Die habituellen Wahrnehmungs‑, Denk- und Handlungsmuster sozialer Akteure nehmen einen wesentlichen Einfluss auf das tägliche Handeln und bestimmen im Kollektiv eine spezifische Ordnung in einer Institution (Helsper, 2008; Liebau & Huber, 1985). Für die Implementierung von (administrativ eingeforderten) Innovationen in der Schule ist der Blick auf handlungsausrichtende (Schul- bzw. Fach‑)Kulturen gewiss aufschlussreich; denn inwiefern diese akzeptiert und realisiert werden, hängt maßgeblich davon ab, auf welche Weise sich die schulischen Akteure mit den einhergehenden neuen Erziehungs- und Bildungszielen einer Reform identifizieren und inwiefern sich diese in die (bisherigen) schul- bzw. fachkulturellen Strukturen integrieren lassen (Bennewitz, 2008; Terhart, 2013). In den Worten von Künzli (1999) wird also ein (innovativer) Lehrplan „nur insoweit und insofern wirksam, als deren Vorgaben aufgehoben werden in einer nicht bloß rationalen, sondern habituellen Zustimmung der unterrichtenden Lehrerschaft“ (ebd., S. 146).

Der vorliegende Beitrag schließt an Befunde eines längsschnittlich angelegten Lehrplanevaluationsprojekts an (Poweleit, 2019) und erweitert die dort erarbeiteten (empirischen) Ergebnisse. Primär gilt es, der Frage nachzugehen, inwiefern ein (neuer) Lehrplan für das Fach Sport und das darin verankerte Konzept eines erziehenden SportunterrichtsFootnote 1 umgesetzt wird; besonders in den Blick genommen werden dabei auch Ursachen und Gründe (möglicher) Übertragungsbrüche. Die Perspektive der Fachkulturforschung dient dabei als theoretische(s) Erklärungsmodell bzw. Reflexionsfolie, um zu untersuchen, welche fachkulturellen Wahrnehmungs‑, Denk- und Handlungsmuster seitens der Sportlehrkräfte einen im Lehrplankonzept inhärenten Doppelauftrag begünstigen bzw. hemmen.

So soll mittels rekonstruierter habitueller Deutungsmuster seitens der schulischen Akteure, die wiederum – zufolge einer vorliegenden Interdependenz – als Spiegelbild der kollektiv praktizierten fachkulturellen Strukturen betrachtet werden können (u. a. Ernst, 2015; Huber, Liebau, Portele, & Schütte, 1983), ein Einblick gewonnen werden, in welchem Maße die curricularen Erziehungs- und Bildungsziele in den pädagogisch-didaktischen Unterrichtsverständnissen berücksichtigt werden bzw. integriert sind (Poweleit, 2018, 2019). Hierzu wurde ein quantitativer Zugang gewählt (Hericks & Körber, 2007)Footnote 2, um fachkulturelle Konstrukte zu modellieren und damit kollektive Denk- und Handlungsstrukturen einer Population abzubilden und zu erörtern. Damit erweist sich die quantitative Erforschung der Fachkultur als notwendige und lohnenswerte Ergänzung zu bestehenden qualitativen Studien (u. a. Ernst, 2018b; Volkmann, 2008).

Zunächst wird einleitend die schul- bzw. fachkulturelle Theorie überblicksartig erläutert, die für das vorab aufgeführte Erkenntnisinteresse die Grundlage bildet (Abschn. „Theoretischer Hintergrund – Schul- bzw. Fachkultur(en) und curriculare Innovation(en)“). Anschließend werden die Anlage und Methodik einer längsschnittlich angelegten Evaluationsstudie zum luxemburgischen Lehrplankonzept (Abschn. „Anlage und Methodik – eine längsschnittlich angelegte Evaluationsstudie zum luxemburgischen Lehrplankonzept“) sowie ausgewählte Ergebnisse (Abschn. „Ergebnisse – fachkulturelle Denk- und Handlungsmuster im Schulsport“) dargestellt. Im abschließenden Abschn. „Diskussion und Ausblick“ werden hervorstechende Erkenntnisse und Implikationen für die Fachkulturforschung im Zusammenhang der entfalteten theoretischen Überlegungen diskutiert.

Theoretischer Hintergrund – Schul- bzw. Fachkultur(en) und curriculare Innovation(en)

Der Kulturbegriff erfuhr im Zuge des „cultural turns“ eine konzeptionelle Wende, indem „kollektive Sinnsysteme – Wissensordnungen, symbolische Codes, Deutungsschemata, Semantiken, kulturelle Modelle – nicht mehr als Epiphänomene, sondern als notwendige Bedingung aller sozialen Praxis wahrgenommen und […] ins Zentrum der sozialwissenschaftlichen Perspektive gerückt“ werden (Reckwitz, 2006, S. 16–17). Im Anschluss daran lassen sich auch (domänen)spezifische Kulturen als Komplex von Sinnsystemen fassen, mit denen die Individuen ihre Wirklichkeit erschließen und gleichzeitig ihr Handeln ermöglichen bzw. einschränken (u. a. ebd., S. 84; Böhme, Hummrich, & Kramer, 2015, S. 12; Lüders, 2007, S. 8).

