1 Einleitung

Im Rahmen zweier Vorlesungen im Bildungswissenschaftlichen Studium wurden Studierende im Bachelor und Master of Education befragt, welche drei Begriffe bzw. Stichpunkte sie als erstes mit den Schlagworten „Digitalisierung und Bildung“ verbinden. Häufige Nennungen waren: fehlende Computer, schlechtes W‑Lan, digital natives, etc. Die Ergebnisse zeigen zwar eine Vielzahl an unterschiedlichen Nennungen, gleichzeitig aber auch eine Häufung in zwei Bereichen: Einerseits werden vor allem Begriffe genannt, die sich der technologischen Ebene der Digitalisierung (Tablets, Whiteboard, Computer, W‑Lan etc.) zuordnen lassen und andererseits Begriffe, die den Entwicklungsprozess (rückständig, lückenhaft, fehlend etc.) kennzeichnen. Damit stellt sich in diesem Kontext der Engführung einerseits und der Diffusität andererseits die Frage, welche Aspekte von Digitalisierung(sprozessen) aus einer dezidiert schulpädagogischen Perspektive überhaupt angesprochen werden. Die Frage wird nicht nur im Kontext der Lehrerinnen- und Lehrerbildung virulent, sondern beispielsweise auch, wenn es darum geht zu fragen, welche Schul- und Unterrichtsentwicklungsbemühungen im Zusammenhang mit Digitalisierung betrieben werden.

Der vorliegende Beitrag entwickelt ein Rahmenmodell aus schulpädagogischer Sicht, welches Ordnung in die Begriffsvielfalt bringt, unterschiedliche Ebenen beschreibt und Verbindungen zwischen Begrifflichkeiten verdeutlicht, indem unterschiedliche Aspekte von Digitalisierung(sprozessen) systematisiert werden. Dabei handelt es sich explizit nicht um ein empirisch exploriertes Modell, sondern um eine Entwicklung, welche mittels eines narrativen Reviews (Whittemore et al. 2014) in zentralen Nachschlagewerken, Handbüchern und Zeitschriftenartikeln gewonnen wurde und auf dem integrierten Angebots-Nutzungs-Modell von Vieluf et al. (2020) beruht. Zunächst wird dargelegt, auf welcher Vorstellung von Schulpädagogik und Digitalisierung das Rahmenmodell fußt. Anschließend werden das Modell und seine Entwicklung eingeführt sowie seine unterschiedlichen Ebenen bzw. Aspekte jeweils mit kurzen Verweisen auf zentrale Diskurs- und Forschungslinien erläutert. In einem abschließenden Fazit wird das Rahmenmodell und sein Einsatz vor dem Hintergrund von Unterricht und Schule, Schulentwicklung und Lehrerinnen- und Lehrerbildung diskutiert.

2 Schulpädagogik und Digitalisierung

Begriff und Feld der Schulpädagogik werden in der Literatur unterschiedlich definiert bzw. beschrieben (für einen Überblick siehe Rothland 2019). Im Verständnis der Autoren des Beitrags ist die Schulpädagogik eine wissenschaftliche Disziplin, die Schul‑, Unterrichts- und Professionalisierungsprozesse sowie deren institutionelle und gesellschaftliche (und auch außerschulisch einwirkenden) Kontexte untersucht. Dabei bezieht sie das Handeln aller beteiligten Akteurinnen und Akteure mit ein. Schulpädagogische Forschung ist durch die Verwendung unterschiedlicher Theorien und (empirischer) Methoden gekennzeichnet, um eine mehrperspektivische Betrachtung auf den jeweiligen Untersuchungsgegenstand einzunehmen (Apel und Sacher 2007). Die Allgemeine Didaktik, oft mit der Schulpädagogik gleichgesetzt, gilt wissenschaftshistorisch betrachtet als das zentrale Arbeitsfeld der Schulpädagogik (Terhart 2019). Auch hierin finden sich v. a. „konzeptuelle“ Diskurse zum Umgang mit Medien, Digitalisierung etc.

