Zusammenfassung
In diesem Artikel wird eine Interviewstudie dargestellt, in der 108 Schulanfängerinnen und Schulanfänger bei der Bestimmung der Punkteanzahl im Zwanziger- und im Hunderterfeld beobachtet und befragt wurden. Es wird dokumentiert, dass die Kinder vielfältige Strukturdeutungen vornehmen, die in unterschiedlicher Weise auf den geometrischen und arithmetischen Beziehungen der Punkte und der den Punktefeldern zugrundeliegenden Gliederung des Dezimalsystems basieren. Hiervon ausgehend lassen sich Konsequenzen für die Unterrichtsgestaltung in Hinblick auf die Entwicklung der Zahlvorstellung und den diesbezüglichen Einsatz von dekadisch strukturierten Punktefeldern ableiten.
Abstract
This paper refers to an interview study conducted with 108 incoming first graders, who were observed and questioned while given the task to determine the quantities of decadal structured arrays of 20 and 100 dots. The documentary shows that the students refer to various arithmetical and geometrical structures based on diverse regularities of the arrays and the underlying idea of the decade system. Consequences for early elementary teaching regarding the conception of numbers and their visualization by decadal structured arrays of dots are drawn.
Notes
Struktur wird als die „Art und Weise, in der das Ganze gegliedert ist, die Beziehung zwischen den verschiedenen Bestandteilen“ (Lüken 2010, S. 573) definiert. Die Struktur eines Punktefelds bezieht sich daher auf die Beziehung der Punkte in ihrer konkreten Anzahl und Anordnung.
Als Muster- und Strukturkompetenz bezeichnet Lüken (2012) die Fähigkeit, in eine regelmäßige Anordnung mathematischer Objekte Beziehungen zu deuten.
Unter visueller Strukturierungsfähigkeit versteht Söbbeke (2005) die Deutungsweisen der Lernenden bei der Interpretation und Nutzung von Anschauungsmitteln.
Natürlich sind die Einschätzungen der Lehrkräfte bezüglich der Leistungsstände der Kinder zu Beginn des ersten Schuljahres nur bedingt aussagekräftig. Auf einen Test zur Erhebung der Leistungsstände wurde aus organisatorischen Gründen verzichtet.
Alle Prozentsätze gerundet.
Literatur
Battista, M. T., Clements, D. H., Arnoff, J., Battista, K., & Van Auken Borrow, C. (1998). Students’ spatial structuring of 2D arrays of squares. Journal for Research in Mathematics Education, 29(5), 503–532.
Beck, Ch., & Maier, H. (1993). Das Interview in der mathematikdidaktischen Forschung. Journal für Mathematik-Didaktik, 14(2), 147–179.
Benz, Ch. (2005). Erfolgsquoten, Rechenmethoden, Lösungswege und Fehler von Schülerinnen und Schülern bei Aufgaben zur Addition und Subtraktion im Zahlenraum bis 100. Hildesheim: Franzbecker.
Bonsen, M., Bos, W., Gröhlich, C., & Wendt, H. (2008). Bildungsrelevante Ressourcen im Elternhaus: Indikatoren der sozialen Komposition der Schülerschaften an Dortmunder Schulen. In Stadt Dortmund, Der Oberbürgermeister (Hrsg.), Erster kommunaler Bildungsbericht für die Schulstadt Dortmund 2007 (S. 125–149). Münster: Waxmann.
Caluori, F. (2004). Die numerische Kompetenz von Vorschulkindern. Theoretische Modelle und empirische Befunde. Hamburg: Kovač.
Deutscher, Th. (2012a). Arithmetische und geometrische Fähigkeiten von Schulanfängern. Eine empirische Untersuchung unter besonderer Berücksichtigung des Bereichs Muster und Strukturen. Wiesbaden: Vieweg.
Deutscher, Th. (2012b). Die GI-Schuleingangstests Mathematik: Vorkenntnisse feststellen und nutzen. Herausgegeben von G. N. Müller & E. Ch. Wittmann. Stuttgart: Klett.
Deutscher, Th., & Selter, Ch. (2013). Frühe mathematische Bildung – Forschungsbefunde und Förderkonzepte. In M. Stamm & D. Edelmann (Hrsg.), Handbuch frühkindliche Bildungsforschung (S. 543–556). Wiesbaden: Springer.
