Einleitung

Webcam child sexual abuse

Die mediale Berichtserstattung verweist seit einigen Jahren auf ein neueres Phänomen der Internetsexualdelinquenz, das Anstiften zur sexuellen Ausbeutung von Minderjährigen gegen Bezahlung und das Mitverfolgen der Übergriffe per Livestream (Batthyany und Hedemann 2018; DPA 2017; Feusi 2019; Leurs 2013; Schulzki-Haddouti 2017). In der Literatur werden unterschiedliche Begriffe für solche Handlungen verwendet (beispielsweise „Webcam child sex abuse“ [WCSA], „webcam child sex tourism“, „online child sexual exploitation“). Die Autoren haben sich im Rahmen des vorliegenden Artikels für den Begriff Webcam child sexual abuse [WCSA] entschieden. Dieser Begriff umfasst jegliche Form sexueller Ausbeutung von Minderjährigen per Internet-Livestream, wobei das Spektrum der übertragenen Handlungen vom Posieren bis hin zu sexuell-sadistischen Übergriffen reicht.

WCSA liegt vor, wenn eine erwachsene Person finanzielle Mittel oder eine andere Form der Zuwendung anbietet, um die sexuelle Ausbeutung von Minderjährigen über eine Webcam live mitverfolgen und allenfalls dirigieren zu können. Laut der Menschenrechtsorganisation Terre des Hommes (2013) handelt es sich um eine Deliktkategorie, in der sich Elemente der Erstellung von Kinderpornografie sowie der Kinderprostitution vermischen. Dadurch, dass die Täter oftmals in einem anderen Land als die Opfer leben, besteht zudem eine Nähe zum Sextourismus. Denn auch bei WCSA nutzen Erwachsene zum Zweck des Kindesmissbrauchs die sich in anderen Ländern bietenden Möglichkeiten, um Gesetze im eigenen Land zu umgehen und/oder die sich infolge eines wirtschaftlichen Gefälles bietenden Tatgelegenheiten.

Aufmerksamkeit erlangte dieses Phänomen durch eine Aktion von Terre des Hommes, bei der ein am Computer generiertes 10-jähriges Mädchen namens „Sweetie“ als Lockvogel diente. Über einen Zeitraum von 10 Wochen nahmen über 20.000 Personen aus 71 Ländern Kontakt zu „Sweetie“ auf und versuchten, gegen Bezahlung sexuelle Dienstleistungen per Livestream zu erwerben (Terre des Hommes 2013). Tausend dieser Personen wurden von Terre des Hommes identifiziert und den Strafbehörden übergeben. Die Berichtserstattung der letzten Jahre verortet die Opfer von WCSA größtenteils auf den Philippinen, was auf die Kombination verschiedener deliktbegünstigender Faktoren, wie Armut, geringer Kinderschutz bzw. nachlässige Gesetzesvollstreckung, bei gleichzeitigem Vorhandensein einer digitalen Infrastruktur sowie der verbreiteten Beherrschung der englischen Sprache zurückgeführt wird (Hernandez et al. 2018; Terre des Hommes 2013, 2016). Terre des Hommes (2013) beschrieb drei Modelle von WCSA: Im Rahmen des „Familienmodells“ werden Minderjährige von Familienangehörigen online angeboten. Die Delikte finden oft zu Hause statt. Daneben gibt es kriminelle Organisationen, die Minderjährige gegen ihren Willen in „dens“ (dt.: Höhlen) halten und online anbieten. Außerdem wird auf Minderjährige verwiesen, die neben ihrer Tätigkeit in der Straßenprostitution selbstständig sexuelle Dienstleistungen gegen Bezahlung anbieten.

Die Kontaktaufnahme findet über Online-Dating-Websites, öffentliche Chatrooms, soziale Netzwerke oder Webcam-Seiten für Erwachsene statt. Allfällige Altersbeschränkungen werden von den Anbietern durch falsche Altersangaben umgangen, wobei die eingestellten Fotos ein einschlägiges Interesse wecken sollen und das wahre Alter der potenziellen Opfer erahnen lassen. Daneben kann die Wahl der Benutzernamen (beispielsweise über sexualisierte Inhalte, Altersangaben) die Kontaktaufnahme bahnen. Die Preise variieren in Abhängigkeit von den gewünschten sexuellen Handlungen sowie vom Alters der Opfer zwischen 20 und 130 USD (Feusi 2019; Terre des Hommes 2013; Tscherrig 2020).

Kriminologische Einordnung

Die Einordung der Tathandlungen in gängige Kategorien sexueller Straftaten erweist sich bei näherer Betrachtung als Herausforderung: Übergeordnet wird in der Literatur zur Sexualdelinquenz zwischen „Hands-on“- (bzw. „Contact“-) und „Hands-off-“ (bzw. „No-contact“-)Delikten unterschieden, wobei Sexualstraftaten im Internet der letzteren Kategorie zugeordnet werden (Gottfried et al. 2020; Ly et al. 2018). Daneben gibt es verschiedene Ansätze, Unterkategorien von Internetsexualstraftaten zu bilden. Neben dem „Konsum von Kinderpornografie“, der oftmals Erwerb und Verbreitung von sexualisierten Abbildungen von Minderjährigen umfasst, wird in der Literatur auf „groomer“ oder „online sexual solicitation“ verwiesen, wobei diese Begriffe eine Reihe von Handlungen umfassen, wie sexualisierte Kommunikation mit Opfern, Anstiftung der Opfer zu sexuellen Handlungen, Anbahnen von Treffen und „trafficking“, d. h. Menschenhandel mit dem Ziel der sexuellen Ausbeutung (Gottfried et al. 2020; Long et al. 2012).

