Die Gegenwart ist geprägt von einer Demokratisierung der individuellen Präsenz. Für das Personsein gilt esse est percipi. Die Anerkennung des Einzelnen ist immer stärker davon abhängig, möglichst überall, von jedem und jederzeit gesehen oder gehört zu werden. Dem entspricht die Ausrichtung des Selbstverständnisses an der medialen Präsenz im Vergleich mit anderen, wofür zahlreiche digitale Techniken der Visualisierung und der permanenten Registratur eigener Lebensvollzüge zur Verfügung stehen, die Ist- und Sollzustand in ein Verhältnis setzen. Neben Körperbildern, Leistungsdaten oder Kommentaren in sozialen Netzwerken kommt dabei auch der Demonstration von Lernen eine erhebliche Bedeutung zu. Mit diesen Darstellungspraktiken korrespondieren die neuen Möglichkeiten einer dauerhaften und ortsunabhängigen digitalen Registratur, die ihre Ursprünge in semiotischen Techniken der beobachtenden Dynamisierung von Personen haben, die vor allem auch in und durch Organisationen kultiviert werden. Damit geht eine Aktualisierung von Lehr-Lern-Arrangements, der Beziehungen von Lernenden und Lehrenden sowie der Form und Rolle von Lehr- und Lernorten einher. Neuere Formen algorithmisch-unpersönlicher Anreizsteuerung befördern eine für die digitale Moderne typische Subjektivierungsform (vgl. Maasen und Sutter 2016), deren Ausrichtung an einer panoptischen Dauerbeobachtung verdeutlicht, dass Anerkennungsverhältnisse nicht einfach positiv sind (vgl. Ricken 2009; Naumann 2016).

Im Folgenden werden langlaufende Umstellungen von Zeit- und Raumverhältnissen als Voraussetzung gegenwärtiger Entwicklungen dargestellt. Denn schon die soziale Ordnungsbildung früherer Gesellschaften beruhte auf der wechselseitigen Dauerbeobachtung aller Anwesenden. Wechselseitig-zirkuläre Sichtbarkeit und Personsein bedingen einander ebenso wie die zirkuläre Struktur der sozialen Raumzeit ein entsprechendes Verständnis von Lernen erfordert (1). Mit wachsender sozialer Differenzierung auf der Basis von Kommunikation unter Abwesenden übernehmen in der Moderne vor allem Organisationen die Funktion, den Einzelnen durch Dauerbeobachtung in soziale Existenz zu setzen. Hierfür werden semiotische Techniken der Dynamisierung von Personen – Rechnen, Messen, Visualisierung, Rechaotisierung – entwickelt und pädagogisch genutzt (2). Deren Digitalisierung führt zu einer Autonomisierung präsentistischer Kontroll- und Steuerungspraktiken, die auf Organisationen zunehmend verzichten können. Das Subjekt wird in ein neues Verhältnis zur eigenen Selbstveränderung gebracht, die nun vor allem auf technischen Oberflächen, wie z. B. Displays, präsentiert und kontrolliert wird. Dabei wird extern weit mehr über eine Person gespeichert, als diese selbst über sich weiß. Lern- und Lehrort werden weiter auseinandergezogen. Gleichzeitig kommt es zu einem Boom partizipativer Verfahren, die erneut auf interaktionistische Unmittelbarkeit setzen, um Personen zu verändern (3).

1 Raum, Zeit, Lernen

Raum und Zeit sind grundlegende Sinnformen. Sie strukturieren symbolische Ordnungen, die sie wiederum darstellen. Ihre dimensionale Entfaltung variiert kulturell und historisch. Raum und Zeit werden in unserer Anschauung aneinander abgeglichen und ineinander überführt. Was wir als und im Raum aktuell wahrnehmen, ist nicht gleichzeitig mit uns. Was gleichzeitig mit uns ist, nehmen wir nicht wahr. Jede Wahrnehmung braucht Zeit. Das Jetzt, die uns unmittelbare Wirklichkeit, ist gegenwärtige Vergangenheit. Die Wahrnehmung des Raums nimmt selbst keinen Raum ein. Zeit entsteht durch den Vergleich von Bewegungen im Raum, wozu Bildung, Lernen oder Organisieren als Strukturaufbau und -abbau gehören. Jeder Ortswechsel beansprucht Zeit, aber er kann vielfach wiederholt werden. Einen Zeitpunkt hingegen kann man nicht wiederholen. Für die soziale Raumzeit ist entscheidend: Reihenfolgen im Raum sind disponibel, Reihenfolgen in der Zeit nicht. Für symbolische Ordnungen aber gilt beides. Zeichensequenzen sind unbegrenzt wiederholbar, aber ihre Abfolge ist je nach Zeichenregister und Kontext different sinnrelevant – das Spektrum variiert dabei von loser (Buchstaben/Wörter) bis zu fixer Kopplung (Zahlen) (vgl. Manhart 2018).

