Im Anschluss an Diskurse zu Bildung und Zeit in der Pädagogik kann Zeit als ermöglichender, ökonomischer und politischer Faktor in Bildungsprozessen im Kontext der Sozialen Arbeit betrachtet werden. Aus diesen Perspektiven lassen sich die zeitlichen Bedingungen non-formaler und informeller Bildungsprozesse reflektieren und gestalten.

Bildung und Zeit sind zwei Begriffe, die für die Soziale Arbeit relevant sind. Auf der einen Seite wird Bildung als Auftrag der Sozialen Arbeit deklariert, beispielsweise im SGB VIII in § 11 Jugendarbeit, insbesondere der außerschulischen Jugendbildung. Auf der anderen Seite wird Zeit als „konstitutiver Faktor“ (OGSA 2021) der Sozialen Arbeit diskutiert, der noch genauer zu bestimmen ist. Eine der Fragestellungen, die in diesem Zusammenhang klärungsbedürftig sind, betrifft die Bedeutung von Zeit für Bildungsprozesse im Kontext der Sozialen Arbeit, etwa die Reflexion und Gestaltung non-formaler und informeller Bildungsprozesse (vgl. Rauschenbach und Züchner 2012, S. 166–167) in (Bildungs‑)Orten, die außerhalb von (Bildungs‑)Institutionen wie der Schule angesiedelt sind. Aus den genannten Gründen werden in diesem Beitrag theoretische Überlegungen zur Bedeutung von Zeit für Bildungsprozesse im Kontext der Sozialen Arbeit im Anschluss an Diskurse zu Bildung und Zeit in der Pädagogik angestellt.

Bildung und Zeit in der Pädagogik

Bildung und Zeit sind Gegenstand pädagogischer Diskurse (vgl. Schönbächler et al. 2010; Schmidt-Lauff 2012). So wird Zeit beispielsweise als „Prinzip der Pädagogik“, „pädagogischer Grundbegriff“ und „pädagogisches Grundproblem“ (Lüders 1995, S. 18) oder als für die Pädagogik „akzidentiell bedeutsam“, „spezifisch bedeutsam“ und „substanziell und grundsätzlich bedeutsam“ (Schmidt-Lauff 2012, S. 16 f.) verhandelt. Dabei gelten weder die beiden Begriffe selbst noch ihr Verhältnis zueinander als abschließend geklärt – und auch eine Zeittheorie der Pädagogik wird als Desiderat angesehen (vgl. Schönbächler et al. 2010).

Bildung weist eine Vielfalt an Deutungsmöglichkeiten auf, so dass unterschiedliche (Bildungs‑)Theorien diesen Begriff zu bestimmen versuchen. In einer Textanthologie arbeitet Heiner Hasted fünf Merkmale eines Bildungsbegriffs heraus, nämlich „Selbstbildung, Formung und Entwicklung der ganzen Person, anthropologische Bedürftigkeit und ‚Wachstum‘, Steigerung der Individualität bei gleichzeitig überindividueller Verbindlichkeit und Entfremdungsüberwindung“ (Hastedt 2012, S. 9–15), welche die prozedurale Dimension von Bildung unterstreichen. Zeit gilt als konkreter (z. B. als Uhrzeit im Alltag) und abstrakter Begriff (z. B. als modale Zeit in der Wissenschaft) zugleich, wie das bekannte Zitat von Augustinus verdeutlicht: „Was also ist die Zeit? Wenn niemand mich danach fragt, weiß ich’s, will ich’s aber einem Fragenden erklären, weiß ich’s nicht.“ In Konsequenz wird auch der Begriff der Zeit durch zahlreiche (Zeit‑)Theorien zu bestimmen versucht (vgl. Gendolla-Schulte 2012). Einer einschlägigen Definition nach ist Zeit eine soziale Konstruktion, um Mensch und Welt ins Verhältnis zu setzen (vgl. Elias 1988), wie das Begriffspaar der subjektiven Zeit (z. B. die zeitliche Strukturierung der Lebenswelt) und der objektiven Zeit (z. B. die zeitliche Strukturierung der Gesellschaft) verdeutlichen.

In Bezugnahme auf diese beiden Zugänge können Bildungsprozesse in ihrer Zeitlichkeit untersucht werden (vgl. Schmidt-Lauff 2012, S. 27 f.). Dabei wird die prozedurale Dimension von Bildung, insbesondere die Veränderung des Selbst- und Weltverhältnisses infolge von Erfahrung und Einsicht, fokussiert (vgl. Abbott et al. 2020). Diese – zeitlich gedachte – Idee von Bildung lässt sich anhand von Bildungstheorien näherungsweise beschreiben, die von einem Prozess der Subjektentwicklung im Spiegel der gesellschaftlichen Verhältnisse sprechen, beispielsweise in Form der Aneignung als subjektive Erschließung von Welt (vgl. Deinet und Reutlinger 2004). So versteht auch Wolfgang Klafki (vgl. 1959) Bildung als kategorialen Prozess, welcher die formale und materiale Bildung des Subjekts integriert, und Hans-Christoph Koller (vgl. 2012) betrachtet Bildung als transformativen Prozess, in welchem das Subjekt die Beziehung zu sich und zu seiner Umwelt ausgelöst durch Krisen tiefgreifend wandelt.