Des Weiteren ist zu klären, wie man sich einem weiten Digitalisierungsbegriff annähern kann (vgl. beispielsweise für unterschiedliche Perspektiven auf den Medienbegriff: Schaumburg und Prasse 2019). Angelehnt an Lachner et al. (2020) verstehen die Autoren unter Digitalisierung einerseits jenen Wandlungsprozess „in dem digitale Medien und Technologien zunehmend bisherige analoge Unterrichtsprozesse ergänzen und neue Möglichkeiten bezüglich der Realisierung von Lern- und Lehrprozessen erlauben“ (Lachner et al. 2020, S. 67) und andererseits jene „gesellschaftliche Herausforderungen, deren Bewältigung eine umfassende Medienbildung von Schülerinnen und Schülern voraussetzen“ (ebd., S. 67). Damit umfasst der Begriff sowohl eine technologische als auch eine gesellschaftliche Perspektive.

Nimmt man beide Begriffe zusammen, so wird deutlich, dass sich in beiden sowohl eine mehrperspektivische bzw. mehrebenenanalytische Sichtweise (Bronfenbrenner 1979) als auch ein Fokus auf multiple Akteurinnen und Akteure (Fend 2008) eingebettet in größere gesellschaftliche Zusammenhänge ergibt. In Anwendung auf das Feld der Digitalisierung beschäftigt sich die Schulpädagogik folglich mit Themen, die Schule, Unterricht und Lehrkräfte sowie Schülerinnen und Schüler betreffen und bezieht dabei auch digitale Themen im Kontext von didaktischem und pädagogischem Handeln, Schule als Institution und der Gesellschaft mit ein. Daraus ergeben sich auch Berührungspunkte zur Medienbildung, die sich „im Schnittfeld bildungstheoretischer, medientheoretischer und kulturtheoretischer Erwägungen konstituiert“ (Marotzki und Jörissen 2008, S. 100) und davon ausgeht, dass Bildungsprozesse einerseits in medial geprägten Lebenswelten und andererseits in medialen Interaktionszusammenhängen stattfinden. Damit wird Medialität in der Medienbildung zum Untersuchungsgegenstand der Bildungswissenschaft (Marotzki und Jörissen 2008). In Abgrenzung zu schulpädagogischen Betrachtungen ist Medienbildung jedoch weiter zu verstehen als nur auf den Kontext Unterricht und Schule beschränkt.

Auf diesen Definitionen, dem jeweiligen breiten Begriffsverständnis und der Zusammenschau beruhend, wurde das folgende Rahmenmodell zur Digitalisierung aus schulpädagogischer Perspektive entwickelt.

3 Vorschlag eines Rahmenmodells

Aus der dargelegten schulpädagogischen Perspektive auf Digitalisierung wird ein Rahmenmodell zur Systematisierung vorgeschlagen, da umfassendere Rahmenmodelle und Vorstellungen bisher rar sind (Ausnahmen finden sich beispielsweise bei Herzig 2014; Lachner et al. 2020). Dem Modell liegt ähnlich den neueren Modellen von Eickelmann et al. (2019) für die ICILS-Studie (ICILS 2019) bzw. Züchner und Jäkel (2021) ein Angebots-Nutzungs-Modell von Unterricht zugrunde. Beide vergleichbaren Modelle wurden zur theoretischen Rahmung späterer Operationalisierungen und Messungen entwickelt und haben ihren Hauptfokus daher auf Lehr-Lern-Prozessen von Schülerinnen und Schülern (im Modell von Züchner und Jäckel sogar explizit für die Fernbeschulung) und ihren Kompetenzen. Das hier vorgeschlagene Modell ist deutlich breiter angelegt, berücksichtigt stärker noch die Mehrebenenstruktur des Bildungssystems, bezieht auch außerschulische Perspektiven und Kontexte vielfältiger mit ein, differenziert expliziter zwischen Medien als Unterrichtsgegenstand und Medien im Lehr-Lern-Prozess und blickt auf mehrdimensionale Bildungswirkungen.

