Hintergrund

Covid-19 und Schlaf

Der Begriff „Coronasomnia“ wird populärwissenschaftlich verwendet, um Schlafstörungen zu beschreiben, die im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie auftreten und auch in der Zeit nach der Pandemie die Bevölkerung betreffen können [1].

Während zum Thema COVID-19 und Insomnie sowie COVID-19 und Schlaf-Wach-Rhythmus-Störungen bereits viele wissenschaftliche Studien veröffentlicht wurden, liegen bislang nur wenige Studien zum Thema Long-COVID und Insomnie vor.

Neben den Hauptsymptomen und teilweise schweren Verläufen bei einer COVID-19-Infektion zeigt sich, dass die Pandemie nicht nur Auswirkungen auf den Schlaf, sondern auch auf die gesamte psychische Gesundheit hat. Darunter fallen Insomnie, posttraumatische Belastungsreaktion, Belastungsstörung sowie Depression [2].

Aktuelle Daten zeigen, dass die Prävalenz von Insomnie bei COVID-19-Patient*innen zwischen 36 und 88 % liegt [3] und damit signifikant höher ist als die Prävalenz in der Allgemeinbevölkerung von 10–40 % [4].

Bei dem medizinischen Personal, das COVID-19-Patient*innen behandelt, zeigen Studien, dass Insomnie in Verbindung mit anderen psychischen Störungen wie Angststörungen und Depressionen oder mit Risikofaktoren für psychische Erkrankungen wie z. B. hoher Stressbelastung und Burnout auftritt.

Sowohl Schlafmangel als auch Insomnie können andere psychiatrische Störungen begünstigen und auch nach deren Remission fortbestehen. Auf physiologischer Ebene senkt Insomnie die Schwelle für die Bewältigung von schwer belastenden Lebensereignissen und Stress [5,6,7]. Insomnie kann daher als ein wichtiges Präventionsthema betrachtet werden, da dieses Störungsbild einen stetigen Risikofaktor für mehrere psychische Störungen darstellt und die Prävention von Insomnie somit zur Förderung von Resilienz beitragen kann [2].

Long-COVID

Mögliche Langzeitfolgen für die Gesundheit nach einer COVID-19-Infektion, die über die übliche Genesungsdauer hinausgehen, werden unter dem Begriff „Long-COVID“ oder auch „Post-COVID-Syndrom“ zusammengefasst [8]. Long-COVID umfasst neben kardiovaskulären Symptomen auch pneumologische, neurologische, gastrointestinale, muskuloskelettale, inflammatorische, kognitive, dermatologische und psychosomatische Symptome sowie Müdigkeit und Schlafstörungen.

Die Ergebnisse einer Querschnittsstudie mit 1002 Proband*innen (hospitalisierte und nichthospitalisierte Patient*innen), die in der Vergangenheit mit einem PCR-Test positiv auf COVID-19 getestet wurden, zeigen, dass etwa 50 % auch nach der Infektion von Schlafstörungen berichteten [9].

COVID-19-Restriktionsmaßnahmen und Schlaf

Zur Eindämmung der rasanten Ausbreitung des Virus wurden in den meisten Ländern Restriktionsmaßnahmen eingeführt, die sich in ihrem Ausmaß der Einschränkungen des alltäglichen Lebens teils stark voneinander unterschieden. Neben dem Gefühl der Unsicherheit durch die Restriktionsmaßnahmen können auch die jeweiligen Maßnahmen, wie die Verpflichtung zu der Fernarbeit, zu einem veränderten Schlafverhalten führen. Bislang zeigen Studien hierzu ein gemischtes Bild. Demnach kann es zum einen zu einer erhöhten Prävalenz von Schlafproblemen wie insomnischen Symptomen und reduzierter Schlafqualität kommen, zum anderen kann sich aber auch der Schlaf möglicherweise verbessern aufgrund flexibler Arbeitszeiten und der Wegfall von Pendlerzeiten mit resultierender Zunahme der Schlafenszeit und Anpassung der Wach-Arbeitszeiten an den eigenen biologischen Rhythmus [10]. In der Studie von Blume et al. [11] wurden Teilnehmer*innen aus drei europäischen Ländern nach Veränderungen des Schlaf-Wach-Rhythmus, Schlafqualität, nach psychischem und physischem Wohlbefinden und sozialem Jetlag befragt. Sozialer Jetlag beschreibt hierbei die Diskrepanz zwischen der inneren Uhr und der durch externe Zeitgeber wie Arbeitszeiten beeinflussten tatsächlichen Schlafdauer. Der Lockdown und die damit verbundenen Restriktionsmaßnahmen hatten zum einen eine stabilisierende Wirkung auf den Schlaf-Wach-Rhythmus sowie eine dem sozialen Jetlag entgegensteuernde Wirkung, da die Personen ihre Zeiten für Aktivität und Schlaf unabhängig von externen Zeitgebern regulieren konnten. Andererseits wurde jedoch die Schlafqualität als schlechter beschrieben, was durch Belastungen aufgrund von Angst vor einer Erkrankung, sozialer Isolation und der Ungewissheit im Hinblick auf das Pandemiegeschehen erklärt werden konnte.

