Für eine übersichtliche Darstellung der Bewertung werden die im Rahmen der Evaluation untersuchten Branchen in drei Branchentypen zusammengefasst (vgl. Tab. 1). Die Gruppierung berücksichtigt vorhandene Strukturähnlichkeiten zwischen den einzelnen Branchen. Die Tab. 2–5 geben einen systematischen Überblick der methodischen Ansätze und Ergebnisse.
Ergebnisse für Branchentyp 1
Tab. 2 Übersicht der Studien zum Branchentyp 1 – Teil 1 Tab. 3 Übersicht der Studien zum Branchentyp 1 – Teil 2 Kontrollgruppen
Zum Branchentyp 1 gehören vier Branchen, die traditionelle Handwerke mit Facharbeiterdominanz, hohen Qualitätsstandards und starker Regulierung umfassen. Darunter fallen das Bauhauptgewerbe, das Dachdeckerhandwerk, das Malerei- und Lackiererhandwerk sowie das Elektrohandwerk. Mindestlöhne wurden in diesen Branchen schon ab 1997 durch das AEntG eingeführt, zwischenzeitlich stark modifiziert und zeitweise in Abhängigkeit von der Branchenkonjunktur wieder ausgesetzt. Die sich hieraus ergebende Variation in den Mindestlohnregelungen, konnten die Evaluationsstudien zur Identifikation der Mindestlohneffekte nutzen.
Eine systematische Übersicht der Studien für den Branchentyp 1 befindet sich in Tab. 2 und 3. Alle vier Studien verfolgen ähnliche Kontrollgruppenansätze. Zum einen wird eine passende Kontrollbranche verwendet, die nicht einem allgemeinverbindlichen Mindestlohn unterliegt. Zum anderen werden Beschäftigte und Betriebe aus der gleichen Branche verwendet, die nicht oder nur gering durch den Mindestlohn betroffen sind.
Die Studie zum Bauhauptgewerbe nutzt zur Auswahl geeigneter Kontrollbranchen ein quantitatives Prüfverfahren. Ausschlaggebend für die Auswahl der Kontrollbranchen ist eine starke Ähnlichkeit in der Lohn- und Beschäftigungsentwicklung zwischen dem Bauhauptgewerbe und den potenziellen Vergleichsbranchen. Dabei werden jeweils für West- und Ostdeutschland vor- und nachgelagerte Branchen sowie eine baunahe und bauferne Vergleichsbranche ausgewählt. Es ist anzumerken, dass Spillover-Effekte auch bei vor- oder nachgelagerten Branchen über Input-Output-Beziehungen auftreten können, wenn auch in einem geringerem Umfang als innerhalb der direkt von der Mindestlohnregelung betroffenen Branche. Ob die ausgewählten Kontrollbranchen geeignet sind, den kausalen Effekt der Politikmaßnahme zu identifizieren hängt u. a. davon ab, ob die Annahme paralleler Trends für die jeweiligen Kontrollbranchen plausibel ist. Im Rahmen der Studie werden zahlreiche Placebo-Tests durchgeführt, um die Plausibilität der Annahme zu rechtfertigen.
Im Rahmen der Evaluation des Mindestlohns im Dachdeckerhandwerk werden drei verschiedene Kontrollbranchen ausgewählt und hinsichtlich einer Reihe von Kennzahlen zur Beschreibung der konjunkturellen Situation und des Wettbewerbs auf dem Arbeitsmarkt verglichen. Letztendlich zeigen sich zwischen dem Dachdeckerhandwerk und der Installationsbranche die meisten Ähnlichkeiten. Ein quantitatives Prüfverfahren zur Kontrollgruppenauswahl wird nicht angewandt. Die Studien zu Mindestlöhnen im Elektrohandwerk und im Maler- und Lackiererhandwerk nutzen mehrere potenzielle Kontrollgruppen. Diese werden nicht auf Basis eines quantitativen Prüfverfahrens ermittelt, sondern ihre Auswahl wird sachlogisch begründet.
Somit ist die Studie zum Bauhauptgewerbe die einzige Studie, die ein quantitatives Prüfverfahren zur Auswahl einer oder mehrerer geeigneter Kontrollgruppen nutzt. Der in der internationalen Forschungsliteratur viel beachtete synthetische Kontrollgruppenansatz (Abadie et al. 2010; 2015; Dube and Zipperer 2015) verwendet die vorhandene Variation in den Daten, um geeignete Kontrollgruppen zu finden. Bei dieser Methode basiert die Auswahl geeigneter Kontrollgruppen nicht auf sachlogischen Überlegungen, sondern die Daten bestimmen auf Basis eines geeigneten statistischen Kriteriums die ähnlichsten Kontrollgruppen durch eine entsprechende Gewichtung. Gegenüber der diskretionären Auswahl der Kontrollbranchen in den Gutachten zu den Branchenmindestlöhnen hat der synthetische Kontrollgruppenansatz den Vorteil, dass mehrere Kontrollbranchen mit entsprechender Gewichtung gepoolt werden können, um einen besseren Vergleichsmaßstab (eine bessere synthetische Kontrollgruppe) zu ermitteln.Footnote 5 Das im Bauhauptgewerbe angewandte Prüfverfahren gewichtet hingegen alle betrachteten Kontrollgruppen gleich.
