1 Einleitung

Für Professionen allgemein und für den Lehrberuf im Besonderen reichen die mit der Erstqualifikation erworbenen Wissensbestände und Kompetenzen für eine kontinuierliche erfolgreiche Berufsausübung nicht aus (z. B. Kennedy 2016). Professionalität als individueller Zustand, der Voraussetzung einer erfolgreichen Ausübung der Profession im Sinne der qualitätsvollen Erfüllung der Berufsaufgaben ist, wird u. a. durch Wissenserwerb, Steigerung von Reflexivität und Bearbeitung von Entwicklungsaufgaben hervorgebracht und erhalten (vgl. Cramer 2020). Sie stellt sich vollends erst während der Berufsausübung ein (Coffield 2000). Lebenslanges berufsbezogenes Lernen ist für Lehrpersonen zentral (Schmidt-Hertha 2020). Die sich ergebenden Lerngelegenheiten sind dabei vielfältig: Das höchste Maß an organisatorischen und strukturellen Vorgaben weisen formale Fort- und Weiterbildungen auf (Eurostat 2016). Lernsituationen, die außerhalb organisierter Veranstaltungen und curricularer Vorgaben stattfinden (z. B. Rezeption von Fachliteratur oder kollegialer Austausch), werden als informelle Lerngelegenheiten bezeichnet (Cerasoli et al. 2018). Schließlich findet sich inzidentelles, also zufälliges, nicht-intentionales und häufig unbewusstes Lernen (Marsick und Watkins 2001). Die eindeutige Einordnung einzelner Lernsituationen in diese drei Kategorien ist nicht immer möglich, da z. B. auch innerhalb formaler Lernsettings Episoden informellen und inzidentellen Lernens zu finden sind (Heise 2007; Müller et al. 2019).

Die Literatur zu Berufsbiografien von Lehrpersonen konstatiert für die einzelnen Phasen der Berufstätigkeit unterschiedliche Lern- und Entwicklungsziele, Ressourcen sowie Motive für die Nutzung von Lerngelegenheiten (Rolls und Plauborg 2009), die zu einem differenziellen Ausmaß von Lernaktivitäten führen (z. B. Röhl et al. 2023; Krauss 2020; Richter et al. 2011). Der vorliegende Beitrag geht ergänzend zu diesen Studien der Frage nach, welche Zusammenhänge sich zwischen der Berufserfahrung und dem inhaltlichen Fokus des Lernens sowie den Nützlichkeitseinschätzungen von berufsbezogenen Lerngelegenheiten zeigen. Während für Deutschland einzelne Studien zur Nutzungshäufigkeit von formalen und informellen Lerngelegenheiten in Abhängigkeit von Alter und Berufserfahrung vorliegen (Richter et al. 2011; Röhl et al. 2023), fehlen solche für das österreichische Schulsystem bisher, in dem (anders als in den meisten deutschen Bundesländern) seit einigen Jahren eine quantitativ definierte Fortbildungspflicht besteht und das Lehrer:innenbildungssystem andere strukturelle Merkmale aufweist. So haben die Teilnehmer:innen der vorliegenden Studie eine Ausbildung ohne regulär vorgesehene Berufseinführungsphase im Sinne des in Deutschland vorgeschriebenen Referendariats absolviert. Darüber hinaus mangelt es generell an Studien, die bezogen auf informelle Lerngelegenheiten neben der Häufigkeit ihrer Nutzung auch die damit verbundene Intensität der inhaltlichen Auseinandersetzung sowie den wahrgenommenen Lerngewinn erfassen (Dobischat und Gnahs 2008).

2 Theoretischer Hintergrund und Forschungstand

Die Professionalisierung im Sinne der individuellen professionellen Entwicklung von (angehenden) Lehrpersonen ist Gegenstand vielfältiger Diskurse (vgl. Cramer 2020; Helsper 2021): Strukturtheoretisch wird ein reflexiver Umgang mit Ungewissheit als zentral für eine professionelle Berufsausübung angesehen, kompetenzorientiert steht der kumulative Aufbau von Wissen und Kompetenzen im Mittelpunkt und (berufs-)biografisch wird die produktive Verarbeitung eigener Erfahrungen und das berufslebenslange Lernen als bedeutsam artikuliert. Während bislang eher die Erstqualifikation von Lehrpersonen für den Beruf im Zentrum der Professionsforschung stand, gerät nun auch im deutschsprachigen Raum zunehmend das Lernen von Lehrpersonen während der Berufstätigkeitsphase und seine Bedeutung für eine professionelle Berufsausübung in den Blick.

2.1 Lerngelegenheiten im Lehrberuf

Wie für das schulische, so gilt auch für das berufsbezogene Lernen, dass Lerngelegenheiten vorhanden sein müssen, die dann von Lernenden zur Erweiterung, Veränderung, Vernetzung oder der neuen Generierung von Wissensstrukturen genutzt werden können. Dieses Gefüge wird in der deutschsprachigen Unterrichtsforschung als Angebots-Nutzungsmodell (Helmke und Weinert 1997) beschrieben, wobei Lerngelegenheiten nicht nur durch die von Lehrpersonen initiierten Lernangebote, sondern auch aus der Ko-Konstruktion zwischen den Schüler:innen und der Lehrperson entstehen und somit im Sinne von Baumert und Kunter (2006, S. 477) von einem Opportunitäts-Nutzungsmodell gesprochen werden kann. Während in der Lehrer:innenbildung an der Hochschule zu einem großen Teil curricular festgelegte Lernangebote genutzt werden sollen, sind die nutzbaren Lerngelegenheiten im Beruf meist nicht curricular vorgegeben und von der Initiative der Lehrperson, von schulischen und systembezogenen Gegebenheiten sowie von sich zufällig ereignenden Lernanlässen abhängig. So muss beispielsweise eine Fortbildungsveranstaltung erst ausgewählt und besucht werden, eine Fachzeitschrift erst verfügbar sein und gelesen werden, damit diese Lerngelegenheiten genutzt werden können. In der Literatur werden mehrere Formen solcher Lerngelegenheiten während der Berufstätigkeitsphase unterschieden:

