1 Einleitung

Mit den Anschlägen der Hamas vom 7. Oktober 2023 und der anschließenden israelischen Militäroffensive im Gaza-Streifen geht die Sorge einher, dass sich der Krieg auf andere Teile der Region ausdehnen könnte. Wenig Beachtung wird dabei jedoch der nuklearen Dimension des nahöstlichen Konfliktherds, also dem Nukleardisput mit dem Iran geschenkt. Angesichts des Umstands, dass der Iran seine nuklearen Fähigkeiten und Bestände seit 2019 deutlich ausbaute und die Bemühungen zur Wiederbelebung des Nukleardeals aus dem Jahr 2015, namentlich der Joint Comprehensive Plan of Action (JCPOA), den die USA 2018 unter Präsident Trump verlassen hatten, nicht fruchteten, erscheint diese begrenzte Berücksichtigung der Nuklearfrage überraschend. Dies umso mehr, wenn man bedenkt, dass Fragen der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) zu bestimmten Aktivitäten und zum Verbleib von nuklearem Material im Iran (aus der Zeit vor 2003) bisher offenblieben, während die Möglichkeiten der IAEA, das Nuklearprogramm des Landes zu überwachen und eine Verifikation vorzunehmen, nach dem Februar 2021 deutlich eingeschränkt wurden.

Das Argument an dieser Stelle ist nicht, dass eine größere direkte und offene militärische Auseinandersetzung zwischen Israel und/oder den USA auf der einen Seite und dem Iran und seinen regionalen Verbündeten und Stellvertretern auf der anderen unmittelbar bevorstünde oder unausweichlich sei, sondern dass auch der Nukleardisput vor dem Hintergrund und im Sog der Entwicklungen seit dem 7. Oktober 2023 eskalieren könnte und angesichts des Ausbleibens einer Verhandlungslösung und der Fortschritte in den iranischen nuklearen Fähigkeiten einen eben solchen Konflikt wiederum wahrscheinlicher macht.

Angesichts dessen möchte dieser Beitrag die Aufmerksamkeit auf diese nukleare Dimension nahöstlicher Konfliktherde lenken, sie in ihrer Genese seit der Jahrtausendwende grob nachzeichnen und hierbei zur Stützung des oben dargelegten Arguments hervorkehren, wie die Wechselwirkungen mit anderen Konfliktthemen zum de facto Ende des JCPOA − mit dem der Nukleardisput zumindest für einen Zeitraum von etwa zehn bis 15 Jahren entschärft worden zu sein schien – beitrugen oder gar themenübergreifende destruktive Dynamiken in Gang setzten.

2 Ein ambitioniertes Programm und Zweifel an seinem ausschließlich zivilen Charakter

Die Bemühungen zur Beilegung des Nukleardisputs mit dem Iran erstrecken sich inzwischen auf mehr als zwei Dekaden. Im Kern geht es von Beginn an um die Frage, ob das Nuklearprogramm des Iran ausschließlich friedlichen Zwecken dient, wie von Iran angegeben, oder der Iran überdies Fähigkeiten zum Bau von Nuklearwaffen oder gar den tatsächlichen Bau von Nuklearwaffen anstrebt(e). Schließlich fokussierte sich das Nuklearprogramm des Landes gleich zu Beginn auf den sensiblen Bereich der Urananreicherung. Einmal gemeistert, kann die Technologie nutzbar gemacht werden, um den Brennstoff für Nuklearreaktoren herzustellen und/oder darüber hinaus das spaltbare Material für einen nuklearen Sprengkörper zu produzieren, indem der Anreicherungsgrad auf 90 % angehoben wird. Zudem informierte der Iran die IAEA im Jahr 2003 darüber, einen Schwerwasserreaktor in Arak für Forschungs- und Trainingszwecke sowie zur Herstellung von Isotopen bauen zu wollen. Ein solcher Reaktor hätte (in seinem ursprünglichen Design) wiederum eine große Proliferationsrelevanz, da er jährlich ca. 9 kg Plutonium abwerfen würde, welches genauso für Waffenzwecke nutzbar gemacht werden könnte (Akbulut 2015, S. 8).Footnote 1

