1 Einleitung

Zu professionellen Kompetenzen von Lehrkräften liegen deutschsprachige Large-Scale-Studien vor (z. B. Blömeke et al. 2011; Kunter et al. 2011), die in den Bildungswissenschaften wie auch in den Fachdidaktiken viel Resonanz fanden. Diese Untersuchungen setzen Standards in Hinblick auf Methodik und allgemeine Theorien, zudem berücksichtigen sie fachliche Spezifika und Zusammenhangsmuster. Damit erfüllen sie Forderungen, die schon seit einiger Zeit im Lastenheft der empirischen Unterrichtsforschung stehen (Klieme 2006). Besonderes Forschungsinteresse zieht nach wie vor die Mathematik auf sich, eine im Sinne der Expertiseforschung wohlstrukturierte Domäne, gefolgt von den naturwissenschaftlichen Fächern sowie von Deutsch und Englisch. Andere Fächer des breiten schulischen Fächerspektrums finden weitaus weniger Berücksichtigung. Demnach fußen etliche Modelle professioneller Kompetenz von Lehrkräften – selbst solche Modelle, die als generisch ausgewiesen sind – auf Forschungsergebnissen, die sich aus Spezifika einiger weniger Fächer herleiten. Gleichwohl werden aus solchen Modellen weitreichende Schlussfolgerungen abgeleitet, bis hin zu bildungspolitischen Empfehlungen für das gesamte Schulwesen (kritisch dazu u. a. Praetorius et al. 2020).

Vor diesem Hintergrund stellen sich auch der MusikdidaktikFootnote 1 Fragen: Inwieweit lassen sich Vorstellungen von Lehrprofessionalität, die fachübergreifend oder mit Blick auf andere Unterrichtsfächer wie etwa Mathematik entwickelt wurden, auf Musiklehrkräfte übertragen? Worin hebt sich schulischer Musikunterricht ab vom Unterricht in anderen Fächern oder von „Unterrichten in der Schule allgemein“? Welche professionellen Kompetenzen sind notwendig, um domänenspezifische berufliche Aufgaben zu bewältigen – zum Beispiel bei musikpraktischen Aktivitäten in Gruppen? Wie lassen sich die zu deren Bewältigung notwendigen Kompetenzen theoretisch so beschreiben, dass einerseits fachlichen Spezifika ausreichend Rechnung getragen wird, andererseits aber auch interdisziplinäre Verständigung und fächervergleichende Forschung erleichtert werden?

Der vorliegende Beitrag stellt Erträge mehrjähriger Forschungs- und Entwicklungsarbeit zu diesen Fragen vor. Ergebnis ist ein fachspezifisches Modell professioneller Kompetenz. Im Folgenden skizzieren wir zunächst die Ausgangslage, bevor wir auf den forschungsmethodischen Ansatz und die Ergebnisse eingehen.

2 Forschungslage

(Forschungs‑)Schrifttum, das sich mit der Profession „Musiklehrkräfte“ befasst, hat in Deutschland lange Tradition (Lessing und Stöger 2018). Dabei wird häufig mit einer gewissen Selbstverständlichkeit auf die „Musiklehrerpersönlichkeit“ als wesentliche und wirkmächtige Komponente des Gefüges „Musikunterricht“ rekurriert (Kraemer 2007, S. 115–120; kritisch u. a. Ott 1993). Ein Grund für die anhaltende Beliebtheit des Persönlichkeitsparadigmas könnte im folgenreichen Leitbild des „Künstlerpädagogen“ zu suchen sein, dem seit den 1920er-Jahren proklamierten Ideal einer künstlerisch, wissenschaftlich und pädagogisch gleichermaßen exzellent ausgebildeten Lehrkraft für das Fach Musik an Gymnasien (Kestenberg 1921).

So überrascht es wenig, dass Persönlichkeitsmerkmale und deren Genese in musikpädagogischer Lehrer*innenforschung eine große Rolle spielen: Untersucht wurden beispielsweise die Motivation musikpädagogischen Handelns und das Stresserleben von Studierenden (Hofbauer und Harnischmacher 2013) oder Berufszufriedenheit (z. B. Pfeiffer 1994). Hinzu kommen Studien zu Berufsbiografien (z. B. Bailer 2009) und zu Berufswahlentscheidungen (z. B. Neuhaus 2008). Mittlerweile recht gut erforscht sind zudem subjektive Theorien, Individualkonzepte und Überzeugungen von Musik Lehrenden zu verschiedenen Aspekten ihres Berufsfelds (z. B. Niessen 2006).

Forschungsprojekte, in denen Musiklehrkräfte aus kompetenztheoretischer Perspektive in den Blick genommen werden, gewinnen erst in den letzten Jahren an Bedeutung. Eine Reihe qualitativer Studien nimmt dabei Bezug auf grundlegende erziehungswissenschaftliche Modelle wie das Angebots-Nutzungs-Modell nach Helmke (2014) oder auf Modellierungen von Lehrprofessionalität und Unterrichtsqualität, wie sie im Umfeld der eingangs zitierten Large-Scale-Studien vorgenommen wurden (insbesondere Klieme und Rakoczy 2008), nutzt diese aber vor allem als heuristische Hilfe bei der Analyse fachspezifischer Aspekte von Unterrichtsqualität, Lehrpersonenkompetenz und Wirkungen von Unterricht (zusammenfassend Kranefeld 2021). Insgesamt ist über unterrichtliches Handeln von Musiklehrkräften und dessen Rahmenbedingungen dank mehrerer drittmittelgeförderter Forschungsprojekte mittlerweile deutlich mehr bekannt als noch vor 10 Jahren (z. B. Kranefeld 2015; Göllner und Niessen 2016). Den Versuch einer empirischen Validierung vorgenommener fachspezifischer Kompetenzmodellierungen unternahmen allerdings bisher nur wenige Autoren, beispielsweise im Anschluss an das Konzept des „Technological pedagogical content knowledge“ (TPACK; z. B. Bauer 2010; Godau und Fiedler 2018).