Bislang stehen in der Forschung zum Lernen von Lehrpersonen im Beruf besonders die Nutzung formaler, also in organisierten Fort- und Weiterbildungen angebotenen Lerngelegenheiten im Mittelpunkt. Häufig wird zur Untersuchung der Fortbildungsnutzung ein an das unterrichtsbezogene Angebots-Nutzungsmodell (Helmke und Weinert 1997) angelehntes Rahmenmodell für die Wirksamkeit von Fortbildungen herangezogen (Lipowsky und Rzejak 2017; Johannmeyer und Cramer 2021). Nach diesem müssen zwei Schritte im Angebots-Nutzungs-Prozesse differenziert werden. Zunächst geht es dabei um die Frage, ob ein bestimmtes Fortbildungsangebot überhaupt aufgegriffen wird. Für die Lehrpersonen in Österreich, die in der vorliegenden Studie befragt wurden, besteht zwar eine Verpflichtung zur Absolvierung von 15 Fortbildungsstunden im Schuljahr, die Auswahl der Angebote obliegt jedoch zumeist der Lehrperson selbst (Müller et al. 2019). Somit ist die Nutzung im Sinne einer Teilnahme stark von der Attraktivität des Fortbildungsangebotes und der Teilnahmemotivation der Lehrpersonen abhängig (Schmich et al. 2019). Zweitens ist dann die Art der Nutzung des gewählten Angebots durch die Teilnehmenden im Sinne der „Intensität aktiven und engagierten Lernens“ (Lipowsky 2010, S. 63) zu betrachten, z. B. wie engagiert sie sich auf angebotene Übungen einlassen oder wie stark sie gedankliche Verknüpfungen zur eigenen Unterrichtsarbeit herstellen. Sowohl die Teilnahme als auch die Lernintensität werden hierbei durch individuelle und kontextuelle Faktoren beeinflusst. Für die Teilnahme an formalen Lerngelegenheiten ist neben dem Aspekt der Weiterentwicklung des eigenen Unterrichts auch der Wunsch nach kollegial-sozialem Austausch ein fast genauso wichtiges Motiv (Rzejak et al. 2014; Hauk et al. 2022). In schwächerem Maße sind auch karriereorientierte Ziele sowie die Anpassung an externale Erwartungen (z. B. des Kollegiums) relevant.

Als informelle Lerngelegenheiten werden Formen des Lernens außerhalb organisierter und curricularer Veranstaltungen bezeichnet, die zumeist selbstgesteuert mit individueller Zielsetzung durchgeführt werden (Cerasoli et al. 2018). Dazu gehören etwa der kollegiale Austausch an der Schule, das Lesen von Fachliteratur, das Erproben von methodischen Neuerungen oder das Einholen von Schülerrückmeldungen (Evers et al. 2016; Mayr 2007; Röhl et al. 2023). Die Schaffung der Lerngelegenheit bedarf zumeist der Initiative der Lehrperson selbst, wobei jedoch die Einzelschule durch bestimmte Rahmenbedingungen (z. B. feste Kooperationszeiten, Abonnement von Fachzeitschriften) niedrigschwellige Möglichkeiten anbieten kann (Heise 2009). Laut TALIS-Erhebungen (Schmich et al. 2019) nutzt der Großteil der österreichischen Lehrpersonen Fachliteratur und informelle Gespräche zum Unterricht mit Kolleg:innen, weniger als ein Drittel allerdings kollegiale Hospitation und Fortbildungsnetzwerke.

Zur dritten Kategorie des berufsbezogenen Lernens – dem inzidentellen Lernen – liegen kaum Befunde vor. Aufgrund des – per definitionem – zufälligen Auftretens dieser Lerngelegenheiten finden sie ihren Niederschlag am ehesten in Form qualitativer Daten, z. B. in Aufzeichnungen von Lehrpersonen, die von einem zunächst thematisch offenen Zugang aus ihren Unterricht erforschen (Altrichter et al. 2018) oder sich mit prägenden Erfahrungen aus ihrer eigenen Schulzeit auseinandersetzen (Mayr et al. 2021). Berichte dieser Lehrpersonen belegen zumindest anekdotisch die potenzielle Relevanz inzidentellen Lernens. Auch zufällige Lerngelegenheiten bedürfen einer intensiven Auseinandersetzung mit dem Erlebten (z. B. mit gemachten Fehlern beim Unterrichten, zufällig rezipierten Aussagen der Schüler:innen zum Unterricht), um das der Situation immanente Lernpotenzial zu nutzen.

Obgleich diese gebräuchliche Unterteilung einige Unschärfen aufweist (z. B. kann auch in organisierten Fortbildungsveranstaltungen ein informeller Austausch in der Kaffeepause stattfinden; vgl. z. B. Heise 2009), zeigt sich, dass die Nutzung von Lerngelegenheiten in der Berufstätigkeitsphase – anders als im unterrichtlichen Lernen – zumeist mehrere aufeinanderfolgende Schritte erfordert, damit berufsbezogenes Lernen stattfinden kann. Für diesen mehrschrittigen Prozess wird daher im Rahmen dieser Studie auch der Begriff des Lernwegs genutzt, der auch im Sinne eines „Aneignungswegs“ professioneller Kompetenzen verstanden werden kann (Heise 2007).

2.2 Nutzung von Lerngelegenheiten in der Berufslaufbahn

In der berufsbiografischen Forschung zur Professionalität von Lehrpersonen werden verschiedene Abschnitte der Berufstätigkeit mit unterschiedlichen Entwicklungsaufgaben assoziiert (Hericks und Stelmaszyk 2010; Wittek und Jacob 2020). Die zunehmende Berufserfahrung bedingt verschiedene Formen des berufsbezogenen Lernens und professionellen Handelns (Krauss 2020). Wiederholt wurden Phasenmodelle für die Entwicklung im Berufsleben vorgeschlagen. Sikes (1985) orientiert sich an berufsunabhängigen Modellen zu Lebensphasen, Day et al. (2009) legen ihrem Phasenmodell Veränderungen in der berufsbezogenen Motivation und der unterrichtsbezogenen Leistungsfähigkeit zugrunde. Teils beziehen sich Modelle auch explizit auf das berufsbezogene Lernverhalten von Lehrpersonen, wobei die Modelle von Huberman (1989) sowie von Fessler und Christensen (1992) von besonderem Interesse sind, die auf Grundlage von bereits vorliegenden theoretischen und empirischen Befunden sowie einer qualitativen Studie mit 190 Sekundarschullehrkräften aus der Schweiz bzw. einer Interviewstudie (N = 160) und quantitativen Befragung von N = 778 Lehrkräften in den USA entwickelt wurden. Obgleich auch die retrospektive Betrachtung der bereits zurückliegenden Berufstätigkeit der interviewten Lehrpersonen adressiert und diese Modelle vielfach empirisch querschnittlich bestärkt wurden (z. B. Hauk et al. 2022; Richter et al. 2011), beruhen sie nicht auf längsschnittlichen Untersuchungen über die gesamte Berufstätigkeit hinweg.

