1 Einleitung

Die COVID-19 Pandemie führte von März bis Mai 2020 in der Schweiz zu einer Unterbrechung des Präsenzunterrichts und zur Umstellung auf Fernunterricht in allen Schulen. Dies kann vielfältige Wirkungen auf die Leistungen von Schüler*innen haben (Cavanaugh et al. 2004; Kuhfeld et al. 2020; Tomasik et al. 2020; Wang et al. 2020). Mit sehr kurzer Vorbereitungszeit führten Lehrpersonen flächendeckend Fernunterricht ein. Gleichzeitig waren die Eltern mit der Aufgabe konfrontiert, die Betreuung des Lernens ihrer Kinder zu organisieren (Helm et al. 2021; Huber et al. 2020; Garrote et al. 2021).

Mit der Verlagerung des Lernortes von der Schule in die Familie besteht das Risiko, dass sich Herkunftseffekte auf den Lernzuwachs der Schüler*innen verstärken, was zu einer Vergrößerung der Bildungsdisparitäten führen könnte. Bol (2020) zeigte schichtabhängiges Elternengagement und familiäre Infrastruktur zur Unterstützung ihrer Kinder im Fernunterricht. Andrew et al. (2020) zeigten aber, dass sich in der britischen Sekundarstufe I der Herkunftseffekt auf die Lernzeit während des Fernunterrichts nicht wesentlich veränderte. Dietrich et al. (2021) fanden Herkunftseffekte auf die Lernzeit während des Fernunterrichts bei Schüler*innen im Gymnasium in Deutschland, wobei die Effekte ähnlich waren wie in Studien vor Beginn der COVID-19 Pandemie.

Bereits vor der Pandemie wurden Effekte des sozioökonomischen Status (SES) auf Leistungen von Schüler*innen im Bereich von r = 0,30 nachgewiesen (Sirin 2005). Auch Effekte von Fremd- und Mehrsprachigkeit der Schüler*innen auf die Leistungen wurden in verschiedenen Ländern gezeigt (Konsortium PISA.ch 2018; Oberwimmer et al. 2019). Es gibt aber bisher wenige Studien zur Bedeutung von sozialen und sprachlichen Herkunftseffekten auf Leistungen von Schüler*innen in der Primar- und Sekundarstufe I unter den Bedingungen des Fernunterrichts (Neuenschwander et al. 2021; Weber et al. 41,42,a, b). Überdies ist unklar, ob die Zusammenhänge zwischen Herkunft und Lernzuwachs während des Fernunterrichts für Mädchen und Jungen gleicherweise gelten. Studien zum Präsenzunterricht zeigen, dass das Leistungsniveau von Schüler*innen in der Regel abhängig von SES und Fremd- bzw. Mehrsprachigkeit ist, was das Lernverhalten und in Konsequenz den Lernzuwachs der Schüler*innen beeinflussen dürfte (Daniel et al. 2016; Thomas et al., 2019). Zudem wurden Herkunftseffekte auf die Leistungen mit Selbstwirksamkeitserwartungen bezüglich der schulischen Unterstützungsfähigkeit von Eltern (Tazouti und Jarlégan 2019) und mit materiellen, infrastrukturellen Ressourcen der Familie (z. B. ruhiger Lernort; Huebener und Schmitz 2020; Krinninger et al. 2020) erklärt. Weil die Schüler*innen während des Fernunterrichts zu Hause lernten, könnten diese familiären pädagogischen und infrastrukturellen Merkmale im Fernunterricht Herkunftseffekte auf das Lernverhalten und die Leistungen von Schüler*innen verstärken. Überdies könnte das Lernverhalten der Schüler*innen im Sinne eines selbständigen, zuverlässigen und motivierten Arbeitens eine zentrale Rolle spielen (Huber und Helm 2020). Die Forschung zum selbstregulierten Lernen zeigt substanzielle Zusammenhänge zwischen verschiedenen Strategien der Selbstregulation und Leistung (Zimmermann und Kitsantas 2014).

Es stellt sich daher die Frage, wie sehr Herkunftseffekte auf den Lernzuwachs der Schüler*innen im Fernunterricht, vermittelt über pädagogische und infrastrukturelle Familienmerkmale und über das Lernverhalten der Schüler*innen, erklärt werden. Unklar ist zudem, ob diese Effekte zwischen der Primarstufe und der Sekundarstufe I sowie für weibliche und männliche Schüler*innen gleicherweise gelten.

Antworten auf diese Fragen liefern Erklärungen, wie Herkunftsmerkmale mit dem Lernzuwachs von Schüler*innen während einer Pandemie zusammenhängen. Dies trägt einerseits zu einem besseren Verständnis von Bildungsungleichheiten bei. Andererseits erhellen die Ergebnisse Prozesse des Fernunterrichts, die in einem zukünftigen Fernunterricht genutzt werden können. Im Vergleich zu einer einzigen Perspektive relativiert eine mehrperspektivische Analyse Fehlinterpretationen aufgrund von Wahrnehmungseffekten und bildet die besondere Situation des Lernens von schulischen Themen in der Familie adäquater ab.