Sozial und historisch ist der Ort der gemeinsame Ursprung von Raum und Zeit. Ausgehend vom sozialen Nahraum primordialer Gemeinschaften expandiert die fünfte Dimension der sozialen Raumzeit (vgl. Müller 1999). Im Verlauf der Geschichte werden immer größere Distanzen zurückgelegt und die dazwischenliegenden Räume durch ein Netz korrespondierender Landmarken semiotisch erschlossen. Dies geschieht bevorzugt durch Geschichten, die dem Raum einen zeitlichen Sinn verleihen. Räumliche und zeitliche Ordnung semantisieren sich wechselseitig. Sie sind eins. Mit der Rückkehr an den lokalen Ursprung kehrt man in der Zeit zurück. Zirkuläre Vorstellungen des Zeitverlaufs, wie sie für religiöse Vorstellungen vielfach typisch sind (vgl. Eliade 1994; Galtung 1999), beziehen ihre Selbstverständlichkeit aus der Präsenz periodischer Naturabläufe sowie aus der Tatsache, dass man an den einen Ort des Anfangs zurückkehren kann. Diese Rückkehr zum Ursprung ist notwendig, denn nur aus diesem kommt die Kraft zur Erneuerung des individuellen und sozialen Lebens. Für Gesellschaften dieses Typs liegt daher das Neue in der Vergangenheit, im Anfang. Mit wachsendem raumzeitlichem Abstand vom produktiven Chaos des Ursprungs dünnt der Sinn und die Kraft der Welt aus. Die Schöpfung erschöpft sich. Die Zeit bedarf daher regelmäßig eines Durchgangs durch diesen Ursprung, dem rechten Ort zur rechten Zeit, damit sie wieder neu beginnen kann.

Mit zunehmender sozialer Differenzierung lösen sich Zeit und Raum vom Ort und voneinander. Spezialisten erzeugen durch die Wiederholung bestimmter Handlungen den Ursprung immer wieder neu. Das Ritual macht Ort und Raum, Zeitpunkt und Zeit gegeneinander flexibel (vgl. Wulf 2007). Der Rückgang in der Zeit und damit die lokale Erneuerung der Welt kann nun auch fern vom Ursprung an einem hergestellten Ort vollzogen werden. Semiotische Techniken des Organisierens erzeugen die Mittel raumzeitlicher Abstandserweiterung (vgl. Giddens 1991, 1996). Es entwickelt sich, z. B. im Christentum, eine neue, zunehmend lineare Zeitvorstellung, die zwar noch zahlloser ritualisierter Wiederholungen – man denke an Messe und Abendmahl –, aber keiner Krümmung der Zeit auf einen bestimmten lokalen Ursprung mehr bedarf. Das Neue kann dann zunehmend in der Zukunft liegen. Es kann nun nicht nur entdeckt, sondern auch erzeugt werden. Die Hoffnung auf Erneuerung richtet sich daher besonders auf Kinder. Seit der Frühen Neuzeit werden Kinder zunehmend als im sozialen Raum verteilter Ursprung einer besseren Zukunft aufgefasst (vgl. Manhart 2011, S. 310 ff. und S. 458 ff.). Im Zeitalter der Aufklärung werden Schulen zu Orten der Verbesserung der Menschheit, in denen semiotische Techniken der Erziehung als Hervorbringung des Neuen kultiviert werden. Darin liegt einer der Gründe, warum die Erziehungswissenschaft der Aufklärung wesentlich als Pädagogik und nicht als Anthropagogik konzipiert worden ist (vgl. Dräger 2017). Erst wenn die Zeit nicht nur linear, sondern auch leer ist, kann deren nun endloses Vergehen in Organisationen zur Steigerungsfigur des Lernens geformt und flexibel adressiert werden. Die raumzeitlich-symbolische Synthese von Kind und Ursprung der Zukunft lockert sich, womit auch das Lernen Erwachsener wichtig wird.

Um so denken zu können, müssen Raum und Zeit als physikalisch-entpersonalisierte Dimensionen von der sozialen Raumzeit getrennt werden. Zeit lediglich als Produkt des Vergleichs von Bewegungen zu konzeptualisieren (vgl. Elias 1990; Dux 2000) oder sie als Schematisierung des Seins in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft aufzufassen, wobei das Jetzt ausdehnungslos immer im Entstehen und Vergehen begriffen ist (vgl. Luhmann 1997, S. 44 ff.), setzt zahllose soziale und semiotische Entwicklungen voraus. Mathematische und technische Innovationen triggern lineare Konzeptionen von Raum und Zeit (vgl. Schüller 1991; Jammer 1980; Dohrn-van Rossum 1992). Das soziale wie individuelle Lernen entsprechend unwahrscheinlicher Semiosen ist aber vor allem von Organisationen als sozialen Stützeinrichtungen abhängig. Die moderne Zeit ist unwahrscheinlich, denn sie ist linear ins Unendliche gerichtet. Sie ist unumkehrbar. Jede Wiederholung macht einen Unterschied. Nur ein solches Verständnis von Zeit erlaubt es, Lernen als Hervorbringung des Neuen zu verstehen. Übung und Gewöhnung können nur deshalb Neues an Altes binden, weil jede Wiederholung zwar in der Zeit geschieht, aber genau deshalb keine Wiederholung der Zeit mehr ist. Für Platon oder Augustinus war Lernen nichts anderes als Anamnesis (vgl. Platon 2018; Augustinus 1998), Wiedererinnerung dessen, was in der raumzeitlichen Distanz zum Reich der Ideen bzw. zum göttlichen Ursprung vergessen wurde. Einsicht, Übung und Gewöhnung legen dann nur wieder frei, was man schon weiß. Für Augustinus, der die Vorstellung einer Zirkularität der Zeit schon als heidnisch ablehnt (vgl. Augustinus 2007), kann das Neue daher nur von außen, also von Gott, kommen.