Das vorgeschlagene Rahmenmodell wurde in einem mehrschrittigen Prozess entwickelt und basiert auf einem narrativen Review (Whittemore et al. 2014), dessen Ziel die zusammenfassende Überblicksdarstellung des Forschungstands eines Gegenstandsbereichs ist. Dabei kam eine nicht-protokollbasierte Suchstrategie zum Einsatz. Aufgrund der grundsätzlichen Offenheit des Verfahrens für vielfältige Veröffentlichungsarten wurden nationale schulpädagogische bzw. bildungswissenschaftliche Hand- und Lehrbücher (sowohl Überblickswerke als auch themenspezifische Bücher) auf die darin behandelten Themen, Theorien, Studien und Modelle durchsucht. Ausgehend von Überlegungen zur Angebots-Nutzungs-Struktur von Unterricht sowie mehrebenenanalytischen Betrachtungen (siehe oben) wurde eine An- und Zuordnung der gefundenen Aspekte in ein Rahmenmodell vorgenommen (vgl. Tab. 1). Des Weiteren wurden mit der gleichen Such- und Ordnungsstrategie die letzten fünf Jahrgänge (2016–2020) einschlägiger deutschsprachiger bildungs- und erziehungswissenschaftlicher Zeitschriften mit (z. T.) schulpädagogischem Fokus untersucht (vgl. Tab. 1). Hierbei wurden zunächst die Titel, dann die Abstracts und bei entsprechender Verwendbarkeit der gesamte Beitrag geprüft. Neue Aspekte wurden im Rahmenmodell ergänzt. Bewusst verzichtet wurde zunächst sowohl auf explizit medienpädagogische oder -didaktische Handbücher bzw. Einführungs- und Überblickbände sowie Zeitschriften, um einen Systematisierungsversuch aus zunächst dezidiert schulpädagogischer Perspektive zu ermöglichen (siehe hierzu auch die Limitationen im Fazit).

Tab. 1 Bücher und Zeitschriften im Korpus des narrativen Reviews

Daraus ergab sich der vorliegende Vorschlag zu einem Rahmenmodell mit Blick auf das Thema Digitalisierung (vgl. Abb. 1), welches sich im Grundaufbau am Angebots-Nutzungs-Modell von Vieluf et al. (2020) orientiert.

Abb. 1
figure 1

Rahmenmodell zur Digitalisierung (in Anlehnung an Vieluf et al. 2020)

In den folgenden Abschnitten sollen die Ebenen bzw. Aspekte des Modells näher beleuchtet und mit Theorien, Forschungsbemühungen, Diskursen, Modellen etc. exemplarisch angereichert werden.

3.1 Gesellschaft und Bildungssystem

3.1.1 Gesellschaft

Wenn auf gesellschaftlicher Ebene von Digitalisierung gesprochen wird, ist damit meist die grundlegende Wandlung von Gesellschaft und Kultur („vierte industrielle Revolution“) gemeint, die jedoch nicht das Ende der Moderne bedeutet (Gudjons und Traub 2020), sondern einen Übergang (ebd., S. 372) bzw. eine Transformation (Friedrichs und Sanders 2002) darstellt. Verhandelt und reflektiert werden hier – auch mit Blick auf Bildung und Schule – auf einer makrostrukturellen Ebene u. a. Themen wie der Einfluss von Kommunikationsmedien auf Gesellschaftsstrukturen (Mediatisierung, Digitalisierung; vgl. z. B. Herzig und Martin 2019) bzw. soziale Ordnungen (Süssenguth 2015), Perspektiven des Medien- aber auch Digitalisierungsbegriffs (Schaumburg und Prasse 2019) sowie Diskurse zu Big Data, Datenschutz, Medienkritik, „Filter Bubbles“, „Fake News“ etc. Eng verknüpft sind die auf dieser Ebene liegenden Themen mit Überlegungen zu Welt- und Menschenbildern oder auch Schultheorien, da Schule als Mikrokosmos gesellschaftlicher Reproduktion (Fend 2008) betrachtet werden kann und damit der Frage nachgeht, welche Funktionen Schule in einer digitalisierten Gesellschaft erfüllt, unterstützt oder welche gar obsolet sind. Letztlich geht es also um grundlegende Fragen zum Verhältnis von Medien bzw. Medium und Pädagogik (Pirnay-Dummer und Spengler 2019). Ebenso lassen sich auf dieser Ebene kritische Auseinandersetzungen einordnen, wie die Kritik an einer fehlenden bildungs- und erziehungstheoretischen Verortung der Fragen von Digitalisierung (Hartong 2019), Fragen von Bildungsgerechtigkeit im digitalen Kontext (Drossel et al. 2019) bzw. der (Re‑)Produktion digitaler Ungleichheit (Kutscher 2019) sowie einer inklusiv-medialen Bildung (Filk und Schaumburg 2021), Fragen zu digitaler und datengestützter Selbstoptimierung (Ferraro et al. 2021) und damit verbunden häufig die Forderung nach einer analytisch-kritisch-reflexiven Perspektive von Medienbildung (siehe auch Abschn. 3.4.2).