Vor diesem Hintergrund dürfte einleuchten, dass WCSA nicht mit dem Konsum kinderpornografischer Inhalte gleichgesetzt werden kann. Schließlich nimmt der Täter eine für die Tathandlungen ausschlaggebende Rolle ein, indem er die Missbrauchshandlungen, die am Opfer vollzogen werden, anregt bzw. bestellt und/oder anordnet, die Durchführung derselben live verfolgt, dirigiert. Entsprechend erfolgen Anklagen und Verurteilungen wegen Anstiftung zur Schändung oder Anstiftung zu sexuellen Handlungen mit einem Kind, was für eine Einteilung in die „Grooming“- bzw. „Soliciting“-Subkategorie spricht. Diese Einteilung ist jedoch ebenfalls unbefriedigend, da WCSA auch einen Schritt weiter gehen kann. Schließlich werden sexuelle Dienstleistungen nicht immer durch „Grooming“ im engeren Sinne ermöglicht, sondern, wie in der nachfolgenden Kasuistik ersichtlich, mit einem Anbieter verhandelt, gekauft und von diesem stellvertretend ausgeführt.

In solchen Fällen dürfte daher die Kategorie der „commercial sex buyers“ nach DeHart et al. (2017) am zutreffendsten sein, also zu den Personen, die über die Kontaktgestaltung mit Drittparteien (Zuhälter oder Familienmitglieder) Minderjährige sexuell ausbeuten und missbrauchen. Zwar ist der Begriff „commercial sex buyers“ problematisch, da hierunter auch legale Prostitution subsumiert werden kann. DeHart et al. folgen jedoch einer Studie von Briggs et al. (2011), die fantasie- von kontaktgetriebenen Internetsexualstraftätern unterschied. Während die erstgenannten die Teilnahme an Chats sowie Verteilung und Konsum von Kinderpornografie, jedoch keine Kontaktgestaltung mit Opfern anstreben, zielen die Online-Aktivitäten der kontaktgetriebenen Täter auf eine persönliche Kontaktgestaltung mit den Opfern ab. Entsprechend ist WCSA als Hands-off-Straftat einzuordnen, da es sich um eine Internetstraftat ohne Körperkontakt zwischen Täter und Opfer handelt.

Obwohl diese kriminologische Kategorisierung zumindest einen Vergleich mit Hands-off-Delinquenten ermöglicht, bleibt sie unbefriedigend, denn die Opfer werden durchaus live „berührt“, wenn auch über das Internet gesteuert, und diese angestifteten Hands-on-Straftaten sind ein wesentlicher Stimulus für den Täter, sonst würde er sich mit dem einfacheren und weniger kostspieligen Konsum von Missbrauchsabbildungen begnügen.

Häufigkeit und Strafverfolgung

Schwierigkeiten ergeben sich bei der Einschätzung der Prävalenz von WCSA. Es ist mit einem großen Dunkelfeld zu rechnen. Aufgrund finanzieller Abhängigkeit, Interessen der Familie oder krimineller Strukturen kommen die Delikte in den Heimatländern der Opfer wahrscheinlich nur selten zur Anzeige. Gesamthaft greift bei solchen Straftaten das Prinzip der reaktiven Strafverfolgung, wonach erst nach Eingang einer Strafanzeige ermittelt wird, ungenügend (Terre des Hommes 2013). Darüber hinaus verkompliziert der Umstand, dass sich Täter und Opfer in der Regel in verschiedenen Ländern befinden, die Strafverfolgung durch unterschiedliche Rechtsgrundlagen.

Hinzu kommen technische Probleme bei der Strafverfolgung: Ein Livestreaming hinterlässt kaum digitale Spuren, anhand derer die Missbrauchshandlungen nachvollzogen werden könnten. Da es als private Kommunikation eingeordnet wird, sind Überwachungsmaßnahmen gesetzlich stark reguliert. Zudem müsste im Fall einer angestrebten Überwachung der Streaming-Anbieter angefragt werden, der sich oftmals in einem anderen Land befindet als Täter und Opfer, woraus erneut rechtliche Komplikationen resultieren. Selbst im Fall einer Sicherstellung der Computer des Täters sind kaum Spuren des Livestreams zu erwarten, sofern der Täter die Videoübertragung nicht mit einer weiteren Applikation gefilmt und gespeichert hat (Açar 2017). Insofern ergeben sich oftmals einzig anhand der Chatkommunikation vor bzw. während der Taten Anhaltspunkte für Absprachen hinsichtlich sexueller Handlungen, sofern diese Chats erhalten sind oder wiederhergestellt werden können.

Trotz dieser vielfältigen Probleme liegen einige Schätzungen bezüglich der Prävalenz von WCSA vor. Gemäß Terre des Hommes sollen 2013 mehrere Zehntausend minderjährige Opfer betroffen gewesen sein. Hernandez et al. (2018) verweisen auf überwiegend weibliche Opfer und eine Altersspanne von 18 Monaten bis 17 Jahre. Die Anzahl der Täter wird in Schätzungen von 2009 und 2011 mit 750.000 jeweils zeitgleich online agierenden Personen angegeben (United Nations 2009; US Federal Bureau of Investigation 2011). Die Anzahl von Opfern wie Tätern dürfte vor dem Hintergrund der seitdem fortschreitenden Digitalisierung zugenommen haben.

Stark im Kontrast zur geschätzten Anzahl der Täter steht die Anzahl der wegen WCSA strafrechtlich Verurteilten. Terre des Hommes verwies 2013 auf weltweit 6 Verurteilungen und bemängelte die Strafverfolgung sowie die fehlenden gesetzlichen Grundlagen zur Verurteilung von Tätern wegen WCSA in verschiedenen Ländern. Die Bundespolizei der Schweiz verwies 2018 in einem Interview auf 2 bis 3 Dutzend Meldungen wegen WCSA jährlich als „Spitze des Eisbergs“ (Minor 2018). Gerichtliche Verurteilungen erfolgten in verschiedenen europäischen Ländern, u. a. in Dänemark (DPA 2017), Deutschland (DPA 2019), Frankreich (Tscherrig 2020) und der Schweiz (Feusi 2019; Minor 2018). Für die juristische Komplexität von WCSA spricht, dass trotz vergleichbarer Tathandlungen unterschiedliche Tatbestände geltend gemacht wurden, wie Anstiftung zur Schändung, Komplizenschaft bei sexuellen Übergriffen auf Minderjährigen (im Sinne einer Mittäterschaft) oder sexueller Kindesmissbrauch.