Des Weiteren stellte die IAEA sehr früh Versäumnisse und Pflichtverletzungen im Zusammenhang mit den Überwachungs- und Verifikationsauflagen aus dem Sicherungsabkommen des Iran mit der IAEA fest, ehe in einer Resolution des IAEA-Gouverneursrats aus dem Jahr 2005 festgehalten wurde, dass „Iran’s many failures and breaches of its obligations to comply with its NPT Safeguards Agreement […] constitute non compliance in the context of Article XII.C of the Agency’s Statute“ (IAEA Board of Governors 2005). Vor diesem Hintergrund war der Iran aufgefordert, sein Sicherungsabkommen mit der IAEA (Comprehensive Safeguards Agreement) um das Zusatzprotokoll (Additional Protocol) zu ergänzen, welches den Inspektor*innen der Behörde erweiterte Zugangsrechte einräumen und den Iran verpflichten würde, mehr Informationen zur Verfügung zu stellen. Diese Forderung wurde auch in Resolutionen des IAEA-Gouverneursrats und des UN-Sicherheitsrats festgeschrieben.

Was wohl gravierender war und iranische Angaben, von Anfang an ausschließlich an der zivilen Nutzung der Nukleartechnologie interessiert gewesen zu sein, in Zweifel zog, waren bestimmte Unternehmungen des Iran, die nach dem Erkenntnisstand der IAEA bis Ende 2003 im Rahmen eines „strukturierten Programms“ verfolgt wurden. Diese könnten aufgrund ihres dualen Charakters teilweise für zivile Zielsetzungen durchgeführt worden sein, stellte die Behörde fest. Manche Aktivitäten hingegen hatten einen spezifischen Nuklearwaffenbezug („specific to nuclear weapons“ im Original; IAEA Board of Governors 2011, S. 8). Die IAEA sah 2008 auch Anhaltspunkte dafür, dass „some activities relevant to the development of a nuclear explosive device continued after 2003, and that some may still be ongoing“ (IAEA Board of Governors 2011, S. 8). Diese Aktivitäten wurden unter der Rubrik „possible military dimensions“ (PMD) zusammengefasst und von der IAEA 2011 veröffentlicht.

In Anbetracht dieser grob skizzierten Sachlage wurde in zwei unterschiedlichen Konstellationen und Strängen mit dem Iran verhandelt: Auf der einen Seite versuchten zunächst die E3 (Deutschland, Frankreich und Großbritannien), später die E3/EU+3 bzw. P5+1 (die fünf ständigen Mitglieder des UN-Sicherheitsrats plus Deutschland), den Iran im Gegenzug für wirtschaftliche und politische Anreize dazu zu bewegen, alle Aktivitäten in den sensiblen bzw. proliferationsrelevanten Bereichen einzustellen. Gleichzeitig sollte erreicht werden, dass der Iran das Zusatzprotokoll anwendet. Parallel hierzu versuchte die IAEA, die offenen Fragen zu PMD zu klären. Beides gelang nicht, obgleich der Iran vom UN-Sicherheitsrat, von den USA sowie von der EU mit Sanktionen belegt und das Sanktionsregime nach und nach verschärft wurde. Darüber hinaus wurden iranische Nuklearwissenschaftler sowie Nuklearanlagen zum Ziel von Anschlägen. Auch die Option eines militärischen Angriffs auf iranische Anlagen wurde von israelischer Seite mehrmals erwogen. All dies änderte jedoch nichts daran, dass der Iran seine nuklearen Fähigkeiten, insbesondere seine Anreicherungskapazitäten, stetig ausbaute und immer größere Mengen an angereichertem Uran akkumulierte. Auch die offenen Fragen zu PMD konnten nicht gelöst werden.

3 Eine Lösung von beschränkter Reichweite und Dauer – der JCPOA

Im November 2013 wendete sich allerdings das Blatt. Sowohl in den Verhandlungen zwischen den P5+1 und dem Iran – wo inzwischen Hassan Rouhani ins Präsidentenamt gewählt worden war − als auch zwischen dem Iran und der IAEA wurde ein Durchbruch erzielt. Im Juli 2015 erfolgte schließlich eine Einigung auf den JCPOA, während sich der Iran und die IAEA zur gleichen Zeit auf eine Roadmap zur Klärung der offenen Fragen zu PMD einigten.

