den Teilnehmenden erfordern. Als Gründe für die geringe bis nicht vorhandene Digitalisierung werden zum einen Barrieren bei den Teilnehmenden genannt, die nicht nur mit fehlender digitaler Kompetenz, sondern auch mit „Vorbehalten und Misstrauen gegenüber dem Digitalen“ (Ex-I3) begründet werden – verbunden mit der Frage, was überhaupt von einem digitalen Angebot zu erwarten sei. Entsprechend wird zwar in einem Interview reflektiert, dass man sich der Digitalisierung auch nicht völlig verschließen könne, stärker ist aber in dieser Strategie die skeptische Betonung: „Man kann auch nicht alles digitalisieren!!“ (Ex-I8).

Diese Wahrnehmung resultiert zum Teil aus individuellen Rückmeldungen von Teilnehmenden, spiegelt aber auch stereotype Vorstellungen von Leitungspersonen, die selbst wenig digitalaffin sind und entsprechend mit eigener Skepsis auf die Teilnehmenden schauen („da gab’s dann halt auch eine Skepsis, dass das doch unsere Teilnehmenden gar nicht können“Ex-I3). Fehlende Affinität zu digitalen Medien wird auch von (einigen) Dozierenden berichtet, die z. T. freiberuflich, zum Teil aber auch nur für eine Aufwandsentschädigung tätig sind. Diese befinden sich oft selbst schon in einer späteren Lebensphase mit hohem Bedürfnis nach Routine und Begegnung und daher wenig Bereitschaft zur Einarbeitung in für sie sehr fremde Modelle der synchronen digitalen Lehre. Ergänzend kommen hier inhaltliche Überlegungen hinzu, da sich manche Angebote (etwa Bewegungsangebote oder „Museumsspaziergänge“) nicht gut digitalisieren lassen, ohne den Kerncharakter des Angebots zu verändern. Auch hier wird von einem erhöhten Aufwand für die Betreuung derjenigen Dozierenden berichtet, die sich auf Videoaufzeichnungen einließen, aber vor allem eine außerordentliche Betreuung von z. T. schon sehr alten Teilnehmenden, die neben einem technischen Support unter anderem in telefonischen Gesprächsangeboten und Hausbesuchen „einfach gegen die Einsamkeit“ bestanden.

Diese Strategie findet sich sowohl in zwei Begegnungsstätten als auch in einer akademisch-allgemeinbildenden Einrichtung. Zur Einordnung der Strategien ist hier zu ergänzen, dass die Planenden in Einrichtungen tätig sind, die den Bildungsbetrieb überwiegend mit ehrenamtlichen Dozierenden und Unterstützenden gestalten, die sich ihrerseits zu einem Gutteil schon in der zweiten Lebenshälfte befinden, und die zudem über wenig Ressourcen für die Unterstützung der Digitalisierung verfügen. Es dominiert daher der Eindruck, dass die begrenzten Ressourcen sowie starke hierarchische Beziehungen zu übergeordneten Entscheidungsinstanzen zu einem sehr eingeschränkten relativen Autonomieerleben in der Planung und daher auch zu einer gewissen Erschöpfung führen. Der Blick „nach vorne“ ist eher ein Blick zurück, auch in der Wahrnehmung, wenig Unterstützung für strategische Überlegungen zu bekommen (auch nicht von Teilnehmenden).

4.1.4 Strukturelle Innovation: Die Pandemie als Legitimation für neue Ausrichtung

Wir müssen wahrscheinlich völlig neue Wege gehen (Ex-I7)

Diese Strategie ist geprägt durch eine sehr geringe Digitalisierung der Angebote und findet sich konkret bei zwei Begegnungsstätten. Technische Ausstattung für synchrone Angebote (W-Lan, Software etc.) gab es zunächst nicht. Die Pandemie wurde aber für die Einrichtung einer digitalen Grundausstattung genutzt, für die jetzt Mittel bereitgestellt wurden. Damit konnten dank motivierter Dozierender vereinzelt digitale Angebote geschaffen werden. V. a. konnte die Technik aber auch für digitale Kontaktaufnahmen genutzt werden, etwa für Videogespräche mit (Stamm‑)Teilnehmenden.