2 Theoretische Grundlagen und Forschungsstand

2.1 Herkunftseffekte auf die Leistungen von Schüler*innen

Die Forschung zu Bildungsungleichheit zeigt regelmäßig substanzielle Zusammenhänge zwischen der Herkunft und den Leistungen der Schüler*innen (Konsortium PISA.ch 2018). Leistungen hängen nicht nur von Intelligenz und Motivation ab, sondern wesentlich auch vom SES und dem Migrationsstatus sowie den damit verbundenen Ressourcen einer Familie (Watermann und Baumert 2006). Mit dem SES ist die Position in einer gesellschaftlichen Hierarchie gemeint, die mit Reichtum, Macht und sozialem Status verbunden ist (Mueller und Parcel 1981). Der SES impliziert ökonomische, kulturelle und soziale Ressourcen, die das Lernen von Schüler*innen beeinflussen können (Bourdieu 1983). Die Migration einer Familie führt häufig dazu, dass sich die Familiensprache von der Schulsprache unterscheidet. Studien zeigen, dass Schüler*innen mit nicht-deutscher Familiensprache tendenziell geringere Leistungen in Deutsch sowie in anderen Fächern mit Sprachbezug erbringen als einsprachige Schüler*innen, deren Familiensprache der Schulsprache entspricht (Paasch 2014; Niederbacher und Neuenschwander 2020). Während die Leistungen in einem Fach die Wahrscheinlichkeit beschreiben, bestimmte fachspezifische Aufgaben lösen zu können, bezeichnet der Lernzuwachs die eingeschätzte positive Veränderung der Leistungen in einem definierten Zeitraum. Es wird vermutet, dass SES und Fremdsprachigkeit einen Effekt auf den Lernzuwachs der Schüler*innen während des Fernunterrichts haben (Abb. 1).

Abb. 1
figure 1

Arbeitsmodell mit Hypothesenverweisen

2.2 Die Bedeutung des Lernorts der Schüler*innen und der Selbstwirksamkeitserwartungen von Eltern

Watermann und Baumert (2006) gehen in ihrem Modell davon aus, dass Effekte des SES und der Migration auf die Leistungen von Schüler*innen durch deren Leistungsniveau, durch Prozessmerkmale wie Wohlstandsgüter und die kommunikative und soziale Praxis in der Familie erklärt werden. Schüler*innen entwickeln ein Leistungsniveau, das von SES und Familiensprache abhängt. Studien zeigen, dass das Leistungsniveau über die Schuljahre stabil ist (Moser et al. 2017). Dieses Leistungsniveau beeinflusst in Konsequenz den Lernzuwachs der Schüler*innen (Watermann und Baumert 2006). Wohlstandsgüter hängen vom SES und vom Migrationshintergrund ab und beeinflussen die familiäre Infrastruktur, auf welche Schüler*innen beim Lernen zurückgreifen können. Während Wohlstandsgüter im Regelunterricht nur in geringem Maß Leistungen von Schüler*innen erklären (Watermann und Baumert 2006), spielten im pandemiebedingten Fernunterricht insbesondere ein ruhiger Lernort für Schüler*innen eine Rolle (Andrew et al. 2020; Huebener und Schmitz 2020). Familien organisierten den Lernort ihrer Kinder unterschiedlich. In einer ethnografischen Studie zeigten Krinninger et al. (2020), dass Primarschüler*innen im Fernunterricht je nach Familie keinen fixen Lernort zu Hause hatten. Die Verfügbarkeit eines eigenen Lernortes, den ausreichende ökonomische Ressourcen einer Familie ermöglichen, hängt wesentlich vom SES der Familie ab (Andrew et al. 2020), da Familien mit höherem SES durchschnittlich in größeren Wohnungen bzw. Häusern leben als Familien mit niedrigerem SES. Es wird vermutet, dass die Verfügbarkeit eines ruhigen Lernortes die Effekte des SES auf die Leistungen der Schüler*innen erklärt (Broer et al. 2019, Abb. 1). In Ermangelung von Studien wird keine Hypothese formuliert, ob fremdsprachige Familien nach Kontrolle ihres SES ihren Kindern seltener einen ruhigen Lernort zur Verfügung stellen können als deutschsprachige Familien.

Neben den Wohlstandsgütern spielt die schulische Unterstützung der Eltern eine Rolle (Paasch 2014). Zentral sind die Selbstwirksamkeitserwartungen von Eltern, d. h. die Überzeugungen, wie gut sie ihr Kind bei der Bearbeitung von schulischen Aufgaben unterstützen können. Niederbacher und Neuenschwander (2020) zeigten, dass elterliche Selbstwirksamkeitserwartungen zur Lernunterstützung den Effekt des elterlichen Ausbildungsniveaus auf die Leistungen mediierten. Auch im pandemiebedingten Fernunterricht dürften diese Selbstwirksamkeitserwartungen von Eltern eine zentrale Rolle spielen (Tazouti und Jarlégan 2019). Weil die Schüler*innen bei Unklarheiten nur eingeschränkt oder verzögert bei der Lehrperson nachfragen konnten, erhielten Erläuterungen der Eltern bei der Aufgabenbearbeitung ein höheres Gewicht. Es wird daher erwartet, dass die elterlichen Selbstwirksamkeitserwartungen den Effekt des SES bzw. der Fremdsprachigkeit der Familie auf den Lernzuwachs der Kinder mediieren (Abb. 1).