Der moderne Fortschritt erzeugt sich hingegen im Binnenraum der Gesellschaft. Die Moderne gewinnt das Neue nur aus und in sich selbst. Sie ist daher auf Lernen als lokalisierbare Formung des Alten zum Neuen angewiesen und so versteht sich auch das moderne Subjekt. Lagen die Quellen des Selbst aber zu Beginn der Moderne noch ganz wesentlich in dessen emotionalen Tiefen (Taylor 2009, S. 460 ff.), so entspringen diese nun vor allem den Oberflächen, den Displays und Interfaces digitaler Akteure. Mit der organisatorisch-medialen Stabilisierung der Kommunikation unter Abwesenden wird das Vermögen und der Anspruch zu lernen, auf praktisch alle sozialen Felder und Akteure ausgeweitet (vgl. Manhart 2014). Das Pädagogische wird räumlich und zeitlich entgrenzt (vgl. Kade und Seitter 2004). Nicht nur Kinder und Erwachsene lernen überall und jederzeit, hinzu kommen nun auch Organisationen und semiotische Maschinen (KI). Dem stehen partizipative Verfahren nur scheinbar entgegen, die jene Quellen des Neuen noch einmal im ursprünglichen Setting der Kommunikation unter Anwesenden vermuten.

2 Organisationale Raumzeit

Die Paradoxie der linearen Zeit, dass Wiederholung ein Wieder-Holen meint, das im permanenten zeitlichen Fortschreiten unmöglich ist, wird in Organisationen umgangen, indem arbeitsteilige Prozesse als Strukturen abgebildet und vielfach kopiert werden. Die historische Durchsetzung und der anhaltende Erfolg eines so unwahrscheinlichen Gebildes wie der Organisation hängt vor allem damit zusammen, dass sie in einer auf den sozialen Nahraum wechselseitiger Wahrnehmung ausgerichteten Gesellschaft Formen für das Auseinanderordnen von Sozialität bereitstellt. Zu diesen Techniken, Praktiken und kollektiven Formen der Sinnbildung, die jene personenunabhängige Organisation der Gleichzeitigkeit als Wiederholung ermöglichen (Wendt 2019), gehören vor allem Berechnung, Messung und Visualisierung, die sowohl zur organisationalen Strukturbildung als auch zur Personenveränderung eingesetzt werden.

Ohne die systematische Anreicherung gesellschaftlicher Erwartungsmuster mit pädagogischen Formen der Beobachtung ist die Konjunktur pädagogischer Praxen (vgl. Tenorth 1992) kaum vorstellbar, ohne Organisationen jedoch nicht möglich. Beratungssituationen, Unterricht oder auch gruppendynamische Prozesse reagieren zwar stets auf gesellschaftliche Ansprüche, realisiert werden konnten diese aber bisher nur in Organisationen. Diese sichern Lehr-Lern-Situationen ab, in denen die konkrete Relevanz der beteiligten Personen zugleich betont und relativiert, d. h zur Veränderung freigegeben werden kann. Als soziale Stützeinrichtungen bieten Organisationen die Möglichkeit, Lernzumutungen auf Schule, Universität oder Weiterbildungseinrichtung zuzurechnen, was Lernende und Lehrende entlastet und zugleich den Freiraum schafft, durch lernende Veränderung hinter der Person das Individuum sichtbar werden zu lassen (vgl. Luhmann 2004). Die zentrale Rolle der Organisation als Lehrort bei der räumlichen und zeitlichen Koordination einer Vielzahl individueller Lernorte in Gestalt von Individuen (vgl. Neidhardt 2006) scheint in der Gegenwart aber zunehmend verzichtbar zu sein. Nicht nur das Lehren findet jetzt in ganz neuen, personenfernen digitalen Räumen statt, das Lernen hat sich auch auf semiotische Maschinen, wie z. B. Algorithmen, ausgeweitet. Dies hängt mit dem Erfolg bestimmter Praktiken organisierter Personenveränderung zusammen, die zwar in Organisationen kultiviert worden sind, in ihrer digitalen Fassung aber nicht mehr durch diese stabilisiert werden müssen.