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass musikpädagogische Forschung bislang vor allem Ergebnisse zu persönlichen Merkmalen von Musiklehrkräften sowie zu einzelnen Aspekten fachspezifischer professioneller Kompetenz erbrachte. Eine systematisch angelegte, empirisch gestützte Konzeptualisierung im Anschluss an generische Modelle professioneller Lehrkompetenz blieb bisher indes ein Desiderat.

3 Theoretische Rahmung

Das Vorhaben, ein Modell fachspezifischer Kompetenzen von Musiklehrkräften zu entwickeln und empirisch zu validieren, setzte bei zwei leitenden Überlegungen an: Spezifische Anforderungen beim Unterrichten eines bestimmten Schulfachs lassen sich einerseits im Vergleich mit anderen Fächern als differentia specifica identifizieren. Den dazu notwendigen Referenzrahmen bieten generische Modelle professioneller Lehrkompetenz. Andererseits ist zu fragen, ob es Facetten professioneller Kompetenz geben könnte, die für die Domäne „Musik unterrichten“ relevant sind, aber in generischen Modellen bislang nicht oder nicht in hinreichendem Maße Berücksichtigung finden.

Als Ordnungsrahmen unserer fachspezifischen Konzeptualisierung dient das erweiterte Modell professioneller Lehrkompetenz von Blömeke, Gustafsson und Shavelson (2015, Abb. 1). Anknüpfend an kognitionspsychologische Konzepte fassen wir damit das (Musik) Unterrichten als Sequenz von Handlungssituationen auf, mit denen sich Lehrkräfte aktiv auseinandersetzen und in deren Kontext sie Handlungsprobleme lösen (siehe z. B. Bromme 1992; Dann und Haag 2017).

Abb. 1
figure 1

Professionelle Kompetenz von Lehrkräften als Kontinuum (Blömeke et al. 2015, S. 7)

In den Blick genommen werden im Folgenden zunächst Professionswissen und situationsspezifische Fähigkeiten. Ersteres verstehen wir im Anschluss an Konzeptualisierungen aus der empirischen Bildungsforschung (z. B. Kunter und Pohlmann 2015) als Teilaspekt der Komponente Cognition. Zur inneren Strukturierung diente uns die bekannte Kategorisierung in Fachwissen, Fachdidaktisches Wissen und (fachübergreifendes) Pädagogisches Wissen (Shulman 1986; Baumert und Kunter 2011). Die Modellierung situationsspezifischer Fähigkeiten von Musiklehrkräften erfolgte auf Grundlage des Konzepts professioneller Unterrichtswahrnehmung (professional vision; Sherin 2007). Zudem befassten wir uns mit der Frage, wie sich musikpraktisch-künstlerische Fähigkeiten, die für erfolgreiches Musik-Unterrichten unabdingbar sind, in diesem konzeptionellen Rahmen verorten lassen könnten.

4 Methode

Modellierungen professioneller Kompetenzen von Lehrkräften setzen in aller Regel an bei einer möglichst genauen Beschreibung der Aufgaben und Anforderungen, die sich Lehrkräften im Kern ihrer beruflichen Tätigkeit stellen, nämlich beim Vorbereiten, Durchführen und Nachbereiten von Unterricht (vgl. Baumert et al. 2011). Für die Domäne „Musik unterrichten an allgemeinbildenden Schulen“ lagen hierzu keine Vorarbeiten vor. Wir entschieden uns deshalb für einen pragmatischen Ansatz, der deduktives und induktives Vorgehen kombiniert. Ausgehend von der Annahme, dass Kompetenzfacetten, die mit fachübergreifendem Anspruch konzipiert wurden, prinzipiell auch für Musiklehrkräfte relevant sind, konzeptualisierten wir ausgewählte Komponenten des eben skizzierten generischen Rahmens jeweils für das Fach Musik, genauer: für einschlägig erscheinende Ausschnitte des Handlungsfelds „Musik unterrichten“. Um unsere theoretischen Überlegungen empirisch validieren zu können, überführten wir die Modellierungen in entsprechende Testinstrumente. Im Rahmen der Studie FALKO‑MFootnote 2 war dies ein 90minütiger Papier-und-Bleistift-Test zu Fachwissen und fachdidaktischem Wissen, an dem 129 Musik-Lehrkräfte und -Studierende der Lehrämter Haupt- und Realschule sowie Gymnasium teilnahmen (Puffer und Hofmann 2017). Für das Projekt LeHet MusikFootnote 3 wurde ein 30minütiger Vignettentest zu fachdidaktischem Wissen, professioneller Wahrnehmung und Problemlösestrategien von Musiklehrkräften entwickelt. Dessen (provisorische) Validierung erfolgte auf der Basis einer Stichprobe von 29 Lehramtsstudierenden und 16 berufserfahrenen Musiklehrkräften (Puffer 2021a).

Bundesweit einheitliche Bildungsstandards oder einen Katalog allgemein akzeptierter Unterrichtsziele gibt es für das Schulfach Musik nicht, und es wird diskutiert, ob und inwieweit solche Normen überhaupt wünschenswert sind (zusammenfassend Hasselhorn und Knigge 2018). Zahlreiche musikdidaktische Modelle mit unterschiedlichen Grundierungen, Zielsetzungen und Reichweiten stehen in Konkurrenz nebeneinander. Eine systematische theoretische Aufarbeitung solcher Einzelansätze, aus der sich musikdidaktische Kohärenz ableiten ließe, steht bisher aus (Jank 2018; Kranefeld 2021). Als heuristische Basis zur inhaltlichen Konkretisierung von Professionswissen und situationsspezifischen Fähigkeiten wurden deshalb drei Erwartungen an „guten“ MusikunterrichtFootnote 4 herangezogen, die sich im vielstimmigen Chor des musikdidaktischen Diskurses als weitgehend konsentiert identifizieren ließen (Puffer und Hofmann 2016): Es scheint Einvernehmen darüber zu herrschen, dass Musikpraxis, also gemeinsames Singen und Musizieren im Klassenverband, einen entscheidenden Beitrag zu musikalischer Bildung leiste (zusammenfassend: C. Heß 2018; Vogt 2018), dass musikalisch-ästhetischen Erfahrungen im Musikunterricht besondere Bedeutung zukomme (F. Heß 2018; Jank 2013, S. 123–124) und dass schulischer Musikunterricht am Leitziel einer „Verständigen Musikpraxis“ auszurichten sei (Kaiser 2010; Khittl 2018; Knigge 2013; Rora und Wiese 2014). Bei der Modellierung professioneller Kompetenzen von Musiklehrkräften rücken Fähigkeiten in den Blick, die zur Gestaltung entsprechender Lernangebote notwendig sind.