Um eine Schulkultur zu charakterisieren, ist unter Berücksichtigung der Ausführungen des Hallenser Forschungsverbunds (Helsper, Böhme, Kramer, & Lingkost, 2001) eine Interdependenz zwischen Struktur und Akteur anzunehmen. Damit erfolgt u. a. eine Orientierung an den grundlagentheoretischen Arbeiten Bourdieus (z. B. Bourdieu, 1989, 2015a), in denen von einer wechselseitigen Beziehung zwischen dem Habitus – als ein vielfältiges System an Wahrnehmungs‑, Denk- und Handlungsmustern der Individuen (Liebsch, 2010, S. 74) – und dem jeweiligen sozialen Feld – als ein sozialer Raum mit spezifischen „Spielregeln“ (Reckwitz, 2010, S. 50) – ausgegangen wird. Einerseits gehen aus den systematischen Produkten des Habitus spezifische „Praxisformen und Repräsentationen“ hervor, die dann zusammengenommen kulturelle Strukturen erzeugen. Andererseits werden die Merkmale und Maxime – also die jeweiligen „Spielregeln“ eines sozialen Felds, die Teil der eigenen Sozialisation sind bzw. waren – inkorporiert und das Handeln wird danach ausgerichtet (Bourdieu, 1989, S. 277–281, 2015a, S. 165). Hiernach werden ebenso schulkulturelle „Strukturen als Ergebnis des Handelns kollektiver Akteure begriffen […], die wiederum institutionalisierte Handlungsrahmungen und -möglichkeiten für konkrete Akteure vorstrukturieren, aber auch durch deren Handeln modifiziert und transformiert werden können“ (Helsper et al., 2001, S. 24). Diese aufgestellte Theorie, dass eine Schulkultur über seine Akteure und deren Handlungen geprägt wird, erweitern die Hallenser Autoren (ebd., S. 26) mittels mikropolitischer Ansätze: So wird in den Aushandlungsprozessen der unterschiedlichen schulischen Akteure in erster Linie darauf abgezielt, selbst präferierte Denk- und Handlungsstrukturen zu behaupten und damit die dominanten „Spielregeln“ festzulegen. Es besteht demnach ein „Machtkampf“ der Kollektive, die bemüht sind, ihre (internalisierten) kulturellen Strukturen durchzusetzen, womit Schulkulturen weniger durch homogene, sondern vielmehr durch hybride Sinnordnungen gekennzeichnet sind. Entsprechend lassen sich in einer Institution gewiss ganz unterschiedliche Gruppen feststellen, die differente pädagogische Denk- und Handlungsmuster vertreten und nach Dominanz streben; die Abweichungen können z. B. fach- oder auch generationsspezifisch sein (Helsper, 2008, S. 71–73). Zusammenfassend erfolgt eine Konstituierung einer Schulkultur über verschiedene innerschulische Akteurskonstellationen, und die (dort) bestimmenden Deutungen und Praktiken werden über wiederholende Aushandlungsprozesse stets verstärkt oder auch verändert (Idel & Stelmaszyk, 2015, S. 58).

Auch in den einzelnen Fächern – im Sinne einer (schulischen) Fachkultur – werden die (dominanten) kulturellen Charakteristiken einer Domäne ausgehandelt (Hericks & Körber, 2007, S. 31). Entsprechend untersucht eine Fachkulturforschung – angelehnt am schulkulturellen Ansatz – kulturtheoretische Aspekte des außerschulischen und schulischen Sports; in den Fokus rücken dabei fachkulturelle Strukturen, die zum einen für die Akteure handlungsleitende „Spielregeln“ einnehmen bzw. zum anderen auch durch deren habituell hervorgebrachten Praktiken geprägt werden (u. a. Ernst, 2018b; Thiele & Schierz, 2014; Serwe, 2011).

Weiterführend wird aus der Perspektive der Schulsportforschung die schulische Fachkultur betrachtet und deren wesentlichen Merkmale skizziert: Eine zentrale Rolle für die Entstehung und Erhaltung der fachkulturellen Strukturen in der Schule nehmen die Fachlehrkräfte ein, da sie diejenigen sind, die die (dominanten) Handlungspraktiken aushandeln und in den Unterricht übertragen (Ernst, 2018b, S. 92–93; Lüders, 2007, S. 8; Müller-Roselius, 2007, S. 15). Die in einer Institution vorliegende handlungsleitende Fachcharakteristik, wie ihre konstituierenden Elemente, ihr innerer Aufbau sowie ihre subjektiven Konzepte über geeignete unterrichtliche Arrangements, werden mittels fachlich geprägter Habitusformen der Lehrkräfte transportiert (Hericks & Körber, 2007, S. 31).Footnote 3 Daneben sind handlungsrahmende Faktoren, die (von außen) eine Wirkung auf die schulischen Akteure ausüben, als weitere Merkmale einer schulischen Fachkultur zu kennzeichnen. Zum einen sind außerschulische bzw. (allgemein) gesellschaftliche Fachverständnisse und -strukturen von Bedeutung; denn eine Fachkultur wird nicht nur von innen, sondern auch von außen – anhand der sie umgebenden gesellschaftlichen Kultur – begründet (Terhart, 2001, S. 95). Zum anderen sind neben übergreifenden und individuellen Schultraditionen gewiss auch curriculare bzw. bildungspolitische Vorgaben und die dort enthaltenen fachwissenschaftlichen bzw. -didaktischen Konzepte als (äußerer) Kontext zu nennen.

Die bis hierin aufgezeigten Komponenten haben gewiss keinen Anspruch auf Vollständigkeit, da es eine Vielzahl an rahmenden Faktoren gibt. Hierüber soll aber verdeutlicht werden, dass verschiedene Elemente je nach kontextueller Präsenz stärker oder schwächer auf die Denk- und Handlungsmuster der Akteure bzw. auf die schulischen Fachstrukturen einwirken können (Poweleit, 2019, S. 43–45).

Hierüber wird deutlich, dass eine Implementierung eines Lehrplans nicht allein durch eine ministerielle Inkraftsetzung stattfindet, sondern das (neue) Curriculum und die darin festgeschrieben Erziehungs- und Bildungsziele müssen zu einem Teil der fachkulturellen Identität einer Einzelschule und seiner Akteure werden (ebd., 2018, 2019). Was ein Fach konstituiert, wird also nach Hericks und Körber (2007) weniger bzw. nicht nur durch administrative Beschlüsse oder (korrespondierende) fachwissenschaftliche Positionen begründet: „In der alltäglichen Arbeit an den Schulen und im Unterricht sind die Fächer vielmehr durch Fachkulturen bestimmt, die in komplexen Prozessen der allgemeinen und fachlichen Sozialisation ihrer Angehörigen ausgeprägt werden“ (ebd., S. 32).

In diesem Zusammenhang kann unter Rekurs auf das von Fend (2006, 2008) entwickelte Rekontextualisierungskonzept erläutert werden, dass curriculare bzw. bildungspolitische Innovationen nicht einfach – in Form eines „Top-down-Durchgriffs“ (Altrichter, 2011) – unmittelbar in die schulische bzw. unterrichtliche Praxis transferiert werden. Vielmehr besteht in der Mehrebenenstruktur des Bildungssystems eine kontextuelle Präsenz übergeordneter, administrativer Vorgaben, die nicht automatisch realisiert werden, sondern durch die darunterliegende Ebene zunächst mal aufgegriffen, entsprechend rezipiert und schlussendlich handlungspraktisch aufbereitet werden müssen (ebd.; Fend, 2006, 2008). Inwiefern curricular eingeforderte Erziehungs- und Bildungsziele umgesetzt werden, liegt demnach in der Verantwortung der Einzelschulen und ihren Lehrkräften. Aufgrund von Rezeptionsschwierigkeiten oder auch einer Nicht-Identifikation (z. B. auf Basis andersartiger fachkultureller Deutungsmuster) sind in den mehrstufigen Schnittstellen des Schulsystems (Makro‑, Meso- und Mikroebene) sicherlich (nicht intendierte) Übertragungsbrüche zu erwarten. Die habituellen Denk- und Handlungsmuster schulischer Akteure bzw. die strukturierenden „Spielregeln“ der Schul- bzw. Fachkultur(en) sind also entscheidend für den Umgang mit (neuartigen) Vorgaben; somit ist davon auszugehen, dass die darin verankerten Erziehungs- und Bildungsziele einen Teil der akzeptierten, rahmenden Faktoren sein müssen, damit eine entsprechende Umsetzung bzw. Übertragung in die Praxis erfolgt.

