Einleitung

Hypophosphatasie (HPP) ist eine seltene erbliche, metabolische Multisystemerkrankung, deren Hauptcharakteristika Mineralisierungsstörungen von Knochen und Zähnen sowie Muskel- und Gelenkschmerzen sind. Das klinische Spektrum der Symptome als auch das Erkrankungsalter sind sehr variabel. Schwere Formen von HPP haben eine Prävalenz zwischen 1/100.000 und 1/300.000, während milde Formen der HPP deutlich häufiger vorkommen. Ursache der HPP ist eine reduzierte oder fehlende Aktivität der gewebeunspezifischen alkalischen Phosphatase (AP), die durch das ALPL-Gen kodiert wird [1]. Seit der Erstbeschreibung der Erkrankung 1948 an einem 9 Wochen alten Säugling [2] haben sich die Diagnostik und Therapie der HPP dramatisch verbessert.

Klinik

Insgesamt ist das klinische Spektrum der Symptome vom Alter zum Zeitpunkt der Erstmanifestation der Erkrankung abhängig und sehr heterogen. Es werden sechs Unterformen der HPP abgegrenzt, wobei die Übergänge fließend sind und eher ein klinisches Kontinuum besteht (Tab. 1).

Tab. 1 Unterformen der Hypophosphatasie (HPP).

Die perinatale Form ist die schwerste Form der HPP, die früher aufgrund fehlender oder reduzierter Skelettmineralisierung zu intrakraniellen Blutungen oder Thoraxdeformitäten führte und meist tödlich war. Durch Störungen im Vitamin-B6-Stoffwechsel kann es zu epileptischen Anfällen kommen [3].

Davon abzugrenzen ist die pränatale benigne HPP, bei welcher der fetale Ultraschall zwar kürzere und gebogene lange Röhrenknochen zeigt, aber keine Frakturen sichtbar sind und die körperlichen Untersuchungsbefunde im dritten Trimester rückläufig sind. Nach der Geburt kann das Spektrum der pränatal benignen HPP von klinisch asymptomatisch bis hin zu Symptomen einer infantilen Form der HPP reichen, die dann innerhalb der ersten sechs Monate nach Geburt auftreten.

Erste klinische Anzeichen der infantilen HPP können Schwäche, unzureichende Nahrungsaufnahme, Wachstumsstörungen und Thorax- und Schädeldeformitäten durch eine Kraniosynostose sein. Weitere Symptome umfassen Frakturen und metaphysäre rachitische Knochenveränderungen. Eine Hypercalcämie mit vermehrter Calciumexkretion kann zur Nephrocalcinose führen. Eine verringerte Körpergröße im Erwachsenenalter kommt häufig vor [1].

Die kindliche Form überlappt in ihrem klinischen Spektrum mit der Säuglings- und der Erwachsenenform und ist definiert durch ein Auftreten von Symptomen zwischen 6 Monaten und 18 Jahren. Sie ist durch einen verfrühten Verlust der Milchzähne samt intakter Wurzel vor dem 5. Lebensjahr, Zahn‑/Kieferfehlstellungen, Skelettdeformitäten wie gebogene Röhrenknochen und vergrößerte Gelenke, sowie Muskelschwäche und selten Kleinwuchs gekennzeichnet [1, 4].

Die spätmanifeste adulte Form ist in ihrer Ausprägung besonders heterogen, insgesamt jedoch mit milderen Symptomen verbunden als bei kindlichen Formen. Im mittleren Lebensalter kann es gehäuft zu Stressfrakturen, Knochenmarködemen, Frakturheilungsstörungen, Osteomalazie und Zahnproblemen kommen (Abb. 1; [1]). In vielen Fällen zeigt sich diese Form lediglich durch unspezifische Symptome wie Muskel- und Knochenschmerzen, Muskelschwäche, Fatigue, Verkalkungen von Sehnen oder Gelenken, Migräne und Depressionen [5, 6]. Die hohe Prävalenz dieser unspezifischen Symptome in der Allgemeinbevölkerung erschwert jedoch oftmals die eindeutige Zuordnung der Symptome zur HPP, auch wenn charakteristische Laborveränderungen und ALPL-Genmutationen bei betroffenen Patienten nachweisbar sind.