Kasuistik

Auf das Thema WCSA wurden die Autoren aufmerksam, da in der hiesigen Gutachtenstelle zwei Fälle zu bearbeiten waren. Infolge der zunehmenden strafrechtlichen Verfolgung von WCSA in den letzten Jahren dürfte die forensische Psychiatrie zukünftig vermehrt mit Gutachtenaufträgen zu klinischer und prognostischer Einordnung und zur Behandlung solcher Täter konfrontiert werden. Daher lohnt ein Blick auf typische Facetten und Problemstellungen. Im Folgenden werden aus didaktischen Gründen übereinstimmende Merkmale dieser Fälle im Rahmen einer idealtypischen Fallvignette zusammengefasst, um forensisch-psychiatrisch relevante Aspekte illustrieren zu können.

Kasuistik

Herr A. wuchs in intakten und behütenden familiären Verhältnissen auf. Bereits in der Kindheit zeigte er eine Tendenz, auf Belastungen mit depressiven Symptomen und sozialem Rückzug zu reagieren. Ansonsten ergaben sich keine Auffälligkeiten in der schulischen und beruflichen Laufbahn oder im Verhalten und keine Vorstrafen. Zur Sexualanamnese wurde der Beginn sexualisierter Chat-Kommunikation mit Masturbation im Jugendalter berichtet, wobei sich im Rahmen von Chat-Konversationen mit Mädchen im Alter bis zu 12 Jahren erstmalig eine pädosexuelle Ansprechbarkeit manifestierte. Ansonsten habe er legale Pornografie konsumiert. Im frühen Erwachsenalter akzentuierte sich dieses Konsummuster im Rahmen einer depressiven Entwicklung mit sozialer Isolation: Herr A. verbrachte täglich mehrere Stunden in Chatrooms und konsumierte im Rahmen des exzessiven Internet- und Pornografiekonsums zunehmend härtere und schließlich auch illegale Pornografie. In einem nächsten Schritt konsumierte er kostenpflichtige gewalttätige und kinderpornografische Livestreams, wobei er die Kontaktpersonen anwies, sexuelle Handlungen an Minderjährigen oder gewalttätige Handlungen an erwachsenen Frauen zu vollziehen. In diesem Zeitraum masturbierte er mehrmals täglich.

Durch psychosoziale Unterstützung gelang es Herrn A. schließlich, eine Tagesstruktur aufzubauen und der sozialen Isolation zu entkommen, womit auch der Konsum illegaler Pornografie rückläufig war. Herr A. begann, sexuelle Beziehungen zu erwachsenen Frauen aufzunehmen, wobei er eine unbefriedigende Sexualität mit sexuellen Funktionsstörungen beschrieb. Er sistierte den Chat-Kontakt mit Minderjährigen, während er weiter vereinzelt im Internet nach Kinderpornografie suchte. Im Rahmen einer weiteren depressiven Episode akzentuierte sich der Konsum von Kinderpornografie erneut. Kinderpornografische Livestreams konsumierte er in diesem Zeitraum nicht. Herr A. wurde mehrere Jahre nach dem WCSA durch ausländische Strafverfolgungsbehörden über die Zahlungsmodalitäten identifiziert. Anhand der sichergestellten Chats konnte auf die Tathandlungen zurückgeschlossen werden. Videoaufnahmen lagen nicht vor. Bei den polizeilichen Einvernahmen und der strafrechtlichen Begutachtung gab er an, dass es offensichtlich gewesen sei, dass die Ausübung von Gewalt inszeniert und keine Kinder, sondern junge Frauen beteiligt gewesen seien. Das habe ihn auch nicht gestört, er habe das Ganze als eine Art Schauspiel erlebt.

Deliktbegünstigende Faktoren

Hinsichtlich eines übergeordneten Fallverständnisses ist darauf hinzuweisen, dass die der Kasuistik zugrunde liegenden Fälle einen introvertierten, selbstunsicheren und ängstlich-vermeidenden Persönlichkeitsstil präsentierten. Seit der Kindheit bestehende Scheu und soziale Unsicherheit hatten sich ab dem Jugendalter im Rahmen der Kontaktaufnahmen mit gleichaltrigen Mädchen/Frauen akzentuiert. Ebenfalls seit dem Kindes- oder Jugendalter ließ sich eine Tendenz zur depressiven Reaktion bei belastenden Ereignissen eruieren, wobei ab dem frühen Jugendalter zunehmend sexuelle Coping-Strategien im Sinne von Pornografiekonsum und Masturbation bedeutsam wurden, was durch Eigenschaften des Internets – wie einfache Zugänglichkeit und Anonymität – begünstigt wurde (Hill 2011). In diesem Altersbereich manifestierten sich erstmalig paraphile Interessen.

Im weiteren Verlauf ließ sich eine Dynamik nachvollziehen, die einem Teufelskreis gleicht: Die intensive Beschäftigung mit virtuellen sexuellen Inhalten verstärkte die soziale Isolation, worunter die Depressivität stagnierte oder sich verschlechterte. Im Zuge eines expansiveren Konsums wurden immer „extremere“ pornografische Inhalte gesucht, was zum Konsum von gewalt- und kinderpornografischen Inhalten und schließlich zu kinderpornografischen Livestreams führte. In diesem Zusammenhang lässt sich eine „süchtige“ Entwicklung beschreiben, die zu graduell unterschiedlichen Funktionseinbußen (beispielsweise Vernachlässigung sozialer Kontakte, Isolation), Toleranzentwicklung (im Sinne eines Bedürfnis nach immer extremerer Pornografie) und zur Verwendung hoher zeitlicher und finanzieller Ressourcen für den Pornografiekonsum führte. Damit legt das strafrechtlich relevante Verhalten ein dynamisches Geschehen nahe, das durch mehrere Faktoren befördert wird: Neben sexuellen Präferenzstörungen/paraphilen Störungen und hypersexueller bzw. „sexsüchtiger“ Symptomatik (s. unten) geht es auch um depressive Symptomenbilder, dysfunktionale Coping-Strategien im Umgang mit negativen Gefühlen, selbstunsicher-gehemmte Persönlichkeitsmerkmale und Eigenschaften des Internets.

