1 Einleitung

Die berufsbezogene Selbstwirksamkeit von Lehrkräften bezeichnet die Überzeugung, komplexe schulbezogene Anforderungssituationen aufgrund eigener Fähigkeiten erfolgreich bewältigen zu können (Schwarzer und Jerusalem 2002; Tschannen-Moran et al. 1998) und gilt als bedeutsame Facette motivationaler Orientierungen im Rahmen der Kompetenzstruktur von Lehrkräften (Baumert und Kunter 2013). Pädagogische Herausforderungen in der Unterrichtspraxis sind häufig nicht linear-routiniert lösbar (Krauskopf et al. 2020) und die berufsbezogene Selbstwirksamkeit daher äußerst relevant. Sie ist positiver Prädiktor für Unterrichtsqualität (Klassen und Tze 2014; Zee und Koomen 2016) und steht im Zusammenhang mit dem Erleben von Zufriedenheit und spezifischen Emotionen im Unterricht (Burić und Macuka 2018; Burić und Moè 2020; Klassen und Chiu 2010). Emotionen im Unterricht wiederum beeinflussen die Gestaltung gelingender pädagogischer Beziehungen und das Schüler*innenengagement (Hagenauer et al. 2015), was seinerseits Auswirkungen auf akademische Leistungen hat (Hattie 2023). Es ist daher relevant zu untersuchen, wie die Selbstwirksamkeitsentwicklung bei Lehramtsstudierenden unterstützt werden kann.

Bandura (1997) identifizierte stellvertretende Erfahrungen als eine Quelle der Entwicklung von Selbstwirksamkeit. Neben der Reflexion von Fallformulierungen, z. B. bei der kollegialen Fallberatung (Liebner et al. 2022), stellen Vignetten eine Möglichkeit dar, stellvertretende Erfahrungen in das Lehramtsstudium zu integrieren. Vignetten sind situierte und komplexitätsreduzierte Lerngelegenheiten, die angehende Lehrkräfte in der Entwicklung berufsbezogenem Handlungswissens unterstützen (Friesen et al. 2020). Der Einsatz von Vignetten hat sich bereits zur Erhöhung pädagogischen Wissens und der Entwicklung diagnostischer Kompetenzen bewährt (Kramer et al. 2017; Wedel et al. 2020). Zumeist wurden jedoch Videovignetten untersucht (Gold et al. 2017; Kumschick et al. 2017; Thiel et al. 2020; Schlosser und Paetsch 2023). Welche Effekte Textvignetten (TeVi) für die Selbstwirksamkeitsentwicklung zeigen, wurde bislang kaum systematisch geprüft (Gold et al. 2017; Schlosser und Paetsch 2023), obwohl sie gerade für Bachelorstudierende aufgrund tendenziell geringerer kognitiver Belastung als Einstieg in fallbezogene Lehr-Lernformate empfohlen werden (Gold et al. 2016; Kramer et al. 2020; Syring et al. 2016). In diesem Zusammenhang gibt es wenig Studien zu der Frage, welche Rolle Emotionen beim Lernen mit Vignetten für die Veränderung der Selbstwirksamkeit spielen (Schlosser und Paetsch 2023), wenngleich es erste empirische Belege für deren Relevanz gibt (Syring et al. 2016).

Vor diesem Hintergrund vergleicht die vorliegende Studie in einem quasi-experimentellen Prä-Post-Kontrollgruppendesign anhand zweier Teilstichproben den Einsatz von TeVi (vs. akademische Fachtexte als Treatment As Usual) im Hinblick auf die Entwicklung der Selbstwirksamkeit von Lehramtsstudierenden über ein Semester. Zudem wird die Bedeutung von Freude und Ärger für die Selbstwirksamkeitsentwicklung exploriert.

2 Theoretischer Hintergrund

2.1 Die Bedeutung stellvertretender Erfahrungen als Quelle von Selbstwirksamkeit

Selbstwirksamkeit entsteht nach Bandura (1997) durch kognitive Prozesse, welche die Wirksamkeit eigener Fähigkeiten in spezifischen Anforderungssituationen bewerten. Neuere Ansätze betrachten zudem, wie die Erfahrung von Selbstwirksamkeit verarbeitet und erlebt wird (Pekrun und Goetz 2023). Informationen zur Einschätzung der Wirksamkeit eigener Fähigkeiten basieren auf vier Quellen, die auch im Kontext berufsbezogener Selbstwirksamkeit von Lehrkräften diskutiert werden (Bach 2022; Tschannen-Moran et al. 1998): Neben eigenen Bewältigungserfahrungen und verbalen Rückmeldungen können stellvertretende Erfahrungen und emotionale Erlebenszustände die Selbstwirksamkeitsentwicklung formen (Bandura 1997). Stellvertretende Erfahrungen zielen auf die Beobachtung von Verhaltensmodellen und deren Fähigkeiten in spezifischen Anforderungssituationen ab. Selbstwirksamkeit entwickelt sich durch die Einschätzung der Wirksamkeit des situationsspezifischen Modellhandelns im Verhältnis zu den wahrgenommenen eigenen Fähigkeiten. Als Modelle dienen sowohl Personen als auch symbolische Modelle. Daher ist es theoretisch möglich, dass die Selbstwirksamkeitsentwicklung von Studierenden nicht nur durch Beobachtungen in Praxisphasen, sondern auch durch die Analyse von TeVi beeinflusst wird. Für die kognitive Verarbeitung selbstwirksamkeitsrelevanter Informationen aus stellvertretenden Erfahrungen beschreibt Bandura (1997) mehrere relevante Einflussfaktoren. Neben Leistungs- und Eigenschaftsähnlichkeit mit dem Modell sowie deren Kompetenz und Diversität verweist er auf die bedeutsame Unterscheidung von Erfolgs- und Bewältigungsmodellen, welche die zentrale Grundlage der vorliegenden Arbeit darstellt (siehe auch Bach 2022). Erfolgsmodelle (masterly models, maMo) und Bewältigungsmodelle (coping models, coMo) unterscheiden sich in der Art und Weise des Umgangs mit beruflichen Anforderungssituationen: maMo repräsentieren versierte und fehlerfreie Verhaltensmodelle, während coMo erst unter Anstrengung Schwierigkeiten überwinden müssen, bevor eine Situation bewältigt wird. Besonders die Beobachtung von coMo gilt als effektiv, da „das Aufzeigen von Erfolg, der durch ausdauerndes Bemühen erzielt wurde, die negative Wirkung von Rückschlägen oder Misserfolg verringern kann“ (Bandura 1997, S. 99). Daher neigen Personen, die ihre eigenen Fähigkeiten als weniger wirksam einschätzen, dazu, coMo als ähnlicher zur eigenen Person wahrzunehmen.

