Schulsozialarbeit wird inzwischen als etabliertes Handlungsfeld einer modernen Jugendhilfe-Infrastruktur betrachtet (Richter und Wittfeld 2018) und befindet sich in Baden-Württemberg im Ausbau. Fachlich und steuerungspolitisch ist Schulsozialarbeit vor allem wegen ihrer Brückenfunktion zwischen Schule und Jugendhilfe und der dadurch erwachsenden Mitgestaltungsmöglichkeiten in beiden Systemen sehr attraktiv und weitläufig akzeptiert. Ihre spezifische Position in der Grenzbearbeitung zwischen den gesellschaftlich geschaffenen Sphären (Schule, Familie, Peers, Kinder- und Jugendhilfe) (Deinet 2016, S. 145) ist im Feld der Kinder- und Jugendhilfe ein Alleinstellungsmerkmal. Ohne außerschulische Bezüge kann jedoch dieser Auftrag des Brückenbauens nicht erfüllt werden, Schulsozialarbeit droht so zu einem innerschulischen (Krisen)Dienst reduziert zu werden. Eberhard Bolay und Kolleg*innen (2010) verweisen dabei auf die sozialräumliche Anbindung Jugendlicher „jenseits ihrer spezifischen Rolle als Schülerin und Schüler“ (Bolay et al. 2010, S. 190).

Dies zeigte sich auch im Vorgängerprojekt zur sozialraumorientierten Schulsozialarbeit (SOSSA) (Zipperle et al. 2018) an Grundschulen: Eine auf den innerschulischen Raum begrenzte Schulsozialarbeit kann ihre Wirkungspotentiale nicht umfassend entfalten. Vielmehr hat die mit der Sozialraumorientierung notwendig einhergehende Haltung und bewusste Gestaltung von Netzwerken eine Katalysatorfunktion für erfolgreiche Leistungen der Schulsozialarbeit. Voraussetzung hierfür sind jedoch unterstützende Rahmenbedingungen. Für den Sekundarschulbereich sind die auf Grundschulen bezogenen Ergebnisse jedoch nicht ohne Weiteres übertragbar.

1 Theoretische Heuristik für Schulsozialarbeit an Sekundarschulen

An Sekundarschulen richtet sich Schulsozialarbeit differenziert nach Schulformen und altersttypischen Herausforderungen vermehrt auf die Ausweitung bisheriger Erfahrungs- und Ermöglichungsräume von Jugendlichen. Dieter Baacke (1984) entwickelte hierzu ein Zonenmodell, welches eine mit dem Alter kontinuierliche Erweiterung des Lebensraumes beschreibt. An der Verinselungsthese von Helga Zeiher und Hartmut J. Zeiher (1994) setzt der 15. Kinder- und Jugendbericht des Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) (2017) mit seiner empirischen Aufbereitung von verschiedenen Raumaneignungsmustern von Jugendlichen an. Die Studie „Stadtsurfer, Quartierfans & Co.“ der Wüstenrot-Stiftung (2009) unterteilt die Raumpraxis Jugendlicher in fünf Raumkonstruktionstypen, deren Aktionsradien sich zwiebelschalenartig ausweiten. Wir fassen diese grundsätzlich festgestellte Ausweitung der Aneignungsräume von Jugendlichen in Anlehnung an Claus Tully (2009) mit dem Arbeitsbegriff der „Multilokalität von Jugend“ und versuchen so die Parallelität und Verschränkung der für die Heranwachsenden relevanten lebensweltlichen Bezugspunkte aufzuschlüsseln.

Als weitere heuristische Folie für die Analyse der realisierten Praxen dient in Anlehnung an Fabian Kessl und Christian Reutlinger (2007) ein mehrdimensionales Sozialraumverständnis, welches sowohl die physisch-materielle Struktur der Lebenswelten als auch deren subjektiv-individuelle Deutung und Gestaltung einbezieht. Das Forschungsprojekt untersucht daher die Perspektiven der jungen Menschen auf die für sie relevanten Räume, Prozesse der Aneignung sozialraumbezogener Angebote und Vermittlungen sowie die Arbeitsweisen der Schulsozialarbeit. Ausgehend von dieser heuristischen Basis ergibt sich für Schulsozialarbeit an Sekundarschulen die Notwendigkeit einer fachlichen Reflexion der Bedingungen von Jugend und ggf. der Anpassung des Angebots. Zentrale Forschungsfragen sind daher, wie es Schulsozialarbeit gelingt, sich auf die multilokale Lebensgestaltung von Jugendlichen einzustellen und daraus fachliche Positionen und Herangehensweisen zu entwickeln, welchen Nutzen dies hat und welche Rahmenbedingungen dafür notwendig sind.

2 Forschungsdesign

Das Forschungsprojekt ist als Mixed-Methods-Ansatz konzipiert (Kuckartz 2014), das sechs Perspektiven als Grundlage der Erkenntnisbildung einbezieht. Für die qualitativen Forschungsanteile wurden in einem kriteriengeleiteten Sampling 14 Standorte in Baden-Württemberg ausgewählt, welche die Heterogenität des Feldes von Schulsozialarbeit an Sekundarschulen widerspiegeln. An diesen wird in Form von Dokumentenanalysen und Expert*inneninterviews zunächst die Fachkräfteperspektive (1) erhoben und inhaltsanalytisch ausgewertet. Dies ermöglicht eine tiefgreifende Informationsgewinnung über die sozialraumorientierte Schulsozialarbeits-Praxis (Bogner 2014, S. 72). Als zweite Perspektive werden im Rahmen von Gruppeninterviews Äußerungen von Nutzer*innen (2) zur Schulsozialarbeit an den jeweiligen Standorten erfasst. Mithilfe von Fragebögen an die gesamte Schüler*innenschaft an den Untersuchungsstandorten (3) werden umfassende quantitative Daten zu deren Perspektive auf sozialraumorientierte Schulsozialarbeit erhoben. Die Perspektive der an Schulsozialarbeit beteiligten Akteur*innen (4) (Vertreter*innen der Schule, der Kommune, des Trägers und weitere relevante Kooperationspartner*innen) wird durch qualitative Gruppendiskussionen an den Standorten erfasst. Mithilfe eines standortübergreifenden Workshops werden schließlich in funktionsspezifischen Fokusgruppen (5) die Bedingungen für eine gelingende sozialraumorientierte Schulsozialarbeit und die daraus resultierenden Implikationen diskutiert. Die sechste Perspektive bildet eine über die Standorte hinausgehende, landesweite Befragung der Kosten- und Leistungsträger der Schulsozialarbeit (6) zu Rahmenbedingungen und zur Bedeutung sozialraumorientierter Schulsozialarbeit. Im Sinne der Praxisforschung werden zum Ende des Projekts Transferworkshops an den Standorten angeboten, um mit den Beteiligten die Ergebnisse kommunikativ zu validieren und aus den Erkenntnissen Entwicklungsperspektiven für die Praxis der Schulsozialarbeit abzuleiten.

Die Untersuchung hat zum Ziel, sozialraumorientierte Ansätze in ihrem Nutzen, ihrer Bedeutung und ihren Bedingungen für alle relevanten Akteur*innen – gerade auch für die Adressat*innen – zu analysieren, zu bewerten und daraus (fach‑)politische Implikationen abzuleiten. Es leistet damit einen Beitrag zur qualitativen Weiterentwicklung des dynamischen Arbeitsfeldes der Schulsozialarbeit.