Strafrechtliche Begutachtung

Diagnostische Beurteilung

In Bezug auf die gutachterliche Beurteilung geht es zunächst um die diagnostische Einordnung und um den Zusammenhang zwischen Diagnose und dem inkriminierten Verhalten: Dabei sind insbesondere Gewohnheiten des Konsums sexuell stimulierenden Materials (Zeitpunkte, Dauer, Vorgehen), Umfang, Art und Inhalte dieses Materials (Bilder, Filme, Chats, Webcam-Kommunikation, präferierte Handlungen, Opfercharakteristika), sexuelle Fantasien und Masturbation sowie Angaben zu früheren sexuellen Beziehungen (Beziehungsgestaltung mit erwachsenen Frauen, sexuelle Praktiken, sexuelle Funktionsstörungen) und anderen sexuellen Kontakten (z. B. mit Prostituierten) zu explorieren.

Wie im Rahmen der strafrechtlichen Begutachtung anderer Sexualdelinquenten liegen auch im Rahmen der Befragung von WCSA-Tätern, insbesondere bezüglich pädosexueller oder sexuell sadistischer Neigungen, dissimulierende oder bagatellisierende Aussagetendenzen nahe. Im Vergleich zu anderen Tatbeständen, bei denen Aussagen von Opfern oder Zeugen oder Bildmaterial vorliegen, ergibt sich bei WCSA-Tatvorwürfen die Herausforderung, das visuelle oder auditive Inhalte in der Regel nicht verfügbar und die Identität von Opfer und Vermittler häufig unbekannt sind. Die oft unzureichende Informationslage erschwert den Abgleich der Aussagen des Beschuldigten mit den von den Strafverfolgern postulierten Ereignissen. In der Regel basieren die Tatvorwürfe überwiegend auf wiederhergestellten Chat-Exzerpten der Kommunikation zwischen dem Beschuldigten und den Vermittlern der Opfer. Diese Chats können jedoch hilfreich sein, denn sie spiegeln die Kontaktaufnahme, die Verhandlungen betreffs z. B. Aussehen und Alter der Opfer sowie Reaktionsweisen/Anweisungen während der sexuellen Handlungen wider und ermöglichen Rückschlüsse auf die Interessen der Täter.

Daher ist es sinnvoll, anhand der Chat-Exzerpte mögliche Tatvarianten darzustellen. Dazu bedarf es einer sorgfältigen Analyse der Chat-Protokolle, wobei die teils schwer verständliche Kommunikation in gebrochenem Englisch weitere Erschwernisse mit sich bringt. Es empfiehlt sich, zur Nachvollziehbarkeit, für diagnostische Schlussfolgerungen und für Aussagen zum möglichen Tatablauf relevante Chat-Ausschnitte in der Aktenlage zu zitieren. Ein besonderes Augenmerk ist dabei auf diagnostisch relevante Informationen bezüglich sexuell devianter Interessen (beispielsweise vom Täter gewünschter Alters-Range und Geschlecht der Opfer; gewünschte sexuelle Handlungen, sexuelle Fantasien) zu legen, wie sie in der folgenden Chat-Sequenz beispielhaft dargestellt sind.

Täter: do you know people who sell movies?

Anbieter: what kind?

Täter: special kind

Anbieter: young?

Täter: yah

Anbieter: yes! but you have to buy it of course. But not 3 years old, 7 to 10 years old.

Täter: how hardcore is it? Only Philippine girls?

Anbieter: not only Philippines, it has American girls also. Young girls get fucked, and licked

Täter: anal? Deep throat?

Die nachfolgende Chatsequenz verdeutlicht zudem, dass der Täter explizit auf der Suche nach Minderjährigen war und eine sexuelle Kontaktgestaltung mit jungen Frauen keine befriedigende Alternative darstellte.

Anbieter: I have a friend … I think she wants to come with me

Täter: how old is she?

Anbieter: 20

Täter: oh that’s kind of old. What’s the youngest girl you know, who would do that?

Anbieter: 19–20. How old you want?

Täter: YOUNGGGG!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!

Weiter ist auf Anhaltspunkte für erhöhte sexuelle Dranghaftigkeit (Chat- und Videodauer; Chatzeitpunkte; Verhandlungsgeschick) zu achten. Die folgenden Chat-Sequenzen verweisen beispielsweise darauf, dass der Täter versucht, mittels höherer Geldbeträge sexuelle Handlungen zu erwerben, die nicht angeboten bzw. explizit abgelehnt wurden. Weiter reagiert er im Rahmen einer möglichen Absage durch den Anbieter ungehalten und lässt trotz Konfrontation mit der strafrechtlichen Relevanz der Handlungen nicht von seinen Forderungen ab.

Täter: OK I will send 30 more

Anbieter: can u make it 50 for 40 mins?

Täter: only if she gets fucked

Anbieter: no fuck, just lick, suck and touch, she only 3 years old remember.

Täter: What’s the problem?

Anbieter: The mother of the young girl is getting mad. She said she wouldn’t accept $ 120 to show her young girl.

Täter: well she has to. I paid for it and 120 is a lot of money for me. I would pay another 50 if the show was 50 minutes long or she would get fucked but not for only 30 minutes

Täter: why is there only one girl anyway? Aren’t there others?

Anbieter: No, it is not allowed or else I will get arrested by the police. It’s child abuse.

Auch die Reaktionsweisen des Anbieters oder Opfers können Aufschluss darüber geben, in welchem Ausmaß der Beschuldigte Grenzüberschreitungen verlangte oder wie er mit Ablehnung der gewünschten Handlungen umging.

Täter: if you pee on her body and face I pay 50 $ more

Anbieter: it smells. Not good. Lol.

Täter: sit close on her face and do it

Täter: fingering please

Anbieter: she asks to stop. It hurts.

Täter: Maybe we can finger her ass easier

Da neben WCSA-Vorwürfen häufig Anklagen bezüglich Konsum/Verbreitung von Kinderpornografie vorliegen, sind auch diese Dateien zu berücksichtigen und – falls nicht vorliegend – anzufordern. Denn Forschungen verweisen auf einen Zusammenhang zwischen präferiertem pornografischem Material und paraphilen Interessen (Opfercharakteristika, sexuelle Handlungen, illegale Pornografie), wobei oft die Interessen wenig ausschließlich sind bzw. parallel auch unauffällige, erwachsene sexuelle Beziehungen oder anderweitige sexuellen Interessen nachvollzogen werden können, was diagnostische Einordnungen verunmöglichen oder erschweren kann (Quayle 2020). Ein großer Umfang von pornografischen Dateien mit Anhaltspunkten für das Vorliegen unterschiedlicher Präferenzen kann zudem als Hinweis für eine suchtartige oder zwangsartige Symptomatik (Fuss et al. 2019) gelten.