Eine wachsende Anzahl an Studien zur Selbstwirksamkeitsentwicklung von Lehramtsstudierenden konzentrieren sich auf Schulpraktika und zeichnen sowohl positive (Klassen und Durksen 2014; Weber und Greiner 2019) als auch negative Verläufe nach (Garvis et al. 2012; Pfitzner-Eden 2016). Bisherige empirische Befunde stützen die Annahmen von Bandura (1997) bezüglich der beschriebenen Quellen der Selbstwirksamkeitsentwicklung (Bach 2022; Pfitzner-Eden 2016). Es konnten zudem Präzisierungen vorgenommen werden. So identifizierten Schüle et al. (2017) in einer Längsschnittstudie mit 460 Studierenden einen u‑förmigen Entwicklungsverlauf im Lehramtsstudium. Die Selbstwirksamkeit nahm vom ersten zum zweiten Semester ab und stieg erst zum dritten Messzeitpunkt wieder an, und zwar nachdem die Studierenden eigene Bewältigungserfahrungen in der Durchführung eines eigenen Unterrichtsentwurfs gesammelt hatten. Die verschiedenen Entwicklungsverläufe lassen sich durch Unterschiede in den Bewertungen eigener Bewältigungserfahrungen erklären, wobei die Beobachtung erfolgreicher Verhaltensmodelle einen positiven Einfluss auf die Selbstwirksamkeitsentwicklung aufweist (Bach 2022; Pfitzner-Eden 2016). Inwiefern sich bei der Beobachtung von maMo und coMo die von Bandura (1997) postulierten differentielle Effekte zeigen, wurde im Kontext von Schulpraktika bislang nicht untersucht.

Da im Studium die Möglichkeiten zur Durchführung von Schulpraktika begrenzt sind, werden vermehrt prototypische Vignetten als symbolische Modelle stellvertretender Erfahrungen entwickelt. Ein besonderer Fokus liegt dabei auf Videos (Kumschick et al. 2017; Schlosser und Paetsch 2023). Sowohl die Analyse eigener und fremder Videos (Gold et al. 2017), als auch inszenierter Videos (Knigge et al. 2019) mit funktionalen und dysfunktionalen Szenen zur Klassenführung (Thiel et al. 2020) stehen im Zusammenhang mit einer Zunahme der Selbstwirksamkeit. Eine explizite Unterscheidung zwischen maMo und coMo wird in den Studien nicht getroffen. Für TeVi ist der Forschungsstand weitaus geringer und weniger eindeutig. Eine Interventionsstudie mit 159 Teilnehmenden zeigte, dass die Selbstwirksamkeit bei Studierenden, die Videos mit strukturierter Beobachtungsaufgabe analysierten, stärker zunahm als bei einer Gruppe, die TeVi mit einer offenen Beobachtungsaufgabe analysierte (Schlosser und Paetsch 2023). Es wurde jedoch kein Unterschied in der Selbstwirksamkeitsentwicklung zwischen der Analyse von Text- und Videovignetten mit offenen Beobachtungsaufgaben festgestellt. In einer weiteren Interventionsstudie mit 223 Lehramtsstudierenden fanden Gold et al. (2017) keinen signifikanten Unterschied in der Zunahme der Selbstwirksamkeit über Klassenführung zwischen Studierenden, die mit TeVi arbeiteten und einer Kontrollgruppe. Einschränkend ist zu benennen, dass die verwendeten TeVi bei Gold et al. (2017) ausschließlich maMo bereitstellten. Es ist bisher keine Studie zu TeVi bekannt, die die Bedeutung von coMo für die Selbstwirksamkeitsentwicklung systematisch untersucht. Zuletzt vernachlässigt die Forschung derzeit den Vergleich mit der Verwendung akademischer Texte, die im Studienalltag Standard sind. Um die Bedeutung stellvertretender Erfahrungen für Professionalisierungszwecke besser zu verstehen, sollten daher einheitliche Medienformate verglichen werden (Text mit Text).

2.2 Die Bedeutung von Emotionen als Quelle von Selbstwirksamkeit

Neben der kognitiven Informationsverarbeitung stellvertretender Erfahrungen benennt Bandura (1997) emotionale Zustände als Selbstwirksamkeitsquelle. Dabei ist von einem engen Zusammenhang zwischen Informationsverarbeitung und begleitenden Emotionen im Sinne emotionskongruenter Selbstwirksamkeit auszugehen (Kavanagh und Bower 1985). Gemäß der Kontroll-Wert-Theorie (Pekrun und Goetz 2023) beeinflusst auch das Erleben von Selbstwirksamkeit die Interpretation situativer Ereignisse, was wiederum eigene Emotionen hervorrufen kann. Emotionen besitzen eine kognitive, affektive, expressive, motivationale und physiologische Komponente (Frenzel et al. 2015). Sie können entweder diskret (z. B. Ekman 1992) oder dimensional (z. B. Russell 1980) definiert werden. Diskrete Ansätze fokussieren voneinander abgrenzbare Emotionen, z. B. Freude und Ärger. Dimensionale Ansätze beschreiben emotionales Erleben dagegen primär anhand der Dimensionen Valenz (angenehm vs. unangenehm) und Aktivierung (aktivierend vs. deaktivierend). In der Forschung zu Lehrkräfteemotionen gibt es sowohl Ansätze mit diskreter (Bach und Hagenauer 2022; Burić et al. 2020; Wagner et al. 2023a) als auch mit dimensionaler Betrachtung (Bach und Hagenauer 2021; Burić und Macuka 2018). Diese Studie fokussiert diskrete Emotionen, um die Entstehung und Bedeutung von Emotionen als selbstwirksamkeitsrelevante Information zu verstehen.

Lehrkräfteemotionen entstehen in schulischen Interaktionskontexten infolge kognitiver Bewertungen (Appraisals) von Situationen (Frenzel et al. 2021). Gemäß dem Modell der Lehrkräfteemotionen (Frenzel 2014) beziehen sich die Appraisals u. a. auf die Einschätzungen zum Bewältigungspotential herausfordernder Situationen. Daher empfinden Lehrkräfte im Unterricht angenehme Emotionen wie Freude, während in Situationen mit gering eingeschätztem Bewältigungspotential unangenehme Emotionen wie Ärger auftreten (Frenzel und Goetz 2007; Sutton und Wheatley 2003). Studien zeigen, dass diese Emotionen in Verbindung mit der Selbstwirksamkeit von Lehrkräften stehen (Burić und Macuka 2018; Burić et al. 2020; Burić und Moè 2020). Freude steht in einem positiven und Ärger in einem negativen Zusammenhang (Burić et al. 2020). Für Lehramtsstudierende wurde ebenfalls gezeigt, dass die während Schulpraktika erlebten Emotionen mit der Selbstwirksamkeitsentwicklung in Verbindung stehen (Bach 2022; Pfitzner-Eden 2016). Negative Emotionen (wie Ärger) vermitteln eine Abnahme und positive Emotionen (wie Freude) eine Zunahme der Selbstwirksamkeit (Bach und Hagenauer 2021, 2022).

