Einleitung

Der multiple Schlaflatenztest (MSLT) ist nach wie vor die essenzielle objektive Schlaflaboruntersuchung zur Differentialdiagnostik von Tagesschläfrigkeit und Sleep-onset-REM-Schlafperioden (SOREMP) bei Narkolepsie, Hypersomnie oder anderen Erkrankungen mit einer gesteigerten Tagesschläfrigkeit. Die Durchführung des MSLT wurde im Jahr 1982 erstmals von Carskadon und Dement beschrieben und 1986 erschien eine MSLT-Leitlinie der Association of Professional Sleep Societies, welche 2005 und nochmals 2021 seitens der AASM aktualisiert wurde [8, 9, 14, 16]. Der vorliegende Artikel kommentiert die letzte aktualisierte Leitlinie aus dem Jahr 2021 hinsichtlich der Neuerungen und gibt klinisch tätigen Ärzten*innen übersichtliche Tabellen, Checklisten und ein Merkblatt für Patienten*innen an die Hand [5].

Indikation

Der MSLT ist bei Verdacht auf das Vorliegen einer Narkolepsie oder Hypersomnie und bei jedweder Form von Kataplexien indiziert [14, 16]. Ein begründeter V. a. eine Narkolepsie oder Hypersomnie besteht bei anamnestisch vorliegender exzessiver Tagesschläfrigkeit, imperativem Einschlafen oder Schlafattacken, welche nicht durch eine unbehandelte anderweitige schlafmedizinische Erkrankung, wie z. B. eine Schlafapnoe, oder einen Schlafmangel erklärt werden können [14, 16]. Der MSLT ist nicht indiziert zur Beurteilung der Fahrtüchtigkeit oder zur gutachterlichen Stellungnahme der Arbeitsfähigkeit [12]. Auch ist der MSLT nicht zur Evaluierung des Therapieerfolgs und als Verlaufsparameter geeignet. Gemessen werden beim MSLT die durchschnittliche Einschlaflatenz (ESL) und das verfrühte Auftreten von SOREMP innerhalb der ersten 15 min nach dem Einschlafen. Der MSLT ist kein Vigilanztest. Der MSLT ist ein diagnostisches Verfahren, welches unter Monotoniebedingungen in einem verdunkelten Raum und im Bett liegend durchgeführt wird.

Durchführung

Jeder MSLT sollte standardisiert vorbereitet werden. Ein Schlafentzug oder unregelmäßige Schlafzeiten in der Woche vor dem MSLT sowie die Einnahme verschiedener zentralnervös wirkender Stoffe können das Ergebnis des MSLT stark beeinflussen [13, 19]. Rechtzeitig vor der Planung und Durchführung des MSLT sollte daher geprüft werden, ob Psychopharmaka abgesetzt werden können. Sollte ein Absetzen oder das Ausschleichen der Medikation nicht möglich sein, kann der MSLT zwar durchgeführt werden, allerdings muss dies dann im Bericht dokumentiert, interpretiert und befundet werden.

Patient*innen sollten rechtzeitig vor der Durchführung des MSLT im Rahmen eines Aufklärungsgespräches instruiert werden, in der Woche vor dem MSLT einen regelmäßigen und ausreichenden Nachtschlaf einzuhalten (s. Tab. 1). Diese Voraussetzungen sollten unbedingt mit den Patient*innen kommuniziert werden, damit sie sich vor Durchführung des MSLT an diese Instruktionen halten können. In der Woche vor dem MSLT sollte mindestens ein Schlafprotokoll geführt werden und optimalerweise sogar zur objektiven Aufzeichnung des Ruhe-Aktivitäts-Profils eine Aktigraphie [2]. Während und vor der Durchführung des MSLT sollten keine stimulierenden Substanzen (Medikamente, Koffein, Teein) konsumiert werden. In der aktualisierten Richtlinie (AASM, 2021) wird in diesem Zusammenhang erstmals auf Koffeinentzugssymptome hingewiesen, die den MSLT in seiner Durchführung beeinflussen können [14]. Koffeinentzugskopfschmerzen, die dadurch entstehen, dass Patient*innen am Tag des MSLTs keinen Kaffee trinken, können das Testergebnis verfälschen und führen nicht selten auch zum Abbruch des MSLT. Deswegen sollte bereits in der Planung der Untersuchung erfragt werden, ob täglich Kaffee getrunken wird, und wenn ja, sollte bereits in den zwei Wochen vor dem MSLT ein Auslassversuch erfolgen. Wenn ein Tag ohne Koffeinkonsum schlecht vertragen wird und dadurch Kopfschmerzen auftreten, sollte Koffein bis zum MSLT entzogen werden und der Patient/die Patientin sollte dann bis zum MSLT gar kein Koffein konsumieren. Wenn ein Koffeinentzug gut toleriert wird, kann der/die Patient*in bis zum Tag vor dem MSLT weiter Koffein konsumieren und wird am MSLT-Tag gebeten den Koffeinkonsum zu pausieren.