Bildung und Zeit in der Sozialen Arbeit

In der Sozialen Arbeit wird Bildung in Abgrenzung zu anderen Begriffen, etwa „Kompetenz“ oder „Qualifikation“, kontrovers diskutiert (vgl. Rauschenbach 2017). Dabei besteht in Bezug auf das Verhältnis von Sozialer Arbeit und Bildung Klärungsbedarf. So stellen Stadelmann und Metzger (2018, S. 150) einerseits fest, dass unterschiedliche Vorstellungen zum Bildungsbegriff in der Sozialen Arbeit kursieren: „Es scheint nicht den einen Zugang zu geben. Bildung ist im Kontext von gesellschaftlichen und sozialen Entwicklungen, schulischen und außerschulischen Bildungszugängen und Settings sowie in Abgrenzung zu weiteren (sozial)pädagogischen Begrifflichkeiten bzw. Leitbegriffen zu stellen.“ Andererseits weisen sie darauf hin, dass sich das Bildungsverständnis der Sozialen Arbeit von dem der formalen Bildung abgrenzt und non-formale und informelle Bildungsprozesse in den Blick nimmt (vgl. ebd.). Dabei stellt Bildung einen Bezugspunkt in der Theoriebildung der Sozialen Arbeit dar, der beispielsweise mit Empowerment und Lebensbewältigung des Subjekts (z. B. bei Lothar Böhnisch) verknüpft wird (vgl. Rauschenbach und Züchner 2012, S. 156).

Bildungstheoretische Ansätze in der Sozialen Arbeit begreifen Bildung als vergesellschaftetes Phänomen und fokussieren das – mitunter spannungsreiche und widersprüchliche – Verhältnis von Mensch und Gesellschaft (vgl. Lambers 2018, S. 305–322; Thole 2012, S. 36–46). Ein solches Verständnis spiegelt sich bei Klaus Mollenhauer (vgl. 1959), Michael Winkler (vgl. 2006) oder Heinz Sünker (vgl. 2012) wider, die dafür Bildungstheorie und Gesellschaftstheorie in Beziehung setzen. Demnach sei die Reflexion und Gestaltung der Strukturen, in welche non-formale und informelle Bildungsprozesse eingebettet sind, eine Aufgabe der Sozialen Arbeit.

Die Prüfung ausgewählter Forschungsliteratur in der Sozialen Arbeit – hier: einschlägiger Handbücher, Monographien und Sammelbände (vgl. Hammerschmidt und Aner 2022; Lambers 2018; Otto et al. 2018; Thole 2012) – führt zu zwei Erkenntnissen: Erstens wurde an Diskurse um Bildung und Zeit in der Pädagogik bisher nicht systematisch angeschlossen und zweitens wird Zeit nicht im Kontext bildungstheoretischer, sondern anderer theoretischer Ansätze (z. B. Systemtheorie und Konstruktivismus, vgl. Hosemann und Geiling 2005; Bardmann und Gerhard 1997) verhandelt. Vor diesem Hintergrund werden im Folgenden theoretische Überlegungen zur Bedeutung von Zeit für Bildungsprozesse im Kontext der Sozialen Arbeit im Anschluss an Diskurse zu Bildung und Zeit aus der Pädagogik angestellt.

Zur Bedeutung von Zeit in Bildungsprozessen im Kontext der Sozialen Arbeit

Diskurse zu Bildung und Zeit aus der Pädagogik sind für die Soziale Arbeit anschlussfähig, um die zeitlichen Bedingungen von non-formalen und informellen Bildungsprozessen zu reflektieren und zu gestalten (vgl. Stadelmann und Metzger 2018, S. 148). Dies soll anhand von drei exemplarischen Perspektiven (vgl. Schmidt-Lauff 2012) skizziert werden.

Zeit als ermöglichender Faktor

Aus einer ersten Perspektive heraus kann Zeit als ermöglichender Faktor in Bildungsprozessen im Kontext der Sozialen Arbeit betrachtet werden. Dabei liegt die Annahme zugrunde, dass die Veränderung des Selbst- und Weltverhältnisses zeitlich voraussetzungsreich ist, weil dabei komplexe Prozesse, wie etwa Aneignung, kategoriale oder transformatorische Bildung, ablaufen (vgl. Schmidt-Lauff 2012, S. 16 f.). Eine dieser Voraussetzungen ist die Zeit, die es – sprichwörtlich (z. B. „gut Ding will Weile haben“) – braucht, damit sich das Subjekt seiner selbst und seiner Situation bewusst werden, sozusagen vergegenwärtigen, kann (vgl. Dörpinghaus und Uphoff 2012).