Als eine weitere Quelle von Kompetenzerwartungen dienten schulische Curricula, da sie die alltäglichen beruflichen Anforderungen konkretisieren und strukturieren (z. B. Bayerisches Staatsministerium für Bildung und Kultus, Wissenschaft und Kunst 2014), ferner einschlägige Ausbildungsrichtlinien, die deutlich machen, welches Spektrum an Fähigkeiten und Fertigkeiten Kultusministerien als „Arbeitgeber“ bei angehenden Musiklehrkräften voraussetzen (z. B. KMK 2019, S. 41–42; Bayerisches Staatsministerium für Unterricht und Kultus 2009, 2020). Um die inhaltliche Validität von Kompetenzmodellierung und Testaufgaben weiter abzusichern, wurden zudem in allen Stadien des Forschungsprozesses Expert*innen aus Schulen und Hochschulen hinzugezogen. Sie beurteilten beispielsweise, inwieweit die verwendeten Testszenarien schulische Unterrichtsrealität abbilden und ob die Fähigkeiten, die mit den Testitems gemessen werden, für Berufsausübung und -ausbildung relevant erscheinen.

Bereits im Zuge der deduktiven Konzeptualisierung konnten wir Aspekte professioneller Kompetenz identifizieren, die zwar für die Domäne „Musik unterrichten“ spezifisch und relevant sind, aber in der generischen theoretischen Rahmung unserer Arbeit nicht oder nicht in hinreichendem Maße Berücksichtigung finden (Puffer und Hofmann 2016). Weitere Aufschlüsse zu Spezifika der Domäne „Musik unterrichten“ gaben zwei qualitative Studien (Puffer in Vorbereitung, 2019). Sie adressieren Besonderheiten des Musik-Unterrichtens aus Sicht der Lehrenden und aus einer zeitlich und räumlich unterrichtsnahen Perspektive. Für das Projekt „Musikunterricht im Rückspiegel“ (Puffer 2013, 2019) wurden insgesamt 16 in einer Kleingruppe aus Studierenden und Mentor*innen geführte Stundennachbesprechungen eines Theorie-Praxis-Seminars in der gymnasialen Musiklehrer*innenbildung ausgewertet. Anliegen ist die Rekonstruktion kollektiver Überzeugungen, motivationaler Merkmale und des Belastungserlebens von Lehrpersonen im Kontext „Musik Unterrichten“. Die Studie Handlungsnahe Kognitionen von Musiklehrkräften geht mittels stimulated recall-Interviews der Frage nach, auf welchen kognitiven Grundlagen berufserfahrene Musiklehrkräfte während des Unterrichtens Handlungsentscheidungen treffen (Puffer in Vorbereitung). Das Verfahren der Qualitativen Inhaltsanalyse nach Kuckartz (2016) erlaubt es, die Interviewdaten einerseits theoriegeleitet (deduktiv) auszuwerten, andererseits aber auch (induktiv) zusätzliche Aspekte zu identifizieren, die im beruflichen Alltag von Musiklehrkräften bedeutsam sind und bei der Konzeptualisierung fachspezifischer professioneller Kompetenzen berücksichtigt werden müssen.Footnote 5

Die gemeinsame theoretische Rahmung aller Einzelstudien ermöglicht es, deren Ergebnisse zusammenzuführen und zu einem empirisch gestützten Modell professioneller Kompetenz von Musiklehrkräften zu verdichten.

5 Ergebnisse

Eine unserer Fragestellungen bezog sich auf Unterschiede zwischen schulischem Musikunterricht und Unterricht in anderen Fächern bzw. dem „Unterrichten in der Schule allgemein“. Für die Modellierung professioneller Kompetenzen von Musiklehrkräften erwiesen sich drei Spezifika der Domäne „Musik unterrichten“ als essenziell (Puffer 2021b; Puffer und Hofmann 2017):

  1. 1.

    eine diskursive Rahmung, die dazu führt, dass Musikunterricht im Sinne der Expertiseforschung als gering strukturierte Domäne einzustufen ist;

  2. 2.

    spezifische Merkmale, die sich aus musikalisch-ästhetischen Praktiken im Unterricht herleiten;

  3. 3.

    heterogene fachspezifische Lernvoraussetzungen von Kindern und Jugendlichen.

Zu 1

In Geschichte und Gegenwart des Fachdiskurses begegnen bisweilen stark divergierende Auffassungen darüber, welcher Begriff von Musik für schulischen Musikunterricht maßgeblich ist bzw. sein sollte (Geuen 2018). Damit einher gehen, wie bereits angesprochen, heterogene Vorstellungen über einen adäquaten pädagogischen Umgang mit Musik. Bundesweite Bildungsstandards, einen Katalog allgemein akzeptierter Unterrichtsziele oder ein breit geteiltes Modell von Unterrichtsqualität gibt es bislang für das Schulfach Musik nicht (Hasselhorn und Knigge 2018; Jank et al. 2020; Kranefeld 2021). Aus dem Blickwinkel der Expertiseforschung ist Musikunterricht damit als gering strukturierte Domäne einzustufen (vgl. Seifried und Ziegler 2009). Forschungs- und Entwicklungsarbeit, die sich mit professionellen Kompetenzen von Musiklehrkräften befasst, steht damit in besonderer Weise vor der Herausforderung, ihre normativen Grundlagen offenzulegen (z. B. Vorstellungen von Unterrichtsqualität oder Kriterien „didaktischer Angemessenheit“) und die Reichweite ihrer Ergebnisse zu reflektieren.