Abb. 1
figure 1

Klinische und histologische Charakteristika der Hypophosphatasie (HPP). a Die reduzierte Muskelkraft lässt sich mithilfe eines Handdynamometers objektivieren. Im Beispiel zeigt der Patient eine im Vergleich zu alters- und geschlechtsspezifischen Referenzwerten um fast 3 Standardabweichungen (SD) verringerte Handkraft (HK) rechts. b Typische Zahnveränderungen mit durch die Hypomineralisation bedingter Verfärbung der Unterkieferschneidezähne bei einem Patienten mit adulter Hypophosphatasie. c Rezidivierende Knochenmarködeme oder Stressfrakturen des Fußskeletts stellen häufige Symptome einer adulten HPP dar. Der Pfeil kennzeichnet ein Knochenmarködem im Os cuneiforme mediale im MRT. d Histologischer Schnitt einer Knochenbiopsie des Os pubis in Von-Kossa-Färbung. Schwarz gefärbt kommt mineralisierter Knochen zur Darstellung. Auffällig sind die zahlreichen, rosafarbenen, aufgelagerten, dicken Schichten von nicht mineralisiertem Knochen (Osteoid) im Sinne einer Osteomalazie bei adulter HPP. e Korrespondierender Schnitt unter dem Rasterelektronenmikroskop zur Beurteilung des Mineralisationsgrades. Im mineralisierten Knochen finden sich große Anteile mit niedriger Mineralisation (dunkelgrau) neben Arealen mit normaler Mineralisation (hellgrau).

Die Odontohypophosphatasie stellt eine Sonderform der HPP dar und manifestiert sich ausschließlich an den Zähnen. Sie ist die mildeste und wahrscheinlich verbreitetste Form der HPP [7] und charakterisiert durch einen frühen Verlust von Milchzähnen und/oder bleibenden Zähnen. Mineralisationsstörungen der Zähne können zu einem starken Kariesbefall führen und den Zahnhalteapparat schwächen [3].

Klinische Diagnostik

Die fehlende bzw. reduzierte Aktivität der AP führt zu einer Erhöhung verschiedener Substrate im Serum bzw. Urin, z. B. von anorganischem Pyrophosphat, Pyridoxal-5-Phosphat (PLP) und Phosphoethanolamin. Zur klinischen Diagnostik der HPP gehört daher neben der Bestimmung der AP und knochenspezifischen AP auch die Bestimmung des PLP aus dem Serum, welches als das aussagekräftigste der drei Substrate angesehen wird. Generell ist eine erniedrigte Aktivität der AP im Serum der entscheidende Hinweis auf das Vorliegen einer ALPL-Genmutation [8]. Patienten mit schwerer HPP zeigen im Allgemeinen eine geringere altersspezifische AP-Aktivität, während der Schweregrad einer adulten HPP besser mit dem PLP-Spiegel korreliert [5, 9]. Zur korrekten Interpretation ist es wichtig, dass Patienten mind. zwei Wochen vor dem Zeitpunkt der Blutabnahme keine Nahrungsergänzungsmittel mit Vitamin B6 zu sich genommen haben, da es hierunter zu falsch-erhöhten PLP-Spiegeln kommen kann. Bei der Abnahme von PLP ist auf einen lichtgeschützten und eisgekühlten Transport zu achten. Die AP und die knochenspezifische AP sind im Vergleich zu alters- und geschlechtsspezifischen Referenzwerten einzuordnen. Andere Ursachen einer AP-Erniedrigung (Hypophosphatasämie, Tab. 2) und Differentialdiagnosen der HPP (Tab. 3) sollten klinisch oder laborchemisch ausgeschlossen werden. Hierzu zählen u. a. die Medikation mit Bisphosphonaten, Denosumab oder Glucocorticoiden, als auch andere Erkrankungen wie adyname Knochenerkrankung, multiples Myelom, Osteogenesis imperfecta, Hypothyreose, Zöliakie, Vitamin-D-Intoxikation oder Milch-Alkali-Syndrom [5].

Tab. 2 Andere Ursachen für eine Erniedrigung der alkalischen Phosphatase (AP)
Tab. 3 Differentialdiagnosen der Hypophosphatasie.