2.3 Lernverhalten als Erklärung des Effekts von Leistungsniveau auf Lernzuwachs

Wegen der eingeschränkten Erreichbarkeit der Lehrperson gewann das selbstregulierte Lernen während des Fernunterrichts an Bedeutung. Selbstreguliertes Lernen bezeichnet das strategische Verfolgen von Lernzielen. Lernende definieren Ziele, überwachen die Zielverfolgung und evaluieren ihren Lernfortschritt (Greene und Azevedo 2007; Schunk 2005). Eine effektive Selbstregulation zeigt sich entsprechend in einem motivierten, selbständigen und zuverlässigen Lernverhalten (Nett und Götz 2019). Schüler*innen mit höherem schulischem Leistungsniveau können effektiver das eigene Lernen steuern (Brühwiler 2006), weil sie die Lerninhalte besser verstehen und strukturieren können.

Eine Metaanalyse belegte enge Zusammenhänge zwischen der Selbstregulation des Lernverhaltens und der Leistung (Lavery 2008). Insbesondere das Setzen von Zielen, um Motivation aufzubauen, und das selbständige und gewissenhafte Verfolgen von Zielen sind effektiv. In Konsequenz wird vermutet, dass Schüler*innen mit höherem schulischem Leistungsniveau das eigene Lernen effektiver selbst regulieren und einen größeren Lernzuwachs haben (Abb. 1). Es wird daher angenommen, dass der Effekt des Leistungsniveaus auf den Lernzuwachs während des Fernunterrichts durch das Lernverhalten der Schüler*innen mediiert wird.

2.4 Lernverhalten als Erklärung des Effekts von Selbstwirksamkeitserwartungen von Eltern und Lernort auf Lernzuwachs

Eltern mit hohen Selbstwirksamkeitserwartungen zur Unterstützung des Lernens ihrer Kinder können diesen eher Hilfestellungen geben, wie sie ihr Lernen effektiv regulieren können. Mehrere Studien zeigen, dass Eltern das selbstregulierte Lernen der Schüler*innen in der Schule beeinflussen können (Daniel et al. 2016; Thomas et al. 2019). Eltern mit hohen Selbstwirksamkeitserwartungen verfügen über mehr fachliches Wissen zur Unterstützung des Lernens ihrer Kinder. Dank dieser elterlichen Unterstützung lernen die Schüler*innen selbständiger und motivierter. Entsprechend wird vermutet, dass der Effekt der elterlichen Selbstwirksamkeitserwartung auf den Lernzuwachs der Schüler*innen durch das Lernverhalten der Schüler*innen mediiert wird.

Ein ruhiger Lernort bildet eine infrastrukturelle Rahmenbedingung des Lernens, indem Ablenkung reduziert und somit zielgerichtetes Arbeiten begünstigt wird. An einem ruhigen Lernort lernen Schüler*innen eher zielgerichtet, was sich in besseren Leistungen ausdrückt (Zimmerman 1989, Broer et al. 2019). Daher wird vermutet, dass der Effekt des ruhigen Lernortes auf den Lernzuwachs durch das Lernverhalten der Schüler*innen vermittelt wird (Abb. 1).

2.5 Generalisierbarkeit der Zusammenhänge über Gruppen

Die Herkunftseffekte auf Leistungen von Schüler*innen treten in verschiedenen Gruppen und nationalen Bildungssystemen auf (Sirin 2005). Frühere Studien berichteten analoge Effekte der Herkunft auf die Leistungen für die beiden Geschlechter (Neuenschwander und Rottermann 2012) sowie für Schüler*innen der Primarschule und der Sekundarstufe I (Sirin 2005). Andrew et al. (2020) zeigten, dass Herkunftseffekte auf die Lernzeit während des Fernunterrichts in der Primarstufe und in der Sekundarstufe I ähnlich waren.

2.6 Hypothesen

Zusammenfassend sollen die folgenden Hypothesen überprüft werden.

Hypothese 1:

SES und Familiensprache erklären den Lernzuwachs im Fernunterricht (totaler Effekt, H1a). Die Effekte von SES und Familiensprache auf den Lernzuwachs werden über das Leistungsniveau der Schüler*innen (H1b, Abschn. 2.1) und über Selbstwirksamkeitserwartungen von Eltern (H1c) mediiert (Abschn. 2.2). Der Effekt von SES auf den Lernzuwachs wird über die Verfügbarkeit eines ruhigen Lernortes (H1d) mediiert (Abschn. 2.2).

Hypothese 2:

Die Effekte vom Leistungsniveau (H2a), von Selbstwirksamkeitserwartungen von Eltern (H2b) und von der Verfügbarkeit eines ruhigen Lernortes (H2c) auf den Lernzuwachs der Schüler*innen während des Fernunterrichts werden durch das Lernverhalten der Schüler*innen mediiert (Abschn. 2.3 und 2.4).

Hypothese 3:

Die Hypothesen 1 und 2 kombinierend, wird angenommen, dass die Effekte von SES und Familiensprache auf den Lernzuwachs vom Leistungsniveau der Schüler*innen und dem Lernverhalten vermittelt werden (H3a). Die Effekte von SES und Familiensprache auf den Lernzuwachs werden von den Selbstwirksamkeitserwartungen und dem Lernverhalten vermittelt (H3b). Der Effekt von SES auf den Lernzuwachs wird von der Verfügbarkeit eines ruhigen Lernortes und dem Lernverhalten vermittelt (H3c; multiple Mediationen).