Beide Modelle beschreiben eine besonders herausfordernde Berufseinstiegsphase, in der das ‚Überleben‘ (Huberman 1989) bzw. der Umgang mit den alltäglichen Anforderungen des Berufs, die Interaktion mit Schüler:innen, Kolleg:innen, Schulleitung sowie Eltern sowie das Erlernen des Umgangs mit störendem Verhalten der Schüler:innen im Zentrum stehen (Day et al. 2009; Rolls und Plauborg 2009). Mit zunehmender Erfahrung und grundlegenden ‚Alltagskompetenzen‘ kann sich die professionelle Rolle sukzessive stabilisieren, womit die Offenheit gegenüber neuen Impulsen wächst. In diesem Berufsabschnitt, bei Huberman (1989) als Experimentier- und Aktivismus-Phase in den Berufsjahren 7–18 angesiedelt, bei Fessler und Christensen (1992) als Phase des Kompetenzausbaus bezeichnet, streben Lehrpersonen nach einer Erweiterung ihrer berufsbezogenen Kompetenzen, sind motiviert, an Fort- und Weiterbildungen teilzunehmen und offen für neue Wege der Unterrichtsgestaltung. Andererseits können nach Huberman (1989) besonders in dieser Phase, nach Fessler und Christensen (1992) aber auch unabhängig von der Berufserfahrung, Zweifel und Frustration auftreten. Bei fehlender Auflösung können diese zu konservativem Verharren, zumeist verbunden mit zunehmender Bitterkeit bis hin zu einem Berufswechsel führen. Im positiven Fall stellt sich im Anschluss an die Experimentier- und Aktivismus-Phase ein etwa 10 Jahre andauernder Abschnitt zunehmender Reife und Gelassenheit ein (Huberman 1989). Fessler und Christensen (1992) beschreiben im Anschluss an die Kompetenzausbauphase sogar ein Stadium des Enthusiasmus und Wachstums mit weiterhin großer Offenheit gegenüber neuen Impulsen für die Unterrichtsentwicklung. Für die letzten Jahre der Berufstätigkeit beobachten beide Modelle einen Rückgang des Engagements und eine Fokussierung auf die Zeit nach der Berufstätigkeit.

Ausgehend von diesen Modellen kann ein Rückgang der Nutzungshäufigkeit von Lerngelegenheiten in späteren Phasen der Berufstätigkeit angenommen werden. So nimmt das Commitment mit dem Lehrberuf und die Leistungsfähigkeit in dieser Phase ab (Day et al. 2009). Zu Beginn der Berufstätigkeit kann zwar von einem hohen Ausmaß an erfahrungsbasiertem Lernen, jedoch aufgrund der geringen Kapazitäten und Motivation von weniger aufwändigen Lernaktivitäten im Beruf ausgegangen werden, die erst mit der Beherrschung grundlegender Unterrichts- und Selbstorganisationsfähigkeiten zunehmen dürften (Fessler und Christensen 1992).

Weiterhin legen sich in den verschiedenen Berufsphasen unterschiedliche Themenbereiche als relevant nahe (Lynn 2002). So steht in der Berufseinstiegsphase das Erlernen des Umgangs mit störendem Verhalten der Schüler:innen häufig im Mittelpunkt (Day et al. 2009; Rolls und Plauborg 2009). Interesse an neuen Unterrichtsmaterialien und Methoden entwickelt sich erst im Anschluss, wobei dies im weiteren Verlauf der Berufstätigkeit stagniert und schließlich abnimmt (Fessler und Christensen 1992).

Hierzu passend zeigen Studien aus Deutschland (Richter et al. 2011) und den Niederlanden (Louws et al. 2017) für die Nutzungshäufigkeit von unterrichtsbezogenen Fortbildungen einen Anstieg bis zu einem Alter von etwa 40–45 Jahren, gefolgt von einem deutlichen Rückgang bis zum Erreichen des Ruhestands. Keine Alterseffekte zeigen sich hingegen für Fortbildungen zur Schulorganisation sowie zum Erwerb von Beratungskompetenzen (tendenziell Qualifikation für besondere Aufgaben). Keine Befunde liegen bislang für Veranstaltungen mit einem Fokus auf die Gesunderhaltung (Lynn 2002) vor. Mit zunehmender Berufserfahrung verringern sich auf die Weiterentwicklung und Karriere bezogene Aspekte der Fortbildungsteilnahmemotivation, nicht hingegen der Wunsch nach kollegialem Austausch und nach Bestätigung des eigenen Handelns (Hauk et al. 2022; Hildebrandt und Eom 2011; Louws et al. 2017).

Im Lauf des Berufslebens ändern sich auch die präferierten Arten des Lernens. Für die Berufseinstiegsphase scheinen insbesondere inzidentelles Lernen an Praxiserfahrungen sowie Rat- und Hilfesuche bei erfahreneren Kolleg:innen hohe Relevanz zu haben (Grosemans et al. 2015; Tickle 1994). Zu Kooperationsaktivitäten allgemein findet sich jedoch eine heterogene Studienlage: Es werden sowohl erfahrungsbedingte Zunahmen (Kwakman 2003; Röhl et al. 2023) als auch Abnahmen (Richter et al. 2011) bzw. keine Erfahrungs- und Alterseffekte (Schulz und Stamov Roßnagel 2010) auf diese Lernaktivität berichtet. Die Nutzung von gedruckter Fachliteratur spielt in der Einstiegsphase eine geringe Rolle (Grosemans et al. 2015), aber Richter et al. (2011) konstatieren eine Nutzungszunahme für Lehrpersonen höheren Alters und Röhl et al. (2023) weisen auf eine zunehmende Rezeption von Printmedien bis etwa 50 Jahren mit anschließendem Rückgang hin, während sich für die Nutzung von Internetquellen keine Effekte zeigten. Die Nutzung unterrichtsbezogenen Feedbacks nimmt mit zunehmendem Alter ab (Röhl und Gärtner 2021).

Ein für die Berufsausübung wichtiger privater Kontext ist die Betreuung und Erziehung eigener (Klein‑)Kinder, welche bei Akademiker:innen meist in die Alterspanne von 30 bis 45 Jahren fällt. Ältere Studien weisen in dieser Phase auf eine geringere berufsbezogene Motivation von Lehrerinnen hin (Fessler und Christensen 1992; Sikes 1985). Minderjährige Kinder im Haushalt führen besonders unter Frauen zu einer generell geringeren Weiterbildungsnutzung (Bellmann et al. 2013) und 28 % der österreichischen Lehrpersonen geben familiäre Verpflichtungen als einen Hinderungsgrund für die Fortbildungsteilnahme an (Schmich et al. 2019). Familienaufgaben sind eine häufige Ursache für Teilzeit im Lehrberuf, die mit einer leicht geringeren Teilnahmehäufigkeit an Fortbildungen einhergeht (Richter et al. 2018).