In diesem Zusammenhang ist dem Konzept der hypersexuellen Störung nach Kafka (2010) bzw. einer „Sexsucht“ Bedeutung beizumessen (Briken und Basdekis-Jozsa 2010). Zu eruieren ist, in welchem Ausmaß die sexuellen Handlungen als Coping-Strategien bei negativen Gefühlszuständen dienten, ob sich Anhaltspunkte für einen suchtartigen Konsum ergeben und ob persönlicher Leidensdruck oder deutliche Funktionseinbußen im Tatzeitraum nachvollziehbar sind (Rettenberger et al. 2013). Eine solche hypersexuelle Symptomatik kann mithilfe der gängigen Klassifikationen nach DSM 5 (APA 2013) oder ICD-10 (World Health Organization 2004) bislang diagnostisch nur ungenügend in Restkategorien (z. B. nicht näher bezeichnete paraphile Störung in DSM 5) oder unter nichtoperationalisierten Störungsbegriffen (gesteigertes sexuelles Verlangen, F52.7 in ICD-10) erfasst werden. Trotzdem kann das Konzept der hypersexuellen Störung im Rahmen der Erläuterungen zu Störungskonzept und Delinquenzhypothese einbezogen werden und die Problematik veranschaulichen.

Die ICD-11 wird das mit der Hypersexualität verwandte Störungskonzept der „compulsive sexual behaviour disorder“ beinhalten (Kraus et al. 2018; World Health Organization 2020). Dieses Störungsbild ist zwar den Impulskontrollstörungen zugeordnet, umfasst aber im wesentlichen Merkmale, die dem Suchtkonzept bzw. schädlichen Substanzgebrauch entsprechen (wie Kontrollverlust; starke Fokussierung auf sexuelle Aktivitäten mit Vernachlässigung von Gesundheit, Selbstfürsorge und anderen Interessen und Aufgaben; zahlreiche erfolglose Bemühungen zur Reduktion dieses Sexualverhaltens; Fortsetzung trotz nachteiliger Konsequenzen oder trotz mangelnder Befriedigung). Laut ICD-11 gilt eine paraphile Störung als Ausschlusskriterium für diese Diagnose. Sie kommt nur in Betracht, wenn eine paraphile Störung (gemäß ICD-11 oder DSM-5) nicht diagnostiziert werden kann, z. B. wenn sich die sexuellen Handlungen und Fantasien auf minderjährige Jugendliche, aber nicht prä- bzw. frühpubertierende Kinder beziehen und somit keine pädophile Störung vorliegt. Diese Operationalisierung von hypersexuellem bzw. sexuell süchtigem Verhalten ist als wichtiger Fortschritt auch in der forensisch-psychiatrischen Diagnostik zu werten.

Diagnostisch bedeutsam sind weiterhin Persönlichkeitsfacetten, die übergeordnet dem ängstlich-vermeidenden Cluster C (vermeidende, dependente, zwanghafte und passiv-aggressive Persönlichkeitsstörung) nach DSM‑5 (APA 2013) zugeordnet werden können. Interaktionell dominierten in der hiesigen Klientel introvertierte und vermeidende Züge mit Selbstzweifeln und sozialen Ängsten. Weiter war eine Tendenz zur depressiven Reaktion im Zusammenhang mit Belastungssituationen nachvollziehbar, wobei der klinische Ausprägungsgrad und die damit verbundenen Leistungseinbußen stark variierten. Dagegen waren impulsive, aggressive oder antisoziale Verhaltenstendenzen kaum eruierbar. Es imponierte vielmehr ein ungenügender Ausdruck von Wut und Ärger.

In der Literatur werden ängstlich-vermeidende Persönlichkeitszüge primär für Kindesmissbrauchstäter beschrieben (Eher et al. 2020). Diese Persönlichkeitszüge liegen vorwiegend bei Hands-off-Sexualstraftätern vor, während Hands-on-Sexualstraftäter höhere Werte für Aggression, Dominanz und Antisozialität aufweisen (Übersicht bei Gottfried et al. 2020). Hands-off-Täter leiden im Vergleich zu einer unauffälligen Kontrollgruppe zudem häufiger unter Beziehungsproblemen, Stress und Depression.

Besonders der Zusammenhang zwischen dem Vorliegen einer Depression und der Begehung von Sexualstraftaten scheint vor dem Hintergrund, dass Libidoverlust ein diagnostisches Kriterium nach ICD-10 (World Health Organization 2004) für das Vorliegen einer Depression ist, erklärungsbedürftig. Hier ist auf das Konzept der „male depression“ hinzuweisen, wonach sich eine depressive Verstimmung, vorzugsweise bei Männern, aber auch bei Frauen, nicht immer durch internalisierende Symptome (Traurigkeit, Gefühl der Wertlosigkeit, Anhedonie), sondern auch durch externalisierende Symptome (Substanzmissbrauch, Risikoverhalten, geringe Impulskontrolle und Wut- und Ärgeraffekte) auszeichnen kann (Oliffe et al. 2016; Steinau et al. 2020). Dies beinhaltet auch das Auftreten von dranghaftem Sexualverhalten. Schultz et al. (2014) verweisen auf einen geschlechtsunspezifischen moderat positiven Zusammenhang zwischen hypersexuellem Verhalten und depressiven Symptomen, was frühere Erklärungsmodelle, wonach sexuelle Aktivität als Coping-Strategie im Umgang mit dysphorischen Gefühlszuständen genutzt wird, empirisch untermauert. Alternative Beweggründe für hypersexuelles Verhalten im Rahmen von depressiven Gefühlszuständen können zudem ein Wunsch nach persönlichem Kontakt und Selbstvalidierung, Ablenkung, positive Verstärkung im Rahmen einer Konditionierung oder restriktive Einstellungen gegenüber Sexualität sein, die in einen Teufelskreis von Schuld und hypersexuellem Verhalten münden. Problematisch ist bei dieser Form der Emotionsregulation, dass sich kurzzeitig zwar eine psychische Entlastung einstellt, langfristig negative Gefühlszustände zurückkehren und je nach Konsequenz der sexuellen Verhaltensweisen verstärkt auftreten können (beispielsweise Auftreten von Schuld- und Schamgefühlen).