Hypothese 4:

Die Hypothesen 1 bis 3 gelten gleicherweise für die Primarstufe und die Sekundarstufe I (H4a) sowie für weibliche und männliche Schüler*innen (H4b; Abschn. 2.5).

3 Methode

3.1 Studiendesign und Stichprobe

Die Daten stammen aus dem Forschungsprojekt „Fernunterricht 2020 – Lernen während der Coronavirus-Pandemie“, welches in vier Deutschschweizer Kantonen in den Monaten Juni/Juli 2020 durchgeführt wurde (ein Messzeitpunkt).

Insgesamt 1321 Schüler*innen (n = 765 Primarschüler*innen der 4., 5. und 6. Klassen, n = 556 Sekundarschüler*innen der 7. und 8. Klassen) wurden von ihren Eltern zur Studie angemeldet und füllten den standardisierten Online-Fragebogen aus. Die Schüler*innen (50 % weiblich; Alter Primarschüler*innen M = 11,7 Jahre, SD = 0,9 Jahre, Min = 9,1 Jahre, Max = 14,1 Jahre; Alter Sekundarschüler*innen MW = 14,2, SD = 0,7, Min = 10,9 Jahre, Max = 17,1 Jahre) verteilten sich etwa gleichmäßig auf die fünf Klassenstufen (19 % 4. Klasse, 22 % 5. Klasse, 17 % 6. Klasse, 23 %, 7. Klasse, 19 % 8. Klasse). Zudem füllten 851 Eltern (86 % Mütter oder weibliche Bezugspersonen, 13 % Väter oder männliche Bezugspersonen, 1 % andere Personen) standardisierte Online-Fragebogen aus. Insgesamt 108 Lehrpersonen nahmen an der Studie teil. Im Durchschnitt unterrichteten sie in der an der Studie teilnehmenden Klasse 18,5 Lektionen (SD = 7,7, Min = 2, Max = 29). Die Lehrpersonen (63 % weiblich; Alter M = 41,2 Jahre, SD = 11,6 Jahre, Min = 24, Max = 65) beantworteten Fragen über 1040 Schüler*innen. Gemäß Ausfallanalysen liegen keine resp. vernachlässigbare Unterschiede hinsichtlich fehlender Daten zwischen den verschiedenen Befragungsgruppen vor (vgl. Supplement).

3.2 Erhebungsinstrumente und Operationalisierung

3.2.1 Elternfragebogen

Der familiäre sozioökonomische Status SES wurde über die Angaben der Berufe der Eltern bzw. Bezugspersonen erfasst. Den Berufen wurden die entsprechenden ISEI-Werte zugeteilt (International Socio-Economic Index of Occupation Status; Ganzeboom und Treiman 2010). Für die Analysen wurde der jeweils höhere Wert pro Elternteil verwendet (HISEI). Der durchschnittliche HISEI der Familien (n = 834) betrug M = 65,7 (SD = 15,6, Min = 14,6, Max = 88,7; Missing = 2 %). Der HISEI der vorliegenden Elternstichprobe ist deutlich höher als in der Population (HISEI Deutschschweiz M = 51,7; Konsortium PISA.ch 2018).

Die elterliche Selbstwirksamkeitserwartung zur Unterstützung wurde über die Frage „Ich kann mein Kind bei schulischen Aufgaben unterstützen.“ (in Anlehnung an Hoover-Dempsey und Sandler 2005) auf einer Skala von 1 „trifft überhaupt nicht zu“ bis 6 „trifft voll und ganz zu“ erhoben (n = 851, M = 5,1, S = 0,8, Missing = 0 %). Die Operationalisierung erwies sich in früheren Studien als reliabel und valide (Niederbacher und Neuenschwander 2020).

Das Lernverhalten der Schüler*innen wurde aus Perspektive der Eltern über die Frage „Wie war das Lern- und Arbeitsverhalten Ihres Kindes (Motivation, Selbständigkeit, Zuverlässigkeit) in der Zeit des Fernunterrichts?“ auf einer 6‑stufigen Skala erfasst (n = 754, M = 4,7, SD = 1,1, Missing = 11 %). Das Item deckt inhaltlich Ziele des Deutschschweizer Lehrplans 21 ab.

Die Anstellungssituation der Eltern wurde mit der Frage „Wie war Ihre Arbeitssituation während der Zeit des Fernunterrichts?“ (Eigenentwicklung) erfasst. Die Antwortkategorien waren „feste Anstellung“, „Kurzarbeit“, „beurlaubt“, „Entlassung ausgesprochen“ und „neue Stelle gefunden“ (eine Antwort möglich) (n = 636, Missing = 23 %). Aufgrund geringer Häufigkeiten wurde die Variable dichotomisiert (0 „feste Anstellung“ 82 % vs. 1 „keine feste Anstellung“ 18 %).

Der Anteil Arbeit im Homeoffice wurde für Personen mit Anstellung und selbständig Erwerbende mit folgender Frage erfasst: „Wie viel Prozent (1 Tag = 20 %) haben Sie in der Zeit des Fernunterrichts im Homeoffice gearbeitet?“ (Eigenentwicklung). Die Antwort wurde auf einer kontinuierlichen Skala von 0–100 % gegeben (n = 652, M = 37,2, SD = 37,0, Missing = 23 %).