Insgesamt wurde mit dem JCPOA das iranische Nuklearprogramm wesentlichen Einschränkungen – in vielen Fällen, auf Zeit – sowie intrusiven Transparenz- und Verifikationsauflagen unterworfen. Die Vereinbarung orientierte sich an der sogenannten breakout time, welche wiederum jene Zeitspanne meint, innerhalb welcher der Iran bei vorhandener Motivation ausreichend spaltbares Material für einen einzigen nuklearen Sprengkopf herstellen könnte. Die Maßnahmen wurden darauf ausgerichtet, diese Spanne von wenigen Monaten auf ein ganzes Jahr zu verlängern. So sollte im Falle eines eventuellen Ausbruchsversuchs des Iran „ausreichend“ Zeit bleiben, um eben diesem entgegenzuwirken bzw. darauf zu reagieren. Eine Voraussetzung hierfür stellten auch die vereinbarten Transparenz- und Verifikationsmaßnahmen dar, darunter die vorläufige Anwendung (und später die Ratifikation) des Zusatzprotokolls durch den Iran.

Durch die Aufhebung früherer UN-Sicherheitsrat-Resolutionen mit der Resolution 2231, mit der der JCPOA bestätigt wurde, und der vorgesehenen schrittweisen Aufhebung der Sanktionen und Restriktionen, erfuhr das iranische Nuklearprogramm zudem eine Rehabilitation. Schließlich wurde mit dem Abkommen auch in Aussicht gestellt, dass der UN-Sicherheitsrat das Dossier zum iranischen Nuklearprogramm im Falle einer erfolgreichen Umsetzung des JCPOA zehn Jahre nach seiner Annahme schließt und das iranische Nuklearprogramm so behandelt wird, wie das Nuklearprogramm einer jeden Vertragspartei des Nichtverbreitungsvertrages (NPT).

Was die Umsetzung der besagten Roadmap betrifft, so legte der Generaldirektor der IAEA im Dezember 2015 dem Gouverneursrat einen Bericht zu den Ergebnissen der Untersuchung zu den PMD vor. Für eine plangemäße Implementierung des JCPOA war wesentlich, dass die IAEA feststellte, dass die vom Iran vor Ende 2003 und teilweise danach durchgeführten Aktivitäten mit einer Relevanz für den Bau eines nuklearen Sprengkörpers nicht über Machtbarkeitsstudien, wissenschaftliche Studien, und über den Erwerb von bestimmten relevanten technischen Kompetenzen und Fähigkeiten hinausgingen (IAEA Board of Governors 2015, S. 15). Im Rahmen dieser Aktivitäten sei kein nukleares Material abgezweigt worden, hielt die IAEA fest und fügte hinzu, dass es zudem keine Anhaltspunkte für die Existenz eines nicht deklarierten Brennstoffkreislaufs gab (IAEA Board of Governors 2015, S. 13). Anzeichen dafür, dass diese Aktivitäten nach 2009 fortgesetzt wurden, fand die Behörde ebenfalls nicht (Gärtner und Akbulut 2017, S. 167–168, Fn. 2). In Anbetracht dieser Erkenntnisse beendete der Gouverneursrat die Behandlung der PMD mit seiner Resolution vom 15. Dezember 2015.

Darüber hinaus wurden Abmachungen zur Abfolge einzelner Maßnahmen sowie zur Streitschlichtung getroffen. Einen wesentlichen Punkt hierbei stellte die Option dar, im Falle ungelöster Fälle bedeutender Nichteinhaltung bzw. Verletzung von Verpflichtungen aus dem JCPOA („significant non-performance“) im Rahmen des vorgesehenen Schlichtungsmechanismus den UN-Sicherheitsrat anzurufen. Der UN-Sicherheitsrat würde die Möglichkeit haben, in letzter Instanz die aufgehobenen Sanktionen bzw. die Bestimmungen aus den mit der UNSC Resolution 2231 aufgehobenen Resolutionen wieder in Kraft zu setzen, ohne dass eines der ständigen Mitglieder die Möglichkeit haben würde, dies mit einem Veto zu verhindern.