Auch im Kontext dieser diagnostischen Ausführungen ist davor zu warnen, eine im Deliktzeitraum bestehende Störung per se einem der Eingangsmerkmale der Schuldfähigkeitsparagrafen zuzuordnen. Diesbezüglich ist stets eine Schweregradbeurteilung vorzunehmen, wobei hinsichtlich Persönlichkeitsstörungen und sexueller Normabweichungen u. a. auf die Mindestanforderungen für die Schuldfähigkeitsbegutachtung (Boetticher et al. 2005) zurückgegriffen werden kann. Betreffs Paraphilien schlugen Briken und Müller (2014) zugunsten einer verbesserten Validität und Reliabilität vor, zusätzlich verschiedene Merkmale des Stable-2007 (Matthes et al., 2012) („abweichende sexuelle Interessen“; „sexuelle Überbeschäftigung/Dranghaftigkeit“; „Bindungs- und Beziehungsdefizite“) sowie des Acute-2007 (Matthes und Rettenberger 2008) („paraphile sexuelle Dranghaftigkeit“; „emotionaler Zusammenbruch“; „Zusammenbruch sozialer Unterstützung“) zu berücksichtigen. Die Beurteilerübereinstimmung für diese Merkmale scheint etwas höher zu sein als für die Kriterien der oben genannten Mindestanforderungen (Dobbrunz et al. 2020).

Einsichts- bzw. Steuerungsfähigkeit

Im Regelfall dürften sich bei Tatvorwürfen wegen WCSA keine Einschränkungen der Einsichtsfähigkeit ergeben. Oftmals verweisen die Chat-Auszüge sogar auf eine intakte Einsichtsfähigkeit, wenn beispielsweise durch den Täter Anweisungen erfolgen, die Chat-Konversationen nachträglich zu löschen, oder wenn Anbieter oder Opfer explizit darauf aufmerksam machen, dass die Tathandlungen strafbar sind. Komplexer stellt sich die Beurteilung der Steuerungsfähigkeit dar. Obwohl es sich bei WCSA um ein komplexes, mehrschrittiges, geplantes und über einen oftmals längeren Zeitraum nachvollziehbares Tatverhalten handelt und damit Einbußen der Steuerungsfähigkeit auf den ersten Blick unwahrscheinlich anmuten, gilt es, die den Taten vorausgehende Entwicklung sowie konstellierende Einflüsse zu den Tatzeitpunkten zu berücksichtigen.

Übergeordnet geht es bei der Beurteilung der Steuerungsfähigkeit letztlich darum, die Intensität der Paraphilie, die Integration in die Persönlichkeit und die bisherigen Fähigkeiten zur Kontrolle über die paraphilen Impulse einzuschätzen (Briken 2015). Neben der paraphilen Störung selbst sind deshalb konstellierende Faktoren, die Einfluss auf Hemmungsmechanismen gehabt haben könnten, wie Hypersexualität als Coping-Strategie, Komorbiditäten (insbesondere affektive Störungen und Persönlichkeitsstörungen) oder Substanzkonsum zu berücksichtigen. Zur Beurteilung einer suchtartigen Entwicklung können die Kriterien zur Compulsive sexual behaviour disorder (Kraus et al. 2018; World Health Organization 2020) oder Hypersexualität (Rettenberger et al. 2013) herangezogen werden. Rettenberger et al. (2012) verweisen darauf, dass eine gutachterliche Begründung von Beeinträchtigungen in der Steuerungsfähigkeit aufgrund einer Hypersexualität in der Regel das Vorliegen einer schweren Paraphilie mit suchtähnlicher oder progredienter Entwicklung erfordert. Zudem stellt sich die Frage, inwiefern es aufgrund der Integration der sexuell devianten Verhaltensweisen in die Persönlichkeit zu Einschränkungen in der Kontrolle von sexuellen Verhaltensweisen kam.

Für eine übergeordnete Beurteilung ist der Kriterienkatalog der Mindestanforderungen für die Schuldfähigkeitsbegutachtung nach Boetticher et al. (2005) zu berücksichtigten. Für das Vorliegen erheblicher Defizite sprechen demnach eine konflikthafte Zuspitzung und emotionale Labilisierung vor der Tat mit bereits länger anhaltender triebdynamischer Ausweglosigkeit, Tatdurchführung auch in sozial stark kontrollierten Situationen, impulshafter oder archaischer destruktiver Tatablauf (ritualisiert wirkend) sowie vorliegende konstellative Faktoren. Gegen eine erhebliche Verminderung der Steuerungskräfte sprechen Tatvorbereitungen und planmäßiges Vorgehen, die Fähigkeit zu warten, komplexer Tatablauf, Vorsorge gegen Entdeckung und die Möglichkeit, in vergleichbaren Situationen anders zu handeln.

Trotz Angaben der Beschuldigten, die für eine hohe Präsenz der sexuellen Fantasien (Masturbationsfrequenz, gedankliche Beschäftigung mit Sexualität; Auslösereize der Umgebung) sprechen, kann nicht zwangsläufig von einer hypersexuellen Entwicklung ausgegangen werden, wenn objektiv keine Anhaltspunkte für massive Einbußen des psychosozialen Funktionsniveaus oder eine sexuelle Dranghaftigkeit erkennbar sind. Wird Sexualität von den Beschuldigten als Coping-Strategie im Umgang mit normalpsychologisch erklärbaren Gefühlszuständen genutzt, werden in der Regel keine relevanten Einschränkungen der Steuerungsfähigkeit vorliegen. Anders stellt sich die Situation dar, wenn im Tatzeitraum eine affektive Störung mit starker Symptomausprägung vorliegt, die zu einer tiefgreifenden Veränderung der Persönlichkeit führte und deren negativen Auswirkungen in vielfältigen Lebensbereichen abbildbar sind (beispielsweise Verlust von Beziehungen, Leistungseinbußen). Im Rahmen dieser Konstellation kann der schwer beeinträchtigte Gesamtzustand im Zusammenspiel mit den kompensatorisch wirksamen, zunehmend dranghaft erlebten sexuellen Fantasien und Impulsen die Fähigkeit des Betroffenen beeinträchtigen, sein Tun entsprechend seiner erhaltenen Unrechtseinsicht auszurichten. Die inneren Freiheitsgrade bei der Entscheidung, die z. B. pädophilen sexuellen Interessen auszuleben, können durch den depressiven Rückzug und eine Verhaltenseinengung im Sinne eines dysfunktionalen Copings eingeschränkt sein. Nur für solche schweren Verläufe, deren Symptomatik sich aber auch abseits des Pornografiekonsums abbildet, kommt eine erheblich verminderte Steuerungsfähigkeit in Betracht.