3.1.2 Bildungssystem

Wenn es um Fragen der Digitalisierung auf Ebene des Bildungssystems geht, wird häufig über Ausstattungsfragen, globale (bildungspolitische) Strategien sowie die Digitalisierung als Professionalisierungsaufgabe und Thema der Lehrerinnen- und Lehrerbildung gesprochen. Als ein Ausgangspunkt dieser Betrachtungen können die Ergebnisse der regelmäßigen ICILS-Studien (z.B. ICILS 2019) gesehen werden, in denen Deutschland insgesamt schlecht abschnitt. Dieser Weckruf führte einerseits zur KMK-Strategie „Bildung in der digitalen Welt“ (2016) und in dessen Folge auch zum „Digitalpakt Schule“ (2019). In Bezug auf den Digitalpakt Schule werden Fragen auf makrostruktureller Ebene nach der personellen Ausstattung (Scheller 2019) sowie der Professionalisierung für die Gestaltung lernwirksamer Medien (Scheiter und Lachner 2019) diskutiert. Auf dieser Ebene lassen sich auch kritische Auseinandersetzungen mit digitalen Medien finden, wie beispielsweise den Diskurs zwischen Medien als „Katalysator für progressive Pädagogik“ und „Verstärker für ein traditionelles Bildungsverständnis“ und damit auch Fragen der Weiterentwicklung des Bildungssystems (Kammerl 2019) bzw. des Schulreformdiskurses (Eickelmann und Drossel 2019) adressieren. So spricht beispielsweise Rolff (1988) schon sehr früh von der „Medienrevolution“ (S. 67) und charakterisiert technologische Entwicklungen damit als eine der treibenden Kräfte für Reformen auf Systemebene.

3.2 Region und Schule

3.2.1 Region

Themen auf regionaler Ebene betreffen vor allem Fragen des technischen Supports der Einzelschulen, z. B. durch den Breitbandausbau, die technische Ausstattung der Schulen, die Verfügbarkeit und Zuverlässigkeit von WLAN-Verbindungen in Gebäuden, die 1:1 Ausstattung von Schülerinnen und Schülern, etc. (Schaumburg und Prasse 2019). Hier steht in der Regel die Kooperation zwischen der Einzelschule und dem Schulträger im Vordergrund.

3.2.2 (Einzel‑)Schule

Auf der Ebene der Einzelschule werden vor allem Themen der digitalisierungsbezogenen Schulentwicklung mit dem Ziel einer hohen Schulqualität verhandelt (Eickelmann und Drossel 2019). Dabei wird die Integration digitaler Medien in den Schul- und Unterrichtsalltag als Schulentwicklungsaufgabe gesehen (Gräsel et al. 2020) ebenso wie die Entwicklung schulspezifischer Konzepte zur Medienbildung für unterschiedliche Jahrgangs- und Schulstufen (Tulodziecki et al. 2019).

Einen weiteren Aspekt betreffen Fragen der digitalen und innovationsfreundlichen Schulkultur (Prasse 2012) bzw. des Medienklimas (Schaumburg und Prasse 2019), welches an der Einzelschule gemeinsam entwickelt und gelebt werden soll.

Beim Thema Digitalisierung und Schulentwicklung wird immer wieder auch die Rolle der (erweiterten) Schulleitung (Tulowitzki und Gerick 2020) bzw. von Steuergruppen diskutiert und beforscht. Die Managementaufgaben der Schulleitung betreffen dabei sowohl die strategische Ebene, die Ebene IT-Infrastruktur sowie die Planung des Medieneinsatzes in der Schule (Schaumburg und Prasse 2019).

3.3 Umfeld und Klasse

3.3.1 Direktes soziales Umfeld

Arbeiten mit Blick auf das direkte soziale Umfeld von Schülerinnen und Schülern lassen sich unter den Stichworten der mediatisierten, digitalisierten und datafizierten Lebens- und Umwelten bzw. Milieus finden. Dabei lassen sich einerseits Jugendstudien finden, die diese Fragen mit verhandeln, wie beispielsweise die aktuelle Shell-Studie 2019 (Shell Deutschland Holding 2019) oder die SINUS-Jugendstudie 2020 (Calmbach et al. 2020). Zudem gibt es spezifische Studien beispielsweise zum Mediennutzungsverhalten (KIM- und JIM-Studien, z. B.: MPFS 2020) oder zum „Leben“ in digitalisierten Welten (z. B. DIVSI-Studie 2018).