Auffällig ist hier, dass zwar auch über fehlende digitale Kompetenzen und Bereitschaft bei Teilnehmenden gesprochen wird, Dozierende hier aber eher als Motor und Unterstützer genannt werden – allerdings vor dem Hintergrund eines ohnehin nur kleinen Bildungsangebots und weniger Dozierender. Eine Besonderheit in dieser Strategie ist jedoch die Beschreibung dessen, wie die Planenden, die hier zugleich Leitende einer Einrichtung sind, eine große Nähe zu ihren Teilnehmenden aufrechtzuerhalten versuchten: Viel wichtiger als die so schwierig gewordenen Gruppenangebote wurden persönliche und regelmäßige Telefon- und später auch Videoanrufe bei Teilnehmenden. Dazu kam die Entscheidung (hier auf kommunaler Ebene), dass die Häuser prinzipiell geöffnet bleiben, so dass auch Anrufe und (spontane) Einzelbesuche durch Teilnehmende möglich wurden. Dazu kamen schließlich sogar häufige Hausbesuche bei Teilnehmenden, sei es, um Anwendungen für Videokonferenzen zu installieren oder um die Situation in der Einrichtung persönlich zu klären und auf die Möglichkeit von Gesprächen per Telefon hinzuweisen.

Sehr ausführlich und „alterskompetent“ wird hier, ähnlich wie in der zuvor beschriebenen Strategie, reflektiert, wie schnell die Aussetzung regelmäßiger Angebote die Immobilität von älteren und hochaltrigen Menschen verstärken kann und wie dadurch die Zukunft der Einrichtungen berührt wird. Dies regt offenbar zu verstärkten strategische Überlegungen an bzw. zur Erhöhung der Dringlichkeit, mit der eine neue Ausrichtung bspw. gegenüber dem Bezirk begründet und vorangetrieben werden soll. Digitalisierungsbezogen werden hier vor allem Überlegungen zur besseren (auch digitalen) Sichtbarkeit des Programms und des Leistungsspektrums der Einrichtung angestellt. Die Überlegungen beziehen sich auf die Ausrichtung und Vernetzung der Einrichtung mit ihrem Programm und sind durch die Grundannahme geprägt, dass in nächster Zukunft eine neue Altengeneration „bedient“ werden muss, die grundsätzlich andere Bedürfnisse und Ansprüche mitbringt.

Anders als in den vorangegangenen Strategien wird hier auch die inhaltliche Ausrichtung diskutiert, dass es mehr Bildung (durch Begegnung) und weniger Unterhaltung braucht. Sie betreffen aber auch die zeitliche Ausgestaltung des Programms, das, sollen „junge Alte“ als Teilnehmende und auch als Mitarbeitende gewonnen werden, sich auf die Abendstunden wird ausdehnen müssen – womit wiederum noch berufstätige und damit auch zahlungskräftigere Ältere erreicht werden können. So sollen finanzielle Freiheiten für eine modernere Programmgestaltung erlangt werden;

Die nachrückenden Alten haben ein ganz anderes Lebenskonzept, ich sag’ mal, die wollen nicht die Wildecker Herzbuben, sondern PC-Kurse. [..] Die haben ganz andere Ansprüche (Ex-I6)

Dies betrifft die Notwendigkeit einer stärkeren Vernetzung im Stadtteil, auch um bspw. gemeinsam mit anderen Einrichtungen Familien (und darüber auch noch jüngere Ältere) ansprechen zu können und insgesamt die inhaltlichen Bedürfnisse besser bedient werden können, etwa über Kooperationen mit Volkshochschulen z. B. für Sprach- oder PC-Kurse (Ex-I6, Ex-I7). Über eine stärkere Vernetzung mit kulturellen, sozialen und Sporteinrichtungen im Stadtteil kann zudem das Bildungs- mit einem Service-Angebot (etwa in Fitnessstudios) verbunden werden, womit auch „konsumorientierte Ältere“ (Ex-I7) besser erreicht werden.

Hintergrund dieser Strategie ist einerseits die Personalunion von Leitung und Programmplanung, die die stärker ausgeprägten Strategieüberlegungen bezogen auf die Einrichtung erklären mögen. Diese Aufgaben sind aber zugleich eingebunden in eine kommunal verantwortete Gemeinwesenarbeit, die den einzelnen Einrichtungen eine sehr geringe Planungsautonomie zuweist, etwa bezogen auf Mittelverwendung – verbunden mit einer insgesamt als relativ niedrig empfundenen finanziellen Ausstattung. Vor diesem Hintergrund nutzen die Planenden die Pandemie als Legitimationshilfe für neue Strategien, sowohl gegenüber der nächsthöheren Hierarchie-Ebene, als auch – zusammen mit dieser – als Suche nach einem veränderten Wording gegenüber der Öffentlichkeit und im bezirkspolitischen Diskurs.