Alle dem Branchentyp 1 zugehörigen Studien verwenden auch Personen innerhalb der jeweiligen Branche als Vergleichsgruppe. Während diese in den Studien zum Dachdeckerhandwerk und zum Bauhauptgewerbe aus allen Personen besteht, die bereits vor der Mindestlohneinführung bzw. Mindestlohnerhöhung mindestens zum (neuen) Mindestlohn entlohnt wurden, verwenden die Studien zum Elektro-, Maler- und Lackiererhandwerk nur Personen, die vor Einführung des Mindestlohns mindestens diesen und maximal 15 % darüber verdienten. Diese Vorgehensweise ist vor dem Hintergrund möglicher Spillover-Effekte in diesem Bereich der Lohnverteilung zu bewerten. Die gewählte Lohngrenze scheint ad hoc festgelegt worden zu sein. Hier stellt sich die Frage, ob und in welcher Weise die Ergebnisse von der Höhe der Lohngrenze abhängen.
Zudem stellt sich das Abgrenzungsproblem a fortiori, da keine Stundenlöhne beobachtet werden. In diesem eng definierten Bereich der Lohnverteilung besteht bei einer unpräzisen Beobachtung der Stundenlöhne die Gefahr einer fälschlichen Zuweisung in die Treatment- oder Kontrollgruppe. Wenn Spillover-Effekte auftreten, ist die zweite zentrale Annahme des DvD-Ansatzes verletzt, da auch die Kontrollgruppe indirekt durch die Mindestlohneinführung betroffen ist. Dies ist beispielsweise denkbar, wenn aus Motivationsgründen die betriebliche Lohnspreizung nach Einführung des Mindestlohns aufrechterhalten wird und deshalb auch über dem Mindestlohn liegende Löhne steigen. Ebenso können Substitutions- und Skaleneffekte in der Arbeitsnachfrage eine Rolle spielen.
Auf Betriebsebene werden Betriebe als Kontrollbetriebe verwendet, die über dem gültigen Mindestlohnniveau entlohnen bzw. bei denen kein mindestlohnbedingter Anstieg der Lohnkosten dokumentiert wurde. Die Evaluationsstudien zu Mindestlöhnen in der Elektrobranche und im Maler- und Lackiererhandwerk verwenden zusätzlich Beschäftigte aus Betrieben dieser Branchen, die schon vor der Mindestlohneinführung tarifgebunden waren. Neben möglichen Substitutionseffekten besteht im Rahmen dieses Ansatzes auch das Risiko der Endogenität der Tarifbindung, d. h. Betriebe, die schon vor Einführung des Mindestlohns tarifgebunden waren, können im Hinblick auf die betrachteten Zielgrößen eine Selektion von Betrieben darstellen.
Methoden und Daten
Alle Studien für den Branchentyp 1 können auf eine solide und umfangreiche Datenbasis zurückgreifen, die eine aussagekräftige Wirkungsanalyse möglich macht. Für das Bauhauptgewerbe und für das Dachdeckerhandwerk wurden im Rahmen der Evaluation neue administrative Daten zur Verfügung gestellt, die eine Berechnung der Stundenlöhne ermöglichen.
Grundsätzlich besteht die Möglichkeit den DvD-Ansatz zu einem DvDvD-Ansatz zu erweitern, wenn eine weitere Kontrollgruppe zur Verfügung steht. Die Studie zu Mindestlöhnen im Dachdeckerhandwerk nutzt den erweiterten DvD-Ansatz, um branchenspezifische Effekte auszuschließen und die Robustheit der Ergebnisse zu überprüfen. Dieser Ansatz unterstellt eine Parallelität in den Veränderungen der Zeittrends, eine Annahme deren Plausibilität schwieriger als für einfache DvD-Verfahren durch Placebo-Tests zu überprüfen ist. Gleichwohl wäre es hier naheliegend gewesen Placebo-Tests durchzuführen.
In der Evaluation zum Bauhauptgewerbe wird zusätzlich eine Variation des DvD-Ansatzes verwendet, die die Mindestlohneffekte als Funktion der Eingriffsintensität modelliert. Der sogenannte inkrementelle DvD-Schätzer (Dolton et al. 2010; 2012) nutzt als identifizierende Variation die z. B. regionalen Unterschiede in der Veränderung der Eingriffsintensitäten über die Zeit. Um für strukturelle Unterschiede zwischen Betroffenen und Nichtbetroffenen (z. B. Regionen) zu kontrollieren, wird die aktuelle Eingriffsintensität \(P_{jt}\) vor und nach der Mindestlohneinführung in die Schätzung aufgenommen. Der stufenweise (inkrementelle) Effekt der tatsächlichen Eingriffsintensität nach der Mindestlohneinführung wird als Interaktionseffekt von \(P_{jt}\) mit einer Jahresdummy geschätzt. Dieser kumulative Effekt wird als Effekt der Mindestlohnregelung relativ zu dem Zeitraum vor der Mindestlohneinführung interpretiert (siehe folgende Fußnote für eine formale Darstellung).Footnote 6 Der geschätzte Koeffizient des Haupteffekts von \(P_{jt}\) kontrolliert für strukturelle Unterschiede zwischen Betroffenen und Nichtbetroffenen.