Zu 2

Im musikpädagogischen Fachdiskurs werden musikalisch-ästhetische Praktiken und Erfahrungen als besonders bedeutsames Moment von Musikunterricht herausgestellt, ein Moment, das sich durch Offenheit, Unverplanbarkeit und Unverfügbarkeit deutlich von Erfahrungsbezügen unterscheidet, auf die andere Schulfächer rekurrieren (zusammenfassend: F. Heß 2018; Jank et al. 2020; Kranefeld 2021). Den Qualitäten musikalisch-ästhetischer Prozesse kommt im Musikunterricht demnach wesentliche Bedeutung zu. Sie sind nicht nur Voraussetzung für „Outcome“ in Form mehr oder weniger gut messbarer Lernerträge, sondern selbst auch Ziel unterrichtlichen Planens und Handelns. Dies führte zur Überlegung, mit Blick auf schulischen Musikunterricht dem Qualitätskriterium kognitiver Aktivierung das Merkmal ästhetischer Aktivierung an die Seite zu stellen (Puffer und Hofmann 2016; siehe auch Kranefeld 2021). Jenseits kognitiver Komponenten eines „Verwirklichens ästhetischer Rationalität“ (Rolle 1999) zielt ästhetische Aktivierung beispielsweise auf Intensivierung und Ausdifferenzierung sinnlich-ästhetischer Wahrnehmung, auf Förderung einer „Kultur des Wahrnehmens“ (Gies 2013) oder auf Entwicklung künstlerischer Darstellungs- und Ausdrucksqualitäten (Wallbaum 2008). Für die Lehrperson sind dementsprechend solche professionellen Fähigkeiten und Fertigkeiten relevant, die zur Gestaltung ästhetisch aktivierender Lern- und Orientierungsangebote für notwendig erachtet werden – ein Aspekt, der mit Blick auf Musiklehrkräfte selbstverständlich erscheint, aber auch für Theorie und Praxis anderer Fächer fruchtbar gemacht werden könnte (Kranefeld 2021).

Zu 3

Im Unterschied zu manch anderen Unterrichtsfächern wird Musik auch in großem Umfang außerhalb von Schule gelehrt und gelernt. Neben Musikschulen, Kirchen oder Musikvereinen spielen dabei auch außerinstitutionelle, informelle Lerngelegenheiten eine große Rolle, z. B. autodidaktisches Musizieren, häufig gestützt durch digitale Medien (Ahlers 2018), reale oder virtuelle „Lerngemeinschaften“ wie Bands oder Breakdance-Communities (Rappe und Stöger 2017). Ob und inwieweit Musikunterricht in der Schule gemäß den amtlichen Stundentafeln und Richtlinien stattfindet, steht angesichts eines chronischen und gravierenden Mangels an Musiklehrkräften in Frage (Jank 2013, S. 86–87; Lehmann-Wermser et al. 2020). Musiklehrer*innen an allgemeinbildenden Schulen müssen also damit rechnen, dass fachspezifische Lernvoraussetzungen ihrer Schüler*innen über die gesamte Schullaufbahn hinweg stark differieren können, und zwar sowohl hinsichtlich theoretischen Vorwissens und fachsprachlicher Fähigkeiten (Ahlers und Seifert 2015) als auch im Bereich der Musikpraxis (siehe z. B. Hasselhorn und Lehmann 2015; Niessen 2013).

5.1 Fachspezifisches Professionswissen

Im Projekt FALKO‑M wurden die folgenden Komponenten fachspezifischen Professionswissens im Anschluss an Shulman (1986) und an das COACTIV-Projekt (Kunter et al. 2011) für das Fach Musik modelliert, in ein Testkonzept überführt und empirisch validiert (Abb. 2):Footnote 6

Abb. 2
figure 2

Theoretische Konzeptualisierung musikunterrichtsspezifischen Professionswissens aus dem Projekt FALKO‑M (Puffer und Hofmann 2017)

Im Fokus standen dabei Anforderungen an das Musik-Unterrichten in den Jahrgangsstufen 5 und 6 aller Bundesländer und Schularten.Footnote 7 Die inhaltliche Konkretisierung von Wissensfacetten und Testaufgaben rekurrierte auf jene fünf „vorrangigen Verhaltensweisen“ gegenüber Musik (Venus 1969), die seit den 1970er-Jahren schulische Curricula und musikdidaktische Modelle inhaltlich grundieren und strukturieren (Jank et al. 2020, S. 268–269): Produktion (Musik erfinden), Reproduktion (nach Vorlagen musizieren), Rezeption (Musik hören), Reflexion (über Musik nachdenken) und Transposition (Musik umsetzen, z. B. in Bewegung, Bild, Film usw.). Ein Schwerpunkt wurde auf den Bereich der Reproduktion gelegt, um dem Anliegen zu Rechnung tragen, (gemeinsame) musikalische Praxis als besonders bedeutsames Moment der Unterrichtsgestaltung zu berücksichtigen.

5.1.1 Fachwissen

Fachwissen wird hier definiert als vertieftes Wissen über fachliche Inhalte auf der Basis schulischer Curricula. Diese Eingrenzung ermöglicht es, Fachwissen auf berufsfeldspezifischem, möglichst „unterrichtsnahem“ Niveau zu erheben (vgl. Krauss et al. 2011, S. 142–143). Curricula für den Musikunterricht mit Kindern bis zur Jahrgangsstufe 6 sowie die KMK-Standards zur Lehrerbildung (2019, S. 41–42) legen eine Fachwissensbasis nahe, die zumindest folgende Komponenten umfasst: Wissen über Musiken und Musiker unterschiedlicher Epochen, Kulturen und Genres; Wissen zu Notation und Beschreibung von Musik; Wissen zu historischen, kulturellen und sozialen Kontexten und deren Einfluss auf die Entstehung von Musik; Wissen um mediale und technische Aspekte im Umgang mit Musik; Wissen zu Stimmphysiologie sowie zu musikalischer und stimmlicher Entwicklung von Kindern und Jugendlichen. Auch aus den Urteilen der an Testentwicklung, Pilotierung und Validierungsstudie beteiligten Expert*innen aus Schulen und Hochschulen leitete sich ab, dass diese Inhaltsbereiche als berufs- und ausbildungsrelevant angenommen werden können (Puffer und Hofmann 2017).

