In der Sportpädagogik hat die Diskussion um Inklusion in den vergangenen Jahren deutlich an Fahrt aufgenommen, was sich an der Vielfalt von Veröffentlichungen zu diesem Thema zeigt. Im Zuge des Inklusionsdiskurses ist auch der Diversitätsbegriff wieder vermehrt in den Fokus der wissenschaftlichen Diskussion geraten. Häufig werden die Begriffe aufgrund ihrer inhaltlichen Überschneidungen und ihrer ähnlichen Entstehungsgeschichte als Synonym aufgefasst (Allemann-Ghionda, 2013). Der größte Unterschied liegt dabei in der fachlichen Verortung (Keuchel, 2016; Georgi, 2015): Während der Begriff Diversität eher dem kultursoziologischen Diskurs zuzuordnen ist und sich historisch betrachtet auf Ethnien bzw. die soziale Herkunft bezieht, ist der Begriff Inklusion eher dem pädagogischen Diskus zuzuordnen mit einer Fokussierung auf Menschen mit Behinderung. Auch wenn keine einheitliche Definition des Begriffs vorliegt, besteht ein breiter Konsens im globalen Inklusionsdiskurs darin, dass Inklusion als Menschenrecht betrachtet wird, welches sich nicht allein auf Menschen mit Behinderungen beschränkt, sondern grundsätzlich alle Diversitätsdimensionen umfasst (Köpfer, Powell, & Zahnd, 2021; Katzenbach, 2015; Hinz, 2008). Die Gegenüberstellung dieser beiden zentralen Begriffe ist für diesen Beitrag von Bedeutung, da beide Ansätze Vielfalt grundsätzlich als wertvolle Ressource betrachten und die Individualität des Menschen in den Mittelpunkt rücken (Keuchel, 2016). Aufgrund der bereits erwähnten inhaltlichen Überschneidungen und aus forschungspragmatischen Gründen soll im Rahmen dieses Beitrags primär der Begriff Diversität verwendet werden, da er im Vergleich zum Inklusionsbegriff weniger diffus und normativ aufgeladen ist (Rühle, 2015). Im Kontext des inklusiven Sportunterrichts ist diversitätssensibles Unterrichten besonders relevant, wobei sich die methodisch-didaktischen Entscheidungen stets an den individuellen Voraussetzungen der jeweiligen Lerngruppe orientieren sollten (Tiemann, 2015, 2016).

Diversität und Inklusion im Kontext sportpädagogischer Forschung

Nach zögerlichem Start der Sportpädagogik in den Inklusionsdiskurs wird eine grundsätzliche Anerkennung und Wertschätzung von Diversität im Sinne der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK; UN, 2006) mittlerweile auch für den Schulsport eingefordert (Block, Giese, & Ruin, 2017). Die bisherigen empirischen Erkenntnisse zeigen allerdings auf, dass der Sportunterricht als ein besonders herausforderndes Fach im Kontext inklusiver Schulsettings betrachtet wird (Giese, Greisbach, Meier, Neusser, & Wetekam, 2021; Ruin, Giese, & Haegele, 2021). Zudem wird aufgrund der segregierenden Tradition des Schulsystems in Deutschland „heftiger als in anderen europäischen Ländern darüber gestritten, wie die UN-BRK auszulegen ist“ (Ahrbeck, Badar, Kauffman, Felder, & Schneiders, 2018, S. 219).

Eine zentrale Rolle im Inklusionsdiskurs spielen die Einstellungen und Haltungen der (angehenden) Sportlehrkräfte, die sowohl im nationalen als auch im internationalen Kontext besonders intensiv erforscht worden sind (Rischke, Heim, & Gröben, 2017; Hutzler et al., 2019; Reuker et al., 2016; Tant & Watelain, 2016). Die inklusionsbezogenen Einstellungen der Lehrkräfte werden dabei recht häufig durch bestimmte Aspekte, wie die Wahrnehmung der eigenen Unterrichtskompetenz (u. a. Tripp & Rizzo, 2006), private und berufliche Vorerfahrungen (Rischke et al., 2017; Hutzler et al., 2019), die Art und Schwere der Beeinträchtigung der Schüler*innen (Meegan & MacPhail, 2006; Obrusnikova, 2008), die inhaltliche Ausrichtung des Curriculums (Haycock & Smith, 2010; Smith & Green, 2004) und institutionelle bzw. schulorganisatorische Bedingungen des Unterrichts (Braksiek, Rischke, Gröben, & Heim, 2018) beeinflusst. Eine wertschätzende und anerkennende Haltung gegenüber Diversität kann insgesamt als Grundvoraussetzung betrachtet werden, damit inklusiver Sportunterricht gelingen kann (Tiemann, 2016).

Insgesamt ist der deutschsprachige Diskurs um Inklusion und Sport im Vergleich zu den internationalen Ansätzen mehr an generelle Fragen geknüpft, die sich beispielsweise auf schulstrukturelle Aspekte und mögliche Ziele und Inhalte eines (inklusiven) Sportunterrichts beziehen (Block et al., 2017). Außerdem stehen grundlegende Aspekte wie Leistung bzw. Leistungsbewertung (Meier, Haut, & Ruin, 2016; Jordan, 2017), Körperlichkeit (Giese & Ruin, 2018) oder auch bildungstheoretische Hintergründe (Giese, 2015) in der deutschsprachigen Fachdiskussion im Fokus.

Bei dieser gesellschaftlichen und bildungspolitischen Relevanz des Inklusionsdiskurses sei anzunehmen, dass die Diversitätsthematik auch in aktuellen Sportlehrplänen Berücksichtigung findet. Die Analyse der Sportlehrpläne ausgewählter Bundesländer von Ruin and Giese (2018) zeigt auf, dass die Vielfalt der Lernenden auf curricularer Ebene zwar grundsätzlich akzeptiert, allerdings auf der Inhaltsebene nicht weiter konkretisiert wird. In diesem Kontext muss jedoch relativierend darauf hingewiesen werden, dass sich die erwähnten Studienergebnisse ausschließlich auf die Lehrpläne der traditionell eher diversitätskritischen Gymnasien beziehen und vermutlich nicht in gleichem Maße auf die Lehrpläne anderer Schulformen zutreffen. Zudem zeigt die mit dem theoretischen Konzept des „Ableism“ verbundene Perspektive auf Sportlehrpläne, dass viele curriculare Vorgaben natürlich erscheinende Fähigkeitserwartungen in Bezug auf einen „fitten und gesunden Körper“ (Giese & Ruin, 2018; Ruin & Meier, 2017) oder die Reflexionsfähigkeit aller Lernenden (Giese & Buchner, 2019) unhinterfragt voraussetzen, obwohl diese Ansprüche nicht von allen Lernenden erfüllt werden können. Das Spannungsfeld von normierten Leistungserwartungen und einer heterogenitätssensiblen Unterrichtsgestaltung wird auch im internationalen Inklusionsdiskurs diskutiert (Haycock & Smith, 2010; Obrusnikova & Schoo, 2017) und soll im Rahmen der vorliegenden Untersuchung zu einem späteren Zeitpunkt vertiefend berücksichtigt werden (siehe Ergebnisvorstellung und Diskussion).