Die Deutschkompetenzen der Eltern wurden über die Frage „Wie gut sprechen Sie Deutsch/Schweizerdeutsch?“ anhand einer Skala von 1 „überhaupt nicht gut“ bis 6 „sehr gut“ erfasst (n = 848, M = 5,9, SD = 0.5, Missing = 1 %, Eigenentwicklung). Bachmann und Palmer (1989) zeigten, dass Personen eigene Sprachkompetenzen reliabel beurteilen können.

3.2.2 Schüler*innenfragebogen

Die Familiensprache wurde über die Aussage „Ich spreche zu Hause meistens …“ mit drei Antwortkategorien „Deutsch/Schweizerdeutsch“, „eine andere Sprache“ und „Deutsch/Schweizerdeutsch und eine andere Sprache“ erhoben (n = 1314, Missing = 1 %). Die Variable wurde anschließend dichotomisiert (0 „einsprachig mit Deutsch/Schweizerdeutsch“ 73 %, 1 „fremd- oder mehrsprachig“ 27 %). Die Gruppe der mehrsprachigen Schüler*innen war zu klein, um im Pfadmodell als eigene Analysegruppe zu fungieren. Zwar zeigen Studien, dass fremd- und mehrsprachige Schüler*innen eine heterogene Gruppe darstellen (Dubowy et al. 2011). In der vorliegenden Stichprobe unterschieden sich jedoch die fremd- und mehrsprachigen Schüler*innen in keiner der untersuchten Variablen signifikant, weshalb beide Gruppen in einer Gruppe zusammengefasst wurden.

Die räumliche Situation in der Familie wurde am Beispiel eines ruhigen Lernorts über die Aussage „Ich hatte einen ruhigen Arbeitsplatz zum Lernen“ (in Anlehnung an Broer et al. 2019) auf einer Skala von 1 „nie“ bis 5 „immer“ erhoben (n = 1314, M = 4,2, SD = 0,8, Missing = 1 %).

3.2.3 Lehrpersonenfragebogen

Die Lehrpersonen berichteten pro Schüler*in ihrer Klasse das Leistungsniveau vor dem Fernunterricht aufgrund der Frage „Wie war das allgemeine Leistungsniveau der Schülerin/des Schülers vor dem Fernunterricht?“ auf einer Skala von 1 „sehr niedrig“ bis 6 „sehr hoch“ (n = 1035, M = 4,1, SD = 1,2, Missing = 1 %). Südkamp et al. (2012) zeigten eine hohe Übereinstimmung der Leistungseinschätzung der Lehrpersonen mit den tatsächlichen Schülerleistungen.

Der Lernzuwachs während des Fernunterrichts wurde von den Lehrpersonen ebenfalls pro Schüler*in über die Frage „Wie war der schulische Lernzuwachs der Schülerin/des Schülers in der Zeit des Fernunterrichts?“ auf einer Skala von 1 „sehr gering“ bis 6 „sehr groß“ eingeschätzt (n = 1038, M = 3,9, SD = 1,1, Missing = 0 %). Die Einschätzung des schulischen Lernzuwachs durch Lehrpersonen korrelierte mit der entsprechenden Elterneinschätzung signifikant.

3.3 Auswertungsverfahren

Deskriptive Analysen der Rohdaten wurden mit SPSS 26 durchgeführt. Die Korrelationen (vgl. Supplement) und das Pfadmodell (Abb. 2) wurden mit MPlus 8.2 (Muthén & Muthén 2017) berechnet. Die hierarchische Datenstruktur (Schüler*innen in Klassen) wurde über die Spezifikation type=complex kontrolliert. Es wurden keine systematischen Muster von fehlenden Daten identifiziert (vgl. Supplement). Im Vergleich zum Ausschluss von Personen mit fehlenden Daten führt das Verfahren mit Full Information Maximum Likelihood (FIML) gemäß Little und Rubin (2020) bei Pfadmodellen zu robusteren Ergebnissen. Fehlende Werte wurden daher gemäß dem FIML-Ansatz behandelt. Die Analysen wurden mit dem gegenüber Verzerrungen bei nichtnormalverteilten Daten robusten Standardfehlerschätzer MLR durchgeführt. Die Universalitätsannahme bzw. die fehlende Moderation der Zusammenhänge je nach Schulstufe und Geschlecht wurde mit Pfadanalysen im Gruppenvergleich getestet. Dabei wurden die χ2-Werte für ein Modell, in dem die Pfade zwischen den Gruppen gleichgesetzt worden sind, mit einem Modell, in dem die Pfade zwischen den Gruppen frei geschätzt wurden, verglichen. Ein nichtsignifikanter Differenzwert deutet darauf hin, dass sich die Zusammenhänge zwischen den Gruppen nicht unterscheiden. Unterschiede zwischen den Modellen wurden über den nach Satorra und Bentler (2010) korrigierten χ2-Differenztest überprüft.

Die Bewertung der Pfadmodelle erfolgte über die Gütekriterien Comparative Fit Indizes (CFI ≥ 0,95), Root Mean Square Errors of Approximation (RMSEA ≤ 0,06) und Standardized Root Mean Square Residual (SRMR ≤ 0,08) (West et al. 2012). Die Angaben zu Pfaden in der Abb. 2 sowie indirekten Effekten stellen standardisierte β-Koeffizienten mit 2‑seitigem Signifikanzniveau dar.