Weitaus weniger ist über die Bedeutung von Emotionen in Bezug auf Vignetten als stellvertretende Erfahrungen bekannt. Es gibt Hinweise, dass Vignetten emotionale Reaktionen hervorrufen (Schlosser und Paetsch 2023; Syring et al. 2016) und das Erleben verschiedener diskreter Emotionen begünstigen (Wagner et al. 2023a). Der Zusammenhang zwischen den in der Arbeit mit Vignetten begleitend erlebten Emotionen und der Selbstwirksamkeitsentwicklung ist jedoch unklar. Eine Studie mit Video- und TeVi ergab keine signifikanten Effekte des positiven oder negativen Emotionserlebens auf die Veränderung der Selbstwirksamkeit (Schlosser und Paetsch 2023). Einschränkend ist jedoch anzumerken, dass die Emotionen dimensional und nicht diskret erfasst wurden, daher sind weitere empirische Untersuchungen erforderlich.

2.3 Die vorliegende Studie

Zusammenfassend wird deutlich, dass kaum empirische Forschung zur Bedeutung von TeVi für die Selbstwirksamkeitsentwicklung vorliegt (Gold et al. 2017; Schlosser und Paetsch 2023). Zudem ist wenig über das Zusammenspiel von Emotionen und Selbstwirksamkeitsentwicklung im Kontext stellvertretender Erfahrungen bekannt (Schlosser und Paetsch 2023). Die vorliegende Studie begegnet diesen Forschungslücken und untersucht den Einfluss von TeVi im Vergleich zu Fachtexten auf die Selbstwirksamkeitsentwicklung, unter Beachtung des emotionalen Erlebens. Es wurde eine Intervention mit Lehramtsstudierenden über zwei Seminarsitzungen in einem Prä-Post-Kontrollgruppendesign durchgeführt. Die Studierenden der Gruppe Vignette (IG) analysierten eine maMo-Tevi und eine coMo-TeVi. Da Bandura (1997) im Hinblick auf maMo und coMo verschiedene Mechanismen der stellvertretenden Erfahrung beschreibt, wurden die TeVi zur systematischen Prüfung voneinander unabhängig in den Sitzungen genutzt. Die Studierenden der Gruppe Fachtext (KG) analysierten zwei inhaltlich kongruente akademische Fachtexte als Treatment As Usual. Basierend auf den skizzierten theoretischen und empirischen Grundlagen werden in der vorliegenden Studie folgende Fragestellungen untersucht und Hypothesen geprüft:

Forschungsfrage 1:

Inwiefern führt eine vignettenbasierte Intervention zu einer Zunahme der Selbstwirksamkeit von Lehramtsstudierenden?

  • H1a: Es findet eine günstigere Selbstwirksamkeitsentwicklung in der IG statt, die mit einer maMo-TeVi arbeitet, im Vergleich zur KG, die mit Fachtexten arbeitet.

  • H1b: Es findet eine günstigere Selbstwirksamkeitsentwicklung in der IG statt, die mit coMo-TeVi arbeitet, im Vergleich zur KG, die mit Fachtexten arbeitet.

Forschungsfrage 2:

In welchem Zusammenhang stehen Freude und Selbstwirksamkeitsentwicklung?

  • H2a: Ein höheres Niveau an Freude nach dem Lesen (t1) steht mit einer positiven Selbstwirksamkeitsentwicklung im Zusammenhang.

  • H2b: Dieser Zusammenhang zeigt sich auch für Freude nach der Reflexion (t2), als selbstwirksamkeitsbegleitende Emotion, unter Kontrolle von Freude zu t1.

Forschungsfrage 3:

In welchem Zusammenhang stehen Ärger und Selbstwirksamkeitsentwicklung?

  • H3a: Ein höheres Niveau an Ärger nach dem Lesen (t1) steht mit einer negativen Selbstwirksamkeitsentwicklung im Zusammenhang.

  • H3b: Dieser Zusammenhang zeigt sich auch für Ärger nach der Reflexion (t2), als selbstwirksamkeitsbegleitende Emotion, unter Kontrolle von Ärger zu t1.

3 Methode

3.1 Design und Intervention

Die Datenerhebung der quasi-experimentellen Studie fand im Sommersemester 2022 statt und wurde mittels Papierfragebögen im Rahmen des Projekts PSI-Potsdam (Wagner et al. 2023b) an der Universität Potsdam durchgeführt. Nachdem die Teilnehmenden ihr informiertes Einverständnis gegeben hatten, erfolgte die Umsetzung im Begleitseminar zum Praktikum in pädagogisch-psychologischen Handlungsfeldern (PppH), das Teil des bildungswissenschaftlichen Moduls Grundlagen der Inklusionspädagogik ist (Krauskopf et al. 2022). Das Seminar wurde parallel mehrfach angeboten und von zwei Dozierenden begleitet, unter Verwendung eines einheitlichen Ablaufskripts und entsprechender Vortragsfolien. Es gab zwei Seminarvarianten: ein vignettenbasiertes und ein fachtextbasiertes Seminar. Die Studierenden meldeten sich im Vorfeld selbstständig für die Seminarkurse an, ohne Kenntnis über die beiden Varianten. Der inhaltliche Seminarschwerpunkt lag auf dem pädagogischen Umgang mit Heterogenität als Grundlage professionellen Lehrkräftehandelns unter Berücksichtigung inklusionstheoretischer Bildungskonzepte (Piezunka et al. 2017; Sturm 2016). Ziel war es, Studierende bei der Entwicklung von Ressourcen zur erfolgreichen Bewältigung von herausfordernden Erziehungssituationen im Umgang mit heterogenen Lerngruppen zu unterstützen.