Organisationen etablieren Ordnungen, die über das Entstehen und Vergehen individuellen Lebens hinweg adressierbar bleiben (vgl. Coleman 1979). Sie fungieren als soziale Stützeinrichtungen, denn sie entlasten qua Strukturbildung von der Notwendigkeit stetiger Ko-Präsenz und ermöglichen neben der Kommunikation unter Abwesenden auch die Parallelisierung vielfacher anwesenheitsbasierter Arbeitsvollzüge. Für den Fall, dass die Anwesenheit konkreter Personen erforderlich ist, halten Organisationen Rahmenbedingungen vor, die das entsprechende Geschehen vorstrukturieren. Möglichkeiten der Einrede, des Nachfragens – aber auch Störungen wie Verstehensdefizite, Aufmerksamkeitslücken oder schlicht das Durchsetzen subjektiver Ansprüche –, treffen daher auf bestehende Strukturen, die bestimmte Möglichkeiten bieten, alles andere auszuschließen. Organisationen gewährleisten auf diese Weise, dass Unterschiedliches auf eine Zielstellung hin koordiniert wird. Eine zentrale Besonderheit liegt in der Umleitung organisationaler Ansprüche. Steuerungs- und Kontrollvorstellungen werden über das permanente Adressieren der beteiligten Subjekte zunehmend zu Erwartungen der Selbststeuerung und Selbstkontrolle, während negative Aspekte der zunehmenden Verantwortung von Mitarbeitern regelmäßig als die Empfindung überlastender Zeitknappheit artikuliert werden (vgl. Wendt 2019). Wenn mehr zu tun ist, so die Annahme, bleibt dafür weniger Zeit. Organisationsbedingte Zeitprobleme erzeugen daher neben einem Personal- auch einen individuellen Beratungsbedarf. Im beratergeleiteten Mikroskopieren der Gegenwart werden Zeitprobleme dann auf der Ebene des Sozialen bearbeitet (Wendt 2016).

Die Verdichtung von Zeitsequenzen ist eng mit der Eigenlogik von Organisationen verknüpft (vgl. Wendt 2019), die semiotisch-semantische Sonderwelten aus der sozialen Umwelt ausgrenzen. Die organisationsinterne Semiose einer autonomen Raumzeitkonstruktion, die Zerlegung, Verlangsamung, Beschleunigung und Synchronisation einer Vielzahl von Abläufen erzeugt eine eigenständige Form der Personalität und Subjektivität, die Gesellschaft zunehmend unabhängig von externen, gar transzendentalen Quellen der Erneuerung macht. Seit der Entstehung moderner Managementlehren sind Raum und Zeit daher auch zentrale Kategorien organisationaler Reflexion. Bereits mit den ersten populären Konzepten wurden beide Dimensionen zu einer organisationalen Raumzeit integriert und genau in dieser Form auf Personen bezogen. Beispielhaft hierfür ist das Scientific Management in der Fassung Frederick Taylors. Wissenschaftlichkeit ist für Taylor nicht nur ein funktionales Marketingargument, vielmehr steht sie für eine methodische Integrität, die es erlaubt, objektive, valide Daten zur Beurteilung von Sachverhalten zur Verfügung zu stellen (Taylor 1919). Taylor bedient sich dabei einer für die moderne Wissenschaft wie auch die organisierte Pädagogik zentralen Praxis: des Messens (Manhart 2016). Raum und Zeit individueller Abläufe sollen mittels Messung standardisiert geformt werden. Die Zeitstudien Taylors zielen auf das Ausschalten unnötiger Bewegungen, um den einen besten Weg der Ausführung einer Tätigkeit festzulegen. Wenngleich Taylors Menschenbild Projektionsfläche für unterschiedliche Arten von Kritik ist, bleibt sein Projekt für das Verständnis von Organisationen wie gerade auch betriebspädagogische Überlegungen von hoher Relevanz. Der Ausgangspunkt Taylors besteht in der Beobachtung, dass sich in Kommunikationen unter Anwesenden gruppenspezifische Leistungsnormen etablieren, die hinter organisationalen Erwartungen zurückbleiben. Dem Abweichungspotenzial des Individuums begegnet Taylor mit einem Methodenset, das auf die Schließung von Abweichungsspielräumen und Kontrolllücken zielt und die Abbildung objektivierter und verdateter Arbeitsvollzüge als Strukturzusammenhang ermöglichen soll. Das objektivierende Messen Taylors zielt auf das Ausschließen von nicht Zielführendem mittels präziser Verhaltensvorgaben und Zeitvorschriften für jede Arbeit und steuert auf diese Weise die Veränderung der beteiligten Personen (vgl. Manhart 2016). Durch den Zugriff auf den Körper und die damit verbundenen Bewegungsspielräume integriert das Scientific Management Raum und Zeit zum Mechanismus einer messförmigen, d. h. vor allem auch datenförmigen Strukturbildung.