Obwohl normierte Bewertungsmaßstäbe im Sportunterricht noch weit verbreitet sind, ergeben sich in der schulischen Praxis Spielräume bei der Leistungsbewertung, die auf der subjektiven Einschätzung der erbrachten Leistung durch die Lehrkräfte beruhen (Haycock & Smith, 2010) und sich an individualisierenden Formen der Leistungsbewertung orientieren (Jordan, 2017; Feth, 2018). Wie empirische Studien aufzeigen konnten, handeln die Lehrkräfte somit häufig im Widerspruch zu den auf curricularer Ebene verankerten Bewertungskriterien (Haycock & Smith, 2010).

Diese Problematik scheint dagegen in Finnland auf bildungspolitischer Ebene keine große Rolle zu spielen: Eine erste Lehrplananalyse konnte aufzeigen, dass die kompetenzorientierten Lehrpläne in Finnland kaum mit normierten Leistungserwartungen und einer Orientierung an normativen (Bewegungs‑)Fertigkeiten einhergehen (Mihajlovic, 2019). Dieser exemplarische Blick auf das Thema Leistung zeigt bereits eine andere Perspektive auf den Umgang mit Diversität: Das finnische Kerncurriculum geht grundsätzlich von einer heterogenen Schülerschaft aus, während sich die curricularen Vorgaben in Deutschland aufgrund des dreigliedrigen Schulsystems an eine relativ homogene Schülerschaft richten (Giese & Ruin, 2018). Eine thematische Auseinandersetzung mit den curricularen Rahmenbedingungen anderer Länder erscheint insofern lohnenswert, da jedes Land eine eigene kulturelle Identität und ein eigenes Wertesystem besitzt, welches sich auch in den Lehrplänen widerspiegeln sollte (Vitikka, Krokfors, & Hurmerinta, 2012; Englund & Quennerstedt, 2008).

Ein Blick auf den aktuellen Forschungsstand zeigt, dass die bildungspolitischen Rahmenbedingungen des finnischen Schulsystems aus der Perspektive der Sportpädagogik bisher noch kaum untersucht worden sind. Die Zugänge in den bisherigen Publikationen beziehen sich insbesondere auf den US-amerikanischen und den britischen Raum (Block et al., 2017). Die internationalen Fachdiskurse im Kontext von „adapted physical education“ (APE) gehen mit einem reichhaltigen Erfahrungsschatz zum inklusiven Sportunterricht einher, in denen spezifische didaktische (Unterrichts‑)Konzepte und APE-Ausbildungsgänge für Lehrkräfte eine besondere Rolle spielen (Dillon, Giese, & Teigland, 2017; Mihajlovic, 2017). Forschungslücken bestehen vor allem in curricularen und schulorganisatorischen Aspekten der gemeinsamen Beschulung und im Bereich der (inklusiven) Lehrkräfteausbildung (Block et al., 2017; Köpfer et al., 2021). An dieser Forschungslücke anknüpfend werden in diesem Beitrag zunächst die Besonderheiten des finnischen Bildungssystems und bereits vorliegende Lehrplananalysen zum Umgang mit Diversität skizziert. Nach der Vorstellung des methodischen Vorgehens dieser Studie liegt der Fokus dann auf der Untersuchung der Thematisierung von Diversität in den aktuell gültigen Sportlehrplänen des finnischen Kerncurriculums. Ein besonderes Forschungsinteresse liegt dabei in der Fragestellung, welche verbindlichen Vorgaben Lehrkräften im Fach Sport als Orientierungsrahmen im Umgang mit Diversität in der schulischen Praxis dienen.

Finnland als Fallbeispiel

In struktureller Hinsicht bietet das finnische Bildungssystem günstige Voraussetzungen für einen produktiven Umgang mit Diversität. Die PISA-Studien zeigen, dass es Finnland als einem der wenigen Länder gelingt, den Einfluss der sozialen und kulturellen Herkunft auf die Bildungschancen gering zu halten. Dies ist auf verschiedene Einflussfaktoren, wie beispielsweise die kostenlose vorschulische Bildung und das sonderpädagogischen Fördersystem als Bestandteil der allgemeinbildenden Schulen zurückzuführen (Kansanen & Meri, 2006).

Obwohl in Finnland genderspezifische Aspekte (Berg & Lahelma, 2010; Kavoura & Kokkonen, 2020) und interkulturelle Fragen (u. a. Anttila, Siljamäki, & Rowe, 2018) im Kontext der inklusiven Schulsportforschung zentral diskutierte Themen sind, bestimmt die Kategorie „sonderpädagogischer Förderbedarf“ in Finnland weitgehend den Inklusionsdiskurs und das Verständnis inklusiver Beschulung (Malinen, Väisänen, & Savolainen, 2012). Dies zeigt sich auch in der Vielzahl von Veröffentlichungen zu dieser Diversitätsdimension im Kontext von Inklusion und besonders in Bezug auf das sonderpädagogische Fördersystem, welches in mehreren finnischen Fachbeiträgen als einer der Hauptgründe für den Erfolg des finnischen Schulsystems in den PISA-Studien angeführt wird (Hausstätter & Takala, 2011; Kivirauma & Ruoho, 2007). Das integrierte dreistufige Fördersystem ist seit der Reform im Jahre 2011 ein Kernelement im finnischen Schulsystem (Mero & Meri, 2017). Die Fördermaßnahmen werden je Förderstufe intensiver und kontinuierlicher. Die ersten beiden Förderstufen („general support“ und „intensified support“) stellen eine sehr flexible Form der schulischen Förderung dar und richten sich grundsätzlich an alle Schüler*innen. Diagnostische (Test‑)Verfahren finden erst ab der dritten Förderstufe („special support“) Anwendung. Es geht bei der Förderung grundsätzlich darum, zu erreichen, dass möglichst alle Kinder und Jugendlichen mit entsprechenden allgemeinen Fördermaßnahmen den Bildungsstandards des nationalen Lehrplans folgen können und gemeinsam beschult werden. Statistisch gesehen liegt der Inklusionsanteil von Kindern und Jugendlichen mit besonderem Förderbedarf („special support“) in allgemeinen Schulen in Finnland bei fast 90 % (Official Statistics of Finland, OSF, 2016), während der durchschnittliche Anteil in Deutschland bei der letzten Erhebung bei lediglich 43,1 % liegt (Hollenbach-Biele & Klemm, 2020).