In der Gruppe Vignette (IG) wurden in zwei aufeinander folgenden Seminarsitzungen (jeweils 90 min) zwei inhaltlich unterschiedliche TeVi eingesetzt. Die Studierenden füllten pro Sitzung zum Beginn (jeweils t1) und zum Ende (jeweils t2) einen Fragebogen aus. Pro Modell in den Vignetten (maMo und coMo getrennt voneinander) wurde ein Design umgesetzt mit einem Zwischengruppen- (TeVi vs. Fachtext) und einem Innergruppenfaktor (Messzeitpunkt, jeweils t1 und t2). Die erste Sitzung fand in der vierten Vorlesungswoche, die zweite Sitzung in der sechsten Vorlesungswoche statt. Die eingesetzten Vignetten beschrieben außerunterrichtliche pädagogische Handlungskontexte, basierend auf realen Beobachtungen von Studierenden vergangener Kohorten (Wagner et al. 2023b). In der ersten Sitzung wurde eine Vignette verwendet, die den pädagogischen Umgang mit sprachlicher Heterogenität im Kontext der frühkindlichen Bildung thematisierte. Die Vignette präsentierte ein maMo. In der zweiten Sitzung wurde eine Vignette eingesetzt, die eine nicht-inklusionsorientierte Lösung einer Konfliktsituation im Kontext der Jugendhilfe darstellte. Diese Vignette stellte ein coMo dar (Tab. 1). Alle Studierenden der IG bearbeiteten beide Vignettenversionen. Die in der Kontrollgruppe verwendeten Fachtexte behandelten thematisch kongruent den Umgang mit sprachlicher Heterogenität sowie den Umgang mit Kindern, die auffälliges Verhalten im Unterricht zeigen.

Tab. 1 Darstellung der verwendeten Textvignetten

Die Sitzungsgestaltung orientierte sich an den Empfehlungen von Lipowsky und Rzejak (2021) zur Wirksamkeit von Lehrkräftefortbildungen. Abgesehen vom Materialeinsatz waren die Seminare im IG und KG methodisch-didaktisch konsistent aufbereitet. In der Inputphase (ca. 20 min) wurden die der Sitzung zugrundeliegende Theorie im Plenum zusammengefasst, basierend auf zuvor eigenständiger Erarbeitung in einer Online-Lernumgebung. In der Erprobungsphase (ca. 50 min) arbeiteten die Studierenden entweder mit einer Vignette (IG) oder einem thematisch passenden Fachtext (KG). Zunächst lasen die Studierenden das Textmaterial durch und füllten den ersten Fragebogen aus. Danach wurden Kleingruppen mit ca. 4 Personen gebildet. Die Gruppe Vignette (IG) führte eine kollegiale Fallbesprechung durch (für detaillierte Informationen zum Ablauf siehe Wagner et al. 2023b). Die Gruppe Fachtext (KG) erhielt Leitfragen zur strukturierten Textanalyse. In beiden Gruppen erarbeiteten die Studierenden pädagogisch geeignete Handlungsalternativen basierend auf dem Textmaterial. In der abschließenden Reflexionsphase (ca. 20 min) im Plenum, diskutierten die Kleingruppen ihre Ergebnisse. Zum Schluss formulierten die Teilnehmenden ein individuelles Fazit in Form einer schriftlichen Reflexion und beantworteten den Fragebogen zum Post-Test (für das Erhebungsdesign siehe Abb. 1).

Abb. 1
figure 1

Studiendesign (IG Interventionsgruppen, KG Kontrollgruppe, maMo-TeVi masterly model Textvignette, coMo-TeVi coping model Textvignette), alle Studierenden der IG erhielten beide Vignettenversionen, in der Reihenfolge 1. maMo-TeVi und 2. coMo-TeVi

3.2 Stichprobe

Die Stichprobe bestand insgesamt aus N = 60 Bachelorstudierenden des Lehramtes Sekundarstufe I/II. Davon waren 43 Studierende der Gruppe Vignette (IG) und 17 Studierende der Gruppe Fachtext (KG) zugeteilt. Die Gruppen Vignette und Fachtext waren vergleichbar in Bezug auf Geschlecht, Alter und Fachsemester. Die Merkmale der Gesamtstichprobe sind in Tab. 2 aufgeführt. Aufgrund von Fehlzeiten der Studierenden variierte die Anzahl der Teilnehmenden: 73,3 % nahmen sowohl an der ersten als auch an der zweiten Prä-Post-Erhebung teil, während 16,7 % nur zur ersten sowie 10,0 % nur zur zweiten Prä-Post-Erhebung erschienen. Diese unterschieden sich aber nicht signifikant hinsichtlich demografischer Variablen von der Gesamtstichprobe.

Tab. 2 Merkmale der Teilnehmer*innen an der Stichprobe

3.3 Messinstrumente

Selbstwirksamkeit

Die Teilnehmenden schätzten ihre situativ erlebte Selbstwirksamkeit auf einer fünfstufigen Likert-Skala (1=trifft überhaupt nicht zu bis 5=trifft voll und ganz zu) ein, die aus vier Items bestand und auf einer adaptierten Version von Kopp (2009) basierte. Die Items bezogen sich auf die im Textmaterial veranschaulichten pädagogischen Herausforderungen (Beispielitem: „Ich fühle mich in der Lage, in einer solchen Situation pädagogisch professionell zu handeln“). Die Skala wies eine gute Reliabilität auf (αt1 = 0,80, αt2 = 0,84).

Emotionales Erleben

Um die Emotionen der Studierenden zu erfassen, wurde in Anlehnung an Syring et al. (2016) eine adaptierte Version des DES-IV (Izard et al. 1993) verwendet. Die Studierenden schätzten auf einer fünfstufigen Likert-Skala (1=trifft überhaupt nicht zu bis 5=trifft voll und ganz zu) ihr emotionales Erleben hinsichtlich der State-Emotionen Freude und Ärger ein. Die Skala enthielt insgesamt 6 Items, mit jeweils drei Items pro Subskala (Beispielitem: „Ich habe mich beim Lesen der Falldarstellung gefreut.“). Die Reliabilität der Subskalen variierte in beiden Seminarsitzungen zwischen den Werten α1 = 0,68 und α2 = 0,88.

3.4 Analysemethode

Aufgrund der geringen Stichprobengröße und des hohen Anteils fehlender Werte wurden zur Hypothesenprüfung manifeste autoregressive Regressionsanalysen mit der Full-Information Maximum Likelihood Methode (FIML) durchgeführt. Im Gegensatz zur ANOVA können auf diese Weise alle fehlende Werte frei geschätzt werden, um die Teststärke kleiner Stichproben nicht zu verringern. Zur systematischen Überprüfung der Hypothesen 1a und 1b wurden die Analysen zur maMo-TeVi und coMo-TeVi getrennt voneinander berechnet, indem die Selbstwirksamkeit zu t1 und Gruppenzugehörigkeit als Prädiktoren in die Modelle aufgenommen wurde. Die Gruppenzugehörigkeit wurde als Dummy definiert, mit der Gruppe Fachtext als Referenzkategorie. Zusätzlich wurde das Fachsemester als Kontrollvariable verwendet, da frühere Studien einen Einfluss auf die Selbstwirksamkeit gezeigt haben (z. B. Greiner et al. 2020). Zur Prüfung der Hypothesen 2 und 3 wurden zusätzlich Freude und Ärger als unabhängige Variablen in die Modelle aufgenommen. Alle Analysen wurden mit der Software R durchgeführt. Zur Beurteilung der Varianzaufklärung wird R2 berichtet, die Effektstärken wurden gemäß den Empfehlungen von Cohen (1988) interpretiert.