Musik spielt für viele Menschen eine bedeutende Rolle bei ihrer individuellen Freizeitgestaltung. Deshalb erwies es sich als besondere Herausforderung, das professionelle Fachwissen von Musiklehrkräften abzugrenzen von musikbezogenem Alltagswissen, über das z. B. auch Laien und Amateure verfügen könnten. Die Ergebnisse der FALKO‑M-Validierungsstudie lassen die begründete Annahme zu, dass die Konzeptualisierung entsprechender Wissensbestände gelungen ist: Die Korrelation zwischen den Fachwissens-Testleistungen der teilnehmenden Studierenden und der Zahl der bereits absolvierten Studiensemester (r = 0,64, p < 0,01, 95 % KI für r [0,46, 0,77]) legt nahe, dass der FALKO‑M-Test Wissensbestände erfasst, die im Laufe des Professionalisierungsprozesses erworben werden – aufbauend auf musikbezogenem Vorwissen, das eine der Voraussetzungen für das Bestehen der Eignungsprüfung für ein Lehramtsstudium Musik bildet (Puffer und Hofmann 2017, S. 271–272).

5.1.2 Fachdidaktisches Wissen

Die spezifische Modellierung des fachdidaktischen Wissens erfolgte im Projekt FALKO‑M ebenfalls auf Basis der konzeptuellen Auswahl, die in der COACTIV-Studie vorgenommen wurde (Krauss et al. 2011). „Wissen über musikbezogene Instruktionsstrategien“ (siehe Abb. 2) meint dabei Wissen um verschiedene Arten und Formen der Demonstration von Lerninhalten einschließlich musikpraktischen „Vormachens“; Wissen um anschauliche Illustrationen und „anhörliche“ Beispiele; Wissen um Strategien, musikbezogene Gestaltungs- und Übeprozesse mit einer Gruppe zu initiieren, zu fördern und anzuleiten (Puffer und Hofmann 2017, S. 253–257). Die Facette „Wissen über musikbezogene Kognitionen und Lernwege von Schüler*innen“ schließt Kenntnisse über lernerleichternde oder -erschwerende Kognitionen und Dispositionen bestimmter Lerngruppen ein, beispielsweise Prä- und Fehlkonzepte, typische Schüler*innenfehler und Ähnliches. Fachspezifisch relevant ist hier auch das Wissen um typische Fehler beim Lernen im musikpraktischen Bereich, beispielsweise Wissen über professionellen Umgang mit so genannten „Brummern“ beim Singen (siehe dazu Gembris 2008).

Eine dritte Facette fachdidaktischen Wissens umfasst Wissen um Potenziale von Aufgabenstellungen, didaktischen Materialien und Medien für spezifische Unterrichtskonstellationen und -situationen, zusammengefasst unter der Bezeichnung „Wissen über das Potenzial von Materialien für musikbezogene Lehr‑/Lernprozesse“. Gefragt wird hier zum Beispiel nach Lehr- und Lernmöglichkeiten, die ein bestimmtes Lied im Musikunterricht bietet. Die Konzeptualisierung dieser Facette lässt sich auch mit der Art und Weise begründen, wie Musiklehrende Unterrichtswerke und Lehrerhandreichungen nutzen: nicht als Leitmedien bei der Unterrichtsgestaltung, sondern hauptsächlich als „Ideensteinbruch“ bei der Unterrichtsvorbereitung, zur didaktischen Anregung und als Sammlung anschaulicher Materialien, die je nach Bedarf aus dem Zusammenhang des Buchs herausgelöst und in einen neuen inhaltlich-methodischen Kontext eingebettet werden (Jünger 2006). Genau dabei wird in besonderem Maße die Kompetenz relevant, Materialien zu beurteilen, deren Potenziale zu erschließen und ideenreich weiterzudenken.

Es lässt sich begründet vermuten, dass außer den drei genannten noch weitere, für das Unterrichten im Fach Musik relevante Facetten fachdidaktischen Wissens zu modellieren bleiben. So steht eine Musiklehrkraft beispielsweise beim instrumentalen Klassenmusizieren vor spezifischen organisatorischen und disziplinären Herausforderungen, die beim Unterrichten anderer Fächer so nicht begegnen (siehe z. B. Bickel 2016). Entsprechende Wissensbestände („Wissen über musikunterrichtsspezifische Klassenführung und Unterrichtsorganisation“) umfassen auch Aspekte von Raum- und Materialmanagement.Footnote 8 Damit charakterisiert sich solches Wissen eher als Teil fachdidaktischen Professionswissen denn als Facette allgemein-pädagogischen Wissens.

5.1.3 Praktisches Wissen

Im Datenmaterial der Studie „Singen mit Kindern: Handlungsnahe Kognitionen von Musiklehrkräften“ (Puffer in Vorbereitung) sind Äußerungen wie die folgende recht häufig:

Grundsätzlich war die ganze Stunde sehr lehrerzentriert (.) Das ist was, was ich noch nicht für mich so ’rausgefunden hab“, wie ich Liedeinführungen kompetenzorientiert oder mit mehr Schülerbeteiligung – Es ist ganz viel eben (..) dass man ihnen ganz vormacht: Wie ist der Rhythmus? Wie ist die Bewegung? (.) Und dann haben sie’s auch einfach gleich drin. (L1wGS, 032)Footnote 9

Die Lehrerin bezieht sich hier auf Wissensbestände über Kriterien „guten Unterrichtens“, die sie vermutlich aus allgemeiner Pädagogik oder Schulpädagogik übernommen hat, und hier insbesondere auf das Postulat, Kinder sollten möglichst selbstgesteuert lernen. Zugleich verweist sie darauf, dass Lernen via Imitation beim Einüben von Sing- oder Instrumentalstimmen ein effizientes Verfahren darstelle. Ob dieses Wissen auf „Erfahrungswerte“ aus langjähriger Berufspraxis zurückgeht oder auf die Lektüre einschlägiger Fachliteratur (z. B. Spychiger 2015), bleibt offen.

An diesem Beispiel wird deutlich, dass bei Unterrichtsentscheidungen offenbar eine weitere Art von Lehrerwissen eine bedeutende Rolle spielt, die sich mit dem Konstrukt „praktischen Wissens“ konzeptuell fassen lässt: Gemeint ist eine erfahrungsbasierte, kontextuell gebundene subjektiv bedeutsame Rekonstruktion von Domänenwissen, die über einen längeren Zeitraum hinweg beim praktischen Problemlösen in realen Arbeitskontexten entsteht (vgl. Gruber 2004, S. 11).