Anlage und Methodik – eine längsschnittlich angelegte Evaluationsstudie zum luxemburgischen Lehrplankonzept

In Luxemburg kam es vor etwa einer Dekade zu einer curricularen Reform, die sowohl durch eine Kompetenzorientierung als auch eine pädagogische Ausrichtung im Sinne eines erziehenden Sportunterrichts gekennzeichnet ist. Um sich vom vorherigen fertigkeits- und sportartenzentrierten Sportcurriculum aus den 1980er Jahren stark abzugrenzen, ist ein Lehrplan mit Kompetenzbereichen und Bewegungsfeldern erstellt worden, der den wesentlichen Prinzipien (in diesem Fall: „Mehrperspektivität“, „Reflexion“ und „Selbsttätigkeit“) eines erziehenden Sportunterrichts gerecht werden soll. Insgesamt dienen dabei die nordrhein-westfälischen Richtlinien um die Jahrtausendwende als Vorbild; der dort ausgewiesene Doppelauftrag stellt die pädagogische Grundlegung dar, indem sowohl übergreifende Haltungen, Motive und soziale Handlungsformen als auch sportspezifische Fähigkeiten und Fertigkeiten vermittelt werden sollen. Somit werden in Form einer ganzheitlichen Herangehensweise die zusammengehörenden Aufgaben Persönlichkeitsentwicklung und Sacherschließung in gleicher Weise fokussiert. Eine Besonderheit ist, dass eine Konkretisierung der pädagogischen Perspektiven über Kompetenzschwerpunkte bzw. -erwartungen erfolgt (innerhalb von Bewegungsfeldern mit einem weiten Sportverständnis), womit die bildungspolitisch eingeforderte Kompetenzorientierung eine pädagogische Profilierung erfährt (MENFP [Ministère de l’Education nationale et de la Formation professionnelle], 2009; Schumacher, 2011; Stibbe & Ingelmann, 2011).Footnote 4 Aufgrund seiner ganzheitlichen Konzeption und Anlehnung an fachdidaktische Empfehlungen, wie mit einer Kompetenzorientierung im Schulsport umgegangen werden sollte (u. a. Balz, 2007, 2011; Kurz, 2008), erhält der luxemburgische Lehrplan allgemein positive Rückmeldungen (Gogoll & Kurz, 2013; Neumann, 2013).

Den Ausgangspunkt dieses Beitrags bildet eine längsschnittlich angelegte Trendstudie zum vorab dargestellten (damals) innovativen luxemburgischen Lehrplankonzept. In diesem Rahmen wurden die einzelnen Phasen eines curricularen Reformprozesses (Hübner, 1994) wissenschaftlich begleitet und evaluiert. Im Zuge der Lehrplanentwicklung wurden in einem ersten Evaluationsschritt die Sportlehrkräfte u. a. hinsichtlich ihrer Akzeptanz und ihres Verständnisses des innovativen Curriculums befragt, um basierend darauf ein Implementationskonzept bzw. Unterstützungsangebote zu entwickeln (u. a. Schumacher, 2011; Stibbe & Ingelmann, 2011).Footnote 5 Im anschließenden zweiten Schritt ist – wie oben bereits aufgeführt – maßgebliches Ziel zu untersuchen, inwiefern das neu implementierte Lehrplankonzept umgesetzt wird (u. a. Poweleit, 2019).

Die in diesem Beitrag verwendeten Daten gehen auf die in der zweiten Evaluationsstudie durchgeführte Fragebogenerhebung zurück, in der insgesamt 193 luxemburgische Sportlehrkräfte befragt wurden. Mit einer Rücklaufquote von 77,8 % liegt annähernd eine Vollerhebung vor und die prozentuale Verteilung der Stichprobe ist in Bezug auf Alter und Geschlecht nahezu gleich mit der Gesamtpopulation, die diese damit repräsentiert (vgl. ausführlich Poweleit, 2019).

Entwicklung der Konstrukte „pädagogische Denkmuster“ und „Unterrichtspraktiken“

In einem der Themenblöcke des Fragebogens (mit vierstufiger Ratingskala) wurden die Sportlehrkräfte einerseits hinsichtlich ihres individuellen didaktischen Unterrichtsverständnisses („pädagogische Denkmuster“) und zum anderen hinsichtlich präferierter Leistungsbewertungskriterien und Unterrichtsarrangements („Unterrichtspraktiken“) befragt.Footnote 6 Unter Verwendung des Statistikprogramms Mplus 8 wurden schrittweise über explorative und konfirmatorische Faktorenanalysen tragende Konstrukte erstellt (Reinecke, 2014), indem auch nicht widerspruchsfreie Items, u. a. mit doppelter oder nicht akzeptabler Ladung, aussortiert wurden (unter Beachtung der von Kline, 1994, S. 6 gekennzeichneten Richtwerte). Folglich entstanden die nachfolgenden Modelle aus einer zweifachen Selektion, indem explorativ analysiert wird, welche Anzahl an Faktoren inhaltlich und empirisch tragfähig ist. Die Passung der Variablen wird daraufhin bei den als konsistent herauskristallisierten Faktoren konfirmatorisch geprüft, um unter Beachtung der Gütekriterien tragende Modelle zu entwickeln (Muliak & Millsap, 2000; Reinecke, 2014).