4 Ergebnisse

4.1 Deskriptive Ergebnisse

In der vorliegenden Studie fehlten insgesamt durchschnittlich 11,89 % der Daten. Während die Angaben zum Alter, Fachsemester und Geschlecht vollständig erfasst waren, fehlten in der ersten Sitzung 10,83 % der Werte auf den Variablen Selbstwirksamkeit, Freude und Ärger. Insgesamt lagen in der ersten Sitzung bei 7 Personen fehlende Werte vor. In der zweiten Sitzung fehlten 18,30 % der Werte für Selbstwirksamkeit und 19,17 % für Freude und Ärger. Insgesamt gab es in der zweiten Sitzung bei 13 Personen fehlende Werte. Um mögliche Unterschiede zwischen den Gruppen im Pretest zu untersuchen, wurden t-Test berechnet. Die Ergebnisse zeigten, dass sich die Gruppen maMo-TeVi und Fachtext als auch coMo-TeVi und Fachtext nach dem Lesen des Textmaterials (t1) signifikant unterschieden, jeweils zugunsten der vignettenbasierten Gruppe. Auch nach der Reflexion (t2) schätzten die Teilnehmenden der vignettenbasierten Gruppe in beiden Sitzungen ihre Selbstwirksamkeit signifikant höher ein, wobei die Teststärke im Vergleich zum ersten Messzeitpunkt jeweils deskriptiv höher war (Tab. 3). Die Korrelationen zwischen den untersuchten Variablen sind in Tab. 4 zu finden.

Tab. 3 Mittelwerte, Standardabweichungen (in Klammern) und statistische Vergleiche für die in den Untersuchungsgruppen erhobenen Variablen
Tab. 4 Zero-Order-Korrelationen von Selbstwirksamkeit, Freude und Ärger

Für die Gruppen maMo-TeVi und Fachtext wiesen die Mittelwerte auf einen Anstieg der Selbstwirksamkeit in beiden Untersuchungsgruppen hin (∆maMo = 0,31, ∆Fachtext = 0,15), der in der Gruppe maMo-TeVi deskriptiv höher war. Die Durchführung einer Anova mit MesswiederholungFootnote 1 deutete auf einen signifikanten Haupteffekt des Innersubjektfaktors Zeit, F(1,51) = 4,80, p < 0,05, und einen signifikanten Haupteffekt des Zwischensubjektfaktors Gruppe hin, F(1,51) = 6,51, p < 0,05. Es zeigte sich kein signifikanter Interaktionseffekt Zeit*Gruppe, F(1,51) = 0,61, p > 0,05. Auch für die Gruppen coMo-TeVi und Fachtext wiesen die Mittelwerte deskriptiv auf eine Zunahme der Selbstwirksamkeit in beiden Gruppen hin (∆coMo = 0,19, ∆Fachtext = 0,14). Die Anova mit Messwiederholung zeigte keinen signifikanten Haupteffekt des Innersubjektfaktors Zeit, F(1,45) = 3,45, p > 0,05. Der Effekt des Zwischensubjektfaktors Gruppe war signifikant, F(1,45) = 15,75, p < 0,001, der Interaktionseffekt Zeit*Gruppe jedoch nicht, F(1,45) = 0,10, p > 0,05.

4.2 Effekte zwischen Vignetten- und Fachtextgruppe auf die Entwicklung der Selbstwirksamkeit (Hypothese 1)

Zur Überprüfung von Hypothese 1 wurden autoregressive Analysen durchgeführt (Tab. 5), angepasst an die von Bandura (1997) vorgeschlagene Differenzierung zwischen Erfolgs- und Bewältigungsmodellen. Modell 1 fokussiert den Vergleich zwischen maMo-TeVi und Fachtext (H1a), in Modell 2 wird der Einsatz zwischen coMo-TeVi und Fachtext (H1b) im Hinblick auf die Selbstwirksamkeitsentwicklung verglichen.

Tab. 5 Autoregressive Vorhersage der Selbstwirksamkeit durch Materialart

In Modell 1 erwies sich ausschließlich die Selbstwirksamkeit zu t1 als signifikanter Prädiktor (β = 0,65, p < 0,001), als Zeichen einer hohen zeitlichen Rangstabilität der Selbstwirksamkeit in beiden Untersuchungsgruppen. Darüber hinaus zeigten sich keine signifikanten Effekte. Das Modell erklärte 52,0 % der Gesamtvarianz. In Modell 2 ergab sich ein signifikanter Effekt für die Selbstwirksamkeit zu t1 auf die Selbstwirksamkeit zu t2 (β = 0,70, p < 0,001). Zudem war die Gruppenzugehörigkeit ein signifikanter Prädiktor (β = 0,19, p < 0,05). Studierende der Gruppe Vignette gaben im coMo einen relativen Zugewinn der Selbstwirksamkeit im Vergleich zu Studierenden der Gruppe Fachtext zum Seminarende an. Die Varianzaufklärung betrug 66,5 %.

4.3 Zusammenhang zwischen Freude und Selbstwirksamkeitsentwicklung (Hypothese 2)

Zur Überprüfung von Hypothese 2a und 2b wurde unter Kontrolle der Ausgangswerte für die Selbstwirksamkeit, des Fachsemesters und der Gruppenzugehörigkeit sowohl in Modell 1 als auch in Modell 2 Freude nacheinander zu beiden Messzeitpunkten als unabhängige Variablen aufgenommen. Die Hinzunahme (Tab. 6) führte in beiden Modellen zu einer Abnahme der zeitlichen Stabilität (β = 0,60 bis 0,68, p < 0,001), zugleich stabilisierte sich der Effekt der Gruppenzugehörigkeit in Modell 2 (β = 0,24, p < 0,01). In Modell 1 erwies sich Freude zu t1 als nicht signifikant. In Modell 2 zeigte sich ein nicht erwarteter, signifikant negativer Zusammenhang zwischen Freude zu t1 mit der Selbstwirksamkeit zu t2, unter Kontrolle der Selbstwirksamkeit zu t1 (β = −0,27, p < 0,01). Darüber wies in beiden Modellen Freude zu t2 einen positiven Zusammenhang mit der Selbstwirksamkeit zu t2 auf (β = 0,26 bis 0,28, p < 0,05). Die Varianzaufklärung betrug 56,9 % in Modell 1 und 71,7 % in Modell 2.