Pathophysiologie

Die gewebsunspezifische AP gehört zur Gruppe der alkalischen Phosphatasen und wird im Gegensatz zu den gewebsspezifischen AP (intestinale AP, plazentare AP und plazentaähnliche AP) ubiquitär und stark in Leber, Niere und Knochen exprimiert. Im Gewebe ist die gewebsunspezifische AP über Glycosylphosphatidinositol (GPI) membrangebunden [10]. Im Blut ist die gewebsunspezifische AP löslich und lipidungebunden [11]. Für die katalytische Aktivität ist eine Homodimerisierung zweier AP-Monomere notwendig, was auch die allosterischen Eigenschaften des Enzyms erklärt [12]. Verschiedene pathophysiologische Theorien zu den zu beobachteten klinischen Befunden bestehen: Die zentrale Rolle bei der Knochenmineralisierung erklärt sich z. B. durch die Funktion der gewebeunspezifischen AP als Hydrolase von Pyrophosphat. Entstehendes anorganisches Phosphat bildet zusammen mit Calcium Hydroxylapatitkristalle, den Hauptbestandteil der Knochenmatrix (Abb. 2). Im Nervengewebe hydrolysiert die gewebsunspezifische AP u. a. PLP, das phosphorylierte Vitamin B6. Das unphosphorylierte Vitamin B6 kann die Blut-Hirn-Schranke überwinden, rephosphoryliert werden und als Koenzym u. a. bei der Synthese des Neurotransmitters GABA wirken. Weiterhin hat die gewebsunspezifische AP eine Rolle bei der Hirnentwicklung und insbesondere bei der Reifung neuronaler Stammzellen, der Synapsenbildung und Myelinisierung, was mit Symptomen wie Migräne, Schmerzzuständen, Angststörungen und Depressionen bei HPP-Patienten in Verbindung gebracht wird [6].

Abb. 2
figure 2

Schematische Darstellung der pathophysiologischen Vorgänge bei Hypophosphatasie (HPP).

a Normal.

b HPP.

Genetische Diagnostik

Perinatale und frühkindliche Formen sind meist autosomal-rezessiv vererbt, während die benigne pränatale, die im Kindesalter beginnende, die adulte HPP und die Odontohypophosphatasie autosomal-rezessiv oder autosomal-dominant vererbt werden.

Prinzipiell handelt es sich bei der HPP um eine klinische Diagnose, die aufgrund klinischer, laborchemischer und radiologischer Befunde gestellt wird. Eine molekulargenetische Untersuchung des ALPL-Gens ist für die Diagnose nicht zwingend erforderlich, wird aber zur differentialdiagnostischen Abgrenzung und zur Einschätzung von Wiederholungswahrscheinlichkeiten bei zukünftigen Schwangerschaften angeboten und ist bei Inanspruchnahme vorgeburtlicher Untersuchungen notwendig [1, 13].

Derzeit sind knapp 400 verschiedene Krankheitsallele des ALPL-Gens beschrieben. In der überwiegenden Mehrzahl handelt es sich um Missense-Mutationen (~70 %) gefolgt von kleineren Deletionen (~12 %), Splicesite- (~6 %) sowie Nonsense-Mutationen (~4 %) bzw. kleineren Insertionen (~4 %). Größere Deletionen sind insgesamt seltener (~3 %), wobei eine routinediagnostisch einfach anwendbare, kommerzielle Nachweismethode (SALSA® MLPA® Probemix) erst seit Ende 2018 zur Verfügung steht, was einen Bias bei älteren Publikationen hervorrufen könnte. Einen Hotspot von Krankheitsallelen innerhalb des ALPL-Gens gibt es nicht [14] und Neumutationen sind selten [15]. Zwei Fälle einer HPP infolge einer uniparentalen Isodisomie sind beschrieben [16, 17]. Ein Founder-Effekt ist für spezifische Mutationen in manchen Populationen beschrieben [18].