Weiterhin können hier auch Arbeiten verortet werden, die sich mit Themen der Bildungsbenachteiligung im Kontext von Digitalisierung beschäftigen (Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2020). Die Rolle der Eltern bei der Vermittlung von Medienkompetenz und damit als ein Aspekt der „Voraussetzungen“ der Lernenden (sieh auch Punkt 3.6.1) wird ebenso hier untersucht (Naab et al. 2022).

3.3.2 Klasse und Fach

Thematisch lässt sich zum einen die Medienbildung bzw. -erziehung als Teil des konkreten Lehr- und Bildungsplans eines Faches und zum anderen die fachspezifische Mediennutzung hier verorten. Zu Letzterem lassen sich konkrete Forschungen zur Fachspezifik des Einsatzes digitaler Medien (auch mit Folgen für die fachdidaktische Lehrerinnen- und Lehrerbildung) beispielsweise in den Naturwissenschaften (Nerdel und von Kotzebue 2020), der beruflichen Bildung (Becker und Spöttl 2019) oder der Mathematik (Metastudie von Hillmayr et al. 2020) finden. Auch fachunabhängige Forschungen, z. B. zum konkreten Einsatz von Erklärvideos zur Stärkung fachlichen Lernens (Schacht et al. 2019) oder zu Fragen des kollaborativen Arbeitens im Fach (Bodemer et al. 2018) lassen sich hier verorten.

Gleichzeitig gibt es Vorschläge sowohl aus der Wissenschaft als auch der Bildungspolitik für ein eigenes Unterrichtfach „Medien- oder Digitalkunde“ (Weinert 2019).

3.4 Unterricht, Angebot und Gegenstand

3.4.1 Unterricht und seine Vor- und Nachbereitung

Mehr oder weniger losgelöst von konkreten Lern- und Verstehensprozessen im Unterricht können auf einer übergeordneten Ebene zunächst unterschiedliche Formen des Unterrichts unterschieden werden, wie digitaler Distanzunterricht, Blended Learning Unterricht oder digital gestützte Formate. Zudem gilt es zu klären, welche Kontextbedingungen beim Einsatz digitaler Medien im Unterricht zu beachten sind (Stegmann et al. 2016), wie z. B. die Akzeptanz, Wiedergabetreue, Durchdringung, Nachhaltigkeit, Kosten etc. bzw. welche didaktischen Anforderungen an die Gestaltung von mediengestützten Lehr-Lern-Situationen auf unterrichtlicher/planerischer Ebene gestellt werden (Tulodziecki et al. 2019).

Ebenso lassen sich hier Forschungen verorten, die sich mit der Vor- und Nachbereitung des Unterrichts mithilfe digitaler Tools bzw. mittels formativen Assessment oder Feedback-Tools beschäftigen.

3.4.2 Angebot und Nutzung als Ko-Konstruktion und der Unterrichtsgegenstand

Medien als Unterrichtsgegenstand stellen bereits seit mehreren Jahren ein zentrales Forschungs- und Beschäftigungsfeld dar. Wenn Medien als Gegenstand des Unterrichts betrachtet werden, verbinden sich damit medienbezogene Erziehungs- und Bildungsaufgaben, die Kinder und Jugendliche dazu befähigen sollen, aktuelle und künftige gesellschaftliche Herausforderungen zu bewältigen (Asmussen et al. 2017). Zur Konzeptualisierung und Legitimation von Medienerziehung und -bildung gibt es verschiedene Ansätze (Grafe 2019; Tulodziecki et al. 2019). Die gängigsten sind die behütend-pflegende, die ästhetisch-kulturorientierte, die funktional-systemorientierte, die kritisch-materialistische und die handlungs- und kompetenzorientierte Sichtweise (Tulodziecki et al. 2019). Daran schließen sich auch unterschiedliche Konzeptualisierungen zur (schulischen) Vermittlung bzw. Förderung von Medienkompetenz an, die sich grob in fünf Kategorien einordnen lassen: Bewahren, Reparieren, Aufklären, Reflektieren, Handeln und Partizipieren (Schaumburg und Prasse 2019). Beim Lernen über Medien können folglich auch unterschiedliche Aspekte in den Fokus rücken und zum Unterrichtsgegenstand gemacht werden (vgl. Tab. 2).