Tab. 6 Autoregressive Vorhersage der Selbstwirksamkeit durch Materialart und Freude

4.4 Zusammenhang zwischen Ärger und Selbstwirksamkeitsentwicklung (Hypothese 3)

Zur Überprüfung der Hypothesen 3a und 3b wurde Ärger nacheinander zu beiden Messzeitpunkten in die Modelle aufgenommen. Die Hinzunahme (Tab. 7) führte in beiden Modellen zu einer Abnahme der zeitlichen Stabilität (β = 0,61 bis 0,69, p < 0,001). Der Effekt der Gruppenzugehörigkeit auf die Selbstwirksamkeitsveränderung in Modell 2 blieb stabil (β = 0,21, p < 0,05). Weder in Modell 1, noch in Modell 2 zeigte sich ein signifikanter Effekt des Ärgers nach dem Lesen (t1) auf die Selbstwirksamkeitsentwicklung. Darüber hinaus wies Ärger nach der Reflexion (t2) in beiden Modellen einen Zusammenhang mit der Selbstwirksamkeit zu t2 auf (β = −0,22 bis −0,25, p < 0,05). Die Varianzaufklärung betrug 57,0 % in Modell 1 und 69,9 % in Modell 2.

Tab. 7 Autoregressive Vorhersage der Selbstwirksamkeit durch Materialart und Ärger

5 Zusammenfassung und Diskussion

In der vorliegenden Studie wurden Effekte des Einsatzes von TeVi auf die Selbstwirksamkeitsentwicklung geprüft sowie das Zusammenspiel mit dem emotionalen Erleben untersucht. Hierfür wurde ein quasi-experimentelles Prä-Post Kontrollgruppendesign im SoSe 2022 mit einer Stichprobe von N = 60 Lehramtsstudierenden umgesetzt. Es wurde eine Intervention über zwei 90-minütige Seminarsitzungen durchgeführt, die sich durch den Einsatz stellvertretender Erfahrungen (Bandura 1997) im Vergleich zu klassischen Fachtexten auszeichnete. In der Interventionsgruppe (IG, n = 43) wurden Effekte von Vignetten, die ein masterly model (maMo) von solchen, die ein coping model (coMo) darstellten, differenziert und separat analysiert, weil sich maMo und coMo hinsichtlich ihres Bewältigungsansatzes beruflicher Anforderungssituationen unterscheiden (Bandura 1997). MaMo zeichnen sich durch eine fehlerfreie und mühelose Bewältigung beruflicher Situationen aus. Im Gegensatz dazu demonstrieren coMo in beruflichen Anforderungssituationen unsichere Verhaltensweisen. Die erfolgreiche Bewältigung ist für coMo daher von Herausforderungen und Anstrengung begleitet. Studierende der Kontrollgruppe (KG, n = 17) absolvierten identisch konzipierte Seminare, in denen jedoch anstatt von Vignetten mit inhaltlich kongruenten akademischen Fachtexten gearbeitet wurde.

5.1 Selbstwirksamkeitsentwicklung im Vergleich zwischen der Vignetten- und Fachtextgruppe (Hypothese 1)

Die Annahme einer günstigeren Selbstwirksamkeitsentwicklung Studierender der IG im Vergleich zur KG wurde teilweise bestätigt. Entgegen unseren Erwartungen wurde kein Unterschied in der Selbstwirksamkeitsentwicklung bei Studierenden, die mit einer maMo-TeVi arbeiteten, im Vergleich zur KG festgestellt (H1a). Dagegen deuteten die Regressionsanalysen erwartungsgemäß auf einen relativen Zugewinn der Selbstwirksamkeit bei Studierenden der IG hin, denen in der TeVi ein coMo begegnet war (H1b). Obwohl sich dieser Effekt in der vorher durchgeführten ANOVA mit Messwiederholung nicht zeigte, sollte beachtet werden, dass der listenweise Fallausschluss in der Interventionsforschung eine problematische Methode zur Behandlung fehlender Werte darstellt (Enders 2022; Rioux und Little 2021). Die regressionsanalytischen Ergebnisse mit FIML-Schätzung sind daher im Hinblick auf die relative Zunahme der Selbstwirksamkeit in der IG als bedeutsam zu betrachten. Eine mögliche Erklärung für den signifikanten Effekt bei der Arbeit mit der coMo-TeVi kann durch die dort verankerte konkrete Modellierung von Bewältigungsstrategien in einer beruflichen Anforderungssituation gesehen werden. Hier finden sich relevante Informationen, um die Wirksamkeit eigener Fähigkeiten in der spezifischen Situation konkreter einzuschätzen. Dieser Erklärungsansatz wird dadurch gestützt, dass Vignetten situierte Lerngelegenheiten darstellen, die authentisch und praxisnah sind (Friesen et al. 2020). Allerdings gilt dies für beide hier untersuchten Modelle im Vergleich zur Arbeit mit Fachtexten. Der spezifische Befund kann jedoch auch als theoriekonform interpretiert werden, wonach coMo selbstwirksamkeitsrelevante Informationen bereitstellen (Bandura 1997). Damit knüpfen die vorliegenden Befunde an Studien aus Schulpraktika an (Bach 2022; Pfitzner-Eden 2016). Dass nur H1b bestätigt wurde ist zudem konsistent mit den Ergebnissen von Gold et al. (2017), die beim alleinigen Einsatz einer maMo-TeVi ebenfalls keinen signifikanten Effekt auf die Selbstwirksamkeit fanden. Möglich wäre, dass maMo-TeVi weniger unmittelbar relevante Informationen über die verwendeten Bewältigungsstrategien des Verhaltensmodells beinhalten, was Lernende jedoch dringend benötigen (Bach 2022; Bandura 1997). Es bedarf jedoch der Replikation durch weitere Studien, um diesen Erklärungsansatz zu differenzieren.