Als weitere bedeutsame Ressource lässt sich in den stimulated recall-Interviews Wissen identifizieren, das sich möglicherweise mit Shulmans unscharf umrissenem knowledge of learners and their characteristics überschneidet (1987, S. 8). Häufigkeit und „Dichte“ entsprechender ÄußerungenFootnote 10 legen es nahe, „Wissen über individuelle musikbezogene Lernvoraussetzungen der Schülerinnen und Schüler“ als weitere, für die Unterrichtsgestaltung bedeutsame Komponente fachspezifischen Professionswissens zu konzeptualisieren – aber nicht als Aspekt fachdidaktischen Wissens, weil der Rahmen eines auf allgemeiner Ebene anzusiedelnden „Wissens über die didaktische Aufbereitung des Fachinhalts“ (Bromme 1995) verlassen wird zugunsten eines kontextgebundenen Wissens, das fortwährend aktualisiert wird. Zudem ist ungeklärt, ob und wie sich solches Wissen von Überzeugungen trennen lässt, beispielsweise von solchen über das musikalische Potenzial der Schüler*innen (Puffer 2021b).

Zusammengeführt legen die vorgenannten Überlegungen ein erweitertes Modell fachspezifischen Professionswissens nahe (Abb. 3):

Abb. 3
figure 3

Konzeptualisierung fachspezifischen Professionswissens von Musiklehrkräften – erweitertes Modell (Puffer 2021b, S. 35)

Die theoretisch postulierten und empirisch validierten Wissensfacetten des FALKO‑M-Modells sind hier ergänzt durch Komponenten, die auf Basis der qualitativen Daten konzeptualisiert wurden. Auch diese Modellierung hat vorläufigen Charakter: Möglicherweise lassen sich noch weitere Wissenskomponenten identifizieren, die für das Unterrichten im Fach Musik bedeutsam sind.

5.2 Situationsspezifische Fähigkeiten

Schulischer Musikunterricht fordert von der Lehrperson neben domänenspezifischem Wissen auch spezifische situationsspezifische Fähigkeiten. Als Grundlage einer entsprechenden Modellierung wurde im Projekt LeHet Musik (Puffer 2021a) das Konzept professioneller Unterrichtswahrnehmung (professional vision) herangezogen und für die Domäne des Singens mit Kindern im Klassenverband konzeptualisiert. In diesem fachtypischen Handlungsfeld kommt dem Lernen durch Imitation sowie dem Lernen in Prozessen intra- bzw. interpersoneller Koordination hohe Bedeutung zu (vgl. Spychiger 2015) – anders als beispielsweise im naturwissenschaftlichen Unterricht oder beim Vermitteln musiktheoretischer Sachverhalte. Das Geschehen orientiert sich oft an dem, was in Ensembles außerschulischer Musikpraxis (beispielsweise in Chören) traditionell üblich ist. Die Lehrperson steht dabei als „Singleiter*in“ im Zentrum des Geschehens und muss mehrere komplexe Tätigkeiten simultan ausführen: ein Lied selbst singen und dabei auf Gitarre oder Klavier begleiten; das vokale und ggf. instrumentale Musizieren der Lerngruppe motivieren, initiieren und koordinieren; Lernleistungen und Verhalten der Schülerinnen und Schüler diagnostisch wahrnehmen sowie über die nächsten Unterrichtsschritte entscheiden. Handlungsentscheidungen fallen dabei nicht selten im Takt weniger Sekunden: eine ebenso anspruchsvolle wie voraussetzungsreiche Spezialform pädagogischen „Handelns unter Druck“ (vgl. Dann und Haag 2017, S. 97), die den Unterrichtenden hohe professionelle Kompetenz abverlangt und mit intensivem psychischem und physischem Beanspruchungserleben einhergehen kann (Puffer 2019, in Vorbereitung). Dies muss bei der domänenspezifischen Konzeptualisierung professioneller Wahrnehmung mit bedacht werden.

Professionelle Wahrnehmung fassen wir einerseits als Facette professioneller Kompetenz von Lehrkräften auf (vgl. Seidel et al. 2010), andererseits als ein prozessuales Element im Unterrichtsgeschehen (vgl. Sherin 2007). Im Anschluss an wahrnehmungspsychologische Konzepte (z. B. Krummenacher und Müller 2017) differenzieren wir zwischen selective attention und noticing: Ersteres bezeichnet wissensgesteuerte Aufmerksamkeit im Sinne einer „Bereitschaftshaltung“; bei Letzterem geht es darum, auf Grundlage dieser Aufmerksamkeit Ereignisse zu bemerken, die aus professionellem Blickwinkel relevant sein könnten für den Erfolg von Unterrichtshandlungen. Wir nehmen an, dass es sich um eng verknüpfte, aber nicht zusammenfallende Komponenten des professionellen Wahrnehmungsprozesses handelt. Bezogen auf das Singen im Musikunterricht geht es hier beispielsweise darum, während einer Stimmbildungsübung die Aufmerksamkeit auf Signale zu richten, die darauf hindeuten, dass Kinder in der Klasse gerade ein Problem beim Singen haben. In diesem Modus der selective attention würde die Lehrerin bemerken (noticing), dass einige Kinder den höchsten Ton einer Übung „unsauber“ singen. Auf Grundlage ihrer verfügbaren professionellen Wissensbestände interpretiert sie die Situation (knowledge based reasoning): Worin liegen mögliche Ursachen für die schlechte Intonation? Können die Kinder ihre eigene Stimme in der singenden Gruppe gerade unzureichend hören und kontrollieren? Spielen gruppendynamische Prozesse eine Rolle? – Zudem muss die Lehrerin abwägen, wie sich verschiedene mögliche Reaktionen ihrerseits voraussichtlich auf den Lernfortschritt einzelner Kinder wie auch auf das Unterrichtsklima auswirken: Soll sie die Übung abbrechen und das Problem gezielt ansprechen? Ist es tunlich, die Übung fortzusetzen, aber zu modifizieren? Oder wäre es günstiger, die Übung zu beenden und zu einer anderen überzugehen? – Professionelles Wissen und professionelle Wahrnehmung spielen zusammen, um unter hohem Zeitdruck die „beste“ Handlungsalternative zu wählen.