Tab. 1 Merkblatt Multipler Schlaflatenz-Test (MSLT)

Eine weitere Neuerung in der aktualisierten Richtlinie ist die Empfehlung, dass nicht nur REM-Schlaf supprimierende Medikamente in den beiden Wochen vor Testdurchführung abgesetzt werden sollen, sondern auch Stimulanzien (die AASM-Richtlinie von 2005 hatte bzgl. Stimulanzien noch einen Zeitraum von 1–2 Wochen angegeben) [14, 16]. Ebenfalls neu ist, dass im Falle des Vorliegens einer Schlafapnoe nicht nur in der polysomnographischen Nachtschlafregistrierung vor dem MSLT, sondern auch während des MSLT die Überdrucktherapie genutzt werden soll [14].

Die Instruktion, die den Patient*innen vor dem Start jedes einzelnen Testdurchlaufs des MSLT gegeben wird, sollte ebenfalls standardisiert und immer gleich sein. Dies verdeutlicht eine Studie, die Bonnet und Arand durchführten [7]. In dieser Studie wurden 14 gesunde, junge Probanden an drei aufeinanderfolgenden Tagen mittels MSLT – jeweils nach einer Polysomnographie in der Nacht zuvor untersucht. Dabei wurden unterschiedliche Instruktionen für den MSLT genutzt. Mit der Instruktion „Legen Sie sich hin und schlafen Sie“ (Englisch: „Lay down and sleep“) schliefen die Probanden durchschnittlich nach 11,1 min ein und mit der Instruktion „Legen Sie sich hin und bleiben Sie wach“ (Englisch: „Lay down and stay awake“) durchschnittlich nach 21,7 min. Dies zeigt, welche große Bedeutung die Instruktion hat, die man den Patient*innen vor den Tests gibt (Tab. 2).

Tab. 2 Checkliste Multipler Schlaflatenztest (MSLT)

Anmerkung

  • Der Raum, in dem der Test durchgeführt wird, sollte dunkel und ruhig sein und die Raumtemperatur sollte für die Patient*innen angenehm sein (eine bestimmte Temperatur wird nicht angegeben).

  • Es wird ein leichtes Frühstück vor dem ersten Test und ein leichtes Mittagessen nach dem zweiten Test empfohlen.

  • Das Personal sollte Erfahrung und Routine in der Durchführung des Tests haben und das Einschlafen erkennen und nach 15 min Schlaf die Aufzeichnung stoppen. Sofern kein Schlaf erreicht wird, endet der Test nach 20 min.

  • Vor jedem Test wird der/die Patient*in gefragt, ob er/sie das WC aufsuchen möchte oder anderweitig eine Verbesserung des Komforts benötigt.

  • Zwischen den Tests sollte der Patient nicht im Bett liegen und möglichst nicht schlafen. Darauf sollte das Schlaflaborpersonal achten. Zwischen den Tests sollte eine Video‑/Audioüberwachung stattfinden, um dies sicherzustellen (und fakultativ auch eine Aufzeichnung des Audio‑/Videosignals).

  • Ein Abbruch nach vier Tests, auch wenn kein SOREM in den ersten vier MSLT-Testdurchgängen und in der PSG die Nacht zuvor aufgetreten ist und der Befund insgesamt nicht für eine Narkolepsie spricht, ist zwar aus Ressourcengründen nachvollziehbar, entspricht allerdings nicht den Empfehlungen der AASM. Die Untersucher sollten sich jedoch bewusst sein, dass sich die mittlere ESL mit dem Wegfall des fünften Durchganges signifikant verkürzt [3].

  • Ein Drogenkonsum sollte thematisiert werden; ggf. empfiehlt sich ein Drogentest.