Für den Durchbruch war auch der Umstand verantwortlich, dass sich die Obama-Administration in zwei wesentlichen Punkten bewegt hatte (Gärtner und Akbulut 2017). Zum einen war die Forderung nach einem kompletten Verzicht des Iran auf die Urananreicherung zugunsten eines neuen Ansatzes, der sich mit „Anreicherung mit Auflagen“ zusammenfassen lässt, gewichen. Darüber hinaus hatte sich die Obama-Administration dafür entschieden, die Nuklearfrage isoliert zu behandeln. Andere Problemfelder in den Beziehungen – seien es die Rolle des Iran in der Region oder dessen Raketenprogramm etwa – würden somit zunächst bestehen bleiben. Hinzu kam, dass die meisten im JCPOA vorgesehenen Einschränkungen und Maßnahmen von begrenzter Dauer sein würden.

All dies machte den JCPOA zugleich angreifbar und brachte Widerstand und Ablehnung hervor; nicht nur von US-Verbündeten in der Region, allen voran aus Israel und Saudi-Arabien, sondern auch von den Republikanern und Teilen der Demokraten im US-Kongress. Insgesamt war die Zukunft des JCPOA ungewiss, zumal seine Implementierung über einen sehr langen Zeitraum erfolgen würde und der republikanische Präsidentschaftskandidat 2016, Donald J. Trump, die Vereinbarung unmissverständlich ablehnte.

4 Der Ausstieg der USA aus dem JCPOA unter Trump

Der Rückzug der USA aus dem JCPOA erfolgte zwar nicht unmittelbar zu Beginn der Trump-Präsidentschaft, aber letztendlich im Mai 2018. Unter Trump fand eine Rückkehr zu einem holistischen Ansatz in der Iran-Frage statt, der eine Behandlung aller Facetten der größeren Iran-Frage nach eigenen Vorstellungen anstrebte, was wiederum durch eine Strategie des maximalen Drucks bewerkstelligt werden sollte (Akbulut 2022). Somit sollten u. a. die Politiken des Iran in der Region, seine Beziehungen zu US-Verbündeten, Raketenfähigkeiten, die Menschenrechtslage im Iran, die Sicherheit der Schiffsfahrt genauso reglementiert werden wie das Nuklearprogramm des Landes auch (The White House 2017). Was Letzteres betrifft, so lautete die Forderung erneut ein Verzicht des Iran auf die sensiblen Technologien der Anreicherung und Wiederaufbereitung. Die zeitlichen Befristungen des JCPOA sollte es in dieser Form nicht mehr geben. Der Druck auf den Iran sollte sukzessive erhöht werden, um diesen dazu zu bringen, neuen Verhandlungen und einem neuen Deal nach Vorstellungen der neuen Administration zuzustimmen.

Zu dem Zeitpunkt, als die USA unter Trump aus dem JCPOA ausstiegen, hatte die IAEA bereits mehrmals die Einhaltung der Bestimmungen aus der Vereinbarung durch den Iran bestätigt. Doch im Mai 2019 kündigte die iranische Seite an, die Umsetzung der Bestimmungen bzw. die Einhaltung der im JCPOA festgelegten Obergrenzen schrittweise außer Kraft zu setzen. Der Iran nahm nun einen Rückbau vom Rückbau vor und baute seine nuklearen Kapazitäten und Mengen an spaltbarem Material deutlich aus. Die iranische Antwort auf die Strategie des maximalen Drucks war die Strategie des maximalen Widerstands. Dabei eskalierte Teheran seinerseits nicht nur im nuklearen Sektor, sondern beinahe in all jenen Feldern, die zuvor von der Trump-Administration als „problematisch“, korrekturbedürftig und somit relevant für einen Folgedeal eingestuft worden waren.