3 Forschungsfragen und Hypothesen

In der vorliegenden Studie werden Zusammenhänge zwischen dem berufsbezogenen Lernen und dem Umfang der Berufserfahrung analysiert. Die Berufserfahrung als Variable hat gegenüber dem anderenorts meist verwendeten Lebensalter den Vorteil, dass Personenmerkmale wie das Berufseinstiegsalter, Unterbrechungen der Berufslaufbahn und temporäre Teilzeittätigkeiten Berücksichtigung finden, die einen Einfluss auf die Professionalisierung haben können. Untersucht wird zum einen die retrospektiv wahrgenommene Nutzungsintensität formaler Fortbildungen zu unterschiedlichen Tätigkeitsbereichen. Im Gegensatz zur häufiger in der Fortbildungsforschung genutzten Erfassung der Nutzungshäufigkeit bzw. -dauer kann für dieses Maß angenommen werden, dass hierbei im Beantwortungsprozess besonders solche Fortbildungsveranstaltungen ins Gewicht fallen, die aufgrund einer besonders starken Beschäftigung mit den Inhalten, also angesichts der tatsächlichen lernwirksamen Nutzung der besuchten Lernveranstaltung (vgl. Lipowsky und Rzejak 2017; Johannmeyer und Cramer 2021) oder wegen einer hohen Relevanzzuschreibung für die eigene professionelle Weiterentwicklung bei den Lehrpersonen im Gedächtnis blieben (vgl. hierzu auch das Modell zur Itembeantwortung von Tourangeau et al. 2000). Weiterhin wird rückblickend nach der selbsteingeschätzten Nützlichkeit von verschiedenen, hier als ‚Lernwege‘ (Mayr 2007) bezeichneten formalen, aber auch informellen oder inzidentellen Lerngelegenheiten bzw. -aktivitäten gefragt, die genutzt wurden. Als Kriterium für die Nützlichkeit der einzelnen Lernwege sollten die Befragten deren Beitrag für ihre berufliche Kompetenzentwicklung berücksichtigen.

Folgende Forschungsfragen stehen im Fokus:

  • FF1: Wie intensiv bilden sich Lehrpersonen in Abhängigkeit von der Berufserfahrung in verschiedenen beruflichen Tätigkeitsbereichen fort?

  • FF2: Wie nützlich schätzen Lehrpersonen unterschiedliche Lernwege in Abhängigkeit von der Berufserfahrung ein?

Konform zum Forschungsstand wird angenommen, dass die Intensität der Nutzung von formalen Fortbildungen bis etwa in die mittlere Berufsphase ansteigt und anschließend abnimmt, also einen umgekehrt parabelförmigen Verlauf annimmt (H1). Dies wird entsprechend auch für die Nützlichkeitseinschätzung der Lernwege in formalen Settings vermutet (H2). Für die Nutzung anderer Lerngelegenheiten lässt die derzeitige Befundlage keine klaren Annahmen zu. Für die Nützlichkeitseinschätzung informeller Lerngelegenheiten zeigt die Befundlage ein indifferentes Bild, sodass entsprechende Analysen explorativ sowohl unter Berücksichtigung möglicher linearer als auch parabelförmiger (quadratischer) Zusammenhänge erfolgen. Bezüglich des inzidentellen Lernens wird eine hohe Nützlichkeitseinschätzung zu Beginn der Berufstätigkeit angenommen, die mit zunehmender Erfahrung abnimmt (H3), wobei auch für diese Lernwege explorativ hinsichtlich möglicher quadratischer Effekte getestet wird.

Die durchgeführten Analysen kontrollieren mögliche Effekte von eventuellen privaten Verpflichtungen und von Teilzeitarbeit. Weiterhin wird das Geschlecht und die Schulart kontrolliert: Lehrerinnen zeigen eine häufigere Fortbildungsteilnahme (z. B. Richter et al. 2011) und Nutzung informeller Lerngelegenheiten (Röhl et al. 2023). Weiterhin ergeben sich schulartenbezogene Unterschiede in der Fortbildungsteilnahme und in den gewählten Themenschwerpunkten bei österreichischen Lehrpersonen (Schmich et al. 2019).

4 Methoden

4.1 Stichprobe und Datenerhebung

Die Daten entstammen dem Projekt Teachers’ Education, Development and Career in Austria (TEDCA; Mayr et al. 2022), in dem in mehreren Erhebungswellen Daten zu Studierenden und Absolvent:innen aus den 14 österreichischen Pädagogischen Hochschulen und deren Vorläuferinstitutionen, den Pädagogischen Akademien, erhoben wurden. Die Daten für die vorliegende Auswertung entstammen einer Erhebung von Mai 2018 bis Juni 2019. Dabei wurden rund 6100 Absolvent:innen der Jahre 1988 bis 2014 angeschrieben. Trotz zumeist veraltetem Adressenmaterial konnten 877 Personen erreicht und für die Teilnahme gewonnen werden.

Von diesen Teilnehmenden wurden diejenigen berücksichtigt, die zum Befragungszeitpunkt an einer Schule unterrichteten und eine Nützlichkeitseinschätzung der Lernwege vorgenommen haben (N = 658). Von ihnen unterrichteten n = 318 (48 %) in der Primarstufe (Volksschule), n = 276 (42 %) in der Sekundarstufe (fast ausschließlich in Mittelschulen und Polytechnischen Schulen) und n = 64 (10 %) als Sonderpädagog:innen in Sonderschulen oder als Förderlehrkraft in Integrationsklassen. Die Befragten wiesen ein mittleres Alter von M = 38,5 Jahren (SD = 8,7) und eine Berufserfahrung zwischen einem und 30 Jahren (M = 12,2; SD = 8,2) auf. 228 Lehrpersonen (35 %) gaben an, in Teilzeit zu arbeiten. Es widmeten sich n = 59 (9 %) Lehrpersonen in größerem Umfang privaten Verpflichtungen. Die Mehrzahl der einbezogenen Lehrpersonen ist weiblich (n = 568; 86 %). Anhand von Daten der österreichischen Lehrerstatistik (Statistik Austria 2019) ist eine Abschätzung der Repräsentativität der Stichprobe hinsichtlich einiger demografischer Kennwerte möglich, um die Reichweite der hier berichteten deskriptiven Analysen abschätzen zu können: Das Geschlechterverhältnis entspricht in der Referenzpopulation der Lehrkräfte an allgemeinbildenden Pflichtschulen mit einem Frauenanteil von 84 % sehr gut dem Anteil weiblicher Personen in der Stichprobe. Die Verteilung der Lehrkräfte auf die einzelnen Schularten weicht mit maximal 4 Prozentpunkten ebenfalls nur geringfügig ab. Klar überrepräsentiert sind in der Stichprobe – vermutlich aufgrund deren aktuelleren Adressen – Personen unter 30 Jahren mit einem Anteil von 23 % gegenüber 14 %. Personen ab 55 Jahren treten dagegen aufgrund der Beschränkung der Befragung auf Studienabsolvent:innen der Jahre ab 1988 nur als Einzelfälle auf.