Die Ausnutzung der regionale Variation der Eingriffintensitäten nach Kontrolle für strukturelle Unterschiede ist grundsätzlich sinnvoll. Allerdings sind im Rahmen dieses Ansatzes folgende Probleme zu beachten: Erstens besteht vermutlich ein Endogenitätsproblem der Veränderung der Eingriffsintensität über die Zeit, d. h. die Veränderung in der Eingriffsintensität im Zeitverlauf wird von den Mindestlohnregelungen in der Vergangenheit beeinflusst. Zweitens reflektieren die kumuliert geschätzten Effekte die Wirkungen unterschiedlicher Mindestlohnregelungen (z. B. Einführung und spätere Erhöhung) für eine sich im Zeitverlauf verändernde Treatmentgruppe. Dies stellt, wie auch Dolton et al. (2010), (2012) konstatieren, eine kausale Interpretation der inkrementellen Effekte über die Mindestlohneinführung hinaus in Frage. Wir schlagen deshalb vor eine modifizierte Version des inkrementellen DvD-Schätzers als Robustheitscheck durchzuführen. Dabei sollte die Veränderungen zwischen jeweils zwei Zeitperioden analog zu einer Standard-DvD Schätzung betrachtet werden. Wenn sich die geschätzten Mindestlohneffekte aus dem inkrementellen Design und dem Robustheitscheck signifikant unterscheiden, dann ist es notwendig die Plausibilität der impliziten Annahmen über die Selektivität der Treatmentgruppe expliziter zu diskutieren, um eine angemessene Schätzung bestimmen zu können.
Ergebnisse
Die Ergebnisse der Wirkungsanalysen für die Zielgrößen Beschäftigung und Lohn sind in Tab. 2 und 3 zusammengefasst. Zur Gewährleistung der internen Validität der Ergebnisse ist die Durchführung umfangreicher Placebo-Tests prinzipiell zu befürworten. Die Gefahr eines statistischen Overfittings sollte dabei diskutiert werden.
Die Studie zum Mindestlohn im Bauhauptgewerbe präsentiert zahlreiche Placebo-Tests. Für die Zielgröße Beschäftigung scheint die Annahme paralleler Trends für alle gewählten Kontrollgruppen plausibel. Das Schätzverfahren liefert keine signifikanten Beschäftigungseffekte in West- und Ostdeutschland (Möller et al. 2011, vgl. Tab. 6.4). Es ist auffällig, dass die Placebo-Tests vor allem dann gelingen (sprich parallele Trends werden nicht verworfen), wenn auch nach der Mindestlohneinführung keine signifikanten Effekte gemessen werden. Die Placebo-Experimente werden auch für die Zielgröße Lohnwachstum durchgeführt. Diese gelingen für die ausgewählten Kontrollgruppen außerhalb des Bauhauptgewerbes nie und für Kontrollgruppen innerhalb der Branche nur für Westdeutschland. Die Ergebnisse zeigen positive Effekte auf das Lohnwachstum in beiden Teilen Deutschlands für die Mindestlohneinführung im Jahre 1997.
Die Untersuchungen zur Einführung des Mindestlohns II und weiterer Erhöhungen liefern keine robusten Ergebnisse (Möller et al. 2011, vgl. S. 168ff.). Grundsätzlich sollte die Auswahl geeigneter Kontrollgruppen nicht allein durch das Gelingen von Placebo-Tests motiviert sein, da dies auch von der Skalierung der Zielgröße abhängen kann. Des Weiteren steigt mit der Anzahl an durchgeführten Tests auch die Wahrscheinlichkeit dafür, dass einer der Placebo-Tests gelingt, obwohl die Kontrollgruppe nicht geeignet sein könnte. Dann besteht die Gefahr eines statistischen Overfittings. Wir schlagen in diesem Zusammenhang vor, das quantitative Prüfverfahren in Analogie zu Kreuzvalidierungsverfahren zu gestalten. Die Güte des Modells sollte auf Basis von Prognosen außerhalb der Schätzstichprobe in Verbindung mit einer gleichzeitigen Bestrafung von einer zu hohen Flexibilität innerhalb der Schätzstichprobe berechnet werden. Wenn eine stärkere Flexibilität des Schätzansatzes bei der Wahl der Kontrollgruppe mit einem höheren Prognosefehler außerhalb der Schätzstichprobe verbunden ist, dann sollte diese Flexibilität im statistischen Sinne stärker bestraft werden (analog zur Konstruktion des angepassten Bestimmtheitsmaß für eine lineare Regression).