Tab. 2 Aspekte von Medien als Unterrichtsgegenstand

Gapski (2019) geht noch einen Schritt weiter und fordert in diesem Kontext mehr als nur Digitalkompetenz, die es brauche, um sich „im reflektierten Verhältnis zu sich selbst und seinen mediatisierten und datafizierten Umwelten zu entfalten“ (S. 2). In diesem Kontext spricht Brüggen (2019) sich beispielsweise neben Kompetenzen zum Umgang mit digitaler Kommunikation auch dafür aus, in Schule immer wieder die Wechselwirkung gesellschaftlicher und technologischer Entwicklungen zu hinterfragen. Dieser Erweiterung des eher medienpädagogischen Kompetenzblickwinkels sollten beispielsweise politische und kulturelle Aspekte im Kontext von Digitalisierung (und Schulentwicklung) hinzugefügt und im Unterricht vermittelt werden (vgl. z. B. Dander et al. 2020).

Mit der Schulung der Medienkompetenz eng verknüpft sind auch übergreifende Entwicklungsaufgaben, wie die intellektuelle oder sozial-moralische Entwicklung (Tulodziecki et al. 2019). Abschließend soll noch auf die „anwendungsinnovative Säule“ (Weinert 2019, S. 144) mit Blick auf Medien als Unterrichtsgegenstand hingewiesen werden, wenn es z. B. um das Programmieren etc. im Unterricht geht.

3.5 Lehrende und ihr Handeln im Unterricht

3.5.1 Lehrende

Rücken die Lehrkräfte als pädagogisch Handelnde im Unterricht ins Blickfeld, dann fällt der Fokus häufig im weitesten Sinne auf ihre professionellen Kompetenzen, also z. B. ihre Medienkompetenz, ihre Einstellungen zu digitalen Medien, ihre Selbstwirksamkeit in Bezug auf den Umgang mit digitalen Medien oder ihre Innovationsbereitschaft.

Unter Medienkompetenz kann dabei verstanden werden, „digitale Angebote didaktisch sinnvoll in Unterrichtsprozesse zu integrieren und als didaktisches Werkzeug zu nutzen, um die allgemeine Unterrichtsqualität zu erhöhen“ (Lachner et al. 2020, S. 71; siehe auch Stürmer und Lachner 2017). Das am weitesten verbreitete Modell zur Medienkompetenz ist das TPACK-Modell (Technological Pedagogical Content Knowledge; Mishra und Koehler 2006), welches das Professionswissen von Lehrpersonen um eine technologiebasierte Komponente ergänzt. Bisher liegen jedoch nur wenige und teilweise gegensätzliche Befunde zu dieser Kompetenz von Lehrkräften vor (z. B. Rubach und Lazarides 2019; Senkbeil et al. 2019, 2020; zusammenfassend auch Lachner et al. 2020) bzw. nutzen diese fast ausschließlich selbstberichtete Kompetenzen (eine Ausnahme bildet beispielsweise die Studie von Lachner et al. 2019). Kompetenztheoretischen Professionsmodellen folgend nehmen auch die motivationale Orientierung und Einstellungen bzw. Überzeugungen von Lehrkräften eine prominente Stellung ein, was sich empirisch auch für den Bereich der Digitalisierung zeigen lässt (Knüsel Schäfer 2020; Lachner et al. 2020). Hinzu kommen Arbeiten mit Blick auf TAM-Modelle (Technology Acceptance Model), die die Akzeptanz von technikbasierten Innovationen im Unterricht bei Lehrkräften fokussieren (siehe Metaanalyse von Scherer und Teo 2019).

Weitere Aspekte sind Forschungen zu den wissenschaftlichen Annahmen von Lehkräften, zu Fehlkonzepten über das Lernen mit digitalen Medien (Eitel et al. 2019), zur sogenannten Innovationsbereitschaft von Lehrkräften (Schaumburg und Prasse 2019) sowie in einem berufsbiografischen Sinne Arbeiten zu Fragen der Lehrerfort- und -weiterbildungen (Schmidt-Hertha 2020). Arbeiten aus einer eher strukturtheoretischen und berufsbiographischen Professionsperspektive fehlen bisher.

3.5.2 Handeln der Lehrenden

Auf der Ebene des Handelns der Lehrpersonen lassen sich zwei Themenbereiche identifizieren. Einerseits die Vermittlung digitaler Kompetenzen als fächerübergreifendes Bildungsziel des 21. Jahrhunderts, bei welchem digitale Medien zum Inhalt bzw. Lerngegenstand werden (siehe ausführlich Abschn. 3.4.2) und es um das Verstehen und die Nutzung von sowie den kritischen Umgang mit (digitalen) Medien als Bildungsziel (soziale Teilhabe) geht.