Inklusive Beschulung wird allerdings zunächst als räumliche Integration verstanden, indem Lernende mit besonderem Förderbedarf einer bestimmten Klasse in einer allgemeinbildenden Schule zugewiesen werden (Mero & Meri, 2017). Dies heißt allerdings nicht zwangsläufig, dass der Unterricht ausschließlich gemeinsam im Klassenverband erfolgt. In der Regel nehmen Kinder und Jugendliche mit sonderpädagogischem Förderbedarf sowohl am gemeinsamen Unterricht als auch an Fördermaßnahmen in separaten Fördergruppen teil (Finnish National Board of Education, FNBE, 2016; OSF, 2016; Mero & Meri, 2017). Außerdem haben sich in Finnland in der schulischen Praxis besondere Strukturen des Umgangs mit geschlechtsspezifischen Unterschieden etabliert. So werden Jungen und Mädchen in der Regel ab der Sekundarstufe I geschlechtlich getrennt unterrichtet, wobei die Jungen von einer männlichen Lehrkraft und die Mädchen von einer weiblichen Lehrkraft unterrichtet werden (Berg & Lahelma, 2010; Yli-Piipari, 2014).

Ein Blick auf das finnische Kerncurriculum erscheint für den deutschsprachigen Diskurs insofern gewinnbringend, da Finnland über einen Wissens- und Erfahrungsvorsprung bezüglich des gemeinsamen Lernens von Schüler*innen mit und ohne Behinderungen im (Sport‑)Unterricht verfügt (Graham & Jahnukainen, 2011), der auch die deutsche sportpädagogische Diskussion bereichern könnte. Für den deutschsprachigen Diskurs sind in diesem Kontext auch schulorganisatorische Aspekte zur gemeinsamen Beschulung von Menschen mit Behinderungen von Interesse, wie der in Finnland verbindliche „Individual Education Plan“ (IEP), der dazu beiträgt, dass der (Sport‑)Unterricht den individuellen Fähigkeiten und Bedürfnissen aller Schüler*innen gerecht wird.

Die gesellschaftlichen und bildungspolitischen Rahmenbedingungen unterscheiden sich in Finnland allerdings grundlegend von denen in Deutschland: Neben dem Aufbau des Schulsystems gilt dies besonders für die Bevölkerungsstruktur sowie die spezifischen Theoriekonzepte und Forschungstraditionen (Vitikka et al., 2012; Kansanen & Meri, 2006). Angenommen wird, dass sich diese landesspezifischen Rahmenbedingungen auch in der Thematisierung von Diversität in den aktuellen curricularen Vorgaben widerspiegeln. Andererseits muss auch die mögliche Übertragbarkeit der finnischen Ansätze auf die spezifische Situation in Deutschland überprüft werden und die Frage gestellt werden, ob (trotz dieser unterschiedlichen Voraussetzungen) auch Gemeinsamkeiten auf der konzeptionellen und theoretischen Ebene zwischen beiden Ländern bestehen.

Merkmale und Funktionen von Lehrplänen

Während fachdidaktische Konzepte lediglich einen empfehlenden Charakter für die Unterrichtspraxis haben, geben Lehrplandokumente verbindliche Richtlinien für die Gestaltung des (Sport‑)Unterrichts vor (Stibbe, 2016; Ennis, 2013). Allerdings zeigen empirische Studien aus Deutschland auf, dass Lehrpläne nur bedingt handlungsleitend für Lehrkräfte sind: So werden Lehrpläne von Sportlehrkräften zwar für ihre berufliche Praxis als notwendig erachtet, jedoch werden die Vorgaben von den Lehrkräften häufig sehr unterschiedlich interpretiert und umgesetzt (Krüger & Wahl, 2018; Stibbe, 2016). Lehrpläne stellen oft Unterrichtsideale dar, die sowohl von soziokulturellen Faktoren und Traditionen sowie den Ideologien der jeweiligen Akteurinnen und Akteuren geprägt sind, die in der Lehrplanentwicklung involviert sind (Krüger & Wahl, 2018).

In Finnland wurde das aktuelle Kerncurriculum in einem 2,5-jährigen Entwicklungsprozess von über 30 beteiligten Arbeitsgruppen entwickelt (Lähdemäki, 2019). Dabei spiegeln sich die gesellschafts- und bildungspolitischen Entscheidungen in den allgemein formulierten Bildungs- und Erziehungszielen sowie den fachspezifischen Unterrichtszielen- und Inhalten wider. Diese curricularen Vorgaben werden in den schulinternen Lehrplänen auf lokaler Ebene weiter konkretisiert, wobei die (Sport‑)Lehrkräfte in Finnland traditionell eine wichtige Rolle in der Entwicklung und Implementierung der schulspezifischen Lehrpläne einnehmen (Richter, 2004; Yli-Piipari, 2014). Aus der Perspektive der Lehrkräfte dienen die curricularen Vorgaben in Finnland als verbindliche und handlungsleitende Richtlinien für die schulische Praxis und zur Legitimation ihres professionellen Handelns (Yli-Piipari, 2014; Mihajlovic, 2019).

Auch wenn die curricularen Vorgaben für die Lehrkräfte in der Praxis nicht immer eine handlungsleitende Funktion besitzen, so erscheint eine Analyse der finnischen Lehrpläne für den deutschsprachigen Diskurs dennoch gewinnbringend, da Lehrplandokumente Einblicke in die fachdidaktischen Traditionen und bildungspolitischen Rahmenbedingungen bieten können. In der Regel orientieren sich Sportlehrpläne an den aktuellen pädagogischen und fachdidaktischen Diskursen (Prohl & Krick, 2006), haben jedoch als Ausdruck bildungspolitischer Vorgaben auch eine legitimierende Funktion (Ruin, 2016; Stibbe, 2016). Sportlehrpläne entstehen somit in einem Spannungsverhältnis zwischen Bildungspolitik und Fachpädagogik bzw. Fachdidaktik (Ruin, 2016), welches auch in den finnischen Sportlehrplänen deutlich wird (Hakala & Kujala, 2015; Mihajlovic, 2019).

Lehrplananalysen zur konzeptionellen Ausrichtung des finnischen Sportunterrichts und zum Umgang mit Diversität

Zum Umgang mit Diversität auf bildungspolitischer Ebene liegt eine deutschsprachige Studie vor: Rühle (2015) untersuchte im Rahmen einer vergleichenden Untersuchung zwischen Finnland und Deutschland die intendierten Bildungsziele und -inhalte im Kontext von Diversität. Dabei kommt sie – basierend auf zwei Fallstudien in Deutschland und Finnland – zu dem Ergebnis, dass die Bildungsstrukturen in Finnland den Umgang mit Diversität besonders begünstigen, was sich insbesondere hinsichtlich der Diversitätsaspekte Geschlecht, kulturelle Identität und sprachlicher Hintergrund zeigt.

Bereits vorliegende Lehrplananalysen zur konzeptionellen Ausrichtung des finnischen Sportunterrichts beziehen sich in erster Linie auf das Curriculum aus dem Jahr 2004 (Yli-Piipari, 2014; Heikinaro-Johansson & Telama, 2005; Richter, 2004). Richter (2004) gehört zu den wenigen deutschsprachigen Autor*innen, die sich mit den strukturellen und curricularen Bedingungen des Sportunterrichts in Finnland auseinandergesetzt hat. Im Einklang mit anderen Beiträgen (Klemola, 1987; Heikinaro-Johansson & Telama, 2005; Yli-Piipari, 2014) betont sie die lange Tradition der gesundheitsorientierten Ausrichtung des finnischen Sportunterrichts.