Insgesamt auferlegte die Strategie des maximalen Drucks dem Iran sehr hohe wirtschaftliche und finanzielle Kosten, konnte aber keine Zugeständnisse, geschweige denn einen neuen Deal hervorbringen. Sie erhöhte die Kriegsgefahr in einer Region, in der Trump die US-amerikanische Präsenz verringern wollte. Länder wie Saudi-Arabien und die VAE wurden zum Ziel von Angriffen auf ihre Ölinfrastruktur und die Schifffahrt, für welche der Iran verantwortlich gemacht wurde. Der Iran selbst wurde zum Schauplatz von Sabotageakten auf Anlagen und von einem Anschlag auf den führenden Kopf des Nuklearprogramms, was wiederum Israel zugeschrieben wurde (Gärtner (2022) spricht von einem „Schattenkrieg“). Zudem wurde eine US-amerikanische Drohne abgeschossen, woraufhin Trump zunächst einen Vergeltungsschlag anordnen, schließlich aber den Befehl zum Abbruch geben sollte. Eine deutliche Zuspitzung erfuhr die Situation, als die USA den Kommandeur der Al-Quds-Brigaden der Revolutionsgarden, General Qasem Soleimani, mit einem Drohnenangriff im Irak töteten. Der Iran antwortete in einem ersten Schritt mit einem Angriff mit ballistischen Raketen auf einen US-Stützpunkt im Irak.

Hinzu kam in dieser Periode, dass die IAEA auf Grundlage von Unterlagen, die vom israelischen Geheimdienst nach eigenen Angaben aus einem Lagerhaus in Teheran entwendet worden waren und dem iranischen Nukleararchiv entstammten, Kenntnis über nicht deklarierte Aktivitäten und nicht deklariertes Material an vier Standorten in der Zeit vor 2003 erlangte, drei hiervon besuchte und auf Uranpartikel stieß. In zwei Fällen konnten Fragen zu iranischen Aktivitäten und zum Verbleib des nuklearen Materials bis dato (März 2024) nicht geklärt werden, was seither zusätzlich für Spannungen sorgt.

Somit hatte der JCPOA zum Ende der Amtszeit von Donald J. Trump großen Schaden genommen. Dass der künftige Präsident Joe Biden heißen würde, der wenig überraschend eine Rückkehr zum JCPOA in Aussicht gestellt hatte, mit dem Zusatz, dass er dies als ein Sprungbrett für die Aushandlung eines besseren und umfassenderen Deals mit dem Iran nutzen würde (Biden 2020), nährte Hoffnungen auf Seiten der JCPOA-Unterstützer*innen, dass der Nukleardeal doch noch gerettet werden könnte.

5 Ein gescheiterter Wiederbelebungsversuch unter Biden

Spätestens im Herbst 2022 schien das Schicksal des JCPOA jedoch besiegelt. Der beiläufig aufgezeichneten Aussage von Joe Biden, der JCPOA sei „tot“, sie würden dies aber nicht offiziell verkünden (Ravid und Nichols 2022), waren mehrere Verhandlungsrunden vorausgegangen, um die Voraussetzungen und Modalitäten für die Rückkehr der USA zum JCPOA und die Wiedererfüllung der JCPOA-Auflagen durch den Iran festzulegen – ohne Erfolg. Die Gründe hierfür sind vielfältig.