Während die Studie zum Mindestlohn im Dachdeckerhandwerk nur eine Vergleichsbranche verwendet, nutzen die anderen Studien mehrere Kontrollbranchen. Der Vergleich zu nur einer Kontrollbranche beschränkt die Interpretation der Ergebnisse auf einen Vergleich mit ebendieser einen Branche. Die Anwendung mehrerer Kontrollbranchen kann zu dem Problem führen, dass sich die Ergebnisse je nach Wahl der Kontrollgruppe unterscheiden. Dies zeigt sich in den Studien zum Elektrohandwerk und Maler- und Lackiererhandwerk. Zudem liefern Robustheitsanalysen und Placebo-Tests Hinweise dafür, dass die Annahme paralleler Trends in diesen Studien häufig verletzt ist (Kirchmann et al. 2011b, vgl. S. 198ff., S. 211ff.) und (Kirchmann et al. 2011a, vgl. S. 201ff., S. 211ff., S. 215ff.). Zur Erhöhung der internen Validität der Ergebnisse erachten wir weitergehende Analysen (ggf. mit synthetischen Kontrollgruppen) als notwendig. Die Auswahl der Kontrollbranche ist allerdings nur eine, aber natürliche wichtige Dimension in der Schätzung des Vergleichsmaßstabs. Während einfache Standardanwendungen des synthetischen Kontrollgruppenansatzes (Abadie et al. 2015; Dube and Zipperer 2015; Felder 2014) gewichtete Vergleichsgruppen für Aggregate (Branchen, Staaten) schätzen, untersuchen die Mindestlohngutachten ebenfalls Unterschiede in der Betroffenheit der Firmen oder Regionen in der Branche, um die Mindestlohneffekte zu schätzen. Der synthetische Kontrollgruppenansatz ist diesbezüglich zu erweitern.Footnote 7
Die Ergebnisse des inkrementellen DvD-Ansatzes in der Studie zum Bauhauptgewerbe liefern einen negativen permanenten Unterschied zwischen den Vergleichsgruppen. Die Ergebnisse für Interaktionen der Betroffenheit und Indikatorvariablen für die einzelnen Jahre zwischen 1999 bis 2001 (in diesen Jahren gab es einen Mindestlohn) sind positiv und signifikant. Laut diesen Ergebnissen führte der Mindestlohn in diesen Jahren zu positiven Beschäftigungseffekten relativ zur Periode vor Einführung des Mindestlohns. Im Hinblick auf das Lohnwachstum zeigen sich in frühen Jahren positive Effekte in West- und Ostdeutschland. Danach schwanken die Ergebnisse vor allem in Ostdeutschland (Möller et al. 2011, vgl. S. 247.). Aufgrund der in Abschn. 3.1.2 geäußerten Vorbehalte erscheinen die Ergebnisse des inkrementellen DvD-Schätzers ab dem zweiten Jahr nach Einführung des Mindestlohns als schwer interpretierbar.
Die Ergebnisse, die auf Basis eines Vergleichs mit einer Kontrollgruppe innerhalb der Branche geschätzt wurden, müssen vor dem Hintergrund möglicher Spillover- und Substitutionseffekte interpretiert werden. Die Belastbarkeit der Ergebnisse hängt maßgeblich von der Datenqualität ab, da eine unpräzise Abgrenzung der Vergleichsgruppen zu verzerrten Ergebnissen führt. Für das Elektrohandwerk ergeben sich bei einem Vergleich mit nicht betroffenen Beschäftigten innerhalb der Branche negative Beschäftigungseffekte der Mindestlohneinführung 1997 für Westdeutschland sowie der Wiedereinführung 2007 in Ostdeutschland (Kirchmann et al. 2011a, vgl. S. 199). Auch die Effekte auf die Löhne sind negativ. Für das Maler- und Lackiererhandwerk zeigen sich keine signifikanten Effekte für beide Zielgrößen (Kirchmann et al. 2011b, vgl. S. 194ff).
In den Evaluationen zum Bauhauptgewerbe und Dachdeckerhandwerk ergeben sich positive Effekte auf das Lohnwachstum. Die Analyse des Dachdeckerhandwerks kann sehr präzise Stundenlohninformationen benutzen, so dass die Abgrenzung der Vergleichsgruppe einfacher ist. In beiden Studien finden sich Hinweise für das Auftreten von Spillover-Effekten. Diese werden in der Studie zum Dachdeckerhandwerk sehr ausführlich diskutiert. Im oberen Bereich der Lohnverteilung kommt es zu negativen Lohneffekten. Insgesamt geht die Lohnspreizung in Ostdeutschland stark zurück (Aretz et al. 2011, vgl. S. 307ff).
Der Beschäftigungseffekt fällt bei einem Vergleich mit Kontrollpersonen innerhalb des Dachdeckerhandwerks negativer aus als bei einen Vergleich mit dem Installationsgewerbe. Eine Verzerrung der Ergebnisse ist hier möglich, wenn es zu indirekten positiven Auswirkungen auf die nichtbetroffenen Kontrollpersonen kommt. Es ist festzuhalten, dass eine weitergehende, substantielle Analyse dieser Aspekte sinnvoll wäre. Wenn Schätzungen der Substitutions- und Skaleneffekte in der Arbeitsnachfrage vorliegen und gleichzeitig die Spillovereffekte in den Löhnen erfasst werden, könnte die Verzerrung in den DvD-Schätzungen quantifiziert werden. Unter der Annahme, dass der Substitutionseffekt den Skaleneffekt dominiert (Fitzenberger 2009), wäre eine Aussage über die Richtung der Verzerrung möglich.