Abb. 2
figure 2

Pfadmodell zu den direkten und indirekten Zusammenhängen zwischen HISEI resp. Familiensprache und Lernzuwachs während Fernunterricht. Anmerkungen: E Elternfragebogen, LP Lehrpersonenfragebogen, S Schüler*innenfragebogen, Prozentangaben: R2 Varianzaufklärung, standardisierte β-Koeffizienten, Signifikanzangaben 2‑seitig: ***: p < 0,001, **: p < 0.01, *: p < 0,05

4 Ergebnisse

Die Korrelationen aller im Modell verwendeten Variablen sind im Supplement aufgeführt. Zur Prüfung der Hypothesen wurde ein Pfadmodell spezifiziert. Es wurde ein direkter Effekt auf alle abhängigen Variablen sowie ungerichtete Zusammenhänge der Kontrollvariablen untereinander und mit den unabhängigen Variablen im Modell spezifiziert. Aus Gründen der Sparsamkeit wurden die nicht-signifikanten ungerichteten Korrelationen zwischen den Kontrollvariablen auf null fixiert. Dieses Modell erreichte gute Fit-Indizes (Abb. 2, χ2 = 15,1, df = 10, ns, RMSEA = 0,02, CFI = 0,99, SRMR = 0,02, n = 1515, vollständige Ergebnisdarstellung im Supplement). Danach wurde das Modell unter der Annahme des Ausschlusses aller Fälle mit fehlenden Daten neu gerechnet (χ2 = 16,1, df = 10, ns, RMSEA = 0,04, CFI = 0,97, SRMR = 0,03, n = 349). Die Koeffizienten unterschieden sich nicht wesentlich vom Modell, das mit FIML berechnet wurde. Dies belegt die Robustheit der Ergebnisse angesichts der fehlenden Werte.

Zur Prüfung der Hypothese 4a wurde das Modell zwischen der Primarstufe und der Sekundarstufe I verglichen (χ2 = 32,0, df = 20, p = 0,04, CFI = 0,97, RMSEA = 0,03, SRMR = 0,03, n Primar = 765, n Sek I = 556; vgl. Supplement). Danach wurde das gleiche Modell unter der Annahme gerechnet, dass sich die Pfade zwischen den Gruppen nicht unterscheiden (χ2 = 43,3, df = 35, ns, CFI = 0,98, RMSEA = 0,02, SRMR = 0,04, n Primar = 765, n Sek I = 556). Es gab keinen signifikanten Gruppenunterschied (∆χ2 = 11,8, df = 15, ns, Hypothese 4a bestätigt). Danach wurde das Modell im Geschlechtervergleich ohne Restriktionen zwischen den Gruppen gerechnet (χ2 = 27,2, df = 8, ns, CFI = 0,99, RMSEA = 0,02, SRMR = 0,03, n männlich = 656, n weiblich = 659; vgl. Supplement). Das Modell wurde unter der Annahme gerechnet, dass sich die Pfade zwischen den Gruppen nicht unterscheiden (χ2 = 48,6, df = 35, ns, CFI = 0,97, RMSEA = 0,02, SRMR = 0,43, n männlich = 656, n weiblich = 659). Das Modell unterschied sich nicht signifikant zwischen weiblichen und männlichen Schüler*innen (∆χ2 = 21,4, df = 15, ns, Hypothese 4b bestätigt). Die direkten und indirekten Zusammenhänge sind somit über die Schulstufen und Geschlechter generalisierbar. In der Folge werden die Ergebnisse ohne Gruppenvergleich dargestellt.

Die Ergebnisse zeigen einen signifikanten totalen Effekt von HISEI auf den Lernzuwachs der Schüler*innen während des Fernunterrichts (β = 0,13, p < 0,001) sowie einen signifikanten totalen indirekten Effekt (β = 0,15, p < 0,001, Hypothese 1a bezüglich HISEI bestätigt). In Übereinstimmung mit Hypothese 1b wird der Zusammenhang zwischen HISEI und dem Lernzuwachs der Schüler*innen während des Fernunterrichts über das Leistungsniveau vor dem Fernunterricht signifikant vermittelt (β = 0,14, p < 0,001). Auch der Zusammenhang zwischen HISEI und dem Lernzuwachs, vermittelt über das Leistungsniveau vor dem Fernunterricht und über das Lernverhalten, ist signifikant (Hypothese 3a bezüglich HISEI bestätigt: β = 0,01, p < 0,01). Der Effekt von HISEI auf den Lernzuwachs wird nicht über die elterlichen Selbstwirksamkeitserwartungen erklärt (Hypothese 1c falsifiziert). Wird jedoch als zusätzliche Mediatorvariable das Lernverhalten einbezogen, findet sich in Übereinstimmung mit Hypothese 3b ein signifikanter indirekter Effekt von HISEI, multipel vermittelt über Selbstwirksamkeitserwartungen der Eltern und das Lernverhalten, auf den Lernzuwachs der Schüler*innen (multiple Mediation: β = 0,003, p < 0,05). Der indirekte Zusammenhang zwischen HISEI und dem Lernzuwachs der Schüler*innen vermittelt über die Verfügbarkeit eines ruhigen Lernortes sowie multipel vermittelt über die Verfügbarkeit eines ruhigen Lernortes und das Lernverhalten der Schüler*innen sind nicht signifikant (Hypothese 1d und 3c bezüglich HISEI falsifiziert).