Grundsätzlich ist es denkbar, dass die Analyse von TeVi, die verschiedene Bewältigungsstrategien bereitstellen, unterschiedliche Effekte auf die Entwicklung der Selbstwirksamkeit angehender Lehrkräfte zeigt. Braaksma et al. (2002) konnten zeigen, dass Lernende mit unsicherer Einschätzung über die Wirksamkeit eigener Fähigkeiten eher von Modellen lernen, die selbst unsichere Verhaltensweisen aufzeigen, da diese Modelle als ähnlicher zu sich selbst wahrgenommen werden (Bach 2022; Bandura 1997). Da die Teilnehmenden der vorliegenden Studie Bachelorstudierende waren, kann angenommen werden, dass sich diese aufgrund geringer praktischer Erfahrungen eher mit dem coMo als mit dem maMo identifizierten und dieses als geeigneteres Modell ansahen. Der Vergleich der Mittelwerte nach dem Lesen der TeVi legt dennoch nahe, dass sich Studierende in der coMo-TeVi weniger selbstwirksam als in der maMo-TeVi einschätzten (siehe Tab. 3). An dieser Stelle ist auf die hohen Ausgangswerte der Selbstwirksamkeit in der IG hinzuweisen, die auf einen Deckeneffekt hindeuten könnten (Döring und Bortz 2016). So lag das mittlere Ausgangsniveau in der IG bereits zu t1 (MmaMo = 3,72, McaMo = 3,56) über der theoretischen Skalenmitte, wodurch die relative Zunahme der Messwerte durch die Skala begrenzt war. Für zukünftige Studien erscheint es daher bedeutsam, differenzierter zu untersuchen, inwiefern sich Studierende eher von einem coMo oder maMo angesprochen fühlen. Diesbezüglich ist es für Folgestudien naheliegend, die schriftlichen Reflexionen der Teilnehmenden qualitativ auszuwerten. Um weitere Erkenntnisse bezüglich der Bedeutung von coMo und maMo für die Selbstwirksamkeitsentwicklung zu erhalten, sollte auch der Vergleich zwischen Bachelor- und Masterstudierenden in den Blick genommen werden. Vor diesem Hintergrund wäre es aussichtsreich unterrichtsbezogene Situationen einzubeziehen.

5.2 Bedeutung von Freude und Ärger für die Selbstwirksamkeitsentwicklung (Hypothese 2 und 3)

Anders als in Hypothese 2a und 3a vermutet, zeigte sich weder ein positiver Zusammenhang der Freude noch ein negativer Zusammenhang des Ärgers nach dem Lesen (t1) auf die Selbstwirksamkeitsentwicklung. Entgegen unserer Erwartungen zeigte sich jedoch in der zweiten Sitzung ein signifikanter Zusammenhang zwischen der erlebten Freude nach dem Lesen (t1) und einer Abnahme der Selbstwirksamkeit nach der Reflexion (t2). Die vermutete Bedeutung des emotionalen Erlebens als selbstwirksamkeitsrelevante Information scheint für diese Stichprobe daher zumindest teilweise als zutreffend (Bandura 1997). Dies wäre konsistent mit Studien in denen angehende Lehrkräfte im Kontext von Schulpraktika untersucht wurden (Bach 2022; Pfitzner-Eden 2016). Unklar bleibt die Richtung des Zusammenhangs. Bisherige Forschungsarbeiten über eigene Praktikumserfahrungen weisen auf einen positiven Zusammenhang zwischen Freude und Selbstwirksamkeitsentwicklung hin (Bach und Hagenauer 2022). Daher sollte ein möglicher Stichprobeneffekt durch Folgestudien ausgeschlossen werden.

Insgesamt deuten die vorliegenden Ergebnisse auf eine geringere Bedeutung von Freude und Ärger als Selbstwirksamkeitsquelle in der Auseinandersetzung mit Vignetten und Fachtexten hin. Erste Hinweise dafür zeigten sich bereits bei Schlosser und Paetsch (2023). Anders als im Schulpraktikum, bei dem die Emotionen angehender Lehrkräfte im direkten Zusammenhang mit der beruflichen Tätigkeit stehen (Bach und Hagenauer 2021, 2022), könnten sich die beim Lesen von Vignetten und Fachtexten hervorgerufenen Emotionen eher auf die darin präsentierten Inhalte beziehen und als informationswertende Reaktion interpretiert werden, die jedoch weniger direkt mit dem eigenen Wirksamkeitserleben in einem beruflichen Kontext zusammenhängen. Zudem erscheint der Befund theoriekonform, wonach das emotionale Erleben die schwächste Selbstwirksamkeitsquelle darstellt (Bandura 1997).

Weiterhin zeigte sich, wie vermutet, ein signifikanter Zusammenhang zwischen den Emotionen nach der Reflexion und der Selbstwirksamkeit zu (t2). Studierende, die ihre Freude zum Seminarende hoch beurteilten, schätzten unabhängig von den anderen Variablen ihre Selbstwirksamkeit zu t2 höher ein als Studierende mit weniger Freude zu t2 (H2b). Zudem beurteilten Studierende, die ihren Ärger nach der Reflexion hoch einschätzten, unter statistischer Kontrolle der weiteren Variablen, ihre Selbstwirksamkeit zu t2 geringer (H3b). Theoretisch wäre jedoch auch die umgekehrte Wirkrichtung denkbar (Pekrun und Goetz 2023), dass eine subjektiv erlebte Zunahme der Selbstwirksamkeit von mehr Freude und weniger Ärger begleitet wird. Zur Klärung bedarf es Folgestudien, die wechselseitige Effekte über einen längeren Zeitraum betrachten. Das Befundmuster verweist insgesamt darauf, dass Freude und Ärger unterschiedliche selbstwirksamkeitsrelevante Informationen bereitstellen, was konsistent mit Studien ist, in denen eigene Bewältigungserfahrungen von (angehenden) Lehrkräften untersucht wurden (Bach und Hagenauer 2022; Burić et al. 2020). Dies verweist auf die Relevanz, Vignetten weiterhin differenziert auf ihre Effekte zu untersuchen. Dabei sollten auch weitere diskrete Emotionen betrachtet werden, wie z. B. Angst, die sich für die Selbstwirksamkeitsentwicklung bereits als relevant erwiesen hat (Bach und Hagenauer 2022).

Die unterschiedlichen Effekte von Freude nach dem Lesen im Vergleich zu Freude nach der Reflexion auf die Selbstwirksamkeit bedürfen zwar weiterer Untersuchungen, bieten jedoch Anregungen für weitere Überlegungen. So stellt sich die Frage, inwiefern das Erleben von Freude, die aus positiven Appraisal einer gelungenen Bewältigung resultiert und Freude, die sich auf das Erleben in einer Lernsituation bezieht, differenziert werden müssten. Darüber bieten die deskriptiven Veränderungen der Emotionen im Seminarverlauf, zusätzliche Hinweise auf unterschiedliche Coping- und Regulationsstrategien von Studierenden (Lazarus und Folkman 1984; Syring et al. 2016). Inwiefern diese durch die Auseinandersetzung mit Vignetten angesprochen werden und welche Auswirkungen diese auf die Selbstwirksamkeit angehender Lehrkräfte zeigen, sollte in zukünftigen Arbeiten berücksichtigt werden.