4.2 Planungsorientierungen zwischen Wissensvermittlung und Begegnung, zwischen Lähmung und Innovation

In diesen Strategien lassen sich Dimensionen rekonstruieren, die zentrale Handlungsorientierungen zeigen, nämlich eine Dimension zwischen Wissensvermittlung und Begegnung und eine zwischen Lähmung und Innovation.

Die folgende Abb. 1 zeigt den ersten Versuch einer Ordnung der Strategien entlang der Dimensionen. Der Dimension zwischen Wissensvermittlung und Begegnung kann der Schwerpunkt der Ausrichtung – vor allem der Formate – während der Pandemie zugeordnet werden: Hier findet sich die Übersetzung des Angebots ins Digitale von asynchroner Bereitstellung von Lehrvideos über synchrone Angebote mit virtuellen Begegnungsräumen bis hin zu keiner Digitalisierung, sondern stattdessen telefonischer und leiblicher Begegnung. Hierin zeigt sich, auf welche jeweilige Kernaufgabe sich die Planenden in der Pandemie zunächst konzentrieren: Wissensvermittlung bis hin zu asynchroner Wissensbereitstellung bei Planenden in hochschulnahen Einrichtungen und leibliche Begegnung in kommunalen Begegnungsstätten.

Abb. 1
figure 1

Planungsstrategien in der Pandemie (Quelle: Eigene Darstellung)

Die Dimension zwischen Lähmung und Innovation zeigt dagegen den Blick nach vorn und damit zukunftsbezogen die Deutung der Pandemie, nämlich eher als Beschleunigung (und Legitimationshilfe) oder Behinderung von Programm- und Einrichtungsentwicklung, wobei sich innovative Programmentwicklungsüberlegungen bei fast allen Strategien vor allem auf Formate beziehen und nur in der „strukturellen Innovation“ auch auf Inhalte.

Die Strategien lassen sich zwar konkreten Einrichtungen zuordnen, stellen gleichwohl aber starke Zuspitzungen dar. So finden sich durchaus auch in dem „Wunsch nach Rückkehr zum Alten“ Ansätze strategischer Zukunftsüberlegungen, die aber dominiert werden von der Wahrnehmung, dass Innovationen keine Chance haben. Abschließend lässt sich mit Blick auf die Fragestellungen sagen, dass die Pandemie planerisch einerseits durch eine Konzentration auf die Kernaufgabe der Einrichtung (Wissensvermittlung oder Begegnung) bewältigt wird (Fragestellung 1). Dabei zeigt sich, dass v. a. die „reine“ Wissensvermittlung gut über digitale Formate umzusetzen ist, während die Ermöglichung von Begegnung auf leibliche, mindestens aber synchrone Momente nicht verzichten kann. Andererseits wird deutlich, dass die Pandemie in unterschiedlichem Ausmaß genutzt wird, um strategische Überlegungen, wenn auch nicht neu anzustellen, so doch zu verstärken (Fragestellung 2). Dabei geht es keineswegs nur um die Beibehaltung digitaler Formate, sondern auch um grundsätzliche Reflexionen über die Bedarfe zukünftiger Generationen von älteren Menschen, die, so die Überlegungen, auch zu inhaltlichen Neuausrichtungen und stärkeren Kooperationsnotwendigkeiten führen können – hierin spiegelt sich die seismografische Funktion der Planenden (vgl. Gieseke 2019a), in der sich v. a. inhaltliche mit adressatenbezogenen Überlegungen verbinden. Der Beitrag ordnet sich damit ein in Studien zum Programmplanungshandeln, in denen in empirischen Rekonstruktionen der komplexe Prozess der Planung nachgezeichnet und sichtbar gemacht wird (z. B. v. Hippel und Röbel 2016; Pohlmann 2018; Lorenz 2020), hier konkretisiert für ein konkretes Handlungsfeld, die Seniorenbildung.

5 Diskussion

Folgende Anschlussfragen ergeben sich zum Weiterdenken und zur Diskussion.