Im Blick auf die pädagogischen Denkmuster zum Schulsport werden im ersten Modell Items gebündelt, die angelehnt an einen erziehenden Sportunterricht eine pädagogische Akzentuierung offenbaren und in Form einer „alternativen“ Orientierung eher das Individuum und seine Persönlichkeit(sbildung) in den Mittelpunkt stellen. Demgegenüber sind im zweiten Modell Aussagen gesammelt, die sich im Sinne einer „konservativen“ Ausrichtung überwiegend an fertigkeits- und sportartenzentrierten Vermittlungskonzepten orientieren. Bei dieser vorgenommenen Differenzierung erfolgte ein Rückgriff auf die Ausführungen der Wuppertaler Arbeitsgruppe (2012), indem auf empirischer Basis enge und weite Verständnisse von Sportunterricht gekennzeichnet werden und Rückschlusse geben sollen, welche Nähe bzw. Distanz die untersuchten Lehrkräfte zu den (neuen) curricularen Erziehungs- und Bildungszielen bzw. dem dort integrierten Doppelauftrag (Individuum und Sache) aufweisen. Da der vorherige luxemburgische Lehrplan aus den 1980er Jahren überwiegend einem Sportartenprogramm mit einer einseitigen Fertigkeitsorientierung folgte – im Sinne einer „konservativen“ Ausrichtung (Balz, 2009) –, der auch „bis zuletzt eine ungebrochene Akzeptanz bei den Sportlehrkräften verbuchen konnte“ (Schumacher, 2011), galt es über die Systematik unterschiedlicher fachdidaktischer Konzepte spezifische pädagogische Denkmuster seitens der untersuchten Lehrkräfte abzubilden. Die Perspektive der Fachkulturforschung wird weiterführend als theoretische(s) Erklärungsmodell bzw. Reflexionsfolie herangezogen, um die Ursachen und Gründe möglicher curricularer Übertragungsbrüche bzw. Rekontextualisierungen – Abschn. „Theoretischer Hintergrund – Schul- bzw. Fachkultur(en) und curriculare Innovation(en)“ – zu interpretieren. So kann hierüber der Blick geschärft werden, welche Denk- und Handlungsmuster dem Reformkonzept gerecht werden.Footnote 7

Die Gütekriterien der Modelle sind nach den in der Literatur empfohlenen Cut-off-Werten (u. a. die Übersicht von Weiber & Mühlhaus, 2014, S. 222) in einem akzeptablen bis guten Bereich:

  1. 1.

    Modell „alternative Denkmuster“: χ2 (5) = 11,21, p = 0,05; RMSEA = 0,08; χ2/df = 2,2; SRMR = 0,04; CFI = 0,95; TLI = 0,89

  2. 2.

    Modell „konservative Denkmuster“: χ2 (35) = 39,75, p > 0,10; RMSEA = 0,03; χ2/df = 1,1; SRMR = 0,05; CFI = 0,96; TLI = 0,95

Vor dem Hintergrund, dass präferierte Vermittlungsformen und Kriterien der Leistungsbewertung – als spezifische unterrichtliche Praktiken – ein Indiz für ein bestimmtes Sportunterrichtsverständnis sind, waren auch diese Aspekte für die Analyse von Relevanz. Neben den Denkmustermodellen wurde also auch über Faktorenanalysen ein Konstrukt zu Unterrichtspraktiken entwickelt, das innerhalb eines zweifaktoriellen Modells verschiedene Leistungsbewertungskriterien und Unterrichtsarrangements zusammenfasst und differenziert. So sind die gesammelten Handlungspraktiken in den zwei herauskristallisierten Faktoren zum einen eher individuums- und zum anderen eher fertigkeitsorientiert. Bei Ersterem sind u. a. kooperative, problemlösende sowie reflexive Inszenierungen gebündelt, die gut zur Verwirklichung des curricular verankerten Doppelauftrags geeignet sind (z. B. Prohl, 2012; Stibbe, 2013; Serwe-Pandrick, 2013b). Demgegenüber sammelt Letzteres Unterrichtsformen, die eine Vermittlung und Evaluation motorischer bzw. sportartbezogener Fertigkeiten in den Mittelpunkt rücken, was eher der vorherigen, älteren Lehrplanausrichtung in Luxemburg entspricht. Die Gesamtfits des zweifaktoriellen Modells offenbaren akzeptable bis gute Werte: χ2 (34) = 44,59, p > 0,10; RMSEA = 0,04; χ2/df = 1,3; SRMR = 0,05; CFI = 0,92; TLI = 0,89.

Im vorliegenden Beitrag liegt der Schwerpunkt nicht auf der Modellierung dieser Konstrukte, weshalb sowohl die methodische Vorgehensweise als auch die inhaltliche Begründung in gekürzter Form erfolgt; genauso können die einzelnen, manifesten Variablen (siehe exemplarisch Abschn. „Typenspezifische Denk- und Handlungsmuster“) nicht komplett vorgestellt werden (Näheres hierzu ist unter Poweleit, 2019 zu finden). Im weiteren Verlauf werden diese Gebilde für die Typisierung der Sportlehrkräfte aufgegriffen.

Typisierung pädagogischer Denkmuster im Schulsport

Als Orientierung diente die Studie der Wuppertaler Arbeitsgruppe (2012), die im Hinblick auf Schulsportkonzepte abweichende Sportverständnisse unterschieden und hierüber differente Typen an Sportlehrkräften gebildet hat. Im Anschluss daran wurde eine ähnliche Unterteilung in alternative, konservative und dazwischenliegende Bereiche vorgenommen und eine ähnliche Typenbezeichnung gewählt. Um zu identifizieren, welches Verständnis von Sport(unterricht) die luxemburgischen Sportlehrkräfte vertreten, wurden die Mittelwerte der beiden modellierten Denkmuster („alternativ“ und „konservativ“, vgl. vorheriger Unterabschnitt) nebeneinandergestellt und zusammen interpretiert. Die Systematisierung an unterschiedlichen Ausprägungen der Denkmuster sollte mittels Clusteranalysen vorgenommen werden, die allerdings zu keiner inhaltlich logischen Anordnung führten; aus diesem Grund fand die Gruppierung bzw. Typisierung über eine selbstentwickelte Systematik statt. Für jeden einzelnen Probanden wurde eine Mittelwertdifferenz erstellt, indem der Wert des „konservativen“ Modells vom Wert des „alternativen“ Modells abgezogen wurde. Die daraus entstandenen Differenzresultate aller untersuchten Sportlehrkräfte befinden sich in einem Bereich zwischen −1,1 und 2. Aus dieser Spanne werden letztendlich drei gleich große Teile klassifiziert (Balz, 2009)Footnote 8. Damit ergibt sich folgende Anordnung:

Der Typ „konservativ“ wird im unteren, durchgehenden Minusbereich abgebildet und offenbart verstärkt konservative Denkmuster. Im mittleren Bereich findet sich der Typ „indifferent bzw. intermediär“ wieder, dessen Grundhaltung zu den Konstrukten eher ausgeglichen ist. Eine höhere Zustimmung zu den alternativen Denkmustern bekundet der Typ „alternativ“ und liegt im obersten Wertebereich (vgl. weiterführend Poweleit, 2018, 2019).