Außerdem hat sich auf fachspezifischer Ebene ein Wandel hinsichtlich der konzeptionellen Ausrichtung des Sportunterrichts vollzogen (Mihajlovic, 2019). Die Ziele und Inhalte des Sportunterrichts sind in den vergangenen Jahrzehnten stets durch den gesellschaftlichen Aspekt der Gesundheit und der körperlichen Fitness legitimiert worden (Heikinaro-Johansson & Telama, 2005). Frühere Lehrplananalysen haben allerdings auch aufgezeigt, dass dem finnischen Sportunterricht ein Lernverständnis zu Grunde liegt, welches Lernen als einen ganzheitlichen Prozess auffasst und auch Fragen der Persönlichkeitsentwicklung berücksichtigt (Richter, 2004; Yli-Piipari, 2014). Im aktuellen finnischen Kerncurriculum rücken im Sinne eines mehrperspektivischen Unterrichts neben den fachbezogenen Inhaltsbereichen (motorische, soziale und psychologische Funktionsfähigkeit) auch überfachliche Kompetenzbereiche in den Vordergrund (FNBE, 2016). Das Prinzip der Mehrperspektivität gilt aufgrund der thematischen Offenheit im sportpädagogischen Diskurs als eine gewinnbringende Herangehensweise für die Gestaltung inklusiven Unterrichts (Ruin & Meier, 2016). Eine Vorgabe bestimmter pädagogischer Perspektiven (z. B. Leistung, Wagnis), wie sie sich im deutschen Sprachraum durchgesetzt haben, sind in den finnischen Lehrplänen in dieser Form jedoch nicht zu finden. Bezogen auf die konzeptionelle Ausrichtung des Sportunterrichts sind im finnischen Kerncurriculum jedoch durchaus Ähnlichkeiten zu den aktuellen fachdidaktischen Empfehlungen und curricularen Entwicklungen in Deutschland zu erkennen. An diesem Verständnis anknüpfend, greifen die aktuellen finnischen Sportlehrpläne auch den in der deutschsprachigen Sportpädagogik formulierten Doppelauftrag des erziehenden Sportunterrichts als übergreifendes Ziel des Sportunterrichts auf (FNBE, 2016, S. 260). Das Konzept des „Erziehenden Sportunterricht“ hat sich im deutschsprachigen Raum auf fachdidaktischer Ebene etabliert und ist auch in den Lehrplänen vieler (Bundes‑)Länder (Deutschland, Luxemburg, Schweiz und Österreich) die aktuell gültige pädagogische Grundlegung für den Schulsport (Poweleit, 2021).

Methodisches Vorgehen

Aufbau der Untersuchung

Zur Analyse der Thematisierung von Diversität im aktuellen finnischen Kerncurriculum wurde das Dokument anknüpfend an das methodische Vorgehen von Ruin und Giese (2018) anhand deduktiv gebildeter Analysekategorien qualitativ-inhaltsanalytisch ausgewertet. Im Sinne einer qualitativen Dokumentenanalyse (Glaser, 2013) wurde das analysierende Dokument zunächst einer Quellenkritik unterzogen und anschließend systematisch hinsichtlich thematischer Zusammenhänge charakterisiert (Abb. 1). Das finnische Kerncurriculum für die Primarstufe und der Sekundarstufe I (Klassenstufen 1–9) unterteilt sich in einen allgemeinen und einen fachspezifischen Teil. Das Dokument lag in englischer Sprache vor und umfasst in digitaler Form insgesamt 752 Seiten. Zur Analyse hinzugezogen wurden der allgemeingültige Teil (im Umfang von 172 Seiten) und die fachspezifischen Vorgaben für den Sportunterricht der Klassen 1–2, 3–6 und 7–9. Zudem wurde zum umfassenden Verständnis der bildungspolitischen Rahmenbedingungen auch auf Lehrplananalysen der vorherigen Version des nationalen Kerncurriculums (aus dem Jahr 2004), gültige Schulgesetze sowie auf Fachliteratur zu dieser Thematik zurückgegriffen.

Abb. 1
figure 1

Aufbau des finnischen Kerncurriculums. (eigene Darstellung)

Um den Aspekt der Diversität im Rahmen dieser Dokumentenanalyse berücksichtigen zu können, bietet sich eine Systematisierung, Konkretisierung und Priorisierung der verschiedenen Diversitätsdimensionen an (Trautmann & Wischer, 2011). Nach Anwendung dieser Schritte auf die vorliegende Untersuchung wurden verschiedene Kategorien festgelegt (Ruin & Giese, 2018; Rulofs, 2014): Als Analysekategorien dienten neben der Kategorie „Diversität“ in einem umfassenden Sinne (Tab. 1) die drei Kerndimensionen Gender, Interkulturalität und sonderpädagogischer Förderbedarf (Ruin & Giese, 2018). Diese drei Diversitätsdimensionen wurden gewählt, da sie im Inklusionsdiskurs von besonderer Relevanz sind (Ruin & Stibbe, 2018).

Tab. 1 Deduktive Analysekategorien. (Adaptiert nach Ruin & Giese, 2018)

Während die beiden Kategorien „Gender“ und „Interkulturalität“ analog zur Untersuchung von Ruin und Giese (2018) die Aspekte Geschlecht und sexuelle Orientierung bzw. Nationalität und Werteorientierung/Weltanschauung umfassen, nimmt die Kategorie „sonderpädagogischer Förderbedarf“ Schüler*innen der Förderstufe „special support“ in den Blick. In der Regel verfügen diese Kinder und Jugendlichen über einen besonders hohen Unterstützungsbedarf, der mit dem diagnostizierten sonderpädagogischen Förderbedarf (bzw. dem Begriff der Behinderung) im deutschen Sprachraum vergleichbar ist (Kultusministerkonferenz, KMK, 2011).

Datenanalyse

Als methodischer Zugang zur Dokumentenanalyse wurde die „strukturierende Inhaltsanalyse“ (Mayring, 2010) gewählt. Das Dokument wurde mit Hilfe eines Leitfadens codiert und zunächst mit deduktiver Kategorienanwendung ausgewertet.

Ausgehend vom theoretisch abgeleiteten Kategoriensystem, wurde für die jeweiligen Hauptkategorien festgelegt, welche Textbestandteile unter die einzelnen Kategorien fallen. Anschließend wurden mit Hilfe konkreter Textstellen Ankerbeispiele für die entsprechenden Kategorien identifiziert sowie Codierregeln formuliert, die eine eindeutige Zuordnung zu den Kategorien ermöglichte (Mayring, 2010).