4.2 Erhebungsinstrumente

4.2.1 Inhalte und Intensität der Fortbildung

Zur Erfassung der Inhalte und der Intensität der formalen Fortbildung wurde eine erweiterte Version des LIS (Lehrer-Interessen-Skalen; Mayr 1998) verwendet. In diesem Instruments werden Tätigkeitsbereiche von Lehrpersonen (z. B. Unterricht gestalten; vgl. Tab. 1) angeführt und durch eine Liste von typischen beruflichen Tätigkeiten charakterisiert (z. B.: den Schüler:innen einen Sachverhalt erklären; zur ausführlichen Darstellung: siehe Anhang A2). Diese Tätigkeiten waren bei der Entwicklung des LIS u. a. auf Grundlage gesetzlich definierter Berufsaufgaben von Lehrpersonen, wissenschaftlicher Arbeitsplatzanalysen, Interviews mit berufserfahrenen Lehrer:innen sowie Studien zur Unterrichtsqualität formuliert und mittels Faktorenanalysen strukturiert worden. In der vorliegenden Studie wurde pro Tätigkeitsbereich jeweils mittels eines einzelnen Items erhoben, wie intensiv sich die Befragten im jeweiligen Bereich fortgebildet haben („Wie intensiv haben Sie sich bisher [bzw. in den letzten 7 Jahren bei potenziell längerer Berufsdauer] in diesem Bereich fortgebildet?“; Antwortskala: 1 = keine Fortbildung absolviert, 5 = sehr intensiv Fortbildungen absolviert, ohne Benennung der Zwischenstufen). Der Begriff „intensiv“ wurde deshalb gewählt, weil er – entsprechend seiner Bedeutung im Alltag, wo etwa von „intensivem Training“ die Rede ist – die Befragten veranlassen sollte, neben dem zeitlichen Umfang des Lernens auch den Grad der Selbstinvolvierung in den Lernprozess (z. B. Zielstrebigkeit und Anstrengung) zu berücksichtigen (zur Verwendung des Begriffs vgl. auch Lipowsky 2010, S. 63). Die Daten erlauben eine Einschätzung der Fortbildungsintensität zu jedem einzelnen Tätigkeitsbereich. Zusätzlich werden alle fünf Bereiche in einem Strukturgleichungsmodell auf einen Faktor Gesamteinschätzung der Fortbildungsintensität geladen (α = 0,72), der einen Vergleich des Verlaufs über die Berufstätigkeitsphase mit solchen Studien erlaubt, die nur die allgemeine Fortbildungshäufigkeit ohne Differenzierung hinsichtlich der thematischen Bereiche erhoben haben.

Tab. 1 Selbsteingeschätzte Fortbildungsintensität während der letzten sieben Jahre

4.2.2 Lernwege und deren Nützlichkeit

Zur Erhebung der Lernwege und deren Nützlichkeit wurden 19 Items verwendet (siehe Tab. 3), die auf einer Vorläuferversion des Fragebogens beruhen (Mayr 2007). Sie thematisieren explizit oder implizit Aktivitäten (z. B. diskutieren), durch die bestimmte, in formalen, informellen oder inzidentellen Kontexten auftretende Lerngelegenheiten (z. B. die Sichtweisen von Kolleg:innen) genutzt werden können. Die Frage lautet: „Welche ‚Lernwege‘ waren in den letzten [sieben] Jahren hilfreich für die Entwicklung Ihrer Kompetenz als Lehrer:in?“ (Antwortformat: 1 = nicht hilfreich, 5 = sehr hilfreich, ohne Benennung der Zwischenstufen, Ausweichoption = Lernweg nicht beschritten). Die Items sind grundsätzlich als Einzelitems konzipiert; 16 von ihnen wurden unter Berücksichtigung von Ergebnissen aus einer Studie mit der Vorläuferversion des Fragebogens in einer explorativen Faktorenanalyse zu sechs latenten Faktoren zusammengefasst (siehe Tab. 2; Mayr 2007). Eine konfirmatorische Faktorenanalyse dieser Strukturierung bestätigte die Verwendbarkeit für den vorliegenden Datensatz (Χ2(149) = 208,5; p = 0,001; CFI = 0,947; RMSEA = 0,025; SRMR = 0,067), wobei die Reliabilitätswerte aufgrund der intendierten inhaltlichen Bandbreite und der geringen Itemanzahl pro Faktor teilweise an der Grenze des Akzeptablen liegen (siehe Tab. 3). Drei weitere Items werden in der vorliegenden Studie als Einzelitems verwendet. Pfadanalysen von Mayr (2007) und Mayr (2010) sprechen für die Konstruktvalidität der Skalen, da sich – einem Angebots-Nutzungsmodell (Helmke und Weinert 1997) folgend – erwartbare und differenzierte Zusammenhänge zwischen den Lernvoraussetzungen der Befragten, ihrer Nützlichkeitseinschätzung der Lernwege und der von ihnen selbst berichteten Kompetenz in jenen Tätigkeitsbereichen zeigten, die auch Gegenstand der vorliegenden Studie sind.

Tab. 2 Vorhersage der Fortbildungsintensität in den verschiedenen Tätigkeitsbereichen
Tab. 3 Nützlichkeitseinschätzung der beschrittenen Lernwege

4.2.3 Berufserfahrung und Kontrollvariablen

Da die Möglichkeit des berufsbezogenen Erfahrungslernens fast nur während der tatsächlichen Berufsausübung gegeben ist, wurde in dieser Studie die Berufserfahrung als Determinante der Intensität und Nützlichkeitseinschätzung gewählt. Diese wurde als bisherige Arbeitsdauer in Jahren erhoben, wobei Teilzeittätigkeiten in Vollzeit umgerechnet werden sollten. Diese Variable korreliert hoch mit dem Alter der Lehrpersonen (r= 0,84, p < 0,001). Als Kontrollvariablen wurden das Geschlecht, die Schulart, eine derzeitige Teilzeittätigkeit und ggf. vorliegende private Verpflichtungen („Ich widme mich in größerem Umfang privaten Verpflichtungen (z. B. Kinderbetreuung, Pflege)“) erhoben.