Ergebnisse – fachkulturelle Denk- und Handlungsmuster im Schulsport

An die im vorherigen Abschnitt dargestellten Befunde (Poweleit 2018, 2019) gilt es nun anzuknüpfen und die (empirischen) Ergebnisse weiterzuentwickeln.

Die Typen zu den pädagogischen Denkmustern im Schulsport wurden manuell konstruiert (vgl. Abschn. „Typisierung pädagogischer Denkmuster im Schulsport“), weshalb diese weiterführend mittels eines strukturenprüfenden Verfahrens untersucht werden sollen. Über eine in SPSS 26 durchgeführte Diskriminanzanalyse (Bühl, 2019) wird zum einen die Richtigkeit der vorgenommenen Klassifizierung geprüft und zum anderen, ob sich die verschiedenen Gruppen nicht nur über ihre Denkmuster, sondern ebenso über spezifische Unterrichtspraktiken erklären lassen und ob sich die klassifizierten Typen hinsichtlich dieser Variablen signifikant unterscheiden (Backhaus, Erichson, Plinke, & Weiber, 2018, S. 204–205).

Diskriminanzanalyse

In Anlehnung an die Ausführungen von Backhaus et al. (2018) und Bühl (2019) wurden einführend die unabhängigen Variablen separat hinsichtlich ihrer diskriminatorischen Eignung untersucht. Der Gleichheitstest der Gruppenmittelwerte ergibt, dass sowohl bei den alternativen (F [2, 166]Footnote 9 = 61,26; p < 0,001) als auch den konservativen (F [2, 166] = 32,03; p < 0,001) Denkmustern höchst signifikante Unterschiede zwischen den drei Typen (vgl. vorheriger Abschnitt) vorliegen; zudem sind die EffektstärkenFootnote 10 mit η2 = 0,42, ω2 = 0,42 bzw. η2 = 0,28, ω2 = 0,27 als groß einzustufen. Zur Beurteilung der Gütemaße der Diskriminanzfunktionen zeigt die Wilks-Lambda-Statistik mit 0,26 bei beiden Funktionen ein höchst signifikantes Ergebnis (p < 0,001), d. h. die Gruppen können hierüber differenziert werden; die zweite Funktion weist jedoch mit p > 0,05 keine Signifikanz auf, womit diese nicht wesentlich zur typenspezifischen Trennung beiträgt (vgl. ebd.).Footnote 11 Alles in allem ist aus den Klassifizierungsergebnissen zu entnehmen, dass – im Rahmen der gewählten Modellanalysen – 96,4 % der ursprünglich gruppierten Fälle korrekt zugeordnet wurden.

Für die nachfolgenden Analysen werden die ursprünglichen bzw. anders vorhergesagten Klassifizierungen korrigiertFootnote 12, und mit dieser Anpassung wird eine weitere Diskriminanzanalyse sowie ergänzend Varianzanalysen mit (post-hoc) Tukey-Test durchgeführt, um zu prüfen, ob die drei Typen signifikante Unterschiede hinsichtlich präferierter Handlungspraktiken aufweisen und neben spezifischen Denkmustern auch darüber gut differenziert werden können.

Typenspezifische Denk- und Handlungsmuster

Ähnlich wie in der vorgeschalteten Analyse weisen sowohl die beiden Denkmuster als auch die Unterrichtspraktiken signifikante Unterschiede zwischen den drei korrigierten Typen auf, und es bestehen mittlere bis große Effektstärken, wie Abb. 1 zusammenfasst und über das Liniendiagramm veranschaulicht.

Abb. 1
figure 1

Typenspezifische Ausprägung bzw. Präferenz der Konstrukte „Denkmuster“ und „Unterrichtspraktiken“

Damit zeigt sich, dass sowohl die Ausprägung spezifischer Denkmuster als auch die Präferenz bestimmter Unterrichtspraktiken die drei Typen (höchst) signifikant trennen. Wie die Wilks-Lambda-Statistik dokumentiert, erfolgt die Trennung der Gruppen weniger über die zweite (nicht signifikant), sondern vor allem über die beiden Funktionen (p < 0,001; Wilks-Lambda = 0,25).Footnote 13 Das Klassifizierungsergebnis dieser Analyse – die sowohl Denkmuster als auch Unterrichtspraktiken einbezieht – führt auf, dass 99,4 % der gruppierten Fälle korrekt klassifiziert sind.

Aus der Darstellung der Typen im Diskriminanzraum (Abb. 2) ist zu erkennen, dass die Mehrheit der Sportlehrkräfte dem „indifferenten bzw. intermediären“ Typen zugeordnet sind. Die Bezeichnung drückt aber bereits aus, dass die ausgeglichene Zustimmung zu beiden Denkmustern mehrdeutig zu betrachten ist: Zum einen könnte die Ambivalenz als indifferent interpretiert werden, da die Verhältnisse einzelner Items in den Modellen eher gegensätzlich bzw. widersprüchlich sind. Zum anderen könnte diese Ausgeglichenheit genauso als intermediär beschrieben werden, indem – im Sinne des Doppelauftrags eines erziehenden Sportunterrichts – sowohl sacherschließende als auch persönlichkeitsbildende Denk- und Handlungsmuster gleichermaßen fokussiert werden. Demgegenüber offenbaren die Typen „alternativ“ und „konservativ“ schließlich einseitigere Tendenzen. Ersterer ist durch eine höhere Zustimmung an alternativen Denkmustern und individuumsorientierten Praktiken (bestehend aus bevorzugten Leistungsbewertungskriterien und Unterrichtsarrangements) gekennzeichnet, wohingegen letzterer durch eine Präferenz von konservativen Denkmustern und fertigkeitsorientierten Praktiken charakterisiert ist. Dies kann auch anhand ausgewählter manifester Variablen aus dem Modell „Unterrichtspraktiken“ (vgl. Abschn. „Entwicklung der Konstrukte ‚pädagogische Denkmuster‘ und ‚Unterrichtspraktiken‘“) näher veranschaulicht werden:

