Zusammenfassung
Wir werden täglich mit Nachrichten über Tötungsdelikte überschüttet. Hinzu kommen täglich zahlreiche fiktionale Morde im Fernsehen und im gesamten Kulturleben vom Kriminalroman über Spielfilme bis zur Oper. Wir glauben, nach all dem Bescheid zu wissen, über Morde, ihre Täter und ihre Opfer, nicht nur allgemein, sondern auch im Einzelfall, von denen wir so viele kennen. Tatsächlich aber gibt es wenig wissenschaftlich erfasste Informationen über die in Deutschland und Europa vergleichsweise kleine Anzahl von Tätern mit absichtlichen Tötungsdelikten. Entsprechend hypothetisch sind die Annahmen über die Ursachen dafür, dass jemand den Willen zu einem Tötungsdelikt entwickelt und die Tat ausführt. Es hilft der Blick hinaus in die Welt über Europa hinaus, um zu erkennen, dass das illegale, kriminelle Töten von Menschen in Afrika und in Nord‑, Süd- und Mittelamerika überaus häufig ist; Formen und Ursachen dieser massenhaften Tötungsdelinquenz sind überwiegend anders als in Europa. Diese globale Perspektive wird im ersten Teil anhand der „Global Study on Homicide“ des United Nations Office on Drugs and Crime (UNODC) entwickelt; sie bildet den Hintergrund für die Betrachtung der Situation in Europa, für das Deutschland beispielhaft steht. Der zweite Teil fokussiert dann auf die Gruppe derer, die in Berlin im Gefängnis einsaßen, weil sie zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt wurden, 103 Männer und 6 Frauen. Diese Kompletterfassung dürfte für Deutschland weitgehend generalisierbar sein und liefert, gerade im Abgleich mit den weltweiten Daten, einige Anhaltspunkte für wesentliche Ursachen und Risikofaktoren für Tötungsdelinquenz.
Abstract
Every day we are overwhelmed with news about homicides. In addition, numerous fictional murders are shown on television and in the complete cultural life from crime novels, feature films and operas. As a consequence, we believe we know all about murders, the perpetrators and their victims, not only generally but also in individual cases, of which we know so many; however, in actual fact there is little scientifically collated information on the comparatively low number of perpetrators of intentional murders in Germany and Europe. Correspondingly hypothetical are the assumptions about the reasons why someone develops the motivation to perform an act of homicide and carries out the crime. It helps to take a look at the world outside Europe to recognize that the illegal criminal killing of people in Africa, in North, South and Middle America is much more frequent; the form and causes of the vast numbers of killing delinquency are predominantly different than in Europe. This global perspective is developed in the first part based on the “Global Study on Homicide” by the United Nations Office on Drugs and Crime (UNODC) and forms the background for the consideration of the situation in Europe, as exemplified by Germany. The second part then focusses on the group of those who were in prison in Berlin because they were sentenced to life imprisonment, 103 men and 6 women. This complete compilation should be broadly generalizable for Germany and provides some points of reference for fundamental causes and risk factors for killing delinquency.
Notes
Die Autoren haben immer wieder Bedenken, dass bei Straffälligen wegen ihrer schweren Delinquenz allzu bereitwillig Diagnosen einer Persönlichkeitsstörung vergeben werden.
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Kröber, HL., Trofimova, A. Vorsätzliche Tötungen weltweit, in Deutschland und in Berlin. Forens Psychiatr Psychol Kriminol 16, 4–18 (2022). https://doi.org/10.1007/s11757-021-00697-2
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