4.3 Datenanalysen

Für die Analysen wurden aufgrund der nichtmetrischen Antwortskalen Regressionsanalysen mit ordinalen Messmodellen (Flora und Curran 2004) mithilfe des Software-Packages lavaan (Rosseel 2012) in R durchgeführt. Einzelne fehlende Werte (maximal 8,8 %) wurden anhand des Schätzverfahrens der Multiplen Imputation (Enders 2010) unter gleichzeitiger Verwendung aller hier berichteten Variablen auf Itemebene mit 50 imputierten Datensätzen mittels des R‑Packages mice (van Buuren und Groothuis-Oudshoorn 2011) geschätzt. Für die Ermittlung der Reliabilität der latent modellierten Faktoren wurde das für ordinale Messmodelle angepasste Alpha von Zumbo et al. (2007) bzw. für Faktoren mit nur zwei Items die Spearman-Brown-Reliabilität verwendet. Die Schätzung der linearen und quadratischen Effekte der Berufserfahrung und der Kontrollvariable auf die latent modellierten Faktoren erfolgt in einem gemeinsamen Strukturgleichungsmodell, in dem alle möglichen Prädiktoren gleichzeitig auf die jeweiligen Faktoren geladen werden. Hinsichtlich der nur mit Einzelitems erhobenen Tätigkeitsbereiche sowie der Lernwege wurden jeweils einzelne manifeste Regressionsanalysen unter Berücksichtigung des ordinalen Skalenniveaus der Variablen spezifiziert. Die Korrelationen zwischen den abhängigen und unabhängigen Variablen bezüglich der Nützlichkeitseinschätzungen der Lernwege sind tabellarisch im Anhang A1 dargestellt.

5 Ergebnisse

Die höchste Fortbildungsintensität zeigt sich im Mittel für den Tätigkeitsbereich ‚Unterricht gestalten‘, wohingegen sich für die Bereiche ‚Verhalten kontrollieren und beurteilen‘ sowie ‚Mit Eltern und Kolleg:innen zusammenarbeiten‘ die niedrigste Intensität zeigt (vgl. Tab. 1).

Hinsichtlich der Veränderung der Fortbildungsintensität mit zunehmender Berufserfahrung (FF1) bestätigt sich sowohl für den bereichsübergreifenden Faktor als auch für vier der fünf Tätigkeitsbereiche der vermutete signifikante quadratische Zusammenhang (H1; vgl. Tab. 2 und Abb. 1), wonach die Fortbildungsintensität bis zu einer Berufserfahrung von knapp 20 Jahren stark zunimmt und sich anschließend leicht rückläufig verhält. Für den Tätigkeitsbereich der Zusammenarbeit mit Eltern und Kolleg:innen erweist sich nur der lineare Term als signifikant (β = 0,16, p < 0,001), wohingegen der quadratische Term knapp am Signifikanzniveau von 5 % scheitert (β = −0,08, p= 0,072). Bezüglich der Kontrollvariablen zeigen sich nur vereinzelt geringe Effekte hinsichtlich des Geschlechts, der Teilzeitarbeit und der privaten Verpflichtungen und etwas größere Einflüsse der Schulart, wobei (bezogen auf den Gesamtfaktor) Sonderpädagog:innen eine höhere (β = 0,13, p= 0,005) und Sekundarstufenlehrer:innen eine geringere Fortbildungsintensität (β = −0,14, p= 0,006) als Primarstufenlehrkräfte aufweisen.

Abb. 1
figure 1

Vorhersage der Fortbildungsintensität in verschiedenen Tätigkeitsbereichen durch die Berufserfahrung. (Grauer Bereich 95 %-Konfidenzintervall, Gestrichelte Linie LOESS-Näherung der tatsächlichen Daten)

Bei der Einschätzung der Nützlichkeit (Tab. 3) wird das tendenziell zum inzidentellen Lernen gehörende Lernen durch Erfahrungen im Berufsalltag am nützlichsten eingeschätzt (M = 4,42, SD = 0,56). Im Bereich der informellen Lerngelegenheiten wird dem Austausch mit Kolleg:innen und Vorgesetzten die höchste Nützlichkeit zugeschrieben (M = 3,95, SD = 0,66), gefolgt von mediengestützter Wissensaneignung (M = 3,77, SD = 1,03), Impulsen von Schüler:innen und Eltern (M = 3,64, SD = 0,73) sowie der theoriebezogenen Reflexion (M = 3,61, SD = 1,11). In geringerem Maße nützlich für die eigene Professionalisierung wird die Mitwirkung an der Schulentwicklung eingeschätzt (M = 3,19, SD = 1,02). Bezogen auf formale Fortbildungen werden informationsorientierte Fortbildungen als am nützlichsten eingeschätzt (M = 3,58, SD = 1,12), gefolgt von Angeboten zur Selbstregulation (M = 3,33, SD = 1,17) sowie umfangreichen handlungsorientierten Fortbildungen (M = 3,02, SD = 1,05), wobei die beiden letztgenannten Angebotsformate von weniger als zwei Drittel der Befragten genutzt wurden. Das für die gleichzeitige Schätzung der Effekte auf die latent abgebildeten sechs Faktoren verwendete Strukturgleichungsmodell weist eine akzeptable Passung auf (Χ2(159) = 190,2; p = 0,046; CFI = 0,974; RMSEA = 0,017; SRMR = 0,065).

Hinsichtlich der Effekte der Berufserfahrung auf die Nützlichkeitseinschätzung der Lernwege (FF2; siehe Tab. 4) zeigt sich für informationsorientierte Fortbildungen analog zur Fortbildungsintensität der erwartete parabelförmige Verlauf (H2; linearer Term: β = 0,06, p= 0,205; quadratischer Term: β = −0,11, p= 0,015), demzufolge die Nützlichkeitseinschätzung bis etwa 14 Jahre Berufserfahrung ansteigt und anschließend stärker abfällt als bei den oben dargestellten Nutzungsintensitäten (siehe Abb. 2). Für handlungsorientierte Fortbildungen sowie Angebote zur Selbstregulation lassen sich keine Effekte der Berufserfahrung feststellen. Darüber hinaus bestätigen die Befunde die vermutete Abnahme der Nützlichkeit des Lernens durch Erfahrungen im Berufsalltag (H3; β = −0,24, p= 0,004) sowie des Austauschs mit Kolleg:innen (β = −0,31, p< 0,001). Für die weiteren Lernwege zeigen sich keine signifikanten Effekte.