Andererseits lassen sich hier Forschungen verorten, die die Nutzung digitaler Medien als (fach-)didaktisches Instrument, mit dem Ziel eines Mehrwertes für das Erreichen fachlichen Lernens, fokussieren (Petko 2019). Digitale Medien werden also nicht als Gegenstand, sondern als Methode bzw. Prozess zur methodischen Unterstützung von individuellen Lernprozessen zur Erreichung von Lernzielen betrachtet. Petko (2019) spricht hier vom didaktischen Medienbegriff und definiert „Medien als Werkzeuge der Speicherung, Übermittlung und Verarbeitung von lern- und unterrichtsrelevanten Informationen“ sowie zur Unterstützung von „individuelle[n] Denk- und soziale[n] Kommunikationsprozesse[n]“ (S. 205) und unterteilt Medien in Lehr- und Arbeits- bzw. Kommunikationsmedien.

Neben deskriptiven Studien, die den (seltenen) Einsatz von digitalen Medien im Unterricht attestieren (Eickelmann et al. 2014), hat in den vergangenen Jahren die Forschung zur Wirksamkeit von digitalen Medien im Unterricht deutlich zugenommen (Herzig 2014), so zum Beispiel zur Verbesserung der kognitiven Aktivierung (Stegmann 2020). Zusammenfassend lassen sich unterschiedliche Ziele und Handlungen mit dem didaktischen Einsatz von Medien verbinden (vgl. Tab. 3).

Tab. 3 Ziele und Handlungen mit Blick auf den didaktischen Einsatz von Medien

Mit Blick auf die Potenziale der verschiedenen Ziele und damit verbundenen Handlungen lassen sich einige v. a. internationale Forschungen finden (vgl. zusammenfassend Herzig und Martin 2019), so z. B. zur Anreicherung von Unterricht, zur Lernbegleitung und Adaptivität oder zum kooperativen Arbeiten.

Zur Integration digitaler Medien in ihrer didaktischen Funktion im Unterricht gibt es unterschiedliche Modelle (z. B. Herzig und Martin 2019), eines der bekanntesten ist das SAMR-Modell der Medienintegration (Puentedura 2012), welches unterschiedliche Formen der Integration (Substitution/Ersatz, Augmentation/Erweiterung, Modification/Veränderung, Redefinition/Neubestimmung) benennt.

Zahlreiche Autorinnen und Autoren betonen in diesem Kontext das sogenannte Primat der Pädagogik immer wieder und meinen damit, dass zwar mit Medien unterschiedliche Ziele erreicht und didaktische Funktionen erfüllt werden können (vgl. Tab. 3), jedoch immer zuerst die Frage geklärt werden sollte, welche Funktion im konkreten Lehr-Lernprozess mit Blick auf die Schülerinnen und Schüler und den Lerngegenstand benötigt wird. Hinzu kommt, dass entscheidend für den Lernerfolg nicht der bloße Einsatz eines Mediums ist, sondern die Unterrichtsqualität insgesamt, die sich aus der Orchestrierung digitaler und analoger Unterrichtsangebote ergibt.

3.6 Lernende, ihre Lernvoraussetzungen und ihr Handeln im Unterricht

3.6.1 Lernende und ihre Lernvoraussetzungen

Bereits in Abschn. 3.3.1 wurde über das Aufwachsen in mediatisierten und digitalisierten Lebenswelten gesprochen, was eine zentrale Lernvoraussetzung der Lernenden darstellt. In diesem Kontext wird auch diskutiert, inwiefern es die „digital natives“ überhaupt gibt (Kirschner und de Bruyckere 2017) bzw. inwiefern sie eine homogene Gruppe darstellen (DIVSI 2018). Beispielsweise zeigt sich in den internationalen ICILS-Studien (zuletzt 2018) ein eher schwaches Abschneiden deutscher Schülerinnen und Schüler mit Blick auf ihre digitalen Vorerfahrungen zur computer- und informationsbezogenen Kompetenzen.

Hinzu kommen Forschungen zur „problematischen“ Medienwirkungen, wie Cybermobbing, Computerspiel- und Internetsucht oder zum Zusammenhang von Internetnutzung und schulischen Leistungen (z. B. Wallner-Paschon et al. 2018).