Zusammenfassend betonen die vorliegenden Ergebnisse die Bedeutung einer verstärkten Berücksichtigung der Emotionen von Studierenden bei der methodisch-didaktischen Gestaltung von Lehr-Lernsettings. In der Auseinandersetzung mit situierten Lerngelegenheiten könnte bspw. das emotionale Erleben gezielt reflektiert werden, damit angehende Lehrkräfte lernen, ihre Appraisals als deren Quelle zu verstehen (Frenzel 2014; Frenzel et al. 2021). An dieser Stelle sei zudem auf mögliche Zusammenhänge mit anderen motivationalen Komponenten professionell handelnder Lehrkräfte verwiesen, z. B. Enthusiasmus (Baumert und Kunter 2013).

5.3 Limitationen und Ausblick

Einschränkend ist anzumerken, dass die vorliegenden Analysen lediglich auf einer kleinen Stichprobe mit geringer Teststärke basieren, die zudem fehlende Werte aufweist. Dieser Umstand ergibt sich aus dem Anspruch der Durchführung einer ökologisch validen Studie im Hochschulkontext. Limitierend ist weiterhin, dass es sich um keine repräsentative Stichprobe handelt und die teilenehmenden Studierenden nicht randomisiert zu den verschiedenen Untersuchungsgruppen zugewiesen wurden, was die interne und externe Validität einschränkt. Die Ergebnisse bieten einen ersten Einblick zur potenziellen Nutzung von TeVi für die Unterstützung der Selbstwirksamkeitsentwicklung mindestens für die Universität Potsdam. Eine wesentliche Einschränkung der vorliegenden Ergebnisse besteht im unterschiedlichem Ausgangniveau der Selbstwirksamkeit in den Untersuchungsbedingungen. Da der Prätest (t1) erst nach dem Lesen des Materials erfolgte, ist es im Sinne der Argumentation nach Bandura (1997) denkbar, dass Vignetten als situierte Lerngelegenheit günstigere selbstwirksamkeitsrelevante Informationen für Bachelorstudierende bereitstellen. Es ist aber auch möglich, dass diese Unterschiede wenigstens teilweise auf die Eingangsunterschiede zurückzuführen sind. In diesem Zusammenhang sei auch auf den Matthäus-Effekt hinzuweisen (z. B. Baumert et al. 2012), wonach Personen mit günstigeren Ausgangsbedingungen bessere Lernerfolge erzielen, wodurch sich bestehende Unterschiede vergrößern. Andererseits schwächen statistische Phänomene wie die Regression zur Mitte diese Alternativerklärung für die vorliegenden Daten ab. Die Replizierbarkeit der vorliegenden Befunde muss daher geprüft werden, auch weil in dieser Studie nicht für Reihenfolgeneffekte kontrolliert werden konnte.

Neben dem primären Fokus auf Vignetten als didaktisches Format zur Selbstwirksamkeitsentwicklung im Lehramtsstudium lag ein sekundärer Fokus dieser Studie auf dem situativen emotionalen Erleben der Studierenden (State-Emotionen). Freude und Ärger wurden direkt im Lernprozess nach dem Lesen und nach der Reflexion erhoben. Dieser Ansatz ist plausibel, da die genutzten TeVi als stellvertretende Erfahrungen in pädagogischen Situationen konzeptualisiert wurden und die Verarbeitung dieser Textart mit dem Erleben begleitender Emotionen verbunden ist (Syring et al. 2016; Wagner et al. 2023a). Es ist jedoch möglich, dass Teilnehmende aufgrund dispositionsspezifischer Neigungen in belastenden Situationen besonders emotional reagieren (Frenzel et al. 2021). In der Umsetzung zukünftiger Studien empfiehlt sich daher sowohl die Kontrolle von Trait-Emotionen als auch State-Emotionen vor dem Lesen des Textmaterials. Die Ergebnisse der vorliegenden Studie sind zudem aufgrund der kurzen Interventionszeit limitiert. Studien, die sich auf die Entwicklung der Selbstwirksamkeit von Bachelorstudierenden konzentrieren, deuten darauf hin, dass diese in den ersten Semestern tendenziell abnimmt und sich im Kontext von Schulpraktika im späteren Studienverlauf wieder erhöht (Liebner et al. 2022; Pfitzner-Eden 2016; Schüle et al. 2017). Daher sollten zukünftige Studien prüfen, ob sich die vorliegenden Befunde auch durch semesterbegleitende Interventionen replizieren lassen. Die hier berichteten Selbstwirksamkeitsveränderungen lassen zuletzt keine Rückschlüsse auf das pädagogische Handeln der Studierenden in der Bewältigung herausfordernder Situationen zu, da die Teilnehmenden ihre Kompetenzen anhand von Selbstberichten einschätzten. Um Effekte des Seminarkonzepts hinsichtlich der Performanz der Teilnehmenden zu prüfen, müssten Folgestudien Beobachtungen objektiver Maße fokussieren, z. B. im Kontext von Schulpraktika.

In ihrer Gesamtheit verdeutlicht die vorliegende Untersuchung jedoch, dass das Lernen mit TeVi im Vergleich zu Fachtexten nicht per se effektiver für die Selbstwirksamkeitsentwicklung angehender Lehrkräfte ist. Allerdings ergeben sich trotz der diskutierten Limitationen konkretisierende Hinweise, dass coMo-TeVi günstigeres Ausgangsmaterial darstellen könnten. Damit erweitert die Studie bisherige Ergebnisse über Vignetten (Gold et al. 2017; Schlosser und Paetsch 2023). Zugleich betont die Studie die Bedeutung von Emotionen (Freude und Ärger) im Sinne selbstwirksamkeitsrelevanter Information für angehende Lehrkräfte. In der bisherigen Forschung zur Professionalisierung liegt der Fokus zumeist auf kognitiven Kompetenzfacetten, obwohl bereits im COACTIV-Modell für Lehrkräftekompetenzen Merkmale motivationaler Orientierung unmittelbar in Verbindung mit dem emotionalen Erleben konzeptualisiert sind (Baumert und Kunter 2013). Für die Entwicklung professioneller Handlungskompetenzen sind die vorliegenden Befunde daher bedeutsam und sollten die Forschung zur Selbstwirksamkeit (angehender) Lehrkräfte informieren.