Tab. 4 Vorhersage der Nützlichkeitseinschätzung verschiedener Lernwege
Abb. 2
figure 2

Vorhersagen der Nützlichkeitseinschätzung durch die Berufserfahrung (in Jahren) von Lernwegen die in den Analysen einen signifikanten linearen oder quadratischen Effekt aufweisen. (Grauer Bereich 95 %-Konfidenzintervall, Gestrichelte Linie LOESS-Näherung der tatsächlichen Daten, Y‑Achse: links und Mitte Faktorscores, rechts Skalenwerte)

Bezüglich der Kontrollvariablen zeigen sich, wie in anderen Studien, bei männlichen Lehrkräften geringere Nützlichkeitseinschätzungen für alle formalen Fort- und Weiterbildungen sowie für die kollegiale Zusammenarbeit. Teilzeitarbeitende bewerten die eigenständige Wissensaneignung und Mitarbeit in Schulentwicklungsprojekten als weniger nützlich. Anders als bei der Fortbildungsintensität zeigen sich keine Schularteffekte.

6 Diskussion

Der Beitrag untersucht anhand einer Stichprobe von Absolvent:innen Pädagogischer Hochschulen in Österreich, inwiefern die Intensität der Nutzung formaler Fortbildungen und die Bewertung der Nützlichkeit formaler, informeller und inzidenteller Lernwege von der Berufserfahrung abhängt. Die Befragten unterrichten entsprechend ihrer Grundausbildung überwiegend an Volks‑, Mittel‑, Sonder- und Polytechnischen Schulen oder als Förderlehrkraft in integrativ geführten Schulen.

Bezüglich der ersten Forschungsfrage nach der Nutzungsintensität bestätigt sich die angenommene Zunahme bis zu einer Berufserfahrung von etwa 20 Jahren mit anschließendem Rückgang (H1). Für den Tätigkeitsbereich der Zusammenarbeit mit Eltern und Kolleg:innen zeigt sich dieser Verlauf nur tendenziell. Das Maximum der Nutzungsintensität ist relativ konstant über alle Themenbereiche. Bestätigen lässt sich dieser Verlauf auch für die Nützlichkeitseinschätzung von Fortbildungen mit Informationscharakter (H2), wobei hier das Maximum etwas früher bei etwa 15 Jahren Berufserfahrung liegt. Lehrpersonen mit zunehmender Berufs- und damit Fortbildungserfahrung sehen zunehmend weniger Ertrag aus einer Teilnahme. Da andere Studien (z. B. Hauk et al. 2022) einen Rückgang der Teilnahmemotivation für die Phase von etwa 19–30 Jahren Berufserfahrung berichten, kann gefragt werden, inwiefern dieser durch eine Art ‚Sättigung‘ der Lehrpersonen bezogen auf dieses Veranstaltungsformat und seinen erwarteten Nutzen begründet sein könnte, oder ob andere Personenmerkmale dafür ursächlich sind. Demgegenüber scheint sich kein „Abnutzungseffekt“ gegenüber umfangreichen Weiterbildungen und Angeboten zur Selbstregulation und Gesunderhaltung einzustellen, wobei bei Letzteren eine anlassbezogene Nutzung aufgrund hoher Belastungserfahrung vermutet werden kann.

Als besonders nützlich wird das inzidentelle Lernen aus Alltagserfahrungen angesehen, wobei die Nützlichkeit mit zunehmender Berufs- und somit Alltagserfahrung wie vermutet abnimmt (H3). Bei den informellen Lerngelegenheiten zeigt sich hinsichtlich der kollegialen Kooperation ein erfahrungsbezogener linearer Rückgang in der Nützlichkeitseinschätzung und somit ein gegenläufiger Trend zur Zunahme der Nutzungshäufigkeit in anderen Studien (z. B. Kwakman 2003; Röhl et al. 2023; Schulz und Stamov Roßnagel 2010). Möglicherweise werden Rat von und Unterstützung durch Kolleg:innen gerade im Berufseinstieg als besonders hilfreich empfunden (Day et al. 2009). Dieser Effekt könnte bei den hier befragten Lehrpersonen dadurch verstärkt werden, dass sie aufgrund des einphasigen Ausbildungsmodells direkt aus dem Studium kommend ohne spezifische Betreuung in den Beruf hineinwachsen müssen. Mit zunehmender Berufserfahrung könnte sich die Rolle in der kollegialen Interaktion vom Ratsuchen hin zum Ratgeben verschieben, sodass der Nutzen für die eigene Professionalisierung geringer erachtet wird. Auch kann die Häufigkeit kollegialer Kooperation durch organisatorische und klimatische Rahmenbedingungen der Einzelschule und somit nicht allein durch Eigeninitiative von Lehrpersonen bedingt sein. Dass die Nützlichkeitseinschätzung bezüglich der anderen informellen Lerngelegenheiten nicht nach Berufserfahrung variiert, steht teils im Gegensatz zu anderen, auf die Nutzungshäufigkeit bezogenen Befunden (Richter et al. 2011; Röhl et al. 2023). Das kann als Hinweis aufgefasst werden, dass die subjektiv wahrgenommene Nützlichkeit ein anderes Konstrukt erfasst als die Nutzungshäufigkeit.

Bezogen auf die Berufsphasenmodelle (Huberman 1989; Fessler und Christensen 1992) bestärken die Befunde die Annahme, wonach sich berufsbezogenes Lernen in der Berufseinstiegsphase, die häufig mit einem ‚Praxisschock‘ verbunden wird, überwiegend durch Alltagserfahrungen und Unterstützung durch erfahrene Kolleg:innen vollzieht. Es werden also im Sinne des Eingangs dargestellten Opportunitäts-Nutzungsmodells solche Lerngelegenheiten favorisiert, die sich ohne größeren (selbst)organisatorischen Aufwand ergeben. So sind kollegiale Begegnungen alltäglicher Bestandteil des Lehrer:innenberufs, wohingegen beispielsweise der Erwerb einer Fachzeitschrift oder der Besuch einer externen Fortbildungsveranstaltung ein höheres Maß an Eigeninitiative verlangen. Weiterhin wäre hier genauer zu betrachten, inwiefern dieser Übergang von der Hochschule in die Berufspraxis die Idee einer kumulativen berufslebenslangen Professionalisierung (temporär) negieren und zu Brüchen im Professionalisierungsprozess führen könnte (Cramer et al. im Druck). Die wissenschaftsorientierten Erträge aus der Erstqualifikation und das Potenzial formaler Fortbildungen könnten durch ein pragmatisches Lernen durch Erfahrung substituiert werden. Dann stellt sich über die Input- und Prozessqualität formaler Fortbildung hinaus auch die Frage nach deren Nachhaltigkeit als ein Aspekt von Output-Qualität (Cramer et al. angenommen). Tatsächlich scheinen sich die für die Nutzung formaler Fortbildungen notwendigen Freiräume erst nach der Routinisierung basaler Alltagsfähigkeiten zu entwickeln. Inwiefern die Stagnation mit anschließendem Rückgang der Fortbildungsintensität und die gesteigerte Teilnahme in der Mitte der Berufsbiografie durch sich verändernde Einstellungen zum Beruf oder durch eine ‚Sättigung‘ des Bedarfs an neuen Impulsen bedingt ist, könnte künftig allenfalls im Längsschnitt geklärt werden. Zudem wäre die Frage nach Fortbildungsbedarfen von Lehrpersonen stärker als bislang phasenspezifisch zu erforschen. Offen bleibt zudem, inwiefern sich die befragten Lehrpersonen in späteren Berufsabschnitten eher in einem als positiv empfundenen Karriereverlauf oder in Phasen der Krise (Fessler und Christensen 1992) bzw. der Bitterkeit (Huberman 1989) befinden und was dies für das Fortbildungsverhalten bedeutet.