Abb. 2
figure 2

Darstellung der Typen im Diskriminanzraum

So werden z. B. „normierte Kriterien“ zur Leistungsbewertung sowie „Trainingsformen bzw. Zirkeltraining“ als Vermittlungswege im Mittel am häufigsten von Sportlehrkräften mit konservativer Orientierung herangezogen; der Unterschied zwischen den Gruppen ist signifikant (F [2, 154] = 3,94; p = 0,02; η2 = 0,05, ω2 = 0,04 bzw. F [2, 154] = 3,86; p = 0,02; η2 = 0,05, ω2 = 0,04). Demgegenüber werden u. a. „sozialkompetentes Handeln“ als Evaluationskriterium sowie „Gesprächs- bzw. Reflexionsphasen“ als methodische Inszenierungsform verstärkt durch Personen mit alternativer Ausrichtung genutzt; der Unterschied zwischen den Gruppen ist signifikant (F [2, 154] = 4,41; p = 0,01; η2 = 0,05, ω2 = 0,04 bzw. F [2, 154] = 9,93; p < 0,001; η2 = 0,11, ω2 = 0,10). Insgesamt lässt sich über die Post-hoc-Tests festhalten, dass die Abweichung hinsichtlich der Nutzung von individuums- und fertigkeitsorientierten Unterrichtspraktiken vor allem über die Gruppen „alternativ“ und „konservativ“ beschrieben werden, indem eines geringer bzw. mehr befürwortet wird als das andere (jeweils in umgekehrter Weise); der „indifferente bzw. intermediäre“ Typ ist weniger eindimensional und zieht Aspekte aus beiden Richtungen heran. Auffällig ist mit Blick auf die Mittelwertdifferenzen, dass die geringere Berücksichtigung von fertigkeitsorientierten Praktiken sowie die höhere Beachtung von individuumsorientierten Praktiken durch die Lehrpersonen mit „alternativer“ Klassifizierung im Vergleich zu den beiden anderen Gruppen signifikant ist; zudem liegt die stärkere Berücksichtigung von individuumsorientierten Unterrichtspraktiken durch die „indifferenten bzw. intermediären“ gegenüber den „konservativen“ Typen auf der Signifikanzgrenze von 0,05.

Bei genauer Betrachtung der beiden Denkmuster ist aus den Mehrfachvergleichen der Post-hoc-Tests zu entnehmen, dass deren Ausprägung durchgehend zwischen allen Gruppen signifikant unterschiedlich ist. Ähnlich wie bei den Unterrichtspraktiken ist eine typenspezifische Nähe oder Distanz zu bestimmten pädagogischen Sichtweisen zu erkennen oder eben – in Form der „mittleren“ Gruppe – auch eine doppelte Orientierung. In Tab. 1 werden ausgewählte Variablen aus den Denkmuster-Modellen (vgl. Abschn. „Entwicklung der Konstrukte ‚pädagogische Denkmuster‘ und ‚Unterrichtspraktiken‘“) und ihre Einschätzung durch die drei Typen exemplarisch dargestellt, um die Unterschiede der pädagogisch-didaktischen Unterrichtsverständnisse zwischen den Gruppen bzw. die vorab beschriebenen Tendenzen nochmals vertiefend – auf manifester Ebene – zu verdeutlichen. Die Mittelwerte unterscheiden sich (höchst) signifikant und die Effektstärken indizieren eine mittlere bis große praktische Bedeutsamkeit.

Tab. 1 Ausgewählte manifeste Variablen aus den Denkmuster-Modellen und ihre Einschätzung durch die drei Typen (von 1 = stimme nicht zu bis 4 = stimme zu)

Abschließend kann festgehalten werden, dass die unterschiedlichen Typen verschiedene Denk- und Handlungsmuster beschreiben können, die gewiss verhaltensausrichtend für das alltägliche schulische Handeln sind und darüber hinaus auch konstituierend für kollektiv gelebte fachkulturelle Strukturen sein können.

Diskussion und Ausblick

Über die abgebildeten Denk- und Handlungsmuster seitens der Lehrkräfte, die wiederum als Spiegelbild der kollektiv praktizierten fachkulturellen Strukturen betrachtet werden können, konnte ein Einblick gewonnen werden, in welchem Maße die curricularen Erziehungs- und Bildungsziele in den pädagogisch-didaktischen Unterrichtsverständnissen integriert sind und inwiefern dadurch ein im Lehrplan inhärenter Doppelauftrag eines erziehenden Sportunterrichts begünstigt bzw. gehemmt wird. Nach den im Beitrag vorgestellten Ergebnissen lassen sich drei Typen differenzieren, die eine unterschiedliche Gewichtung von Denk- und Handlungsmustern und damit eine größere oder geringere Nähe zum pädagogischen Konzept des luxemburgischen Curriculums darlegen.

Mit Blick auf andere empirische Studien werden Unterteilungen ähnlicher Art vorgenommen: Balz, Frohn, Neumann, und Roth (2013) beschreiben z. B. „Die Angekommenen“, „Die Suchenden“ und „Die Unbeeindruckten“, die unterschiedlich mit den in der Analyse fokussierten curricularen Ansprüchen umgehen. In Bezug auf eine pädagogische Perspektivierung werden des Weiteren in den Ausführungen von Hapke (2018) die Typen „modern“, „konservativ“ und „inkonsistent“ unterschieden.

Die in diesem Beitrag vorgenommene Typisierung kann unter Berücksichtigung dieser Befunde vertiefend diskutiert bzw. hinsichtlich ihrer Bedeutung interpretiert werden. So kennzeichnet die als „indifferent“ bezeichnete Gruppe jene Sportlehrkräfte, die – ähnlich wie die „Suchenden“ (Balz et al., 2013) – das Lehrplankonzept allgemein akzeptieren und auch realisieren wollen. Allerdings erfolgt die Umsetzung nicht durchgängig ohne Brüche, da Rezeptionsschwierigkeiten und Unsicherheiten bestehen, wie bestimmte Ziele und Inhalte in die Unterrichtspraxis übertragen werden sollen. Demgegenüber könnten die „intermediären“ Lehrpersonen eine Gruppe beschreiben, die – wie die „Angekommenen“ (ebd.) sich mit dem curricularen Konzept und dem darin verankerten Doppelauftrag identifizieren und ihren Unterricht entsprechend gestalten.