Genotyp-Phänotyp-Korrelation und genetische Beratung

In Abhängigkeit des jeweiligen Krankheitsallels wurde bei Überexpressionsanalysen eine Variabilität der enzymatischen Restaktivität festgestellt, die auch eine Korrelation zu den klinischen Befunden erlaubte [19]. In kleineren Kollektiven mit Patienten mit rekurrenten Genotypen (50 bzw. 105 Patienten) waren jeweils ähnliche klinische Befunde bei gleichem Genotyp beschrieben worden [1, 7]. Jedoch ist eine intrafamiliäre Variabilität nicht nur bei heterozygoten Mutationsträgern, sondern auch innerhalb von Familien mit autosomal-rezessiver HPP zu beobachten [20, 21]. Auch entgegen der o. g. Studien scheint die Variabilität bei gleichem Genotyp größer zu sein [22]. Eine klare Abgrenzung von autosomal-dominanter und autosomal-rezessiver Vererbung erscheint nicht immer möglich, da innerhalb einer Familie heterozygote Mutationsträger mit mildem klinischen Phänotyp („dominant erblich“) neben Patienten mit biallelischen Mutationen und ausgeprägter klinischer Symptomatik („rezessiv erblich“) auftreten können [1]. Insgesamt erscheint aktuell eine Prognose zum klinischen Phänotyp anhand eines Genotyps nicht möglich. Inwieweit z. B. ein quadriallelisches Modell [23] zukünftig zur Erklärung der phänotypischen Variabilität beitragen kann oder ob genetische Modifier identifiziert werden, bleibt abzuwarten.

Eine besondere Herausforderung für die genetische Beratung und Diagnostik stellen vorgeburtliche Untersuchungen und dabei die Abgrenzung der perinatal schweren von der pränatal benignen HPP dar. Historisch gesehen war eine perinatale Manifestation zusammen mit einem Mutationsnachweis in beiden ALPL-Genkopien mit einer infausten Prognose verbunden (nachgeburtlich letal), jedoch sind auch Patienten mit benigner pränataler HPP und biallelischen Mutationen beschrieben: Bei 1/3 aller Patienten mit beniger pränataler HPP werden biallelische ALPL-Mutationen nachgewiesen; in 2/3 der Patienten mit benigner pränataler HPP liegt eine heterozygote ALPL-Mutation vor [24].

Therapie der Hypophosphatasie – ein multidisziplinärer Therapieansatz

Die Therapie der HPP erfordert einen multidisziplinären Ansatz und eine gute Teamarbeit in einem spezialisierten Zentrum. Dabei sind für eine umfassende Betreuung von HPP-Patienten Vertreter der Disziplinen Pädiatrie, Osteologie, Orthopädie, Ophthalmologie, Traumatologie, Labormedizin, Humangenetik, Radiologie, Neurologie, Neurochirurgie, Zahnmedizin, Kieferorthopädie, Ernährungsmedizin, Psychologie und Physiotherapie von zentraler Bedeutung. In Abhängigkeit des Alters der Patienten und der Ausprägung der HPP-Erkrankung wird die Nutzung der personellen und apparativen Ressourcen von einem spezialisierten Zentrum für den individuellen Fall koordiniert und in Diagnostik und Therapie gezielt eingesetzt.

Supportive Therapie

Die nicht medikamentöse Therapie der HPP umfasst neben allgemein orthopädischen Maßnahmen bei Frakturen, Stressfrakturen, Knochenödemen oder Frakturheilungsstörungen physiotherapeutische Anwendung zum Erhalt und zur Verbesserung der Funktion des Bewegungsapparates sowie eine HPP-spezifische Ernährungsberatung. Auch die zahnärztlich präventiven Maßnahmen und regelmäßige Mundhygiene sind ebenso wichtig zum bestmöglichen Erhalt des Kauapparates wie die zahnärztlich-kieferorthopädische Therapie bei Zahnverlust und/oder Zahnfehlstellung.

Es sollte eine optimale, an die HPP angepasste Einstellung des Knochenstoffwechsels erfolgen. Ziel ist hier die Vermeidung von Mangelzuständen von wichtigen nutritiven Faktoren für das Skelettsystem (z. B. Vitamin D, Folsäure, Vitamin B 12, Magnesium, Zink und andere). Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, dass z. B. bei der Vitamin D Dosierung die besondere Pathophysiologie der HPP berücksichtigt und der Vitamin-D-Spiegel nicht zu stark angehoben wird, um eine erhöhte Phosphatrückresorption zu vermeiden.