Auch die Familiensprache hat in Übereinstimmung mit Hypothese 1a einen signifikanten totalen Effekt (β = 0,11, p < 0,05) sowie einen signifikanten totalen indirekten Effekt auf den Lernzuwachs (β = 0,08, p < 0,01). Gemäß Hypothese 1b ist der indirekte Zusammenhang zwischen der Familiensprache und dem Lernzuwachs während des Fernunterrichts, vermittelt über das Leistungsniveau vor dem Fernunterricht, signifikant (β = 0,08, p < 0,01). Zudem ist gemäß Hypothese 3a der indirekte Effekt von Familiensprache auf den Lernzuwachs, vermittelt über das Leistungsniveau vor dem Fernunterricht und das Lernverhalten, signifikant (multiple Mediation: β = 0,004, p < 0,05). Die anderen indirekten Effekte mit der unabhängigen Variable Familiensprache sind nicht signifikant (Hypothese 1c sowie 3b bezüglich Familiensprache falsifiziert). Der Effekt von HISEI bzw. Familiensprache auf Lernzuwachs wird primär über das Leistungsniveau vor dem Fernunterricht erklärt.

Bei der Prüfung der Hypothesen 2a, 2b und 2c ergaben sich folgende Ergebnisse: Der Zusammenhang zwischen dem Leistungsniveau vor dem Fernunterricht und dem Lernzuwachs während des Fernunterrichts wird signifikant über das Lernverhalten der Schüler*innen vermittelt (β = 0,03, p < 0,01, Hypothese 2a bestätigt). Der Zusammenhang zwischen der Selbstwirksamkeitserwartung der Eltern und dem Lernzuwachs der Schüler*innen während des Fernunterrichts wird signifikant über das Lernverhalten der Schüler*innen mediiert (β = 0,02, p < 0,01, Hypothese 2b bestätigt). Auch der indirekte Effekt eines ruhigen Lernortes auf den Lernzuwachs, vermittelt über das Lernverhalten, ist signifikant (β = 0,02, p < 0,01, Hypothese 2c bestätigt).

5 Diskussion

Während des Fernunterrichts lernten die Schüler*innen zu Hause, so dass sich Effekte der sozialen und sprachlichen Herkunft auf den Lernzuwachs verstärken könnten. Die vorliegende Studie ging daher den Fragen nach, wie stark der SES und die Familiensprache mit dem Lernzuwachs der Schüler*innen während des Fernunterrichts zusammenhängen und wie diese Zusammenhänge erklärt werden können. Die Ergebnisse eines Pfadmodells mit multipler Mediation zeigen, dass der SES und die Familiensprache mit dem Lernzuwachs während des Fernunterrichts zusammenhängen. Im Sinne des Modells von Watermann und Baumert (2006) erklärt der SES, vermittelt über das Leistungsniveau der Schüler*innen, die Selbstwirksamkeitserwartung der Eltern und im zweiten Schritt über das Lernverhalten, den Lernzuwachs der Schüler*innen (multiple Mediation). Die Familiensprache erklärt den Lernzuwachs ausschließlich über das Leistungsniveau der Schüler*innen. Dieses Ergebnis könnte darauf hinweisen, dass die Familiensprache deshalb mit dem Lernzuwachs im Fernunterricht korreliert, weil sich das Leistungsniveau je nach Familiensprache unterscheidet. Die Verfügbarkeit eines ruhigen Lernortes hängt weder mit dem SES noch mit der Familiensprache zusammen.

Neu sind die Zusammenhänge zwischen der Verfügbarkeit eines ruhigen Lernortes, dem Lernverhalten und dem Lernzuwachs während des Fernunterrichts. Diese Zusammenhänge basieren auf Daten, die aus verschiedenen Perspektiven (Eltern, Lehrpersonen, Schüler*innen) erfasst wurden und sind daher valider als Daten aus einer einzigen Perspektive. Die Ergebnisse weisen darauf hin, dass bei Verfügbarkeit eines ruhigen Arbeitsplatzes in der Familie, Schüler*innen motivierter, zuverlässiger und selbständiger zu lernen scheinen, was positiv mit dem Lernzuwachs zusammenhängt. Diese Ergebnisse korrespondieren mit Ergebnissen zum selbstregulierten Lernen, wonach Schüler*innen bessere Leistungen erbringen, wenn sie über bessere Strategien der Selbstregulation verfügen (Nett und Götz 2019; Huber und Helm 2020).

In der Pandemie scheinen die Selbstwirksamkeitserwartungen von Eltern zur Lernunterstützung ihrer Kinder wichtig zu sein, denn sie erklären, vermittelt über das Lernverhalten, den Lernzuwachs der Schüler*innen. Diese Effekte sind aber nicht stärker als in vergleichbaren anderen Schweizer Studien, die vor der Pandemie durchgeführt wurden (Niederbacher und Neuenschwander 2020; Tazouti und Jarlégan 2019). Vermutlich sind elterliche Selbstwirksamkeitserwartungen zur Lernunterstützung relativ stabil. Eltern mit hohen Selbstwirksamkeitserwartungen förderten vermutlich schon vor der Pandemie bei ihren Kindern das Lernverhalten, so dass die Schüler*innen während des Fernunterrichts beim Lernen zu Hause auf diese Kompetenzen zurückgreifen konnten.