Ähnlich verhält es sich mit der wissenschaftlichen Betriebsführung des Ehepaars Gilbreth in der Form eines mediengestützten Consultings. Beide arbeiteten an einer Führung, bei der ebenfalls die Formung und Kontrolle der organisationalen Raumzeit im Mittelpunkt stand, die erneut auf das Ausschalten unnötiger Bewegungen der Individuen gerichtet ist (Gilbreth und Gilbreth 1916). Stärker als Taylor berücksichtigen sie aber deren individuelle Eigenlogik, indem sie bildgebende Verfahren mit der Messung mittels einer eigens patentierten Uhr kombinieren, um die Effizienz einzelner Bewegungen zu ermitteln. Übermäßiger Ermüdung soll vorgebeugt, die einzelnen Vollzüge optimiert werden. Neben der messbasierten Visualisierung der Organisation gehen die Gilbreths bereits partizipativ vor, um die motivationale Ebene der Mitarbeiter zu erreichen. Durch das Einbeziehen der Mitarbeiter werden Bewegungsstudien bewusst als Lerngegenstand eingesetzt. Die methodisch gestützte Veranschaulichung der eigenen Bewegungen adressiert und stimuliert Reflexionsprozesse, sodass idealiter die Formalisierung der Organisation mit deren Subjektivierung durch die Mitarbeiter einhergeht. Die Vermessung und Visualisierung von Bewegungsabläufen impliziert folglich deren Verbesserung und entspricht aufgrund der Anregung entsprechender Veränderungsprozesse der Praxis des pädagogischen Messens (vgl. Manhart 2016). Als Ergebnis des mediengestützten Consultings steht ein methodengeleitetes Entscheidungswissen (vgl. Hoof 2015), das für die Organisation sicherstellt, nicht vom flüchtigen Moment der Gegenwart abhängig zu sein, da die Strukturbildung der Logik raumzeitlicher Parallelisierung folgt.

Die Pioniere der modernen Managementlehre arbeiten mit Nachdruck an einer Verdatung der Organisation. Das Abbilden von Arbeitsvollzügen in entsprechenden Datenspuren dient nicht nur der Verringerung der Abhängigkeit von einzelnen Personen, sondern auch dazu, die organisationale Koordination einer rechenhaften Eigenlogik zu überlassen. Organisationale Strukturen geben dann auf rein informationeller Basis Auskunft darüber, welche Anschlussmöglichkeiten im Rahmen der Organisation vorgesehen sind. Dies gilt besonders, wenn Rechenwege für die Gestaltung der Organisation genutzt werden, wie die frühen Arbeiten Erich Gutenbergs zeigen. Den „Umweg“ über die Formierung von Körperlichkeit spart Gutenberg gleich ein. Seine Organisation funktioniert als „Komplex von Quantitäten“ (Gutenberg 1929, S. 44) und insofern reibungslos. Der Zugriff auf die einzelnen Betriebsabteilungen erfolgt allein über mathematische Relationen: Lagerbestände, Ein- und Ausgangsgrößen, Personalmittel, alles wird zahlenförmig abgebildet, findet also nur als delokalisierte Quantität Eingang in die Organisation. Organisieren heißt hier, von Raum und Zeit scheinbar befreit, zu rechnen. Das zentrale Organisationsproblem ist bei Gutenberg daher nicht das Ausschalten unökonomischer individueller Bewegungen, sondern die Indikatorbildung, um Geschehnisse der Organisation numerisch in die vorgesehenen Formulare eintragen zu können. Einer solchen Systematisierung entzieht sich die innere Unberechenbarkeit des Subjekts, weshalb es als Störquelle neutralisiert, d. h. in die fix koppelnden numerischen Strukturen der Organisation eingeschlossen, gedacht wird.

Gerade die numerische Organisation stellt den idealtypischen Versuch dar, über Raum und Zeit flexibel zu disponieren, eine organisationale Eigenzeit zu etablieren, um den Störeffekten der sie umgebenden Zeitläufte trotzen zu können. Gleichzeitigkeit und das Parallellaufen von Vollzügen wird an die Stelle linearer Sequenzialität gesetzt. Einzelschritte sind dann nicht in ein Korsett des Nacheinanders gezwängt, sondern gehen – untereinander koordiniert – gleichzeitig vonstatten und werden so austauschbar. Damit wird Zeitabhängigkeit systematisch relativiert und die moderne Gesellschaft zu einer Gesellschaft der Gleichzeitigkeit (Wendt 2019). Somit scheint möglich, was eigentlich unmöglich ist. Vorgänge werden wiederholbar. Das Prinzip der Sequenz – des Nacheinanders in der Zeit – wird in Organisationen gewissermaßen umgeleitet und wie durch ein Prisma gebrochen, sodass bestenfalls kurze Sequenzen erhalten bleiben. Zeiteinheiten werden aufgespaltet und in den mehrdimensionalen organisationalen Raum projiziert. Der modernen Erfahrung von Zeit, die maßgeblich auf der Unterscheidung von Vergangenheit und Zukunft gründet (Luhmann 2005), entspricht die laufende Ersetzung organisationaler Gegenwarten durch raumzeitliche Verknüpfungen in einem fix koppelnden Koordinatensystem. Organisationen bieten daher Möglichkeiten des Anhaltens der Sequenz und der Fortsetzung der Arbeit am nächsten Tag sowie der Ausdifferenzierung von Tätigkeiten, die sich in anderen Büros oder Klassenräumen zur gleichen Zeit vollziehen, weil sie im Wesentlichen formal-strukturell standardisiert sind. Die Organisationsstruktur wird raumzeitlich autonom und von den individuellen Vollzügen einzelner Mitarbeiter weitgehend unabhängig. Dass dann jeder ersetzbar ist, gilt aber nicht nur für die Mitarbeiter, sondern auch für das Führungspersonal, dessen Praxis die gleichförmige Arbeit an der Gleichzeitigkeit des Ähnlichen als Struktur ist. Nicht zufällig haben Könige und Päpste sich wiederholende Namen und nicht selten eine Nummer, und schon Schleiermacher lobte an der „öffentliche(n) Erziehung, eben weil sie nur in großen Massen arbeitet“, dass bei den Lehrenden kein „pädagogischer Dünkel“ aufkommen könne, die „zarte Blüte der Natur, mag sie sich nun als Genie in der Kunst und Wissenschaft (…) offenbaren, durch künstliche Mittel hervorlocken (…) zu können“ (Schleiermacher 2000, S. 290).