Die Erfassung der wahrgenommenen Fortbildungsintensität sowie der Nützlichkeit von Lerngelegenheiten über einen mehrjährigen Zeitraum, stellt einerseits eine Stärke dieser Studie dar, da sich bisherige Befunde zumeist auf die Häufigkeit oder Dauer des Fortbildungsbesuchs bzw. informeller Lerngelegenheiten fokussieren und somit keine Aussagen zur Intensität der Auseinandersetzung mit den Inhalten erlauben. Vermutlich ermöglichen die hier verwendeten Maße eine bessere Einschätzung der Effekte auf den individuellen, berufsbegleitenden Professionalisierungsprozess. Der bei dieser Erfassung notwendige Erinnerungs- und Bewertungsprozess (Tourangeau et al. 2000) führt jedoch zu einem stärker subjektiven Maß, als dies bei der Erfassung von Häufigkeiten oder Fortbildungsstunden der Fall ist.

Darüber hinaus bestehen Limitationen bezüglich der Aussagekraft der Befunde für Lehrpersonen an allgemein- und berufsbildenden mittleren und höheren Schulen sowie Berufsschulen, da diese in der Stichprobe designbedingt nur vereinzelt vorhanden sind. Zudem wären für einen überzeugenden Nachweis von Effekten der Berufserfahrung auf die Nutzung und die Nützlichkeit der Lerngelegenheiten längsschnittliche Analysen erforderlich. So könnten die hier berichteten Befunde, obgleich sie sich weitgehend kohärent zu anderen vorliegenden Studien zu Alters- und Berufserfahrungseffekten auf die Nutzung von Lerngelegenheiten erweisen (z. B. Hildebrandt und Eom 2011; Richter et al. 2011), durch Kohorteneffekte verzerrt sein. Zwar kam es in der Aus- und Fortbildung der Pflichtschullehrer:innen in Österreich im relevanten Zeitraum zu keinen nennenswerten Reformen (Mayr und Posch 2012), jedoch könnten auch gesellschaftliche Veränderungen eine durch die Studie nicht erfasste Rolle spielen. Weiterhin sind die erhobenen Lernwege und Tätigkeitsbereiche aufgrund der studienspezifischen Instrumente nur eingeschränkt mit den bei anderen Studien verwendeten Konstrukten vergleichbar, auch wenn sie inhaltlich starke Überlappungen z. B. mit Instrumenten aufweisen, die in Anlehnung an die Standards der deutschen Kultusministerkonferenz (KMK 2004) konzipiert wurden. Die teilweise nur ausreichende Reliabilität der Dimensionen der Lernwege lässt ein mögliches Potenzial der Aktualisierung der ursprünglich explorativ entwickelten Items und Skalen erkennen. Schließlich verweist die relative erfahrungsbezogene Stabilität der Nützlichkeitseinschätzungen vieler Lerngelegenheiten auf die Notwendigkeit, künftig andere Faktoren mit einzubeziehen, etwa weitere strukturelle und inhaltliche Angebotsmerkmale (Johannmeyer und Cramer 2021).

Die hier berichteten Befunde können Überlegungen anregen, inwiefern sich das berufslange Lernen von Lehrpersonen durch entsprechend an die Berufstätigkeitsphasen angepasste Fortbildungs- oder Unterstützungsangebote fördern ließe. Hinsichtlich der thematischen Schwerpunktsetzungen von Fortbildungen zeigen sich mit Ausnahme des leicht abweichenden Verlaufs für den Tätigkeitsbereich der Zusammenarbeit mit Kolleg:innen und Eltern parallele Verläufe über die Berufserfahrung hinweg, was nicht auf die Notwendigkeit eines auf die Berufsphasen thematisch abgestimmten Fortbildungsangebots hinweist. Dabei können keine Aussagen zur Nützlichkeit von speziellen Angeboten in der Eingangs- oder Ausgangsphase der Berufstätigkeit (z. B. Informationsveranstaltungen zum Pensionseintritt o. Ä.) getroffen werden. Die Befunde zur phasenabhängigen Nützlichkeit verschiedener Lernwege lassen sich in verschiedener Hinsicht in Bezug auf die Förderung der professionellen Entwicklung interpretieren. Berufsanfänger:innen könnten bespielsweise dazu ermutigt werden, aktiv den fachlichen Austausch mit erfahreneren Kolleg:innen zu suchen sowie unterlaufene Fehler und Erfahrungen nicht als Rückschläge, sondern als Lerngelegenheiten zu betrachten. Darüber hinaus wäre zu überlegen, wie der kollegiale Austausch für erfahrenere Lehrpersonen so gestaltet werden kann, dass dieser auch von ihnen als gewinnbringend erlebt wird (z. B. durch deren organisierten schulübergreifenden Austausch zu normalerweise eher selten thematisierten Aspekten der professionellen Tätigkeit). Weiterhin könnte die Teilnahme an umfassenderen, handlungsorientierten Fortbildungen bzw. Angeboten zur Selbstregulation unterstützt werden. Bei den zuletzt genannten Lerngelegenheiten handelt es sich um solche, die über die Berufsphasen hinweg in ähnlicher Weise akzeptiert werden und zugleich das Lernen von und mit Kolleg:innen ermöglichen. Auch das phasenunabhängig als nützlich erlebte Lernen von Schüler:innen ließe sich mit kollegialem Austausch über Schülerrückmeldungen verbinden (Rollett et al. 2021).