Die Branchen aus dem Bauhaupt- und Baunebengewerbe weisen mehrere Besonderheiten auf (Produktionsbedingungen, Wettbewerb, Beschäftigtenstruktur usw.) und die starke Zunahme ausländischer Arbeitnehmer in diesen Branchen war Anlass für die Einführung von Mindestlöhnen Ende der 1990er Jahre. Gleichzeitig agierten die Baubranchen unter der besonderen konjunkturellen Lage nach der Wiedervereinigung. Zum einen erfolgte Ende der 1990er Jahre ein vorhersehbarer Schrumpfungsprozess der Branche nach Ende des wiedervereinigungsbedingten Booms und zum anderen war die Zunahme der Beschäftigung ausländischer Arbeitnehmer Auslöser der Einführung von Mindestlöhnen. Die Mindestlohnregelungen wirken zudem auf die seinerzeit vor allem im Baugewerbe weit verbreitete Arbeitnehmerentsendung, die jedoch in den Gutachten nicht erfasst werden konnte (Meier and Munz 2008). Folglich ist die externe Validität der Evaluationsstudien für den Branchentyp 1 aufgrund der besonderen Situation der Baubranchen beschränkt. Zudem stellt sich angesichts des Vorhersehbarkeit des Schrumpfungsprozesses insbesondere für die Baubranchen die Frage nach einer möglichen Politikendogenität der Mindestlohnregelungen.
Zusammenfassend lässt sich für Branchentyp 1 festhalten, dass die vorgelegten Studien sorgfältige Analysen auf einer breiten Datenbasis und mit einem weiten Methodenspektrum umgesetzt haben. Allerdings fallen die Ergebnisse je nach Wahl der Kontrollgruppe unterschiedlich aus. Die Studien für das Bauhauptgewerbe und für das Dachdeckerhandwerk konnten innovative Datensätze nutzen, diese mit unterschiedlichen methodischen Ansätzen untersuchen und die Ergebnisse dahingehend diskutieren. Für das Bauhauptgewerbe und für das Dachdeckerhandwerk sind trotz Unterschieden je nach Kontrollgruppe negative Beschäftigungseffekte, vor allem bei hoher Eingriffsintensität, zu konstatieren, die allerdings angesichts teilweise sehr hoher Eingriffsintensität nicht sehr stark ausfallen. Demgegenüber finden sich keine negativen Beschäftigungseffekte im Maler- und Lackiererhandwerk und im Elektrohandwerk. Meist, aber nicht in allen Fällen finden sich positive Lohneffekte und in mehreren Fällen wirkt sich der Mindestlohn augenscheinlich auch auf die Lohnstruktur oberhalb des Mindestlohnes aus.
Ergebnisse für Branchentyp 2
Zum zweiten Branchentyp gehören die Wäschereidienstleistungen im Objektkundengeschäft und die Gebäudereinigung. Hierbei handelt es sich um zwei arbeitsintensive Branchen, in denen die Tätigkeiten vor allem einfache, standardisierte Dienstleistungen mit starkem körperlichem Einsatz umfassen. Charakteristisch für beide Branchen ist ein hoher Anteil an weiblichen Beschäftigten. Die ersten Mindestlöhne wurden ab dem Jahr 2007 eingeführt.
In Tab. 4 werden die wichtigsten Punkte der Studien systematisch zusammengefasst. Im Vergleich zu den vier Studien aus dem Bauhaupt- und Baunebengewerbe leiden die Studien zum Branchentyp 2 unter starken Problemen der Datenverfügbarkeit. Dies liegt an der relativ kurzen Zeitperiode zwischen der Einführung der Mindestlöhne und dem Zeitpunkt der Evaluation. Außerdem bestehen aufgrund der begrenzten Verfügbarkeit von Informationen zu den Wirtschaftsklassen erhebliche Abgrenzungsprobleme der vom Mindestlohn betroffenen Betriebe und Personen und damit ebenfalls erhebliche Abgrenzungsprobleme bei der Konstruktion von Vergleichsgruppen.
Tab. 4 Übersicht der Studien zum Branchentyp 2
In der Studie zum Mindestlohn im Wäschereigewerbe wurde aufgrund der unzureichenden Datenlage keine ökonometrische Wirkungsanalyse durchgeführt. Die Ergebnisse der Studie basieren daher ausschließlich auf Aussagen aus Expertengesprächen und Befragungen (Bosch et al. 2011a). Die Ergebnisse verdeutlichen, dass zum Zeitpunkt der Evaluation eine hohe Unsicherheit auf Seiten der Wäschereibetriebe über die Mindestlohnpflicht bestand. Hinzu kommt, dass ebenso ex post in administrativen Daten die genaue Abgrenzung der Branche, für die die Mindestlohnpflicht gilt, schwierig ist. Gleichwohl hätte nach unserer Einschätzung eine kausale Wirkungsanalyse, die die unvollständige Betroffenheit von Betrieben als Treatment verwendet, in Kombination mit modernen Kontrollgruppenansätzen (synthetische Kontrollgruppen unter Berücksichtigung der Heterogenität innerhalb der Branche, siehe Fußnoten 5 und 7) durchgeführt werden können, die unter Umständen belastbare Ergebnisse geliefert hätte. Der Evaluationsstudie (Bosch et al. 2011a) ist jedoch zugutezuhalten, dass eine ökonometrische Wirkungsanalyse im Falle des Mindestlohns im Wäschereigewerbe besondere Schwierigkeiten aufweist, sowohl im Hinblick auf den Zeitdruck, unter dem die Studien zu erstellen waren, als auch im Hinblick auf die besonderen Abgrenzungsprobleme der Betroffenheit durch den Mindestlohn.