Organisationen etablieren mit der sozialen Eigenzeit auch einen delokalisierten Eigenraum, denn Organisationen sind als Ort im physikalischen Raum streng genommen nicht erforderlich. Zwar sind Organisationen, wie z. B. Schulen, auch lokale Orte, die aufgesucht werden können, die semiotische Struktur der Koordination organisationaler Parallelitäten ist jedoch nicht an bestimmte Orte gebunden. Die Logik einer strukturgeleiteten semiotischen Ordnung tritt an die Stelle eines räumlichen Ortes, sodass Organisationen nicht nur einer Logik der Entzeitlichung, sondern auch der Delokalisierung folgen. Dass die Koordination sozialer und technischer Abläufe durch Prozesse der Strukturbildung nicht mehr die Folge personengebundener Absprachen und damit auch nicht mehr von körperlicher Anwesenheit ist, hat für die Dichotomie von Raum und Zeit Konsequenzen: Es gibt sie nicht.

Organisationen sind Strukturzusammenhänge, die Raum und Zeit immer integrieren. Die Adressierung von Organisationen vollzieht sich denn auch schon gegenwärtig überwiegend in einem digitalen Raum, dessen Bezeichnung als virtuell allerdings verschleiert, dass auch dieser wirklich ist. Wie der digitale, bedarf jedoch bereits der traditionelle Eigenraum der Organisation keines bestimmten Ortes. Notwendig ist vielmehr eine wiederholbare Adressierung und Mitarbeit einer Vielfalt menschlicher Subjekte, die auf diese Weise zu einer Vielzahl organisierter Personen habitualisiert werden. Die Verbreitung der digitalen Raumzeit durch die Omnipräsenz softwarebasierter Lösungen ist untrennbar mit der Verbreitung der Form moderner Organisation verbunden. Das Bestreben, Präzision und Kontrollierbarkeit der Organisation durch fixe Kopplung der Abläufe zu sichern, entspricht dem Anspruch digitaler Strukturbildung, Zufälle auszuschließen und gleichzeitig Flexibilität zu gewährleisten. Dabei ist Flexibilität auch in der frühen Managementlehre bereits Gegenstand organisationaler Strukturgestaltung, wenngleich Fokus und Rezeption ungleich stärker auf Vorgabe und Kontrolle gerichtet sind. Versuche demokratisch-partizipativer Führung, wie etwa das Setzen auf Teams bei Mary Parker Follett (1941), wurden zunächst kaum breiter diskutiert. An ihrem Konzept zeigt sich aber noch einmal, dass die Entstehung des modernen Managements eng mit einer pädagogischen Perspektive verknüpft ist. Mary Parker Follett nutzt die eigenen Erfahrungen aus dem Bereich der Erwachsenenbildung, indem sie Subjektivität als wesentliches Element der organisationalen Dynamik versteht. Ein teamgestütztes Abflachen von Hierarchien relativiert die klassisch organisationale Dichotomie von informationsverarbeitender Kapazität an der Basis und der Weisungsbefugnis an der Spitze und ersetzt die damit einhergehenden Kontrollprobleme durch multiperspektivische Arrangements. Im Wesentlichen geht es dann um eine systematische Produktion kreativer Zufälle unter Ausnutzung individueller Mikrodiversität für die organisationale Strukturbildung. Eine solche Rechaotisierung der Organisation, die erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts durch Konzepte wie den organisierten Anarchismus Tom Peters (1988) zunehmend populär wurde, spielte zwar zunächst keine entscheidende Rolle, war aber, neben Berechnung, Messung und Visualisierung, bereits Teil des organisationalen Formenvorrats. Die organisierte Zentralisierung des Subjekts ist genau wie seine Dezentrierung von Beginn an Teil der managerialen Agenda. Diese nur scheinbar antithetische Konstellation der Organisation hat sich bis in das digitale Zeitalter fortgesetzt, in dem sich Kontingenznegation und -produktion noch immer partiell substituieren, ergänzen und stabilisieren.