Prognose

Deliktbezogene Rückfallraten

Hinsichtlich des speziellen Falls der Anstiftung zu sexuellen Missbrauchshandlungen im Rahmen von Livestreams bzw. WCSA liegen keine empirischen Daten zu Rückfallquoten, insbesondere nicht hinsichtlich des Risikos künftiger Hands-on-Delikte vor. Entsprechend empfiehlt es sich im Sinne einer Annäherung, „verwandte“ Tätergruppen zu betrachten. Eine neuere Studie mit verurteilten Kinderpornografiekonsumenten von Seto und Eke (2015) verweist für einen Follow-up-Zeitraum von 5 Jahren auf Rückfallraten von 39 % für allgemeine Straftaten und 16 % für irgendeine Sexualstraftat (davon 4 % Hands-on-Delikt und 12 % erneuter Konsum von Kinderpornografie). Diese Rückfallraten sind jedoch für den Vergleich mit WCSA-Tätern ungeeignet, wurden in der Studienpopulationen auch „mixed“ (gemischte) Kindesmissbrauchstäter inkludiert, also Täter, die sowohl Hands-off- als auch Hands-on-Sexualdelikte an Kindern begangen haben. Die Studie verweist jedoch auf Risikofaktoren, wie junges Alter, früherer Kontakt mit Strafverfolgung, Missachtung von Auflagen, sexuelles Interesse an Kindern und höherer Anteil von kinderpornografischem Material mit Jungen als mit Mädchen (Child Pornography Offender Risk Tool; CPORT). Eine darauf aufbauende Studie (Eke et al. 2019) beschreibt etwas tiefere Rückfallraten von 11,6 % für erneute Sexualstraftaten und 8,4 % für den erneuten Konsum von Kinderpornografie. Diese Studie differenzierte zudem zwischen reinen Hands-off-Straftätern und „Mixed“-Straftätern, wobei erstere Gruppe ein deutlich geringes Risiko für erneute Sexualstraftaten (8,2 % vs. 25,4 %) und Konsum von Kinderpornographe (6,1 % vs. 17,9 %) aufwies als die „Mixed“-Straftäter (auch Babchishin et al. 2018).

Prognoseinstrumente

Hinsichtlich der Verwendung von Prognoseinstrumenten ist darauf hinzuweisen, dass in Fällen von WCSA die Verwendung des STATIC-99 als zulässig befunden wird, während der STATIC-99 bei Anklagen oder Verurteilungen ausschließlich bezüglich des Konsums von Kinderpornografie nicht verwendet werden darf. WCSA ist gemäß den revidierten Kodierungsrichtlinien (Eher et al. 2020) nämlich als Sexualstraftat der Kategorie A einzuordnen, da es sich um eine „Förderung sexueller Handlungen Minderjähriger“ oder eine „pornografische Darstellung Minderjähriger mit identifizierbarem Opfer sowie Beteiligung des Täters handelt“ (S. 19 und 20; Eher et al. 2020). Durch zusätzliche Anwendung des Stable-2007 (Matthes et al. 2012) besteht zudem die Möglichkeit, dynamische Risikofaktoren und kriminogene Bedürfnisse zu erfassen, wobei die Kombination beider Instrumente Aussagen zur Dringlichkeit von Betreuung und Kontrolle ermöglicht.

Als weiteres Prognoseinstrument zur Beurteilung von Rückfälligkeit hinsichtlich Hands-on-Delikten sowie des Konsums von Kinderpornografie gilt das CPORT (Seto und Eke 2015). Dieses Prognoseinstrument umfasst 7 Items zum Alter des Täters, zur kriminellen Vorgeschichte, zu den sexuellen Interessen an Kindern sowie zur Art der konsumierten Kinderpornografie, welche jeweils als vorhanden oder abwesend beurteilt werden müssen. Die Autoren verweisen darauf, dass daraus resultierende Rückfallraten zu Vergleichszwecken hilfreich sein können, jedoch aufgrund der kleinen Entwicklungs- und Validierungsstichprobe mit Vorsicht zu verwenden sind (Babchishin et al. 2018; Eke et al. 2019).

Individuelle Risikobeurteilung

Zur Individualprognose kann auf die Ausführungen von Hanson und Bussière (1998) sowie Barbaree et al. (1996) verwiesen werden (Übersicht bei Nedopil und Müller 2012). Als wichtige Beurteilungsbereiche gelten (1) „krimineller Lebensstil“, wozu das Alter bei Delinquenzbeginn, polytrope Kriminalität, die persönliche Vorgeschichte (dissoziales Herkunftsmilieu, „Broken-home“-Situation), PCL-R-Wert sowie kriminogene Bedürfnisse und Einstellungen zählen. Die (2) „sexuelle Devianz“ umfasst das Ausmaß der (gewünschten) Gewaltanwendung, den Planungsgrad, die Progredienz von Sexualfantasien, negative Einstellungen gegenüber Opfern sowie Probleme in zwischenmenschlichen Beziehungen. Die (3) „psychosoziale Fehlanpassung“ beinhaltet klinische Faktoren, wie Substanzmissbrauch, das Vorliegen einer Persönlichkeitsstörung, das Fehlen von Coping-Strategien und Intelligenzmängel. Zuletzt ist (4) ein allenfalls vorliegender „negativer klinischer Eindruck“ zu erfassen, welcher (fehlende) Therapiemotivation, Verleugnungs- und Bagatellisierungstendenzen sowie Verhalten im Rahmen früherer Therapieversuche umfasst.