Konkret bestand die Analyse des Curriculums aus zwei Schritten, die sich auf eine deduktiv-induktive Mischform der Inhaltsanalyse (Kuckartz, 2014) beziehen: Der erste Analysevorgang setzte zunächst bei den Thematisierungsformen von Diversität in den allgemeinen Richtlinien des Curriculums und den fachspezifischen Vorgaben in den Sportlehrplänen an. Das Dokument lag in elektronischer Form vor und wurde zunächst in einem ersten Analyseschritt mit Hilfe der deduktiven Oberkategorien (sowie den inhaltlich verwandten Schlüsselbegriffen) analysiert, um das explizite Vorkommen der Begriffe quantitativ zu erfassen. Insgesamt wurden 365 Textsegmente identifiziert, die dem Begriff Diversität im weiteren Sinne zugeordnet werden konnten. Dabei wurden die meisten Treffer im Zusammenhang mit der pädagogischen Grundlegung sowie der inklusiven Werteorientierung im allgemeinen Teil des Curriculums ausfindig gemacht. Im zweiten Schritt wurden die identifizierten Textstellen auf qualitativ-inhaltlicher Ebene untersucht. Die Analyse setzte hierbei schrittweise auf der Satz- und Absatzebene an, wobei die jeweiligen Sätze bzw. inhaltlich zusammenhängenden Absätze den festgelegten Oberkategorien des Kategoriensystems zugeordnet wurden. Die Analyse der spezifischen Diversitätsdimensionen („sonderpädagogischer Förderbedarf“, „Gender“ und „Interkulturalität“) erfolgte dann analog zum ersten Teil der Dokumentenanalyse ebenfalls mit Hilfe der deduktiv gebildeten Kategorien. Im Laufe des Analyseprozesses wurden die Kategorien und der Kodierleitfaden im Sinne einer „formativen Reliabilitätsprüfung“ (Mayring, 2010, S. 59) überarbeitet. Dabei wurden die Codierregeln und Ankerbeispiele neu definiert bzw. überarbeitet, wenn neue inhaltliche Aspekte bei der Analyse des Datenmaterials auftauchten. Somit entstanden im Laufe des Analyseprozesses für jede Hauptkategorie zwei induktiv gebildete Unterkategorien, die zwei Thematisierungsformen von Diversität (und den untersuchten Einzeldimensionen) umfassen: das Thema Diversität im Kontext allgemeiner Bildungsziele und Grundwerte sowie der pädagogische Umgang mit Diversität in der schulischen Praxis. Nachdem bei den weiteren Materialdurchgängen keine neuen Aspekte mehr auftauchten, erfolgte der endgültige Materialdurchgang mit Hilfe des Kategoriensystems. Die Ergebnisse der Analyse werden im Folgenden vorgestellt.

Ergebnisse

Diversität

Diversität in den allgemeinen Richtlinien des Curriculums

Auf curricularer Ebene ist das Prinzip der inklusiven Bildung als Menschenrecht verankert (FNBE, 2016). Dieses lässt sich vor allem auf die Ratifizierung der UN-BRK zurückführen, mit einem Recht auf lebenslange Bildung und gleiche Teilhabechancen für Menschen mit Behinderung in einem inklusiven Bildungssystem. Das nationale Curriculum nimmt bei der Umsetzung einer inklusiven Bildung explizit die Schulen in Verantwortung:

The development of basic education is guided by the inclusion principle. The accessibility of education must be ensured. Each school providing basic education has an educational task. This means supporting the pupils’ learning, development and well-being in cooperation with the homes. (FNBE, 2016, S. 31)

Schulische Bildung wird in diesem Kontext als ein Grundrecht für alle betrachtet, was explizit Kinder und Jugendliche mit besonderen Bedürfnissen einschließt (Kansanen & Meri, 2006). Dies impliziert anknüpfend an das Verständnis der UN-BRK den gleichberechtigten Zugang zu einem hochwertigen Unterricht in der allgemeinen Schule für alle Lernenden (FNBE, 2016, S. 22). Im Einklang mit dem von der UNESCO (2009) formulierten Anspruch, geht es auf schulischer Ebene auch darum, diese menschenrechtlichen Grundwerte zu vermitteln und zu verteidigen: „Basic education educates the pupils to know, respect and defend human rights“ (FNBE, 2016, S. 31). Exklusion wird in diesem Kontext als eine Verletzung des Grundrechts jedes Menschen auf Bildung betrachtet. Dies wird im Rahmencurriculum als eine Bedrohung der individuellen Entwicklung des Kindes verstanden:

Exclusion from learning means that a child’s educational rights are not implemented and is a threat to his or her healthy growth and development. (FNBE, 2016, S. 25)

Anknüpfend an das Verständnis von Mero and Meri (2017), gilt das Grundprinzip, dass alle Menschen das Recht haben, so lange gleichermaßen gebildet zu werden wie möglich. In den Richtlinien zur Entwicklung einer inklusiven Schulkultur (FNBE, 2016, S. 49 ff.) wird dabei der Aspekt der Wertschätzung von Individualität hervorgehoben:

A learning community promotes equity and equality. Members of the community are encountered and treated as equals, independently of any personal characteristics. Equality does not mean that everyone is the same. Equal treatment comprises both safeguarding everybody’s fundamental rights and opportunities for participation and addressing individual needs. (FNBE, 2016, S. 49)

Insgesamt wird auf curricularer Ebene eine grundsätzliche Wertschätzung der Diversität der Lernenden deutlich. Im Vergleich zu den früheren Lehrplänen (FNBE, 2004; Rühle, 2015) wird das Thema Diversität in den allgemeinen Vorgaben des aktuellen Kerncurriculums deutlich prominenter ausgewiesen und in vielfacher Weise adressiert. Dies zeigt sich an vielen Stellen des Kerncurriculums in der ausdrücklichen Hinwendung zum Individuum. So werden auch Lernende mit besonderen Bedürfnissen als vollwertige Mitglieder der Schulgemeinschaft verstanden, wobei Individualität grundsätzlich als Bereicherung aufgefasst wird (FNBE, 2016, S. 31).

Diversität in den Sportlehrplänen

Die curricularen Vorgaben für das Fach Sport werden wie in Abb. 1 dargestellt, altersspezifisch für die Klassenstufen 1–2, 3–6 und 7–9 unterteilt. Die fachspezifischen Vorgaben des Sportunterrichts knüpfen grundsätzlich an den wertschätzenden Umgang mit Diversität an, wie er auch in den allgemeinen pädagogischen Richtlinien beschrieben wird:

Physical education promotes equity, equality, and togetherness and supports cultural diversity. (FNBE, 2016, S. 260)

Auch wenn die spezifischen Heterogenitätsdimensionen „Gender“, „Interkulturalität“ und „sonderpädagogischer Förderbedarf“ in den Sportlehrplänen kaum erwähnt werden, so wird dennoch eine ausdrückliche Hinwendung zum Individuum deutlich. Es finden sich mehrfach Hinweise, die die individuellen Voraussetzungen und Potenziale der Lernenden als Ausgangspunkte der Unterrichtsgestaltung einfordern (FNBE, 2016; S. 31; S. 48; S. 263). Um die Ziele des Sportunterrichts zu erreichen, wird in diesem Auszug aus dem Curriculum exemplarisch die Rolle einer wertschätzenden Unterrichtsatmosphäre hervorgehoben:

An encouraging and accepting atmosphere is a prerequisite for the achievement of the objectives of physical education. (FNBE, 2016, S. 263)