Flick, U. (1998). Qualitative Forschung. Theorie, Methoden, Anwendung in Psychologie und Sozialwissenschaften. Reinbek: Rowohlt.
Flick, U. (2005). Triangulation in der qualitativen Forschung. In: U. Flick, E. von Kardorff & I. Steinke (Hrsg.), Qualitative Forschung. Ein Handbuch (S. 309–318). Reinbek bei Hamburg: Rowohlt.
Ifrah, G. (1989). Universalgeschichte der Zahlen. Frankfurt a. M.: Campus.
Klaudt, D. (2005). Struktur und Repräsentation. Zum Verhältnis fachinhaltlicher Strukturen und individueller Wissensrepräsentation. In J. Engel, R. Vogel & S. Wessolowski (Hrsg.), Strukturieren – Modellieren – Kommunizieren. Leitbilder mathematischer und informatischer Aktivitäten (S. 15–25). Hildesheim: Franzbecker.
Krauthausen, G. (1995). Die „Kraft der Fünf“ und das denkende Rechnen – Zur Bedeutung tragfähiger Vorstellungsbilder im mathematischen Anfangsunterricht. In G. N. Müller & E. Ch. Wittmann (Hrsg.), Mit Kindern rechnen (S. 87–108). Frankfurt a. M.: Arbeitskreis Grundschule.
Krauthausen, G., & Scherer, P. (2006). Einführung in die Mathematikdidaktik. 2. Auflage. München: Elsevier.
Lamnek, S. (2005). Qualitative Sozialforschung. Weinheim: Beltz.
Lorenz, J. H. (1991). Materialhandlungen und Aufmerksamkeitsfokussierung zum Aufbau interner arithmetischer Vorstellungsbilder. In J. H. Lorenz (Hrsg.), Störungen beim Mathematiklernen (S. 53–73). Köln: Aulis.
Lorenz, J. H. (1992). Anschauung und Veranschauungsmittel im Mathematikunterricht. Göttingen: Hogrefe.
Lorenz, J. H. (1993). Veranschaulichungsmittel im arithmetischen Anfangsunterricht. In N. Knoche & W. Schwirtz (Hrsg.), Mathematiklernen im Grundschulalter (S. 16–35). Essen: Schriftenreihe des Fachbereichs Mathematik und Informatik, Universität GH Essen.
Lorenz, J. H. (2009). Zur Relevanz des Repräsentationswechsels für das Zahlenverständnis. In A. Fritz, G. Ricken & S. Schmidt (Hrsg.), Handbuch Rechenschwäche (S. 230–247). Weinheim: Beltz.
Lüken, M. (2010). Ohne „Struktursinn“ kein erfolgreiches Mathematiklernen – Ergebnisse einer empirischen Studie zur Bedeutung von Mustern und Strukturen am Schulanfang. In A. Lindmeier & S. Ufer (Hrsg.), Beiträge zum Mathematikunterricht. Vorträge auf der 44. Tagung für Didaktik der Mathematik, 08. – 12. März 2010, München (S. 573–576). Münster: WTM.
Lüken, M. (2012). Muster und Strukturen im mathematischen Anfangsunterricht. Grundlegung und empirische Forschung zum Struktursinn von Schulanfängern. Münster: Waxmann.
Mayring, Ph., & Jenull-Schiefer, B. (2005). Triangulation und „Mixed Methodologies“ in entwicklungspsychologischer Forschung. In G. Mey (Hrsg.), Handbuch Qualitative Entwicklungspsychologie (S. 515–527). Köln: Kölner Studien Verlag.
Menninger, K. (1958). Zahlwort und Ziffer. Eine Kulturgeschichte der Zahl. Band I. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.
Mulligan, J., & Prescott, A. (2003). First graders’ use of structure in visual memory and unitising area tasks. In P. Campbell, L. Bragg, & J. Mousley (Hrsg.), Mathematics education research: Innovation, networking, opportunity. Proceedings of the 26th Annual Conference of the Mathematics Education Research Group of Australasia (S. 539–546). Sydney: MERGA.