Methoden

Es wurde eine orientierende Literaturrecherche in Medline und Google Scholar mit folgender Kombination an Keywords durchgeführt: „Insomnia and COVID-19“; „Insomnia and Long COVID“, „Insomnia, PTSD and COVID-19“; „Fatigue and Insomnia in Long-COVID“. Darüber hinaus lagen den Autoren mehrere kürzlich veröffentlichte Artikel von Mitgliedern des „European Insomnia Network“ vor.

Ergebnisse

Die Lebensqualität und Insomniesymptome wurden in einer Online-Befragung von Orri et al. untersucht. Eingeschlossen wurden 507 Proband*innen in Italien, die einen positiven PCR-Test aufwiesen oder die Diagnose einer COVID-19 Infektion erhielten. Zusätzlich wurden zur Erfassung von Insomniesymptomen und der Lebensqualität validierte Fragebögen verwendet. Betroffene von COVID-19 wiesen signifikant höhere Insomniescores im Vergleich zu Proband*innen auf, die nicht von COVID-19 betroffen waren (p < 0,05), auch nach der Genesung von der Erkrankung waren die Insomniescores erhöht [8].

Obwohl vermutet wird, dass Einschlaf- und Durchschlafstörungen nicht nur durch die Erkrankung, sondern auch durch psychischen Stress aufgrund des Lockdowns und sozialer Isolation verursacht werden können, sind Personen ohne COVID-19 ebenfalls diesen Stressfaktoren ausgesetzt. Dass Long-COVID einen Einfluss auf den Schlaf ausübt, wurde auch in einer anderen Studie bestätigt. Die Ergebnisse von Al-Aly zeigen, dass 26 % der Studienteilnehmer*innen mit Long-COVID sechs Monate nach der Infektion Insomniesymptome sowie ein erhöhtes Risiko für Angststörungen aufwiesen [12].

In einem Rehabilitationszentrum in China wurden Depression und Insomnie bei Patient*innen nach einer COVID-19 Infektion mit der Insomnia Severity Scale und der Center for Epidemiologie Scale for Depression (CES-D) erfasst [13, 14]. In der Stichprobe von 121 Proband*innen, darunter 69 Männer und 52 Frauen (M = 41,72 ± 13,61 Jahre), die mindestens zwei Wochen nach der Entlassung aus der stationären Behandlung befragt wurden, berichteten 26,4 % über Insomniesymptome und 9,9 % über depressive Symptome [15].

Die Studie von Li et al. betonte die Notwendigkeit von rehabilitativen Interventionen auch in der ersten Kohorte von Patient*innen mit postakutem COVID-19: 63,6 % der Patient*innen berichteten weiterhin von Schlafstörungen, 61,4 % von einer verminderten Belastbarkeit, 57,9 % berichteten von Angstsymptomen, Apathie wurde von 41 % und Depression von 40,7 % beschrieben. Die Autoren berichteten ferner von dem Einsatz von Rehabilitationsmaßnahmen wie Physiotherapie, Ernährung und Behandlungsmaßnahmen aus der traditionellen chinesischen Therapie (TCM) [16].

Schlafstörungen, Angstsymptome (10 %) und Depressionen (19 %) wurden auch bei Patient*innen nach der Entlassung aus der stationären Behandlung in der Studie von Xu et al. Festgestellt. Die Ergebnisse dieser Studie deuten darauf hin, dass im Rahmen der Rehabilitation von COVID-19-Patient*innen und von Long-COVID-Betroffenen ein erhöhter Bedarf für eine gezielte Behandlung von Insomnie durch kognitive Verhaltenstherapie für Insomnie (CBT-I) sowie für eine Therapie zur Behandlung weiterer, assoziierter psychischer Störungen besteht [15].