Um den unterschiedlichen Lernausgangslagen der Schüler*innen gerecht zu werden, sind im Sportunterricht individualisierte Arbeitsformen und wertschätzendes Feedback von Bedeutung (FNBE, 2016, S. 263). In den Sportlehrplänen wird zudem an mehreren Stellen die Bedeutung einer „sicheren“ Lernumgebung und Unterrichtsgestaltung hervorgehoben, die sich an den besonderen Bedürfnissen der Kinder und Jugendlichen orientieren sollten. So heißt es exemplarisch in den Lehrplänen:

Taking the individual characteristics of pupils into account, having a safe learning environment, and a clear organisation and teaching communication are essential in the instruction. (FNBE, 2016, S. 263)

Analog zu den bisherigen Lehrplananalysen im Fach Sport (Richter, 2004; Yli-Piipari, 2014) findet der pädagogische Umgang mit Diversität auf fachspezifischer Ebene deutlich weniger Beachtung als in den allgemeingültigen Richtlinien. Methodische Vorschläge zur konkreten Umsetzung des Sportunterrichts sind den Lehrplankonzeptionen selten zu finden. Es bleibt also in der Verantwortung der Lehrkräfte auf schulischer Ebene, eigene methodische Entscheidungen zu treffen.

Gender

Das finnische Kerncurriculum verweist an mehreren Stellen auf die Diversitätsdimension „Gender“. In Kap. 3 des nationalen Curriculums wird der „Gender“-Aspekt in den allgemeinen Richtlinien zu Erziehung und Bildung aufgegriffen. Dort heißt es konkret:

Basic education encourages girls and boys to study different subjects equally and promotes information and understanding of the diversity of gender. Each pupil is supported in recognizing their personal potential and selecting learning paths without role models determined by gender. (FNBE, 2016, S. 31)

Die Aufgabe der Schule besteht demnach darin, Ungleichheit und Ausgrenzung zu verhindern und die Gleichstellung der Geschlechter zu fördern. Jede Schülerin und jeder Schüler sollte bei der Erkennung persönlicher Interessensgebiete und Potenziale sowie bei der Auswahl eines individuellen Lernweges unterstützt werden, unabhängig von geschlechtsspezifischen Rollenvorgaben (FNBE, 2016, S. 31). In den Grundsätzen für die Entwicklung einer (inklusiven) Schulkultur wird der Gender-Aspekt ebenfalls aufgegriffen (FNBE, 2016, S. 49). Dabei wird in den curricularen Richtlinien darauf hingewiesen, dass die Lernenden ihre Geschlechtsidentität und Sexualität im Laufe ihrer Schullaufbahn entwickeln. Das Schulumfeld hat die Aufgabe, die Gleichstellung der Geschlechter zu fördern und die Kinder und Jugendlichen bei der Bildung ihrer Geschlechtsidentität zu unterstützen (FNBE, 2016). Auch in Hinblick auf den Unterricht wird das Bewusstsein der Lehrkräfte bzw. der Lerngemeinschaft gefordert, geschlechtssensible Aspekte wahrzunehmen und die Lernenden dabei zu unterstützen, bestehende Geschlechterrollen zu hinterfragen (FNBE, 2016, S. 49). In den allgemeinen Richtlinien zur Gestaltung des Unterrichts wird der geschlechtssensible Umgang also umfangreich thematisiert, allerdings findet es in den fachspezifischen Vorgaben des Sportunterrichts keine Erwähnung. Im finnischen Kerncurriculum von 2004 wird in den Lehrplänen für die Klassenstufen 5–9 jedoch noch explizit darauf hingewiesen, dass im Sportunterricht die unterschiedlichen Bedürfnisse von Jungen und Mädchen hinsichtlich der individuellen körperlichen und sozial-emotionalen Entwicklung berücksichtigt werden müssen (FNBE, 2004, S. 18). Der aktuelle Lehrplan formuliert für das Fach Sport die gleichen Unterrichtsziele und Inhalte für Mädchen und Jungen und lässt offen, ob der Unterricht koedukativ oder geschlechtlich getrennt organisiert wird. Wie in der finnischen Fachliteratur beschrieben wird, können die Schulen in Finnland in der Regel selbst darüber entscheiden, den Sportunterricht entweder koedukativ oder geschlechtlich getrennt zu organisieren (Yli-Piipari, 2014; Heikinaro-Johansson & Telama, 2005). In den Klassen 1–4 der Grundschulen nehmen Mädchen und Jungen normalerweise gemeinsam am Sportunterricht teil, während in den Klassen 5–9 geschlechtlich getrennte Klassen die typisch sind.

Interkulturalität

In den allgemeingültigen Richtlinien wird die Diversitätsdimension „Interkulturalität“ mehrfach aufgegriffen. Die Wertschätzung kultureller Vielfalt, verschiedener Religionen und Mehrsprachigkeit wird im folgenden Auszug deutlich:

Different identities, languages, religions and worldviews coexist and interact. Internationalisation at home is an important resource for a learning community. The community appreciates and draws upon the country’s cultural heritage and national languages as well as cultural, linguistic, religious and philosophical diversity in the community itself and in its environment. It brings up the importance of the Sámi culture and various minorities in Finland. (FNBE, 2016, S. 48)

In diesem Kontext wird auch die Bedeutung von Minderheiten in Finnland, wie z. B. der Sámi-Kultur hervorgehoben. Themen, die die Interkulturalität betreffen, werden zudem spezifisch in zwei eigenen Kapiteln behandelt. In Kap. 9 und 10 des Curriculums wird der wertschätzende Umgang mit sprachlicher und kultureller Vielfalt (hier insbesondere den „Sámi“ und „Roma“) sowie der pädagogische Umgang mit Mehrsprachigkeit detailliert beschrieben (FNBE; S. 48 ff.). So sollten bei der Unterrichtsplanung der kulturelle Hintergrund und die sprachlichen Fähigkeiten der Lernenden im Unterricht der Klassen 1–9 berücksichtigt werden:

School work may include multilingual teaching situations where the teachers and pupils use all languages they know. The knowledge that the pupils and their guardians and communities have of the nature, ways of living, history, languages and cultures in their own linguistic and cultural areas are drawn upon in the instruction. (FNBE, 2016, S. 31)

Diese Formulierung entspricht der von der UNESCO (2009) geforderten Wertschätzung von Vielfalt und Toleranz durch das Curriculum. Ähnlich wie der Gender-Aspekt, wird jedoch auch die Diversitätsdimension „Interkulturalität“ in den Sportlehrplänen kaum thematisiert. Lediglich an einer Stelle findet sich der Hinweis, dass der Sportunterricht dazu beiträgt, kulturelle Diversität zu fördern (FNBE, 2016, S. 260). Dieser Aspekt wird jedoch nicht weiter konkretisiert. In den früheren Sportlehrplänen wird dagegen die Bedeutung der nationalen Sport- und Bewegungskultur hervorgehoben (FNBE, 2004). So werden landestypische Inhalte, wie z. B. die finnische Sportart „Pesäpallo“ und Winter- und Outdoorsportarten, aufgeführt, die auch in schulinternen Lehrplänen häufig zu finden sind (Annerstedt, 2008; Yli-Piipari, 2014).