Medikamentöse Therapie bei HPP

Die medikamentöse Therapie der HPP dient zum einen der gezielten Analgesie und der Suppression der entzündlichen Aktivität im Organismus. Hier wurde durch Whyte et al. gezeigt, dass z. B. Naproxen den Schmerz bei Knochenmarködemen lindern kann und zur Reduktion des Entzündungsstatus beitragen kann [25]. Auch die Schmerzen durch Hydroxyapatit und/oder Calciumpyrophosphatkristallablagerungen in Gelenken scheinen auf die Gabe nichtsteroidaler antiinflammatorischer Medikamente anzusprechen [26, 27]. Zum anderen sind die Verbesserung der Knochenqualität und die Therapie der osteomalazischen Komponente der HPP ein wesentliches Ziel der medikamentösen Therapie. Hier sind in der Vergangenheit Versuche unternommen worden, mit löslicher alkalischer Phosphatase bei Patienten mit Morbus-Paget-Erkrankung oder humaner plazentarer alkalischer Phosphatase die defekte AP von HPP-Patienten zu ersetzen [28]. Dabei konnte zwar ein passagerer Anstieg der AP im Serum erzielt werden, jedoch keine klinische oder radiologische Verbesserung der HPP-Befunde. Antiresorptive Medikamente wie z. B. Bisphosphonate sind kontraindiziert bei der HPP, da sie als PPI-Analoga bei HPP direkt die Mineralisation hemmen oder durch die Bindung von Zink oder Magnesium die Restfunktion der AP weiter supprimieren können. Im Gegensatz zu den antiresorptiven Medikamenten wurden in Einzelfällen für osteoanabole Medikamente (z. B. Teriparatid), welche die Aktivität der AP erhöhen, teilweise positive Effekte wie Frakturheilung oder Suppression von Knochenmarködemen gezeigt [29]. Weiterhin wurde in einer Open Label Phase 2 A Single-Center-Studie als osteoanaboles Medikament ein Sclerostin-Antikörper (BPS804) verwendet, der bei HPP-Patienten zu einem Anstieg der Knochenformationsparameter und zu einer Verbesserung der Knochendichte geführt hat [30].

Enzymersatztherapie bei HPP

Eine gezielte Enzymersatztherapie steht seit 4 Jahren zur Verfügung und stellt nun eine relevante medikamentöse Option für den von der HPP schwer betroffenen Patienten dar. Asfotase alfa (AA) ist ein „First-in-class“-Medikament, welches über einen Deca-Aspartat-Anker an das Hydroxyapatit der mineralisierten Knochenoberfläche anhaftet und mit durch das Fc-Fragment von IgG1 verlängerter Halbwertzeit die katalytische Aktivität der AP übernimmt [31]. Es ist ein humanes rekombinantes, gewebeunspezifisches alkalisches Phosphatase-Fc-Deca-Aspartat-Fusionsprotein, das zwei identische Polypeptidketten mit einer Länge von jeweils 726 Aminosäuren umfasst und aus der katalytischen Domäne der humanen gewebeunspezifischen AP, der humanen Immunglobulin-G1-Fc-Domäne und einer Deca-Aspartat-Peptid-Domäne besteht [32].