Zusammenfassende Beurteilung und MSLT-Bericht

Die ESL ist die Zeit zwischen „Licht aus“ und der ersten Epoche Schlaf [16]. Sollte der Patient in einem Testdurchgang gar nicht einschlafen, wird die ESL in diesem Test mit 20 min beziffert. Zudem wird die Anzahl der Tests, in denen SOREMP auftrat, erfasst. Die REM-Latenz ist die Zeit zwischen der ersten Epoche Schlaf und der ersten Epoche REM [16]. REM-Schlaf, der innerhalb von 15 min nach dem Einschlafen auftritt, wird Sleep-onset-REM genannt (SOREM) [16]. Der Bericht des MSLT sollte die Start- und Endzeiten aller Testdurchgänge nennen, die mittlere ESL und die Anzahl der Testdurchgänge, in denen SOREM auftrat. Hier wird einfach die Anzahl summiert (z. B. „3 × SOREM-Perioden“ heißt dann, dass in drei Tests SOREM auftrat). Idealerweise sollte das Hypnogramm der Durchgänge abgebildet werden.

Die diagnostischen Kriterien der dritten Ausgabe der International Classification of Sleep Disorders (ICSD-3) definiert eine verkürzte durchschnittliche ESL von acht Minuten oder weniger als Hinweis auf eine Narkolepsie oder Hypersomnie [2]. Für eine Narkolepsie richtungsweisend sind zusätzlich das Auftreten von REM-Schlaf in zwei (oder mehr) Durchgängen des MSLT, wobei ein SOREM (Latenz ab dem Einschlafen ≤ 15 min) in der Polysomnographie in der vorausgegangenen PSG-Nacht mitgezählt wird [2]. Das Auftreten von REM-Schlaf aus dem Wachen oder aus dem Schlafstadium N1 heraus ist ein zusätzlicher Hinweis für das Vorliegen einer Narkolepsie [19].

Alle Protokollabweichungen sollten dokumentiert werden. Eine durchschnittliche ESL größer acht Minuten oder weniger als zwei SOREMP im MSLT schließen eine Narkolepsie nicht aus. Bei begründetem klinischen Verdacht kann die Verdachtsdiagnose Narkolepsie aufrechterhalten werden [3, 4]. (Wenn Patienten in den fünf Tests gar nicht eingeschlafen sind, ist eine Narkolepsie allerdings höchst unwahrscheinlich). Die Interpretation der Schlaflatenzen und SOREMP sind altersabhängig. Die Schlaflatenzen zeigen eine diskrete altersabhängige Zunahme und die Anzahl der SOREMP eine altersabhängige Abnahme [11]. Altersabhängige Standardwerte fehlen jedoch bisher.

Umgekehrt ist der Nachweis einer verkürzten durchschnittlichen ESL ≤ 8 min und mehrerer SOREMP kein sicherer Nachweis einer Narkolepsie [1]. So sind SOREMP nicht pathognomonisch für eine Narkolepsie und wurden auch bei gesunden Probanden und OSA-Patienten gefunden [6, 10]. Die Test-Retest-Reliabilität sowohl bzgl. der durchschnittlichen ESL als auch bzgl. des Nachweises von SOREMP ist für Narkolepsie-Typ-1-Patienten*innen am höchsten (81,3 bis 91 %) und niedriger bei Patienten*innen mit Narkolepsie Typ 2 (45 bis 47,1 %) und idiopathischer Hypersomnie (25 bis 49 %) [15, 17, 18, 21, 23]. Die Anamnese, die klinischen Daten, Laborwerte sowie die Ergebnisse der Polysomnographie und des MSLT müssen in der Zusammenschau beurteilt werden [20].

Fazit für die Praxis

Die Narkolepsie, die Hypersomnie und andere Erkrankungen mit gesteigerter Tagesschläfrigkeit stellen chronische Krankheitsbilder dar, die mit einer relevanten Beeinträchtigung der Patient*innen einhergehen. Die Diagnostik sollte deswegen mit größtmöglicher Sorgfalt erfolgen. Der MSLT ist eine der zentralen Untersuchungsmethoden für die Differenzierung diese Erkrankungen und sollte daher nach dem vorgesehenen Protokoll durchgeführt werden. Die Diagnose sowie die Behandlungsmöglichkeiten sollten mit den Patienten in einem ausführlichen Gespräch besprochen werden.