In der Studie zur Gebäudereinigung (Bosch et al. 2011b) wurde trotz der beschränkten Datenverfügbarkeit ein Kontrollgruppenansatz umgesetzt. Ausgangspunkt für die Bildung der Vergleichsgruppen sind die regional unterschiedlichen Tariflohnänderungen im April 2004 sowie die Einführung der Mindestlöhne im Juli 2007 und die anschließende Erhöhung der tariflich vereinbarten Mindestlöhne ab März 2008. Zur Bildung von Kontrollgruppen außerhalb der Gebäudereinigungsbranche wurden Kunden- und Beschäftigungsstrukturen verglichen. In dieser Hinsicht weisen die branchenbezogenen Kontrollgruppen aus dem Wachgewerbe und aus der getränkegeprägten Gastronomie die größte Ähnlichkeit mit der Gebäudereinigungsbranche auf. In der Beschäftigungsstruktur gibt es vor allem bei den Arbeitszeiten und dem Geschlechteranteil Unterschiede zum Wachgewerbe. Die Kundenstruktur ist in beiden Branchen sehr ähnlich, wobei in der getränkegeprägten Gastronomie deutliche saisonale und klimabedingte Schwankungen auftreten. Eine weitere Kontrollgruppe besteht aus Reinigungskräften, die in anderen Branchen beschäftigt sind und somit vergleichbare Tätigkeiten ausüben, aber keinen Mindestlohnanspruch besitzen. Die Heterogenität der Branchen, in denen Reinigungskräfte außerhalb des Gebäudereinigerhandwerks beschäftigt sind, ist jedoch nur begrenzt kontrollierbar.
Die Ergebnisse zeigen ein uneinheitliches Bild der Tariflohnänderungen im Jahre 2004 und der Aufnahme in das AEntG und der damit verbundenen Wirksamkeit der Mindestlöhne im Juli 2007. Für die Zielgröße Beschäftigung zeigt sich keine eindeutige Mindestlohnwirkung. Die Effekte werden auf Regionalebene bestimmt und sind je nach Region positiv oder negativ und meistens insignifikant (Bosch et al. 2011b, vgl. Tab. 27 und 28). Die Einführung der Mindestlöhne führt zu signifikant negativen Effekten im Vergleich zu den erstgenannten Kontrollgruppen. Die Effekte der Mindestlohnerhöhung im Jahr 2008 erweisen sich hingegen als positiv (Bosch et al. 2011b, vgl. Tab. 29).
Die interne Validität der Ergebnisse für die Gebäudereinigungsbranche ist kritisch zu bewerten. Zur Überprüfung der Plausibilität der Annahme paralleler Trends werden zeitliche Entwicklungen der relevanten Zielgrößen für die Treatment- und Kontrollgruppe dargestellt (Bosch et al. 2011b, vgl. S. 250ff). Diese branchenspezifischen Entwicklungspfade stellen die Gültigkeit der identifizierenden Annahme infrage und sprechen somit gegen die Eignung der Kontrollgruppen. Insbesondere für die Beschäftigungsentwicklung scheint diese wichtige Annahme wenig plausibel. Es werden keine Placebo-Tests zur weiteren Plausibilitätsprüfung durchgeführt.
Die geschätzten negativen Effekte der Mindestlohneinführung im Jahre 2007 und die positiven Effekte der Erhöhung im darauffolgenden Jahr könnten auch als Hinweis auf eine Endogenität des Treatments (zur Politikendogenität siehe Abschn. 2) angesehen werden. Es ist durchaus denkbar, dass die Einführung der Mindestlöhne und die spätere Erhöhung im Hinblick auf zukünftige Beschäftigungseffekte von den Tarifparteien ausgehandelt worden sind. Diesem Problem wird durch den gewählten Evaluationsansatz nicht Rechnung getragen.
Die Wirkungsanalyse zum Mindestlohn in der Gebäudereinigung zeigt, wie wichtig eine ausführliche Analyse und Diskussion über die Eignung der gewählten Kontrollgruppen im Hinblick auf die erforderlichen Annahmen des Schätzmodells ist. Die Anwendung von Placebotests kann dazu beitragen die interne Validität der Untersuchung zu verbessern. Eine Verwendung synthetischer Kontrollgruppen aus mehreren anderen Branchen (unter Berücksichtigung der Heterogenität innerhalb der Branche, siehe Fußnoten 5 und 7) oder einer Kontrollgruppe innerhalb der Gebäudereinigungsbranche wäre sinnvoll.
Zusammenfassend lassen sich für Branchentyp 2 folgende Punkte festhalten. Für die Wäschereidienstleistungen im Objektkundengeschäft wurde leider nicht versucht, eine ökonometrische Wirkungsanalyse des Mindestlohns durchzuführen. In der ökonometrischen Wirkungsanalyse für die Gebäudereinigung wurde die Eignung des gewählten Evaluationsansatzes und der gewählten Kontrollgruppen nicht hinreichend kritisch diskutiert. Daher ist es schwierig die fehlende Robustheit der erzielten Ergebnisse angemessen einzuordnen. Beiden Gutachten ist zugutezuhalten, dass die Datenlage für eine ökonometrische Evaluation des Mindestlohns zum Zeitpunkt der Erstellung der Gutachten sehr schwierig war.