Was zunächst zu einer Unterbrechung der indirekten Verhandlungen führte, waren die Präsidentschaftswahlen (2021) im Iran, bei denen die konservativen Hardliner ihre Position mit der Wahl Ebrahim Raisis weiter ausbauen konnten – auch aufgrund der Trump-Jahre, führt Kahalzadeh (2022) aus. Hatte man sich sodann im März 2022 auf Lösungen in zentralen Fragen verständigt, so wurden nun die Verhandlungen von den Entwicklungen in der Ukraine eingeholt. Russland forderte für seinen Handel mit dem Iran Ausnahmen aus dem in Reaktion auf den Ukrainekrieg etablierten Sanktionsregime. Obgleich diese Forderung rasch wieder fallen gelassen wurde, so war nach Darstellung der ICG (2022a, S. 4) das Momentum verloren. Die Verhandlungen wurden unterbrochen, während die Umsetzung des Rahmenwerks zur Klärung der offenen Fragen zum iranischen Nuklearprogramm auch stockte. Als die EU als Koordinatorin der Verhandlungen im August 2022 einen abschließenden Entwurf für eine Vereinbarung vorlegte, zeigte sich die US-amerikanische Seite bereit, diesen anzunehmen. Die iranische Seite griff allerdings erneut zwei gelöst geglaubte Forderungen auf (Strategic Comments 2022): Sie verlangte Garantien dafür, dass die nächste US-Administration nicht erneut den JCPOA verlassen würde. Darüber hinaus forderte der Iran, dass die IAEA die Untersuchungen zu den „outstanding issues“ vor einer Wiederbelebung des JCPOA abschließt und keine weiteren Untersuchungen zu den vergangenen nuklearen Aktivitäten des Landes einleitet (Fitzpatrick 2023). Keine der genannten Forderungen konnte oder wollte die Biden-Administration erfüllen.

Mit fortschreitender Zeit und dem Ausbau des Nuklearprogramms des Iran stellte sich die grundsätzliche Frage nach dem verbleibenden Mehrwert einer Rückkehr zum JCPOA, zumal der Iran sein technisches Know-how deutlich erweitern konnte, was nicht mehr rückgängig zu machen war (Fitzpatrick 2023; US Department of State 2022). Eine Orientierung an einer Breakout-Zeit von einem Jahr, wie es ursprünglich der Fall gewesen war, erschien nicht länger umsetzbar (Strategic Comments 2022).Footnote 2 Der JCPOA hatte auch für die iranische Seite nicht länger denselben Mehrwert, den er 2015 bei seinem Abschluss hatte. Die wirtschaftlichen Zugewinne bzw. Vorteile aus dem Deal blieben stets hinter den Erwartungen der iranischen Seite zurück (Zarif 2021, S. 8), ehe diese mit der Verschärfung des Sanktionsregimes nach 2018 zur Gänze zunichtegemacht wurden. Die Biden-Administration sollte noch dazu am Sanktionsregime insgesamt keine substantiellen Änderungen vornehmen, um in erster Linie den Druck in den Verhandlungen aufrechtzuerhalten und die besagte Zielsetzung, den Nukleardeal zu upgraden und über weitere Themen zu verhandeln, zu erreichen (Miller 2023, S. 127; ICG 2022b, S. 8; Zarif 2021, S. 9). Schließlich blieb auch unklar, wie lange eine erneute Sanktionsaufhebung aufrecht bleiben würde, da Anfang 2025 ein republikanischer Präsident im Weißen Haus einziehen und mit einer einzigen Unterschrift erneut alles rückgängig machen könnte. In der Zwischenzeit hatte sich zudem der Ölhandel vor allem aufgrund der Ausfuhren nach China erholt und die iranische Wirtschaft ein gewisses Maß an Resilienz erlangt (Kahalzadeh 2022, S. 5).

Gleichzeitig wurden die Verhandlungen auch, wie bereits erwähnt, von Entwicklungen in der Ukraine und im Iran eingeholt. In der Ukraine kamen bewaffnete Drohnen aus iranischer Produktion zum Einsatz (ICG 2022a, S. 10). Nach US-amerikanischen Angaben wurde darüber hinaus die Lieferung von iranischen ballistischen Raketen an Russland geplant (Davenport 2023a). Kurze Zeit nach Bekanntwerden dieses Handels brachen im Iran erneut Massenproteste aus − das Regime ging mit gewohnter Härte gegen die Demonstrant*innen vor (Maloney 2023a). Was die Beziehungen zusätzlich belastete und die US-amerikanische Seite mit dem Fortgang der Nuklearverhandlungen verknüpfte, war das Schicksal von im Iran inhaftierten US-Staatsbürger*innen (US Department of State 2022; ICG 2022b, S. 30). „With its focus squarely on Iran’s internal and external actions, then, the US has insisted that the JCPOA is not even on the agenda“, hält Fitzpartick (2023) fest.