Vor diesem Hintergrund kann die Soziale Arbeit (Bildungs‑)Orte als Zeiträume denken, die Momente der Kritik, Emanzipation oder Befähigung (überhaupt erst) möglich machen. So kann die Soziale Arbeit prüfen, inwieweit Bildungsangeboten oder Bildungsgelegenheiten solche Zeiträume eingeschrieben sind – nicht zuletzt im Gegensatz zu (Bildungs‑)Institutionen wie der Schule, in welcher das Zeitregime durch Lehr- und Stundenpläne getaktet ist. Dies betrifft die eingangs genannte Jugendarbeit bzw. außerschulische Jugendbildung, denn die Mitbestimmung der Jugendlichen wird in § 11 SGB VIII ausdrücklich gefordert. Dieser Aspekt lässt sich also auch als zeitliche Mitbestimmung interpretieren, etwa bezüglich der Zeitorganisation der Bildungsangebote oder Bildungsgelegenheiten.

Zeit als ökonomischer Faktor

Aus einer zweiten Perspektive heraus kann Zeit als ökonomischer Faktor in Bildungsprozessen im Kontext der Sozialen Arbeit verstanden werden. Zeit gilt in der Pädagogik als knappes Gut, weil die Lebens- und damit auch die Bildungszeit des Menschen begrenzt ist (vgl. De Haan 1996). Die Differenz zwischen der (potenziell zur Verfügung stehenden) Lebenszeit und der (tatsächlich zur Verfügung stehenden) Bildungszeit wirft pädagogisch relevante Fragen auf (ebd.). So diskutiert Klaus Mollenhauer (1981) im Rückgriff auf Friedrich Schleiermacher, wie eine gesellschaftlich bedingte pädagogische Einwirkung auf ein Subjekt (z. B. Kind, Jugendlicher), die – zeitlich gedacht – als Aufopferung eines Moments in der Gegenwart für einen Moment in der Zukunft betrachtet werden kann, zu rechtfertigen sei. Weiter wird Zeit in der Moderne zum ökonomischen Gut erklärt (vgl. Dux 1989), das marktwirtschaftlich gehandelt werden könne (z. B. „Zeit ist Geld“). In der Folge müssen Bildungsprozesse zwischen konkurrierenden „ökonomischen Zeitinteressen und pädagogischen Zeitverständnissen“ (Schmidt-Lauff 2020, S. 214) ins Geschehen gebracht werden. Ein Beispiel für eine solche ökonomisch motivierte Vereinnahmung von Bildung spiegelt sich in den Debatten um das (bildungs‑)politische Programm des Lebenslangen Lernens wider, das Bildung nicht als fakultative, sondern als obligatorische Investition in die Zukunft beschreibt, die es zu tätigen gilt: „Im temporalen Regime der Moderne wird Lernen auf Effizienz, Effektivität und Erfolg verpflichtet – lebenslang“ (Brinkmann 2020, S. 198).

Vor diesem Hintergrund kann die Soziale Arbeit die Ökonomisierung von Bildungsprozessen hinterfragen (vgl. Buestrich und Wohlfahrt 2008). Dabei kann sie prüfen, inwieweit sie diese Entwicklung bewusst oder unbewusst mitträgt oder ihr entgegenwirkt. So kann die Soziale Arbeit die „temporale Divergenz zwischen der ökonomischen und der pädagogischen Struktur“ (Schmidt-Lauff 2020, S. 214) des Handelns als Herausforderung begreifen und der „zeitlichen Eigenwilligkeit von Bildung“ (ebd.) konstruktiv begegnen, indem sie Orte non-formaler und informeller Bildung zeitoffen gestaltet im Sinne von Zeiträumen, die Bildungsprozesse abseits ökonomischer Motive und Interessen ermöglichen.

Zeit als politischer Faktor

Aus einer dritten Perspektive heraus kann Zeit als politischer Faktor begriffen werden. Einen Anknüpfungspunkt bietet das interdisziplinäre Konzept der Deutschen Gesellschaft für Zeitpolitik (vgl. DGfZP 2005), welche das Bewusstsein für die Bedeutung von Zeit für Mensch und Gesellschaft – und auch für Bildung – zu stärken versucht. So plädiert die DGfZP für Zeitpolitik im Allgemeinen sowie für ein Recht auf Eigenzeit im Speziellen, das auch als Recht auf Bildungszeit gedeutet werden kann, denn besagtes Recht „hängt wesentlich von der Frage der Verfügungsmacht über die Zeit und die Institutionen ab, die unser Leben zeitlich strukturieren“ (ebd., S. 2).