Zu einer ersten empirischen Validierung dieser Konzeptualisierung füllten 29 Studierende und 16 berufserfahrene Musiklehrkräfte einen Papier-und-Bleistift-Test auf Basis von Audio- und Videovignetten aus schulischem Musikunterricht aus (offene Antwortformate, Bearbeitungsdauer ca. 30 min; Puffer 2021a). Die geringe Stichprobengröße erlaubt allerdings nur vorläufigen Aufschluss über die Qualität des Testinstruments. Demnach lassen sich die Items inhaltlich sinnvoll zu einer Skala mit guter innerer Konsistenz bündeln (Cronbachs α = 0,92; Trennschärfen rit: M = 0,76, SD = 0,05). Ein Vergleich der durchschnittlichen Testergebnisse der Studierenden mit jenen der Lehrkräfte lässt den Schluss zu, dass im LeHet-Musik-Test tatsächlich praxisrelevante professionelle Kompetenzen von Musiklehrkräften konzeptualisiert sind und gemessen werden – zumindest aber Fähigkeiten, über die im Beruf stehende Musiklehrkräfte in deutlich höherem Ausmaß verfügen als Studierende (Studierende: n = 29, M = 16,09, SD = 4,21; Lehrkräfte: n = 16, M = 42,97, SD = 13,95; t(16,52) = 7,52, p < 0,001 (einseitig), d = 3,02; 95 % KI [2,144, 3,888]). Geht man von der Annahme aus, dass Lehrpersonen nach einigen Jahren im Beruf über ein größeres diagnostisches und didaktisches Repertoire sowie über besser trainierte und differenzierte professionelle Wahrnehmungsfähigkeiten verfügen als Studierende, so entspricht dieser Unterschied den theoretischen Erwartungen.

5.3 Musikpraktisch-künstlerische Fähigkeiten

Dass musikpraktisch-künstlerische Fähigkeiten und Fertigkeiten bedeutsame Faktoren professioneller Kompetenz von Musiklehrkräften bilden, wird kaum überraschen. Die ländergemeinsamen Anforderungen für die Musiklehrer*innenbildung der KMK listen eine Reihe einschlägiger Kompetenzen auf, etwa Expertise im Spiel mindestens eines Instruments und in Gesang oder die Fähigkeit, Lieder in unterschiedlichen Stilen und Genres auf einem Akkordinstrument zu begleiten (KMK 2019, S. 42). Musikpraktische Leistungen auf dem erforderlichen Niveau setzen eine langjährige Ausbildung voraus, in der kontinuierliches, zielgerichtetes Üben eine zentrale Rolle spielt. Lern- und Übevorgänge sowie musikpraktisch-künstlerische Performanz schließen kognitive, affektiv-emotionale, sensorische, perzeptive und motorische Aspekte ein (Platz und Lehmann 2018). Generische Modelle professioneller Lehrkompetenz beschränken sich indes auf kognitive und affektiv-motivationale Merkmale. Damit stellt sich die Frage, wie und wo sich musikpraktisch-künstlerische Fertigkeiten in einem Modell professioneller Kompetenz von Musiklehrkräften angemessen verorten lassen könnten.Footnote 11

In vorfindlichen Modellierungen reicht das Spektrum von einer grundsätzlichen theoretischen Trennung zwischen professional knowledge und skills of music teachers (Burnard 2013) bis hin zu Ansätzen, die musikpraktische skills als Erweiterung von Shulmans (1986) Wissenstopologie modellieren (z. B. Chandler und Forrester 2016). Eine Konzeptualisierung als prozedurales „Wissen über die Ausführung musikpraktischer Vollzüge“ ließe aber die sensorischen, perzeptiven und motorischen Anteile musikpraktischer Kompetenz unberücksichtigt, und das wäre mit dem Stand der Forschung zu künstlerisch-musikalischer Expertise und ihrer Entstehung nicht vereinbar (z. B. Platz und Lehmann 2018).Footnote 12

Vor diesem Hintergrund schlagen wir ein erweitertes Modell professioneller Dispositionen von Musiklehrkräften vor (Abb. 4):

Abb. 4
figure 4

Erweitertes Modell professioneller Dispositionen von Musiklehrkräften (Puffer 2021b, S. 43)

Zu den kognitiven und affektiv-motivationalen Komponenten generischer Modelle treten perzeptive und sensomotorische Dispositionen. Musikpraktisch-künstlerische Fähigkeiten und Fertigkeiten entstehen im Zusammenspiel aller vier Bestandteile.

Analog zur Modellierung des Professionswissens in FALKO‑M unterscheidet das hier abgebildete Modell zwei Arten musikpraktisch-künstlerischer Kompetenzen, nämlich „allgemeine“ und berufsfeldspezifische Kompetenzen. Erstere bilden gewissermaßen das musikpraktische Pendant zum Fachwissen. Hier geht es um musikalische Fähigkeiten, wie sie nicht nur, aber auch für Musiklehrkräfte relevant sind, etwa die Fähigkeit, Beethovens Klavierstück „Für Elise“ (WoO 59) lebendig und ansprechend vorzutragen. Im professionellen Kontext „schulischer Musikunterricht“ wird diese Kompetenz beispielsweise dann relevant, wenn es darum geht, Schüler*innen ein Live-Erlebnis von Musik der Wiener Klassik zu ermöglichen (siehe z. B. Bayerisches Staatsministerium für Bildung und Kultus, Wissenschaft und Kunst 2014, S. 292) und damit als „Künstlerpädagog*in“ im Sinne Leo Kestenbergs tätig zu werden (vgl. Kestenberg 1921, S. 24–31).