In der ersten klinischen Open-Label-Phase 2‑Studie erhielten 11 schwer betroffene Patienten mit perinataler und infantiler HPP Asfotase alfa. Die Auswertung der 9 Patienten, die die Studie abgeschlossen haben, zeigte, dass es zu einer deutlichen Verbesserung der Knochenmineralisation, der Muskelkraft und der Atemfunktion gekommen war [31]. Die Analyse der 7‑Jahres-Ergebnisse der oben genannten Studie bestätigt eine prolongierte Verbesserung der skelettalen Mineralisation, der respiratorischen Funktion, des Wachstums und der motorischen Entwicklung bei insgesamt guter Verträglichkeit [33]. Mittlerweile wurden auch Studienergebnisse veröffentlicht, die eine Wirksamkeit bei erwachsenen HPP-Patienten zeigen. Kishnani et al. haben in einer Studie mit 19 erwachsenen HPP-Patienten, bei der 14 HPP-Patienten die Studie abgeschlossen haben, gezeigt, dass eine signifikante Verbesserung des 6‑min-Walk-Tests (6MWT) und eine verbesserte Mineralisationszeit des Knochens erzielt werden konnte [4]. In einer Multiscale-Analyse der Knochenqualität unter Enzymersatztherapie wurde in einer Fallbeobachtung darüber hinaus histologisch eine Verbesserung der Knochenmineralisation sowie anderer Knochenqualitätsparameter beobachtet [34]. Hinzu kommen Einzelfallberichte, dass auch nach jahrelang bestehenden Pseudarthrosen z. B. des Femurs bei einliegendem Marknagel noch die Ausheilung der Pseudarthrose unter Enzymersatztherapie erzielt werden kann [35]. In Deutschland ist die Enzymersatztherapie zugelassen für die Langzeit-Enzymersatztherapie bei Patienten, bei denen die Hypophosphatasie im Kindes- und Jugendalter aufgetreten ist, um die Knochenmanifestationen der Krankheit zu behandeln.

Vor dem Hintergrund der Seltenheit der Erkrankung und der dadurch begrenzten Patientenzahl, die in Studien eine Enzymersatztherapie erhalten haben, und unter Berücksichtigung des Nebenwirkungsprofils (Injektionsreaktionen der Haut und des subkutanen Fettgewebes, allergische Reaktionen u. a.) ist die Indikationsstellung im individuellen Fall sehr genau zu prüfen. Es ist eine sorgfältige Abwägung des klinischen Nutzens und der Risiken sowie der bisher fehlenden Erfahrung bei Langzeitanwendung vorzunehmen. Shapiro und Lewiecki empfehlen aufgrund der begrenzten Erfahrung, der Kosten der Therapie und der vor allem bei erwachsenen HPP-Patienten überschaubaren Datenlage, die Anwendung nur bei sehr schwer betroffenen Patienten mit gut dokumentierter Krankengeschichte in Erwägung zu ziehen [36].

Insgesamt haben sich die therapeutischen Optionen nicht zuletzt und vor allem durch die Enzymersatztherapie suffizient erweitert, sodass die Versorgung von Patienten, die von einer Hypophosphatasie betroffen sind, besser ist als noch vor einigen Jahren. Dennoch ist klinisch und wissenschaftlich viel Potenzial vorhanden, die Behandlungsoptionen für HPP weiter zu verbessern.

Fazit für die Praxis

  • Hypophosphatasie ist eine erbliche, metabolische Multisystemerkrankung mit einem breiten klinischen Spektrum an Symptomen.

  • Eine fehlende bis reduzierte Aktivität der alkalischen Phosphatase (AP) ist ursächlich für Mineralisationsstörungen von Knochen und Zähnen sowie Muskel- und Gelenkschmerzen.

  • Die Diagnose der HPP lässt sich anhand klinischer Symptome und typischer laborchemischer Veränderungen (AP-Erniedrigung, PLP-Erhöhung) stellen.

  • Die molekulargenetische Untersuchung des ALPL-Gens wird zur Bestätigung der Diagnose und differentialdiagnostischen Abgrenzung, zur Einschätzung von Wiederholungswahrscheinlichkeiten bei zukünftigen Schwangerschaften und zur pränatalen Diagnose bei familiär vorkommender schwerer HPP angeboten.

  • Es besteht eine gewisse Geno-Phänotyp-Korrelation, jedoch ist die individuelle Vorhersage des Phänotyps anhand eines Genbefunds nicht möglich.

  • Eine interdisziplinäre klinische Betreuung des Patienten mit Vertretern v. a. der Disziplinen Pädiatrie, Osteologie, Orthopädie/Unfallchirurgie, Neurologie, Psychologie und Zahnmedizin/Kieferorthopädie ist von zentraler Bedeutung.

  • Eine Enzymersatztherapie ist nach sorgfältiger individueller Indikationsstellung bei schweren Fällen mit nachgewiesener Knochenmanifestation und Erkrankungsbeginn vor dem 18. Lebensjahr in Erwägung zu ziehen.