Vor diesem Hintergrund stellt sich für die Soziale Arbeit die Frage, wer über die knappe, weil lebenszeitlich begrenzte, Bildungszeit des Menschen verfügt bzw. verfügen soll (z. B. das Subjekt, die Gesellschaft). So lassen sich Bildungsfragen auch als Zeitfragen deuten, denn Bildungspolitik – so die DGfZP – sei zugleich Zeitpolitik, um die zeitlichen (Grund‑)Voraussetzungen für Bildung zu schaffen (ebd.). Im Anschluss an Heinz-Joachim Heydorn (vgl. 1972) lässt sich argumentieren, dass sich in den gesellschaftlichen Zeitstrukturen bzw. Institutionen Macht und Herrschaft widerspiegeln. Wenn Bildung also nicht jenseits dieser gesellschaftlichen Verhältnisse zu denken ist, können Zeitfragen auch als Macht- und Herrschaftsfragen gedeutet werden, beispielsweise indem Zeiträume für Bildung – welche Kritik, Emanzipation und politisches Handeln ermöglichen – geöffnet oder geschlossen werden. Diese Kontroversität des Verhältnisses von Bildung und Zeit schlägt sich beispielsweise in einem „Kampf um Bildungs-Zeit“ (Euler 2012) nieder, der zwischen Individuum und Gesellschaft bzw. bildungspolitischen Akteur_innen ausgefochten wird, etwa hinsichtlich der freien und selbstbestimmten Verfügung über Zeit für Bildung (z. B. Bildungsurlaub, Fort- und Weiterbildungstage).

Fazit

Resümierend konnten aus den im Anschluss an Diskurse zu Bildung und Zeit in der Pädagogik angestellten theoretischen Überlegungen zur Bedeutung von Zeit für Bildungsprozesse im Kontext der Sozialen Arbeit die folgenden Aspekte herausgearbeitet werden: Zum einen kann die Soziale Arbeit ihre bildungstheoretische Perspektive zeittheoretisch erweitern, um die zeitlichen Bedingungen non-formaler und informeller Bildungsprozesse zu reflektieren. Dabei kann Zeit als ermöglichender, ökonomischer und politischer Faktor in Bildungsprozessen betrachtet werden. Die Zeit, die komplexe Prozesse wie Aneignung, kategoriale oder transformative Bildung ermöglicht, wird zum Gegenstand ökonomischer und (zeit‑)politischer Verhandlungen zwischen Individuum und Gesellschaft, insbesondere in Bezug auf die freie und selbstbestimmte Verfügung über die Bildungszeit selbst. Zum anderen kann die Soziale Arbeit ihre bildungstheoretische Perspektive zeittheoretisch erweitern, um (Bildungs‑)Orte zu gestalten. So kann sie prüfen, inwieweit Bildungsangeboten oder Bildungsgelegenheiten Zeiträume für Kritik, Empowerment oder Lebensbewältigung eingeschrieben sind. Dabei können die Fachkräfte (zeit‑)politisch handeln, um die zeitlichen Bedingungen von non-formalen und informellen Bildungsprozessen mitzubestimmen. So können die in Form von (Bildungs‑)Institutionen verfestigten Zeitstrukturen – im übertragenen Sinne – wieder verflüssigt werden, wenn die Soziale Arbeit „Zeit als konstruktive Größe, d. h. als Gestaltete wie auch Gestaltende“ (Schmidt-Lauff 2012, S. 13) denkt.

Mit Blick auf die fortschreitende Ökonomisierung der Gesellschaft (vgl. Buestrich und Wohlfahrt 2008) bleibt jedoch abzuwarten, wie zeitlich abhängig oder unabhängig die Soziale Arbeit soziale Dienstleistungen, insbesondere Bildung, die in die Kosten-Nutzen-Kalküle der Organisationen und Kostenträger eingebettet sind, erbringen kann (vgl. Hosemann und Geiling 2005, S. 100). Anschlussfähig wäre hier das sozialwissenschaftliche Konzept des Zeitwohlstands (vgl. Konzeptwerk Neue Ökonomie 2013), das unter anderem die freie und selbstbestimmte Verfügung über Zeit sowie die sinnvolle Nutzung dieser Zeit unter zeitgerechten Bedingungen, die von der Gesellschaft, aber auch den Organisationen und Kostenträgern selbst gewährleistet werden müssen, in den Blick nimmt. Damit rücken nicht zuletzt die Fähigkeit und die Bereitschaft der Fachkräfte zur Reflexion, Beurteilung und zum souveränen Umgang mit Zeit in den Fokus.