3 Digitale pädagogische Arrangements, Subjektivierung und partizipative Verfahren

Die Digitalisierung ist die Fortsetzung der Organisation mit semiotischen Mitteln. In der Geschichte der Organisation und der Praktiken des Organisierens wird die digitale Moderne ‚analog‘ vorbereitet (vgl. Kurtz 2004). Die neuen technologischen Möglichkeiten katalysieren die in Organisationen immer schon angelegten Tendenzen zur Entzeitlichung und Delokalisierung (vgl. Schmidt-Lauff 2004). Die Fokussierung des Menschen auf das zwar interaktive, in seinen Strukturen aber vorprogrammierte Softwaregeschehen erzeugt neue Formen von Personalität und Subjektivität. Mit der Digitalisierung werden die bewährten polysemiotischen Regulationen des sozialen Austauschs in Organisationen fortgeschrieben, während man im Netz auf explizite Mitgliedschaft, territoriale Verortung, Stellen und Hierarchien als Elemente klassischer Organisationen verzichten kann. Der Erfolg der Digitalisierung beruht vor allem auf den habitualisierenden Effekten der in analogen Organisationen kultivierten pädagogischen Praktiken. Der wiederholte Einsatz pädagogischen Messens hat tiefe Spuren im Subjekt hinterlassen. Standardisiertes Vergleichen und zahlenbasiert-visualisierende Feedbackschleifen orientieren nicht nur die lernende Veränderung der Mitarbeiter, sondern passen diese auch in die organisationalen Strukturen ein (vgl. Manhart 2016). Sie befördern damit ganz allgemein die Kompetenz, auch außerhalb von Organisationen mit quantitativen Rückmeldesystemen zur Bewertung und Verbesserung der eigenen Performanz umzugehen. Die damit einhergehende Gewöhnung schafft Bedürfnisse der Selbstvergewisserung und Vergleichsorientierung, die zu einer grundlegenden Umorientierung der Subjektivität führen.

Das Soziale findet nun sichtbar auf den digitalen Oberflächen statt. Das Persönliche ohnehin. Die Quellen des Selbst werden von den Akteuren zunehmend nicht mehr in ihrem Inneren, sondern außerhalb auf den Displays gesucht und gefunden, die permanent Messresultate, Rankings und andere digitale Rückmeldungen zeigen. Digitale Informationsverarbeitung und Subjektivität wachsen aneinander und mit ihr die Demokratisierung der Präsenz. Man mag sich unsicher sein, was man will, wer man ist, wozu man gehört – auf den Oberflächen wird man viele Antworten finden, kann anderen folgen, Optionen ausrechnen, Rangordnungen erstellen, Foren zum Austausch nutzen, um sich motivieren, verunsichern oder abschrecken zu lassen. Dabei sind diese Rückmeldungen nicht weniger interpretationsbedürftig als die Gesichtsausdrücke, vermuteten Meinungen und expliziten Kommunikationen anderer Personen in analogen Interaktionen. Aber sie sind, im Gegensatz zu diesen, wiederholbar. Sie können gespeichert und immer wieder abgerufen, sie können gezählt, aggregiert und verrechnet werden. Es wird mit ihnen daher anders und anderes gelernt. So wird es zu einem Bedürfnis, sich die Rückmeldung der Anderen, seien dies nun konkrete Menschen, Algorithmen oder kollektive Akteure, durch Nutzung und Manipulation vorgegebener Softwareinterfaces aktiv zu holen. Dafür muss man sichtbar, also präsent sein, was schon damit beginnt, dass man anderen bei ihren Präsentationen folgt oder mehr oder weniger lautstark seine Meinung kundtut. Die Software registriert all dies und sammelt dabei mehr Informationen über jeden Einzelnen, als jedes einzelne beteiligte Bewusstsein jemals über sich selbst wissen kann.