So schien eine Rückkehr der USA und eine Wiederbelebung des JCPOA im Herbst 2022 nicht länger möglich zu sein; stattdessen soll es eine Verständigung gegeben haben zu deeskalieren (Vaez 2024; Maloney 2023b). Im Rahmen von indirekten Gesprächen im Oman im Frühjahr 2023 diskutierten die USA und der Iran nach Angaben von Davenport (2023b) die Etablierung einer Obergrenze für die Menge an auf 60 % angereichertem Uran. Obgleich diese Gespräche nicht finalisiert wurden, war wesentlich, dass der Iran im Zeitraum Juni 2023 bis November 2023 die Anreicherung auf 60 % signifikant drosselte (Davenport 2024; Vaez 2024). Vaez (2024) weist zudem darauf hin, dass im Sommer 2023 iranische Proxies ihre Angriffe auf US-Truppen in Syrien und im Irak einstellten. Zur Deeskalation sollten auch ein Gefangenenaustausch und die Freigabe von iranischen Geldern für humanitäre Zwecke beitragen.Footnote 3 Die USA und der Iran hatten überdies eine Einigung erzielt, sich am 18. Oktober 2023 im Oman zu weitreichenderen Gesprächen zu treffen (Vaez 2024; Maloney 2023b).

Mit den Entwicklungen in Israel und Gaza und der anschließenden Intensivierung und Ausweitung des Schattenkriegs bzw. der begrenzten militärischen Auseinandersetzungen (Toossi 2024; Vaez 2024) war jedoch auch diese Phase vorbei. Des Weiteren bleiben offene Fragen der IAEA zu nicht deklarierten Aktivitäten und nuklearem Material noch aus der Zeit vor 2003 ungelöst. Die Entscheidung des Iran im September 2023, mehreren „erfahrenen“ Inspektor*innen der Behörde die Akkreditierung zu entziehen, sowie seine Weigerung, Informationen zum Design von neuen nuklearen Anlagen, deren Bau beschlossen wurde, der Behörde gemäß Modified Code 3.1 bereits in diesem Stadium zur Verfügung zu stellen (IAEA Board of Governors 2024), sorgen indes für zusätzliche Spannungen.

6 Fazit

Obgleich man sich im Nukleardisput mit dem Iran in vielerlei Hinsicht in die Zeit vor dem Abschluss des JCPOA zurückversetzt sieht, so erscheint die Situation in den ersten Monaten des Jahres 2024 aufgrund der deutlichen Fortschritte im iranischen Nuklearprogramm und der regionalen wie globalen Entwicklungen (siehe die Kriege in der Ukraine und in Gaza sowie die sich allgemein verschärfenden Großmachtrivalitäten) wesentlich instabiler. Der Nukleardisput könnte in so einem instabilen Kontext ein weiteres Element in einem Bündel von Faktoren darstellen, welches eine größere militärische Auseinandersetzung entfacht, oder selbst im Sog der Entwicklungen in der Region eine weitere Eskalation erfahren und wiederum die Konfliktsituation verschärfen.

Sollte der Krieg in Gaza in absehbarer Zeit ein Ende finden und es zu einer Deeskalation in der Region kommen, so würde sich immer noch die Frage stellen, ob die bis Oktober 2025 bestehende Möglichkeit, einen Snapback auszulösen und damit die Sanktionen und Restriktionen aus früheren UN-Resolutionen gegen den Iran wiedereinzuführen, genutzt wird. In so einem Fall ist mit einer weiteren Eskalation durch den Iran in Reaktion hierauf zu rechnen. Als Optionen nannte der Iran dabei eine Anreicherung auf 90 % und/oder den Ausstieg aus dem NPT (Strategic Comments 2022; Davenport 2023c). Wenngleich es keinen Automatismus gibt, könnte die Kriegsgefahr demnach mittelfristig erneut deutlich steigen. Dazu beitragen könnte genauso eine zweite Amtszeit Trumps. Es bleibt zu hoffen, dass die beteiligten Parteien angesichts der Gefahr einer weiteren Zuspitzung der Situation nochmals auf eine Deeskalation und eine Politik der kleinen Schritte setzen, wie dies die USA und der Iran offenbar bis zum 7. Oktober 2023 getan hatten.