In Hinblick auf das medizinische Personal zeigte eine Studie aus Bangladesch, dass die Prävalenz für Angstsymptome bei 36,5 %, für depressive Symptome bei 38,4 % und für Insomnie bei 18,6 % in einer Stichprobe von Ärzt*innen lag [17]. Liang et al. zeigten, dass die Prävalenz von Insomnie bei medizinischem „Frontpersonals“ im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung erhöht ist. So tritt Insomnie bei medizinischem Personal mit 14,49 % häufiger auf als in der Allgemeinbevölkerung mit 6,67 % [18]. Eine weitere Studie mit 2001 Teilnehmer*innen zeigte, dass Schlafstörungen von 61,6 %, depressive Symptome von 35 % und eine Angstsymptomatik von 22,6 % der Befragten aus dem Bereich des medizinischen Personals berichtet wurden [19].

Im Hinblick auf Faktoren, die sich auf die Vulnerabilität für insomnische Beschwerden auswirken, zeigen Studien aus Wuhan, dass das weibliche Geschlecht ein möglicher Risikofaktor für die sowohl von Patient*innen als auch von medizinischem Personal berichtete schlechte Schlafqualität sowie Schlafdefizite sei [16, 20]. Das weibliche Geschlecht wurde ebenso in einer Studie von Jahrami et al. als Prädiktor für eine höhere Prävalenz einer schlechteren subjektiven Schlafqualität und eines mittleren bis hohen Stresslevels identifiziert [21].

Zu den Auswirkungen von den COVID-19-Restriktionsmaßnahmen in Deutschland auf das Schlafverhalten von 681 Proband*innen zeigten Schaller & Randler, dass die Umstellung auf das Homeoffice sich bei der Mehrheit positiv auf die Schlafgesundheit auswirkte. Personen schliefen im Schnitt eine Stunde länger und verringerten ihren sozialen Jetlag durch die Einführung flexibler Arbeitszeiten. Besonders Personen mit einem abendorientierten Chronotyp konnten aufgrund der Maßnahmen ihre Schlafenszeit an ihre biologischen Bedürfnisse anpassen [10].

Diskussion

In Anbetracht der höheren Prävalenzen insomnischer Beschwerden bei medizinischem Personal, insbesondere „Frontpersonal“ [17,18,19] wird auf die Notwendigkeit der Implementierung von schlafedukativen Maßnahmen für Schichtarbeiter*innen in den Krankenhäusern und der Behandlung von Insomnie mittels evidenzbasierter Therapie – der kognitiven Verhaltenstherapie für Insomnie (CBT-I) – hingewiesen [22,23,24,25].

Als zentrale Probleme des medizinischen „Frontpersonals“ während der Pandemie wurden hierbei in einer Studie aus Italien arbeitsbedingte Schlafdefizite, lange Schichtdauern, die mit einem erhöhten Risiko für psychische und physische Beschwerden einhergehen, veränderte Immunreaktionen, medizinische Fehler, Missverständnisse in der Kommunikation, Müdigkeit bei der Heimfahrt und Burnout identifiziert. Die Autoren der Studie empfehlen hier einen praxisorientierten Maßnahmenkatalog für das Krankenhauspersonal für einen besseren Umgang mit Schlafstörungen [26].

Studien zum Thema Insomnie und COVID-19 zeigen eine signifikante Assoziation zwischen akuter Infektion und Insomnie. Ferner zeigen Studien, dass bei 26 % der Betroffenen von Long-COVID Insomniesymptome weiterhin persistieren [12]. Es wäre notwendig zu untersuchen, inwiefern die Insomniesymptome – neben der Fatigue als einem er Hauptsymptome von Long-COVID – zu der Entstehung und Aufrechterhaltung der anhaltenden Beschwerden von betroffenen Personen beitragen.