Mulligan, J., Mitchelmore, M., & Prescott, A. (2005). Case studies of children’s development of structure in early mathematics: A two-year longitudinal study. In H. L. Chick & J. L. Vincent (Hrsg.), Proceedings of the 29th Conference of the International Group for the Psychology of Mathematics Education, 4 (S. 1–8). Melbourne: PME.
Outhred, L., & Mitchelmore, M. (1992). Representation of area: A pictorial perspective. In W. Geeslin & K. Graham (Hrsg.), Proceedings of the sixteenth PME conference (S. 194–201). Durham: University of New Hampshire.
Rottmann, T., & Schipper, W. (2002). Das Hunderter-Feld – Hilfe oder Hindernis beim Rechnen im Zahlenraum bis 100? Journal für Mathematik-Didaktik, 23(1), 51–74.
Scherer, P. (1995). Entdeckendes Lernen im Mathematikunterricht der Schule für Lernbehinderte. Theoretische Grundlagen und evaluierte unterrichtspraktische Erprobung. Heidelberg: Winter, Programm Ed. Schindele.
Scherer, P., & Steinbring, H. (2001). Strategien und Begründungen an Veranschaulichungen – statische und dynamische Deutungen. In W. Weiser & B. Wollring (Hrsg.), Beiträge zur Didaktik der Mathematik für die Primarstufe: Festschrift für Siegbert Schmidt (S. 188–201). Hamburg: Kovač.
Schmidt, S. (2004). Was können Kinder am Schulanfang mathematisch wissen? Mathematik als Prozess – eine fortwährende Herausforderung für schulische Lehr-Lern-Prozesse. In: P. Scherer & D. Bönig (Hrsg.), Mathematik von Kindern. Band 117 (S. 14–25). Frankfurt a. M.: Grundschulverband – Arbeitskreis Grundschule.
Schründer-Lenzen, A. (1997). Triangulation und idealtypisches Verstehen in der (Re-) Konstruktion subjektiver Theorien. In B. Friebertshäuser & A. Prengel (Hrsg.), Handbuch Qualitative Forschungsmethoden in der Erziehungswissenschaft (S. 107–117). München: Juventa.
Söbbeke, E. (2005). Zur visuellen Strukturierungsfähigkeit von Grundschulkindern – Epistemologische Grundlagen und empirische Fallstudien zu kindlichen Strukturierungsprozessen mathematischer Anschauungsmittel. Hildesheim: Franzbecker.
Steinbring, H. (1994). Die Verwendung strukturierter Diagramme im Arithmetikunterricht der Grundschule. Zum Unterschied zwischen empirischer und theoretischer Mehrdeutigkeit mathematischer Zeichen. Mathematische Unterrichtspraxis, 15(4), 7–19.
Voigt, J. (1990). Mehrdeutigkeit als ein wesentliches Moment der Unterrichtskultur. Beiträge zum Mathematikunterricht (S. 305–308). Bad Salzdetfurth: Franzbecker.
Waldow, N., & Wittmann, E. Ch. (2001). Ein Blick auf die geometrischen Vorkenntnisse von Schulanfängern mit dem mathe 2000-Geometrie-Test. In W. Weiser & B. Wollring (Hrsg.), Beiträge zur Didaktik für die Primarstufe. Festschrift für Siegbert Schmidt (S. 247–261). Hamburg: Kovač.
Wittmann, E. Ch. (1994). Legen und Überlegen. Wendeplättchen im aktiv-entdeckenden Rechenunterricht. Die Grundschulzeitschrift, Heft 72, 44–46.
Wittmann, E. Ch., & Müller, G. N. (2004). Der GI-Eingangstest Arithmetik. In E. Ch. Wittmann & G. N. Müller (Hrsg.), Das Zahlenbuch 1. Lehrerband (S. 222–226). Leipzig: Ernst Klett.
Author information
Authors and Affiliations
Corresponding author
Rights and permissions
About this article
Cite this article
Deutscher, T. Geometrische und arithmetische Strukturdeutungen von Schulanfängerinnen und Schulanfängern bei Anzahlbestimmungen im Zwanziger- und im Hunderterfeld. J Math Didakt 36, 135–162 (2015). https://doi.org/10.1007/s13138-015-0072-2
Received:
Accepted:
Published:
Issue Date:
DOI: https://doi.org/10.1007/s13138-015-0072-2