Sonderpädagogischer Förderbedarf

Der nationale Lehrplan Finnlands gibt in einem umfangreichen Kapitel (Kap. 7, „Support in learning and school attendance“) vor, welchen Förderanspruch Schüler*innen in der neunjährigen Gemeinschaftsschule haben. Die Förderung richtet sich nicht nur an Kinder und Jugendliche mit einer Behinderung, sondern prinzipiell an alle (FNBE, 2016, S. 130). Zeichnet sich ab, dass es dem Kind trotz intensiverer Förderungen und ggf. einem Lernplan nicht möglich ist, dem (zielgleichen) Unterricht zu folgen, wird ein Förderplan (IEP) mit individuell abgestimmten Lernbereichen formuliert (in Form von sogenannten „activity areas“). Voraussetzung dafür ist jedoch die Ermittlung des Förderbedarfs der dritten Stufe („special support“) in Form von einem pädagogischen Gutachten (FNBE, 2016, S. 118). In der Praxis wird ist die Organisation der Förderung in Form von „activity areas“ vor allem im Unterricht mit umfassend beeinträchtigten Schüler*innen vorgesehen (FNBE, 2016, S. 126; Räty, Vehkakoski, & Pirttimaa, 2018). Die sogenannten „activity areas“ umfassen auf inhaltlicher Ebene die Bereiche Motorik, Sprache bzw. Kommunikation sowie kognitive, soziale und lebenspraktische Fähigkeiten. Diese werden im finnischen Kerncurriculum differenziert erläutert (FNBE, 2016, S. 126 ff.).

Die Auswahl von relevanten Lerninhalten richtet sich nach dem individuellen Erfahrungshintergrund und den persönlichen Bedürfnissen der Lernenden. In Bezug auf den Sportunterricht können beispielsweise psychomotorisch orientierte Bewegungsangebote eine Rolle spielen, in denen Grundbewegungsarten und verschiedene Wahrnehmungsbereiche thematisiert werden (FNBE, 2016, S. 450).

Zur Erarbeitung komplexerer Inhalte sind unter Umständen auch spezifische technische Unterstützungsmaßnahmen und ergänzende Hilfsmittel notwendig, damit Möglichkeiten zur individuellen Auseinandersetzung mit Lerngegenständen ermöglicht werden:

The need for special aids may be associated with vision, hearing, mobility or other physical needs. It may also be related to special learning needs. For example, various information technology applications, audio books, tools for illustrating mathematics or aids that support concentration may be used. (FNBE, 2016, S. 131)

In der Praxis des Sportunterrichts können neben der Nutzung didaktisch-methodischer Hilfen (z. B. Spezialbälle, Bodenmarkierungen) und technischer Hilfsmittel auch unterrichtsorganisatorische Adaptionen (z. B. Sozialformen, Präsentationsformen, verlängerte Ruhephasen) eine Rolle spielen (Mihajlovic, 2017). Darüber hinaus können die allgemeinbildenden Schulen auch die Unterstützung durch externe Fachkräfte von Beratungs- und Förderzentren hinzuziehen, wenn die Versorgung mit Fachkräften vor Ort nicht gegeben ist (FNBE, 2016, S. 131). Die Möglichkeit der Beratung und Unterstützung durch sonderpädagogische Förderzentren bezieht sich dabei vor allem auf Schüler*innen mit Sinnesbeeinträchtigungen und schweren Behinderungen, die in der Regel eine spezifische Unterstützung und Versorgung mit Hilfsmitteln benötigen, um am Unterricht partizipieren zu können (FNBE, 2016, S. 131).

Im Kontext des Sportunterrichts treten an dieser Stelle vor allem die in Finnland etablierten APE-Dienste in den Vordergrund, die aufgrund ihrer entsprechenden Expertise die Teilhabemöglichkeiten von Schüler*innen mit Behinderungen am allgemeinen Sportunterricht begleiten und unterstützen können (Block, 2016; Block et al., 2017). Aber auch andere multiprofessionelle Kooperationsmöglichkeiten (z. B. die Zusammenarbeit mit Sozialpädagog*innen) werden im Curriculum hervorgehoben, um spezifische Fördermaßnahmen abzustimmen und zu implementieren (FNBE, 2016, S. 108). Insgesamt wird die Diversitätsdimension „sonderpädagogischer Förderbedarf“ in den Sportlehrplänen im Vergleich zu den anderen Diversitätsdimensionen am häufigsten thematisiert. Dies trifft besonders auf Fragen zur Diagnostik und zur Leistungsbewertung zu. Beispielsweise wird für den Unterricht in der Klassenstufen 1–2 die Bedeutung der frühzeitigen Erkennung motorischer Entwicklungsprobleme im Zusammenhang mit anderen Lernschwierigkeiten hervorgehoben:

In grades 1–2, it is important to recognise difficulties in learning motor skills that may also be connected to other learning difficulties. (FNBE, 2016, S. 263)

Die Diagnose von Entwicklungsverzögerungen im Bereich der Motorik spielt im Primarbereich eine wichtige Rolle, um individuell angepasste Präventions- bzw. Interventionsmaßnahmen für das betroffene Kind ergreifen zu können (Rintala & Loovis, 2013). Analog zu den allgemeingültigen Richtlinien wird auch in den Sportlehrplänen an mehreren Stellen die Gestaltung einer Lernumgebung hervorgehoben, die sich an den besonderen Bedürfnissen von Kindern mit sonderpädagogische Förderbedarf orientiert (FNBE, 2016, S. 263, FNBE, S. 452). Auch hier werden allerdings kaum konkrete Hinweise gegeben, wie diese Aspekte in der schulischen Praxis umgesetzt werden können. So bleibt des den Schulen überlassen, wie der Umgang mit Heterogenität in der Schulorganisation und der Unterrichtspraxis ausgestaltet wird.

Diskussion

Die Ergebnisse der Untersuchung sollen nun aufgegriffen und im Kontext der aktuellen (deutschsprachigen) Fachdiskussion diskutiert werden. Die Analyse des finnischen Kerncurriculums zeigt auf, dass Finnland das Thema Diversität zumindest in den allgemeingültigen Richtlinien des Curriculums sehr umfangreich berücksichtigt und auch konkrete Vorschläge für den pädagogischen Umgang mit den untersuchten Diversitätsdimensionen formuliert.

Im Vergleich zu früheren Lehrplanuntersuchungen in Finnland (Yli-Piipari, 2014; Rühle, 2015) wird das Thema Diversität deutlich umfassender behandelt und Inklusion – im Sinne der UN-BRK – als Menschenrecht betrachtet. Die pädagogischen Richtlinien des Curriculums fordern zudem verbindliche Grundwerte für die Lehrkräfte ein, die auf schulischer Ebene vertreten werden sollten (FNBE, 2016). Die Wertschätzung von Diversität wird dabei als handlungsleitendes Kriterium für die schulischen Akteure offensichtlich.