Ergebnisse für Branchentyp 3
Der dritte Branchentyp umfasst die Branchen Abfallwirtschaft und Pflege. Beide Branchen sind durch ein Nebeneinander öffentlicher und privater Anbieter gekennzeichnet. Die Qualitätssicherung der Leistungserstellung hat in diesen Branchen einen hohen Stellenwert. Mindestlöhne wurden in diesen Branchen erst im Jahr 2010 eingeführt.
Tab. 5 Übersicht der Studien zum Branchentyp 3
In beiden Studien waren amtliche Daten nicht oder nur beschränkt verfügbar. Für die Pflegebranche lagen keinerlei amtliche Daten vor, die den Zeitraum nach der Mindestlohneinführung abdeckten, so dass die Autoren eine eigene Befragung in Auftrag gaben. Hierbei wurde durch ein Befragungsunternehmen eine Online-Befragung durchgeführt, die den Zeitraum kurz vor der Mindestlohneinführung und den Zeitraum kurz danach abdeckt. Der Vorteil dieser Datengewinnung liegt in der präzisen Abfrage der Stundenlöhne und der damit verbundenen Vermeidung von Verzerrungen durch die Berechnung aus anderen Datensätzen. Des Weiteren ist eine präzise Abgrenzung der vom Mindestlohn betroffenen Einrichtungen und Personen möglich, da die Befragung nicht nur Fragen zur Lohnstruktur sondern auch zu den Einrichtungen und dem Arbeitsumfeld umfasst. Auch die Studie zum Mindestlohn in der Abfallwirtschaft ergänzt die beschränkte Datenbasis durch eigens für die Evaluation erhobene Befragungsdaten.
Kontrollgruppen aus anderen Vergleichsbranchen werden nur in der Studie zur Abfallwirtschaft verwendet. Als Kontrollgruppe außerhalb der Branche dient der Garten- und Landschaftsbau, weil diese Branche, wie die Abfallwirtschaft durch Multiproduktunternehmen gekennzeichnet ist, wie beispielsweise Dienstleistungen in der Objektbetreuung oder Hausmeistertätigkeiten. In dieser Branche gibt es eine spezifische Wettbewerbssituation, die durch ein Nebeneinander von öffentlichen und privaten Anbietern sowie durch geringe Qualifikationsanforderungen an die Beschäftigten gekennzeichnet ist. In einem umfassenden Branchenbild wird die Annahme paralleler Trends untersucht. Mögliche Verletzungen der Annahme zeigen sich vor allem in der Sektorengröße, der Umsatzentwicklung sowie der Unternehmensanzahl und deren Größe. Aus diesen Unterschieden heraus wird die Kontrollgruppe in der Evaluation ausschließlich für den Teilbereich der Abfallbeseitigung verwendet. Somit untersucht die Wirkungsanalyse den Effekt der Mindestlohneinführung auf Betriebe im Teilbereich der Abfallbeseitigung im Vergleich zu Betrieben aus dem Landschafts- und Gartenbau. Es zeigen sich keine signifikanten Beschäftigungseffekte (Egeln et al. 2011, vgl. Tab. A2).
Die externe Validität dieses Ergebnisses ist beschränkt, da es nur für den Teilbereich der Abfallbeseitigung gilt. Gerade in diesem Teilbereich der Abfallwirtschaft ist die Nachfrage vergleichsweise konstant und die Möglichkeiten Beschäftigung abzubauen oder diese zu ersetzen sind gering. Die Verwendung der weiteren Teilmärkte der Abfallwirtschaft wäre eventuell möglich gewesen, wenn die Eignung der Kontrollgruppe als Vergleichsbranche für diese Teilmärkte durch Placebo-Tests überprüft worden wäre. Außerdem hätte das Analysepotenzial unter Anwendung eines synthetischen Kontrollgruppendesigns (unter Berücksichtigung der Heterogenität innerhalb der Branche, siehe Fußnoten 5 und 7) erhöht werden können.
In beiden Studien werden Kontrollgruppen innerhalb der untersuchten Branche verwendet. Die Studie zum Mindestlohn in der Pflege wählt die Gruppe der tarifgebundenen Einrichtungen als Kontrollgruppe, da diese nicht vom Mindestlohn betroffen sind, aber dieselbe Entwicklung zu erwarten hatten, wie die vom Mindestlohn betroffene Gruppe. Substitutionseffekte im Hinblick auf andere Branchen erscheinen vernachlässigbar, weil die Pflege branchenspezifische Tätigkeiten erfordert. Arbeitsnachfrageinduzierte Substitutionseffekte zwischen Treatment- und Kontrollgruppe auf Betriebsebene sind per Definition ausgeschlossen, da die Tarifbindung eine Eigenschaft der Einrichtung und nicht der Arbeitnehmer ist. Die Arbeitnehmer aus der Kontrollgruppe (also aus Betrieben mit Tarifbindung) sind somit nicht qualifizierter oder für einen Arbeitgeber interessanter als jene in der Treatmentgruppe. Allerdings besteht die Möglichkeit der Substitution durch die Nachfrage nach Pflegeleistungen in der Kontrollgruppe, da deren Lohnkosten nicht ansteigen.