Es bleibt zu schlussfolgern, dass eine Behandlung der insomnischen Symptome bei COVID-19-Betroffenen, sowohl bei den akuten als auch bei den Langzeitbetroffenen im Fall von Long-COVID, indiziert ist. Die empfohlene Erstlinientherapie bei chronischer Insomnie ist hierbei die kognitive Verhaltenstherapie für Insomnie (Cognitive Behavioral Therapy for Insomnia, CBT-I), deren Behandlungseffekte über die Symptome von Insomnie hinausgehen und das Auftreten, den Schweregrad, die Persistenz und das Wiederauftreten von weiteren psychischen und physischen gesundheitlichen Problemen verringern. CBT‑I reduziert nachweislich nicht-schlafbezogene Depressions- und Angstsymptome und verbessert die allgemeine Gesundheit und Lebensqualität. Zusammengefasst deuten bisherige Ergebnisse darauf hin, dass die Effekte einer Insomniebehandlung den Gesundheitszustand über mehrere Bereiche hinweg verbessern können und die Resilienz gegenüber zukünftigen Stressoren fördern, insbesondere bei Menschen, die für Ein- und Durchschlafstörungen vulnerabel sind [2]. Hierzu wurde nachgewiesen, dass CBT‑I die Ein-Jahres-Inzidenz von Depressionen um 50 % reduzierte, auch bei digitaler Durchführung (dCBT-I) [2, 19]. Befunde aus einer chinesischen Studie während der Pandemie 2020 zeigen, dass Personen mit insomnischer Symptomatik, die eine digitale CBT‑I erhielten (N = 358), im Vergleich zu einer Kontrollgruppe (N = 300), die eine Schlafedukation erhielt, von einer geringeren Stressbelastung durch die Pandemie, weniger Insomnie-Symptomen und milderen depressiven Symptome berichteten [27]. Digitale Therapieangebote als Teil der aktuellen Behandlungsmöglichkeiten von Insomnie haben hierbei den Vorteil, dass diese den Patienten unabhängig von der räumlichen Entfernung angeboten werden können und somit die Zugänglichkeit einer Behandlung von insomnischen Beschwerden erhöhen. Schlussfolgernd wäre neben einer frühzeitigen Zulassung von mobilen Therapieapplikationen auch die Zulassung von personengeführten digitalen Therapieangeboten bei Insomnie empfehlenswert.

Long-COVID-Symptome sind dadurch gekennzeichnet, dass sie mehrere Wochen bis Monate nach der akuten Erkrankung anhalten. Bei der Annahme der Diagnose einer akuten Insomnie, die auf einer Dauer der insomnischen Symptome von weniger als drei Monaten beruht (DSM-V) [28], sollte ein „Minimum“ an spezialisierter Behandlung angeboten werden, wie z. B. „Single Shot CBT-I“. Diese als wirksam erachtete Intervention umfasst eine Sitzung von 60–90 min plus ein Selbsthilfeprogramm. Sie hat sich auch bei inhaftierten Personen als wirksam erwiesen [29, 30]. Bei einer Symptomdauer von mehr als drei Monaten werden Face-to-Face-Therapien empfohlen, aber in Anbetracht der Engpässe bei dieser Art von Behandlung wird auf digitale Therapieangebote für Insomnie hingewiesen [23].

Für das medizinische Personal, das auch vor der COVID-19-Pandemie eine Risikogruppe für Schlafstörungen war, empfehlen wir ein breites Präventionsprogramm in allen Krankenhäusern für ein adäquates Schlafmanagement und für die Prävention von Schlafstörungen [3, 25, 31]. Hierzu können sich die Abteilungen des betrieblichen Gesundheitsmanagements in den medizinischen Einrichtungen an den Empfehlungen des aktuellen Leitfadens zu gesundheitlichen Aspekten und Gestaltung von Nacht- und Schichtarbeit der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften e. V. (AWMF) [32] orientieren.

Die Auswirkungen des Lockdowns und der begleitenden psychischen Belastungen durch die Pandemie, wie z. B. Angst vor Arbeitslosigkeit, Einsamkeit, soziale Isolation und häusliche Überlastung, wurden in dem Artikel der European CBT‑I Academy Taskforce mit internationalen Empfehlungen für ein adäquates Schlafmanagement in der aktuellen Krisensituation beschrieben [33].

Im Hinblick auf präventive Maßnahmen zur Förderung von Schlafgesundheit zeigen neuere Erkenntnisse aus einer deutschen Studie zu den Auswirkungen der Umstellung auf Fernarbeit, dass flexible Arbeitszeiten und die Anpassung der Wach- und Arbeitszeiten an den biologischen Rhythmus der Individuen sich positiv auf deren Schlafgesundheit auswirken [10]. Die angestrebte Verringerung der Diskrepanz zwischen der inneren Uhr und dem tatsächlichen Schlafzeitpunkt durch das Angebot der räumlichen und zeitlichen Flexibilität bei den Arbeitnehmer*innen wird unter dem Konzept des „new way of working“ (NWOW) [34] zusammengefasst, dessen Umsetzung zur Schaffung einer gesundheitsfördernden Arbeitsumgebung eine neue, zukünftige Herausforderung für Arbeitgeber*innen darstellen wird.

Zusammenfassend ist abzuleiten, dass nach aktuellen Erkenntnissen sowohl Insomnie als auch insomnische Symptome, auch im Zusammenhang mit der pandemiebedingten posttraumatischen Belastungsstörung, die Schlafmedizin auch weiterhin nach der Pandemie beschäftigen werden.