Mit den Möglichkeiten digitaler Darstellung wachsen auch die Auswahlprobleme hinsichtlich der Form der eigenen Sichtbarkeit und damit die Tendenz, genau diese Auswahl anderen zu überlassen, also lieber mehr als weniger zur digitalen Beobachtung und Weiterverarbeitung freizugeben: der dezentrale Panoptismus. Dem entspricht eine zunehmende Dezentrierung von Lehren und Lernen. Die über digitale Interfaces vermittelten Polysemiosen – hier ist z. B. an die in Games, Trainings- und Lernsoftware eingelagerten Mess- und Vergleichsregime zu denken (Fröhlich 2018; Duttweiler et al. 2016) – geben den Subjekten jene Anreize und Orientierungspunkte ihrer Lernbemühungen, die ihnen weder das in ihrem Körper verborgene Lerngeschehen noch der nicht mehr im Nahbereich agierende Lehrende geben (vgl. Manhart 2014, 2016, 2018). Die Hinweise eines Lehrenden kann sich jeder natürlich immer noch persönlich einholen. Eine andere Frage ist es, ob man diese analoge Rückmeldung, die körperliche Präsenz und das räumlich-physische Ausgeliefertsein dann noch im gleichen Maße erträgt und verarbeitet, denn auf den gewohnten Displays sind Emotionen, Widerstände, Konflikte immer digital vermittelt. Die pädagogische Lehre wird im Rahmen der neuen technischen Möglichkeiten aus Sicht des Lernenden leichter verfügbar und erheblich entemotionalisiert, währenddessen motivationale Steuerung mittels semiotischer Anreizsysteme technisch simplifiziert und über dessen performative Präsenz panoptisch kontrolliert wird. Das Subjekt baut dann sowohl gegenüber der jeweils woanders stattfindenden Lehre als auch gegenüber dem eigenen Körper, in dem für ihn das Lernen und die damit verbundene Emotionalität stattfinden, weitere Distanz auf. Dies alles trägt zu einer Verstärkung der Tendenz zur Herausbildung einer gedämpften Subjektivität (vgl. Taylor 2009, S. 460 ff.) im Kontext einer außengeleiteten Lebensweise (vgl. Riesman 1968, S. 137 ff.) bei, in der man die Quellen des Selbst und des Lernens zunehmend außer sich vermutet. Im Ergebnis verhält man sich zunehmend strategisch zu diesen ‚Äußerlichkeiten‘, sei es die digitale Präsenz oder der eigene Körper.

Doch schon in den rigiden Strukturen analoger Organisationen und endgültig in der Auseinandersetzung mit den fixen, zufallsfreien Kopplungen digitaler Programme vergrößern sich die Erwartungen an die kleinen Abweichungen des lebendigen Subjekts. Man hofft, dass diese die verbliebenen Gelegenheiten zur Rekombination semiotischer Elemente für Lernen und Innovationen nutzen können und organisiert daher diese Gelegenheiten eigens zum Zweck der Ermöglichung und Kultivierung personeller Kontingenzen. Strikte Strukturvorgaben der Organisation werden mit offenen Arrangements des spielerischen wie dialogischen Austauschs kombiniert, um produktive individuelle wie kollektive Abweichungen zu fördern (Schröer und Wendt 2018). Dabei bleibt das individuelle wie soziale Geschehen kontingent, unverfügbar, wird aber durch Bereitstellung von Methoden, wie z. B. Microlabs, Structured Debating, Innovation Labs, Dialogic Spaces, Open Space, Future Search oder World Café, vielfach gerahmt und strukturiert. Gerade aber die Hoffnungen, die man mit der organisierten Rechaotisierung durch Kommunikation unter Anwesenden verbindet, verweisen darauf, dass das Konzept der Organisation an eine Grenze gekommen ist.

Außerhalb der Organisationen finden sich nun überall digitale Games, Videos, Rankings, die sich als Lehr-Lernarrangements präsentieren und legitimieren. Sie können dauerhaft vorgehalten und wiederholt werden, weil sie nichts als polysemiotische Arrangements sind. Die Möglichkeit einer ort- und zeitunabhängigen Wiederholung nicht nur der Nutzung des Lehrmaterials – das ist schon mit Büchern oder Foliensätzen möglich –, sondern auch der Performance des Lehrpersonals entkoppelt sowohl Lehre und Lernen räumlich und zeitlich voneinander, als auch die Akteure von ihren Praxen. Zwischen Lehrende und Lernende tritt das Display, auf dem jede Art der Wiederholung durch den Lernenden mittels Logfiles registriert wird. Ein Algorithmus errechnet aus dieser Datenflut nicht nur individuelle Lern- und Verhaltensprofile, sondern die digitale Intelligenz lernt auch, indem sie Rechenzeit an partizipierende Subjekte auslagert. Zwar kann auch der Lehrende digitale Verhaltensprofile zur Verbesserung seiner Lehre nutzen, für ihn bleibt aber die Erfahrung seiner pädagogischen Performance ebenso einmalig, d. h. unwiederholbar, wie jene des Lernens auch. Die aus der Entkopplung von Zeit und Ort des Lehrens und Lernens entspringende Spannung lösen auch jene anwesenheitsbasierten pädagogischen Settings nicht, die die Möglichkeiten digitaler Interaktivität nutzen und auf die massenhafte Mikrodiversität setzen, d. h. die Lerneffekte von Zufälligkeiten zwischen miteinander an einem Ort gleichzeitig interagierenden Individuen. Der gegenwärtige Boom partizipativer Verfahren kann vielmehr als das Wiederaufleben des Glaubens an den einen Ursprung des Neuen begriffen werden, eine Wiederholung, die nicht zufällig gerade auf Kommunikation unter Anwesenden setzt. Die Hoffnungen auf Lernmotivation und Innovation, die in die Flüchtigkeit des Augenblicks wechselseitiger Präsenz gesetzt werden, lassen sich als Reaktion auf die digitalen Strukturfestlegungen und die Möglichkeiten einer ewigen Wiederholung einer jeden digitalisierten Situation begreifen. Ob diese Hoffnungen berechtigt sind, ist eine empirische Frage.