Der „konservative“ Typ ist in der weiteren Folge ein Abbild jener Lehrkräfte, die sich vom pädagogischen Lehrplankonzept distanzieren, andersartige fachkulturelle Denk- und Handlungsmuster innehaben – im Sinne einer traditionell-fertigkeitsorientierten Fachkultur – und basierend darauf das eigene unterrichtliche Handeln ausrichten, womit die curricularen Erziehungs- und Bildungsziele nicht herangezogen werden bzw. keinen rahmenden Faktor – Abschn. „Theoretischer Hintergrund – Schul- bzw. Fachkultur(en) und curriculare Innovation(en)“ – darstellen (vgl. die „Unbeeindruckten“ nach Balz et al., 2013 und der gleichnamige Typ in Hapke, 2018). In stärkerer Anlehnung an Hapke (2018) und ihrem „modernen“ Typ lässt sich die in diesem Beitrag erarbeitete „alternative“ Klassifizierung ebenso als jene Sportlehrkräfte charakterisieren, die – wie die „Angekommenen“ (s. oben) – einem im Lehrplan integrierten erziehenden Sportunterricht nachkommen; denn sie bekunden geringfügige Brüche zu den fachdidaktischen Ansprüchen und stellen gemeinhin einen Gegenpol zu den „Konservativen“ dar (ebd., S. 34–35). Vor allem im Hinblick auf die präferierten Handlungspraktiken werden unterrichtliche Inszenierungsformen – wie problemorientierte bzw. kooperative Vermittlungsmethoden sowie Reflexionsphasen – herangezogen, die einem erziehenden Sportunterricht gut gerecht werden können (u. a. Prohl, 2012; Serwe-Pandrick, 2013b; Stibbe, 2013), indem nicht nur die Sache, sondern im Sinne des Doppelauftrags auch das Individuum hinreichend berücksichtigt wird. In diesem Zusammenhang wären die der „mittleren“ Gruppe eingeordneten Lehrpersonen eher durchweg als „indifferent“ anzusehen, die zwischen den beiden sie umrahmenden (Extrem‑)Polen, instabil hin- und herschwanken und denen damit eine bruchlose Umsetzung der curricularen Erziehungs- und Bildungsziele nicht stetig gelingt (vergleichbar der „Inkonsistenten“ in Hapke, 2018, S. 35); möglicherweise finden sich hier Lehrkräfte mit einer disparaten (Sport‑)Sozialisation wieder, bei denen (biographisch geprägte) konträre Erziehungs- und Bildungsziele zu schwer aufzulösenden Spannungen im Unterrichtsalltag führen (Volkmann, 2008; Wuppertaler Arbeitsgruppe, 2012).

Insgesamt geht damit die Problematik einher, dass die Mehrheit der befragten Sportlehrkräfte den Typen angehört, die entweder Rezeptionsschwierigkeiten oder eben andersartige fachkulturelle Denk- und Handlungsmuster aufweisen.

Auf die aufscheinenden Umsetzungs- bzw. Verständnisprobleme ist insofern zu reagieren, dass diese gezielt aufzugreifen sind, um Unterstützungsangebote zu generieren. In Luxemburg wurde z. B. ein „Good Practice Day“ gestaltet, um intransparente Ziele und Inhalte über praktische Beispiele zu verdeutlichen und Hemmschwellen hinsichtlich andersartiger bzw. neuer pädagogischer Ausrichtungen abzubauen. Damit geht auch die Hoffnung einher, dass (tiefverankerte) Denk- und Handlungsmuster einer traditionell-fertigkeitsorientierten Fachkultur durch entsprechende Sensibilisierung verändert bzw. erweitert werden. Gewiss kann damit Übertragungsbrüchen gut begegnet werden, die mehr in Rezeptionsschwierigkeiten und weniger in konträren Fachverständnissen begründet sind. So ist (domänenübergreifend) noch weitgehend unscharf, welcher Einfluss auf (stark) habituell verankerte Sichtweisen (tatsächlich) ausgeübt werden kann bzw. welche Anlässe und (einzelne) (Bildungs‑)Prozesse zu einer weitreichenden Professionalisierung – in Form einer Habitus-Modifikation – führen (u. a. Koller, 2018). Damit geht auch die Frage einher, inwiefern schulische Fachkulturen und deren vermeintlich (historisch) eingespielten, traditionellen (übungs- bzw. trainingszentrierten) Sport-Praktiken – vergleichbar mit der dargestellten „konservativen“ Orientierung – gegen (konträre) Innovationen gemeinhin (dauerhaft) resistent sind. Damit würden sie aufgrund von Beharrungstendenzen, eher geschlossene Sinnsysteme als entwicklungsoffene Gebilde darstellen (u. a. Serwe-Pandrick, 2013b; Schierz, 2013; Schierz & Miethling, 2017). Gleichwohl spricht die gegensätzliche, „alternative“ Ausrichtung einiger Lehrkräfte auch für einen möglichen Wandel, indem die dort gelebten Denk- und Handlungsmuster die „Spielregeln“ einer (dominanten) schulischen Fachkultur durchaus umgestalten können.

Aus der im Beitrag vorgenommenen Klassifizierung geht schließlich hervor, dass eine schulische Fachkultur weniger homogen, sondern vielmehr hybrid organisiert ist; über institutionelle Aushandlungsprozesse streben die unterschiedlichen Gruppen mit ihren spezifischen Fachverständnissen nach Dominanz – vgl. Abschn. „Theoretischer Hintergrund – Schul- bzw. Fachkultur(en) und curriculare Innovation(en)“. Diesbezüglich ist auffällig, dass die Lehrkräfte des Typs „konservativ“ und entsprechender traditionell-fertigkeitsorientierter Position, häufig und übereinstimmend angeben, dass innerhalb ihres Kollegiums Konsens über die allgemeine pädagogische Gestaltung besteht; im Gegensatz dazu stimmt die Gruppe der „alternativen“ Lehrpersonen dieser Aussage deutlich weniger zu. Scheinbar erfahren die „konservativen“ Typen hinsichtlich ihrer Denk- und Handlungsmuster eine Bekräftigung und begreifen diese als dominante „Spielregeln“ ihrer schulischen Fachkultur (Poweleit, 2019, S. 312). Genauso besteht die Möglichkeit, dass die Lehrkräfte ihren (internalisierten) Positionen, die neuen bildungspolitischen Ansätzen nicht entsprechen, eine nach wie vor uneingeschränkte Gültigkeit auf praktischer Ebene zuschreiben und damit versuchen, (weiterhin) eine Legitimation im Kollegium bzw. in der Schule zu erzeugen. Dies käme dem von Bourdieu (2015b, S. 114–117) beschriebenen Hysteresis-Effekt gleich, der den Habitus vor kritischer Befragung schützt und (sich selbst) eine relativ konstante Welt konstruiert, die eigene (zeitlich veraltete) Dispositionen verstärkt und andersartige, innovative Ordnungen beharrlich ablehnt. In diesem Zusammenhang ist auch aus den Untersuchungen von Ernst (2018a, 2018b) und Volkmann (2008, 2018) im Setting Schulsport zu entnehmen, dass die (häufig in der Primarsozialisation) erworbenen habituellen Denk- und Handlungsmuster überwiegend schwer zu irritieren sind. Damit werden einmal aufgebaute Grundhaltungen kontinuierlich in die Schulpraxis übertragen und orientieren sich kaum an bildungspolitischen bzw. pädagogischen Forderungen. Vielmehr zeichnen sich z. B. Kongruenzen zwischen der außerschulischen (trainingsorientierten) Sportkultur und dem schulisch praktizierten Sportunterricht ab; genauso wird die eigene Berufsrolle als Sportler*in definiert und hängt damit mit den individuellen sportmotorischen Kompetenzen zusammen. Nur vereinzelt sind Sportlehrkräfte – im Sinne eines reflexiven Habitus – in der Lage, eigene biographische Prägungen flexibel mit aktuellen fachlichen Theorien bzw. wechselnden schulischen Bedingungen zu verknüpfen, hinsichtlich ihres Passungsverhältnisses zu hinterfragen und dahingehend zu professionalisieren (ebd.); womöglich weisen die „alternativen“ Sportlehrkräfte – aufgrund der wenigen Brüche zum Reformkonzept und als Gegenpool (historisch verankerter) traditioneller, trainingszentrierter Unterrichtspraktiken – eine solche Reflexivität auf, womit diese bedeutende Innovatoren wären, um (vermeintlich starre) schulische Fachkulturen weiterzuentwickeln bzw. neu zu strukturieren.