Hinsichtlich der untersuchten Diversitätsdimension „sonderpädagogischer Förderbedarf“ werden in einzelnen Kapiteln konkrete Richtlinien zur Organisation pädagogischer Fördermaßnahmen, zur Erstellung von individuellen Förderplänen und zieldifferenten Unterrichtsinhalten (sogenannte „activity areas“) formuliert. Auch unter dem Aspekt der Interkulturalität wird neben einer grundsätzlichen Wertschätzung von kultureller Vielfalt explizit dargestellt, wie der pädagogische Umgang mit Bilingualität und Mehrsprachigkeit auf der Unterrichtsebene erfolgen kann. Diese Ergebnisse stehen im Einklang mit bereits vorliegenden Lehrplananalysen, die sich auf die vorherige Version des finnischen Kerncurriculums beziehen (Rühle, 2015). Lediglich der Gender-Aspekt findet in den allgemeinen Richtlinien weniger Berücksichtigung, auch wenn grundsätzlich eine Sensibilität für geschlechtsspezifische Fragen (z. B. kritisches Hinterfragen von Rollenbildern) deutlich wird. Allerdings findet das Thema Diversität auf der fachspezifischen Ebene deutlich weniger Beachtung. Zwar sind die allgemeinen Vorgaben auch für die fachspezifischen Lehrpläne gültig, jedoch bleibt insgesamt offen, wie der Umgang mit diesen Diversitätsdimensionen im Sportunterricht erfolgen kann.

Angenommen wurde im Vorfeld dieser Analyse, dass die in den allgemeinen Richtlinien formulierten Inklusionsansprüche konsequenterweise auch in den Sportlehrplänen berücksichtigt werden. Analog zu der Lehrplananalyse von Giese und Ruin (2018) ist allerdings eher eine Art „diversity gap“ zwischen der curricularen Verankerung der Ansprüche in den allgemeinen Richtlinien und den untersuchten Sportlehrplänen zu erkennen. Allerdings wird die in Finnland eingeforderte Individualisierung nicht durch eine an Regelstandards orientierte Kompetenzentwicklung konterkariert, wie es vielen deutschen Lehrplänen – besonders in Hinblick auf normierte Leistungsanforderungen – der Fall ist (Giese & Ruin, 2018; Meier et al., 2016).

Die analysierten finnischen Sportlehrpläne gehen grundsätzlich von der Verschiedenheit der Lernenden aus und lassen folglich auch Adaptionsmöglichkeiten für den Unterricht mit Schüler*innen mit besonderen Förderbedarfen zu. In Deutschland wird dagegen auf curricularer Ebene ein eher einseitiges Leistungs- und Körperverständnis vertreten, mit einer starken Fokussierung auf Leistungsoptimierung und Effizienzsteigerung (Ruin, 2014; Ruin, 2016).

Darüber hinaus bieten die Curricula den Lehrkräften an finnischen Schulen enorme Freiheiten in der didaktischen und methodischen Gestaltung des Unterrichts sowie in Hinblick auf die Leistungsbewertung. Die Offenheit und Flexibilität der curricularen Vorgaben in Finnland unterstreicht die Verantwortung der pädagogischen Akteure hinsichtlich der Schul- und Unterrichtsentwicklung auf lokaler Ebene. Auch in der Fachliteratur wird den finnischen Lehrkräften ein hohes Maß an pädagogischer Autonomie und Vertrauen von Seiten der Bildungspolitik und der Gesellschaft zugestanden (Sahlberg, 2013; Mero & Meri, 2017).

Diskrepanzen scheinen allerdings zwischen den bildungspolitischen Ansprüchen und der schulischen Praxis in Bezug auf die Kategorien „Gender“ und „sonderpädagogischer Förderbedarf“ zu bestehen. Einerseits werden gemeinsame Lernsituationen anknüpfend an das Prinzip der egalitären Differenz (Prengel, 2006) prinzipiell gefordert, jedoch sind äußere Differenzierungsmaßnahmen in beiden Diversitätsdimensionen ein fester Bestandteil des finnischen Schulalltags (Saloviita, 2018). Obwohl ein gemeinsamer Sportunterricht auf bildungspolitischer Ebene grundsätzlich angestrebt wird, kann die vorrangige Berücksichtigung der individuellen Förderbedarfe in der Praxis auch eine (permanente) äußere Differenzierung zur Folge haben. Dieser Aspekt wird in der finnischen Fachliteratur sehr kritisch diskutiert, da sich pädagogischen Routinen im schulischen Alltag etabliert haben, die nicht im Einklang mit dem universellen Inklusionsanspruch stehen, der in den bildungspolitischen Dokumenten vertreten wird (Mero & Meri, 2017; Saloviita, 2018; Graham & Jahnukainen, 2011). Vertiefende Studien mit qualitativen Zugängen erscheinen diesbezüglich als vielversprechend, um herauszufinden, welche pädagogischen Praktiken und Haltungen tatsächlich in Bezug auf den Sportunterricht in Finnland eine Rolle spielen und inwiefern hier Unterschiede zwischen den curricularen Vorgaben und der schulorganisatorischen und unterrichtspraktischen Ebene deutlich werden.

Die schulischen Akteure könnten beispielsweise befragt werden, wie sie den curricularen Handlungsspielraum hinsichtlich der Unterrichtsgestaltung wahrnehmen und welche Differenzen zwischen den in den bildungspolitischen Dokumenten fixierten Erwartungen und der schulischen Praxis vorliegen. Hier sind neben der Perspektive der Lehrkräfte auch Sichtweisen von anderen schulischen Akteuren, wie beispielsweise der Schulleitung von Interesse. So ließe sich rekonstruieren, welche Bedeutung und Verbindlichkeit die curricularen Vorgaben aus der Sicht verschiedener Akteure haben. Zudem könnten handlungsleitende Prinzipien herausgearbeitet werden, die Lehrkräfte auch hierzulande – trotz systembedingter Unterschiede – in die schulische Praxis übertragen können.

Anknüpfpunkte bilden Kooperationsstrukturen mit multiprofessionellen Fachkräften, wie die in Finnland und anderen Ländern bereits etablierten APE-Dienste und Beratungsleistungen (Dillon et al., 2017; Ruin & Meier, 2018), oder die in diesem Beitrag bereits skizzierten Fördermaßnahmen auf schulorganisatorischer Ebene. Die curriculare Verankerung verbindlicher individueller Bildungspläne nach finnischem Vorbild könnte auch im deutschsprachigen Raum verstärkt in den Lehrplänen berücksichtigt werden, um eine gezielte Förderung von Kindern mit sonderpädagogischem Förderbedarf an allgemeinbildenden Schulen zu ermöglichen (Obrusnikova & Schoo, 2017). Insgesamt kann die Forschungslage im Kontext inklusiver Bildung in Bezug auf internationale und komparative Fragestellungen trotz der globalen Relevanz der Inklusionsthematik als ausbaufähig bezeichnet werden (Köpfer et al., 2021). Dabei können viele Länder auf eine lange Tradition der inklusiven Beschulung zurückgreifen. Eine Auseinandersetzung mit diesem Erfahrungsvorsprung könnte für den Inklusionsdiskurs in der Sportpädagogik besonders lohnend sein.