Es zeigt sich, dass, was mit „Innovation“ gemeint ist, unterschiedliche Ebenen betrifft, etwa die geplante Beibehaltung digitaler Formate (inklusive digitaler Begegnungsräume etwa für Dozierende), die Ausweitung von Zielgruppen, die Stärkung der lokalen Verankerung über eine Ausweitung entsprechender Kooperationen, wie auch den Ausbau überregionaler Sichtbarkeit (vgl. auch Lorenz 2020); dies müsste systematisch differenziert und in Beziehung zu den jeweiligen organisationalen, lokalen und förderrechtlichen Bedingungen gesetzt werden (vgl. hierzu auch Fleige et al. 2022, Kap. 8.2).

Es könnte zudem die Relevanz der organisationalen Bedingungen für das Empfinden von relativer Planungsautonomie systematischer in den Blick genommen werden. Die Verfügbarkeit finanzieller Mittel und technischer Ressourcen und auch das Gebundensein bspw. an förderrechtliche Bedingungen (bei Volkshochschulen und Begegnungsstätten) könnten die Innovationsphantasie erheblich beeinflussen. Dies beinhaltet auch die Bedingung, ob mit Honorarkräften oder fast ausschließlich mit Ehrenamtlichen gearbeitet wird. In dem Zusammenhang könnten auch die Unterschiede der Einrichtungen noch einmal systematischer reflektiert werden: So ist bspw. ein Programmbereich Gesundheit in das große institutionelle Konstrukt Volkshochschule als allgemeinbildende Einrichtung eingebunden, die „nur“ durch ihre Teilnehmendenschaft zu den klassischen Bildungsorten für Ältere gehören, während Begegnungsstätten und einige (Gasthörer‑)Programme an Universitäten explizit an ältere Menschen adressiert sind. Auch diese Strukturen könnten Innovationsphantasie und inhaltliche Ausrichtung mitbedingen.

In dem Zusammenhang wäre drittens aber auch zu fragen, und dies scheint fundamental zu sein, wie individualisiert und persönlichkeitsabhängig die Planungsstrategien sind oder wie „professionell“ sie vollzogen werden können. Die Qualifikationen der Planenden unterscheiden sich erheblich. Während in einigen Fällen ein erwachsenenpädagogisches oder zumindest erziehungswissenschaftliches Studium und in einem Fall ein sozialpädagogisches Studium zugrunde liegt, ist es in anderen Fällen ein fachfremdes Studium und in einem Fall eine Ausbildung in der Altenpflege. Die unterschiedlichen Qualifikationen hängen auch mit den sehr unterschiedlichen Anforderungen der jeweiligen Bildungsorte zusammen. Was nicht für alle Planenden gegeben ist, ist eine systematische erwachsenenpädagogische Professionalität der Planungstätigkeit, und es wäre zu fragen, inwieweit dieses in Beziehung etwa zur „Innovationslust“ der Planenden gesetzt werden kann.

Damit werden, viertens, weitere Potenziale und Herausforderungen der Programmforschung als genuin erwachsenenpädagogischer Forschungsstrategie deutlich. Zur Programmforschung gehören sowohl empirische Analysen von Programmen, die gerade als eigenständige Programmanalysen eine besondere Relevanz für die Erwachsenenbildung entwickeln können (vgl. Fleige et al. 2019). Dazu gehören aber auch Untersuchungen zum professionellen Handeln von Planenden, womit sich die Ansprüche an methodische Zugänge noch erhöhen. So können mit wachsendem Forschungsstand die unterschiedlichen Analyseebenen zum Planungshandeln einmal systematisch aufgearbeitet und auf ihr Verhältnis zum Programm hin analysiert werden.

Schließlich ist methodisch ein größeres Sample wünschenswert (und bereits in Arbeit), gerade angesichts der Komplexität der Seniorenbildung, um die Frage der Generalisierbarkeit deutlicher zu beantworten. Zudem wäre es sicher interessant, bei allen Planenden nach einer längeren Zeit noch einmal nachzufassen und noch mindestens einmal zu einem Zeitpunkt, zu dem die Pandemie als beendet gilt. In einem solchen Nachfassen könnte auch die Frage der inhaltlichen (dauerhaften) Programmveränderung durch die Pandemie systematisch untersucht werden.