Da die Evaluation der Pflegebranche die Effekte der Mindestlohneinführung auf Betriebsebene untersucht, erfolgt die Abgrenzung der Vergleichsgruppen einzig auf Basis des Kriteriums der Tarifbindung. Die Zuordnung zur Treatment- und Kontrollgruppe ist nicht eindeutig, da eine Tarifbindung auch freiwillig angewendet worden sein kann, indem sie beispielsweise in einem individuellen Arbeitsvertrag vereinbart wurde. Es besteht weiterhin eine mögliche Endogenität der Tarifbindung selbst. Die Lohnhöhe und die freiwillige Tarifbindung können von der individuellen Leistungsfähigkeit des Betriebes abhängen. Das Branchenbild zeigt, dass die Tarifbindung vom Anbietertyp anhängig ist. Öffentlich-rechtliche sowie freigemeinnützige und kirchliche Anbieter entlohnen weitaus häufiger nach Tarif als private Träger. Die Vergleichbarkeit mit privaten Anbietern, die in stärkerem Wettbewerb stehen und die keine Tarifbindung aufweisen, ist daher fraglich. Die Interpretation der Ergebnisse sollte deshalb vor dem Hintergrund einer möglichen Endogenität der Tarifbindung erfolgen.
Insgesamt zeigen sich nur wenig signifikante Ergebnisse für den Pflegesektor. Eine Ausnahme sind negative Beschäftigungseffekte in Westdeutschland bei ambulanten Diensten. Die Effekte auf die Stundenlöhne sind im Osten stärker als im Westen und nur für Pflegehilfskräfte signifikant (Kirchmann et al. 2011c, vgl. Tab. 10.17–10.19). Die Placebo-Tests können nicht mit demselben Datensatz durchgeführt werden, da die Panelbeobachtungen nur die zwei Perioden umfassen, die für die Wirkungsanalyse verwendet werden. In der Studie werden deshalb Lohninformationen aus administrativen Individualdaten genutzt. Es werden Placebo-Tests auf Beschäftigtenebene durchgeführt, die nur bedingt mit den Ergebnissen der Wirkungsanalyse auf Betriebsebene vergleichbar sind. Eine Durchführung solcher Robustheitsanalysen ist grundsätzlich zu befürworten. In diesem Fall tragen sie jedoch nur wenig zur Bewertung der internen Validität der Ergebnisse bei.
Die Evaluation zur Abfallwirtschaft definiert Betriebe als Treatmentgruppe, die vor Mindestlohneinführung mindestens einen Arbeitnehmer unterhalb des Mindestlohns entlohnten. Als Kontrollgruppe werden die Betriebe gewählt, die keinem Mitarbeiter in Folge des Mindestlohns eine Lohnerhöhung zahlen mussten, also alle Betriebe, die ihre Mitarbeiter ausnahmslos oberhalb des Mindestlohns entlohnten. Für die Abfallwirtschaft werden mögliche Spillover-Effekte als wenig relevant angesehen, da das Beschäftigungswachstum in der Kontrollgruppe niedriger ausfällt als in der Treatmentgruppe. Substitutionseffekte sind zwischen regulär Beschäftigten und Teilzeitbeschäftigten sowie Beschäftigten des zweiten Arbeitsmarktes (1-Euro-Jobber) zu erwarten. Diese werden in der Studie deskriptiv untersucht. Der Anteil von 1‑Euro Jobbern ist sehr gering. Der Anteil von Teilzeitbeschäftigten ist in Unternehmen, die den Mindestlohn umgehen, höher (Egeln et al. 2011, vgl. Tab. 33). Aufgrund der Datenlage konnten diese Effekte nicht weitergehend untersucht werden, sollten aber in zukünftigen Analysen stärker berücksichtigt werden.
Durch die Verwendung von Befragungsdaten können beide Studien präzise Informationen über Stundenlöhne nutzen, sodass keine Verzerrungen durch die Berechnung aus anderen Datensätzen entstehen. Im Hinblick auf die externe Validität der Ergebnisse ist noch zu erwähnen, dass die verwendeten Daten nicht repräsentativ für die Grundgesamtheit sind. Ein Abgleich mit amtlichen Daten, das Durchführen von vergleichbaren Robustheitsanalysen und die Ermittlung von Effekten auf Individualebene wären ratsam, wenn in zukünftigen Evaluationen die interne und externe Validität erhöht werden sollen.
Zusammenfassend lässt sich für Branchentyp 3 positiv festhalten, dass beide Studien versucht haben auf Basis von Befragungsdaten eine belastbare ökonometrische Evaluation des Mindestlohns, trotz des kurzen Zeitraums zwischen der Einführung des Mindestlohns und der Erstellung der Gutachten, durchzuführen. Es wurden nahezu keine signifikanten Beschäftigungseffekte in beiden Branchen und kaum Lohneffekte in der Pflegebranche gefunden. Die externe Validität der erzielten ökonometrischen Ergebnisse ist als kritisch einzuschätzen. Weitergehende Untersuchungen wären im Hinblick auf die Teilzeitbeschäftigung in der Pflegebranche und auf die Abgrenzung zwischen privaten und öffentlichen Anbietern geboten.