Die hinsichtlich der diagnostischen Ausführungen gemachten Angaben zu den Persönlichkeitsauffälligkeiten der begutachteten Täter sind auch für die Kriminalprognose relevant. Menschen mit Cluster-C-Persönlichkeitsfacetten tendieren dazu, auf Konflikte mit Selbstzweifeln zu reagieren, und verfügen über limitierte Beziehungskompetenzen. Aufgrund der hohen Selbstkontrolle und des oftmals vorliegenden Wunsches nach einer empathisch wechselseitigen Beziehung (Hörburger und Habermeyer 2020) dürfte die Schwelle für Hands-on-Delikte hoch sein. Dagegen bietet WCSA für diese Täter eine letztlich maßgeschneiderte Möglichkeit, die paraphilen Interessen anonym und im „geschützten Raum“ des Internets nach eigenen Vorstellungen auszuleben, was das Rückfallrisiko für erneute Internetsexualdelikte erhöht. Für ein erhöhtes einschlägiges Rückfallrisiko spricht auch, dass bei Hands-off-Sexualstraftätern im Vergleich zu Hands-on-Sexualstraftätern höhere Werte für die gedankliche Beschäftigung mit bzw. das Vorhandensein missbräuchlicher pädophiler Interessen festgestellt werden konnten (Gottfried et al. 2020).

Behandlung

Spezifische Therapieansätze für WCSA liegen nicht vor. Gesamthaft stellt sich für den Bereich der Internetsexualstraftäter die Frage, ob diese Gruppe ebenfalls von etablierten Behandlungsrichtlinien für Hands-on-Sexualdelinquente profitieren könnte. Laut Ly et al. (2018) trifft die Vermutung, dass es sich bei Hands-off-Delinquenten um eine grundsätzlich distinkte Gruppe von Sexualstraftätern handelt, nicht in jedem Fall zu. Liegen überschneidende Behandlungsbedürfnisse vor, können auch Behandlungskonzepte, die ursprünglich für Hands-on-Delinquente konzipiert wurden, hilfreich sein. Babchishin et al. (2018) empfehlen jedoch, die Therapieintensität auf das Rückfallrisiko der jeweiligen Täter abzustimmen, denn eine zu hohe Therapieintensität bei Tätern mit tiefem Rückfallrisiko kann das Rückfallrisiko erhöhen.

Empirische Ergebnisse zu Behandlungstechniken für Personen, welche mit dem Konsum von Kinderpornografie straffällig wurden, sind ebenfalls begrenzt. Neben vereinzelten Evaluationen von psychotherapeutischen (kognitiv-behavioraler oder psychodynamischer Ansatz) und psychopharmakologischen (Androgensuppressionstherapie/GnRH-Agonisten, SRRI) Behandlungsmethoden verweist die Übersicht von Ly et al. (2018) auf verschiedene „Community-based“-Ansätze. Middleton et al. (2009) entwickelten spezifisch für Internetsexualstraftäter das Internet Sex Offender Treatment Programme (i-SOPT), welches verschiedene bereits etablierte Behandlungsstrategien (u. a. „Good-lives“-Modell nach Ward und Stewart 2003 und „model of problematic internet use“ von Quayle und Taylor 2003) kombiniert und emotionale Defizite, Impulsivität und interpersonelle/intimitätsbezogene Defizite adressiert. Im Rahmen der Evaluation mit 264 verurteilten Straftätern wurde eine signifikante Erhöhung von Selbstwert, Selbstwirksamkeit, Perspektivenübernahme und Durchsetzungsvermögen berichtet. In geringerer Ausprägung wurden Einsamkeit, Anspannung und Impulsivität beschrieben. Weitere, noch nicht evaluierte Verfahren sind das Sex Offender Treatment and Assessment Program (SOTAP; Burke et al. 2002) und SAFE (Price et al. 2015), wobei insbesondere auf kognitive Verzerrungen, Opferempathie und den Deliktkreis fokussiert wird.

Die Übersicht von Gottfried et al. (2020) legt nahe, dass in der Behandlung von Hands-off-Sexualstraftätern durchaus unterschiedliche Behandlungsfokusse als bei Hands-on-Tätern zu erwarten sind. So wird für Hands-off-Sexualstraftäter eine stärker ausgeprägte Beschäftigung mit Internet und Sexualität, ein höheres Ausmaß an pädophilen Interessen und ein stärkerer emotionaler Rückzug beschrieben. Dagegen sind kognitive Verzerrungen, Aggression, Antisozialität und emotionale Identifikation weniger stark ausgeprägt. Henshaw et al. (2017) und Babchishin et al. (2018) verweisen darauf, dass kognitive Verzerrungen bei Internetsexualstraftätern aufgrund ungeeigneter Messinstrumente vermutlich ungenügend erhoben werden können. So dürften sich die kognitiven Verzerrungen im Sinne einer Verharmlosung insbesondere auf den Delikttypus beziehen. Trotz dieser Datenlücke wird anhand der bisherigen Studienlage vermutet, dass Hands-off-Delinquente insgesamt weniger generalisierte deliktaufrechterhaltende Kognitionen aufweisen als Hands-on-Täter. Wegen der Bedeutung einer hypersexuellen Störung bzw. einer Compulsive sexual behaviour disorder für einen Teil dieser Tätergruppe sollten dafür entwickelte Behandlungsstrategien berücksichtigt werden (von Franqué et al. 2015), wenngleich auch diese bislang nur unzureichend evaluiert sind.

Unabhängig davon können WCSA-Delikte auf unterschiedlichen oder eine Kombination von Psychopathologien (beispielsweise Paraphilie, Hypersexualität, affektive Erkrankungen, Persönlichkeitsstörungen, Substanzmissbrauch etc.) gründen. Entsprechend ist im Rahmen eines Fallkonzepts herauszuarbeiten, welche einer Behandlung zugänglichen Faktoren das deliktische Verhalten begünstigt haben. Diese gilt es dann zu adressieren.