3.6.2 Handeln der Lernenden

Auf der Ebene des Handelns der Lernenden, die spiegelbildlich auch zu den Abschn. 3.4.2 und 3.5.2 gesehen werden kann, unterscheiden Tulodziecki et al. (2019) einerseits nutzungsbezogene und andererseits inhaltsbezogene Aspekte. Unter ersteres fällt beispielsweise die reflektierte Nutzung medialer Angebote zur Informationsgewinnung und zum Lernen, zur Analyse und Simulation, zur Unterhaltung und zum Spiel, zum Austausch und zur Kooperation, zur Gestaltung und Präsentation sowie zum kritischen Umgang mit medialer Steuerung. Unter den inhaltsbezogenen Aspekten wird das Handeln der Lernenden mit Blick auf das Verstehen und Bewerten von Medienlandschaft und digitaler Infrastruktur, das Analysieren und Einschätzen von Gestaltungsmerkmalen und Erzeugungsprozessen, das Erkennen und Aufarbeiten, von Medieneinflüssen sowie das Durchschauen und Beurteilen von Medienproduktion und -verbreitung gefasst.

Hinzu kommen für das Lernen Aspekte wie Emotionen und Motivation (Schaumburg und Prasse 2019) bzw. die Aktivierung beim Lernen (siehe hierzu auch die entsprechenden Abschnitte und Forschungen in Abschn. 3.4.2 und 3.5.2).

4 Fazit

Das in diesem Beitrag vorgeschlagene Rahmenmodell zum Thema Digitalisierung aus schulpädagogischer Perspektive stellt einen Systematisierungsversuch des weiten Feldes dar und ersetzt selbstredend keine systematischen Reviews oder gar Metaanalysen. Mit dem Modell soll eine Antwort auf die Frage gegeben werden, welche Aspekte von Digitalisierung(sprozessen) aus einer dezidiert schulpädagogischen Perspektive in der Literatur existieren. Dabei zeigt sich auf den unterschiedlichen Ebenen, die in Kap. 3 behandelt wurden, dass vor allem ein Verständnis von Digitalisierung einerseits mit Fokus auf (bildungs-)technologische Aspekten und andererseits gesellschaftliche Herausforderungen vorherrschend ist.

Das Rahmenmodell verbindet die unterschiedlichen Ebenen des Bildungssystems und entfaltet einen spezifischen pädagogischen bzw. didaktischen Blick. So zeigen sich beispielsweise die Zusammenhänge zwischen Handeln von Lehrenden, Lernenden und Unterrichtsgegenstand durch Ko-Konstruktion im Feld der Digitalisierung oder die Verwobenheit der Lernvoraussetzungen der Lernenden (z. B. computer- und informationsbezogene Kompetenzen) mit dem direkten sozialen Umfeld (z. B. mediatisierte Lebenswelten). Gerade für den Zweck einer einordnenden Übersicht bietet das Rahmenmodell Potenziale für die Analyse des eigenen unterrichtlichen bzw. schulischen Handelns, für die Ausbildung von Lehrkräften sowie für die Schulentwicklung auf Einzelschulebene bzw. in regionalen Bildungslandschaften.

Weniger berücksichtigt werden in dem Rahmenmodell kulturelle und prozessuale Aspekte, die auch unter dem Begriff „Digitalisierung“ von zentraler Bedeutung sind, sich eher in der medienpädagogischen Literatur finden (siehe auch Kap. 2), jedoch ebenso von Relevanz für schulpädagogische Betrachtungen sein könnten (siehe hierzu beispielsweise Abschn. 3.1.1 sowie Dander et al. 2020; Kerres 2020; Stalder 2020). Diese „Engführung“ trotz der Breite des Modells ergibt sich aus der dezidiert schulpädagogischen Perspektive, die wiederum Einfluss auf die Literaturauswahl im Review hatte. Es lohnt sich für künftige Arbeiten, dieses Modell um weitere Aspekte, beispielsweise aus der Medienpädagogik und Medienbildung, zu erweitern. Bereits ein erster Blick in das Handbuch Medienpädagogik, von Sander et al. (2008), oder die Zeitschrift „MedienPädagogik“ und die darin verhandelten Themen und Diskussionen zeigt, welch großes Potenzial dies auch für die gegenseitige Befruchtung der Betrachtungen, Theoriebildungen und Forschungen im jeweiligen Feld hätte. Demzufolge soll das Vorgeschlagene Rahmenmodell aus schulpädagogischer Perspektive nur ein Anfang für künftige Diskussionen sein.