Zusätzlich spiegelt sich mit den „mittleren“ Typen auch die Ambivalenz des Doppelauftrags wider, die schließlich nicht nur auf praktischer, sondern genauso auf konzeptioneller Ebene besteht. Zum einen sind also konzeptionelle Schwierigkeiten seitens der Sportdidaktik konstruktiv aufzugreifen und weiterführend (über eine Theorie-Praxis-Verknüpfung) zu problematisieren. Trotz bereits vorhandener fachdidaktischer Diskussionen, die konträre Zielvorstellungen aufnehmen, sind innerhalb einer wandelnden Bewegungs‑, Spiel- und Sportkultur die damit einhergehenden (veränderbaren praktischen) Herausforderungen (kontinuierlich) zu erarbeiten (Meier & Ruin, 2018, S. 167–177). Zum anderen sind schließlich die Studierenden und Lehrkräfte hinsichtlich des Umgangs von Gegensätzlichkeit bzw. Mehrdeutigkeit sportlicher Handlungen (pädagogisch) zu sensibilisieren, sodass diese überhaupt im Unterricht thematisiert werden können. Eine im erziehenden, mehrperspektivischen Sportunterricht intendierte Perspektiverweiterung ist von den (angehenden) Pädagogen innerhalb ihrer Ausbildung genauso zu „durchleben“, wie es die Schülerinnen und Schüler erfahren sollen. Bedeutsam dabei ist, dass die vielfältigen und (perspektiv)wechselnden Zusammenhänge und Ambivalenzen entsprechend reflektiert werden; möglicherweise sind über die Auseinandersetzung (individuums)spezifischer Blickwinkel auf den Sport habituelle Denk- und Handlungsmuster zu modifizieren (Poweleit, 2019, S. 310–311).

Im Zuge der weiteren Ausschärfung einer empirischen Fachkulturforschung (Thiele & Schierz, 2014) stellen die vorab aufgezeigten quantitativen Befunde eine wichtige Ergänzung zu den (vermehrt) vorliegenden qualitativen Erkenntnissen dar, um kulturtheoretische Aspekte im Setting Schulsport insgesamt über verschiedene methodische Zugänge zu erforschen. So können spezifische habituelle Denk- und Handlungsmuster von Individuen sowie deren biographische Entstehung bzw. Prägung vertiefend mittels qualitativer Verfahren rekonstruiert und erklärt werden (u. a. Ernst, 2018a, 2018b; Volkmann, 2008, 2018). Eine wie in diesem Beitrag vorgenommene quantitative Analyse kann dazu beitragen, kollektive Denk- und Handlungsmuster einer Population abzubilden, die wiederum spezifische Merkmale einer bzw. mehrerer Fachkultur(en) wiedergeben bzw. kollektiv gelebte (hybride) Strukturen erschließen lassen. Über die gegenseitige Ergänzung und Verknüpfung ermöglichen beide methodischen Vorgehensweisen eine empirische Fachkulturforschung in die Tiefe sowie Breite, die aus einer praxeologischen Perspektive (u. a. Liebau, 1993) sowohl Individualität als auch Kollektivität berücksichtigt und untersucht.

Hierüber werden aber gleichzeitig die Grenzen der jeweiligen Zugänge deutlich. Aus der im Beitrag vorgenommenen quantitativen Analyse geht zwar ein allgemeines, „äußeres Bild“ einer Fachgruppe hervor, allerdings lässt sich nicht reproduzieren, aus welcher sportsoziologischen Prägung die dargestellten Typen entstanden sind bzw. welche (individuelle) „innere Logik“ (Hericks & Körber, 2007, S. 39) sich dahinter verbirgt. Hierfür wäre u. a. eine (anknüpfende) biographisch-narrative Interviewstudie hilfreich, um die spezifischen (Sport‑)Sozialisationsprozesse der herausgearbeiteten fachkulturellen Denk- und Handlungsmuster nachzuzeichnen und vertiefend zu deuten.

Resümierend ist (nochmal) festzuhalten, dass ein Lehrplan nur umgesetzt werden kann, wenn es einen konsensuellen Teil der fachkulturellen Identität einer Einzelschule und ihrer Akteure einnimmt. Auf welche Weise curriculare Innovationen zu einem konstitutiven Merkmal eines Individuums und übergreifend einer fachkulturellen Struktur wird, ist (weiter) vertiefend zu analysieren. Aus den vorgestellten Befunden ist bereits abzuleiten, dass spezifische pädagogische Denkmuster und damit einhergehende Unterrichtspraktiken eine Realisierung (innovativer) Erziehungs- und Bildungsziele beeinflussen. Das Zusammenspiel von Fach-Habitus und fachkulturellen Strukturen ist ein entscheidender Faktor, der wiederum in innerschulischen Aushandlungsprozessen die „Spielregeln“ einer Fachkultur konstituiert. Vor diesem Hintergrund sollten in zukünftigen Untersuchungen (auch) alters- und ausbildungsspezifische Effekte stärker in den Blick genommen werden (Poweleit, 2019).