5.1 Limitationen

Die vorliegende Studie musste mit geringer Vorbereitungszeit geplant und durchgeführt werden, da die Pandemie unerwartet auftrat. Daher unterliegen die Interpretationen der Ergebnisse mehreren Limitationen. Der zeitliche Abstand zwischen dem Ende des Fernunterrichts und der Datenerhebung betrug nur etwa 3–6 Wochen, damit Erinnerungsverzerrungen möglichst klein ausfielen. Gleichwohl handelt es sich um retrospektive Einschätzungen. Die Anordnung der Variablen im Pfadmodell ist zwar theoretisch und empirisch hergeleitet. Da die Daten querschnittlich sind, sind jedoch keine kausalen Aussagen möglich. Zudem besteht bei jedem Pfadmodell das Endogenitätsproblem, wonach Mediationseffekte auftreten können, weil wichtige Kontrollvariablen im Modell fehlen. Immerhin wurden drei wichtige Kontrollvariablen zur familiären Situation im Pfadmodell berücksichtigt. Um die zeitliche Belastung der an der Studie teilnehmenden Personen möglichst gering zu halten, konnten die Konzepte nicht durch latente Konstrukte mit mehreren Items gebildet werden, was mit Reliabilitätsproblemen verbunden sein kann. Zudem wurde das gewählte Einzelitem zur Messung von Selbstwirksamkeitserwartungen von Eltern allgemein formuliert und nicht spezifisch auf die Situation des Fernunterrichts bezogen. Dadurch wird die Vergleichbarkeit mit Ergebnissen früherer Studien vereinfacht. Auch die Einschätzungen des Leistungsniveaus vor dem Fernunterricht sowie des Lernzuwachses konnten nicht fachspezifisch und jeweils nur mit einem Item erfasst werden. Immerhin konnte die Validität von Leistungseinschätzungen von Lehrpersonen in früheren Studien gezeigt werden (Niederbacher und Neuenschwander 2020). Die hohe Korrelation zwischen der Leistungseinschätzung und dem Lernzuwachs könnte auch mit einer fehlenden diskriminativen Validität der Lehrpersonenurteile erklärt werden. Schließlich weist die Elternstichprobe einen deutlich höheren durchschnittlichen HISEI-Wert auf als die Population. Es handelt sich daher um eine bezüglich HISEI positiv verzerrte Stichprobe. Das heißt allfällige Effekte des HISEI werden in der vorliegenden Stichprobe gegenüber der Population tendenziell unterschätzt. Bezüglich der Familiensprache findet sich hingegen kein Unterschied in der Verteilung im Vergleich zu den Populationswerten. Des Weiteren muss darauf hingewiesen werden, dass sich die Daten auf die einzige Phase von Fernunterricht in der Schweiz beziehen. Mehrere und längere Unterbrüche des Präsenzunterrichts oder die Schließung von Schulen, wie es sie in anderen Ländern gab, könnten möglicherweise stärkere Herkunftseffekte mit sich bringen.

5.2 Schlussfolgerungen für die Praxis

Die Analyse der Situation des Fernunterrichts zeigt trotz der Limitationen, dass die Zusammenhänge zwischen Lernzuwachs und SES bzw. Familiensprache ähnlich groß zu sein scheinen, wie vergleichbare andere Studien gezeigt haben, die sich auf den Präsenzunterricht beziehen (Sirin 2005; Niederbacher und Neuenschwander 2020). Dem entsprechend berichteten Andrew et al. (2020), dass sich während des Fernunterrichts die Lernzeit der Schüler*innen nicht wesentlich veränderte. Dieser Befund ist interessant, weil die Schüler*innen während des Fernunterrichts je nach SES und Familiensprache auf unterschiedliche familiäre Ressourcen zurückgreifen konnten (Bol 2020). Möglicherweise war die Zeitspanne des Fernunterrichts bei der vorliegenden Stichprobe zu kurz, so dass Eltern aufgrund ihrer Ressourcen keinen zusätzlichen Vorteil für das Lernen ihrer Kinder schaffen konnten. Folglich wird vermutet, dass sich Effekte des SES und der Familiensprache aufgrund entsprechender Planung der Eltern in einem langsamen, stetigen Prozess im Lernzuwachs zeigen. Entsprechend erklären vor allem das Leistungsniveau vor dem Fernunterricht und die Selbstwirksamkeitserwartungen der Eltern die Herkunftseffekte auf den Lernzuwachs. Diese Konzepte sind vom Fernunterricht weitgehend unberührt, während die Verfügbarkeit eines ruhigen Lernortes in der Familie, der während des Fernunterrichts deutlich bedeutsamer sein könnte als im Präsenzunterricht, von SES und Familiensprache unabhängig ist.

Die Ergebnisse belegen überdies am Beispiel des Fernunterrichts die Bedeutung des Lernverhaltens der Schüler*innen zu Hause im Sinne des selbstregulierten Lernens für den Lernzuwachs (Huber und Helm 2020). Wenn Schüler*innen in der Schule oder zu Hause Strategien lernen, wie sie effektiv schulische Lernaufgaben bearbeiten können, scheinen sie im Fernunterricht einen Vorteil zu haben. Es ist daher wichtig, Lehrpersonen und Eltern anzuleiten (vgl. Nett und Götz 2019), wie sie das selbständige Lernen der Schüler*innen fördern können.