Von diesen „allgemeinen“ künstlerischen Fähigkeiten sind musikpraktisch-künstlerische Kompetenzen zu unterscheiden, die ausschließlich im Berufsfeld „schulischer Musikunterricht“ bzw. in verwandten musikpädagogischen Kontexten benötigt werden. In diese Kategorie fallen beispielsweise Fertigkeiten im so genannten „Schulpraktischen Instrumentalspiel“, die sich nicht nur im Spiel einer Liedbegleitung erschöpfen. Auf professionellem Niveau sind hier weitere Kompetenzen gefordert, etwa die, eine singende Klasse je nach Lernstand variabel zu begleiten, um den musikalischen Fortschritt optimal zu fördern, das Begleitinstrument zur Steuerung musikalischer Abläufe zu nutzen oder mit seiner Hilfe musikalische Sachverhalte „anhörlich“ zu machen, etwa durch geeignete Verfremdungstechniken. An dieser Stelle wird die enge Verknüpfung solcher Fertigkeiten mit dem fachdidaktischen Wissen deutlich, insbesondere mit der Facette „Wissen über musikbezogene Instruktionsstrategien“: Entsprechende Wissensbestände sind zwingende Voraussetzung für einen sinnvollen Einsatz berufsfeldspezifischer musikpraktisch-künstlerischer Fertigkeiten, schließen diese aber nicht ein.

6 Diskussion

Die hier zusammengefassten Arbeiten erheben den Anspruch, grundlegende Erkenntnisse zu fachspezifischen professionellen Kompetenzen von Musiklehrkräften bereitzustellen und einen ersten Ordnungsrahmen zu deren weiterer Erforschung zu bieten. Wie bei jeder Erkundung eines noch weitgehend unerschlossenen Terrains sind die Ergebnisse aber in mancherlei Hinsicht limitiert.

Ob und inwieweit die gewählte Terminologie sich als geeignet erweist, um die neu hinzugefügten Komponenten präzise zu bezeichnen, ist noch ebenso unklar wie die Akzeptanz der inhaltlichen Spezifikation und grafischen Darstellung von Überlappungen, Schnittstellen und Wechselbeziehungen zwischen den einzelnen Komponenten. Erste Dialoge mit wissenschaftlich arbeitenden Musikpädagog*innen zeigten zwar, dass die Modellierung für solche Zwecke logisch nachvollziehbar und akzeptabel erscheint. Weitere Diskussionen dazu stehen aber noch aus, ebenso eine empirische Prüfung der postulierten Struktur mit Hilfe eines geeigneten, noch zu entwickelnden Instrumentariums.

Die Datenbasis erlaubt nur eine sehr begrenzte Generalisierung der Ergebnisse: Fast alle Untersuchungspartner*innen der empirischen Studien kamen aus Bayern. Eine Validierung der entwickelten Tests an Studierenden und Lehrkräften aus anderen Bundesländern steht noch aus. Zudem nahmen wir nur Lehrkräfte und Studierende mit Musik als grundständig studiertem Haupt- oder Nebenfach in den Blick; die große Gruppe der Lehrkräfte, die an Schularten mit Klassenlehrerprinzip „fachfremd“ Musik unterrichten, blieb bislang unberücksichtigt. Unklar sind auch ökologische und prädiktive Validität der Tests zu Professionswissen und situationsspezifischen Fähigkeiten. Zwar ließ sich zeigen, dass beide Tests Kompetenzen messen, über die berufserfahrene Lehrkräfte in erheblich höherem Umfang verfügen als Lehramtsstudierende. Die Frage, welchen Vorhersagewert die Testergebnisse für die Qualität von Musikunterricht besitzen könnten, den die Testteilnehmer*innen erteilen, ist jedoch offen.

Zu reflektieren ist darüber hinaus der Einfluss der gewählten theoretischen Rahmung auf unsere Ergebnisse. Die Orientierung an den Modellen professioneller Kompetenz nach Blömeke, Gustafsson und Shavelson (2015), am Modell des Projekts COACTIV (Baumert und Kunter 2011) und am Konzept professional vision (Sherin 2007) hatte im Forschungsprozess eine wichtige heuristische Funktion: Sie lenkte den Blick auf Aspekte der Professionalität von Musiklehrkräften, die zu Beginn unserer Arbeit im deutschsprachigen Diskurs praktisch noch keine Rolle spielten und eröffnete dadurch neue Erkenntnismöglichkeiten. Gleichzeitig setzt diese Rahmung Grenzen: Merkmale von Musiklehrer*innenprofessionalität, die unter anderen Blickwinkeln besonders bedeutsam sein könnten – beispielsweise aus Sicht des Persönlichkeitsparadigmas oder auf der Grundlage strukturtheoretischer oder berufsbiografischer Ansätze – bleiben nachrangig und bedürfen weiterer Erkundungen.

Im Laufe der Arbeit wurde zudem deutlich, dass schulischer Musikunterricht viele verschiedene Handlungsfelder umfasst. „Musiklehrer*in“ erwies sich als Sammelbezeichnung für eine Galerie recht unterschiedlicher Berufsbilder (vgl. dazu Lessing und Stöger 2018). So erschließen die hier zusammengefassten Studien lediglich Teilbereiche des Musikunterrichts in den Jahrgangsstufen 1 bis 6, ohne auf Spezifika der jeweiligen Schularten einzugehen. Die bisherigen Befunde aus der Studie „Handlungsnahe Kognitionen von Musiklehrkräften“ (Puffer in Vorbereitung) legen zudem nahe, Unterschiede genauer in den Blick zu nehmen, die zwischen „Generalist*innen“ in Schularten mit Klassenlehrerprinzip und „Fachlehrkräften“ mit Musik als einzigem oder einem von zwei Unterrichtsfächern zu bestehen scheinen. Die beiden Gruppen unterscheiden sich offenbar nicht nur in professionellen Wissensbeständen und musikpraktisch-künstlerischen Fähigkeiten, sondern auch in ihrem Selbstverständnis als Musik Unterrichtende und in ihren Vorstellungen von Unterrichtsqualität.

Die weitere systematische Erschließung des Gebiets sowie das Zusammenführen bereits bestehender oder gerade in Entstehung begriffener Konzepte musikpädagogischer Professionalität und methodischer Ansätze zu deren Erforschung stellen wichtige Arbeitsfelder für die kommenden Jahre dar – sowohl fachintern als auch in interdisziplinären Forschungsprojekten.